I^CKEF-ELLEK
MEDlCALLlBmY
• 1 1
KLINISCHE UND ANATOMISCHE BEITRAGE
ZUR
ATHOLOGIE DES GEHIE
VON
Dp. SALOMON EBERHARD RENSCHEN
PROFESSOR DER KLINISCHEN MEDICIN, DIREKTOR DER MEDICINISCHEN KLINIK
AN DER UNrVERSITÄT UPSALA
DRITTER TEIL
ERSTE HÄLFTE
MIT 14 TAFELN
UPSALA 1894
ALMQVIST & WIKSELLS BUCHDRUCKEREI-AKTIENGESELLSCHAFT
KOMMISSIONS-VEni-AG VON K. F. KOEHr.ER. LEIPZIG
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in 2014
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Die zweite Hälfte dieses Teils wird voraussichtlich
während des nächsten Jahres erscheinen, und wird den Text
zu den Fig. 1 — 5 an der Taf. XI enthalten.
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Neue Fälle die Lehre von der Sehbahn und dem Sehcentrum betreffend.
Fall 1. Malm.
Wittwe. 72 Jahre alt.
Tafel I— III.
Kllnisehe Diagnose: Hemiplegla sinistpa e, Contpaetupa,
Krankengeschichte. Maria Mahn wurde in'.s Kran-
kenhaus am "^/u 1891 aufgenommen und am ^^/j2 entlassen;
starb "/12 1891.
Anamnese. Die Eltern sind todt, der J^afcr, welcher
Alkoholiker war, starb im Alter von 65 Jahren an unbekannter
Krankheit, die Mutter mit 60 Jahren in Folge einer Magen-
krankheit. Von ihren Geschwistern und ihrer übrigen Familie
ist der Fat. wenig bekannt; jedoch glaubt sie, dass keine nervöse
Belastung in der Familie vorhanden sei. Von ihren Kindern
starben 6 in jugendlichem Alter und zwar an Scharlach, Diph-
therie, Brustleiden und Epilepsie; die 2 noch lebenden sind gesund.
Ob Fat. als Kind Krankheiten durchgemacht hat, weiss
sie nicht. Sie soll bis zum Anfang ihrer gegenwärtigen Krank-
heit gesund gewesen sein, mit Ausnahme eines sehr schweren
Wochenbettes, nach welchem sie während längerer Zeit das Bett
hüten musste.
Ihre hygienischen Verhältnisse waren betreffs Kost, Kleider
und Wohnung immer gut; die Arbeit — Nätherei — war Uber-
haupt nicht überanstrengend, wenigstens bis zu ihrem 53:ten Jahre.
Nach dieser Zeit musste sie sich jedoch, in Folge veränderter
Lebensverhältnisse und oekonomischen Druckes auch den gröb-
sten und anstrengendsten Beschäftigungen unterziehen. Dabei
überanstrengte und erkältete sie sich oft.
Ihr Heirath war nicht glücklich. Heftige Wortwechsel und
Auftritte mit dem Manne, welcher sie schlecht behandelte, ge-
hörten zur Tagesordnung. Ihr vorher heiteres Gemüth litt da-
durch sehr, sie wurde heftig und reizbar, verstimmt und zeit-
weilig verfiel sie auf Selbstmordgedanken. Die oekonomisch
schlechten Verhältnisse, die anstrengende Arbeit und der Arger
mit dem Manne sind nach Angabe der Fat. die Ursachen ihrer
Krankheit.
S. E. Heu sehen. Pathologie des Gehirns.
Anatomische Vepändepungen: Ausgedehnte Zepstöpung dep
Rinde und des Mapks dep rechten Hemlsphäpe. — Sekundäpe
Sehpumpfung dep Centpalganglien und Atrophie dep pachten
Schleife und dep rechten Pypamidenbahn.
Im August 1^74 wurde Fat. durch Kurzathmigkeit, Kopf-
weh und allgemeine Äfattigkeit belästigt; ausserdem klagte sie
Uber Ohrensausen und dass es ihr bisweilen schwarz vor den
Augen wurde. Gleichzeitig trat eine immer zunehmende Schwäche
im linken Arme ein und während Fat. an einem kalter und
windigen Tag i?n September s. J. am Seeufer mit Waschen sich
beschäftigte, trat unter Schmerzen eine vollständige Lähmung
des Arms auf. Nach einer dreiwöchentlichen Behandlung mit
Elektricität ging dieselbe bedeutend zurück.
Nachdem sich Fat. Anfang Oktober abermals überanstrengt
hatte, erwachte sie eines Nachts und gewahrte, dass der linke
Arm so schwer an der Brust lag, dass es ihr unmöglich war ihn
sowohl wie auch das linke Bein von der Stelle zu bewegen.
Die Sprache war weg, die linke Zungenhälfte schien gelähmt,
der linke Mundwinkel war nach oben gezogen, der linke Unter-
arm leicht gebeugt, wie auch die Finger der linken Hand, und
die ganze linke Seite war gelähmt und gefühllos.
Nach 6 Wochen kehrte die Sprache zurück, die Schiefheit
des Mundes nahm mehr und mehr ab und nachdem sie 2 Mo-
nate im Bette zugebracht hatte, war sie so weit wieder herge-
stellt, dass sie aufrecht sitzen konnte. S Alonate später konnte
sie auf einen Stock gestützt umhergehen. Während der ganzen
Krankheit klagte sie über heftige Schmerzen im Kreuz und ////
linken Arme und Beine, welche ihr kalt vorkamen. Sie war
während der Krankheit bedeutend abgemagert. Von einem hinzu
gerufenen Arzt wurde sie mit Elektricität behandelt: sein Ver-
such mit einer Bandage der Kontraktion entgegenzuwirken schei-
terte infolge der dadurch hervorgerufenen Schmerzen.
Einige Monate nach der Erholung der Fat. (Sept. iSjß) ver-
lor sie einmal das Beiousstscin, sie sank ganz plötzlich zu Boden,
es stand ihr Schaum vor dem Munde; die Athmung wurde tief
schnarchend. Am folgenden Tage war sie wie gewöhnlich auf
2 S. E. HENSCHEN. PATHOLOGIE DES GEHIRNS
Während der folgenden Jahre bis zum September 1891
war Pat. nicht bettlägerig, jedoch hatte sie immer über Schmer-
zen im Kreuz und im linken Arme und Beine zu klagen. Aus-
serdem fror sie immer; dann und 'wann wurde sie von einem
Anfalle getroffen, wobei es ihr vor den Augen schwarz wurde
und sie, um nicht umzufallen, sich fest halten musste. Das
Bewusstsein hat sie dabei nie verloren. Der kranke Arm wurde
immer mehr adducirt und in der Ellenbeuge flektirt getra-
gen, die Hand war geballt, das linke Bein schleppte sie nach.
Die Verwandten hatten jedoch bemerkt, dass der linke Arm des
Morgens gewöhnlich gestreckt war. Die linke Körperhälfte war
mit Ausnahme des Kopfes bei Bertihrung oder Temperaturwech-
sel immer äusserst empfindlich. Wenn sie z. B. bei den Mahl-
zeiten warmes Essen an der linken Seite des Gesichts verschüt-
tete, so empfand sie keine Schmerzen. Die Haut der kranken
Seite war blaurot, abschuppend. Pat. hat immer über harten
Leib geklagt.
Vergangenen September i8qi bemerkte eines Nachts ihre
Umgebung, dass der ganze Körper zuckte, und das Herz hef-
tig schlug; Sprache und Bewusstsein waren dabei nicht ge-
schwunden. Tags darauf war sie wie gewöhnlich auf. Inzwi-
schen fingen im November die seit dem ersten Anfalle (1874)
vorhanden gewesenen Schmerzen an immer intensiver zu werden ;
das Bein, welches sie vorher nachschleppte, konnte sie nicht
mehr auf den Boden setzen, der linke Fuss begann anzuschwellen
und sich nach innen zu drehen, der Unterarm wurde immer stär-
ker flektirt und die Finger schlössen sich immer fester zusammen.
Von Seiten der Blase wurden niemals Störungen beobachtet.
Sie wurde nun in die klinische Abteilung des Akad. Kran-
kenhauses am ^"/u 1891 aufgenommen.
Status praesens am 5. Dec. 1891.
Allgemeiner Zustand. Pat. ist bettlägerig und schwach
und kann infolge der Kontraktur ihrer linken Seite nur die rechts-
seitige Lage einnehmen. Sie ist unter mittlerer Grösse und hat
einen schwachen Körperbau. Das Fleisch und die Muskeln sind
bedeutend reducirt; besonders sind die Hände sehr mager und
eingefallen; die Haut trocken, abschuppend, die linke Hand
cyanotisch. Die Gesichtsfarbe blass. Die Schleimhäute von nor-
maler Beschaffenheit.
Der Appetit ist schlecht. Der Stuhlgang ist so träge, dass
Lavements angewendet werden müssen. Der Puls ist klein und
schwach, schwankt zwischen 80 bis 100 in der Minute. Die
Respiration 20. Die Temperatur afebril. Pat. hat Harnreten-
tion und die Blase muss deshalb künstlich entleert werden. Der
Harn enthält weder Eiweiss noch Zucker.
Subjektive Symptome.
Pat. klagt über Schmerzen im Kreuz und im linken Arm
und Bein. Die Schmerzen im Rücken strahlen nach den Seiten
hinaus und sind in den Leisten am stärksten. Pat. fühlt ihren
Mund trocken imd hat Schluckbeschwerden. Bisweilen ist sie
kurzalhmig, wobei das Athmen etwas oberflächlich ist.
Objektive Untersuchung.
Psychische Funktionen. Die Perception ist ziemlich
normal. Sie fasst was sie sieht und hört vollkommen richtig auf.
wenn auch etwas gleichgültig und träge. Bisweilen giebt sie
auch Antworten, die nicht die Frage betreffen. Die Wortstellung
scheint auch völlig richtig. Das Gedächtniss dürfte zwar etwas
gelitten haben besonders betreffs dessen was während ihrer Krank-
heit geschehen ist, aber ihre Intelligenz ist völlig klar. Ihr
Gemüth ist etwas reizbar und heftig; keine anormalen Triebe
legt sie an den Tag.
Sprache. Ihre Sprache ist normal. Sie versteht alles was man
ihr sagt und spricht ohne Schwierigkeit und korrekt was sie wiU.
Lesen: Vor kurzer Zeit konnte sie selbst feine Schrift lesen.
Kranialnerven I. Pat. unterscheidet Essig, Weingeist,
Kampfer und Parfüme und zwar eben so gut mit der rechten
wie der linken Nasenöffnung; sie kann jedoch die verschiedenen
Riechstoffe nicht benennen.
II. Pat. ist hypermetrop, in welchem Grade ist jedoch
schwierig zu beurteilen. Die Sehschärfe konnte nicht genauer
bestimmt werden, weil Pat. bei der Untersuchung die Augen
geschlossen hielt. Farbensinn normal. Bei der ophthalmosko-
pischen Untersuchung wurde nichts Abnormes wahrgenommen;
Pat. hat bisweilen Gesichtshallucinationen, indem sie nicht an-
wesende Personen zu sehen glaubt.
Da die Pat. sehr eigensinnig war, so war es schwierig sie
zu untersuchen. Bei einem Perimeterversuche gab sie zwar das
Gesichtsfeld normal an, aber der Eigensinn der Pat. machte
die Untersuchung völlig unzuverlässig. (S. unten in der Epikrise.)
III. IV. VI. Die Bewegungen der Augen sind normal.
Die Pupillen sind gleich gross, und reaglren bei Lichtreiz und
Accomodation.
V. An der linken Seite fühlt Pat. nicht die Berührung
mit einer Stecknadel oder einem Finger; auch empfindet sie
keinen Schmerz beim leichten Stich oder Kneifen, wohl aber
bei einem stärkeren. An der rechten Seite ist sowohl Tastsinn
wie Schmerzsinn mehr ausgeprägt.
Das Kauen geht träge und ohne Kraft vor sich.
VII. Itn oberen Facialisgebiet werden Betvegutigen recht
gut ausgeführt. Pat. kann gut die Augen zumachen und die Stirn
runzeln. Die linke Nasolablalfalte ist stärker * markirt als die
rechte ; der linke Mundwi7ikel ist nach oben gezogen. Das linke
Gaumensegel steht höher als das rechte. Die Uvula Ist nach
rechts gezogen.
VIII. Das Gehör auf beiden Ohren gleich gut. Bisweilen
hört Pat. Läuten und Sausen in den Ohren.
IX. Der Geschmack wurde mit Zucker, Essig und Chinin
geprüft und normal gefunden.
X. XI. Die Athmungsfrequenz 20. Am Larynx nichts
besonderes. Die linke Achsel steht höher als die rechte.
XII. Die Bewegungen der Zunge gehen normal vor sich.
Spinalnerven.
Sensibilität.
Tastsinn: An der linken Seite scheint der Tastsinn zu
fehlen; an der rechten fühlt sie wenigstens stärkere Berührung.
Schmerzsinn: Weder linkerseits noch rechterseits empfindet
Pat. Schmerz bei leichterem Stiche oder Kneifen. Tiefere Stiche
riefen dagegen Schmerz hervor und zwar stärker auf der rech-
ten Seite.
NEUE FÄLLE DIE LEHRE VON DER SEHBAHN UND DEM SEHCENTRUM BETREFFEND
3
Temperatur sinn: Deutlich vermindert. Pat. empfindet am
linken Unterarme erst einen Temperaturunterschied von 2" C.
Ortsinn: Pat. giebt die berührte Stelle meistens unrichtig
an, und zwar besonders am linken Beine, wo sie die Berührung
des Ober- und Unterschenkels verwechselt. Feinere Bestimm-
ungen mit dem Ästhesiometer und Barästhesiometer konnten
wegen des Eigensinns der Pat. nicht ausgeführt werden.
Motilität.
Kopf: Die Bewegungen des Kopfes gehen träge und lang-
sam vor sich. Wenden des Kopfes nach links kann nicht ohne
Schwierigkeit ausgeführt werden.
Rumpf: Pat. kann keine aktive Bewegung ausführen, kann
nicht ohne Hülfe im Bette ihre Lage ändern, auch keine Be-
wegung des Rückens ausfuhren.
Der linke Arm zeigt eine bedeutende Kontraktur. Der
Oberarm ist an die Brustwand adducirt; der Unterarm ist stark
gebeugt und supinirt; die Finger stark gebeugt. Eine aktive
Bewegung ist in keinem Gelenke des Armes möglich. Auch
die passiven Bewegungen sind in Folge der dadurch hervor-
gerufenen Schmerzen eingeschränkt. Der Oberarm kann jedoch
im rechten Winkel gegen den Rumpf adducirt werden. Der
Unterarm kann kaum bis zu einem rechten Winkel gebeugt
werden; das Proniren ist unmöglich; im Handgelenk kann nur
eine gelinde Beugung ausgeführt werden. Der Daumen kann
in allen seinen Gelenken extendirt, aber nur wenig ab- und ad-
ducirt werden; die übrigen Finger können nur wenig in den
Metacarpo-phalangeal-gelenken gestreckt werden, in den Pha-
langealgelenken gar nicht.
Die Armmuskulatur ist hochgradig atrophisch, aber fest
anzufühlen; besonders gilt dieses den M. biceps und die Flexoren
des Unterarms, welche kontrahirt sind. Thenar, Hypothenar und
M. interossei sind völlig atrophisch.
Rechter Arm. Der Oberarm >ann spontan bis in einen rech-
ten Winkel gegen den Rumpf bewegt werden; die passive Beweg-
lichkeit im Ellbogen ist sehr klein; vollständige Beugung kann
ausgeführt werden. Pronation und Supination kann sie selbst
ausfuhren. Die Bewegungen der Hand und der Finger sind frei.
Linkes Bein. Auch hier sind bedeutende Kontrakturen
vorhanden. Der Oberschenkel ist bis zu einem rechten Winkel
gegen den Bauch stark adducirt. Der Unterschenkel liegt dem
Oberschenkel fast unmittelbar an; der Fuss ist leicht pronirt.
Aktive Bewegungen können im Hüft- und Kniegelenk nicht aus-
geführt werden; die Bewegungen des Fusses sind dagegen frei,
obgleich mit kleiner Exkursion. Passiv kann das Bein fast nor-
mal sowohl im Hüft- wie Kniegelenke gebeugt und auch etwas
extendirt werden. Andere Bewegungen sind nicht ausführbar.
Der Unterschenkel kann im rechten Winkel gegen den Ober-
schenkel extendirt werden. Die Muskulatur ist atrophisch; die
Flexoren kontrahirt, fest anzufühlen.
Rechtes Bein. Im Knie- und Fussgelenke kann Pat. selb-
ständig alle Bewegungen ausführen ; im Hüftgelenke dagegen nur
die Extension, im geringeren Grade Ab- und Adduktion. Die
Flexion im Hüftgelenke ist nur passiv und nur bis zu einem rech-
ten Winkel gegen den Rumpf möglich.
Elektrische Erregbarkeit. N. facialis zeigt keine Entart-
ungsreaktion, alle MuscuU abductor dig. minim., adduct. polli-
cis brevis, opponens pollicis, interossei und quadriceps cruris
reagirten nicht gegen 60 Elemente.
Reflexe. Triceps- und Patellarreflexe sind geschwunden.
Der Reflex vom Tendo Achillis kann rechterseits, aber nicht
linkerseits ausgelost werden. Ein Dorsalklonus ist nicht vor-
handen.
Trophische Störungen: Sind schon beschrieben (s. Mo-
tilität). Keinen Decubitus.
Vasomotorische Störungen: Pat. friert meist. Die
linke Körperhälfte ist etwas kühler als die rechte.
Betreffs der Verdauung wurde nur die träge Abführung
bemerkt. Leber von normaler Grösse.
Herz. Perkussionsverhältnisse normal. Herztöne rein, ohne
Geräusche, aber schwach und entfernt.
Lungen. Perkussionsverhältnisse normal; Respirationsge-
räusch vesikulär.
An den übrigen Organen nichts Besonderes.
Behandlung. Chloral, Massage, Elektricität, Sulphonal.
^^/i2 91. Pat. wird gegen meinen Rath vom Kranken-
hause abgeholt.
**/i2 91. Pat. starb heute plötzlich nachdem Blut aus dem
Munde gekommen war.
Sektion am 15. Dec 1891. (Taf. I. U. III.)
Der Schädel ist klein und sehr dick, an der Innenseite rauh
jedoch ohne grössere Exostosen.
Die Dura mater adhärirt recht stark an den Parietalbei-
nen und lässt sich besonders längs der Sutura sagittalis nur
schwierig ablösen.
Die Pia mater ist fleckweise verdickt, trüb und undurch-
sichtig, lässt sich jedoch Uberall ohne Schwierigkeit ablösen. In
den Sulcis reichlich klare Flüssigkeit.
An den Gefässen in grossem Umfange atheromatöse Ver-
änderungen.
Gehirtt ist im Ganzen auffallend vermindert und klein; be-
sonders gilt dies von der rechten Hv misphäre. Die Windungen
sind zahlreich, aber klein und wie es scheint, dünn.
Die rechte Hemisphäre
ist ausserordentlich klein und schlapp und sinkt bei der Her»
ausnähme, besonders in ihrem mittleren Teil, zusammen. An
der Oberfläche bemerkt man eine grössere malacische Höhle
und mehrere kleinere. Dieselben sind folgenderweise verteilt:
Frontallappen (Taf. I. Fig. i.). Die Rinde des F^ ist über-
all normal; F^ berührt aber in ihrem hintersten Teile die gleich
zu erwähnende Höhle.
F^ ; der ganze vordere Teil zeigt teils eine allgemeine Atro-
phie, teils verschiedene (etwa 6) zerstreute kleine, einige m.m,
messende, malacische Flecken. Die Lage dieser kleinen Mala-
cien geht am besten aus der Taf. 1. Fig. i. mal. hervor.
Die Verbindung mit dem (Pes der F^) ist zerstört und
hier findet man an ihrer Stelle eine tiefe Llöhlc, welche haupt-
sächlich den Pes einnimmt, aber nach oben hin die an die Höhle
grenzende Rinde des F^ etwas angenagt, nach unten und hinten
die frontale Rinde des C* zerstört und diese Windung derart
4
S. E. RENSCHEN. PATHOLOGIE DES GEHIRNS
iinterminirt hat, dass nur die Rinde an der höchsten Konvexität
(s. die Fig. i.) erhalten gebheben ist. Diese Rindenzerstörung
trifft C in ihrem mittleren Teile, lässt die untersten 2 cm. wie
auch die obersten 3,5 cm. der unbeschädigt.
Die Zerstörung trifft auch das tiefere Mark und dringt durch
den mittleren Teil des Nucleus caudatus hindurch (s. unten:
Frontalschnitte und Centralganglien) (Taf. II. Fig. i. 5. 6.).
F^ ist im Ganzen erhalten, ist jedoch etwas atrophisch und
zeigt wenigstens 2 kleine 2 — 3 m.m. grosse malacische Atro-
phien (Taf. I. Fig. I., Taf II. Fig. 8—10.).
ist im Ganzen ziemlich erhalten. Das unterste ^/s hat
ihre gewöhnliche Form, zeigt jedoch einige sehr kleine begrenzte
Atrophien (Taf. I. Fig. i.). In dem mittleren '/s ist die Rinde
nur an der höchsten Konvexität und an der hinteren Abdachung
erhalten geblieben. Hier ist die Markleiste auch zur Hälfte ih-
rer Dicke zerstört (s. die Frontalschnitte). Das oberste '/^ ist
vollständig erhalten und nicht atrophisch (s. Fig. 1.).
ist im unteren Abschnitte schmal und scheint atrophisch.
Drängt man die Windung nach vorn, so nimmt man wahr, dass
die occipitalc Abdachung beim Übergang zur P** zerstört ist
(s. Fig. I.).
Am mittleren '/a findet sich eine schmale der Länge der
Windung nach verlaufende etwa 15 m.m. lange und 3 — 4 m.m.
breite Malacie, welche nach hinten unten streifenförmig bis zu
der eben erwähnten Malacie sich fortsetzt. Das oberste Drittel
ist normal, nicht atrophisch.
P-lappen. P^ ist am Übergange zur Cp malacisch; auch
an ihrem hinteren Schenkel besteht eine 0,6 cm. grosse korti-
kale Malacie.
P-' ist an der Oberfläche makroskopisch erhalten.
T-lappen. An T' zwei begrenzte Malacien, die eine 2
cm., die hintere 5 cm. occipital von der T-Spitze. Durch die
vordere ist T' vollständig durchbrochen, die hintere bildet eher
eine atrophische Einsenkung an der Oberfläche. Die vordere
Malacie in T' setzt sich nach oben innen auf die angrenzende
dorsale Rinde des T' und dann in der Tiefe zwischen T' und
Insula nach oben hinten fort, so dass hier jede Verbindung zwi-
schen Insularinde und T' -rinde zerstört ist (die punktirte Fläche
an der Fig. 5. Taf. I.).
Insula: Offnet man die Fossa Sylvii durch Trennen der
T^ und P^, Cp, C^ und F^ von einander (s. Fig. i.) so tritt die
ausgedehnte Zerstörung der Insula hervor. Es zeigt sich nun,
dass die Insularinde nur im unteren vorderen Teile erhalten
geblieben ist, dagegen ist die ganze Peripherie nach unten hin-
ten und oben ganz zerstört und die Rinde wie auch das Mark
hier völlig resorbirt. Nach vorn unter dem Operculum anterius
erscheint eine begrenzte etwa 0,5 cm. grosse kortikale Malacie
am Übergange zur F^
Die Verhältnisse in der Tiefe treten erst an den Frontal-
schnitten hervor.
0-lappcn. Die laterale Fläche ist anscheinend intakt, keine
begrenzte Malacie. Dagegen ist der 0-lappen im Ganzen auf-
fallend atrophisch; die Atrophie betrifft besonders O^ und den
angrenzenden Teil des O^ Diese Windungen sind sehr klein
und verschrumpft.
Die mediale Fläche.
Hier ist die Rinde im vorderen Abschnitte ganz intakt.
Ob eine diffuse unbedeutende Atrophie im F' bei ihrem Über-
gang von der dorsalen zur ventralen Oberfläche besteht, ist
schwierig ohne mikroskopische Untersuchung zu entscheiden.
Die Windungen sind hier kleiner und mehr zerteilt als sonst.
Gyri cinguli und der Parietallappen sind kräftig entwickelt.
Dagegen ist der Cuneus im Ganzen atrophisch, jedoch ohne
begrenzte Malacien oder Atrophie zu zeigen.
Die ventrale Fläche.
Die orbitale Fläche ist normal.
Die temjDoro-occipitale Fläche zeigt einen grossen tiefen
Defekt, welcher hauptsächlich der T^, Gyrus occipito-temporalis
oder collateralis, entspricht. Die Malacie erstreckt sich (Taf. i-
Fig. 2.) von dem Uncus, der ganz verschont ist, über die ganze
Breite der T*, hat vorn auch den vorderen Abschnitt der ven-
tralen Fläche der H zerstört, wird dann nach hinten schmäler
und hat hier die hintersten etwa 3 cm. der Oberfläche des T*
intakt gelassen. Die genauere Verbreitung der Malacie studirt
man am besten an den Frontalschnitten. Die Rinde des hinteren
Teils der H, T"* und T^ Sind zum grössten Teil makroskopisch
erhalten geblieben, obwohl das tiefere Mark zerstört ist.
Nirgends berührt die Malacie die Rinde der Fissura cal-
carina.
Frontalschnitte.
0-lappen. Die Spitze des 0-lappens wie auch der Schnitt
I cm. vor der 0-spitze zeigt keine makroskopischen Veränder-
ungen; jedoch scheint die Rinde des Cuneus im unteren Um-
fange schmal und körnig zu sein. Im Mark giebt es keine makro-
skopische Veränderung.
Schnitt 2 cm. vor der O-Spitze (Taf. II. Fig. 2.). Der obere
Umfang und die Rinde der Fissura calcarina ist nicht makro-
skopisch verändert. Im ventralen Umfange dürfte die Rinde
etwas schmal sein, ohne gröbere Veränderungen zu zeigen.
Das tiefere Mark ist im ganzen ventralen Abschnitte bis
zur Höhe der Fissura calcarina porös, durchlöchert und schlaff,
mit punktförmigen Höhlungen. Die genauere Verbreitung (s.
P'ig. 2.; punktirt).
Schnitt j cm. (Taf. II. Fig. 3.). Hier ist auch die Rinde
in der Tiefe der Fissura collateralis und der T^ wie auch in der
Tiefe der O^ (s. Fig. 3.) also zwischen O^ und O^ malacisch oder
ganz zerstört. Das Mark im ganzen ventralen Abschnitte ist
malacisch mit i — 2 m.m. grossen Höhlchen. Die ganze Seh-
strahlung ist malacirt. Nach oben ist das Mark auch in der P''''
und bis zur Fissura occipito-parietalis malacirt (s. Fig. 3.). Nur
das subkortikale Mark der Fissura calcarina ist anscheinend ver-
schont.
Schnitt 4 cm. (Taf. II. Fig. 4.). Wie aus der Fig. 4. näher
hervorgeht ist das Mark in der ganzen unteren Hälfte des Schnittes
malacisch, lose und porös und diese Hälfte selbst ist zusammen
gesunken und geschrumpft. In der ventromedialen Peripherie er-
streckt sich die Malacie bis zur Oberfläche und hier sind die
ventrale Hälfte der T^, die ganze T^ und der angrenzende Teil
der T^ zerstört. Mehr dorsal dringt die Malacie an der Grenze
zwischen P^' und T^ auch bis zur Oberfläche vor, obwohl dieses
NEUE FÄLLE DIE LEHRE VON DER SEHBAHN UND DEM SEHCENTRUM BETREFFEND 5
von aussen nicht deutlich zu sehen ist. Die Rinde der Fissura
calcarina, P' und des grössten Teils der P'"*' wie T"* ist erhalten,
obwohl das angrenzende Mark Uberall mit Ausnahme unter P^
malacisch ist. Wie weit die Malacie sich nach oben im Mark
erstreckt, geht aus der Fig. 4. näher hervor. Nur die obersten
etwa 3 cm. scheinen verschont zu sein.
In der Tiefe des Sulcus intraparietalis (Fig. 4. ip.) existirt
eine kortikale Erweichung. Die SehstraJilung ist vollständig
erweicht.
Schnitt J cm. (Taf. II. Fig. 5.). In Folge der Atrophie und
des Zusammengesunkenseins der Hemisphäre liegt dieser wie
auch die übrigen Schnitte mehr nach vorn als an normalen Ge-
hirnen. — Hier hat die Malacie eine noch grössere Ausdehnung.
Im ventralen Teil ist H fast total und T^ total malacisch zer-
stört und resorbirt. Dagegen ist die Rinde des T^ ziemlich er-
halten geblieben, die Rinde der T^ und P'''' zum Teil arrodirt.
Sonst ist die Rinde Uberall makroskopisch intakt. Dagegen ist
das Mark fast über der ganzen Schnittfläche vollständig erweicht,
lose und porös und zwar bis zur Rinde, welche auch hie und da
von der Erweichung ergriffen ist. Nur im dorsalen Abschnitte
haben die Markleisten ihre Konsistenz erhalten. Die Sehstrahlung
ist total erweicht. In Folge dieser Erweichung und Resorbtion
der erweichten Substanz ist die Breite des Schnittes wesentlich
vermindert worden, wie auch die Fig. 5. zeigt.
Corpus callosum scheint makroskopisch intakt zu sein.
Schnitt 6 cm. (Taf. II. Fig. 6.). (In der Ebene des hinteren
Colliculus). Hier ist die Rinde fast ringsum der Peripherie er-
halten geblieben mit Ausnahme dass H und T* vollständig zer-
stört sind; auch in der Tiefe des t^ dringt die Malacie bis zur
Oberfläche des Gehirns. Das Mark ist überall total erweicht mit
Ausnahme im höchsten Teil unter Cp. Unter H und T^ ist es
total resorbirt sowie auch unter T^ und P^, wo eine grössere
Höhle vorhanden ist. Unter T^ und T^ ist das Mark noch vor-
handen, aber höchst lose und porös. Die Malacie erreicht das
Ventrikelependym.
Das Ammonshorn wie auch das Corpus callosum ist auf
dem Durchschnitt erhalten.
Schnitt 7 cm. (fällt etwas vor der Spitze des Pulvinars)
(Taf. I. Fig. 4. und 5.). H und T* sind hier verschwunden (Schnitt
fällt an dem hinteren Ende des Uncus). Die Rinde ist sonst,
mit Ausnahme an der Tiefe des \}, erhalten geblieben, wogegen
das Mark nur im obersten '/s und auch da fast nur in den Mark-
leisten erhalten ist. Das Mark unter H und T* ist resorbirt,
unter T' und T^ lose und porös. Unter T^ und P^ liegt eine
grosse Höhle und unter C^ ist nur das mehr centrale Mark er-
weicht; endlich unter dem Paracentrallappen (mediale C* und Cp)
ist das subkortikale Mark makroskopisch erhalten, und nur wenig
verändert und loser als normal. Das ganze vertikale Marklager
ist total erweicht.
Frontal schnitte der vorderen Hemisphärenhälfte. Die
N:o der Schnitte werden von der Frontalspitze gerechnet.
Schnitt I cm. (nach hinten von der Spitze des Frontal-
lappens) zeigt keine makroskopischen Veränderungen.
Schnitt 2 cm. (Taf. II. Fig. 8.). Die Rinde der F^ etwas
schmal mit beschränkter kortikaler Malacie. Das Mark ist nur
unter F^ im Winkel zwischen F^, F^ und der orbitalen Fläche
porös und erweicht. Diese Erweichung dehnt sich nach hinten
(occipitalwärts) aus und erscheint am
Schnitte j cm. (Taf. II. Fig. 9.) bedeutend grösser und
nimmt hier das Mark unter F^, F^ (lateraler und orbitaler Teil)
bis zur Ausstrahlung des Balkenkörpers ein. Die Rinde der F-
und F'' ist in kleiner Ausdehnung erweicht.
Schnitt 4 cm. (Taf. II. Fig. 10.). Nur die mediale Rinde
des Operculum anterius (F^) ist malacisch. Das Mark zwischen
der Rinde der F^, F^, Insula und des Linsenkerns ist erweicht.
Unter F' und dorsalem Teil des F^'ist das Mark makroskopisch
intakt. Occipitalwärts dehnt sich die Malacie unter den unteren
^/s der C''', Cp und P- aus und bildet hier grössere cystenähn-
liche Höhlen, wodurch die ausserdem sehr atrophische Rinde
vollständig unterminirt wird. Medialwärts streckt sich die Zer-
störung bis in den Linsenkern ein (Taf. I. Fig. 4. 5.).
Um den centralen Teil der Hemisphäre näher zu unter-
suchen, wurden Horizontalschnitte durch die Centraiwindungen
gelegt.
Horizontalschnitt (Taf. III. Fig. i., Taf. I. Fig. 4. 5.)
durch die Cyste des F'-Pes. Diese Höhle dringt bis zum Epen-
dym des Seitenventrikels vor. Das Mark ist sowohl nach vorn
(frontalwärts) unter dem F^ vollständig erweicht (etwa 3 cm.),
wie nach hinten unter der C^ und Cp ; diese Erweichung hängt
nach hinten mit der grossen Erweichung des Hemisphärenmarks
zusammen. Dadurch sind auch die oberen Teile der Centrai-
windungen von der Capsula interna getrennt.
Horizontalschnitt durch den Körper des Nucleus caudatus
(Taf. I. Fig. 4.). Eine grosse malacische Höhle liegt am Durch-
schnitte zwischen dem Ventrikel und der Rinde der Centrai-
windungen. Diese Höhle dringt nach aussen bis zu der sehr
atrophischen Rinde vor und nach innen bis zum Ependym des
Seitenventrikels. Vom Nucleus caudatus ist nur der Kopf bis
zur Frontalebene des Foramen Monroe noch erhalten. Sowohl
Corpus als Cauda ist verschwunden.
£)er rechte Seitenvefitrikel ist in Folge der Atrophie der
Centralganglien nach aussen und unten bedeutend erweitert.
T-lappe.n (Taf. I. Fig. i. 2.). Die vordere Malacie der
T^ dringt nach innen im Mark des T-lappens an die Aussenseite
des Unterhorns ein und hier findet sich längs der Aussenwand
und des Uncus eine etwa 3 cm. lange und i cm. breite Höhle
welche sich bis zur Wand des Horns ausdehnt. Auch die übrige
Markmasse des T-lappens ist lose und malacisch.
Centralganglien (Taf. I. Fig. 3. 4. 5.). Beim Vergleich
der Centralganglien rechterseits und linkerseits springt die vorge-
schrittene Atrophie des rechten Thalamus gleich in die Augen,
während die Vierhügel beiderseits fast gleich gross sind.
Thalamus. Länge vom Foramen Monroe bis zur Spitze
des Pulvinars links 33 m.m., rechts 26 m.m. Breite rechts etwa
9 m.m., links 11 m.m.; Höhe in der Ebene der Ausmündung
des Aquädukts rechts 11 m.m., links 19 m.m. Aus diesen Massen
geht also hervor, dass die Verminderung fast nur die Länge und
Höhe betriß"t. Wenn man den rechten Thalamus von oben be-
trachtet, so fällt gleich die Schrumpfung dieses Ganglions in die
6
S. E. HENSCHEN.
PATHOLOGIE DES GEHIRNS
Augen. Dem Ganglion fehlt vollständig die Wölbung in der
Frontalrichtung (Taf. I Fig. 4. 5.) und die Stria terminalis und
Stria medullaris (habenulae) liegen in derselben Horizontalebene;
auch die Wölbung von vorn nach hinten ist unbedeutend. Die
Oberfläche des Thalamus ist höckerig-uneben und an der Grenze
gegen Pulvinar findet sich ein seichtes aber etwa 5 m.m. mes-
sendes Grübchen (Fig. 4. 5.).
Die Consistenz des Thalamus ist fest, die des Pulvinars loser.
Das Tuberculu?n anteriiis zeichnet sich auch rechts scharf
ab, ist aber magerer als links.
Das Pulvinar ist in hohem Grade und in allen Richtungen
atrophisch und zu einer platten Wulst von etwa 3 — 4 m.m.
Breite reduzirt, während das linke Pulvinar etwa 8 m.m. misst.
Corpus genicidatum externum ist links nur wenig grösser
und mehr hervorragend als rechts und ist beiderseits von fester
Consistenz.
Das Corpus genictilatiim internum ist links von gewöhnlicher
Form, Consistenz und Grösse, rechts weniger hervorragend, loser
und unansehnlich. Beim Messen tritt der Unterschied wenig her-
vor, das rechte misst etwa i — 2 m.m. und ist sowohl in der
Länge wie Breite kleiner.
Corpora 4-gemina.
Der Colliculus a?itcrior dextcr ist nur unbedeutend aber be-
sonders im vorderen Umfange kleiner als der sinister.
Der Colliculus posterior dcxter ist vielleicht auch im vor-
deren Umfange etwas kleiner als der sinister; der Unterschied ist
jedenfalls so unbedeutend, dass er selbst fraglich ist. Die Bracchia
sind auch rechterseits etwas schwächer als linkerseits.
Tractus opticus. Ein deutlicher Unterschied rechts und links
scheint tiicht vorhanden.
Chiasma; die linke Hälfte scheint etwas voller als die rechte
zu sein.
Nervus opticus; der linke etwas schwächer als der rechte.
Das Corpus tnammillare dextrum ist etwa i m.m. kleiner
(3 m.m. gross) als das sinistrum (etwa 4 m.m.). Der aufsteigende
Schenkel ist rechts auch etwas schwächer als links, doch kann
man ihn bis zum Uncus ohne Unterbrechung verfolgen; vielleicht
ist er hier rechts etwas schwächer als links.
Der Uncus Hippocampi ist beiderseits von denselben Di-
mensionen, wie auch das Ammonshorn, dagegen ist das Unter-
horn rechts weiter als links.
Pedunculi cerebri am Durchschnitte vor dem Pons. Der
rechte ist bedeutend abgeplattet und in der Peripherie zusammen-
geschrumpft. Die Peripherie ist rechts mit der Begrenzung der
Haube fast parallel, links aber konvex.
Haube. Am Horizontalschnitt vor dem Pons ist sie rechts
kleiner als links und die Peripherie des rechten Lemniscusfeldes
deutlich abgeplatteter als links.
Die linke Hemisphäre
zeigt mit folgender Ausnahme keine Veränderungen weder an der
Oberfläche noch an den zahlreichen gelegten Durchschnitten.
Nucleus caudatus (Taf. I. Fig. 3.) zeigt in seiner mittleren
Abteilung (Körper) eine kleine cystische Narbe (etwa ip m.m.
nach hinten von dem Kopfende). Diese Narbe zieht an der
Oberfläche schräg vom Ependym durch den Körper bis zum
äusseren Rande und setzt sich dann als eine 2 — 3 m.m. messende
Cyste an dem Aussenrande und durch die Capsula interna etwa
einige m.m. nach unten fort (Taf. I. Fig. 3. mal.).
Der Occipitallappen (Taf. II. Fig. 7.). An der Spitze des
0-lappens findet sich eine kortikale Erweichung von unregel-
mässiger Form. Diese liegt etwas höher als die Fissura calcarina,
welche dadurch nur wenig berührt wird und streckt sich nach
vorn etwa 1,5 cm. und dehnt sich dann in der Höhe der Fis-
sura calcarina streifenförmig nach hinten über die Spitze aus, wo
sie sich an der lateralen Fläche etwas vergrössert. Ihre Form
und Ausdehnung geht aus der Taf. II. Fig. 7. am besten her-
vor. (Vgl. die mikroskopische Untersuchung).
Das Kleinhirn zeigt weder in der Form, Grösse oder Con-
sistenz irgend eine deutliche Veränderung. Die beiden Hemi-
sphären sind gleich gross, ohne malacische Stellen.
Der Pons ist in seiner rechten Hälfte etwas atrophisch.
Die Medulla oblongata zeigt makroskopisch keine deutliche
Veränderung.
Mikroskopisches.
Die linke Hemisphäre.
Der linke Occipitallappen wurde in Frontalschnitte zerlegt.
Die Serien A — E umfassen etwa 1,5 cm. von der Spitze.
Ser. A. Schnitte aus der Spitze. (Taf. II. Fig. 7.) Wie
aus dem makroskopischen Bild näher hervorgeht, finden sich in
der Spitze einige kleinere unregelmässige Malacien, etwa in der
gedachten Fortsetzung der Fissura calcarina. Das Mikroskop
zeigt nur, dass hier in der Rinde eine grössere Anzahl kleiner
mikroskopischer Veränderungen in der Rinde vorkommen. Sie
treten als kleine fast erst unter der Loupe sichtbare atrophische
unregelmässige Flecken hervor, in welchen das Gewebe rareficirt
ist und die Zellen wie auch die Fasern geschwunden sind. Alle
diese Flecken sind nur kortikal und dringen höchstens etwa zu
einem Viertel der Dicke der Rinde ein; oft sind sie nur ober-
flächlich. Eine reaktive Entzündung in deren Nähe ist nicht
vorhanden.
Die Rinde ist sonst anscheinend normal wie auch die
Zellen und die Fasern, weshalb ich auf die ausführlichere Be-
schreibung verzichte.
Ser. B. Schnitte etwa o,; cm. — J cm. vor der Spitze.
Hier finden sich 3 — 4 kleine Rindendefekte infolge der Malacie,
nähmlich
a) an der medialen Seite
1) ein mikroskopischer in der oberen Lippe der Fissura
calcarina, nahe der Mündung der Fissura; er misst nicht 0,5 m.m.
2) Zwei etwa 2 m.m. grosse Defekte, dorsal von der Fissur;
b) an der lateralen Fläche:
3) ein im Sulcus occip. sup.; 2 m.m. gross.
4) ein im O^, auch etwa 2 m.m. gross.
Alle diese sind nur kortikal, aber unter den Defekten fin-
det sich im Mark ein mässiger Faserausfall.
Ser. C. und D. Schnitt etwa i cm. von der Spitze. Die
mediale Rinde normal, in der lateralen in dem Gyrus occip,
infer. einige etwa 1 — z m.m. grosse kortikale Defekte-
NEUE FÄLLE DIE LEHRE VON DER SEHBAHN UND DEM SEHCENTRUM BETREFFEND
7
Dagegen treten sowohl in der Sehstrahlung wie sonst hier
und da Flecken hervor, wo deutlich ein massiger Faserausfall
vorhanden ist ; und besonders in der Rinde der Fissur a calcarina
scheint ein solcher Ausfall, obwohl im geringeren Grade, zu
existiren wie auch ein geringerer Grad von diffuser Atrophie,
Das subkortikale Mark der Fissura calcarina ist intensiv gefärbt.
Dorsal von der Fissur (also im Cuneus) finden sich kleine
oberflächliche etwa 2 m.m. grosse Defekte, wie auch an der
Mündung der Fissur sowohl in der dorsalen wie in der ventralen
Rinde. Die Zellen sind in den atrophischen Flecken pigmentirt.
Ser. E. Etwa 1,5 cm. von der Spitze. Wie an C und D.
Ser. F. Etwa 1,5 — 2 cm. von der Spitze. Die oben er-
wähnten oberflächlichen Malacien sind fast vollständig geschwun-
den, aber im Mark finden sich hellere einige m.m. grosse Flecken
wo ein Faserausfall stattgefunden hat. Die Sehstrahlung zeigt
auch einen Faserausfall, obschon im geringeren Grade als in
den vorigen Schnittreihen.
Die Zellen der Rinde sind nirgends pigmentirt.
Ser. G. Etwa 2,5 cm. vor der Spitze: In der lateralen
Rinde findet sich nur eine Spur minimalster nicht i m.m. grosser
Defekte, wie auch im Mark der ventralen Rinde eine Spur von
Faserausfall vorhanden ist.
Die mediale Rinde ist normal und besonders die der Fissura
calcarina, wo die Markstrahlen und die tangentiale Schicht schön
sind. Die Zellen haben deutliches Protoplasma und scharfe Kon-
turen und sind wie das Neuroglia normal. Die Sehstrahlung ist
nunmehr sehr intensiv gefärbt.
Rückblick. Die Spitze des lijike7t Occipitallappens
tinterliegt einer recht ausgedehnten Atrophie. Die Atrophie
ist teils eine diffuse, welche von einer allgemeinen Nutritions-
störung abhängt, teils eine begrenzte.
Jene giebt sich dadurch kund, dass in der Rinde ein
dififuser, obschon wenig hervortretender, Schwund der Grund-
substanz, eine Pigmentirung der Zellen hie und da sowie ein
Ausfall der Nervernfasern sowohl in der Rinde wie in dem
Mark vorhanden ist.
Die begrenzten Atrophien finden sich teils in der late-
ralen Rinde (im ventralen Abschnitt hie und da sowie auch
in O') teils auch in der medialen. Selbst die Fissura calca-
rina geht nicht völlig frei und sowohl in der ventralen wie
in der dorsalen Lippe finden sich an der Mündung der Fissur
solche kleine anämische Nekrosen aber besonders in der
Cuneus-Rinde (vergl. Taf. II. Fig. 7), dorsal von der Fissur.
Im Mark findet sich unter den genannten Defekten ge-
wöhnlich ein deutlicher Faseratisfall in Form von bleichen
faserarmen Flecken.
Aber besonders in der Sehstraklung nimmt man die
Folgen der ausgedehnten Atrophie und des Faserausfalls wahr,
indem die mittlere Schicht der Sehstrahlung bleich und ver-
hältnissmässig faserarm ist.
Alle diese Veränderungeii scheinen nur die eigentliche
Spitze des Occipitallappens bis zu einer Ausdehnung von etwa
1,5 cm. nach vorn einzu7iehmen. Von diesem Punkte ab nach
vorne hin wird die Nutrition auffallend besser, und besonders
erkennt man dies an der Beschaffenheit der Sehstrahlung,
welche in ihrem vorderen Abschnitt intensiv gefärbt ist. Aber
auch die Rinde wird fester, die Markstrahlen schöner gefärbt,
die Zellen anscheinend voller, nicht mehr oder nur ausnahms-
weise pigmentirt und im Mark findet man kaum helle Flecke.
Die Nutritionsstörung trifft also die eigentliche Spitze
des Occipitallappens (die hintersten 15 m.m.).
Die rechte Hemisphäre.
Centralgangliefi (Taf. I. 3. 4). Die Centraiganglien der
rechten Hemisphäre wurden in eine frontale Schnittserie zerlegt.
Beim Färben der Schnitte hatte ich verschiedene Missgeschicke,
wodurch die Präp. nicht immer schön und deutlich genug wurden,
wozu auch ihre bindegewebige Natur beitrug.
Wie schon aus der makroskopischen Beschreibung hervor-
geht, waren die Centralganglien rechterseits in hohem Grade ge-
schrumpft und in Bindegewebe umwandelt. Diese Veränderung
hatte besonders den Thalamus (Taf. III. 5. 6. 7) wie auch die
Capsula externa und die nach aussen liegenden Teile getroffen; be-
sonders war das Pulvinar in eine dünne platte Wulst verwandelt.
Infolge dessen war die dorsale Fläche des Thalamus nicht mehr
eine konvexe sondern eine konkave und bildete eine seichte
Rinne. Ebenfalls war die ventrale Fläche der Centralganglien
in hohem Grade geschrumpft. Die Höhe des Talamus von dem
Kniehöcker bis zur dorsalen Oberfläche misst nur etwa 3 m.m.
(an einem normalen gehärteten Präp. eines jungen Mädchens
22 m.m.).
Diese Schrumpfung war mit einer Massenatrophie ver-
bunden.
Von den drei Nuclei waren der Nucleus externus und inter-
nus überhaupt nicht mehr von einander zu unterscheiden, so i-
dern beide eher in ein dünnes mehr oder weniger plattes hori-
zontales Dreieck zusammengeschmolzen, dagegen markirte sich
der Nucleus anterior deutlich. Es fehlte also vollständig eine La-
mina meduUaris interna.
Thalamus opticus.
In den occipitalen Abschnitten. (Occipital vom äusseren
Kniehöcker).
Das ganze Ganglion ist in ein festes Bindegewebe ver-
wandelt, wo man Uberhaupt fast keine Nervenfasern mehr wahr-
nehmen konnte.
Fasern: Stratum superficiale. Der Rest desselben ist längs
der dorsalen Fläche hie und da nur in Form einzelner Bündel-
chen noch vorhanden.
Längs des ventralen Randes findet sich auch zwischen den
Kniehöckern ein dickeres Bündel noch vor. Die Lamina me-
duUaris externa bildet eine äusserst dünne Schicht von verein-
zelten graugefärbten kurzen Bündeln, welche keine zusammen-
hängende Schicht bilden. Im dorsolateralen Winkel sind diese
Bündel stärker und besser gefärbt. Von dieser Lamelle läuft
eine Anzahl von graugefärbten dünnen und abgebrochenen Bün-
deln in die bindegewebeverwandelte Masse des Thalamus ein.
Stärkere Bündel fehlen überhaupt.
Die Ganglienzellen sind fast alle in hohem Grade ge-
schrumpft und in gerundet-eckige, kleine, bleiche, körnige Schei-
ben, welche überhaupt keine deutlichen Zellenkerne mehr zeigen,
verwandelt. Der grösste Teil der Ganglienzellen selbst ist ver-
8
S. E. HENSCHEN. PATHOLOGIE DES GEHIRNS
schwunden; pericelluläre Räume sind nicht mehr deutlich vor-
handen.
Das Stroma ist vollständig in ein dickes, kernreiches fase-
rig-homogenes Bindegewebe umgewandelt, das hie und da eine
schöne wellige Beschaffenheit angenommen hat. Im Stroma fin-
den sich keine malacischen Herde.
Im iiiittlercn Abschnitt (also im Gebiete der Kniehöcker)
verhält sich der Thalamus in derselben Weise. (Taf. III. Fig. 5.)
Lii frontalen Abschnitte (Taf. III. Fig. 6. 7.) (Gebiet des
Tractus) ist das Ganglion nur etwas mehr reducirt und bildet
ein von cavernulös ausgedehnten Lymphräumen durchbohrtes
Gewebe, wo man Uberhaupt fast keine Hirnstruktur mehr wahr-
nehmen kann. Nur im medialen Abschnitt (Nucleus internus)
ist das Gewebe mehr normal und hier findet man eine grössere
Anzahl dickerer Bündel. Jene Cavernen sind nicht die Folge
malacischer Höhlen sondern bei der Verödung des atrophischen
Gewebes durch Ausdehnung der pericellulären und perivasculären
Räume entstandene Höhlenräume.
Der Nucleus anterior niisst in vertikaler Richtung etwa
1,5 m.m. (ein normaler Nucleus etwa 4 — 10 m.m.), und ist also
bedeutend atrophisch.
Fasern. Die dorsale Kapsel ist recht dick, aber ihre Fa-
sern sind deutlich zum Teil in Atrophie begriffen. Sie sind wel-
lig und ein Faserausfall findet gewiss statt. Die ventrale Kap-
sel; ein bedeutender Faserausfall findet besonders im lateralen
Teil statt und eine zusammenhängende Kapsel existirt kaum. Im
Inneren des Ganglions finden sich zwar noch Nervennetze, aber
ihre Fasern sind zum Teil vollständig degenerirt oder bestehen
aus kürzeren Stückchen. Auch sind zahlreiche Reste der Fasern
vorhanden.
Die Ganglienzellen sind noch vorhanden, und zwar in gros-
ser Anzahl, aber sie sind alle atrophisch. Die Kerne sind deut-
lich wie auch die Kernkörperchen, aber das Protoplasma ist zu
einer schmalen, sehr pigmentreichen Zone ringsum den Kern
reduzirt. Die Form ist eine gerundet-eckige ; bisweilen schei-
nen die Zellen nur in eine Pigmentmasse verwandelt zu sein.
Das Stroma ist von einem dichten sehr kernreichen festen
Bindegewebe gebildet, wo man von dem normalen Neuroglia
überhaupt kcam mehr einen Rest findet.
Nucleus caudatus. Im oecipitalen Teile ist das Gang-
lion vollständig verödet; auch im Bereiche des äusseren Knie-
höckers findet man von ihm keine Spur (s. Taf. I. Fig. 4. n.
caud.).
Im Gebiete des Tractus tritt das Ganglion dagegen in
Form einer schmalen Wulst auf. Diese misst am frontalen Durch-
schnitt nur I 2 m.m. und ist also äusserst reduzirt (normal
etwa 5 + 9 m.m.).
Zahlreiche ausgedehnte Gefässe durchziehen das Ganglion
wie auch spärliche degenerirte Fasern. Die Zellen sind noch
vorhanden, aber auffallend atrophisch. Das Stroma ist sehr
kernreich und hat seine normale Struktur vollständig eingebüsst.
Der frontale Teil oder Caput nuclei caudati ist gut erhal-
ten geblieben. (Taf I, Fig. 4. n. caud.) Auf Frontaldurch-
schnitten nimmt man überhaupt keine makroskopischen Verän-
derungen wahr, aber das Ganglion ist beinahe auf die Hälfte
reduzirt.
Die durchziehenden im normalen Gehirn recht dicken Ner-
venbündel sind zahlreich und scheinen zwar nicht an Zahl wohl
aber an Volumen bedeutend vermindert zu sein. Unter dem
Mikroskop bemerkt man, dass in diesen Bündeln nur M'enige
Fasern gefärbt sind und selbst diese sind in Degeneration be-
griffen.
Die Zellen sind klein und atrophisch, sehr pigmentreich;
nur einzelne sind grösser und normal. Das Stroma scheint sonst
nicht auffallend verändert zu sein.
Das optische System.
Nervus opticus. Vor dem Chiasma. Der rechte Nervus
opticus misst 5 m.m. in horizontaler, 2,5 m.m. in vertikaler
Richtung, der linke zeigt ganz dieselben Masse. Das Binde-
gewebe zwischen den grossen Bündeln ist in beiden Nerven et-
was vermehrt, aber die Vermehrung ist sowohl an den Durch-
schnitten der Nerven ziemlich gleichmässig verteilt. Die Nerven-
bündel sind gleichmässig gefärbt und nirgends ist eine deutliche
Atrophie vorhanden.
Das Chiasma misst in frontaler Richtung 10 m.m., in ver-
tikaler etwa 2,5 — 3,5 m.m. In den beiden lateralen Abschnitten
ist das Bindegewebe vermehrt und die Gefässe verdickt, aber in
gleichem Grade in den beiden Seitenabteilungen. Die Fasern
sind überall intensiv gefärbt. Atrophische Felder sind nicht vor-
handen.
Die Tractus messen, der rechte etwa 2 m.m. -|- 4,7 m.m.,
der linke ungefähr dieselben Masse. Beide haben normale Form
und die Fasern sind beiderseits intensiv gefärbt. Keine Binde-
gewebsvermehrung.
Sowohl die Gudden'sche wie die Meynert'sche Kommissur
ist jederseits normal und intensiv gefärbt.
Also. Mit Ausnahme einer unbedeutenden Vermehrung des
Bindegewebes im Chiasma und in den Selincrven sind diese Teile
wie auch die Tractus normal und Jedenfalls beiderseits gleich.
Ganglion geniculatum extern um.
Fasern. A) In frontalen Abschnitten. Das Ganglion ist
ringsum von einer recht dicken Kapsel umgeben.
Die ventrale Kapsel ist dick und normal, ebenso auch die
dorsale und laterale. Die dorsale Kapsel hat gut gefärbte Fa-
sern, dagegen sind die Fasern der lateralen Kapsel des Gang-
lions nur schwach gefärbt.
Lateral von Kniekörper findet sich ein recht grosses fast
vollständig in Bindegewebe umwandeltes Feld. Hier findet man
nur Reste der lateralen Nervenfasern des Kniekörpers. Dieses
bindegewebige Feld erstreckt sich dorsalwärts höher als der
Kniehöcker und erreicht medialwärts die ganze laterale Kapsel
des Ganglions. Hier findet man auch eine dichte, kleinzelHge
Infiltration wie auch zahlreiche Blutkörperchen.
B) Im mittleren Abschnitte des Ganglions (Taf. III. Fig. 7.
c. gen. ext.) gestalten sich die Verhältnisse in fast derselben
Weise. Die Fasern des Ganglions und zwar sowohl der Kapsel
wie der Markleisten und der Bündel im Inneren scheinen in den
dorsalen ^/s des Ganglions völlig normal; nur im ventralen Drit-
tel ist eine Atrophie vorhanden. Diese betrifft jedoch wenig
und nur in sehr kleiner Ausdehnung die Spitze der Kapsel, die
Markleisten und Nervenbündel im Inneren jedoch mehr. Des-
NEUE FÄLLE DIE LEHRE VON DER SEHBAHN UND DEM SEHCENTRUM BETREFFEND
9
halb markiren sich die Markleisten hier nur als braune Streifen.
Bei stärkerer Vergrösserung sucht man hier im Gegensatz zum
dorsalen Abschnitte vergebens Nervenfasern.
Längs des ganzen lateralen Randes zieht sich auch ein in
Bindegewebe umwandeltes Feld, in welchem die Nervenelemente
fast vollständig atrophisch sind.
C) Weiter nach rückwärts entspricht das eben beschriebene
veränderte Feld nur der ventralen Hälfte des Ganglions und in
Übereinstimmung damit ist die Kapsel des Ganglions nur in ih-
rer unteren Hälfte dadurch alterirt, dass sie bedeutend dünner
ist. Im Inneren des Ganglions sind dieselben Veränderungen,
wie sie oben beschrieben sind, vorhanden. Von der dorsolate-
ralen Kapsel ziehen recht zahlreiche Nervenfasern nach der Cap-
sula interna hin. Dieses dorsolaterale Feld tritt an noch weiter
nach rückwärts liegenden Schnitten noch schöner hervor und
markirt sich durch seine zahlreichen schön gefärbten Fasern.
D) Die occipitale Spitze des Kniehöckers ist sowohl an der
medialen wie lateralen und ventralen Seite von neugebildetem
Bindegewebe umgeben. Im Inneren markiren sich jedoch die
Markleisten und eine Anzahl zum Teil atrophischer Fasern, welche
deutlich mit dem grossen recht faserreichen dorsolateralen Felde
zusammenhängen.
Zelleti. A) In frontalen Schnitten:
a) im dorsale?t normalen Abschnitte: Grosse Zelten: schei-
nen normal mit deutlichen Kernen, und normalem Pigmenthalt;
die Konturen sind scharf; die Grösse normal.
Die kleinen Zellen scheinen auch in ziemlicher Anzahl nor-
mal zu sein. — Aber ausserdem finden sich recht zahlreiche kleine
Pigmentklümpchen ohne Kern eingestreut (atrophische Zellen).
b) in dem ventralen veränderten Abschnitte (die Spitze).
Grosse Zellen. Davon giebt es eine kleine Anzahl, welche
anscheinend normal ist (deutliche Konturen und Kerne etc.).
Ausserdem finden sich hier zahlreiche, rundliche Pignientklüvip-
chen, welche ohne Zweifel Reste sehr zusanunengeschrumpftcr Zel-
len sind. Ihnen fehlen die Kerne vollständig. Diese Klümpchen
sind teils grösser (grössere atrophische Zellen), teils kleiner (klei-
nere atrophische Zellen).
B u. C) In den mittleren Abschnitten: Im dorsalen Ab-
schnitte. Grosse Zellen (Taf. III. Fig. 9.): Recht zahlreiche
normale Zellen finden sich. Auch zahlreiche kleinere Zellen.
Ausserdem sind zahlreiche grössere und kleinere Pigmentklümp-
chen (atrophische Zellenreste) sowohl zwischen den grösseren,
wie den kleineren erhalten gebliebenen Zellen eingestreut.
In den ventralen Teilen: Die grossen Zellen sind auffallend
spärlicher und bleicher, aber sie sind sonst ziemlich erhalten ge-
blieben; auch kleine anscheinend normale Zellen sind vorhanden,
daneben finden sich noch zahlreiche Pigincntklüinpchcn.
Reste der grossen und kleinen Zellen: Diese Klümpchen
waren an den verschiedenen Schnitten anscheinend nicht gleich
zahlreich, bisweilen mehr, bisv/eilen weniger.
occipitalen Abschnitte finden sich recht zahlreiche grosse
Zellen. Diese sind vielleicht kleiner und rundlicher als an den
vorigen Schnitten. Daneben spärliche Pigmentklümpchen.
Das Stroma ist nicht besonders kernreich oder reich an
Bindegewebe. Ob eine unbedeutende Bindegewebsvermehrung
vorhanden ist, muss ich unentschieden lassen.
5. E. Hen sehen. Pathologie des Gehirns.
Rijckblick: Der äussere Kniehöcker grenzt an der
lateralen Seite unmittelbar an ein in Bindegewebe umgewan-
deltes Feld. Dieses Feld nimmt an verschiedenen Frontal-
schnitten eine kleinere oder grössere Strecke ein. Vorne
grenzt es an den ganzen lateralen Rand des Kniehöckers an,
im mittleren Teil nimmt das Feld nur die ventrale Hälfte
des Ganglions ein und an der occipitalen Spitze ist das Gang-
lion sowohl an der lateralen wie medialen Seite vom Binde-
gewebe umgeben.
Dieses Bindegewebe ist deutlich das Resultat einer vor-
ausgehenden Entzündung im Zusammenhang mit einer Malacie
und hat auf die laterale Kapsel des Kniehöckers eingewirkt
und ihre halbe Dicke abgeschnitten. Der entsprechende Ab-
schnitt des Kniehöckers hat deutlich dadurch gelitten; er hat
eine bleichere Farbe, indem die Fasern der Markleisten wie
auch die Fasernetze dieses Abschnittes zum Teil unterge-
gangen sind ; und auch die Zellen, die grossen wie die klei-
nen, sind in aufifallender Weise spärlicher.
Aber auch der dorsale Abschnitt des Kniehöckers ist
auftaliend pathologisch verändert, obwohl hier die zum dorso-
lateralen Teil des Kniehöckers gehenden Fasern viel spärli-
cher sind als normal und ausserdem mit recht reichlichem
Bindegewebe durchsetzt sind. Nur die ventro-mediale Kapsel
ist also von den pathologischen Prozessen des umgebenden
Gewebes unberührt geblieben. Auch ist diese Kapsel im
Ganzen normal, wenn sie auch etwas dünn erscheint. Im
Inneren des Ganglions finden sich überall zwischen anschei-
nend normalen Zellen zahlreiche in Pigmentmassen verwan-
delte Zellenrcste ohne Ordnung eingestreut. Eine bestimmte
Lokalisation dieser Reste kann nicht wahrgenomnfien werden.
Schlüsse: Es ist schwierig zu entscheiden, ob und wie
weit die in dem angrenzenden Gewebe stattgefundene Entzün-
dung und die übrigen pathologischen Veränderungen (Malacie
etc.) auf die Nutrition des Kniehöckers eingewirkt haben kön-
nen oder ob die im Ganglion vorhandenen Veränderungen (die
Atrophie der Zellen und der Fasern) nur durch die Verödung
der occipitalen Fasern der Sehstrah'ung oder anderen Fasern
entstanden sind. Für die letzterwähnte Deutung sjoricht je-
doch ohne Zweifel, dass zwischen wenigstens anscheinend
normalen Zellen ganz zu Grunde gegangene Zellen in Form
von Pigmentmassen eingelagert sind. Hätte die angrenzende
Entzündung die Veränderung hervorgerufen, dann wäre die
Degeneration der Kniehöcker-Zellen eine massenhafte und
das Stroma gewiss auch in hohem Grade diftus entzündet
gewesen.
Wenn dem so ist, so ist zu bemerken :
1) dass zwischen anscheinend normalen Zellen ganz
atrophische ohne Ordnung eingelagert sind;
2) dass die Veränderung sowohl die grossen wie die
kleinen Zellen triflt;
3) dass die Veränderung im ventralen Abschnitte wo
die aus dem lateralen Felde eintretenden Fasern massenhaft
untergegangen sind, auch etwas ausgeprägter ist;
4) dass auch die Markleisten wie die Fasernetze, im
ventralen Abschnitte mehr verändert sind als im dorsalen ;
5) dass ungeachtet der grossartigen Veränderungen der
10
S. E. MENSCHEN. PATHOLOGIE DES GEHIRNS
Rinde und der totalen Zerstörung der Sehstrahlung jedoch
eine nicht unbedeutende Anzahl der grossen sowie auch der
kleinen Ganglienzellen der Zerstörung entgangen ist und zwar
sowohl im Inneren wie im ventralen Abschnitte.
Wenn man nun im Kniehöcker ohne weiteres folgende
Fasersysteme annimmt :
l) ein vom Tractus, 2) ein dorsolaterales (von der Rinde
und Capsula interna), 3) ein ventrolaterales (von der occipita-
len Sehstrahlung) und 4) ein mit den Centralganglicn zusam-
menhängendes System, und bedenkt, dass von diesen Syste-
men die Fasern des Tractus wenigstens zum grössten Teil
erhalten geblieben sind, während die occipitalen vollständig
zerstört sind, wie auch die der Corpora quadrigemina und die
der Rinde und der Capsula interna wenigstens zum grossen
Teil ausgefallen sind, und sich zugleich erinnert, dass noch
im Kniehöcker eine recht grosse Anzahl der Ganglienzellen
erhalten und wenigstens anscheinend normal waren, so dürfte
der Schluss nicht unberechtigt sein, dass diese in einem ge-
wissen Zusammenhang mit den Tractus-Fasern stehen oder ein
von den übrigen Fasersystemen unabhängiges Dasein füh-
ren. In dieser Auffassung wird man noch bestärkt, wenn
man die Beschaffenheit der noch erhaltengebliebenen von
dem dorsolateralen Felde ein- resp. ausstrahlenden Fasern nä-
her betrachtet. Diese Fasern können gewiss nicht normal
fungirend sein. Ihr welliges, geschrumpftes Aussehen wie
auch der Umstand, dass sie im Kniehöcker nicht zusammen-
hängende Fasern, sondern fast nur Bruchstückchen und nicht
zusammenhängende Bündel bilden, deutet darauf hin, dass sie
im Zerfall begriften sind, wenn gleich dieser Zerfall nicht vol-
lendet ist.
Andererseits deutet die vollständige Atrophie zahlrei-
cher in Pigmentklümpchen umgewandelter Zellen darauf hin,
dass jene Nervenfasern des dorso- und ventrolateralen Feldes
und der Vierhügel auch in näherem physiologischen Zusam-
menhange mit den Ganglienzellen stehen.
Weiter ist zu bemerken, dass die Atrophie sowohl grosse
wie kleine Zellen betroffen hat und dass diese Zellenreste
nicht zu einem bestimmten Abschnitt des Kniehöckers lokali-
sirt sind, wie auch die erhaltengebliebenen Zellen nicht ei-
nen bestimmten Bezirk des Ganglions einnehmen, wenn auch
die Elemente der ventralen Spitze des Kniehöckers etwas
mehr atrophisch zu sein schienen. Dies hängt gewiss von
der vollständigen Verödung der Fasern im ventrolateralen
Felde und von der durch die angrenzende Entzündung her-
vorgerufenen partiellen Zerstörung der ventrolateralen Kapsel-
fasern ab.
Aus diesen Thatsachen dürfte man zu folgendem Schlüsse
berechtigt .sein :
1) Fasern des Tractus stehen in physiologischem Zu-
sammenhang sowohl mit den grossen wie kleinen Zellen des
Kniehöckers und zwar mit allen Teilen des Ganglions. Ei-
nige Zellen des Kniehöckers senden Opticus-Fasern in die
Retina ein;
2) Auch die übrigen Fasersy.steme stehen in physiolo-
gischem Zusammenhang mit diesen Zellen und zwar mit allen
Abschnitten des Kniehöckers;
3) Die verschiedenen Systeme sind demgemäss in ein-
ander eingeschoben ;
4) Das occipitale Fasersystem scheint mehr die Spitze
des Ganglions einzunehmen;
5) Das Erhaltengebliebensein der ventralen Kapsel
deutet auf ihren unmittelbaren Zusammenhang mit dem Trac-
tus hin ;
6) Die Markleisten bestehen nicht nur aus Tractus-
fasern (s. Teil. I. S. 5), sondern auch aus anderen Faser-
systemen;
7) Im frontalen Pole des Ganglions wird die Kapsel
hauptsächlich von Tractusfasern gebildet, weil diese in allen
Seiten gut erhalten waren, obschon das ganze laterale I'^cld
atrophisch war.
Das Corpus geniculatum internum dextrum ist
in hohem Grade geschrumpft und misst etwa 2 m.m. (normal
5 — 6 m.m.).
Fasern. In der ventralen Kapsel findet sich noch eine
Anzahl normaler Fasern vor, welche ein ziemlich zusammenhän-
gendes Lager oder Stratum zonale bilden. In den occipitalen
Teilen ist diese Kapsel dicker als in frontalen, wo sie fast fehlt.
Der mediale Abschnitt der Kapsel ist überhaupt sehr dünn oder
fehlt ganz.
An der lateralen wie auch dorsalen Begrenzung findet sich
ein recht fasernreiches Feld, mit normalen Fasern.
Durch das Ganglion ziehen spärliche anscheinend verän-
derte Nerven und im dorsalen Umfange recht zahlreiche Bündel
mit wenig veränderten Fasern.
Zellen. Nur wenige Zellen sind noch erhalten (etwa 3 — 4
an einem Schnitte) und selbst diese scheinen mehr pigmentirt
zu sein als die normalen. Alle übrigen sind in Pigment- oder
Körnerklümpchen verwandelt, welche weder Kerne noch scharfe
Umrisse zeigen.
Auch im linken Ganglion sind die Zellen reichlich pig-
mentirt.
Das Stroma scheint wenig verändert zu sein. Zeichen ei-
ner Entzündung sind nicht vorhanden.
Rückblick. Das ganze Ganglion ist also im höch-
sten Grade geschrumpft. Keine Zeichen deuten darauf, dass
diese Atrophie die Folge einer direkten Entzündung des
Ganglions selbst oder des angrenzenden Gewebes sein könnte.
Es liegt also eine sekundär atrophische Schrumpfung vor.
Fast alle Zellen sind in Pigmentmassen umgewandelt; dage-
gen ist die ventrale Kapsel zum Teil erhalten geblieben.
Diese erstreckt sich als ein Stratum zonale bis zur Kapsel
des äusseren Kniehöckers und hängt mit dieser kontinuirlich
zusammen. Auch eine Anzahl normaler P'aserbündel ziehen
durch den oberen Abschnitt des Ganglions. Alle diese Fa-
sern scheinen also vom Tractus zu stammen.
Die Atrophie des Ganglions dürfte wohl durch die Zer-
störung des Temporalmarks erklärt werden.
Corpora 4-gemina anter iora.
Das rechte ist auf etwa die halbe Dicke reducirt. Diese
Volumenverminderung betrifft alle Lager.
NEUE FÄLLE DIE LEHRE VON DER SEHBAHN UND DEM SEHCENTRUM BETREFFEND
11
Das Stratum zonale existirt ringsum das Ganglion, aber es
ist im lateralen Rande dünner.
Cappa cinerea. Fasern äusserst spärlich.
Die Zellen sind polygen mit scharfen Konturen und deut-
lichen Kernen. Keine deutlichen Anzeichen von Degeneration
oder abnormer Pigmentirung.
Stratum opticuni. Die Fasern bilden dichte Netze und sind
an einzelnen Präparaten intensiv gefärbt.
Die Zellen anscheinend normal (scharfe Konturen ohne
Pigment).
Stratum lemnisci. Fasern. Die cirkulären sind recht zahl-
reich und gut erhalten; die radiären etwas spärlicher.
Beim Vergleich mit dem linken Colliculus anterior fällt in
die Augen, dass besonders die Cappa cinerea, aber auch das
Stratum opticum links auffallend dicker ist. In Folge dessen ist
die Oberfläche des Colliculus links konvex, rechts abgeplattet.
Der Unterschied im Fasernreichthum ist nicht deutlich.
Corpora 4-gemina posteria.
Das BracJiium posterius zeigt einen deutlichen Faserausfall,
ist also links dicker.
Nucleus. Die Kapsel recht kräftig, die Fasern nicht dege-
nerirt. Im Inneren deutliche Netze von normalen Fasern. Die
Fasern rechts ebenso zahlreich als links.
Zueilen: sowohl die grossen wie die kleinen ohne Zeichen
einer Degeneration.
Schnitt in der Frontalebcne der Commissura posterior
zeigt :
Brachiuni anterius und posterius mit starkem Faserausfall;
die Bündel sind zahlreich.
Stratum opticu?n: Die Bündel mit starkem Faserausfall; die
Bündel sind zahlreich.
Commissura posterior ist stark, mit zahlreichen gut gefärb-
ten Fasern. Die Bündel der linken Seite scheinen nicht faser-
reicher zu sein.
Das Ganglion liabenulce: misst etwa 2 m.m. im Durch-
schnitte, hat recht zahlreiche Faserbündel und zahlreiche grosse
deutlich konturirte Zellen, welche beim Vergleich mit denen des
linken Ganglions ebenso gut entwickelt zu sein scheinen.
Der Fasciculus retroflexus ist partiell atrophisch, und diese
Atrophie lässt sich vom Ganglion habenulae bis zum Ende des
Fasciculus oder der Regio interpeduncularis verfolgen. Oben
am dorsalen Ende lässt sich zuerst wahrnehmen, dass die Atro-
phie die dorsomedialen Bündel nur wenig getroffen hat, stärker
dagegen die untersten Bündel und besonders die lateralen Bün-
del des Fasciculus (s. Fig. 5. Taf. III.); am meisten atrophisch
sind aber die ventromedialen, dicht an der Mediallinie. Hier
sind fast alle Fasern geschwunden. Alle diese von getrennten
Punkten kommenden Bündel vereinen sich nun nach unten zum
gesammelten Fasciculus retroflexus. Die verschiedenen Bündel
dieses Fascikels zeigen nun', besonders in ihrem Centrum eine
Atrophie. Diese Atrophie tritt weiter deutlich da hervor, wo
der Fasciculus an den dorsomedialen Rand des Nucleus ruber
grenzt. Weiter treten an anderen Frontalschnitten an der Mittel-
linie ventromedial vom roten Kern atrophische Flecke auf.
Linsenkern.
An den occipitalen Schnitten (Frontalebene des äusseren
Kniehöckers) finden sich überhaupt keine Reste des Ganglions
(resp. des Putamens) vor. (Taf. III. Fig. 5.)
Sonst ist das Putamen zum grössten Teil malacisch ; die
dorsale Hälfte ist malacisch — durchlöchert, die untere etwas
besser erhalten, wie auch überhaupt die mediale Hälfte besser
als die äussere erhalten geblieben ist.
Fasern: Die Bündel sind im Allgemeinen degenerirt oder
malacisch.
Zellen: Körnig aber im Allgemeinen mit erhaltenen Kernen.
Stroma : Kernreich .
Der Globus pallidus (Taf. III. Fig. 6. 7.) ist mikroskopisch
nicht malacisch mit Ausnahme, dass die von Aussen in den Stab-
kranz und die Capsula interna eindringende Malacie bis an die
dorsale Begrenzung, ja bis zum Luy'schen Körper vordringt.
Die Lamina medullär is externa des äusseren Gliedes ist
zum Teil zerstört, die Lamina interna dagegen ist gut erhalten.
Im Inneren der Glieder besonders im äusseren sind zahl-
reiche dicke und intensiv gefärbte Bündel und Fasern vorhan-
den. Doch scheint die äussere Hälfte des äusseren Gliedes
durch die Malacie des Putamens und im caudalen Abschnitte
auch das innere Glied etwas gelitten zu haben.
Die Ansa lenticularis (Taf. III. Fig. 6. 7. ansa.) bildet ein
dickes Bündel mit intensiv gefärbten Fasern. Ihr Durchtritt
durch die degenerirte Capsula interna ist leicht zu verfolgen,
ebenso auch wo sie sich um das laterodorsale Ende des Luys'-
schen Körpers umschlägt und die dorsale wie die lateroventrale
Kapsel dieses Ganglions bildet.
Im vorderen Abschnitte des Linsenkerns entsprechend dem
aufsteigenden Schenkel der Corpora mamillaria verhält sich der
Linsenkern folgendermassen (Taf. III. Fig. 7.).
Das Putamen ist zu einem etwa 1,5 m.m. dicken und etwa
13 m.m. hohem Körper zusammengeschrumpft. Nach aussen
von ihm ist das Mark bis zur Oberfläche des Gehirns vollständig
malacisch; nach oben liegt ebenfalls malacisch-durchlöchertes
Gewebe.
Das Ganglion selbst ist übrigens schon makroskopisch auch
in seinen oberen Abschnitten und längs des äusseren Randes ma-
lacisch; mik.-oskopisch zeigen sich die Faserbiindcl hie und da
malacisch verändert und sind die Fasern zum Teil degenerirt ;
das Gewebe des Ganglions ist, besonders im dorsalen Abschnitte
fleckenweise ebenfalls malacisch, aber selbst in dem makrosko-
pisch normalen Gewebe sind die Ganglienzellen im Allgemeinen
körnig zerfallen.
Das Stroma ist dick kerninfiltrirt.
Das Ganglion sclleint also ausser Funktion gesetzt zu sein.
Die inneren beiden Glieder des Linsenkernes — Globus
pallidus — sind überhaupt recht gut erhalten geblieben (s. Fig. 7.).
Das äussere Glied des Globus pallidus misst etwa 2 m.m.
in der Breite (normal etwa 3 m.m.) und 9 m.m. in der Höhe
(normal etwa 1 1 m.m.) und ist also nur wenig reducirt. Das
dorsale Viertel ist malacisch durchlöchert und auch im übrigen
Teile des Ganglions finden sich mikroskopisch malacische Flecke,
sonst scheint das Gewebe normal zu sein.
12 S. E. HENSCHEN. PATHOLOGIE DES GEHIRNS
Fasern: Die laterale Kapsel ist dünn und ihre Fasern sind
zum Teil degenerirt.
Die mediale Kapsel ist dick und hat normale Fasern. Im
Inneren des Ganglions finden sich sehr dichte Netze mit intensiv
gefärbten Fasern.
Die Zellen sind zum Teil körnig zerfallen.
Das Strojna ist sehr kernreich.
Das mediale Glied des Globus pallidus ist makroskopisch
normal.
Fasern: Die laterale Kapsel ist, wie schon gesagt, dick,
die Linsenkernselilinge diek und ihre Fasern intensiv gefärbt.
Die Bündel und Netze im Inneren sind zahlreich und alle
sehr stark und intensiv gefärbt.
Die Zellen haben deutliche Kerne, sind aber körnig und
pigmenlirt.
Das Stroma enthält dicke Balken, welche vielleicht kevn-
reicher als normal sind.
Da das dorsal von der oberen lateralen Spitze des Nucleus
lentiformis liegende Gewebe vollständig malacisch ist, so sind
sämmtliche von diesem Ganglion nach der Rinde verlaufenden
Fasern abgeschnitten.
Der frontale Abschnitt des Ft/lamens dürfte auf die Hälfte
reducirt sein, scheint aber sonst gut erhalten.
Die Fasern sind zahlreich und intensiv gefärbt ; die Zellen
haben deutliche Kerne, aber sie sind körnig pigmentirt. Es
scheint also das Ganglion obschon anscheinend gesund doch
durch die nahe aussen gelegene Malacie gelitten zu haben.
Das Stroma ist von fester Konsistenz.
Die Malacie dringt von der Rinde bis zum äusseren Rande
des Putamens vor, ja bisweilen bis in das Ganglion ein. (Taf.
IL Fig. lo. Taf. III. Fig. 7.)
Der Li/ys'sehe Körper ist gut erhalten, obschon die von
aussen eindringende Malacie, welche die Capsula interna zer-
stört hat bis zu seiner unmittelbaren Nähe vordringt. Er misst
an Frontalschnitten 7 + 5 m.m. wie der linke. Die Kapsel ist
dick und zeigt intensiv gefärbte Fasern. Wie schon bemerkt
wurde, kann man genau verfolgen, wie die erhalten gebliebene
Ansa lenticularis sich um den laterodorsalen Pol herumschlägt
und wie ihre Fasern auch in das Innere des Ganglions ein-
treten. (Taf III. Fig. 6. 7.)
An die dorsolaterale Hälfte der Kapsel legt sich auch die
Columna tegmenti corporis mamillaris unmittelbar an (Taf. III.
Fig. 7.) und verwebt sich hier anscheinend mit den Fasern der
Kapsel des Luys'schen Körpers und der Ansa lenticularis. Wei-
ter medialwärts trennt sich die Columna von der Kapsel des Cor-
pus subthalamicum.
Die lateralen ^3 der ventralen Kap'sel des Luys'schen Kör-
pers hängen aufs innigste mit einer Anzahl im Verhältniss
zum Ganglion radiär von unten-aussen kommenden dicken Bün-
deln zusammen, welche anscheinend Teile der Ansa lenticularis
sind. Sie treten ausserordentlich scharf und frei hervor, weil
die Capsula interna hier in Folge der Atrophie vollständig fehlt.
Von diesen radiären Bündeln tritt eine grosse Anzahl Nerven-
fasern in das Ganglion ein.
Im Inneren des Ganglions findet man ein recht dichtes
Netz von gut gefärbten Fasern. Zeichen einer Atrophie sind
nicht vorhanden.
Zellen: Es finden sich zahlreiche anscheinend normale
Ganglienzellen. Sie sind eckig-polygon oder gerundet, haben
deutliche Kerne und sind nicht abnorm pigmentirt und haben
scharfe Konturen (Karminpräp.). Sie unterscheiden sich kaum
von denen des linken Luys'schen Körpers.
Das Stroma ist körnig, nicht zelleninfiltrirt, also normal.
Im vorderen Abschnitte des Körpers ist der mediale Pol
nach unten-innen verlängert und man sieht eine Anzahl von
Nervenfasern, welche von dem Ganglion gegen die Mit-
tellinie, wo sie sich mit P'asern der linken Hemisphäre kreuzen,
ausstrahlen. Von den Fasern dieser Hemisphäre verlaufen einige
gegen die dorsale, andere gegen die ventrale Kapsel des Cor-
pus subthalamicum. »
Der Nueleus ruber misst 5 — 6 m.m. im Diameter (der
linke 6 m.m.) und ist makroskopisch völlig unversehrt; der unten-
innen verlaufende Fortsatz des Brachium conjunctivum misst im
Durchschnitt 2 m.m. (an Frontalschnitten) (Taf III. Fig. 5.).
Seine Kapsel ist ringsum recht dick, dorsal etwa 1,5 m.m.,
ventral dagegen etwas dünn; die Fasern sind Uberall intensiv
gefärbt.
Im Inneren des Ganglions sind die Bündel zahlreich und
ihre Fasern kräftig gefärbt; daneben finden sich zahlreiche dünne
und schmale gefärbte Fasern (Fasernatrophie?). Zahlreiche Bün-
del ziehen besonders nach dem laterodorsalen Rand zum Tha-
lamus hin.
Nur ein halbrundformiger Abschnitt im dorsomedialen Um-
fange ist auffallend bleich und zwar da, wo der zum Teil atro-
phische Fasciculus reflexus in die Kapsel eindringt. Dieses Feld
misst etwa t m.m. und verläuft der Kapsel entlang (7 m.m.) und
markirt sich an allen Präparaten vielleicht etwas stärker als in
der linken Hemisphäre.
In jenem Felde finden sich nicht wenige gut, aber schwächer
gefärbte Fasern und Bündel, aber die Bündel sind nicht wie im
übrigen Ganglion so stark und dicht, weshalb wohl eine Fasern-
atrophie (?) vorhanden ist. Recht viele Fasern in den Bündeln
sind fast gar nicht gefärbt. Es existiren jedoch keine deutlichen
Lücken in den Bündeln.
Die Zellen sind eckig-gerundet mit scharfen Konturen und
gewöhnlich körnigem Inhalte. Die Zellen des linken roten Kerns
scheinen besser erhalten zu sein, grösser und mit längeren Pro-
zessen.
Vom lateralen Umfange des Ganglions strahlt ein etwa 3
m.m. breites stark gefärbtes keilförmiges Feld nach oben lateral-
wärts dorsal vom Corpus geniculatum internum in den Thalamus
ein. Die Fasern dieses Feldes scheinen teils von der dorsolate-
ralen und ventrolateralen Kapsel des roten Körpers teils von
einem Bündel, welcher der ventralen Kapsel des Ganglions von
unten zutritt, zu kommen. Die Fasern dieses Feldes (Hauben-
strahlung des Nucleus ruber) verlaufen im ventralen Abschnitte
des Thalamus, und mischen sich mit den Fasern der Gitterschicht
des Thalamus, weshalb auch ihre Fortsetzung in die Lamina nie-
dullaris externa und Capsula interna einzutreten scheint. Das
Feld hört ungefähr im Vertikalplane des lateralen Umfanges des
inneren Kniehöckers ohne scharfe Begrenzung auf. (Taf. III.
Fig. 5. Haub.-Str.).
NEUE FÄLLE DIE LEHRE VON DER SEHBAHN UND DEM SEHCENTRUM BETREFFEND 13
Corpus mamillare.
Columna Vicq d'Azyri. Sie existirt zwar, scheint aber be-
deutend atrophisch und durch die Atrophie des Thalamus aus
ihrer Lage etwas gerückt zu sein.
Die Cohiinna fornicis scheint etwas schwach zu sein; die
Fasern sind gefärbt.
Die Columna tegmenti ist gut ausgebildet und legt sich der
dorsalen Kapsel des lAiys'schen Körpers an.
Das Corpus mamillare. Das Ganglion misst etwa 2 — 2,5
m.m. (gehärtet).
Kapsel. Die sonst dicke dorsomediale Kapsel ist zum Teil
dick, zum Teil dünn; die ventrale und mediale Kapsel aber ziem-
lich normal.
Die Zellen des medialen Ganglions haben scharfe Kon-
turen, stark körniges Protoplasma und erhaltene Kerne; ihre Form
ist rundlich-eckig.
Das laterale Ganglion ist von gewöhnlicher Grösse.
Also: Corpus mamillare wie die Vicq d'Azyr'sche Säule ist
etwas atrophisch; das Meynert'sche Bündel ist ziemlich Lormal.
Die Columna fornicis etwas schwach.
Capsula interna und Pes.
Schon makroskopisch ist der linke Fuss bedeutend atro-
phisch, was ja durch die ausgedehnte Atrophie des Hirnmantels
leicht zu erklären ist. Die Ausdehnung der Atrophie lässt sich
nur schwierig an den Frontalschnitten studiren. Auf den makro-
skopischen Fig. an den Taf. sieht man, dass der ganze Stabkranz
aus dem Occipital- und unteren Parietal-, wie auch Schläfen-
und Centrallappen und zum Teil Frontallappen zerstört sein muss.
Es sind also hauptsächlich nur Fasern vom dorsalen Frontal-
lappen, welche verschont geblieben sind.
Der Pes bildet an den Frontalschnitten (durch den roten
Körper) eine kaum 2 m.m. breite Leiste und ist also bedeutend
atrophisch, aber die zurück gebliebenen Fasern sind recht gut
gefärbt (graublau) und begrenzte Atrophien sind nicht im Pes
vorhanden.
Capsula interna, a) An Frontalschnitten occipital vom
Kniehöcker.
Der dorsale Teil enthält zwar eine Anzahl Fasern, welche
mit dem obersten Teil des Thalamus, Lamina meduliaris externa,
zusammenhängen. Weiter nach oben ist die Ausstrahlung der
Capsula-Fasern zerstört worden. Der mittlere und ventrale Teil
ist im höchsten Grade atrophisch, wenn auch einzelne Fasern
erhalten sind. Der ventrale Teil enthält nur Reste von Fasern
(von den Occipital- und Temporallappen).
b) An Frontalschnitten durch den äusseren Kniehöcker.
Die Kapsel ist eben so beschatten wie oben bemerkt wurde,
aber die ventralen Fasern sind an Zahl noch geringer.
c) An Frontalschnitten durch den Tractus und Corpora
mamillaria.
Die Kapsel ist bis zur Hirnbasis, fast vollständig zerstört,
der linke Teil infolge der Malacie, der ventrale Teil durch De-
generation. Nur im ventralen Teile findet man an den Frontal-
schnitten eine Randzone erhalten, welche etwa 1,3 m.m. breit
und 2,5 m.m. lang ist. Diese ist durch degenerirtes Pes-Gewebe
vom Luys'schen Körper getrennt.
d) In der Ebene der Fornixsäule ist der Pes besser erhalten
und in seinem ventralen Abschnitte überhaupt recht normal; der
ganze dorsale Abschnitt ist atrophisch.
e) Etwas mehr nach vorn ist die Kapsel vollständig zerstört,
aber zwischen dem Caput nuclei caudati und Caput des Putamen
ist die Kapsel recht gut entwickelt mit gut gefärbten Fasern.
Rückblick. Die Capsula interna ist in grosser Aus-
dehnung zerstört worden, sowohl in dem occipitalen wie mitt-
leren Abschnitte des Gehirns ; fast nur der frontale Stabkranz
ist erhalten. Dagegen strahlt eine Anzahl Fasern vom Tha-
lamus nach oben in die Kapsel, und zwar wie es scheint, votn
roten Körper durch die Gitterschicht und Lamina meduliaris
externa in sie ein.
Die Schleife.
Zwischen dem roten Körper und der Substantia nigra
steigt von der Medulla oblongata resp. Pons eine Anzahl Ner-
venfasern fast vertikal bis zur halben Höhe des roten Körpers
oder selbst etwas höher auf. Man kann also an den Fron-
talschnitten diese Fasern eine längere Strecke weit verfolgen.
Sie liegen nicht sehr dicht an einander sondern durch Zwischen-
räume getrennt und liegen zuerst lateral vom roten Körper,
nähern sich dem Ganglion und bilden anscheinend zum Teil
seine ventrale Kapsel ohne ins Innere einzudringen, um sich
dann mit den lateralwärts vom roten Körper ziehenden Fa-
sern (die Haubenstrahlung) innig zu vermischen. Sie scheinen
dabei nicht lateralwärts nach dem äusseren Thalamuskern abzu-
weichen. Es ist jedoch unmöglich sie überhaupt hier weiter zu
verfolgen. Die Fasern sind auffallend stark; alle sind intensiv
gefärbt.
Substantia nigra. Die Zellen sind zahlreich, im Allgemeinen
kleiner und etwas mehr abgerundet als normal (links). Bisweilen
bilden sie kleine Pigmenthäufchen ohne scharfe Konturen. Sie
sind kleiner als die der linken Hemisphäre (Taf. III. Fig. 9.).
Medulla oblongata und Pons.
Infolge der Atrophie und Schrumpfung der rechten Hälfte
fallen die Schnitte nicht völlig symmetrisch.
Die Schleife (Taf. III. Fig. 8. Schi.) ist in ihrer ganzen
Länge deutlich, aber nicht in hohem Grade atrophisch.
In der Höhe des Trochlearis nimmt man wahr, dass
1) der Peslemniscus atrophisch ist. Von ihm sind nur ein-
zelne kleine Bündel noch erhalten; sein Bindegewebe ist an
Karminpräparaten rechts stärker gefärbt als links.
2) der Hauptlemniscus. Der rechte Hauptlemniscus ist ge-
wiss kleiner als der linke; est ist aber bei der Ungleichmässigkeit
der Schleifenbildung schwierig zu bestimmen, wo die Atrophie die
rechte Hälfte getroffen hat, weil keine atrophischen oder dege-
nerirten Fasern zurückgeblieben sind. Alle diese sind deutlich
resorbirt. Doch scheint die Atrophie hauptsächlich, wenn nicht
ausschliesslich den dorsomedialen Teil betroffen zu haben. Hier
ist der Lemniscus rechts schmäler als links und das Bindegewebe
ist dichter (Karmin- und Weigerts Präp.). Der laterale Abschnitt
ist fast eben so breit rechts wie links und zwar sowohl in dorso-
ventraler wie frontaler Richtung. Jedoch lässt sich eine Grenze
zwischen lateralem und medialem Teile nicht bestimmen.
Ob ein Unterschied zwischen dem rechten und linken latera-
14 S. E. HENSCHEN. PATHOLOGIE DES GEHIRNS
Icn Lcinniscus besteht oder nicht, wage ich nicht zu entscheiden,
obschon der rechte etwas weniger hervortritt (faserärmer).
AVeiter nach unten tritt auch ein Unterschied zwischen dem
rechten und Hnken Lemniscus deuthch hervor, aber es ist un-
möglich zu bestimmen, ob diese Atrophie einen bestimmten Ab-
schnitt der Schleifenbildung betroffen hat. So ist es auch im
Zwischenolivenfelde. Hier scheint die Atrophie ziemlich gleich-
niässig auf den Durchschnitt der Schleife verteilt zu sein.
FibrjE arcuatcC internae sind links schwächer und weniger
als rechts.
Niiclci fiinicuU gracilis et cuncati: Ein Unterschied in der
Menge der Nervenfasern lässt sich nicht wahrnehmen.
Die Pyramidenbahn ist fast vollständig degenerirt und das
Bündel im unteren Abschnitt der Medulla ganz abgeplattet. Nur
vereinzelte gefärbte Nervenfasern finden sich noch vor.
Die Bindearine (Taf. III. Fig. 8. B. A.) sind beiderseits gut
erhalten mit stark gefärbten Nervenfasern; jedoch ist der linke
auffallend dünner als der rechte. Es finden sich keine degenerir-
ten Fasern, und eine stärkere Bindegewebsentwickelung (Karmin-
färbung) des linken Bindearmes findet sich nicht.
In der rechten Hälfte der Brücke findet sich noch eine
Anzahl erhaltener Bündel (Brückenfasern vom Frontallappen).
Die Oliven sind beiderseits gut erhalten; die Fasern sind
beiderseits im Hilus gleich zahlreich und stark gefärbt, die Faser-
netze sind auch beiderseits gleich gut ausgebildet. Die Zellen sind
anscheinend gleich zahlreich und von gleicher Form, mit einem
Worte, die Oliven sind beiderseits normal.
Die Fasciculi longitudinales posteriores sind beiderseits nor-
mal und gleich stark.
Epikrise.
Kurzer Krankenbericht. Der Vater war Alkoholi-
ker. Zwei Kinder epileptisch. Während der letzten zwanzig
Jahre war Pat. oekonomischen und häuslichen Schwierigkeiten
ausgesetzt und wurde dadurch schwermütig. Im Aiigust 1874
Anzeichen von Degeneration des Herzens, Kurzathmigkeit
und Schwindelanfälle , gleichzeitig Schwäche im Hnken Arme.
In Sept. s. J. wurde der Arm vollständig gelähmt und
schmerzend; Besserimg. Im Okt. linkseitige Hemiplegie mit
AnästJicsie.
Die Sprache war während 6 Wochen weg. Nach 10
Monaten konnte Patientin umhergehen. Schmerzen in den
linkseitigen Extremitäten.
Sept. iSyß epileptiformer Anfall. Von 1876 — Sept. 1891
war Pat. beständig ausser Bett. Schmerzen in der linken
Seite. Wiederholte Anfälle ohne Bezinisstseinsverlnst. Kon-
traktur des linken Armes, das linke Bein wurde nachge-
schleift. Die linke Seite hyperästetisch gegen Berührung und
Temperatur. Im November 1891 war das linke Bein voll-
ständiger paralytisch und die Kontraktur stärker.
Status prses. V12 1891. Schwach, kontrakturirt. Harn-
retention. Schmerzen im Kreuz und uu linken Arm und
Bein. Psyche normal. Kranialnerven I. III. IV. VI. normal.
II. Kann lesen. Bisweilen GcsicJitsJiallucinationen. Ob He-
mianopsie ungewiss. V. Linkseitige Anästhesie für Berührung
und Schmerz. VII. Der obere Facialis gut funktionirend,
der untere etwas paretisch. VIII. IX. XI. XII. normal.
Spinalnerven : Tastsinn linkerseits fehlend, rechts etwas
vermindert. Schmerzsinn beiderseits vermindert, auch Tem-
peratur- und Ortsinn. Wendet den Kopf nach links nur mit
Schwierigkeit. Rumpf schwerbeweglich. Linker Arm kon-
trakturirt, paralytisch, atrophisch. Linkes Bein kontrakturirt,
paralytisch in der Hüfte und im Knie. Fussgelenk frei. Auch
die rechten Extremitäten in den Bewegungen etwas be-
schränkt. Keine Patellarreflexe. Tod '^/i2 91.
Diagnose. Art der Läsion. Im vorliegenden Fall
machte der kurze Aufenthalt der Pat. in der Klinik sowie im
Besonderen ihr Eigensinn Schwierigkeiten. Einerseits spra-
chen die ausgeprägten Symptome, die Kontraktur, die Ab-
magerung für ein schweres Leiden, anderseits aber deutete
der Eigensinn der Pat., sowie die Aussage der Pat., dass sie
bisweilen, wenn es ihr gefiel die kontrakturirten Extremitäten
strecken konnte, auf eine vielleicht alte Kontraktur hysteri-
scher Art. Jedenfalls vermutete ich nicht, dass grossartige
Veränderungen vorhanden seien.
Die wiederholten Schwindelanfälle konnten jedoch auf
multiple Thrombosen deuten, was auch die Beschaffenheit des
Herzens zu bestätigen schien. Die Sektion zeigte eine aus-
serordentlich ausgedehnte Malacie oder vielmehr eine IVIasse
zum Teil konfluirender malacischer Herde.
Locus laesionis. Nach der Anamnese wurde der linke
Arm zuerst Aug. 1874 schwach, später (Sept. s. J.) ging
die Schwäche des Armes in vollständige Lähmung über.
Im Oktober trat vollständige Hemiplegie ein. Dieser Ver-
lauf der Lähmung spricht gewiss für eine kortikale Lokali-
sation, denn bei einer Veränderung der inneren Kapsel tritt
die Lähmung fast gleichzeitig in den oberen und unteren
Gliedern auf.
Analyse der Symptome.
Intelligenzst'öriingen. Am auffallendsten war ohne Zwei-
fel, dass die Iiitelligenz im Ganzen klar war, Pat. hörte und
verstand, was sie hörte, weder Seelentaubheit noch Seelen-
blindheit war vorhanden. Die Wortstellung war die richtige,
wenn auch die Antworten nicht immer zutreffend waren.
Alles dieses deutete auf eine im Ganzen richtige Perception
und Apperception, eine richtige Kombination der Gedanken
und richtige motorisch-psychische Funktionen. Bei einem
solchen Verhältniss war der Sektionsbefund äusserst über-
raschend. Zwar waren in der Rinde keine ausgedehnten
Zerstörungen vorhanden, aber fast unzählige kleine und grös-
sere malacische Defekte und Narben waren in der Rinde
eingestreut. Die Tafel I. zeigt solche überall im Frontal-
hirn, ebenso im Temporal- und Parietalhirn ; an der Grenze
zwischen F" und findet sich eine grössere Malacie; dage-
gen ist die Occipitalrinde mehr verschont, wogegen die Insel-
rinde vollständig zerstört ist. Aber erst beim Durchschnitt
bekommt man einen richtigen Begriff von der grossartigen
Destruktion der rechten Hirnhälfte. Das Mark des grössten
Teils des Occipitalhirns war malacisch; unter dem Parietal-,
Temporal- und zum Teil auch Frontalhirn war das Mark voll-
.ständig geschwunden. Nur längs der Margo falcata und be-
sonders in der F^ scheint das Mark nicht ergriffen gewesen
zu sein. Aber ausserdern ist der lose auf den Centraigang-
NEUE FÄLLE DIE LEHRE VON DER SEHBAHN UND DEM SEHCENTRUM BETREFFEND L5
lien liegende Hirnmantel fast überall (s. Taf. L Fig. 4.) von
diesen durch grosse Cysten getrennt. Ich dürfte nicht irren,
wenn ich sage, dass, wenn die Rinde auch an einzelnen Punk-
ten wie an der Margo falcata hätte funktioniren können, doch
die Association zwischen ferner liegenden Punkten vollständig
aufgehoben und fast jede Verbindung durch die Centralgang-
lien unmöglich gewesen war, weshalb auch von dieser Hirn-
hälftc aus alle motorischen Äusserungen des psychischen
Lebens gehemmt waren. — Kurzweg alle psychischen Funk-
tionen, welche bei Lebzeiten der Fat. hervortraten, waren
nur Äusserungen der linken Hirnhälfte.
Also genügt die linke Hirnhälfte für ein fast normales
psychisches Leben. Zwar litt Pat. an Gedächtnissschwäche
und bisweilen waren die Antworten nicht korrekt, aber man
muss sich immerhin erinnern, dass Pat. eine 72-jährige durch
die Kümmernisse des Lebens schwer betroffene Frau war,
deren Gefässe auch in hohem Grade atheromatös waren.
Dadurch lassen sich die geringfügigen Defekte oder Anoma-
lien des psychischen Lebens leicht erklären, ohne zur Hypo-
these von der Notwendigkeit der rechten Hemisphäre für ein
vollkommenes und normales psychisches Leben zu greifen.
Wenn also die linke Hemisphäre schon als Grundlage
für den Geist genügt, wozu dient dann die rechte? Kaum
dürfte ein anderer Befund so deutlich die hohe Bedeutung
der Sprachcentra und deren Associationsfa.sern für den Geist
zeigen, da nämlich eben die linke Hemisphäre sich durch
diese Centra von der rechten charakterisirt.
Gesichisperceptionen. Keine Gesichtsbilder oder Percep-
tionen konnten hier von der Aussenwelt in die rechte He-
misphäre aufgenommen werden, denn die in dem Occipital-
lappen verlaufende Sehstrahlung war vollständig zerstört und
da ausserdem die hintersten 15 — 20 m.m. des linken Occi-
pitallappens auch nicht unbeträchtlich durch eine mangel-
hafte Nahrung infolge der Atheromatose der Gefässe gelitten
hatten und daselbst mehrere kleine Malacien vorhanden wa-
ren, so ist der Schluss berechtigt, dass zur Aufnahme voll-
ständiger Gesichtsperceptionen die vordere Hälfte des linken
Occipitallappens und des Gyrus angularis sinister genügen.
Gcsichtsvor Stellungen . Auch diese waren klar und an-
scheinend vollständig, pjne Association der Thätigkeiten des
rechten Hinterhirns mit denen des linken ist also nicht für
die Bildung von Gesichtsvorstellungen notwendig.
Gehdrperceptio>ie)i und Gehörvorstelhingen. Was von
den Gesichtsfunktionen oben angeführt wurde gilt auch für
die Gehörfunktionen. Die Rinde des rechten Schläfenlappens
koramunicirte nicht mit der Aussenwelt, das Gehörganglion,
Corpus geniculatum internum, war auch in Bindegewebe um-
gewandelt.
Geschmacksempfindungen. Wenn die Lage des Ge-
schmackscentrums nicht genauer bekannt ist, so können wir
jedoch davon überzeugt sein, dass dieses im Schläfenlappen
befindliche Centrum nicht mit der Aussenwelt oder mit den
Centraiganglien kommunicirte. Pat. hat sich also ausschliess-
lich der linken Hemisphäre bedient.
Genich. Das einzige verhältnissmässig gut erhaltene
Sinnesorgan der rechten Hemisphäre das des Geruch-
sinns. Sowohl die Bulbi \\>ie die Striae olfactoriae, wie auch
zum Teil wenigstens die Geruchcentra schienen erhalten zu
sein. Aber Pat. konnte die Riechstoffe nicht benennen (feh-
lende Geruchvorstellungen? oder Erinnerung?).
Sprache. Nach dem apoplektischen Insulte im Oktober
1874 war die Sprache während 6 Wochen geschwunden. Dass
dieses die unmittelbare Folge der Apoplexie und nicht einer
Läsion der Sprachcentra war, geht aus dem Sektionsbefunde
hervor. Im Hospital war eine eigentliche Sprachstörung nicht
vorhanden. Die bisweilen verkehrten Antworten werden durch
die Schwäche der Pat. leicht erklärt.
Lesen. Pat. konnte kurz vor der Aufnahme ins Hospi-
tal recht gut feinen Druck lesen. Dieses zeigt, dass die man-
gelhafte Ernährung der Occipitalspitze dabei nicht hindern-
lich war. Wenn man dorthin das periphere Sehfeld verlegt,
so beweist der Fall, dass selbst die kleinste Perceptionsfläche
richtige Seh- (resp. Buchstaben)-vorstellungen hervorzurufen
im Stande ist. Ohne Zweifel spricht diese Thatsache dafür,
dass die mannigfaltigen Sehvorstellungcn sich nicht im Ge-
sichtscentrum ablagern.
Kranialnerven. I. Der Geruch wie auch die Geruchs-
bahnen waren beiderseits intakt.
II. Hinsichtlich des Gesichtsfeldes ist es im hohem
Grade zu bedauern, dass genügende Kontrollversuche nicht
bei Lebzeiten ausgeführt worden sind. Die eigensinnige
Frau machte augenscheinlich unrichtige Aussagen und sagte
bei der Probe gern ja, wenn sie gefragt wurde, unbeküm-
mert darum, ob sie den Gegenstand gesehen hatte oder nicht.
Es machte deshalb den Eindruck als ob das Gesichtsfeld nor-
mal gewesen wäre. In der That muss jedoch eine vollstän-
dige Hemianopsie bestanden haben.
Unter solchen Umständen will ich mich nur an die That-
sache halten, dass Pat. kurze Zeit vor der Aufnahme ins
Krankenhaus nach zuverlässiger Angabe der Tochter oft fei-
nen Druck gelesen hatte. Nun lesen wir ausschliesslich mit
dem Makularfelde, obwohl das periphere Gesichtsfeld zur
Orientirung benutzt wird. Das Fixat'onsfeld war also erhal-
ten. Nun ist rechts die ganze Sehstrahlung zerstört, und
links findet sich an der Spitze eine schon makroskopisch be-
merkbare Rinden malacie, deren Lage und Ausdehnung aus
der Tafel II. Hg. 7. am besten hervorgeht; ausserdem dehnt
sich etwas dorsal von der Fissura calcarina eine kleine ober-
flächliche Malacie aus und an der lateralen Occipitalrinde
finden sich ferner eine nicht geringe (s. oben) Anzahl von
kleinen Malacien wie auch ein fleckenweise auftretender Fa-
sernausfall im Marke. Die ganze Spitze des Occipitallappens
scheint von einer nicht geringfügigen Atrophie infolge der
Veränderungen der Gefässe befallen zu sein. Diese Atrophie
giebt sich kund teils durch eine Rarefaction der Neuroglia
und Pigmentirung der Zellen, teils auch durch einen deutli-
chen Faserausfall und eine bleichere Färbung (Atrophie) der
Sehstrahlung. Unter solchen Umständen dürfte es wohl rich-
tig sein anzunehmen, dass diese äussersten 15 — 20 m.m. des
linken Occipitallappens weder an der lateralen noch medialen
Seite funktionsfähig waren. Ich gebe wohl zu, dass man zur
Zeit nicht immer mit dem Mikroskope sicher entscheiden
kann, ob ein Rindenstück, wo geringere Nutritionsstörungen
16 S. E. MENSCHEN. PATHOLOGIE DES GEHIRNS
vorhanden sind, noch funktionsfähig ist oder nicht; deshalb
sehe icli in diesem Ealle keinen völlig beweiskräftigen Be-
fund; aber wenn man bedenkt, dass die 72-jährige durch die
Krankheit sehr geschwächte Frau noch kurz vor ihrem Tode
selbst feinen Druck lesen konnte, so können wir davon über-
zeugt sein, dass sie dazu einer wohl erhaltene Rinde bedurft
hatte.
f heraus dürfte man wohl folgern können, dass Fat. nicht
mit der Rinde der Occipitalspitze gelesen habe und dass also
das Fi.xationsfeld der kortikalen Retina da zu suchen .sei, wo
die Rinde des Occipitallappens völlig normal war. Es liegt
also die kortikale Macula weiter nach vorn, also wenigstens
etwa 2 cm. oder weiter nach vorn bis 4 cm. vor der Occi-
pitalspitze.
Der vorliegende Fall .scheint also, obschon er in gewis-
sem Gracie unrichtig beobachtet war, einen nicht unwichtigen
Beitrag zur Kenntnis der Projektion des Gesichtsfeldes in die
Occipitalrinde zu geben.
Ich bemerke nebenbei, dass dieses Resultat in voller
Übereinstimmung mit den Schlüssen steht, welche ich schon
durch andere Methoden und aus anderen Daten gezogen habe.
(Vergl. Teil II. S. 359.) Es dürfte also in dem Occipitallap-
pen das Makidarfeld vieJir frontal, das po'iferische hi dem
Jiorizontalen Meridiane mehr occipital liegen.
Farbensinn. Durch einen analogen Schluss kommt man
zum Resultate, dass die kleine erhaltene Strecke des Ge-
sichtscentrums in dem vorderen Abschnitte der Fissura cal-
carina auch aller Wahrscheinlichkeit nach die farbenpercipi-
renden Elemente enthält. Zwar ist auch hier der Schluss
nicht zwingend; es lässt sich nähmlich denken, dass das
Farbcncentrum irgendwo anders liegt; aber eine Erwägung
der Gründe, die schon oben mehrmals hervorgehoben sind
(Teil II. S. 412.) lässt einen solchen Schluss wahrscheinlich
erscheinen.
Gesiclitshallncinalionen waren wie es scheint vorhanden.
Da aber keine genaueren Angaben darüber vorliegen, so las-
sen sich auch keine besonderen Schlüsse aus der Beobach-
tung ziehen. Die durch die Gefässveränderungen hervorge-
rufenen Schwankungen des Blutgehalts erklären genügend
das Vorhandensein dieses Reizungssymptoms. Frische Ver-
änderungen waren bei der Sektion nicht zu erkennen. Ob-
schon nun die rechte Hirnhälfte zerstört war, können sich je-
doch vollständige Hallucinationcn — d. h. solche welche die
beiden Seiten eines Gegenstandes enthalten — bilden. Da
aber bei der Hemianopsie die eine Seite des Gesichtsfeldes
der grösseren Gegenständen fehlt, so spricht diese Observa-
tion ohne Zweifel dafür, dass die Hallucinationcn nicht im
Sehcentrum entstehen, sondern irgendwo anders. Es sind
also gewiss Hallucinationcn nicht den Perceptionen sondern
den Vorstellungen analoge Phänomene.
III. IV. VI. Obwohl gewiss von der Rinde der rech-
ten Hemisphäre keine Innervation zum Kern der gleichseiti-
gen Augennerven fortgepflanzt werden konnte, so waren je-
doch die Augenbewegungen normal. Strabismus war nicht
vorhanden. Einen kräftigeren Beweis der bilateralen Inner-
vation paariger Organe giebt es kaum.
Auch die Pupillenbewegung hatte durch die Apoplexie,
wenigstens dauernd, nicht gelitten ; sie waren gleich gross und
reagirten sowohl beim Lichtreiz als bei der Accomodation.
Eine innige Kommunikation zwischen den rechts- und links-
seitigen Augenncrvenkernen muss also bestehen. Es ist
sehr schade, dass auf hemianopische Pupillenreaktion nicht
geprüft wurde.
V. Wie sich die Sensibilität nach dem Insulte im Ok-
tober 1874 verhielt, lie.ss sich nicht genau nachweisen. Bei
der Untersuchung im Hospital war die Anä.sthesie der linken
Wange auffallend. Die Anästhesie betraf sowohl den Tast-
sinn wie den Schmerzsinn, war jedoch nicht absolut, da
Fat. stärkeren Reiz verspürte; aber auch an der rechten Seite
scheint die Sensibilität etwas herabgesetzt gewesen zu sein.
Dieses zeigt, dass hinsichtlich der Sensibilität eine bi-
laterale Innervation vorhanden ist. Damit steht auch im
Einklang die Herabsetzung der Sensibilität in der rechten
Seite. Hierbei muss jedoch die kleine Malacie in der hn-
ken Hemisphäre (Taf I. Fig. 3.) in Betracht gezogen werden.
Die bilateral innervirten paarigen Kaumuskeln sind
nicht angegriffen, obwohl ihr rechtseitiges Centrum gewiss zer-
stört ist.
VII. Dass der obere Facialis nicht gelitten habe, be-
ruht wohl auch auf der bilateralen Innervation.
Dagegen hat der untere Facialis gelitten wie aber lässt
sich wohl fragen. (S. oben.) Die abweichende Stellung" lässt
sich nur durch die Annahme einer Kontraktur der linksseiti-
gen Muskeln erklären. Diese Kontraktur hat sowohl das äus-
sere Facialisgebiet wie die Gaumenmuskeln betroffen.
VIII. Auch betreffs des Gehörs konnte keine Ungleich-
heit wahrgenommen werden. Bilaterale Innervation.
IX. Der Geschmack (s. oben) war intakt, der grossen
Zerstörung des rechten Temporo occipitallappens ungeachtet.
XI. Die linke Achsel stand wahrscheinlich infolge der
Kontraktur höher.
XII. An der Zunge keine Abweichung, obschon das
rechte Zungencentrum zerstört war, aber früher Okt. 1874
war die Zunge betroffen.
Sensibilität. Ob die Sensibilität schon beim ersten
Anfall im Aug. 1874 verändert war oder nicht, liess sich
nicht nachweisen, aber bei dem im Oktober s. J. eingetrete-
nen Insulte wurde die linke Seite vollständig gelähmt und
zugleich gefühllos. Ob nachher eine Besserung eintrat oder
nicht, ist ungewiss. Pat. hatte übrigens nachher so viele An-
fälle von Schwindel resp. apoplektischen Insulten, dass es
unmöglich war zu erweisen, welche Teile des Gehirns bei
den verschiedenen Schlaganfällen getroffen wurden.
Im Hospital war nun die Sensibilität auffallend ver-
ändert.
Tastsinn. Die y\nästhesie war links fast vollständig, aber
auch rechts vorhanden, und daselbst deutlich ausgeprägt.
Die Anä.sthesie der linken Seite ist der vollständigen Zer-
störung der rechten Gefühlsbahn im Gehirn zuzu.schreiben.
Die unbedeutende noch gebliebene Sen.sibilität (»scheint zu
fehlen»), muss aus der linken Hemisphäre stamm.en.
Die au.sgeprägte Anästhesie der rechten Körperseite ist
wohl eine Folge der Zerstörung der von der rechten He-
misphäre kommenden Fasern, zu welcher eine geringfügige
NEUE FÄLLE DIE LEHRE VON DER SEHBAHN UND DEM SEHCENTRUM BETREFFEND 17
Herabsetzung durch die Läsion der linken Hemisphäre (Nu-
cleus caudatus und des Linsenkörpers) hinzutrat.
Schnicrssinn. Von diesem Sinn gilt das eben über den
Tastsinn bemerkte, mit der Modiiikation, dass hier ganz be-
stimmt der Schmerzsinn an der linken Seite nicht vollständig
fehlte. Hier finden wir also einen bestimmten Beweis, dass
obschon die Capsula interna der rechten Hemisphäre voll-
ständig zerstört war, doch eine Spur von Schmerzsinn an der
gegenüber liegenden Seite zurückgeblieben sein kann. Ei)ie
bilaterale Innervation ist also vorJianden nnd zicar ancJi ob-
schon in geringem Grade candal von der Capsula interna.
Der Teuiperatursinii war zwar vermindert, aber der Zu-
stand der Fat. machte es unmöglich genauere Angaben dar-
über zu bekommen.
Ortsinn. Davon gilt dasselbe wie vom Tenipcratursinn.
Subjective Sensibilitätssymptome.
Schon im September bei dem ersten acuten Anfalle
wurde der linke Arm gelähmt und gleichzeitig stellten sich
heftige Schmerzen ein, später kamen dazu, obschon die mo-
torische Lähmung so vermindert war, dass Fat. mit Hülfe
eines Stockes umhergehen konnte, Schmerzen im linken Arm
und Bein. Die Schmerzen vermehrten sich bei dem Ver-
suche, die später entwickelte Kontraktur aufzuheben. Aber
stets scheint Fat. an Schmerzen gelitten zu haben, und zwar
nur in der linken Körperhälfte. Ausserdem war diese Seite
mit Ausnahme des Kopfs bei Berührung oder Temperatur-
wechsel sehr empfindlich. Wenn warmes Essen an der lin-
ken Seite des Gesichts verschüttet wurde, so klagte sie nicht.
Im November 1891 wurden die linkseitigen Schmerzen noch
heftiger und dauerten im Hospital noch fort.
Wenn nun auch die Schmerzen später durch die Kon-
traktur der linkseitigen Extremitäten hervorgerufen oder un-
terhalten wurden, so ist es jedenfalls auffallend, dass sie
gleichzeitig mit der Lähmung entstanden waren. Ähnliche
Beobachtungen sind schon einige Mal von mir (Fall N:o 15
und N:o 20) mitgeteilt worden und später hat E ding er, auf
einen Fall gestüzt, die Frage nach spontan entstehenden
Schmerzen speciell behandelt.
Im Edinger'schen Falle fand sich ein »kleiner Erweich-
ungsherd im Nucleus externus Thalami optici und in einem
Teil des Pulvinar, geringe Beteiligung der inneren Kapsel
und absteigende Degeneration der Rindenschleife». Der Herd
lag hier dicht an der sensiblen Bahn (Edinger), hatte sie aber
nicht durchschnitten. Die Schmerzen waren unmittelbar nach
einer durch einen Embolus hervorgerufenen Erweichung ent-
standen und hielten bis zum Tode der Fat. an. — Der Fall
scheint übrigens ziemlich vereinzelt zu sein (Edinger) und
Edinger scheint weder in der Literatur noch in meinem Werke
etwas ähnliches gefunden zu haben. Ohne auf jene Frage
emzugehen, bemerke ich hinsichtlich dieser Angabe, dass ich
im ersten Teile meines Werkes wirklich 2 Fälle von Läh-
mung mit Schmerzen in der gelähmten Seite beschrieben
habe.
Im Falle 15 (S. 103) finden wir einen solchen Fall.
Am 16. März wurde der Fat. von dem Schlaganfall getroffen.
Der rechte Arm begann zu schmerzen und wurde bald völ-
5. E. Menschen. Pathologie des Gehirns.
lig gelähmt. Dann verlor Fat. das Bewusstsein. Vor einigen
Jahren hatte der Fat. einen Stoss gegen die rechte Schulter
bekommen. Hier leitet also der Schmerz den Schlaganfall
ein, aber tritt später, nachdem die Anästhesie sich entwickelt
hatte, nicht besonders hervor.
Im Falle 20 (S. 135) empfand Fat. auch gleich nach
der Apoplexie, dass »es mitunter im Arm und Bein riss>,
und einige Tage später »fühlte er mitunter Reissen und Zit-
tern im linken Bein».
Ausserdem habe ich bei verschiedenen Fällen ähnliche
Beobachtungen gemacht, wie ich auch auf Seite 107 in mei-
nem Werke bemerkt habe. Hieraus geht also hervor, dass
ich schon früher Beobachtungen über Schmerzen centralen
Ursprungs gemacht habe.
Was nun die Bedeutung und die Beweiskraft dieser Be-
obachtungen betriftt, wird es notwendig sein, diese Frage
mit einigen Worten zu berühren.
Zunächst muss hervorgehoben werden, dass die not-
wendige Bedingung eine schmerzhafte Empfindung zu spü-
ren ist, dass die centralen fühlenden, also die kortikalen
Elemente, noch funktionsfähig sind. Ein Reiz der periphe-
ren Nerven im Thalamus oder irgendwo anders kann nicht
Schmerz hervorrufen, wenn die Rindenelemente zerstört sind.
W^enn wir von diesem Gesichtspunkte aus diese 4 Fälle
Malm, die Fälle 15 und 20 und Edinger's Fall untersuchen,
so finden wir, dass in zwei Fällen (Edinger's und N:o 15)
die Rinde ganz unversehrt war, dass sie dagegen in diesem
Falle (Malm) vollständig von den Centraiganglien durch ma-
lacische Heerde getrennt war; und im Falle N:o 20 war
auch das subkortikale Mark unter den Centraiwindungen ei
weicht.
Im Falle Malm war wenigstens ein Teil der Rinde
nicht primär erweicht, wenn sie auch in grosser Ausdehnung
(s. Fig. I. 4. 5. Taf. LVIII) sekundär degenerirt und zer-
stört war. Man dürfte nicht berechtigt sein zu verneinen,
dass ihre zurückgebliebenen Rindenelemente im oberen Ab-
schnitte der Windung vielleicht etwas wenn auch schlecht
fungirt haben könnten und selbst mit anderen Rindenelemen-
ten in Verbindung hätten treten können. Die Möglichkeit
einer centralen Schmerzempfindung ist also nicht ausge-
schlossen.
Etwas anders verhält sich die Sache hinsichtlich des
Falles N:o 20 (S. 135). Hier war C im unteren Abschnitte
und C zum Teil vollständig erweicht. Jedoch war der ober-
ste Abschnitt ziemlich erhalten, und da die Schmerzempfind-
ungen sich vorzugsweise im Beine lokalisirten, so kann die
Möglichkeit einer centralen vom obersten Abschnitte des C
ausgelösten Schmerzempfindung nicht geleugnet werden.
Auffallend ist es weiter, dass im Falle 20 eine vollstän-
dige Anästhesie gleichzeitig vorhanden war und im Falle
Malm war nur noch eine Spur von Sensibilität erhalten.
In Anbetracht dieser Anästhesie ist die erhalten ge-
bliebene Schmerzempfindung auftallend.
Der Fall N:o 15 und der Edinger'sche sind in vielen
Hinsichten einander ähnlich. In den beiden ist das Zusam-
mentreften der Apoplexie mit dem Entstehen der Schmerz-
empfindungen auftallend. Im Falle N:o 15 geht der Schmerz
3
18
S. E. HENSCHEN. PATHOLOGIE DES GEHIRNS
dem Anfalle eine Zeit voraus, im Edinger'schen Falle folgt
er ihm vielleicht etwas nach. Sowohl hinsichtlich der He-
mianopsie wie der Athetose ist die Ähnlichkeit der beiden
Fälle gross; auch die Lokalisation des pathologischen Pro-
zesses ist fast vollständig dieselbe, obschon in meinem Falle
eine Blutung im Edinger'schen aber eine Erweichung nach
einer Embolie vorlag. Dadurch erklären sich auch genügend
die übrigen den Anfall begleitenden Symptome.
Der Heerd liegt in beiden Phallen in dem hinteren Ab-
schnitte des Thalamus und wirkt auf den hinteren Abschnitt
der Capsula interna ein. Die Fasern sind hier nicht zerstört,
wohl aber aller Wahrscheinlichkeit nach gedrückt oder ge-
reizt (s. Taf. XXII. P'ig. 3. 4.) und Edinger's (Taf IV. Fig.
I. — 5.). Im Edinger'schen Pralle scheint die Sensibilität fast
vollständig zurückgekehrt zu sein, in meinem Falle war das
Gefühl in dem schmerzenden Arme fast vollständig, im Beine
aber zum Teil erloschen.
Unter solchen Umständen ist es aufiallend, dass in bei-
den Fällen Schmerzen in den Gliedern empfunden wurden.
Die Bedingungen für central entstehende Schmerzen
finden sich also atich in diesen Fällen, und da in allen mei-
nen Fällen die Glieder mehr oder minder vollständig anä-
sthetisch waren, so Avird dadurch mit Wahrscheinlichkeit aus-
geschlossen, dass die Schmerzen peripherisch entstanden sind
und folglich auch die Wahrscheinlichkeit der centralen Ent-
stehung erhöht.
Wenn dem so ist, so müssen wir uns eine peripherische
Projektion der Schmerzempfindungen denken. Plierin liegt
eigentlich nichts Befremdendes, wenn man sich erinnert, dass
man hinsichtlich der anderen Sinne eine solche Projektion
schon annimmt. Allgemein wird, wie bekannt die P'ntstehung
von centralen Gesichts- Gehörs- und Geruchs- sowie auch
Geschmacksempfindungen in Form von Hallucinationen an-
genommen, und wenn ich auch die P'rage, ob diese Em-
pfindungen in den Sinnesflächen oder irgend anderswo ent-
.stehen noch nicht reif für eine Entscheidung ansehe, so schei-
nen doch diese Hallucinationen eher für als gegen die Mög-
lichkeit der centralen Entstehung von Schmerzempfindungen
zu sprechen.
Ein ganz besonderes Interesse erhalten diese Beobacht-
ungen, wenn man sich erinnert, dass in den Fällen Malm
und N:o 20 die eventuell empfindende Rindenfläche von den
Stammganglien und folglich auch vom übrigen Körper durch
die Erweichung isolirt war. Es fragt sich dabei, ob solche
isolirte Windungen, welche auch mit den übrigen krankhaften
Teilen keine oder nur mangelhafte Verbindungen haben, wirk-
lich psychisch empfinden können.
Die Annahme des Vorhandenseins centraler Schmer-
zen in den genannten P'ällen führt nähmlich zur Aufstellung
dieses Schlusses.
Endlich ist daran zu erinnern, dass während mit den eben
erwähnten Fällen betreffs des pathologischen Prozes.ses ganz
gleichartige Fälle gar nicht selten sind, Beobachtungen über
cerebrale centrale mit Schmerzen verbundene Prozesse über-
haupt jedoch als grosse Seltenheit zu betrachten sind; zwar
glaube ich, dass dies zum grossen Teil durch mangelhafte
Beobachtungen bedingt ist, indem ich eine Anzahl einschlä-
giger Thatsachen schon beobachtet habe, aber ihr seltenes
Vorkommen in der Literatur mahnt bei der Deutung zur
Vorsicht. Ich halte deswegen, die Zeit noch nicht für ge-
kommen eine bestimmte Behauptung aufzustellen, ob es wirk-
lich central entstehende Schmerzen giebt oder nicht. Zur Zeit
genügt es die Frage aufzustellen, sie zu präcisiren und die
Kliniker zur genauen Beobachtung aufzufordern.
Motilität.
Im August 1874, also 17 Jahre vor dem Tode der Pat.
begann sie an zunehmender Schwäche im linken Arm zu
leiden; im September selben Jahres fühlte sie eines Tages
nach einer Erkältung den Arm vollständig gelähmt. Besser-
ung nach einer dreiwöchentlichen Behandlung mit Elektricität.
Im Oktober wurde sowohl der linke Arm wie das linke Bein
gelähmt und gleichzeitig der linke Mundwinkel nach oben ge-
zogen, auch die linke Zungenhälfte Avar gelähmt. Diese Lähm-
ung scheint mit einem gewissen Grade von Kontraktur ver-
bunden gewesen zu sein.
Nach 6 bis 8 Wochen konnte sie im Bette aufrecht
sitzen und nach 8 Monaten auf einen Stock gestützt umher-
gehen. Eine Kontraktur entwickelte sich in den linksseitigen
Gliedern.
Dann hatte sie im September 1875 einen epilejDtischen
Schwindelanfall aber ohne nachfolgende Lähmung. Solche
Schwindelanfälle wiederholten sich dann ab und zu; die Kon-
traktur nahm zu; das linke Bein schleppte sie immer nach
sich, aber des INIorgens war der Arm gewöhnlich gestreckt.
Im September 1891 konnte sie es nicht mehr auf den Boden
setzen (wahrscheinlich infolge der Kontraktur) und die Kon-
traktur nahm bedeutend zu.
Im Dezember 1891 litt sie an einer beiderseitigen He-
miplegie mit Kontraktur und Atrophie der Muskeln.
Selbst im P'acialis-Gebiete war die Kontraktur aufiallend;
der linke Mundwinkel und die linke Hälfte des Gaumensegels
waren nach oben gezogen. Der Arm war in dem Ellen-
bogen gebeugt und die Plnger in den Gelenken kontrahirt
(s. oben) und vollständig gelähmt. Aber auch im rechten
Arm war die Beweglichkeit beschränkt.
Auch das linke Bein war kontrahirt und nur in dem
Fussgelenke konnte Pat. aktive Bewegungen ausführen. Auch
die Bewegung des rechten Beines war im Hüftgelenk be-
schränkt.
P"ür die richtige Beurteilung dieser Thatsachen ist es
notwendig sich des Sektionsbefundes zu erinnern. Ein gros-
ser, kortikaler Defekt fand sich im Fuss des F" am vorde-
ren Rande des G'; sowohl C^ wie C sind in der Weise
unterminirt, dass die Verbindung zwischen der Rinde und
der Capsula interna zerstört ist. Dieses tritt deutlich an
den Figuren 4. und 5. Taf I. sowie an der Fig. 6. Taf. II.
hervor.
Die vielfachen kleinen Malacien der Rinde entsprechen
gewiss den Schwindelanfällen und stammen deswegen aus
verschiedenen Zeitpunkten. P^ine der ältesten Erweichungen
ist wahrscheinlich die der F'. Es scheint auch wahrschein-
lich, dass diese auf luetischer Basis beruhen. Nun berichtet
NEUE FÄLLE DIE LEHRE VON DER SEHBAHN UND DEM SEHCENTRUM BETREFFEND 19
die Krankengeschichte, dass der hnke Arm schon vor dem
Schlaganfalle eine Zeit lang schwach war. Eine begrenzte
langsam fortschreitende Thrombose oder vielleicht eine luet-
ische Geschwulst hatte sich daselbst langsam entwickelt, bis
plötzlich der Schlaganfall die Kraft des Armes vernichtete.
Die zurückkehrende Kraft wird wohl dadurch erklärt, dass
dieser Heerd die nur berührte ohne sie vollständig zu
destruiren. Bald nachher entstand im Oktober eine vollstän-
dige Hemiplegie und dabei wurde augenblicklich sowohl Bein
als Gesicht und Zunge gelähmt. Diese Lähmung entspricht
der ausgedehnten Erweichung der Insula und des centralen
Markes.
Auch nach diesem schweren Anfalle erholte sich Fat.
schliesslich, obschon nur zum Teil; und sie konnte auf einem
Stock gestützt umhergehen. Sie hatte also bis auf die letzte
Zeit einen gewissen Grad von Beweglichkeit und Kraft we-
nigstens im linken Beine. Auch im Ki-ankenhause konnte
nachgewiesen werden, dass die Bewegungen des linken Fus-
ses noch vorhanden w'aren.
Wenn man sich ausserdem erinnert, dass alle Verbind-
ungen zwischen der motorischen Rinde der C'"^ und C einer-
seits und dem Rückenmark aufgehoben waren, obwohl Reste
der vom Frontalhirn kommenden Fasern noch erhalten wa-
ren, so ist der Schluss berechtigt, dass der linke Fuss von
der rechten Hemisphäre keine Nervenfasern bekommen hat
und die erhalten gebliebene Motilität nur durch Vermittelung
der linken Hemisphäre — also durch die bilaterale Innerva-
tion zustande gekommen sei. Soweit ich ersehen kann, iin-
den wir hier einen Beweis dafür, dass selbst bei totaler Ver-
nichtung der motorischen Kapselfasern doch das zugehörige
Glied nicht vollständig gelähmt wird.
Anders verhält es sich mit dem Arm. Er war vollstän-
dig gelähmt. Hier machte sich die Einwirkung der linken
Hemisphäre nicht geltend. Ganz verschieden verhalten sich
die Zunge und das Gesicht, hier ist eine Veränderung der
Motilität kaum merkbar und besonders gilt dies für die
Augenlieder.
.Die" Ko}itraktur braucht keine Erklärung, ebensowenig
die ausgesprochene Atrophie.
Pathologisch-anatomische Bemerkungen.
Eine Zusammenfassung der pathologisch-anatomischen
Veränderungen dürfte hier am Platze sein.
In Anbetracht der ausgedehnten Zerstörung der rechten
Hemisphäre, welche sowohl die Rinde wie besonders das
Mark betroffen hat, sind die sekundären Atrophien in den
Centraiganglien vor allem interessant. Es dürfte angemessen
erscheinen, diese Veränderungen der verschiedenen Faser-
systeme noch in der Kürze zu behandeln. Für die aus-
giebigere Beschreibung weise ich auf die obige Darstellung
des pathologisch-anatomischen Befundes hin.
Das optische System.
Da das Mark der Occipital- und Parietal-lappen in gros-
ser Ausdehnung erweicht und zum grossen Teile selbst re-
sorbirt und besonders die Sehstrahlungen in ihrer ganzen
Ausdehnung zerstört waren, so war damit die Verbindung
zwischen dem Sehcentrum und den Centralganglien völlig
aufgehoben. Diese waren infolge dessen sekundär degene-
rirt. Welche Veränderungen dabei zustandegekommen sind,
ist oben näher erwähnt und zwar hinsichtlich des Knie-
höckers auf Seite 8 und hinsichtlich der Corpora c^uadri-
gemina auf Seite lo und hinsichtlich Pulvinar und Thalamus
auf Seite 7.
Den ausgesprochenen Veränderungen der subkortikalen
Schgaiiglieii gegenüber ist es auffallend, dass der frontale
Abschnitt der Sehbahn wenig oder gar nicht ergriffen war.
Ob eine Atrophie im Tractus und Nervus opticus existirte
oder nicht, ist mir unmöglich zu bestimmen; jedenfalls wenn
eine solche existirt, ist sie unbedeutend. Diese Thatsache
fällt desto mehr in die Augen, da die Erweichung der occi-
pitalen Sehbahn schon vieljährig ist. Wie viele Jahre sie
bestanden hat, lässt sich wohl nicht mehr bestimmen, aber
in Anbetracht der vollständigen Resorption des Markes und
der in der Anamnese mitgeteilten Angaben bin ich geneigt
die Erweichung mehr als eine lo-jahrigc aufzufas.sen.
Der Fall beweist also, welche grosse Bedeutung die
Einschaltung eines Ganglions für die Hemmung der Fort-
leitung einer Degeneration bei dem Erwachsenen hat.
Von besonderem Interesse ist die Beobachtung, dass von
den grossen und kleinen Zellen des äusseren Kniehöckers
eine Anzahl zu Grunde gegangen ist, während andere recht
gut erhalten waren. Wenn man bedenkt, dass fast alle mög-
lichen Verbindungen des Kniehöchers mit der Rinde, mit der
Capsula interna, mit dem Occipitallappen und mit dem Colli-
culus anterior Corp. 4-gem. aufgehoben sind, so bleibt weiter
nichts als der Schluss übrig, dass diese Zellen mit dem rech-
ten Tractus resp. Retina zusammenhängen. Ist dies der Fall,
dann wird hier zum ersten Male beim Menschen der Beweis
geliefert, dass es zwischen dem Kniehöchcr und der Retina
rückwärts verlaufende Fasern giebt, welche von den Zellen
des Kniehöckers ausgehen. Und diese Beobachtung steht mit
der von Ravion y Cajal beobachteten Thatsache in voller
Ubereinstimmung, dass solche Fasern bei den Vögeln exi-
stiren. Dagegen stimmen damit nicht die Angaben von Mo-
nakoiv, dass die Zellen des Kniehöckers nicht mit den Fa-
sern des Tractus zusammenhängen. Viel mehr bestätigt sich
meine Beobachtung im Falle N:o i. (Teil I. S. 5), dass die
Zellen des Kniehöckers bei Zerstörung der Bulbi zum Teil
degeneriren.
Einige' Fasern der Sehnerven /längen also mit den gros-
sen und kleinen Zellen des äusseren Knicköckers zusauiuien.
(Vgl. oben S. 10.)
Das Gehörsystem.
Analoge Veränderungen mit denen des ojDtischen Sy-
stems finden sich in dem Gehörsystem. Die Rinde der T' ist
zwar zum Teil noch erhalten, aber wie aus den Fig. i. und
5. Taf. I und den P'ig. 5. und 6. Taf. II hervorgeht, ist die
Rinde zum Teil und das Mark unter dem oberen Abschnitt
der T^ vollständig zerstört und überhaupt jede Verbindung
zwischen Gehörrinde und den subkortikalen Gehörganglien
resp. dem inneren Kniehöcker, aufgehoben.
•20 S. E. RENSCHEN. PATHOLOGIE DES GEHIRNS
Dieses Ganglion ist aucli atrophisch und zwar in weit
höherem Grade als der äussere Kniehöcker.
Weiter nach unten finden wir, dass der laterale Leiii-
niscus kaum verändert war.
Die Gefühlsbahn.
Um die Bedeutung der pathologisch-anatomischen Er-
gebnisse dieses Falles in gebührender Weise zu verwerten,
ist es notwendig die herrschenden Ansichten hinsichtlich
des Verlaufs der Gcfühlsbahn kurz zu rekapituliren.
Uber die Verbindungen der Schleife, weiche nunmehr
allgemein als die Gefühlsbahn betrachtet wird, mit den cen-
tralen Ganglien, gehen noch die Ansichten recht weit aus-
einander. Allgemein wird zwar angenommen, dass die Schleife
mit den Rindenelementen direkt zusammenhängt. Diese durch
die Degeneration in einem Falle (Flechsig-Hösel''--) und ex-
perimentell (v. IlloiiakcnuJ nachgewiesene Thatsaehe wird
wohl von allen Gehirnanatomen (z. B. Becliterezv, Edinger,
Obersteiger) angenommen. Dagegen difteriren noch die An-
sichten betrcfts des Zusammenhangs, indem Flechsig-Höscl
überwiegend für mindestens der Fasern, einen direkten
Zusammenhang der Gefühlsfasern annehmen, \\ährend Mona-
koiv dieses höchstens für einen sehr kleinen Teil behauptet,
dagegen für die Hauptmasse nur einen durch den Thalamus
vermittelten Zusammenhang annimmt'''*. Edinger, Bechterezv
und Obersteiner nehmen auch einen direkten Zusammenhang
der Schleife mit der Rinde an und zwar Becliterezv besonders
für die vom Nucleus funiculi gracilis herkommenden Fasern.
Die übrigen Fasern stammen nach iMoiiakozv, Becliterezv
und Obcrsteincr vom Thalamus; nach Becliterezv, Edinger
und Obcrsteincr auch vom Globus pallidus, wo wir auch nach
Flechsig einen kleinen Teil finden. Nach Becliterezv und
Edinger stammen andere vom Luys'schen Körper und aus-
serdem noch vom Vierhügel.
Wenn wir jetzt diese Fasern bei Seite lassen und fra-
gen: was beweist der vorliegende Fall, so bemerke ist zuerst,
dass der Gehirnmantel fast gänzlich und der centrale Ab-
schnitt der Rinde, die Centraiwindungen und der Parietal-
lappen wohl vollständig von den Centraiganglien durch einen
breiten erweichten Gürtel getrennt waren und zwar wahr-
scheinlich seit etwa 17 Jahren. Dem ungeachtet war die
Atrophie der Schleife nur eine partielle und unbedeutende.
In der Höhe des Trochlearis-Ursprungs betraf die Atrophie,
soweit ich sehen konnte, nur oder fast nur den dorsomedialen
Abschnitt der Schleife, während der laterale rechts wie links
fast eben so voll und kräftig war. Es ist zwar schwierig zu
bestimmen ein wie grosser Teil der ganzen Schleife atro-
phisch war, aber ich möchte ihn auf etwa — V« der gan-
zen Schleife schätzen. Weiter nach unten im Zwischen-
olivenfelde ist es schwierig die Atrophie zu lokalisiren: auch
hier betrifft die Veränderung nur einen kleineren Teil des
Durchschnittes.
Dass diese Atrophie im Zusammenhang mit der De-
struktion des Hirnmantels gesetzt werden muss wird klar,
* Neurol. Centraiblatt 1890, S. 417. Archiv f. Psychiatr, Bd. 24. 452.
Bd. 25. I.
" Archiv f. Psychiatrie Bd. 25 (Mahaim S. 373) 1893.
wenn wir uns erinnern, dass alle anderen Ursprungs.stellen
der Schleife, Thalamus, Globus pallidus (nicht das Putamen)
der Luys'sche Körper und die Vierhügel unversehrt oder
richtiger nicht primär affizirt waren. Wenn man die Haupt-
masse, wenigstens '^/g der Schleife direkt aus den Central-
ganghen (resp. Parietallappen) stammen lässt, dann müssten
auch "'/e dieses grossen Bündels in diesem Falle atrophirt sein.
Denn es lässt sich kaum denken, dass nur etwa ^/i — ^/g der
Schleifcnfasern durch Zerstörung der Rindenelemente affizirt
werden sollten, die anderen aber nicht. Wenn durch die viel-
jährige Atrophie der Rindenelemente eine Degeneration der
Schleife entsteht, dann muss sie wohl auch diese gleichförmig
treften, wenn alle Fasern mit diesen Elementen direkt in der-
selben Weise zusammenhängen. Dagegen schliesst der Be-
fund keineswegs aus, dass die atrophische Partie von der
Rinde stamme. Hinsichtlich dieser Atrophie bemerke ich,
dass die Fasern vollständig resorbirt waren. Es ist also rich-
tiger von einem Defekte als von einer Atrophie zu sprechen.
Die Fasern finden wir durch Bindegewebe ersetzt.
Der übrig gebliebene Teil, also die Hauptmasse der Schleife
zeigt dagegen intensiv gefärbte Fasern und von einer sekun-
dären Atrophie kann man überhaupt nicht sprechen, indem
ihre Fasern ebenso intensiv schwarz sind wie die der linken
Schleifenhälfte.
Woher kommen nun diese Fasern? Von den betreffenden
Centralganglien, Thalamus, Globus pallidus und Luys'schen
Körper war nur der Thalamus geschrumpft und zwar voll-
ständig. Es lässt sich kein Abschnitt entdecken, welcher nach
der vieljährigen Destruktion der Corona radiata und des Hirn-
mantels intakt zurückgeblieben wäre. Zwar findet sich eine
Anzahl vom roten Körper ausstrahlender Fasern, aber vom
Grundgewebe des Thalamus und von den Zellen erscheint
nichts mehr in normalem Zustand, — alles ist im höch-
sten Grade atrophisch und geschrumpft. Unter solchen Um-
ständen bleibt es auch in hohem Grade zweifelhaft, ob man
zur Annahme berechtigt sei, dass ein solches Ganglion noch
eine UrsiDrungstelle für die übrig gebliebenen anscheinend nor-
malen Schleifenfasern sein könnte. Die Antwort dürfte nicht
zweifelhaft sein.
Aber kann die Hauptmasse der Schleifenfasern, wie Mo-
nakozv annimmt, dort enden? (S. Mahaim, Archiv f. Psychiatrie,
Bd. XXV, S. 373.) In Anbetracht der Annahme, dass die
Schleifenfasern, ebenso gut ab- als aufsteigend degeneriren,
dürfte wohl auch die normale Beschaffenheit der Schleifen-
fasern mit einer solchen Annahme sich kaum vereinigen lassen.
Dagegen lässt es sich nicht ausschliessen, dass die resor-
birten Schleifenfasern sämmtlich oder zum Teil einst mit dem
geschrumpften Thalamus in Zusammenhang gestanden hätten.
Aber ob eine direkte Verbindung zwischen der Schleife
und den Rindeneletnenten besteht oder diese durch den Tha-
lamus vermittelt wird, das beantwortet dieser Fall nicht.
Nur soviel will ich hier bemerken, dass der Hösel'sche Fall
nicht entscheidend sein dürfte, und zwar aus dem Grunde,
den Maliaini in seinem Aufsatze, welcher wohl auch die
Ansicht JMonakozv's vertritt, genauer angiebt. Die fast voll-
ständige Resorption der Schleifenfasern im Hösel'schen Falle
lässt sich auch unschwer aus den im frühen Kindesalter vor.
NEUE FÄLLE DIE LEHRE VON DER SEHBAHN UND DEM SEHCENTRUM BETREFFEND
21
handenen veränderten Degenerations- und Rersorptions- Ver-
hältnissen erklären, selbst wenn der Zusammenhang der Schlei-
fenfasern mit den Rindenelementen nur ein sekundärer oder
durch den Thalamus vermittelter ist.
V/oher kommt nun aber die Hauptmasse der erhaltenen
Schleifenfasern, wenn sie weder von den Rindenelementen noch
vom Thalamus stammen oder richtiger dort enden?
Von den betreffenden Ganglien sind in diesem Falle nur
der Globus pallidus und der Luys'sche Körper intakt. Zwar
erlauben meine Präparate mir nicht mit Sicherheit auszu-
sprechen, dass alle Zellen in diesen Ganglien normal seien,
da ich keine Alkohol-präparate sondern nur Chrom-präparate
habe, aber bei einem Vergleich mit den Zellen der gesunden
Hälfte erlauben sie mir zu konstatiren, dass diese Zellen noch
vorhanden und nicht zu Pigmentmassen eingeschrumpft sind,
und ausserdem dass das Zellenprotoplasma ziemlich gut er-
halten ist. Daneben lässt sich wahrnehmen, dass die Fasern
ausserordentlich reichlich vertreten sind und dass sie sich in-
tensiv färben lassen. Nirgends sieht man eine Atrophie.
Kurzweg können diese Gebilde als vollständig oder annä-
hernd normal bezeichnet werden. Und noch weiter die A//sa
lenticularis ist normal, dick und prächtig gefärbt und die Ver-
bindungsfasern zwischen Globus pallidus und Corpus subthala-
micum treten infolge der fast vollständigen Atrophie und
Resorption der Capsula interna klarer als sonst hervor, so
dass man den Zusammenhang zwischen diesen beiden Gang-
lien ausserordentlich deutlich sehen kann.
Unter solchen Umständen und da die Unversehrtheit der
Vierhügelschlinge das Erhaltensein der Hauptmasse der Schleife
nicht genügend erklärt, so liegt die Annahme nahe, dass die
erhaltenen Schleifenfasern mit den zuletzt genannten Ganglien,
dem Globus pallidus und Corpus subthalamicum, zusammen-
hängen. Und da nun auch die Ansa lenticularis stark ent-
wickelt ist, so müssen die Fasern besonders im Globus pal-
lidus enden und dort die vorhandenen schönen Bündel und
Fasernnetze bilden.
Alle diese Verhältnisse heben die ausserordentliche Be-
deutung der eingeschalteten centralen Ganglien hervor. Eine
Fortsetzung der Schleifenfasern kortikalwärts vom Globus pal-
lidus besteht im vorliegenden Falle nicht, wie auch Fig. 6.
Taf. III ahnen lässt und die Fig. 7. Taf III deutlich zeigt.
Die Erweichung und Destruktion dringt nähmlich von der
Rinde oder richtiger vom Mark bis zu den Spitzen der Glie-
der des Globus pallidus und hat selbst diesen, obschon nur
in geringem Grade, ergriffen. Das Putamen ist dagegen im
Ganzen zerstört, obschon der vorderste Teil noch zum Teil
erhalten ist.
Noch eine Frage drängt sich auf und zwar infolge der
auffallenden Ungleichheit in der Ernährung des Globus pal-
lidus und des Thalamus. Dieser ist vollständig atrophisch,
jener anscheinend normal. Es lässt sich wohl mit Wahr-
scheinlichkeit daraus der Schluss ziehen, dass diese Gebilde
einander nicht gleichartig oder betreffs der Abhängigkeit von
der Rinde analog sind. Auf die F~rage was den Unterschied
bedinge, ist zur Zeit wohl noch keine Antwort zu geben.
Bemerkenswert ist weiter, dass die Zellen der rechten
Substantia nigra auffallend atrophisch waren (Taf III, 8. 9.)
War nun diese Atrophie abhängig von der Beschaffenheit der
Rinde? Nicht anders kann diese Sache gedeutet werden, ob
aber diese Verbindung eine direkte oder indirekte sei, darüber
giebt mein Fall keine Auskunft.
Betreffs der VierlüigclscJilingc bemerke ich nur, dass sie
beiderseits, soviel ich sehen konnte, normal und gleich dick
war. Sie hatte also durch die Rindenatrophie nicht gelitten.
Im Zusammenhang hiermit, war es auffallend, dass locdcr
die Meynerf sehe noch die Gudden'sche Kommissur an irgend
einer Seite atrophisch zvar. Diese Thatsache ist bei dem Vor-
handensein einer Atrophie des inneren Kniehöckers auffallend
und ist nicht geeignet die von DarkscJieivitz vertretene An-
sicht, dass diese dieses Ganglion mit dem Globus pallidus der
anderen Seite verbinde, zu stützen.
Peslemniscus.
Die Atrophie oder vielmehr der Defekt des Peslemniscus
springt sogleich in die Augen. Während der linke normal
ausgebildet ist, sind rechts nur vereinzelte Fasern zurück-
geblieben. In neuster Zeit will man nachgewiesen haben,
dass dieser Teil des Lemniscus die centrale Bahn der moto-
rischen Hirnnerven ist. Wenn dem so ist, so stimmt es mit
der schon 1890 von mir nachgewiesenen Thatsache, dass
eine Degeneration des Peslemniscus eine absteigende sei und
dass eine Degeneration dieser Bahn nicht von sensiblen oder
sensorischen Störungen begleitet sein könne. Diese Beobacht-
ung scheint um so sicherer, als sie an einem sehr intelli-
genten Arzt angestellt wurde (Teil. I, S. 43.). In neuster Zeit
hat Moeli (Arch. f. Psychiatrie, Bd. 24 s. 655) die zugäng-
lichen Thatsachen über die Sensibihtätstörungen zusammen-
gestellt und nachgewiesen, dass diese meine Beobachtung
nicht im Widerspruch mit den übrigen bekannten Thatsa-
chen stände.
G r o s s h i r n - K 1 e i n h i r n b a h n.
Obschon der rechte rote Kern nur ein wenig kleiner
ist als der linke, dürfte doch eine Atrophie rechterseits, wenn
auch in geringem Grade, bestehen. Vc n den Fasern sind nicht
wenige bleich, obschon die übrigen Fasern sehr schön gefärbt
sind und dazu kommt, dass die Zellen des rechten Nucleus
ruber eckiger zu sein scheinen als die des linken Ganglions.
Die in den Thalamus eintretenden Fasern sind zwar zahlreich,
und man kann sie bis in den lateralen Abschnitt des ventralen
Thalamus verfolgen, ob ihre Zahl etwas geringer ist, bleibt
unbestimmt.
Ausserdem ist der gekreuzte, also der linke Bindearm
schmäler als der rechte; die erhalten gebliebenen Fasern sind
gut gefärbt; eine deutliche Bindegewebevermehrung ist wohl
nicht mit Sicherlieit nachzuweisen.
Diese beiden zusammenhängenden Thatsachen müssen
gewiss mit der Atrophie des Hirnmantels und der sekundären
Schrumpfung des Thalamus in Zusammenhang gesetzt werden.
Eine damit übereinstimmende Beobachtung ist schon 1890
von Flechsig und Hösel gemacht worden, welche bei einer
50-jähriger Atrophie der hinteren Centraiwindung eine Atro-
phie des gleichseitigen Nucleus ruber des entgegengesetzten
Bindearms und der entgegengesetzten Kleinhirnhemisphäre
J
22
S. E. RENSCHEN. PATHOLOGIE DES GEHIRNS
fanden. Die Übereinstimmung ist auffallend, wenn auch in
meinem Falle eine ausgeprägte Atrophie der entsprechenden
Kleinhirnhälfte sich nicht nachweisen Hess.
Oben habe ich (im Teil I, Fall 9.) eine aufsteigende Atro-
phie des Bindearmes in einem Falle von Hämorrhagie des
Nucleus dentatus mitgeteilt. Diese zwei Thatsachen scheinen
auf die Möglichkeit zu deuten, dass die Atroj^hie des Binde-
arms sowohl auf- wie absteigend sein kann.
Eine Degeneration der centralen Hanbenbalin (nach den
Oliven) wurde in diesem Falle nicht wahrgenommen, ebenso-
wenig in jenem.
Betreffs des Fornixsystenis ist es genügend auf die oben
gegebene Darstellung hinzuweisen. Daraus geht hervor, dass
der Fornix selbst im Zusammenhang mit der ausgedehnten
Zerstörung des rechten Temporallappens auf der rechten Seite
deuthch atrophisch ist. In Ubereinstimmung hiermit ist auch
die Columna fornicis rechts etwas atrophisch und das rechte
Corpus mamillare etwas kleiner als das linke. Die rechte Co-
lumna Vicq d Azyri ist auch auffallend atrophisch, dagegen
ist die Meynert'sche Säule (Columna tegmenti) gut ausgebildet.
Als Erklärung der vorhandenen Atrophie der Columna
fornicis und der Columna Vicq d'Azyr finden wir einerseits
die Zerstörung des Temporallappens, anderseits die Veränder-
ung des Tuberculum anterius Thalami. Die Unversehrtheit
der Columna tegmenti dürfte darauf hindeuten, dass ihre Fa-
sern nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit denen der
p"enannten zwei Säulen stehen.
Fall 2. Westerberg.
Alter 80 Jahre. Bäcker.
Taf. IV. V.
Klinische Diagnose; Encephalomalacia. Hemiplegia sinistpa,
c. Hemianopsia sin. et ptosi dextpa.
Anamnese.
Die Eltern des Kranken waren gesund. An welchen Krank-
heiten dieselben starben ist unbekannt. Eine nervöse Belastung
soll in der Familie nicht vorgekommen sein. Der Kranke war
verheirathet, hat aber keine Kinder. Die hygienischen Verhält-
nisse im Elternhause waren gut.
Der Kranke weiss mit Sicherheit, dass er von den gewöhn-
lichen Kinderkrankheiten wie Scharlach, Diphteritis, Masern, nicht
befallen worden war.
Während seiner Jugend soll der Kranke starken Missbraitch
mit Spirituosen getrieben haben; in der letzten Zeit ist es sel-
tener vorgekommen. Pat. wohnte während seiner Jugend eine
lange Reihe von Jahren in Stockholm und bekam während dieser
Zeit Syphilis, an deren Folgen er später nicht gelitten haben soll.
Übrigens ist er während seiner ganzen Jugend vollständig ge-
sund gewesen.
Vor 30 Jahren bekam der Kranke Wcchselfiebcr, worüber
er bis heute zu klagen hat. Vor 7 Jahren trat es so heftig auf,
dass er genötigt war sich im Krankenhause aufnehmen zu lassen.
Vor IG Jahren bekam der Kranke das Tertianfieber, das be-
sonders stark war und zwei Jahre anhielt. Nachkrankheiten traten
nicht auf. Während der letzten Jahre hat der Kranke recht oft an
Schmerzen in den Gelenken gelitten, ohne dass eine Geschwulst
oder Fieber wahrzunehmen gewesen wäre. Der Kranke war, so-
weit er zurückdenken kann nie von einem schweren Trauma am
Kopfe oder an einer anderen Stelle des Körpers betroffen wor-
den. Das Gesicht und Gehör wie auch das Gedächtnis und
die Urteilskraft sind während der letzten Jahre, trotz der hohen
Alters des Kranken besonders gut gewesen. Zur AVeihnachtszeit des
vorigen Jahres (i8gi) bekam der Kranke die Influenza im Verein
piit schwerem Husten und Schmerzen im Rücken und Magen, so
Pathol. Vepände pungen: Epwelchung dep medialen Fläche
des peehten Oecipitotempopallappens und dep peehten Cen-
tpalganglien.
dass er im Bette liegen musste. Die Krankheit gab sich allmählig,
die Kräfte kehrten zurück und der Kranke gedachte Mittwoch,
den 20. Januar 1892 aufzustehen. Er sass des Morgens auf-
recht im Bette und hatte eben seinen Kaffe getrunken, als die
Anwesenden bemerkten, wie er schwankte, worauf er plötvMch
nach rechts gegen die Wand fiel. Gleich darauf wurden die
Unterarme an die Brust gezogen und die Hände drehten sich in
der Supinationslage convulsivisch nach auswärts. Übrigens konn-
ten Zuckungen weder im Gesicht noch in den Gliedern bemerkt
werden. Nach einer kleinen Weile blieb der Kranke mit geschlos-
senen Augen ganz unbeweglich liegen. Er schien nicht zu verste-
hen, wenn man zu ihm sprach, wenigstens reagirte er in keinerlei
Weise darauf Der Kranke lag in dieser Weise nur kurze Zeit,
denn nach einer Weile stellte sich heftiges Erbrechen ein, das
dann den ganzen Tag anhielt. Der Kranke 7ciar nun offenbar
bei Besinnung, er antwortete aber nicht, wenn er angeredet
wurde, und die Anwesenden bemerkten, dass der linke Arm und
das linke Bein vollständig gelähmt waren. Das Gesicht war
nicht verzogen.
Am Abend hörte das Erbrechen auf auch wiederholte es
sich später nicht mehr.
Am folgenden Tage, dem 21. Januar, war der Kranke bei
voller Besinnung. Denn wenn man ihn anredete, schlug er das
linke Augenlid auf und fixirte den Sprechenden; das rechte
Augenlid war gesenkt und konnte nicht gehoben werden. Seine
Angehörigen sind der Ansicht, dass er alles verstand, was zu
ihm gesprochen wurde, dass er aber nicht antworten konnte.
Erst nach einigen Tagen fing er an ein wenig zu sprechen, aber
die Sprache war flüsternd und verworren; man konnte fast gar
nicht verstehen was er sagte. Auch fing er jetzt an den linken
Arm und das linke Bein etwas zu bewegen; das rechte Augenlid
NEUE FÄLLE DIE LEHRE VON DER SEHBAHN UND DEM SEHCENTRUM BETREFFEND
23
war aber immer noch gesenkt. Seine Angehörigen gaben des-
halb darauf nicht Acht, ob die Augen auf eine gewisse Stelle
gerichtet zu sein pflegten; meistens waren beide Augen ge-
schlossen, als er aber das linke Auge aufschlug, konnte er ohne
Schwierigkeit das Auge nach jeder beliebigen Stelle drehen.
Einige Tage später konnte der Kranke in der Weise sprechen,
dass man ihn verstehen konnte. Er war im Stande einige Wör-
ter auszusprechen, aber undeutlich und schwach. Er klagte
Uber gelinde Kopfschmerzen, Trockenheit im Rachen und saures
Aufstossen. Wurde mit Eisbeuteln auf dem Kopfe behandelt;
diese aber verschob er, so dass sie hinten im Genick zu liegen
kamen.
Der Kranke pflegte während der Zeit wo er zu Hause war
den Kopf bald nach der einen bald nach der anderen Seite zu
werfen; auf die Frage warum er dies thue antwortete er mit-
unter, er habe über dem unteren Theil der Stirn ein rotes Band,
dass er los werden wollte; manchmal antwortete er, die Beweg-
ungen des Kopfes seien ganz unwillkürlich.
Vor ungefähr einer WocJie konnte der Kranke das reclite
Augenlid aufschlagen und die active Beweglichkeit des Armes
war nun so gross, dass er die Hand zum Kinn fuhren konnte
auch das Bein konnte er recht gut bewegen, so dass er z. B. im
Stande war das Knie bis zu einem rechten Winkel zu beugen.
Der Kranke hat nie Uber Schmerzen in der gelähmten Seite
geklagt. Die Beine und die Füsse waren kalt und zwar mei-
stens links.
Urin und Fseces liess er oft unter sich gehen. Um eine
angemessene Pflege zu erhalten, iiess sich der Kranke am Diens-
tag den i6. Februar in das hiesige akademische Krankenhaus
aufnehmen.
Status praesens d. ^^/2 1892.
Der Kranke ist bettlägerig. Er i.t von ziemlich schwachem
Körperbau. Fettpolster und Muskulatur sind bedeutend reducirt;
die Kräfte auffallend herabgesetzt.
Die gewöhnliche Hautfarbe blass, an den Wangen cyano-
tisch; die Haut trocken und die Elasticität vermindert. Sichtbare
Schleimhäute ziemlich rot; die Zunge ist nicht belegt, aber troc-
ken und rot. Die Pharynx-Schleimhaut ist lebhaft rotgefärbt
und trocken.
Der Urin trübe, von dunkelbrauner Farbe, setzt nach einer
Weile ein weisses Sediment ab, welches sich bei mikroskopischer
Untersuchung fast ausschliesslich aus Eiterkörpern bestehend er-
wies. Sp. Gew. 1,021; nach Filtrirung enthält der Urin weder
Eiweiss noch Zucker.
Der Puls macht 80 Schläge in der Minute, ist voll und
ziemlich gleichmässig. Die peripheren Gefässe sind sklerosirt.
Subjektive Symptome.
Der Kranke klagt über gelinde Kopfschmerzen, die nicht an
gewisse Stellen localisirt sind. Gleichfalls klagt er über eine an-
haltende Trockenheit des Mundes und des Rachens und Uber
einen beständigen Schmerz daselbst, besonders beim Schlucken.
Die Esslust ist gering und beim Schlucken stellt sich oft Husten-
reiz ein. Der Schlaf ist recht gut.
Der Kranke leidet ausserdem an einem besonders quälenden
Husten. Kein Erbrechen; saures Aufstossen kommt öfters vor.
Urin und Fteces gehen unfreiwillig ab.
Objektive Untersuchung.
Die Psyche scheint vollständig klar zu sein. Der Kranke
ist gewiss äusserst schwach und heruntergekommen; wenn man
ihn aber veranlassen kann zu antworten, findet man keine eigent-
liche Aphasie, nur ein gewisses Unvermögen zu artikuliren. Keine
Worttaubheit, keine Wortblindheit. Das Denkvermögen ganz gut,
das Gedächtnis wenig geschwächt. Keinerlei Hallucinationen.
Keine Agraphie. Der Kranke hat in gesunden Tagen laut
eigener Aussage nur unbedeutend schreiben können, und bei
Aufforderung seinen Vornamen »Olof» zu schreiben, schrieb er
eine Figur ähnlich dieser: Cef, dann fiel ihm die Feder aus der
Hand. Wahrscheinlich beruhte die fehlerhafte Schreibart auf seiner
Schwäche und auf seinem mangelhaften Sehvermögen. Bei Auf-
forderung Wörter zu lesen, die auf einer schwarzen Tafel mit
ziemlich grossen Buchstaben geschrieben waren, las er die Wörter:
»Stol» und Olof richtig; gleich darauf las er »M» für »Olof».
Die Kranialnerven.
L Olfactorius. Der Geruch ist auf beiden Seiten recht
gut erhalten; der Kranke konnte mehrere verschiedene Unter-
suchungsstoffe richtig benennen, und zwar beiderseits gleich gut.
II. Opticus. Die Sehkraft der beiden Augen ist bedeutend
herabgesetzt. Vor der Erkrankung waren sie trotz des hohen
Alters so gut gewesen, dass Pat. im Stande war die Zeitung
ohne Brille zu lesen. Bei der Untersuchung konnte der Krankt
in der Entfernung von ein paar Metern die grössten Buchstaben
der Snellen'schen Tafeln nur mit grösster Schwierigkeit lesen, aber
in der Entfernung von Meter war er im Stande ein Wort
zu lesen, das mit 5 cm. hohen Buchstaben geschrieben war.
Keine .Farbenblindheit; bei kurzem Abstand sieht ihm rot
oder grün wie grau aus; in der Entfernung von ^/i Meter kann er
aber, obschon mit Schwierigkeit, die Farben der Holmgren'schen
Wollbündel richtig benennen. Die Sehkraft des linken Auges ist
geringer wie die des rechten; bei einer Untersuchung konnte der
Kranke mit dem rechten Auge richtig angeben, wie viele Finger
vor ihm ausgestreckt gehalten wurden; mit dem linken Auge sah
er aber nie mehr als einen Finger; sogar wenn die ganze Hand
vor ihm ausgestreckt wurde.
Bei einer am zweiten Tage seines Aufenthaltes im Kranken-
hause vorgenommenen Untersuchung wurde wahrscheinlich eine
linkseitige Hemianopsie gefunden.
Eine hemianopische Reaktion war nicht vorhanden ; beide
Pupillen rcagircn gegen Licht in gewöhnlicher AVeise. Die rechte
Pupille ist etwas kleiner als die linke.
Die Ophihalmoscopische Untersuchung hat nichts besonderes
erwiesen.
III. IV. VI. Die Augenbewegungen waren wenigstens wäh-
rend des Aufenthaltes im Krankenhause normal. Übrigens konnte
man den Kranken nur selten veranlassen die Augen zu bewegen.
Bei der Aufnahme im Krankenhause schien eine gelinde y>dhna-
tion conjuguüt> nach rechts vorhanden zu sein, aber später war
diese nicht mehr zu constatiicn. Kein Strabismus.
24 S. E. MENSCHEN. PATHOLOGIE DES GEHIRNS
Das rechte Augenlid ist halb gesenkt; der Kranke kann das
Auge bequem schliessen, ist aber nicht im Stande dasselbe mehr
als zur Hälfte zu offnen.
V. Trigcmiiiiis. Das Trigeminusgeblet zeigt weder betreffs
der Sensibilität, noch betreffs der Motilität Veränderungen. Ein
stärker Druck ruft Schmerz hervor, und zwar beiderseits in
gleichem Masse.
VII. Facialis. Das Gesicht ist nicht verzogen. Den Kran-
ken hat man ein paar Mal, obgleich mit grösster Schwierigkeit,
dahin bringen können, einige Grimassen zu machen und dann
waren die Bewegungen auf beiden Seiten gleich. Bei festem Zu-
sammenkneifen der Augen schliesst das linke Auge weniger fest.
Die Uvula weicht etwas nach rechts ab. Die Gaumenbogen
stehen gleich hoch. Keine Schwierigkeit beim Schlucken.
VIII. Acustictis. Das Gehörverniögen ist auf beiden Ohren
ungefähr gleich gut; der Kranke kann, wie er angiebt, mit dem
linken Ohr das Ticken einer Taschenuhr auf einem Abstand von
35 cm. wahrnehmen und mit dem rechten Ohr auf einem Ab-
stand von 30 cm.
IX. Der Gesch/nacksinn ist ebenfalls ^ör;;s^///. Der Kranke
kann mit beiden Seiten der Zunge salziges, süsses, saures, und
bitteres u. s. w. unterscheiden.
XI. Eine laryngoscopische Untersuchung ist auf Grund des
entzündeten Zustandes der Pharynx-Schleimhaut nicht vorgenom-
men worden.
XII. Jlypoglossiis. Die Zunge die ziemlich weit aus dem
Munde herausgestreckt werden kann, weicht dabei jücht merkbar
nach irgend einer Seite ab. Sämmtliche Bewegungen der Zunge
sind langsam und gehen, wie es scheint mit einer gewissen
Schwierigkeit vor sich.
Sensibilität.
Die Sensibilität ist an den Extremitäten der linken Seite und
an der linken Seite des Rumpfes Uberhaupt bedeutend herabgesetzt.
a) Der Drucksinn: An obengenannten Stellen verspürt der
Kranke eine leichtere Berührung nicht, aber wenn man kräftiger
drückt, fühlt er dies als Druck. Erst bei bedeutender Steigerung
des Druckes verspürt er, obgleich mit Schwierigkeit, einen Unter-
schied und zwar am deutlichsten am Beine.
b) Der Schvierzsinn ist fast ganz und gar gesch^vunden.
Am linken Arme kann man eine kleine Falte der Haut hoch
heben und dieselbe mit einer Stecknadel durchstechen, ohne dass
der Kranke einen Schmerz empfindet; er verspürt jedoch das
Berühren ganz gut. Am Beine verspürt er einen ziemlich hefti-
gen Stich mit einer Stecknadel als Schmerz.
Bei einem Versuch mit dem faradischen Apparat zeigte es
sich, dass der Strom nicht hinreichend stark war um Schmerz
hervorrufen zu können, und zwar sowohl am Arme wie am Beine.
Ebenso verhielt es sich mit der linken Seite der Brust.
c) Temperatursinn. Bei den Untersuchungen der linken
Seite erschien dem Kranken alles kalt. Zunächst wurde ein Stück
Metall von Zimmer-Temperatur auf die Haut gelegt; dieses schien
ihm kalt. Dann wurde an einer Lampenflamme eine Messerklinge
bis zu dem Grade gewärmt, dass ich dieselbe nicht mehr be-
rühren konnte. Sowohl wenn die Messerklinge am heissesten
war als später während des Abkühlens schien sie ihm kalt.
An der rechten Seite nichts Bemerkenswertes.
d) Der Ortsinn. Erst bei kräftigerem Druck fühlt der Kranke
eine Berührung, aber est ist nicht gelungen den Kranken dahin
zu bringen mit der gesunden Hand die Stelle anzugeben.
e) Der Muskelsinn. Nicht einmal die gesunde Seite kann
objektiv untersucht werden, weil man Fat. nicht dazu bringen
kann activ in dem Grade die Glieder zu bewegen als für Unter-
suchung erforderlich ist. Wenn man ihn fragt, in welcher Stel-
lung die Glieder bei verschiedenen Gelegenheiten sich befinden
kann er es mit verbundenen Augen richtig angeben.
Motilität
ist an den Extremitäten der linken Seite bedeutend herabgesetzt;
die einzigen Bewegungen, die activ ausgeführt werden können, sind
das Beugen der Kniee bis zu ungefähr 60° und das Strecken sowie
das Beugen des Hüftgelenkes. Ferner kann der Kranke den Unter-
arm bis zum Kinn hinaufbringen, den Arm wieder strecken und
kleinere Bewegungen des Handgelenkes und der Finger vornehmen.
Die Motilität ist also bedeutend weniger herabgesetzt als
die Sensibilität der kranken Seite.
Die Reflexe der linken Seite sind kaum bemerkbar; auch
an der rechten Seite sind sie schwächer als gewöhnlich.
Vegetative Organe.
Die Brust etwas eingefallen mit eingesunkenen Interstitien.
Beide Brusthälften bewegen sich symmetrisch.
Die Lungen. Die Percussion ergiebt nichts besonderes. Die
Auscultation: Die Respiration der beiden Lungen erscheint et-
was rauh mit einer Menge kleinblasiger feuchtet Rasselgeräusche.
Kein Sputum. Keine Dyspnoe.
Das Herz. Inspektion und Palpation zeigen nichts Be-
merkenswertes; den Herzstoss fühlt man deutUch im 5:ten In-
terstitium, gerade unterhalb der Mammillre. Keine Vergrösserung
des Herzens.
Bei der Auscultation der Spitze und der Aorta erscheint
der i:ste Ton etwas rauh. Bestimmte Geräusche lassen sich
aber nicht wahrnehmen. Die peripherischen Gefässe sklerosirt.
Die Pulskurven zeigen einen grossen und glelchmässigen Puls.
Der Bauch. Die Untersuchung der Bauchorgane hat nichts
Besonderes ergeben.
T a g e s a u f z e i c h n u n g e n.
D. ''/2. Die Herzthätigkeit etwas unregelmässig. Der
Kranke bekommt Digitalis.
D. '■'/-'. Der Puls ziemlich regelmässig. Am Abend fühlt
sich der Kranke recht schlecht. Die Temperatur 40,5 (in der
Achselhöhle).
D. ^°/2. Die Temperatur hat heute 37" nicht überschritten.
Der Kranke fühlt sich verhältnissmässig wohl.
D. ^^/2. Die Temperatur am Abend 40,6. Der Zustand
ist schlecht; Pat. ist schwach und schlaff, aber antwortet deut-
licli, wenn man ihn anredet.
D. Gestern war der Kranke abwechselnd besser und
schlechter und die Temperatur ist zuweilen bis auf 39° C. (in
der Achselhöhle) gestiegen, aber meistenteils war Pat. afebril.
Heute Vormittag ist der Zustand sehr schlecht. Pat. antwortet
nicht mehr. ^Venn man ihm zu trinken anbietet und ihm Wasser
in den Mund giesst, schluckt er es nicht. Grosse Trockenheit
NEUE FÄLLE DIE LEHRE VON DER SEHBAHN UND DEM SEHCENTRUM BETREFFEND
25
und Verschleimtheit des Mundes und des Rachens. Der Kranke
schwitzt ganz bedeutend. Höhe der Temperatur um i Uhr N.
M. 40,2*' C. Das Athmen schnell und keuchend. 56 Athem-
züge in der Minute. Der Puls 120 Schläge in der Minute. In
der rechten Lunge hört man tracheales Rasseln, in der linken
weniger. Eine unbedeutende Dämpfung an genannten Stellen.
Die Temperatur am Abend 38".
D. ^^'ji. Dieser Zustand hielt die ganze Nacht an. Am
Morgen ist das Athmen schwächer; der Puls wird schwächer.
Der Kranke verschied sanft um 9,45 Uhr V. M.
Sektion.
Schädel: nichts Besonderes.
Dura: nichts Besonderes.
Die Pia lässt sich überall von der Hirnrinde leicht ablösen
mit Ausnahme an der malacischen Partie, wo sie der Rinde fest
angelötet ist.
Gefässe fleckenweise atheromatös. In der Arteria posterior
in der Nähe des rechten Kniehöckers ein fester Thrombus.
Rechte Hemisphäre.
Laterale Fläche. Gyri im Frontaljappen gut entwickelt, in
seiner vorderen Hälfte etwas klein, nach hinten stark entwickelt,
Centraiwindungen kräftig wie auch die Temporalwindungen. Die
Parietalwindungen der P' und P^ ebenfalls kräftig, die des P^' etwas
kleiner. Nirgends in der Rinde Erweichungen weder an den Kon-
vexitäten der Gyri noch in der Tiefe.
Occipitallappen. (Taf. IV. Fig. i.) O. ist im Ganzen etwas
klein. Die Konvexität zeigt keine begrenzte Schrumpfung oder
Malacie.
Mediale Fläche. Dagegen bemerkt man gleich eine ausge-
dehnte Malacie an der medialen Seite. Diese Malacie nimmt den
ganzen Cuneus mit Ausnahme des Gyrus terminalis ein, weiter
den ganzen Lobulus lingualis und erstreckt sich nach vorn über
den hinteren Teil des Gyrus Hippocampi bis zum Uncus hin.
Hier dringt sie mit einem Streifen auf T* über, sonst wird sie
nach aussen vom Sulcus coUateralis begrenzt. Der Gyrus occi-
pito-temporalis ist an der Oberfläche nicht erkrankt, mit Ausnahme
in seiner hinteren Spitze.
Die genaueren Grenzen der Malacie treten am besten in
der Abbildung (Taf. IV. Fig. i.) hervor.
Der Cuneus ist nicht nur tnalacisch, sondern auch ge-
schrumpft, wie auch die Margo falcata, mit Ausnahme der Stelle
unmittelbar an der Fissura occipito-parietalis interna und dem
Gyrus terminalis.
Der Lobulus lingualis ist ebenfalls erweicht.
Der Gyrus Hippocampi mit Ausnahme des Uncus ist total
erweicht.
Der Frcecuneus sowie die ganze übrige mediale Fläche
normal.
Frontalschnitte.
Occipitallappeti. Dieser wurde in i-c.m. dicke frontale Schei-
ben zerschnitten.
Die Spitze des 0-lappens (Taf. IV. Fig. 3.) ist vollständig
normal, so auch der ganze Gyrus terminalis. Aber unmittelbar
5. E. H e n s c h e H. Pathologie des Gehirns,
nach vorne von diesem Gyrus beginnt die Malacie, also etwa 6
m.m. vor der Spitze. Die laterale Fläche ist normal.
Schnitt I cm. vor der Spitze. (Taf IV. Fig. 4.) Die ganze
laterale sowie dorso- und ventrolaterale Rinde ist normal, die
mediale ist aber in der Ausstreckung der Abbildung ganz lose
und körnig-gelb. An der Fissura calcarina dringt die Malacie
nur bis zu ihrer halben Tiefe ein. Die Malacie misst 5 — 8 m.m.
in der Tiefe. Das ganze innere Mark ist intakt.
Schnitt 2 cm. (Taf. IV. Fig. 5.) Die Erweichung nimmt
nur die mediale Seite in einer Breite von höchstens 15 m.m. ein.
Sie hat die ganze Fissura calcarina zerstört, lässt aber die Seh-
strahlung zum grössten Teil intakt. Die ganze dorsale und la-
terale sowie die äussere Hälfte des ventralen Umfangs ist intakt.
In der malacischen Masse finden sich ganz frische Blutungen.
Schnitt j cm. (Taf. IV. Fig. 6.) Die Erweichung hat die
ganze mediale Fläche des Cuneus, die ganze Calcarinarinde und
die Oberfläche des Lobulus lingualis zerstört. Sie dringt bis zur
Wand des Plinterhorns vor.
Die Sehstrahlung ist makroskopisch zum grössten Teil er-
halten geblieben, nur ihre dorsale und venti-ale nach der F. cal-
carina auslaufenden Spitzen sind malacisch. Der dorsale, laterale
und ventrale Umfang ist intakt.
In der erweichten Partie sind auch Blutungen vorhanden.
Schnitt 4 cm. (Taf IV. Fig. 7.) Die Erweichung ist hier
bedeutend kleiner und beschränkt sich auf den Boden und die
untere Lippe der Fissura calcarina und den Lobulus lingualis,
sie dringt bis zur Wand des Hinterhorns vor und hat hier die
untere Spitze der Sehstrahlung erweicht, lässt aber sonst den
ganzen übrigen Teil der Sehstrahlung intakt sowie auch den
übrigen Umfang der Rinde des 0-lappens.
Schnitt 5 cm. (Taf IV. Fig. 8.) Der Schnitt fällt durch
die vorderste Spitze des Cuneus. Dieser ist im Ganzen unversehrt,
dagegen ist der ganze Lobulus lingualis malacisch; die Malacie
dringt nach vorne und oben auch in das Corpus callosum ein.
Schnitt 6 cm. (Taf. IV. Fig. 9.) Hier ist das ganze Mark
des Gyrus Hippocampi erweicht und bildet eine unregelmässige
Höhle, welche mit der durch die Malacie des Splenium Corporis
callosi gebildeten Höhle zusammenhängt. Der Umfang dieser
Cyste ist an der Tafel zu sehen.
Die Sehstrahlung wird in ihrem ventromedialen Abschnitt
von der Malacie berührt.
Schnitt 7 cm. Der Gyrus Hippocampi ist total erweicht,
ebenso der untere Umfang des Corpus callosum und zwar bis
zur Wand des Unterhorns.
Die Sehstrahlung ist sonst intakt. Weiter nach vorn nimmt
die Erweichung nur den Gyrus Hippocampi bis zum Uncus ein
und erstreckt sich wie die Taf IV. Fig. i. näher zeigt mit einem
Ausläufer nach aussen an die Oberfläche. Sie berührt den Gyrus
occipito-temporalis (T'^) ''n seiner vordersten Spitze.
Die Innenfläche des Unterhorns ist intakt, ebenso die Fimbria,
aber das unmittelbar anliegende äussere Mark ist total erweicht.
Centraiganglien. (Taf IV. Fig. i. 2.)
Der Ä^ucleus caudatus ist beiderseits normal. Veränder-
ungen sind weder an der Oberfläche noch im Inneren bemerkbar.
Die Grösse ist beiderseits gleich.
4
26 S. E. RENSCHEN. PATHOLOGIE DES GEHIRNS
Thalamus opticus.
Der linke Thalainiis scheint in allen Hinsichten normal zu
sein, sowohl in Form und Grösse wie Konsistenz.
Der rechte Thalamus scheint zwar im Ganzen seine Form
erhalten zu haben. Beim Vergleich mit dem linken werden jedoch
folgende Veränderungen wahrgenommen : Die Grösse der Thalami :
Vom Foramen Monroe bis Ende des Pulvinar: links 35 m.m.,
rechts 32 m.m. Die Höhe Uber dem Nucleus anterior 'l'halami
links 21 m.m., rechts 19 m.m. Auch scheint der linke etwas
schmäler. Der rechte Thalamus ist also in aHen Dimensionen
kleiner als der linke. Auch tritt bei der makroskopischen Unter-
suchung gleich hervor, dass der linke Thalamus auffallend wul-
stiger und voller als der rechte ist. Jedoch tritt der Unterschied
in dem vorderen Abschnitte nicht so viel wie im hinteren, im
Pulvinar, hervor.
Der vordere Teil, der eigentliche Thalamus, zeigt rechts
keine deutliche Formveränderung und keine begrenzte Malacie.
Das Pulvinar dagegen, welches links sehr wulstig und stark
entwickelt ist (10 m.m. breit), ist rechts bedeutend zusammen-
gefallen und bildet von Seite zur Seite einen scharfen und schmalen
(5 m.m. breiten) Wulst. Die Oberfläche ist hier der Länge des in-
neren Kniehöckers etwa entsprechend eingebuchtet ohne jedoch
malacisch verändert zu sein. Beim Betasten ist sie jedoch weich
anzufühlen und zwar deutlich dadurch dass die unterliegenden
Teile erweicht sind. Makroskopisch scheint sich diese Erwei-
chung bis zu den Grenzen der inneren und äusseren Kniehöcker,
welche jedoch hart sind, zu erstrecken.
Beim Übergang des Pulvinars in den Thalamus ist das Pul-
vinar fest und wie es scheint normal. Also ist nur die vertikale
Fläche des Pulvinars erweicht.
Der innere Kniehöcker ist beiderseits an Form, Grösse und
Konsistenz makroskopisch gleich gross und deutÜch.
Der äussere Kniehöcker tritt rechts infolge der Schrumpfung
des Pulvinars deutlicher hervor; sonst keinerseits irgend eine
makroskopische Veränderung.
Corpora 4-gemina. Colliculi anteriores sind beiderseits
von etwa gleicher Form und Grösse, vielleicht rechts ein wenig
kleiner.
Die Colliculi posteriores sind beiderseits gleich, ohne jjatho-
logische Veränderungen.
Tractus optici, Chiasma, Nervi optici zeigen keinen deut-
lichen Unterschied in Form oder Grösse.
Die Corpora mamillaria sind beiderseits gleich.
Die linke Hemisphäre
ist völlig normal. Weder an der Oberfläche noch im Inneren
sind pathologische Veränderungen zu entdecken.
Die Pia ist etwas dick, lässt sich jedoch überall ohne
Schwierigkeit ablösen.
Die Gyri sind überall normal entwickelt.
Die Hemisphäre wurde in 1 — 3 cm. dicke Stückchen zer-
schnitten, wobei jedoch an den resp. Schnittflächen keine Ver-
änderungen entdeckt werden konnten.
Das Kleinhirn hat normale Grösse, Konfiguration und Kon-
sistenz. Weder an seiner Oberfläche noch im Inneren irgend eine
makroskopische Veränderung.
Pons von gewöhnlicher Form und Konsistenz; an der rechten
ventrolateralen Seite springen einige grössere Bündelchen stärker
als die zunächstliegenden hervor, wodurch die Fläche etwas ge-
zogen hervortritt. Beim Durchschnitt tritt jedoch keine patho-
logische Veränderung im darunterliegenden Gewebe zu Tage.
Die Medulla oblongata ist an Form, Grösse und Konsistenz
ganz normal.
Mikroskopisches.
Die rechte Hemisphäre.
Centraiganglien (Taf. V.).
Diese wurden in Horizontalschnitte geschnitten. Färbung
nach Weigert, Rosin, und mit Carmin, Rubin etc. Da die Central-
ganglien mehrere ganz unregelmässige und zum Teil zusammen-
fliessende kleine selbst mikroskopische Herde enthalten, so lässt
sich eine Beschreibung derselben nur schwierig machen. Es
scheint demgemäss am geeignetsten eine Reihe von Abbildungen
von der Lage der Herde zu geben, durch welche diese gleich
klargelegt werden (Taf V. Fig. 1 — 6.).
An den ventralsten Schnitten (Fig. 5.) fällt gleich eine grös-
sere Malacie, welche zwischen dem Pes und der Substantia nigra
liegt, in die Augen. Sie läuft dem frontomedialen Rande des
Hirnschenk elfusses parallel und erstreckt sich von der lateralen
bis zur medialen Kante und misst in frontaler Richtung 12 m.m.,
in sagittaler i — 2 m.m. Durch diese Malacie ist die Substantia
nigra vom Pes vollständig getrennt und der frontale Rand des
Pes sowie der laterale (occipitale) der Substantia nigra usurirt.
In jenem findet also teils ein deutlicher Faserausfall, teils eine
Degeneration der dem malacischen Herde zunächst liegenden
Fasern statt.
Die Zellhaufen der Substantia nigra werden vom Herde
nur zum Teil direkt beriüirt. In der Nähe der Malacie sind doch
ihre Zellen zu kleinen gerundeten Klumpen zusammengeschrumpft;
die entfernter liegenden Zellen sind besser erhalten geblieben,
aber die Zellkörper sind bei der Mehrzahl derselben mehr oder
weniger abgerundet und deutlich atrophiscJi; andere Zellen sind
spitz oder zeigen deutliche Fortsätze und sind demnach also
normal.
Wenn man nun die Schnittreihe in dorsaler Richtung durch-
mustert, so kann man die aufsteigende Richtung dieser Malacie
in einer grossen Anzahl von Präparaten verfolgen. Sie behält im
Ganzen dieselbe Lage am medialen Rande des Pes und höher
hinauf an der Innenseite der Capsula interna. Sie dringt mit
einem Ausläufer in das Corpus geniculatum internum ein und
fast bis zu seiner Oberfläche vor. (Fig. 4.).
An etwas mehr dorsalen Schnitten teilt sich die Malacie
in zwei, in dem sie in ihrer Mitte überbrückt wird. Die
laterale dehnt sich bald in der Breite aus, wird dreieckig und
liegt am medialen Rande des inneren Kniehöckers (Fig. 4.); die
mediale behält ihre Lage im medialen Abschnitt zwischen der
Substantia nigra und dem Pes (Fig. 5.). Wo der Luys'sche
Körper auftritt, hört die mediale Malacie auf (Fig. 3.).
Aber die laterale nimmt die Form eines fast regelmässigen
Dreiecks mit einer Seite von etwa 3,5—4 "i-™- Länge und liegt
zwischen der Kapsel des Nucleus ruber (1,5 m.m. entfernt), dem
Winkel zwischen dem inneren Kniehöcker und Corpus 4-geminum
NEUE FÄLLE DIE LEHRE VON DER SEHBAHN UND DEM SEHCENTRUM BETREFFEND
27
und dem caudalen Abschnitt der inneren Kapsel (Fig. 4.). Die
Malacie hat weder die Fasern der inneren Kapsel noch die des
Nucleus ruber noch den Luys'schen Körper ergriffen.
Noch mehr dorsal (Fig. 3.) wird die occipitale (laterale)
Malacie grösser und unregelmässig und nimmt die Hauptmasse
des Pulvinars ein. Dadurch werden die hier von dem occipitalen
Abschnitte der Capsula interna medialwärts verlaufenden Fasern
durchschnitten. Ein Ausläufer des Herdes läuft parallel mit dem
medialen Rande und der Haubenstrahlung des rothen Körpers
(Fig. 3-)-
Noch mehr dorsalwärts, in der Ebene der Commissura po-
sterior behält die Malacie ungefähr dieselbe Form und Ausdeh-
nung, aber im dorsalsten Teil des Thalamus (Fig. 2.) vermindert
sie sich, jedoch treten 2 — 3 kleine Malacien als die dorsalsten
Ausläufer der vorher einfachen Malacie auf. Von diesen liegt
eine am medialen Rande der caudalen Capsula interna und die
zwei anderen in der Mitte des Thalamus.
Endlich unmittelbar unter dem Stratum superficiale (Fig. i.)
werden auch diese nunmehr kaum i — 2 m.m. grossen streifen-
förmigen Malacien kleiner und hören bald ganz auf.
Ausser dieser grossen den ganzen Thalamus von unten
nach oben durchsetzenden Malacien finden sich noch zwei andere.
Die eine liegt am lateralen Rande des Corpus geniculatum exter-
num (Fig. 4. 5.) und schneidet hier einen schmalen Streifen des
Ganglions ab. Ventral berührt sie das Ganglion kaum und ist
länglich (1,5 m.m. breit, 4 m.m. lang); höher auf schneidet sie
auch den lateralen Rand des Kniekörpers ab und trennt in einer
Ausdehnung von etwa 3 m.m. das Ganglion von seiner dorso-
lateralen Kapsel. Im dorsalsten Abschnitt des Kniehöckers er-
streckt sich die Malacie mehr medialwärts und greift folglich auf
das Ganglion noch mehr über und schmelzt dann dorsal vom
Kniehöcker mit der vorher beschriebenen Malacie zusammen.
Von hierab bildet sie mit ihr eine grössere Höhle, welche das
Pulvinar und das frontal und medial von demselben liegende
Gewebe des Thalamus einnimmt. Ihr näheres Verhalten im
dorsalen Abschnitt des Thalamus ist oben beschrieben worden.
Die zweite Malacie (Fig. 4. 5. mal.) ist klein, und in den ven-
tralen Schnitten streifenförmig. Sie verläuft vom Centralgrau des
Aquäductus nach hinten durch die Fasern des Oculimotorius um
am medialen Rande der grossen Malacie mit dieser, wie es
scheint, zusammenzuhängen. Diese Malacie hat also einige Zellen
des Oculimotoriuskerns zum Teil zerstört, dann den Fasciculus
longitudinalis posterior etwa 0,5 m.m. lateral von der Mittellinie
durchbrochen und die Schleife ein wenig sowie auch einige
von den austretenden OcuHmotoriusfaserbündeln usurirt (Fig. 5.).
Sie berührt den roten Kern nicht; scheint aber verschiedene
seiner ventralen Fascikeln durchschnitten zu haben. Die Malacie
misst in vertikaler Richtung nur einige, etwa 3(?) m.m. und hört
bald (in der Höhe der ventralen Hälfte des roten Körpers) auf.
Diese kleine Malacie nahe dem Aquäductus N&xd^itni be-
sondere Aufmerksamkeit. An einer Anzahl von Präparaten sieht
man, dass sie eigentlich als ein Ausläufer der grösseren Pes-
Malacie betrachtet werden muss. Man kann nämlich an ge-
eigneten Präparaten ihrem Verlauf vom medialen Abschnitt
der Pes-Malacie folgen. Sie bahnt ihren Weg nach oben-
vorn der Mittellinie mehr oder weniger parallel, obschon sie,
wie auch die Fig. 4. 5. auf Taf. V näher zeigt, recht un-
regelmässig zwischen den Fasern des Oculimotorius und den
Bündeln des Fasciculus longitudinalis verläuft. Im ganzen ist sie
streifenförmig.
An den hintersten Präparaten (III. 5) (die Präparaten-Serie
fängt zwischen dem Trochlearis-Nerven und dem Colliculus po-
sterior an) dringt sie vom medialen Abschnitt der Pes-Malacie
(ich nenne so der Kürze wegen die Malacie zwischen Pes und
Substantia nigra) mit einer Breite von i — 1,5 m.m. durch die
Schleife, deren Fasern jedoch nur wenig und in geringer Aus-
dehnung dadurch verändert sind, etwa 1,5 m.m. lateral von der
Mittellinie nach vorn bis i — 1,5 m.m. vom Aquäductusgrau
entfernt hervor. Sie erreicht also hier nicht den dorsalen Rand
des Fasciculus longitudinalis posterior; (dagegen giebt es an diesen
Schnitten eine kleine Malacie (i -|- 0,30 m.m.) medial vom Nu-
cleus colliculi posterioris).
Die In der Nähe der Malacie austretende Oculimotorius-
BUndel sind nicht sichtbar verändert.
An den folgenden Präparaten bemerkt man jedoch, dass
die Malacie zwar den Rand des Fascic. long, posterior nicht er-
reicht hat, dass dagegen da, wo der gleich zu beschreibende
Kern liegt, etwas Abnormes zu finden ist. Die Fasern des Fasci-
culus longitudinalis sind hier deutlich in Degeneration begriffen
und einige Zellen des Kerns sind degenerirt und in Pigment-
klumpen umgewandelt, andere dagegen recht gut erhalten ge-
blieben.
Nur wenige Schnitte weiter nach vorn und die Malacie hat
die Bündel des Fasciculus longitudinalis posterior 0,5 — 1 m.m. la-
teral von der Mittellinie durchbrochen. Die Malacie misst hier
fast exact i m.m. und erstreckt sich in das Aquäductusgrau etwa
I m.m. weit hinein (Fig. 4. mal). Innerhalb der Malacie
sieht man nunmehr weder Zellen noch Fasern, aber unmittel-
bar neben der Grenze der Malacie sind die Nervenfasern auf-
fallend gut erhalten, und im Centralgrau sind schon die in
einer Entfernung von etwa i m.m. liegenden Zellen normal.
Der Wirkungskreis der Malacie ist also im Ganzen eine sehr
beschränkter.
Auf den nun weiter folgenden etwa 25 Schnitten (III 32 — 57)
(also einer Dicke von etwa 0,75 — i m.m. entsprechend) verhält
sich die Malacie in derselben Weise. In das Aquäductusgrau
erstreckt sie sich wie ein der Mittellinie paralleler und davon
0,5 m.m. entfernter Zipfel etwa i — 1,5 m.m. ein und endet zu-
gespitzt. Nach unten (ventralwärts) misst sie kaum i m.m. in
der Breite und 3 — 4 m.m. in der Länge, läuft parallel mit der
Mittellinie oder nähert sich derselben etwas um dann aufzuhören.
Die austretenden Oculimotoriusfasern sind kaum verändert;
sie sind nicht varikös oder zerfallen, aber schön gefärbt. Aber
beim Austritt aus der Medullarsubstanz an dei Mittellinie vor dem
Pons sind die hintersten Oculimotorius-Bündel schon degenerirt,
die demnächst nach vorn folgenden sind nur wenig verändert
und die vordersten normal.
Schon an den nächstfolgenden Schnitten bemerkt man von
der Nähe des Herds wenig oder nichts.
Der malacische Herd liegt also im oberen Rande des Fasci-
culus longitudinalis posterior i m.m. lateral von der Mittellinie,
ist r m.m. breit und misst kaum i m.m. von vorn nach hinten
(sagittal), aber in vertikaler (oben-unten) Richtung etwa 4—5 m.m.
28
S. E. RENSCHEN.
PATHOLOGIE DES GEHIRNS
und streckt sich etwa i m.m. in das Aquäductusgrau hinein. Die
Ocuhmotoriusfasern sind kaum ergriffen.
Die Malacie entspricht also der Lage des Trochlearis-Kerns
und dehnt sich nach vorn unmittelbar in den ventralen Oculi-
motoriuskern aus.
Die ventralen und dorsalen Oculimotoriuskerne sind übrigens
intakt und nur eine Anzahl der etwa 0,5 m.m. von der Mittel-
linie gelegenen Zellen sind an einer sehr kleinen Strecke (etwa
0,5 m.m. in sagittaler und etwa i — 1,5 m.m. in dorsoventraler
Richtung) lädirt.
Aus der eben gegebenen Darstellung Uber die Ausdehnung
der malacischen Herde in den Centralganglien geht hervor, welche
von den verschiedenen kleineren Ganglien oder Nervenbahnen
durch sie betroffen sind. Es dtirfte jedoch notwendig sein näher
anzugeben wie die wichtigeren Ganglien und Bahnen sich ver-
halten.
Pes und Capsula interna.
Die Hauptmasse des Pes ist unversehrt, die Fasern sind
kräftig gefärbt und zeigen keine Spur von Degeneration oder
Faserausfall. Dagegen finden sich drei millimeter-grosse Mala-
cien inmitten der normalen Faserbilndel; ausserdem hat der
fronto-mediale Rand durch die grosse Malacie (Fig. 5.) be-
deutend gelitten. Die Veränderung hat besonders den mittleren
Abschnitt betroffen aber in unregelmässiger Weise. Hier sind
die Fasern bleicher, schwächer und spärlicher und man trifft auch
Degenerationsprodukte. Die Fig. 5. zeigt ungefähr die Aus-
dehnung der Veränderung, welche i — 2 m.m. der Breite des Pes
getroffen hat; die lateralen Teile sind verschont in einer Breite
von 3 m.m. im medialen und etwa 5 m.m. im lateralen Ab-
schnitte.
Folgt man nun dem Pes in dorsaler Richtung, so kann
man wahrnehmen, dass er auch etwas höher in ungefähr der-
selben Weise ergriffen ist, selbst da, wo er in die Capsula interna
ubergeht. Im ventralen Abschnitt der Capsula interna findet sich,
4 m.m. von dem medialen Rande, da wo weiter unten die Ma-
lacie am tiefsten in die Kapsel eindringt eine weisse bindegewe-
bige Stelle in welcher die Fasern spärlicher als sonst zu treffen
sind (Fig. 4.). Noch weiter nach oben findet man hier nur eine
Veränderung des Bindegewebes. Die Kapsel zeigt sonst wenig
Beeinträchtigung durch die Malacie, obschon im dorsalen Ab-
schnitt des Thalamus die recht grosse Malacie sie unmittelbar
streift und weiter nach oben auch die nunmehr streifenförmige
Höhle an ihrem hintersten ^/s unmittelbar anliegt, ja selbst in
sie etwas eindringt.
Also ist nur eine kleine Strecke der PyramidenbaJin an
dem medialen Rande der Malacie in kleinerer Ausdehnung
ergriffen.
Thalamus Opticus.
Die Form des Ganglions ist durch das Vorhandensein der
ausgedehnten Malacie gar nicht verändert. An den verschie-
denen Schnitten hat die Malacie so verschiedene Form, dass
eine Beurteilung ihrer Einwirkung auf die sie durchlaufenden
Fasern recht schwierig wird.
Fasern. Dorsale Schnitte (V. 60 — 70).
Die radiär von der Gitterschicht in den Thalamus ein-
strahlenden Bündel sind recht schön, und die einzelnen Fasern
normal, intensiv gefärbt, im allgemeinen nicht varikös. Dies ist der
Fall sowohl im frontalen wie im caudalen Abschnitte des Thala-
mus. Ausserdem finden sich Bündel mit varikösen Fasern, deren
Ursprung und Verlauf ungewiss ist. Aber in der Nähe der ma-
lacischen Herde sind die Nervenfasern degenerirt. Es ist nicht
möglich weiter hin diesen degenerirten Fasern zu folgen. Da
aber der Herd mit seinen der inneren Kapsel parallelen Aus-
läufern in sagittaler Richtung nicht weniger als etwa 5 m.m. misst,
so dürfte eine nicht unbeträchtliche Anzahl von radiären Fasern
durchschnitten, resp. funktionsunfähig, sein.
Die Malacie liegt 7 m.m. frontal vom occipitalen Rande
des Thalamus in der Gitterschicht und dringt etwa i m.m. in
die Kapsel ein. Hier findet man im Gewirr der Fasern nicht
wenige, welche in Degeneration begriffen zu sein scheinen. Dem
Herd gegenüber zeigt auch die Kapsel eine bleichere Verfärb-
ung und an der lateralen Seite derselben zeigen die in die occi-
pitale Spitze des Putamens einstrahlenden Bündel auch deutlich
degenerirte Fasern. Dabei sind hier sämmtliche Fasern verän-
dert, während die weiter nach vorn ins Putamen einstrahlenden
Bündel nicht verändert sind.
Der occipitalste Abschnitt der Capsula int. enthält nur (V)
normale Fasern.
Mehr ventrale Schnitte (V. 39.). Hier hat der Herd fast
dieselbe Lage und ist schlitzförmig und parallel mit der Kapsel;
er dringt hier in die Kapsel weniger tief ein. Hier treten auch
kleinere Herde im Inneren des Thalamus auf.
Mehr tientrale Schnitte (V. 9.) (Fig. i.) verhalten sich im
Ganzen in derselben Weise, aber die Fasern der Kapsel sind
dem Herde gegenüber weniger verändert. Die erwähnten Fasern
des Putamens sind dagegen verändert; diese scheinen hier sowohl
ins Putamen einzutreten wie auch seine mediale Kapsel zu bil-
den (s. unter die Linse).
In der mehr ventralen Schnittserie (IV) (Fig. 2. 3.) (etwa
I m.m. weiter ventral) hat die Malacie zwar im Ganzen dieselbe
Lage aber weit grössere Dimensionen. Sie berührt aber nicht
unmittelbar die Kapsel sondern mehr die occipitale Einstrahlung
in den Thalamus, deren vordere Hälfte fast vollständig durchtrennt
ist. Von der hinteren Hälfte sind die mehr ventralen Fasern
auch von der Malacie durchschnitten; dagegen sind zahlreiche
Fasern derjenigen Bündel, welche wahrscheinlich ihre Endstation
in dem unversehrten Abschnitte des Thalamus finden, recht gut
erhalten, gut gefärbt und wenig varikös; andere, welche die im
Pulvinar gelegene Malacie berühren, sind deutlich im Zerfall be-
griffen.
Die radiären Thalamusfasern. Im dorsalen Abschnitte des
Ganglions sind diese im allgemeinen gut erhalten. Die Bündel
sind dick und die Fasern gut gefärbt und nicht varikös. Daneben
finden sich zahlreiche blassere Fasern, welche jedoch nicht va-
rikös sind.
In der Nähe der malacischen Herde sind dagegen die Fa-
sern entweder gänzlich zerfallen oder in Degeneration begriffen.
Und da diese Herde in den mehr ventral gelegenen Abschnitten
überhaupt eine grössere Ausdehnung haben, so ist auch hier die
Degeneration der Fasern viel ausgedehnter. Es finden sich also
im Pulvinar fast keine erhalten gebliebenen Fasern (Fig. 3.).
*
NEUE FÄLLE DIE LEHRE VON DER SEHBAHN UND DEM SEHCENTRUM BETREFFEND
29
Die Zellen des Thalamus sind überhaupt ziemlich erhalten
geblieben, ihre Konturen sind scharf, Pigmentklampen fehlen,
aber die Zellen sind überall reichlich pigmentirt.
In den malacischen Herden sind sie vollständig unterge-
gangen und in ihrer Nähe degenerirt.
Der Nucleus ruber ist nirgends von den malacischen
Herden ergriffen, wohl aber ist die Haubenstrahlung in ventralen
Schnitten in einer Entfernung von i. 5 — 2 m.m. vom lateralen
Rande des Ganglions zum Teil durchschnitten (Fig. 3. 4.). Dess-
ungeachtet sind die Fasern, welche am lateralen Rande des Gang-
lions ein- resp. austreten, morphologisch normal.
In mehr dorsalen Schnitten liegt die Malacie mehr occipital
vom Ganglion und hat deshalb nur die occipitalen Fasernbündel
des Ganglions zerstört. Nicht wenige vom frontalen Abschnitt
des Nucleus ruber kommende und nach dem hinteren Abschnitt
der Capsula interna ziehende Bündel sind auch der Degeneration
entgangen (Fig. 3.), während die mehr occipital liegenden Fasern
der Zerstörung anheimgefallen sind. Die Bündel im Inneren
sind reichlich, und zeigen normale Fasern.
Die mediale Kapsel ist dick und gut gefärbt, die laterale
schwächer.
Die Zellen des Nucleus ruber sind wenigstens zum grossen
Teil normal, scharf konturirt, nicht pigmentirt, mit schönen Ecken
und Fortsätzen.
Der Luys'sche Körper ist nirgendswo malacisch. Er
hat normale Grösse, grossen Reichtum an Fasern, und sind die-
selben sowohl im Inneren wie in der Kapsel schön gefärbt und
nicht degenerirt.
Die Zelle?! sind pigmentirt, sonst aber anscheinend normal
(scharfe Kontur etc.).
Eine nicht unbeträchtliche Anzahl der occipital vom und
parallel mit dem Luys'schen Körper durch Capsula interna (nach
dem Linsen-Körper) ziehenden Fasern sind auffallend varikös
aber schön gefärbt (beginnende Degeneration?).
Nucleus lentiformis.
Weder das Putamen noch die Glieder des Globus pallidus
sind makroskopisch verändert; selbst bei schwächerer Vergrös-
serung wird eine Veränderung nicht wahrgenommen. Aber bei
stärkerer Vergrösserung bemerkt man dass:
i) im Globus pallidus recht viele einzelne Fasern oder ganze
Faserbündel sehr blass oder grau gefärbt sind und die einzelnen
Fasern etwas dünn erscheinen (atrophisch), obschon die Nerven-
fasern des Präparats sich sonst als intensiv schwarz gefärbt er-
weisen.
Deutlich degenerirte Fasern finden sich nicht mit Ausnahme
im occipitalen Ende des äusseren Gliedes (also entsprechend dem
hintersten Abschnitt der Capsula interna), wo zahlreiche degene-
rirte Bündel in der Lamina medullaris exterior sich befinden,
während solche schon in dem mehr frontalen Abschnitte fehlen.
D ieses deutet darauf, dass die Fasern des occipitalen Abschnittes
der Lamina mit occipitalen Fasern des Thalamus in Zusammen-
hang stehen.
Die Zellen erscheinen meistens normal (scharfe Konturen,
deutlicher Kern, nur mässig pigmentirtes Protoplasma).
Die Linsenschlinge enthält reichliche normale Fasern; atro-
phische oder degenerirte sind nicht zu beobachten.
2) Putamen. Nur die occipitalen Bündel enthalten dege-
nerirte Nervenfasern und zwar in grosser Anzahl. Die übrigen
Fasern sind nicht verändert, wiewohl oft blass.
Die Zellen sind sehr pigmentirt, eckig-gerundet (verändert?).
Corpus geniculatum externum (Fig. 4. 5.).
An den ventralsten Schnitten (Fig. 4.) findet man in der
lateralen Grenze des äusseren Kniehöckers eine 2,5 m.m. dem
Ganglion entlang liegende Malacie, welche nur wenig auf das
Ganglion übergreift. Nur in der Nähe der kleinen (2 — 4 m.m.
messenden) Malacie scheint der Kniehöcker gelitten zu haben,
sonst sind Fasern und Netze sehr schön und zwar besonders die
vom Opticus einstrahlenden Bündel.
An mehr dorsalen Schnitten (Fig. 5.), wo die Malacie des
Ganglion fast in seiner ganzen Länge (etwa 4 m.m.) berührt und
auch etwas (c:a 0,3 m.m. tief) auf dasselbe übergreift, ist der
Effekt grösser. Zwar erscheint der Kniehöcker im Ganzen bei
schwächerer Vergrösserung wenig verändert, aber bei stärkerer
scheint eine nicht unbeträchtliche Anzahl der querlaufenden Fa-
sern leicht affizirt zu sein; die Opticusbündel sind dagegen se-
kundär nicht erkrankt mit Ausnahme da, wo sie die Malacie
direkt berühren.
An den dorsalsten Schnitten kann man sagen, dass der ganze
kleine Abschnitt des Ganglions in der Nähe der Malacie Hegt;
jedoch sind die Fasernetze ziemlich gut erhalten.
Im ventralsten Abschnitte scheinen die Zellen kaum ver-
ändert zu sein. Im mittleren sind sie in dem malacischen Gebiete
degenerirt, im übrigen Abschnitte des Ganglions ziemlich (voll
ständig?) erhalten mit scharfen Konturen und Kernen. In Pig-
ment findet man keine umgewandelt. Ob leichte Veränderungen
vorhanden sind ist ungewiss.
Im dorsalsten Theile scheinen sie normal zu sein.
Das St-'onia ist im ganzen Ganglion kernreicher als normal,
besonders in der Nähe der Malacie.
Resiune. Die Malacie hat auf die Hauptmasse eine pa-
thologische Einwirkung ausgeübt, indem das Stroma kern-
reicher, die Zellen in einem grossen Teile des Ganglions sowie
die Fasern in der Nähe der Malacie verändert sind. Durch
die laterale in der ganzen Höhe des Ganglions sich ausdeh-
nende Malacie ist die Hauptmasse der occipitalen Strahlung
zerstört.
Der Tr actus opticus dexter ist von der Malacie nicht be-
rührt und an den Längsschnitten ist keine Veränderung wahr-
zunehmen.
Corpus geniculatum intern um.
Dieses Ganglion wird in grosser Ausdehnung von der Ma-
lacie berührt.
An den ventralsten Schnitten (Fig. 5.) schwenkt die Malacie
mit einem spitzen Ausläufer um die medio-occipitale Ecke des
Pes (Capsula interna) herum, schneidet die hier verlaufenden Fa-
sern durch und dringt mit einer schmalen Spitze in das Ganglion
ein. Auch sind hier im ventralen Abschnitte des Ganglions die
meisten Fasern mehr oder weniger deutlich in beginnendem Zer-
fall begriffen; die Kapselfasern sind noch völlig normal.
30 S. E. RENSCHEN. PATHOLOGIE DES GEHIRNS
Die Fasern im Inneren sind jedoch zahlreich vorhanden.
Die Hauptmasse des GangUons ist auch bedeutend kernreicher
als normal. Die Zellen sind in dem peripheren occipitalen Ab-
schnitte ziemlich erhalten (pigmentreich, aber mit scharfen Kon-
turen), im frontalen aber vollständig untergegangen.
An höher gelegenen Schnitten hält sich die Malacie ver-
hältnismässig mehr in der frontalen Peripherie und nur die an-
grenzenden Partien haben dadurch gelitten, wenn auch die Zellen
sehr pigmentirt sind. Die äussere Kapsel ist hier recht gut er-
halten geblieben.
In noch höher liegenden Schnitten (Fig. 4.) dringt ein
grosser Ausläufer der Malacie am Winkel zwischen inneren
Kniehöcker und dem Collicukis posterior bis nahe an die Ober-
fläche heran und schneidet in das GangHon ein. Dadurch wer-
den die grossen vom Colliculus kommenden Bündel zum Teil
abgeschnitten und sind einer Massendegeneration unterworfen.
Nur die Kapsel und selbst diese auch nicht völlig /lal normale
Fasern. Die der Kapsel zunächst liegende Zone ist der Verän-
derung zum Teil entgangen.
Im dorsalsten Teil des Ganglions dringt die Malacie bis zur
Oberfläche des Ganglions vor.
Corpora 4-gemina (Horizontalschnitt). (Taf. V. Fig. 3.)
Colliculus anterior.
Das Stratum zonale ist erhalten und enthält zahlreiche F'a-
sern, aber diese sind varikös oder zerfallen, obwohl noch gefärbt,
also zum Teil in beginnender Degeneration begriffen.
Cappa cinerea. Die feinen Fasern dieser Schicht sind zwar
vorhanden und sind gefärbt, aber sie bilden keine Netze und
sind im ventrolateralen Abschnitte des Colliculus auffallend varikös,
aber nicht in der mehr dorsal resp. frontal gelegenen.
Stratum opticu77i. Die vom Stratum zonale des Corpus
geniculatum und den naheliegenden Teilen in das oberflächliche
Mark einstrahlenden Fasern sind zahlreich und schön gefärbt, in
ventralen (= occipitalen) Partien des Colliculus stark, in mehr
dorsalen (frontalen) weniger varikös.
Im mittlereti Grau sind die Netze sehr dicht und die I'asern
gut gefärbt; im allgemeinen kaum varikös.
Im mittleren Mark sind die groben Fasern gut erhalten und
kaum varikös aber schön gefärbt und zahlreich. Die grossen
Zellen sind schön.
Stratum Lemnisci. Die cirkulären Fasern zahlreicli und
ganz normal ; die radiären sind zahlreich und normal.
Im centralen Grau sind reichlich normale Fasern vorhanden.
Colliculus posterior.
Stratum zonale mit gut gefärbten aber etwas varikösen Fasern.
Nucleus mit starker Kapsel und reichlichen Netzen im In-
neren. Alle Fasern sind intensiv gefärbt, nicht varikös, also nor-
mal und zwar sowohl die radiären wie die übrigen.
Commissura posterior. Sowohl die obere wie die untere
enthält zahlreiche Bündel (wie normal) und ihre Fasern waren
alle schön gefärbt und nicht varikös. Also normal.
Die S c h 1 e if e.
In den ventralen Schnitten durch den Pes trennt, wie schon
gesagt wurde, die gürtel-oder halbmondförmige Malacie den medio-
frontalen Rand des Pes vom Gebiete der Substantia nigra. Die
Malacie misst im lateralen Abschnitt i m.m. im medialen 2 m.m.
und die Zerstörung der Substantia nigra dürfte deshalb ungefähr
diesen Umfang haben.
Die Hauptmasse der Substantia nigra ist deutlich verschont
geblieben aber ihr laterale, oder richtiger latero-occipitaler Rand
ist malacisch. Wie schon beschrieben sind auch viele der cha-
rakteristischen Zellen deutlich atrophisch, verkleinert und in Pig-
menthaufen umgewandelt; andere dagegen verhältnismässig erhal-
ten. Im Begrenzungsrande der Malacie sind die Nervenfasern
zum Teil in Degeneration begriffen.
Weiter nach oben berührt die Malacie nirgends weder den
Nucleus ruber noch den Globus pallidus, die Linsenkernschlinge
oder den Luys'schen Körper; dagegen liegt sie (Fig. 2. 3. 4).
dem hinteren '/^ der Capsula interna unmittelbar an und liegt
hier zwischen dem inneren Kniehöcker, dem medio-occipitalen
Winkel der Capsula interna und dem äusseren Kniehöcker und
mehr dorsalwärts zwischen dem Pulvinar, dem hinteren Rande der
Capsula interna und dem occipitalen Verlauf der Kapsel. Hier
berührt sie den hinteren Rand der vom roten Körper lateral-
wärts ausstrahlenden Fasernbündel, von welchem auch viele zer-
stört sind.
Die rechte laterale Schleife ist kräftig entwickelt und enthält
intensiv gefärbte und normale Fasern.
Die Hauptschleife ist beiderseits gleich und zeigt weder in
caudalen noch in proximalen Schnitten eine Degeneration.
Epikrise.
Kurzer Krankenbericht. Keine nervöse Belastung.
Als Ji.ingling Alkohol missbraucht. Hat Syphilis erwoiben.
Litt sonst an verschiedenen Krankheiten, aber behielt dem
ungeachtet bis ins hohe Alter gute Kräfte. Die Sehschärfe,
das Gehör, das Gedächtnis und die Urteilskraft waren auch
bis zu seiner letzten Krankheit gut erhalten. Nach der In-
fluenza im Dec. 1891 hütete Fat. das Bett bis zum 20. Jan.,
an welchem Tage er aufstehen wollte. An diesem Tage wurde
er im Bette plötzlich von einem Schlaganfalle betroffen. Er
fiel nach rechts. Die Unterarme zogen sich gegen die Brust,
die Hände drehten sich konvulsivisch. Sonst keine Zuckun-
gen. Bald nachher blieb Fat. still mit geschlossenen Augen
liegend. Er schien nichts zu verstehen. Bald trat Erbrechen
ein. Die Besinnung kehrte bald wieder zAirück; er antwortete
jedoch nicht auf Anrede, der linke Arm und das linke Bein
waren vollständig gelähmt. Im Gesicht keine Schiefheit.
Am ^'/i ^var Fat. bei klarer Intelligenz. Er öffnete das
linke Auge, aber das rechte Augenlid konnte er nicht heben.
Er verstand alles, konnte aber nicht antworten. Nach einigen
Tagen kehrte die Sprache zurück, aber sie war verworren.
Er fing an Arm und Bein zu bewegen. Er lag mit geschlos-
senen Augen, aber konnte das linke Auge nach jeder Rich-
tung bewegen. Sprache undeutlich. Fat. scheint eine Farben-
hallucination gehabt zu haben, in dem er ein rotes Band an
der Stirn sah.
Etwa am ^^/s konnte er das rechte Augenlid etwas he-
ben und die Bewegungen des linken Armes und Beines nah-
NEUE FÄLLE DIE LEHRE VON DER SEHBAHN UND DEM SEH CENTRUM BETREFFEND
31
men zu. Die linke Seite war kalt. Urin und Fjeces gingen
oft ins Bett. Trat am ^''/2 ins Krankenhaus ein.
St. prees. ^"/a 1892. Fat. schwach, bleich, die Wangen
cyanotisch. Gefässe sklerosirt. Psyche klar, keine Aphasie
oder Hallucinationen. Geruch recht gut, Sehkraft bedeutend
herabgesetzt, am meisten am linken Auge; konnte vor dem
Anfalle Zeitungen ohne Brille lesen. Linksseitige Hemianopsie
ohne hemianopische Reaktion. Beide Pupillen reagiren sonst
normal, die rechte Pupille ist etwas kleiner als die linke.
Ophthalmoskopisch Nichts.
Die Augenbewegungen normal, aber bei dem Eintritt
ins Krankenhaus schien eine gelinde Deviation conjuguee zu
bestehen. Das rechte Augenlid kann nur bis zur Hälfte geho-
ben werden. Weder Trigeminus noch Facialis sind getroffen,
wenn auch bisweilen das linke Auge etwas schwächer ge-
schlossen wird. Das Gehör beiderseits gleich scharf. Der
Geschmack gut. Die Bewegungen der Zunge langsam aber
beiderseits gleichmässig. Drucksinn links bedeutend h:^rab-
gesetzt; Schmerzsinn fast völlig geschwunden. Der Tempera-
tursinn abgestumpft, er empfindet alles als kalt. Der Ortsinn
herabgesetzt. Muskelsinn fraglich. Die Motilität der links-
seitigen Extremitäten ist herabgesetzt, aber in geringerem
Grade als die Sensibilität. Die Reflexe an der linken Seite
kaum merkbar. ^^/a Fieber. Verschied am ^^ji 1892.
Die Sektion zeigte teils eine ausgedehnte Malacie der
rechten Hemisphäre, welche die mediale Seite von der Occi-
pitalspitze bis zu den Centraiganglien einnahm teils verschie-
dene kleinere zum Teil zusammenfliessende Malacien im Tha-
lamus und Pes u. s. w.
Diagnose. Ari der Läsion. Der plötzlich ohne vor-
hergehende Symptome von Herzschwäche eintretende Schlag-
anfall, welcher mit Bevvusstseinsverlust verbunden war, deu-
tete eher auf eine Blutung als auf Thrombose, und zwar um
so mehr als die begleitende Parese nicht sehr stark war.
Obschon Fat. schon am folgenden Tage bei klarer Intelligenz
war, kam jedoch die Sprache erst einige Tage später wieder.
Dieses sowie das Erbrechen konnte wohl als ein Au.sdruck
einer sich nur langsam ausgleichenden Drucksteigerung resp.
Blutung gedeutet werden. Dafür schienen auch die Zuckungen
zu sprechen. Dessen ungeachtet fand sich bei der Sektion
eine Erweichung infolge einer Thrombose hauptsächlich der
Arteria cerebri posterior.
Die Heftigkeit der Symptome muss durch die Grösse
des befallenen Gebietes erklärt werden und der Fall zeigt
deshalb, wie schwierig es mitunter ist, eine Hämorrhagie von
einer Erweichung zu unterscheiden (s. unten).
Lokalisation der Läsion. Der vorliegende Fall unter-
scheidet sich von den gewöhnlichen Hemiplegien hauptsäch-
lich durch drei Symptome, nämlich durch die Hemianopsie,
durch das Überwiegen der Sejisibilitütssföriing im Verhältnis
zu der Motilitätsstörung und drittens durch die isolirte Läh-
mung des einen oberen Angetilides.
Das Vorhandensein der reclitsseitigen Hemianopsie bei
dem gleichzeitigen Auftreten einer ausgeprägten Sensibilitäts-
störung, aber einer nur schwachen Parese der Motilität cha-
rakterisirt nach den geläufigen Ansichten eine Afiektion in
der Nähe des hinteren Abschnittes der Capsula interna. Hier
sollen einerseits die Sehfasern von dem äusseren Kniehöcker
in die Kapsel eintreten und andererseits die sensiblen Fasern
durch die Kapsel nach oben verlaufen. Dieser Fall bei dem
in der That eine kleinere Malacie die sensiblen Fasern des
hintersten Drittels der Kapsel und zugleich eine andere klei-
nere am lateralen Rande des äusseren Kniehöckers liegende
Malacie, die diesem Ganglion vom Occipitallappen zu laufen-
den Fasern durchschnitten hat, scheint also für die Richtigkeit
einer solchen Ansicht zu sprechen (s. unten).
Aber ausserdem war eine ausgedehnte Malacie der me-
dialen Rinde des Occipitallappens vorhanden, welche, eben so
gut die Hemianopsie erklären kann.
Schliesslich fand sich eine isolirte sehr auftallende Läh-
mung des rechten Augenlidhebers. Das Auftreten dieser
isolirten Lähmung deutete ohne Zweifel auf eine kleine be-
schränkte Läsion des Nucleus des Levators oder der austre-
tenden Fasern des Levators Palpebrae superioris — also an dem
Aquädukt oder im Pes. — Dies war auch hier der Fall. Die
Parese der Glieder war linkseitig, die des Augenliedes dagegen
rechtseitig, jene also centraler, diese peripherischer Natur.
Analyse der Symptome.
Die psychischen Fnnktionen. Unmittelbar nach dem
Schlaganfall trat Bewusstseinsverlust ein und dauerte eine
Weile. Am folgenden Tag war Pat. bei klarem Bewusstsein,
aber es dauerte einige Tage, ehe er verständlich sprechen
konnte, obwohl er schon verstehen konnte, wenn man ihn
anredete. Im Krankenhause war er zwar schwach und her-
untergekommen, aber er war im Übrigen bei klarem Bewusst-
sein. Die Beeinträchtigung der seelischen Funktionen dürfte
durch das plötzlich Auftreten der nicht unbedeutend ausge-
dehnten Erweichung genügend erklärt werden.
Durch die nach verschiedenen Richtungen sich verzwei-
gende Malacie des rechten Thalamus, welche im Ganzen eine
recht grosse Ausdehnung hatte und sowohl die centralen Ge-
sichts- wie Gehörganglien sowie auch wichtige sensible Teile
zerstört hatte, waren ohne Zweifel wichtige Verbindungen
zwischen den verschiedenen Teilen der Rinde der rechten
Hemisphäre unterbrochen. Dessen ungeachtet kehrte das
Bewusstsein bald zurück. Dieses scheint ein neuer Beweis zu
sein, dass die rechte Hemisphäre ohne besonders aufiallende
psychische Symptome hervorzurufen bis zu einem gewissen
Grade ausser Funktion gesetzt werden kann. In diesem Fall
war jedoch die Hauptmasse des Hemisphärenmarkes im Gegen-
satz zu dem was bei dem Falle l Malm sich fand, gut erhalten
geblieben.
Aphasie. Unmittelbar nach dem Anfalle verfiel Pat. in
einen solchen Zustand, dass er weder eine I'rage verstehen,
noch sprechen konnte. Erst nach einigen Tagen kehrte die
Sprache wieder. Da keine Veränderungen in der linken
Hemisphäre angetroften wurden, müssen diese Symptome ein
Ausdruck des Chok's nach dem Schlaganfalle, d. h. der
Circulationsstörung sein. Auch später sprach Pat. wenig.
Weder Worttaubheit noch Wortblindheit oder Aphämie war
vorhanden ; und auf Agraphie konnte nicht mit Aussicht auf
Gelingen geprüft werden, da Pat. vorher kaum schreiben
32
S. E. HENSCHEN. PATHOLOGIE DES GEHIRNS
konnte. Er schrieb bei Aufforderung jedoch einige Buch-
staben.
Kranialnerven. I. Der Geruch zeigte nichts abnor-
mes, was bei dem Vorhandensein einer ausgedehnten Malacie
im Gyrus Hippocampi bemerkenswert war.
II. Da die Sehkraft bedeutend herabgesetzt war, so
war es schwierig die Augenfunktionen zu prüfen. Die Min-
derung der Sehkraft war gewiss durch den Schlaganfall ver-
ursacht, da nämlich Fat. vorher ohne Brille gut lesen konnte.
Eine linksseitige Hemianopsie wurde konstatirt und zwar,
aller Wahrscheinlichkeit nach, mit erhaltenem Fixationsfeld.
Für die Lokalisation des Sehcentrums ist diese Beobachtung
von w'enig Belang. Zwar fand sich bei der Sektion eine auf
die mediale Fläche des üccipito-temporallappens beschränkte
Malacie, welche makroskopisch an keinem Punkte in die Seh-
.strahlung eindrang, wenn sie auch in der Nähe der Occipital-
spitze (Schnitt etwa 2 cm., Taf IV. Fig. 4 — 5.) die dorsale
und ventrale Spitze der Seh.strahlung abschnitt, aber ausser-
dem fand sich am lateralen Rande des äusseren Kniehöckers
eine eher mikro- als makroskopische Malacie, welche ohne
Zweifel eine Anzahl der occipitalen Sehfasern durchschnitten
hatte. Wenn eine mikroskopische Untersuchung nicht vor-
genommen worden wäre, so hätte man diesen Fall ohne
Zweifel leicht als beweisend für eine Lokalisation der He-
mianopsie in die mediale Fläche des Occipitallappens ange-
führt. Der Fall giebt also einen neuen Beleg ab, wie wich-
tig die mikroskopische Untersuchung ist.
Das gleichzeitige Auftreten einer Läsion in oder in der
Nähe des äusseren Kniehöckers und der inneren Fläche des
Occipitallappens wird leicht dadurch erklärt, dass die Arterien
des Kniehöckers von der Arteria cerebri posterior sich ab-
zweigen. Die von mir in diesem Werke mitgeteilte Kasuistik
zeigt wie oft eine Läsion an diesen zwei Stellen gleichzeitig
auftreten kann und bei jeder Beobachtung einer ausgedehn-
teren Malacie der Innenfläche des Occipito-temporallappens
muss man deshalb auf eine gleichzeitige Malacie des äusseren
Kniehöckers gefasst sein.
Die herabgesetzte Sehkraft des Pat. wurde wahrschein-
lich durch das Entstehen der Hemianopsie hervorgerufen.
Dadurch erklärt sich auch genügend der Umstand, dass die
Sehkraft des linken Auges bedeutend schwächer war als die
des rechten, indem das zurückgebliebene Gesichtsfeld bei
jenem Auge kleiner war als bei diesem.
HeinianopiscJie Reaktion. Durch die systematische Un-
tersuchung, ob eine hemianopische Reaktion vorliegt oder
nicht, dürfte die Frage nach dem Verlaufe der optisch-reflek-
torischen Bahn ein.st entschieden werden. Aber man muss
nicht vergessen, dass diese Untersuchung oft mis.slich ist.
Mehrmals habe ich dabei keine Gewissheit erlangt und
nicht selten ergab eine wiederholte Untersuchung ein ent-
gegengesetztes Resultat. Unter solchen Umständen muss das
Ergebnis in einem Falle wie dieser nur mit einer gewissen
Reserve aufgenommen werden. Der elende Zustand des Pat.
und die Schwierigkeit wiederholt die Pupillenreaktion zu
prüfen, dürfte dies erklären.
Unter der Voraussetzung, dass in diesem Falle eine
hemianopische Reaktion nicht vorhanden war, lässt sich Fol-
gendes ermitteln. Die Frage ist, wie können die Pupillen-
fasern vom Tractus opticus zum Iris-Kern gelangen. Wie
ich unten in einer besonderen Abhandlung nachzuweisen
beabsichtige, verlaufen die Pupillenreflexfasern nicht wie
Bechterew annimmt unmittelbar vom Chiasma in das Grau
des dritten Ventrikels, sondern folgen eine Strecke lang dem
Tractus opticus. Wo sie hier medialwärts abweichen, ist noch
nicht festgestellt. Aller Wahrscheinlichkeit nach weichen die
Fasern in der Nähe des Kniehöckers, wie Darkschewitsch
annimmt, von der Sehbahn ab.
Im vorliegenden Falle war der Tractus opticus unver-
sehrt und der Weg nach dem Kniehöcker völlig frei, aber
unmittelbar nach au.ssen und nach hinten (Taf IV. Fig. 2.
mal; Taf. V. Fig. 2 — 5.) war der Weg abgeschnitten. Es
lässt sich deshalb kaum denken, dass die Fasern ihren Weg
über die Wölbung des Pulvinars, resp. Thalamus-Oberfläche,
genommen haben.
Wenn man die Fig. 5. Taf. V. betrachtet, so wird man
leicht die Uberzeugung gewinnen, dass die Tractusfasern,
welche eventuell den Pes passiren, an seiner Innenseite durch
den malacischen Herd notwendigerweise abgeschnitten wer-
den müssen.
Wenn sie in den vorderen Abschnitt der Capsula in-
terna eintreten und dann nach oben verlaufen, so könnten
sie dagegen dann höher oben die Mittellinie erreichen, aber
keine klinische Beobachtung giebt eine Andeutung, dass hier
die Pupillenfasern verlaufen.
Vom hinteren Abschnitt der Kapsel können sie infolge
der hier befindlichen grossen Malacie ihren Weg nach der
Mittellinie nicht finden.
Ebenso wenig dürften sie durch das Pulvinar gehen, da
sie auch hier notwendigerweise durchschnitten werden müssten.
In Anbetracht dieser Umstände dürfte der fast einzige
offene Weg an der unteren Fläche des Thalamus sein. Hier
caudal von der inneren Kapsel und zwischen dieser und dem
äusseren Kniehöcker findet man in der That verschiedene
Tractus-Bündel, welche nicht in das Ganglion geniculatum
externum eintreten. Die ventralsten von diesen Fasern,
welche der medialen Wurzel des Tractus entsprechen, ver-
laufen dann, teils an der Oberfläche, teils auch im Inneren
des inneren Kniehöckers und erreichen sodann die Corpora
4 gemina, ohne in diesem Falle ein Hindernis auf ihrem Wege
gefunden zu haben, wie die Fig. 4 — 5. der Tafel V. auch
zeigen.
Die mikroskopische Untersuchung zeigt nun, dass auf
dem bezeichneten Wege Bündel mit normalen Fasern anzu-
treffen sind. Und da verschiedene Forscher angenommen
haben, dass die radiären Fasern im Colliculus anterior den
optischen Reiz nach dem Oculomotorius resp. Iris-Kern hin-
führen, so ist auch von Interesse, dass auch diese hier in
ansehnlicher Anzahl vorhanden waren und ihre normale Be-
schaffenheit beibehalten hatten.
Einen positiven Beweis, dass die Opticusreflexfasern
wirklich in der beschriebenen Weise verlaufen liefert zwar
der P'all nicht und ich will hier besonders betonen, dass
die oben stehende Auseinandersetzung nur unter der Voraus-
NEUE FÄLLE DIE LEHRE VON DER SEHBAHN UND DEM SEHCENTRUM BETREFFEND 33
setzAing richtig ist, dass wirklich in diesem Falle eine he-
mianopische Reaktion vorhanden war.
Ob nun die radiären Fasern des Colliculus anterior wirk-
lich den Reflex vermitteln, muss bis auf weiteres als eine
noch offene Frage betrachtet werden.
In einigen früher beschriebenen Fällen (N:o i und 4
Teil I.) habe ich bei Opticusatrophie gefunden, dass die
Kapselfasern des inneren Kniehöckers zum Teil atrophiren,
dass aber die radiären Fasern im Colliculus anterior selbst
bei vieljähriger Opticusatrophie wenigstens zum grossen Teil
bestehen bleiben. Anderseits scheinen die radiären Fasern
wahrscheinlich nicht in direktem Zusammenhang mit den Op-
ticusreflexfasern zu stehen. Ein neues Ncvron beginnt des-
halb wahrscheinlich im Colliculus anterior.
Auf die Ansicht von Darkschewitsch, dass die Opticus-
reflexbahn durch das Ganglion habenulse, die hintere Com-
missur und den oberen Oculomotoriuskern verläuft, gehe ich
hier nicht weiter ein, besonders da dieser Kern vielleicht mit
dem Oculomotorius nicht zusammenhängt (Kölliker). Die
Frage nach der Reflexbahn für die Opticusfasern wird unten
in Zusammenhange mit der Frage nach der hemianopischen
Reaktion näher behandelt.
Hallitciiiationen. Fat. scheint eine Hallucination gehabt
zu haben. Er war unruhig und warf den Kopf hin und her
um ein rotes Band am unteren Teil der Stirn los zu werden.
So scheint also die Hallucination etwas nach oben projicirt
worden zu sein ; ob aber nach links oder rechts ist ungewiss.
Wenn die Hallucination wirklich eine nach oben gerich-
tete war — was jedenfalls kaum als festgestellt angesehen
werden dürfte — so ist es bemerkenswert, dass die Läsion
der medialen Occipitalfläche etwas mehr nach der ventralen
als der dorsalen Fläche hin ausgedehnt war, was vielleicht
mit den Experimenten von Münk und Schäfer u. a. über die
Wirkung des elektrischen Stroms oei Applikation auf die
Occipitalrinde in Zusammenhang gebracht werden kann.
Das Auftreten solcher Hallucinationen bei Zerstörung der
medialen Occipitalrinde bezw. des Sehcentrums dürfte wohl
durch den Reiz des malacischen Herdes auf die frische laterale
oder ventrale Rinde verursacht sein. Und da nun die Rinde
des Sehcentrums zerstört war, spricht die Beobachtung für
die von mir schon gegebene Deutung, dass die Gesichtshal-
lucinationen bezw. Vorstellungen nicht im Gesichtscentrum
entstehen, sondern in der lateralen resp. ventralen Rinde.
Ähnliche mit Hallucinationen verbundene Hemianopsien sind
schon mehrmals von Wilbrand und mir (Fälle 21, 22, 28,
3O' 35» 36, 45, Teil I und II) und später von Seguin, Fr.
Peterson in New York u. A. beobachtet worden.
III. IV. VI. Unmittelbar nach dem Anfalle am 92
blieb Fat. mit. geschlossenen Augen liegen. Am folgenden Tag
öffnete er beim Anreden das linke Augenlid und richtete
dann das Auge gegen den Sprechenden; das rechte Augenlid
war herabgefallen und Fat. konnte es nicht erheben. Ob die
Augen nach irgend welcher Richtung abgelenkt waren, konnte
daher nicht beobachtet werden. Dagegen nahm man wahr,
dass Fat. das linke Auge nach allen Seiten hin ohne Schwie-
rigkeit bewegen konnte. Erst, nach etwa drei Wochen, konnte
S. E. Hen sehen. Pathologie des Gehiiits.
Fat. das rechte Augenlid aufschlagen, aber dieses gelang nur
zur Hälfte.
Bei der Aufnahme im Krankenhause am ^-/2 92 schien
eine gelinde Deviation conjuguee nach rechts vorhanden ge-
wesen zu sein, aber bei der Untersuchung am 19. s. M. konnte
keine Abweichung betreffs der Augenbewegung mehr wahr-
genommen werden. Jedoch muss bemerkt werden, dass Fat.
das rechte Augenlid halbgesenkt hielt und es nicht mehr als
bis zur Hälfte heben konnte, und das die Augenbewegungen
deshalb nur wenige Mal untersucht worden sind. Dabei wurde,
wie gesagt, kein Strabismus wahrgenonmien.
Hieraus erfolgt, dass keine auffallendere Form einer
Augenablenkung vorhanden war, dagegen eine ausgesprochene
Parese des rccJiten Levaior palpebi-a; siiperioris.
Bei der ausgedehnten Malacie der Gehirnoberfläche und
der Centralganglien sowie auch der kleinen Malacie im Be-
reiche der Augennervenkerne lässt sich nicht mit Sicherheit
eruiren, wo die Ursache der konjugirten Augenablenkung zu
lokalisiren sei.
Einerseits lässt sich denken, dass die Malacie der media-
len Occipitalrinde die Aussenfläche des Occipitallappens ge-
reizt hatte und dadurch wie bei den Munk'schen und Schä-
fer'schen Experimenten eine Augenablenkung hervorgerufen
worden sei. Dann finden wir am lateralen Rande des äusse-
ren Kniehöckers eine beschränkte Malacie, welche reflektorisch
gewirkt haben könnte, weiter liegen die kleineren und grös-
seren Malacien im Thalamus in der unmittelbaren Nähe der
optisch reflektorischen Fasern, endlich liegt eine kleine Ma-
lacie in der Nähe der Kerne der Augennerven und dehnt sich
im Bereiche der peripherischen Augennerven aus.
Unter solchen Umständen wird jeder Versuch Schlüsse
aus dem Falle betreft's der Lage des Herds, welcher die
konjugirte Deviation hervorgerufen haben möchte, misslich
und unsicher sein. Jedenfalls war die Deviation eine transi-
torische und beweist, dass die Innervation der Augen eine
bilaterale war. Und sowohl das bilaterale Auftreten wie
Verschwinden der Deviation spricht dafür.
Wichtiger scheint mir der Umstand, dass einerseits
kein ausgesprochener Strabismus, anderseits eine ausgeprägte
Parese des rechten Augenlidhebers vorhanden war. Nun
wurde bei der sorgfältigen mikroskopischen Untersuchung der
Centralganglien in Serienschnitten eine damit in Zusammen-
hang stehende kleine Malacie entdeckt. Wie aus der Taf. V.
Fig. 4, 5 zu ersehen ist, liegt sie 0,5 — i m.m. lateral von
der Mittellinie des Centralkanales. Diese Malacie dringt von
unten nach oben vor und erstreckt sich auch an einer sehr
beschränkten Stelle etwa i — 1,5 m.m. in das centrale Grau
nach dem Aquädukt hin. Sie kann hinsichtlich ihrer Aus-
dehnung von vorn nach hinten genau umgegrenzt werden,
in dem sie den Trochleariskcrn zum grössten Teil zerstört
hat, und eine Ausdehnung in sagittaler Richtung von etwa
0,75 — I m.m. hat, in dem sie etwa 25 dünne Schnitte umfa.sst.
Man kann nun infolge der deutlichen Degeneration des
Trochleaiis den Verlauf dieses Nerven sehr praecise bis zu
seinem Austritt aus der INIedulla verfolgen. Wenn man die
beiden Nerven hier durchmustert, so findet man in dem
degenerirten Nerven keine einzige normale Nervenfaser und
5
34
S. E. HENSCHEN. PATHOLOGIE DES GEHIRNS
in dem normalen keine einzige degenerirte. Einen schlagen-
deren Beweis für den schon durch Gudden bewiesenen Satz,
dass die Kreuzung des Trochlearis eine totale sei, lässt sich
kaum denken; und die Beweiskraft dieses Falles übertrifft
also fast die der Gudden'schen Experimente. Keine einzige
Faser tritt also vom rechten Trochleariskern in den von dem
linken Kern ausgehenden Nerven ein. Dadurch ist jedoch
nicht bewiesen, dass nicht möglicherweise Fasern vom rechten
Trochlearis heraus in den linken Kern als selbständige Nev-
ronen übertreten und dort mit den Zellen in physiologischer
Verbindung stehen.
Die Malacie mi,sst in frontaler Richtung nur etwa 0,5
m.m., ihre mediale Begrenzung liegt hinten etwa i m.m.,
vorne nur etwa 0,5 m.m. von der Mittellinie entfernt.
Wir haben also hier eine minimale Läsion vor uns und
im Zusammenhang mit ihr eine deutliche Funktionsstörung,
eine Parese des rechten Augenlidhebers. Die Sache scheint
also im ersten Augenblicke sehr einfach zu sein, nämlich
dass der Kern des Augenlidhebers in unmittelbarer Nähe des
Trochleariskerns liegen muss. Indessen ergiebt sich aus einer
genaueren Untersuchung bald, dass so einfache Verhältnisse
nicht vorhanden sind.
Zuerst will ich das Verhalten des Trochleariskerns näher
beleuchten. Die Lage des durch die Malacie zerstörten Kerns
ist genau die der von Siemerling auf Taf. X Fig. I und
I a mit ß bezeichneten Zellengruppe, und nicht die der
mit »Trochl. Kern» (Trochlearis Kerns) bezeichneten. Die
in meinem Falle zerstörte Gruppe liegt also zwischen den
Bündeln des Fasciculus longitudinalis. Die wenigen erhalten
gebliebenen Zellen sind recht gross. Die Gruppe ist zwar
zum grössten Teil durch die Malacie zerstört, aber die hin-
tersten Zellen sind noch vorhanden. Hier markirt sich die
Gruppe am besten durch die Degeneration der von der Gruppe
ausgehenden Trochlearisfasern. In diesen sind nämlich die
Markscheiden in grosse schwarze Klumpen zerfallen, aber da
eine Resorption noch nicht stattgefunden hat, so heben sich
die Fasern nun sehr schön und scharf ab.
Man dürfte darum zur Frage berechtigt sein, warum ein
Strabismus des linken Auges nicht gefunden wurde, obschon
der zugehörige Trochlearisnerv und sein Kern vollständig
degenerirt waren. Leider kann ich darauf keine Antwort ge-
ben, aber wahrscheinlich war eine Parese vorhanden, wurde
aber nicht bemerkt, was w'ohl in dem elenden Zustand des
Pat. seine Erklärung findet.
Viel schwieriger ist die Frage zu lösen, in welchem Zu-
sammenhang steht die Parese des rechten Augenlidhebers zu
der kleinen Malacie, oder an welcher Stelle sind die Fasern
des Augenlidhebers alterirt. Diese Frage mit Sicherheit zu
beantw'orten wird sehr schwierig sein.
Die Malacie dringt von hinten und von unten-aussen
gegen die Mittellinie zwischen den Fasern des Fasciculus longi-
tudinalis ein; hier an dem proximalsten und dorsalsten Punkte
der Malacie hat sie den Trochleariskern erreicht und dringt
hier in das Aquäductus-Grau etwa i — 1,5 m.m. ein (Fig. 4).
Der unmittelbare Eindruck bei der Durchmusterung der
Schnitte war also, dass die Malacie hier in der Nähe des
Trochleariskerns den Kern des Levator getroften hatte. Und
in Anbetracht der kleinen Ausdehnung der Läsion (0,5 — i
m.m. breit, 0,75 — i m.m. in sagittaler Richtung) wäre dann
zum ersten Male die Lage des Levatorkerns ziemlich exakt
bestimmt. Aber nach untcn hinten dringt die halbmondför-
mige Malacie des Pes (Taf V Fig. 4 — 6) medialwärts und
erreicht in der Mittellinie einen Punkt unmittelbar hinter dem
Austritt des Oculomotorius. Auch etwas dorsal vom Aus-
tritte des Nervenstammes ist das Gewebe malacisch.
Eine genaue Durchmusterung der Präparate hat mich
überzeugt, dass die mehr centralen Abschnitte des Nervus
Oculomotorius intakt sind. Dagegen enthalten die hintersten
(caudalsten) Bündel degenerirte Fasern. Demnach entsteht die
P>age, woher stammen diese Fasern. Da kein ausgeprägter
Strabismus wahrgenommen wurde, wohl aber eine Levator-
Parese, so dürften wohl die degenerirten Fasern dem Levator
angehören. Weiter ist zu bemerken, dass die Degeneration
nur eine beschränkte ist und dass diese nur die hinteren Bün-
del betraf. Da nun auch die Malacie im Aquäduktus-Grau
im hintersten Bereiche des ventralen Oculomotoriu.s-Herdes
liegt, so ist wohl der Schluss einigermassen berechtigt, dass
der Kern des Levators caudal in dem Bereiche der Kerne des
Oculomotorius liegt.
Nun sollen nach Hensen und Völckers die Kerne des
Obliquus inferior und Rectus inferior am caudalsten liegen,
dann erst käme der Levatorkern. Nach Kahler und Pick
soll der Levatorkern caudal-lateral liegen, nach Starr lateral
mehr nach vorne, und Leube fand bei einem kleinen apoplek-
tischen Herd im dorsalen lateralen Teile des Oculomotorius-
Kerns eine Levatorparese und Erweiterung der gleichseitigen
Pupille. Diese Angaben scheinen mit dem Resultate in
diesem Falle kaum vereinbar. Besser stimmt die Lage mit
der von Siemerling in seiner grossen Abhandlung über die
Oculomotoriuskerne als Kern des Levator beschriebene Zel-
lengruppe. Nach Siemerling sollen wir die Zellen »für die
Heber der Augenlider im hinteren lateralen Abschnitt der
Oculomotorius-Kerngruppe zu suchen haben». Diese Zellen-
gruppe bildet ein Zwischenglied zwischen dem Trochlearis-
kern und dem eigentlichen Oculomotoriuskern und verhielt
sich in den von Siemerling beschriebenen Fällen in derselben
Weise wie der Oculomotorius- und der Trochleariskern. Wo
Ptosis vorhanden war, da war auch dieser Kern degenerirt,
wo aber keine Ptosis auftrat, da waren auch diese Zellen
normal. Hierauf gestützt schloss Siemerling, wie es scheint
aus guten Gründen, dass dieser Kern als zum Oculomotorius
gehörig das Centrum für den Levator Palpebrae bildet, eine
Annahme welche sich nicht mit der bisherigen deckt, nach
welcher der Kern des Levator weiter nach vorn lateralwärts
gelegen wäre. Das Zusammentreffen der Symptome mit dem
Resultat der pathologisch-anatomischen Forschung war aber
ein konstantes. Siemerling diskutirt dann die Möglichkeit
der Zusammengehörigheit des erwähnten Kernes mit dem
Augenfacialis.
Was nun diese Möglichkeit anbelangt, so waren im vor-
liegenden Falle zwar die von dem Augenfacialis innervirten
Orbicularismuskeln beim Schliessen links etwas schwächer
als rechts, aber wie ich schon in den ersten Teilen meiner
Arbeit mehrmals im Gegensatz mit den geläufigen Ansichten
NEUE FÄLLE DIE LEHRE VON DER SEHBAHN UND DEM SEHCENTRUM BETREFFEND
35
betont habe, ist dies bei Hemiplegien in der Regel der Fall,
obschon es bisher nur selten bemerkt worden war.
In einer Arbeit späteren Datums * ist nun Siemerling
aus wie es mir scheint wenig stichhaltigen Gründen zu ganz
anderen Resultaten gekommen. Er sagt nämlich in Zusam-
menhang mit der Untersuchung eines Falles von kongenitaler
Ptosis: »der von mir früher als zum Levator gehörig bezeich-
nete ventrale beginnende Oculomotoriuskern steht mit der
Funktion dieses Muskels nach dem vorliegenden Befund kaum
in Beziehung.»
Ohne weiter auf diese noch offene Frage einzuge-
hen, kann man aus dem vorliegenden Falle schliessen, dass
der Levator wahrscheinlich aus Zellen in der unmittelbaren
Nähe des Trochleariskerns, und also aus den caudaleten Oculo-
motoriuskernzellen innervirt wird und dass seine Fasern zu
den caudalsten des Oculomotorius gehören.
Dagegen muss ich betonen, dass dieser Fall keineswegs
entscheidend ist, da die unregelmässige Ausdehnung der Ma-
lacie nicht eine Verletzung der Oculomotoriusfasern an einem
anderen Punkte als hier erwähnt ist ausschliesst.
Beide Pupillen reagirten auf Lichtreiz, aber die rechte
war etwas kleiner als die linke. Dieser Befund steht dem
Leube'schen entgegen, welcher in seinem Falle eine Combi-
nation einer Erweiterung der rechten Pupille mit einer Parese
des gleichseitigen Levator fand.
Einen Schluss aus der unbedeutenden Veränderung in
der Grösse der Pupille zu ziehen, dürfte nicht erlaubt sein,
wohl aber weist die vorhandene Pupillenreaktion darauf hin,
dass die kleine Malacie weder dies Pupillencentrum noch die
austretenden Pupillenfasern getroffen haben kann.
V. Eine Anästhesie des Gesichts bei der Untersuchung
am ^/i2 soll nicht vorhanden gewesen sein. Dies ist beson-
ders auffallend, da der Arm und das Bein in so hohem Grade
anästhetisch waren. Selbst wenn man annimmt, dass die
linke Hälfte des Gesichts nicht ganz gefühllos war, so ver-
dient dieser Umstand Aufmerksamkeit und dürfte kaum an-
ders als durch die bilaterale Innervation des Gesichts erklärt
werden können. (Vergl. unten, unter Sensibilitätsstörungen.)
VII. Die Bewegungen des Gesichts waren beiderseits
gleich und eine Unregelmässigkeit nicht vorhanden. Nur bei
stärkerem Zusammenkneifen der Augen trat zu Tage, dass die
Bewegungen des linken Orbicularis auch etwas schwächer
waren. Es bewährt sich also die von mir mehrmals konstatirte
Regel, dass bei Hemiplegie auch die Augenmuskulatur (Or-
bicularis) teilnimmt, obschon nur wenig zufolge der bilate-
ralen Innervation. Eine gelinde Schwäche tritt in der Regel
erst bei excessiven Bewegungen auf. In diesem Falle war
überhaupt die Motilitätsstörung eine geringe im Verhältnis
zu der der Sensibilität.
VIII. Auffallend ist, dass das Gehör beiderseits gleich
gut war **, obschon hier die Masse des inneren Kniehöckers
zerstört war. In der Medulla oblongata vom Eintritt des
Nervus acusticus bis zum hinteren Colliculus Corp. 4-gemin.
* Archiv f. Psychiatrie. Bd XXIII S. 770 u. folg.
'* Der geringe Unterschied links Gehör auf 35 m.m., rechts erst auf 30
!li.iTi;s Abstand liegt innerhalb der Fehlgrenzen.
war die Gehörbahn intakt. Soweit ich ersehen kann, ist es
auch wahrscheinlich, dass die oberflächlichen Fasern des
Corpus geniculatum internum intakt waren und dass also
auch Di'öglicherzueise die sogenannten »direkten Rindernfasern»,
welche einige Forscher annehmen, eine bis zum Temporal-
lappen freie Bahn vorfanden. Dagegen war die anatomische
Beschaffenheit des inneren Kniehöckers und des hinteren
Drittels der Capsula interna derart verändert, dass die Gehör-
fasern das Innere des Corpus geniculatum internum oder das
hintere Drittel der Capsula interna kaum intakt passiren könn-
ten. Ein Blick auf die Fig. 3 — 5 Taf V zeigt sogleich,
dass der Weg hier durch die ausgedehnte Malacie versperrt
worden ist. Zum Teil kann man möglicherweise das Ver-
halten des Gehörs mit der bilateralen Innervation der Gehör-
bahn, welche nunmehr durch die interessanten Held'schen
Beobachtungen nachgewiesen ist, begründen.
IX. Der Geschmacksinn war beiderseits gleich gut,
obschon der hintere Teil der inneren Kapsel beschädigt war
(s. unten). Dies spricht gegen die Annahme eines »Carre-
four sensitif», falls sich hier nicht die bilaterale Innervation
geltend gemacht hat.
XII. Eine Abweichung der Zunge oder Parese ihrer
linken Hälfte war nicht vorhanden. Auch war der motorische
Abschnitt der inneren Kapsel und die Pyramidenbahn fast in-
takt. Dagegen muss bemerkt werden, dass die halbmond-
förmige Malacie am fronto-medialen Rande des Pes die Pes-
fasern berührt hat. Ob dadurch Hypoglossusfasern getroffen
wurden oder nicht, lässt sich nicht entscheiden.
Die Sensibilität
der Glieder und des Rumpfes war bedeutend vermindert.
Drucksinn: Pat. war links nicht völlig anästhetisch, son-
dern empfand stärkeren Druck. Am Bein war das Druck-
gefühl besser erhalten.
Der Schinerzsinn war am Arme fast vollständig ver-
schwunden, am Beine dagegen etwas besser erhalten.
Durch den faradischen Strom konnte weder am linken
Beine noch am linken Arme Schmerz Hervorgerufen werden.
Ebenso war dass Verhältnis an der Brust.
Der Temperatiirsinn: Sowohl warme als kalte Gegen-
stände wurden vom Pat. als kalt empfunden.
Die Prüfung des Ortsinns ergab keine genauen Resultate.
Kurzum, es waren also alle Sensibilitätsqualitäten be-
deutend herabgesetzt, der Schmerzsinn selbst fast vollständig
verschwunden und der Temperatursinn abnorm. Im Ganzen
bestätigt sich also die von mir schon oft konstatirte Regel,
dass die Störungen der Sensibilitätsqualitäten einander parallel
verlaufen.
Was die Ursache der Störungen betrifft, so kann man
zunächst bemerken, dass. keine anatomische Veränderung in
der Medulla oblongata oder in der Rinde vorhanden war,
welche die Störung hätte erklären können. In der sensiblen
Bahn waren grössere Veränderungen vorhanden.
l) Eine kleine streifenförmige Malacie zieht sich durch
die Schleife occipital vom hinteren Colliculus inferior hin. Diese
scheint eine nur geringe Anzahl von Fasern getroften zu ha-
36
S. E. RENSCHEN. PATHOLOGIE DES GEHIRNS
ben. Da Fasern hier nicht quer von derselben durchtrennt
worden sind, so dürfte die Läsion in der That nur als eine
unbeträchtliche angesehen werden.
2) Im Thalamus zwischen dem Nucleus ruber und dem
hinteren Abschnitte der inneren Kapsel (Taf. V, Flg. l — 3).
Wir sehen hier, dass das Bündel, welches in die Kapsel ein-
strahlt zum grossen Teil durchschnitten ist und zwar beson-
ders im ventralen Abschnitt des Sehhügels. An mehr dor-
salen Schnitten wird zwar die Malacie (Fig. V Taf. i — 2)
etwas kleiner, aber erst in den dorsalsten wird die Einstrahlung
der Fasern vom Thalamus nur an einer beschränkten Stelle
beeinträchtigt.
Die Bahn von der Schleife bis zum Globus pallidus, ist
sonst an keinem Punkte unterbrochen. Die Gegend zwischen
dem Nucleus ruber und dem Luy'schen Körper ist nicht von
einer Malacie betroffen; dieser Körper selbst ist nicht lädirt
und zahlreiche frische Fasern vermitteln durch die Capsula
interna die Verbindung mit dem Globus pallidus.
Der Globus pallidus ist im Ganzen unversehrt, wenn auch
der occipitale Abschnitt der Laminje eine Anzahl von degene-
rirten Fasern zeigt, eine Veränderung, welche occipitalwärts
zunimmt und besonders im occipitalen Teile des Putamens
hervortritt.
In Anbetracht des Umstandes, dass die Malacie beson-
ders die von der Schleife nach dem hinteren Drittel der
Kapsel verlaufenden Fasern unterbrochen hat, so scheint die-
ser Fall die Annahme, dass die sensiblen Fasern hier verlau-
fen, zu bestätigen. Es lässt sich aber denken, dass diese
Fasern teils da, wo die kleine Malacie die Schleife durch-
setzt, teils auch da wo die Malacie die Gegend der Substantia
nigra einnimmt, hochgradig beeinträchtigt sind und dass die
Läsion hauptsächlich dort hin verlegt werden muss.
Der Fall lässt sich also auf verschiedener Weise deuten,
wenn auch die erste Deutung am wahrscheinlichsten ist.
Auf diesem Wege scheinen die sensiblen Fasern nun
vollständig durchtrennt worden zu sein. Aus der Fig. 3
Taf. V ersieht man, dass die Haubenstrahlung doch nicht
ganz zerstört war, wenn auch die Masse der Fasern zu Grunde
gegangen ist.
Auffallend bleibt, dass der Miiskelsinn am besten erhal-
ten war. Pat. kannte die Lage seiner Extremitäten, was wohl
dadurch zu erklären ist, dass die verschiedenen Sensibilitäts-
qualitäten nicht vollständig verloren gegangen waren.
Die Motilität
ist zwar bedeutend herabgesetzt, aber im Vergleich mit den
Sensibilitätsstörungen sind diejenigen der Motilität nicht so
hervortretend, wie es gewöhnlich der Fall ist. Überhaupt
konnte Pat. die verschiedensten Bewegungen ausführen, wenn
auch in geringerem Umfange und nicht so kräftig als im
normalen Zustande.
In Übereinstimmung hiermit wurde die Bahn an keinem
Punkte unterbrochen gefunden. Im Pes liegt jedoch eine
grosse Malacie in der unmittelbaren Nähe (frontomedial) des
motorischen Abschnittes. Auch ist die Pyramidenbahn weder
eingeengt noch degenerirt.
Fall 3. Anders Ersson.
Bauer: 66 Jahre.
Tafel VI. VII.
Klinische Diagonse: Hemiplegla dextpa e. Aphasla,
Krankeng eschichte.
Folgende anamnestische Angaben sind von den Verwandten
des Patienten gemacht worden.
Eine hereditäre nervöse Belastung soll sich in der Familie
nicht vorfinden. Pat. soll nie vorher krank gewesen sein. Alko-
hol hat er wohl zu sich genommen, jedoch nicht im Übermass.
Er hatte nie Lues. Er hat immer das fleissige Leben eines
Landmannes geführt. Seinem Wesen nach war er verschlossen
und zurückhaltend, ohne jedoch gerade grüblerisch zu sein. Sein
Bildungsgrad war im Verhältnis zu seinem Beruf ein sehr guter.
Er liebte es sehr Zeitungen zu lesen und fertigte selbständig
die schriftlichen Arbeiten für sein Geschäft.
Als Ursache der Krankheit des Patienten werden ckono-
mische Schwierigkeiten angegeben. Seit ungefähr einem Jahre
erschien er grüblerisch und hatte sich von seiner Umgebung iso-
lirt. Während des letzten halben Jahres oder von Johanni ab
gab er oftmals an, dass er das Gcfii/il habe als ob ihm ehvas
durch das rechte Bein, die rechte Seite und den rechten Arm bis
in den Kopf hinauf laufe. Diese Empfindung scheint von ziem-
lich kurzer Dauer gewesen zu sein; wie oft sie aber auftrat, —
Pat hol. anat. Diagnose: Gesehwulst in dep linken Hemisphäre.
wahrscheinlich täglich — kann jedoch mit Sicherheit nicht an-
gegeben werden. Oft klagte er auch über Kopfweh.
An Weihnachten wurde bemerkt, dass Pat. nicht mehr
lesen liwllte. Wenn er eine Zeitung nahm, warf er sie gleich
wieder weg. Ob diese Erscheinung darauf beruhte, dass sein Seh-
vermögen schlechter geworden war oder ob er das Gelesene
nicht mehr erfasste, bleibt unentschieden. Sprachfehler wurden
nicht bemerkt, auch schien er das gesprochene Wort richtig
aufzufassen.
Etwas später erzählte der Pat., dass er die Augen doppelt
sehe und auch später scheint er die Gegenstände doppelt gesehen
zu haben.
Alitte Januar zeigten sich Motilitätsstörungen. Der Gang
wurde schleppend, besonders rechterseits. Daneben wurde be-
merkt, dass der Pat. eine Tendenz zeigte nach rechts zu gehen.
Der rechte Arm wurde immer schwächer und es machte ihm
Schwierigkeit den Löffel zum Munde zu führen. Schon zur selben
Zeit (Mitte Januar) wurde bemerkt, dass er die Gegenstände nicht
benennen konnte. Es war nicht sicher, ob er das Gesprochene
noch verstand. Dass dies oft nicht der Fall war, ist gewiss. In
NEUE FÄLLE DIE LEHRE VON DER SEHBAHN UND DEM SEHCENTRUM BETREFFEND
37
seine Reden und Antworten mischte er eine Masse unzusam-
menhängender Worte ein, so dass seine Verwandten ihn nicht
mehr verstehen konnten.
Seit dieser Zeit verbUeb sein Zustand auf diesem Stand-
punkte und neue Symptome traten nicht hinzu. Er soll nie
gefallen sein und hatte keinerlei Zuckungen. Auch wurden keine
Hallucinationen beobachtet, und niemals wurde bemerkt, dass er
für sich selbst sprach. Er war immer ausser Bett. Nur einige
Tage im April war er bettlägerig und Hess dann den Harn unter
sich gehen, ohne es zu bemerken.
Am lo. April wurde der Pat. nach Upsala gebracht, um
ins Krankenhause aufgenommen zu werden. Auf eigenes Ver-
langen wurde der Wagen in der Stadt gelassen und Pat. wollte
zu Fuss zum Krankenhause gehen und zwar ohne Hülfe seines
Sohnes, der ihn begleitete. Aber auf dem Wege begann Pat. zu
schwanken. Er schien nach links sehen wollen, um da etwas
zu fassen, aber fiel nach rec/its um. Das Bewusstsein war niclit
verloren, es traten keine Zuckungen auf und Pat. konnte dann
selbst mit Unterstützung bis zum Krankenhaus gehen.
Am ID. April 1892 wurde er ins Krankenhaus aufge-
nommen.
Status praesens am 23. April 1892 und den folg. Tagen.
Allgemeiner Zustand.
Pat. ist kräftig gebaut, das Fettpolster ist gut entwickelt,
sowie auch die Muskulatur. Die Kräfte sind herabgesetzt. Der
Appetit gut, Stuhlgang träge. Der Schlaf scheint gut zu sein.
Der Puls regelmässig, die Frequenz 60. Die Temperatur afebril.
Subjektive Symptome.
Auf die Frage nach seinem Befinden antwortet er immer
»gut». Bisweilen führt er die Hand zum Kopfe und antwortet auf
die Anfrage, ob es da schmerze, »ja», aber er kann den Ä/^w^'/'z
nicht lokalisiren. Sonst klagt er über nichts.
Objektive Untersuchung.
Psychische Funktionen. Der Gesichtsausdruck ist schlaff
und gleichgültig. Der Blick abwesend. Die Auffassung und die
Beurteilung ist umnebelt. So z. B. kann er nicht lernen den
Spucknapf zu benutzen. Wenn er den Harn lassen will, fasst er
zwar das Nachtgeschirr, aber es scheint ihm unmöglich zu sein
zu entscheiden, ob er es richtig oder verkehrt hält. Oft lässt er
den Harn unter sich. Das Gedächtnis ist sehr lückenhaft so-
wohl betreffs Ereignisse älteren als neueren Datums. Er erkennt
mich, aber kann sich nicht erinnern, ob ich ihn schon an dem-
selben Tage besucht habe.
Bei dem ersten Besuche seiner Söhne gab er kein Zeichen,
dass er sie erkannt hatte, aber bei dem zweiten Besuche
war er sehr bewegt. Am 30. April und später erkannte er
seinen Sohn gar nicht. Die Stimmung ist gut, etwas wechselnd.
Wenn er bei klarerem Bewusstsein ist, bricht er leicht in Thrä-
nen aus. Oft ist er schwermütig, wenn er das beabsichtigte
Wort nicht hervorbringen kann.
Aphasie.
Worttaubheit. Wenn man den Pat. anredet, während er
die Augen geschlossen hat, giebt er gewöhnlich kein Zeichen, dass
er die Frage verstanden hat. Auf die Anfrage, wie er heisst,
murmelt er etwas unverständliches, nennt jedoch nicht seinen
Namen, bisweilen giebt er jedoch zur Antwort: »Anders». Wenn
dagegen der Pat. den Fragenden betrachtet, so versteht er wenig-
stens die gewöhnlichsten und einfachsten Fragen. So versteht
er z. B., wenn man sich nach seinem Namen, Wohnort, Alter,
Gesundheitszustand u. s. w. erkundigt. Auf Verlangen berührt
er das Kinn, die Nase, öffnet den Mund; dagegen sperrte er
den Mund auf, wenn man ihm die Augen zuzuschliessen be-
fiehlt. Längere Sätze versteht er nicht; so z. B. legte er das
Buch auf die Decke, wenn ich ihm befahl dasselbe auf den Tisch
zu legen.
Eine partielle Worttaubheit scheint also vorhanden zu sein.
Wortblindheit. Es wurden sowohl mit gedruckten wie mit
geschriebenen Buchstaben, Wörtern und Sätzen Versuche gemacht.
Das Resultat war verschieden, je nach dem mehr oder weniger
klaren Zustande des Pat. Gewöhnhch versteht der Pat. nicht
einmal einzelne Buchstaben, bisweilen kann er jedoch die Buch-
staben eines vorgelegten Wortes zählen, vermag aber nicht das
Wort zu finden. Seinen Namen »Ersson» vermag er nicht zu
lesen, ja nicht einmal die Buchstaben zu benennen. Im Worte
»Blunda» las er den ersten Buchstaben B als R, den zweiten als
i, den dritten dagegen richtig, die übrigen konnte er nicht lesen.
Das Wort »Se» (sehen) las er »C» und »e». Den Buchstaben
A kennt er immer, oft auch E und S. (Seine Initialen sind nach
der gewöhnlichen Schreibeart der schwedischen Bauern A. E. S.).
Wenn man mit seiner Hand die Konturen der Buchstaben
nach führt, so ist das Resultat kein besseres. Bisweilen sind die
Versuche besser ausgefallen. So z. B. konnte er einmal Björk-
linge und Ersson richtig lesen, aber nicht »Buch».
Die Versuche mit Ziffern sind überhaupt 7Ätm\\Q\\ gut gelun-
gen, und eigentümlicher Weise verstand er bisweilen die vier und
dreistelligen Zahlen besser als die einfachen Ziffern. So z. B.
konnte er folgende Zahlen richtig lesen und aussprechen, 1892,
375, 450, 17, dagegen las er folgende unrichtig nähmlich, 1675
als 1673, 136 als 13, 23 als 250, 36 als 13, 4 und 8 las er
richtig; andere einfache Ziffern dagegen wollte oder konnte er
nicht lesen.
Es scheint also eine fast vollständige Wortblindheit für
Worte zu bestehen, dagegen nur eine partielle für Ziffern.
Aphämie. Pat. liegt gewöhnlich ganz still und spricht nichts,
wenn man nicht Fragen an ihn richtet: »Ja» und »Nein» ge-
braucht er beim Antworten richtig. Wenn man ihn sonst etwas
fragt, wiederholt er beim Antworten gewöhnlich die Frage. So
z. B. auf die Frage: »Wie heissen Sie?» antwortet er »Sieheissen
Anders»; »Wo wohnen Sie?» »Sie wohnen in Björklinge». Manch-
mal aber schwatzt er ohne Zusammenhang. Das Alphabet kann
er auswendig hersagen, bisweilen aber nicht oime Fehler. Ebenso
kann er von i bis 20 richtig zählen. Selten spricht er spontan.
So z. B. wenn es ihm nicht gelingt eine Frage zu beantworten,
so ruft er aus: »Herr Gott» oder »es ist zu verkehrt!» Einmal
überraschte er mich durch die Aussage: »AVenn Sie schreiben,
dann geht's verflucht gut!»
Agraphie. Die Fähigkeit des Pat. zu schreiben ist sehr
unvollständig. AVenn man ihn bittet etwas zu schreiben, so
schreibt er gewöhnlich A. E. S. (seine Initialen) oder nur »A»,
wobei er auf die Frage, was es sei, gewöhnlich antwortet »An-
38
S. E. RENSCHEN. PATHOLOGIE DES GEHIRNS
ders» oder »es soll ein A. sein». Die Versuche ihn zu ver-
anlassen Buchstaben zu kopieren sind nie gelungen.
Seelenblindheit, Die Versuche über die Fähigkeit des Pat.
mit dem Gesichtssinne die Gegenstände zu erfassen sind verschie-
den ausgefallen und zwar je nach dem mehr oder weniger klaren
Zustande des Pat. Er schien nicht zu verstehen was ein ihm
gereichter Löffel vorstellen soll, bevor man ihm denselben in
den Mund geführt hatte. Ein ihm gereichtes Stückchen Kreide
wollter er essen, offenbar in der Meinung, dass es Zucker sei.
Mit einem Stückchen Zucker versuchte er auf Verlangen zu
schreiben, und auf die Frage: »was ist es?» antwortete er: »ich
weiss es nicht». Versuche mit Bleistift, Messer, Schlüsseln, Uhr
u. s. w. wurden angestellt, ohne dass der Pat. die Bedeutung
dieser Gegenstände zu erfassen schien. Die Resultate waren
nicht besser, wenn Pat. diese Gegenstände betastet oder ge-
schmeckt u. s. w. hatte.
Bei anderen Gelegenheiten fielen die Versuche bedeutend
besser aus und er fasste dann einen Ring, eine Uhr u. s. w.
richtig auf und beim Zeigen auf die Uhr antwortete er richtig
»8» (die Uhr stand auf 1/2 8).
Seelentaubhcit. Es ist unmöglich, durch Versuche zu kon-
statiren, ob Seelentaubheit besteht oder nicht. Doch hat man
bemerkt, dass Pat., welcher gewöhnliche Laute nicht wahrzu-
nehmen scheint, durch ungewöhnliche in Erregung versetzt wird,
und dann den Kopf nach der Seite, von wo der Laut sich hören
lässt, dreht.
Gefühlsinn. Auch dieser Sinn schien mangelhaft zu sein.
Wenn er ein Stückchen Kreide ergreifen sollte, war er damit
zufrieden, einen Finger zu fassen.
Kranialnerven.
I. Der Geruch wurde durch Spiritus, Kampferöl und Essig
geprüft. Er sagte, dass er bei Spiritus und Kampferöl keinen
Geruch verspüre, bisweilen gab er an sie riechen stark — näheres
konnte er darüber nicht aussagen und er schien demnach die
verschiedenen Gerüche nicht unterscheiden zu können.
II. Eine rechtsseitige Hemianopsie scheint zu bestehen.
Wenn er auf Verlangen den Untersuchenden fixirt, so sagt der
Pat., dass er die von rechts nach der Mittellinie hin geführten
Finger erst dann bemerkt, wenn sie die Mittellinie erreichen.
An der linken Seite bemerkt er sie lange vorher. Versuche mit
einem angezündeten Lichte fallen ebenso aus. Blinzelreflexe be-
stätigen das Resultat; fuhrt man die Hand von rechts gegen das
Auge blinzelt er nicht, wohl dagegen wenn sie von links heran
bewegt wird. Beim Ausfuhren der Holmgren'schen Probe, nahm
Pat. beim Vorzeigen eines hellgrünen Bündels ein grünes, blaues
oder violettes, aber er nahm immer hellroth richtig. Er konnte
keine Farbe benennen.
Bei der ophthalmoskopischen Untersuchung waren die Pu-
pillen deutlich begrenzt und die Venen nicht angeschwollen.
Also keine Stasispapille. (Vgl. die Verhältnisse unten.)
III. IV. VI. Die Augen waren meistens nach links ab-
gelenkt. Bisweilen bestand Strabismus. Er kann auch nicht im-
mer einen Gegenstand oder die dargereichte Hand richtig er-
greifen. Die Pupillen sind klein rund und gleich gross. Sie
reagiren nur träge auf Licht oder Accomodation. Keine deut-
liche hemianopische Pupillenreaktion. Die Pupillen reagiren gegen
Licht, von welcher Richtung es auch komme.
V. Der Trigeminus zeigt keine deutliche Störung.
VII. Eine Asymmetrie im Gesicht fällt gleich in die Augen.
Der rechte Mundwinkel hängt herab und ist etwas kürzer als der
linke; die rechte Nasolabialfalte ist weniger markirt als die linke.
Die rechte Lidspalte ist beim Senken des Auges etwas schmäler,
beim Heben des Auges dagegen breiter als die linke. Pat. macht
selbst auf Auffoderung keine mimischen Bewegungen mit Aus-
nahme, dass er oft gähnt, wobei die Schiefheit des Gesichtes
häufig deutlich hervortritt.
VIII. Keine Herabsetzung des Gehörs und kein Unter-
schied betreffs der beiden Seiten.
IX. Der Geschmack wurde mit Zucker, Kochsalz, China,
Essigsäure und Cognac geprüft. Zucker, Salz und Essigsäure
erklärte er für süss und verlangte davon mehr zu bekommen,
China war ihm unangenehm und Cognac schmeckte ihm »gut».
X. XI. Von diesen Nerven nichts Bemerkenwertes.
XII. Während der ersten Tage seines Aufenthaltes im
Krankenhause, tvich die Zunge beim Herausstrecken nach rechts
ab; später streckte er selbst auf Verlangen sie nicht mehr heraus.
Beim Aufsperren des Mundes scheint er vergebliche Anstrengungen
zu machen die Zunge herauszustrecken.
Sensibilität.
Eine genauere Untersuchung konnte nicht vorgenommen
werden. Jedoch haben die Versuche das Resultat ergeben, dass
eine Herabsetzung der Sensibilität der rechten Körperseite, des
rechten Armes und Beines vorhanden war.
Berührungsgefühl. Das Berühren init einem Papierstreifen
bemerkt Pat. links; rechts aber muss die Berührung stärker und
wiederholt gemacht werden um bemerkt zu werden.
Schmerzsinn. Versuche mit Björnströms x\]gesimeter haben
folgende Werte ergeben. Pat. markirt Schmerz: am linken Arm
bei IG, am rechten bei 10; am linken Bein bei 11, am rechten
Bein bei 12 oder mehr.
Temperatursinn. Pat. konnte keinen Unterschied zwischen
zwei Metallstückchen von resp. 40^ C. resp. Zimmerwärme (etwa
18° C.) angeben.
Orfssinn. Die Prüfung ergab kein Resultat.
Muskelsinn. Die Versuche führten zu keinem klaren Re-
sultate.
Motilität.
Die aktiven Bewegungen sind überhaupt nicht beschränkt,
obschon alle Bewegungen auf der rechten Seite schwächer als
auf der linken waren. Obschon der Pat. rechtshändig ist, ist
die rechte Hand bedeutend schwächer als die linke. Der gehobene
rechte Arm sinkt allmählich herunter.
Der Gang ist unsicher, beinahe schwankend. Die Füsse
werden nachgeschleppt und der rechte Fuss wird weniger als der
linke vorgesetzt. Er stützt sich auf die Gegenstände.
Tremor. Bisiveilen scheint der Pat. am rechten Arm und
Bein nur kurze Zeit zu zittern, bisweilen hat er klonische Zuck-
ungen beim Bewegen.
Die elektrische Reizbarkeit der Nerven und Muskeln,
NEUE FÄLLE DIE LEHRE VON DER SEHBAHN UND DEM SEHCENTRUM BETREFFEND
39
Die Prüfung ergab keine üegenerationsreaktion und über-
haupt keinen bestimmten Unterschied zwischen links und rechts.
Reflexe. Die Patellarreflexe sind am rechten Bein etwas
verstärkt. Kein Dorsalklonus. Die Plantarreflexe sind wenig
ausgesprochen.
Der Harn und die Faeces gehen normal ab. Später Hess
er Harn unter sich gehen.
Trophische tmd vasomotorische Störungen.
Decubitus findet sich am Kreuze, sonst keine deutlichen
Nutritionsstörungen. Leichte Cyanose an den Wangen und an
der Nase. Die Füsse und Unterschenkel sind kalt; aber sie
zeigen keinen Temperaturunterschied.
Vegetative Organe. Die Lungen zeigen normale Ver-
hältnisse.
Das Herz. Keine Bombirung oder Vergrösserung. Herz-
töne rein.
Die Ge/ässe sind etwas hart anzufühlen, jedoch nicht eigent-
lich sklerotisch.
Leber und Milz nicht vergrössert.
Der Ventrikel etwas gross.
Tagesaufzeichnungen, ^^/i. Pat. wurde während der letzten
Tage immer schlaffer und benommener. Er beantwortet keine
Frage mehr.
Erbrechen nach den Mahlzeiten.
^^ji. Bei der Visite lag Pat. schlaff mit halb geschlossenen
Augen, das Rechte war mehr geschlossen als das linke. Deut-
licher Strabismus.
^/s. Bei der klinischen Untersuchung und Demonstration
wurde folgendes bemerkt.
Nach Angabe des Sohnes soll Pat. schon im Okt. 1891
gedächtnisschwach geworden sein, aber noch in Dezemb. sah
man ihn Gedrucktes lesen. — Heute wirc bemerkt. Ein gewisser
Grad von Seelenblindheit scheint zu bestehen. Auch Seelen-
taubheit durfte vorliegen. Keine ausgesprochene motorische
Aphasie ist vorhanden, dagegen Paraphasie. Die Wort^ündheit
und die Worttaubheit sind nur partielle, ebenso die Agraphie.
Rechtsseitige Hemianopsie. Rechtsseitige Anästhesie und Parese.
Kein auffallendes Kopfweh. Erbrechen ist in der letzten Zeit auf-
getreten. Vergrösserung der Herzdämpfung.
*/.5. Der Zustand unverändert. Pat. beantwortet keine Frage.
^^/s. Ebenso. Blinzelreflexe ergeben eine rechtsseitige He-
mianopsie. (Wiederholte Versuche an verschiedenen Tagen.)
Pat. erkannte Personen die von rechts herankamen nicht gut
aber wenn sie von der linken Seite kamen.
'"/s. Apathisch. Pat. wurde heute plötzlich im rechten
Arm und Bein vollständig gelähmt, aber empfand noch Schmerz
bei stärkerem Kneifen. Pat. scheint auf dem rechten Auge ganz
blind zu sein. (Wiederholte Versuche.)
^^/s. Das Essen wird ihm nunmehr in den Mund gesteckt.
Er ist schlaff und abwesend, äussert niemals ein Wort oder macht
Zeichen zum Harnlassen. Defäkation durch Lavements. Neuer
Decubitus. Keine Stasispupille.
^^/s. Auf die Frage nach seinem Zustande antwortete er:
»ziemlich gut».
^^/ö. Schlaff. Er ist bedeutend abgemagert und die Wangen
sind eingesunken. Die Herzbewegung geschwächt. Der Puls klein
und schnell. Das rechte Auge blinzelt nicht einmal auf einen
Reiz der Conjunctiva. Die Pupillen reagiren nicht mehr auf
Licht von der rechten Seite, und nur schwach von der linken Seite.
■^"/ä. Heute etwas besser. Er will, kann aber nicht sprechen.
Vi;. Pat. starb heute.
Sektion.
Schädeldach recht dick, an der Innenseite etwas rauh.
Die Dura löst sich ohne Schwierigkeit vom Schädeldach.
Sie zeigt an der Innenseite nirgends eine Veränderung mit Aus-
nahme, dass sie gegenüber der Geschwülst ziemlich fest an der
Oberfläche derselben adhserirt. Die Dura adhserirt auch im
hinteren Teil an der Margo falcata.
Die Pia Mater ist überall stark injicirt. Es ist eine kleine
erbsengrosse Gesclnaulst am Chiasma und eine grosse im Tem-
porallappen vorhanden.
Die linke Liemisphäre zeigt stark abgeplattete Windungen,
die rechte weniger.
Die Ventrikel sind stark erweitert.
Die linke Hemisphäre (Taf. VI. VII)
ist auch nach der Härtung sehr gross und schwillt nach der
Herausnahme bedeutend. Die Windungen sind bedeutend ab-
geplattet, besonders in dem vorderen Teile.
Die Pia lässt sich überall leicht ablösen mit Ausnahme im
vorderen Teile des Temporallappens, im unteren Teile der Cen-
tralwindungen sowie am Fuss des F^ und über der Broca'schen
Gegend, wo die sehr verdickte Pia der Rinde dicht angelötet
ist. Die nähere Ausdehnung der Anlötung geht aus der Fig. i
hervor. Die Lippen der vorderen Hälfte der Fissura Sylvii sind
an einander verlötet.
Die Spitze des Temporallappens wird von einer diffusen
Geschwulst eingenommen, und hier kann die Pia überhaupt nicht
von der Geschwulstmasse losgetrennt werden. An der Oberfläche
der Geschwulst zeichnen sich die respektiven Windungen, die er-
ste und zweite Temporalwindung, undeutlich ab (s. Fig. i). Die
Geschwulst ist groblobirt mit diffusen Grei zen; sie misst in hori-
zontaler Richtung etwa 55 m.ni., in vertikaler 50 m.m., sie ist
an der Oberfläche lebhaft rot und höckerig, ihre Konsistenz
nicht fest.
Die mediale Fläche.
Die Windungen sind überall etwas abgeplattet. Die Cen-
tralganglien etwas geschwellt und mehr als normal hervortretend.
Das vordere Ende des Temporallappens — Uncus, T^ und T^ —
sind bedeutend vergrössert und drücken auf die nach oben lie-
genden Teile. Die Pia über diesen Teilen lässt sich leicht ablösen
und ist dünn. Der occipitale Teil wurde in frontale, der vor-
dere Teil sowohl in horizontale wie frontale Schnitte geschnitten.
Der occipitale Teil. An den Schnitten i, 2, 3, 4 und
5 c m. wurde an den Schnittflächen nichts pathologisches beob-
achtet.
Schnitt 6 cm. vor der Occipitalspitze. Die Rinde und
das Mark zeigt nichts Abnormes, mit Ausnahme, dass das ven-
trale Drittel der Sehstrahlung in einer Ausdehnung von etwa
I cm. in horizontal-frontaler, und 1 ^2 cm. in vertikaler
40 S. E. RENSCHEN. PATHOLOGIE DES GEHIRNS
Richtung erweicht ist. Die Erweichung erreicht nicht ganz das
Unterhorn, ihre Grenzen sind diffus; die Sehstrahhing selbst ist
hier vollständig erweicht, aber die der Wand des Unterhorns
zunächst liegende Markschicht war unvollständig erweicht.
Schnitt 7 cm. (Taf. VII. Fig. 2.) Der Schnitt ist normal mit
Ausnahme, dass das Mark in der unteren Hälfte der Sehstrahl-
ung in der Ausdehnung, wie Fig. zeigt, vollständig erweicht ist.
Diese Erweichung nimmt die ganze untere Hälfte der Sehstrahl-
ung ein und erstreckt sich bis zur Wand des Unterhorns; sie
misst in vertikaler Richtung etwa 33 m.m., in horizontaler 12 —
18 m.m. Alle nach dem äusseren Kniehöcker von dem Occipi-
talla])pen verlaufenden Fasern müssen dadurch unterbrochen wor-
den sein.
Der mittlere Teil.
Jlorizojitalschiiitte der vorderen Hälfte der Hemisphäre.
An den dorsalsten Schnitten wird keine makroskopische
Veränderung beobachtet. Erst an den Schnitten etwa 5 cm.
ventral von der Margo falcata trifft man die ersten Ausläufer
der grossen Erweichung, welche das Mark des Frontallappens
einnimmt. Hier in der Höhe der dorsalen Oberfläche des Caput
nuclei caudati hat die Erweichung die Frontalstrahlung bis zum
Frontalplane des Foramen Monroe durchgeschnitten. Weder die
Hauptmasse des Schweifenkerns noch die Rinde ist berührt.
Frontalschnitte.
Schnitt etwa S,;—p c.vi. vor der Occipitalspitze, welcher
unmittelbar vor dem Colliculus anterior Corp. 4-gem. fällt (Fig.
I. Taf. VII). Die Geschwulstmasse und die sie umgebende Er-
weichung nimmt das Mark des ganzen Temporallappens bis zur
Höhe der Fissura Sylvii ein. Sie lässt die Rinde überall intakt,
dringt aber überall fast bis zu ihr hervor (s. Fig. i). Nach oben
dringt sie mit einem Ausläufer in den hintersten Abschnitt des
Putamens ein und zwar bis zur Höhe der Thalamusoberfläche,
nach innen hat die Erweichung soweit makroskopisch zu sehen
ist die Capsula interna bis zur lateralen Fläche des äusseren
Kniehöckers eingenommen, hat dann die Sehstrahlung zerstört und
dringt zur Wand des Unterhorns vor. Im Ganzen misst die Er-
weichung in vertikaler Richtung etwa 6 cm., in longitudinaler
2 — 3 cm.
Schnitt etwa 8 c.7n. hinter der Frontalspitze Fig. 4. Taf. VI
unmittelbar nach hinten von dem Corpus mamillare. Die Ge-
schwulstmasse ist hier ziemlich rund (4- 5 cm.) nimmt das ganze
Mark des Temporallappens ein, ist aber überall von makroskopisch
anscheinend intakter Rinde umgeben, welche jedoch meistens
eine nur sehr dünne (etwa 2 — 4 m.m. dicke) Wand bildet. Nach
innen-oben ist die Capsula in Erweichung begriffen. Nach oben
erreicht die Erweichung die Höhe der Thalamusoberfläche, nach
aussen die Pesstrahlung.
Schnitt 6,; c.?n. nach hinten von der Frontalsspitze (Fig. 3).
Die Geschwulstmasse ist hier oval (Höhe 7 cm.. Breite 4 cm.),
nimmt das ganze Mark des T-lappens ein, hat die Rinde der
T^, T' und zum Teil T^ (in seinem untersten Abschnitte) total
zerstört, erreicht nach oben die Höhe des Balkens, nach innen
fast die lateralen Grenzen des Nucleus caudatus und die Aus-
strahlung der Capsula interna sowie die Rinde des Uncus.
Die Geschwulstmasse ist halbfluktuirend, äusserst reich an
Gefässen, porös-faserig mit gelatinösen Partien und zeigt nirgends
scharfe Konturen.
Der vorderste Teil.
Schnitt 5 cm. (Taf. VI Fig. 2) nach hinten von der Fron-
talspitze. Der Schnitt liegt etwa 12 m.m. nach hinten von der
Temporalspitze. Hier sieht man wie die lose und mit zahl-
reichen neugebildeten Gefässen durchzogene Geschwulst die
Hauptmasse des Temporalmarkes einnimmt und nach aussen
die Rinde der T\ T^ vollständig, die des T^ nur unvoll-
ständig infiltrirt, aber die mediale Fläche des Schnittes voll-
ständig frei lässt. — Nach oben (dorsalwärts) dringt die Geschwulst-
masse in den Frontallappen ein, ihr Mark fast vollständig bis zu
einer Höhe von etwa 3 cm. dorsalwärts von der Fissura Sylvii
infiltrirend oder erweichend, während die anscheinend intakte
laterale und mediale Rinde sie wie eine Schale umgiebt.
Die Fissura Sylvii ist durch die Geschwulst vollständig aus-
gefüllt und obliterirt.
Die rechte Hemisphäre.
Pia: an der medialen Seite des Frontallappens ist die Pia
stark gerötet und es finden sich verschiedene kleine punktför-
mige Hämorrhagien hier auch in der Rinde. Sie lässt sich über-
all von der Rinde leicht ablösen.
Rinde. Die Windungen sind überall normal. Malacien
oder Geschwülste sind nicht vorhanden.
Die Hirnhälfte wurde in verschiedene Stückchen geschnitten,
ohne dass irgendwo etwas pathologisches zu entdecken gewesen
war. Die Sehstrahlung wurde besonders untersucht und wurde
überall normal befunden.
Cent)-alganglien. Die der rechten Seite haben die gewöhn-
liche Form, Grösse und Konsistenz.
Dagegen sind die linksseitigen bedeutend angeschwollen und
dadurch vergrössert, obschon die mediale Fläche sonst ihre Form
erhalten hat. Hier zeichnen sich auch die resp. Hervorragungen
und Furchen in ziemHch normaler Weise ab. Vom Foramen
Monroe bis zum Ende des Pulvinars misst der Thalanus 45 m.m.,
rechts nur etwa 35 m.m. Links ist ausserdem zu bemerken:
Der Nucleus caudatus ist im Ganzen vergrössert und zwar
in allen Dimensionen. Die mediale Fläche sonst nicht verändert
und sowohl an horizontalen wie an vertikalen Schnitten ist das
Gewebe makroskopisch nicht verändert, obwohl die Grenze gegen
die Geschvvulstmasse verwischt ist.
Der Thalamus opticus ist an seiner medialen Fläche auch
nicht verändert, obschon er nach jeder Richtung nicht unbe-
deutend vergrössert ist. Wie weit die Geschwulstmasse gegen
die Medianlinie vordringt, ist schwierig zu bestimmen. Jeden-
falls ist im frontalen Abschnitte die mediale Wand bis zu einer
Dicke von 3 — 4 m.m. und im occipitalen bis zu einer Dicke von
etwa I cm. erhalten geblieben.
Das Pulvinar scheint links ein wenig eingefallen zu sein.
Die Konsistenz kaum verändert. 3 — 4 m.m. unter ihrer Ober-
fläche ist das Gewebe erweicht.
Der Linsenkern, ist von der Geschwulstmasse vollständig
zerstört worden, sowie auch die Capsula interna.
Die Corpora geniculata, iniernuni et externum, sind an-
scheinend normal.
NEUE FÄLLE DIE LEHRE VON DER SEHBAHN UND DEM SEHCENTRUM BETREFFEND
41
Die Corpora 4-gemtna scheinen auch normal zu sein.
Fes und Corpora mamillaria sind makroskopisch unverändert.
Kleinhirn ohne Veränderung, hinsichtlich der Form oder
Konsistenz. Beim Durchschneiden wurde das Mark normal be-
funden.
Medulla oblongata und Pons hatten die normale Form,
Konsistenz und übriges Aussehen.
Mikroskopisches.
Die linke Gehirnhemisphäre wurde für das Studium der
Zellen in die Cox'sche Flüssigkeit eingelegt und zwar in toto.
Leider drang die Flüssigkeit nur in die oberflächlichen Schnitten
ein, und das Gehirn war schon im Herbste 1892, wo ich erst
dasselbe in Arbeit nehmen konnte, für die Weigert'sche Färbung
nicht recht brauchbar. Deswegen werden die folgenden Mit-
teilungen etwas lückenhaft.
Corpus geniailaium externum. Das linke Ganglion ist von
zahlreichen Kernen infiltrirt. Die Zellen sowohl im linken wie im
rechten Ganglion sind ungefähr gleich zahlreich, haben beider-
seits scharfe Konturen, deudiche Kerne und die grossen Zellen
in der basalen Reihe haben beiderseits Ausläufer. Es scheint
jedoch als ob diese rechts deutlicher und zahlreicher seien und
die Zeilen daselbst etwas grösser, d. h. die Zellen seien links etwas
atrophisch. Die kleinen Zellen zeigen keine deutlichen Ver-
änderungen.
Die Metalimprägnation war beiderseits wenig gelungen,
weshalb ein Schluss hinsichtlich der Protoplasma-Ausläufer kaum
zulässig Ist.
Corpus 4-gemin. Colliadus anterior sinister. Die Zellen
scheinen nicht verändert zu sein, sind scharf konturirt, haben
deutliches Protoplasma und schöne Ausläufer.
Die Occipitallappen. Schnitte wurden von der Kinde der
Fissura calcarina, Cuneus, der lateralei. und der ventralen Rinde
gemacht.
Fissura calcarina. Weigerts Fräparate. Die Markstrahlen,
der Baillarger'schen Streifen und die tangentiale Schicht zeichnen
sich links und rechts mit anscheinend gleicher Stärke an den
Präparaten aus.
Die Imprägnationspräparate waren nicht gelungen genug
um Schlüsse zu erlauben.
An den Carminpräparaten von Schnitten i, 2 und 3 cm.
vor der Occipitalspitze waren überall die Kerne scharf und in-
tensiv gefärbt; das Protoplasma der Zellen dagegen schwächer,
aber jedoch deutlich und scharf. Die dreieckige Form der Zellen
tritt zwar beiderseits hervor, aber die Zellenkörper scheinen links
etwas kleiner und undeutlicher gefärbt als rechts zu sein. Ein
Unterschied links und rechts scheint also vorhanden zu sein und
zwar links Anzeichen von Atrophie.
Die Rinde an der Cuneusfläche. Imprägnationspräparate.
Hier waren die Zellen im Gegensatz zu denen aus der Fissura
calcarina Uberhaupt recht schön metalimprägnirt und zwar Zellen
in allen Schichten sowohl in der Schicht der kleinen und grossen
Pyramidenzellen — wie auch in der basalen. Überall hatten die
imprägnirten Zellen lange und schöne Pyramidenfortsätze; auch die
basalen waren sehr schön. Zahlreiche Nervenfasern waren in
allen Richtungen und Schichten imprägnirt.
S. E. Hen sehen, Pathologie des Gehirns.
Karminpräparate. Die Zellen waren intensiver und schärfer
gefärbt als in der Fissura calcarina.
Die laterale Fläche des hnken 0-lappens. An den Impräg-
nationspräparaten waren nur die Nervenfasern imprägnirt. An
den Karminpräparaten waren die Zellen überhaupt schön gefärbt
und ihre Körper sehr deutlich.
Die ventrale Rinde. Karminpräparate: Die Zellen wie in
der lateralen Rinde.
Die Rinde in der unmittelbaren Nähe der Geschwulst, also
im ersten Temporalgyrus. Hier finden sich zwar einzelne recht
schöne Zellen mit zahlreichen und langen Ausläufern, aber die
meisten Zellen zeigen abnorme Formen, sind mager oder zeigen
nur einzelne kurze Ausläufer unregelmässigen Verlaufs oder
Richtung.
Tumor: Schnitte aus der Geschwulst zeigten eine alveoläre
Struktur mit zahlreichen kleineren und grösseren kleinen Höhlen,
deren Wände von zahlreichen in Bündeln liegenden Fasern oder
membranartigen Balken gebildet waren ; in den zahlreichen
Maschen liegen zahlreiche, grosse gerundete Zellen mit scharfen
Konturen und deutlichem Kerne, also eine Art von gefässreichem
alveolären Sarkom.
Epikrise.
Kurzer Krankenbericht. Fat., der im Verhältnis
zu seiner Stellung einen guten Bildungsgrad hatte, war etwa
bis zum Sommer 1891 gesund; er hatte Alkohol genossen,
ob im Übermass Hess sich nicht konstatiren, wohl aber ver-
muten. Nicht durch Lues inficirt. Er wurde grüblerisch,
bekam Parästhesien im rechten Bein und im Arm, bis in
den Kopf hinauf und bisweilen Kopfweh. Zur Weihnachtszeit
wollte er nicht mehr lesen. Im Januar wurde der Gang
schleppend und er wurde paretisch im rechten Arm und Bein.
Gleichzeitig Symptome amnestischer Aphasie und Worttaub-
heit sowie Paraphasie. War bis zum io:ten April beständig
ausser Bett.
Stat. pr(£S. Ende April. Pat. ist schlaff und abwesend,
vergesslich; erkennt seine Söhne nicht. Partielle Wortblind-
heit und Worttaubheit sowie Parapnasie. Er leidet an
amnestischer Aphasie und partieller Agraphie sowie auch
an Seelenblindheit.
Der Geruch herabgesetzt oder vielleicht richtiger Geruchs-
amnesie. Rechtsseitige Hemianopsie, oft Deviation der Augen
nach links. Keine Stasispapille. Parese des rechten Facialis.
Gehör nicht abnorm. Geschmack verkehrt. Rechtsseitige
Parese der Zunge und des Arms und des Beins. Leichte
Anästhesie für Berührung und Schmerz rechterseits. Bisweilen
Tremor im rechten Arm und Bein sowie auch bisweilen klo-
nische Zuckungen. Gefässe sklerosirt. Herzdilatation. Wäh-
rend der Monate April und Mai fortschreitende Erschlaffung
und Benommenheit. Blind am rechten Auge. Keine
Stasispapille. Vollständige Lähmung der rechten Seite. Tod
\/e 92.
Diagnose. Art der Läsion. Der chronische Verlauf
der Krankheit unter fortschreitender Entwickelung der Symp-
tome, die langsam eintretende Benommenheit des Patienten
sprachen in diesem Falle zwar für eine Hirngeschwulst und
damit stand auch der bisweilen aufgetretene Kopfschmerz und
6
\
42 S. E. MENSCHEN. PATHOLOGIE DES GEHIRNS
die bisweilen hervortretenden Zucl<ungen des rechten Arms
und Beins im Einklang. Anderseits war das Kopfweh keines-
wegs ausgeprägt, und die Zuckungen traten überhaupt sehr
selten hervor und gingen schnell wieder vorüber; sie ähnelten
mehr einem Tremor ; niemals nahmen sie einen partiellen oder
allgemeinen epileptischen Charakter an. Und da ausserdem
eine Stasispapille bis zum Tode des Fat. vollständig fehlte,
so hielt ich mich nicht für berechtigt eine Geschwulst anzu-
nehmen; und vermutete dass eine langsam fortschreitende
kortikale Encephalomalacie die Symptome erklären könnte.
Für diese Diagnose sprach auch die Arteriosklerose, die ob-
schon nicht sehr grosse Herzdilatation und der vermutete
Alkoholmissbrauch. Uber die Art der Krankheit war ich
jedoch nicht im klaren. Die dann und wann eintretenden
Verschlimmerungen wurden auf Ausbreitung der Läsion oder
hinzugetretene Ha^morrhagien bezogen. Die Sektion zeigte
eine grosse Geschwulst.
Sits der Läsion. Die schon im Dezember auftretende
Wortblindheit und Worttaubheit deutete auf einen zunächst
lokalen Process, welcher nachher mit eintretender Stumpf-
sinnigheit diffus wurde. Die ausgeprägten psychischen Symp-
tome deuteten auf eine grosse kortikale Ausbreitung. Und
deshalb wurde der Process auf die Oberfläche der Central-,
Temporal- und Parietalwindungen verlegt, und ausserdem
Herde in der Tiefe zur Erklärung der Hemianopsie angenom-
men. Die Sektion bestätigte im Ganzen die Lokaldiagnose,
obschon in der That eine Geschwulst vorlag.
Analyse der Symptome. Bei dieser Analyse muss
zunächst daran erinnert werden, dass eine grosse und diftuse
Geschwulst mit ausgedehnter kortikaler Affektion vorlag. In
derartigen Fällen ist es stets schwierig zu entscheiden,
ob und wie weit die Symptome durch den Druck hervor-
gerufen werden oder ob sie die Äusserung eines lokalen Pro-
cesses sind. Im vorliegenden P'alle lag zwar eine grosse Ge-
schwulst vor, aber daneben war die kortikale Fläche der lin-
ken Hemisphäre in grosser Ausdehnung ergriffen und zwar
durch eine Art sarkomatöser Meningitis.
Iiitelligenzstör7inge7i. Der langsam aber stets fortschrei-
tende tiefe Verfall der psychischen Funktionen und die schliess-
lich eintretende Beeinträchtigung des Bewusstseins kann ohne
Zweifel durch den gesteigerten intrakraniellen Druck ge-
nügend erklärt werden. Dabei bleibt jedoch der Einwand
bestehen, dass zwar die linke Hemisphäre deutlich durch die
Geschwulstmasse zusammengedrückt war, die Windungen der
rechten Hemisphäre aber nur unbedeutend abgeplattet er-
schienen. Die Centralganglien hatten auch ihre Konturen
recht gut erhalten. Ohne Zweifel war also die rechte Hemis-
phäre nicht durch den Druck in ihrer Funktion behindert.
Die Rinde bot auch nirgendswo andere pathologische Pro-
gresse, ausgenommen, dass die Pia an der medialen Seite des
Frontallappens stark gerötet war und dass sich hier ver-
schiedene punktförmige Hcemorrhagien vorfanden. Bei einer
Zusammenstellung dieser Thatsachen liegt die Annahme nahe,
dass die tiefe psychische Störung und die Benommenheit des
Pat. besonders durch das Ergriffensein der linken Hemisphäre
hervorgerufen worden sei. Der Fall ist zwar lange nicht klar,
aber er fordert zur Untersuchung auf, ob nicht für das Er-
halten der allgemeinen Intelligenz die linke Hirnhälfte eine
weit grössere Rolle spielt als die rechte. Es finden sich in
dieser Sammlung einige Fälle, die für eine solche Ansicht
sprechen, und der Fall Malm, bei dem fast das ganze rechte
Hemisphärenmark zerstört war, ohne dass das Bewusstsein
sich getrübt zeigte, scheint auch einen solchen Schluss zu
bestätigen. Im vorliegenden Falle spielt wohl die an der
Oberfläche ausgebreitete Meningitis und dadurch verursachte
allgemeine Hirnreizung auch eine gewi-sse Rolle.
Die folgende Analyse der Intelligenzstörungen bezieht
sich nicht auf den Zustand der Pat. während seines letzten
Monats, Mai, sondern auf den Zustand bei der Aufnahme des
Pat. ins Krankenhaus; wie au.sgebreitet die Geschwulst zu
dieser Zeit war, lässt sich natürhch nicht mit Bestimmtheit
entscheiden, weshalb die Beurteilung des Falles stets will-
kürlich bleibt.
Was dann die speciellen Faktoren des Bewusstseins an-
belangt, ist Folgendes zu bemerken.
Perception. Die GesicJitsperceptionen waren bei der
Aufnahme des Patienten ins Krankenhaus im Allgemeinen
nicht tiefer gestört. Pat. konnte die Gegenstände wahrneh-
men, obschon er schon kurze Zeit danach in Stumpfsinn ver-
fiel. Dagegen scheinen schon frühzeitig seine Gesichisvorstel-
lungen unklar geworden zu sein. Mitte April erfasste er die
Bedeutung der vorgezeigten Gegenstände wie z. B. Zucker,
Kreide, Schlüssel u. s. w. nicht klar. Jedoch hatte er auch
klarere Augenblicke. Eine Partielle Seelenblindheit konnte
wohl also angenommen werden, was besonders bei Abwesen-
heit jeder Läsion in der Rinde der Occipitallappen bemerkens-
wert sein dürfte. In wie weit der gesteigerte Druck und
der meningeale Reiz oder die Zerstörung der Associations-
bahnen zwischen den Occipitallappen und dem frontalen Ab-
schnitte der linken Hemisphäre durch die Geschwulst dazu
beigetragen haben, lässt sich wohl nicht mit Sicherheit ent-
scheiden.
Die Gehörperceptionen waren normal. Es schien auch
die Bedeutung gewisser Gerüche ziemlich richtig erfasst wor-
den zu sein. Eine tiefere Störung seiner Geh'örvorstellun-
gen war demnach wohl vorhanden. Bei der grossen Aus-
dehnung der Geschwulstmasse im linken Temporallappen und
in Anbetracht des Umstandes, dass die Geschwulst in der
Nähe der Temporalrinde ihren ursprünglichen Sitz hatte,
ist dies Verhalten auflallend. Es deutet wohl darauf hin,
dass er für seine Gehörvorstellungen, wenn dieselben über-
haupt lokalisirt sind, den rechten Temporallappen benutzte.
Die Gernchenipfindiingen waren wohl vorhanden, aber
Pat. hatte nur sehr unklare Vorstellungen von dem was er
roch (s. unten).
Ebenso schien es sich mit dem GescJiinack zu verhalten.
Die Perceptio)i war vorhanden, aber die Gesclimackvorstel-
lungen abnorm.
Bisweilen waren seine Tasteiiipfindtmgen unklar..
Diese Störungen können folgendermassen zusammenge-
fasst werden. Die Perceptionen sind nicht so tief gestört wie
die Sinnesvorstellungen. Anatomisch waren: in der rechten
Hirnhälfte alle Sinnescentra wohl erhalten, in der linken aber
nur das des Gesichts; aber dieses stand bei der Aufnahme
NEUE FÄLLE DIE LEHRE VON DER SEHBAHN UND DEM SEHCENTRUM BETREFFEND
43
des Status prssens nicht im Zusammenhange mit dem Auge.
In der rechten Hirnhälfte dürfte kaum der gesteigerte intra-
kranielle Druck einen so hohen Grad erreicht haben, dass
dadurch die Associationsbahnen der Sinnescentren funktions-
unfähig geworden wären. Dagegen in der hnken waren nicht
nur die Centren zerstört oder wesentlich beeinträchtigt, son-
dern auch das sie verbindende Hemisphärenmark und die
Associationsbahnen.
Was die Faktoren der höheren Intelligenz betrifft, so
waren die höheren, psychischen Funktionen des Urteilsver-
mögens des Fat. und das Gedächtnis schon bei der Aufnahme
ins Krankenhaus in hohem Grade beeinträchtigt. Wille und
Handlungskraft waren stark herabgesetzt, aber Fat. zeigte
überhaupt keine abnormen Triebe.
Bei dem Vorhandensein eines gesteigerten intrakraniellen
Drucks und der circumscripten Meningitis der linksseitigen
Centraiwindungen durfte es nicht angemessen erscheinen, tiefer
in eine Analyse, wie und wo wir die Ursache dieser tiefen
Intelligenzstörung zu suchen haben, einzugehen, da jedenfalls
der Fall zu komplicirt erscheint, um diese Fragen zu lesen.
Ich konnte jedoch nicht umhin auf die Analyse dieser Ver-
hältnisse etwas näher einzugehen.
Aphasie. Schon um Johanni 1891 waren deutliche
Symptome der Gehirngeschwulst vorhanden.
Wortblijidheit. Die ersten Symptome einer Aphasie
traten erst zu Weihnachten d. s. J. auf, indem Fat. nicht mehr
lesen wollte, was ihm bis dahin sehr gefallen hatte.
Zu dieser Zeit wurde keine Störung der Sprache von
seiner Umgebung bemerkt. Erst Mitte Januar traten deut-
liche Sprachstörungen hervor, indem Fat. oft nicht verstand
was man zu ihm sagte. Es war also eine partielle Worttaub-
heit vorhanden und gleichzeitig wurde Fat. paraphasisch : er
mischte eine Masse von fremden Worten in seine Rede ein,
so dass seine Rede von seinen Verwandten nicht verstanden
werden konnte.
Während seines Aufenthaltes im Krankenhause waren
deutliche Symptome einer Wortblindheit \o\\\?i.nditr\. Wenn der
Fat. den Fragenden nicht sah, so verstand er auch nicht was
man ihm sagte. Besser ging es, wenn Fat. den Fragenden
anblicken konnte ; aber selbst dann verstand Fat. oft nicht
die einfachsten Wörter. Auf die Frage, wie er heisse, ant-
wortete er bisweilen richtig: Anders; später verfiel Fat. in
einen gänzlich benommenen Zustand, aber noch am ^^/s, also
etwa 1 1 Tage vor dem Tode schien es als ob er, wie oben
erwähnt wurde, eine Frage verstanden habe.
Die Wortblindheit lässt sich hier ohne Schwierigkeit
durch die Lage der Geschwulst erklären. Diese nimmt die
Hauptmasse des linken Temporallappens ein. Der Punkt, wo
sie ursprünglich anfing, lässt sich zwar nicht bestimmen, aber
gewiss war es im Mark des Lappens, erst später erreichte sie
die Rinde. Wenn dem so ist, so lässt es sich wohl erklären,
dass sich die Worttaubheit erst etwas später einstellte. Dabei
ist es jedoch befremdlich, dass Mitte Januar erst eigentliche
Sprachstörungen eintraten. Der Theorie nach hätte wohl
der Fasciculus uncinatus oder die Verbindung zwischen dem
Temporal- und Frontallappen schon früher zerstört worden
sein müssen und deshalb hätten auch wohl Zeichen einer
Unfähigkeit etwas nachzu.sprechen sich damals einstellen sol-
len. Davon erwähnt das Journal jedoch nichts. Dagegen
trat im Januar Paraphasie und Wortblindheit gleichzeitig ein.
Von dem grössten Interesse scheint es zu sein, dass die
Wortblindheit früher eintrat als die Worttaubheit Wenigstens
liegt die Annahme am nächsten, dass seine Abneigung gegen
das Lesen davon herrührt; aber es lässt sich auch eine andere
Deutung denken, da Fat. später seiner Umgebung gegen-
über erwähnte, dass er doppelt sähe. Bei der .Sektion wurde
bemerkt, dass die Geschwulst auf die centralen Ganglien
drückte. Bei der Untersuchung im Krankenhause am 23.
April waren die Augen nach links abgelenkt und es wurde
Strabismus constatirt.
Im Krankenhause war zwar die Worttaubheit ziemlich
vollständig, aber die Wortblindheit war nicht so ausgesprochen,
wie man hätte erwarten sollen, denn Fat. konnte sogar ein-
zelne Buchstaben lesen und sie zusammensetzen, aber der
Wortbegrifif der Buch.staben schien zu fehlen. Den Buch
Stäben A. (Anders) konnte er immer lesen. Dies deutet
ohne Zweifel auf einen gewissen Grad von Autonomie der
Fähigkeit zu lesen. Jedenfalls war diese Fähigkeit nur eine
geringe. Residuum einer verblassender Erinnerung.
Die Versuche mit Ziflfern fielen besser aus, wie ich oft
bemerkt habe.
Da die Geschwulst sich auch bis zum Gyrus angularis
erstreckte, so findet die Wortblindheit darin leicht ihre Er-
klärung.
Agraphie. Bei der Probe auf Agraphie zeigte es sich,
dass Fat. nur A. oder A. E. S., die Initialen, schrieb. Vom
Kopieren wollte er nichts wissen. Jedenfalls können ihm zu
dieser Zeit (Ende April) nicht alle Buchstabenbilder und
Erinnerungen gefehlt haben. Dejerine nimmt an, dass isolirte
Wortblindheit vorhanden sei, wenn nur das kortikale Centrum
zerstört ist, aber ausserdem Agraphie, sobald der Fascikel
zwischen den Occipitallob und Gyrus angularis lädirt ist. In
diesem Falle war weder eine vollständige Wortblindheit noch
Agraphie vorhanden. Dabei war die J.auptmasse des Marks
zerstört.
Hier waren also wie es scheint zur Zeit der Untersuchung
alle Markverbindungen zwischen den Centren der Bewegung
und den Sprachcentren aufgehoben und dennoch konnte Fat.
Sprechen und etwas schreiben.
Aphäinie. Mitte Januar traten wie schon erwähnt wurde
die ersten Symptome von Sprachstörung im Form von Para-
phasie auf. Aber noch einen Monat vor dem Tode konnte
Fat. verschiedenes sprechen. Zwar hatte er die Initiative zum
Sprechen verloren, er sprach nur auf Aufibrderung, und wieder-
holte dabei oft die Frage z. B. »Wie heisst er?» »Er heisst
Anders.» Das Alphabet konnte er auswendig und zwar kor-
rekt. Ebenso zählte er bis 20. Bisweilen rief er aus: »Herr
Gott», »es ist zu verkehrt u. s. w.» ja selbst grössere zusam-
menhängende Sätze brachte er hervor. Im Mai wurde er sehr
apathisch.
Das Fehlen der Initiative beim Sprechen wird wohl aus
44
S. E. RENSCHEN. PATHOLOGIE DES GEHIRNS
fehlenden Impulsen erklärt. Die Lasion der Wortgehörs- und
Wortgesichtscentren hatte die gewöhnlichen Impulse und Wort-
erinnerungen getilgt.
Aber woher stammte die Fähigkeit die Fragen zu wie-
derholen und zwar zu einer Zeit, da er kaum etwas verstand?
Wird man nicht zur Annahme eines Automatismus, einer Art
von Reflexthätigkeit gezwungen? Und woher kommt die
Fähigkeit das Alphabet auswendig zu wissen ? Spielen hier-
bei die sensiblen Erinnerungen und nicht die Sprachbeweg-
ungen die Hauptrolle?
Jedenfalls war die Fähigkeit ein Wort zu wiederholen
noch erhalten zu einer Zeit, wo gewiss der Fasciculus uncinatus
schon zerstört war.
Kranialnerven.
I. Die Geruchserinnerungen waren bedeutend verblasst,
ob in Folge der allgemeinen Herabsetzung der Intelligenz
oder des Ergriffenseins des linken Temporallappens ist nicht
sicher zu bestimmen (Vergl. die Fig. 2. Taf. VI). Ein Unter-
schied zwischen links und rechts ist nicht erwähnt.
II. Die rechtsseitige Hemianop.sie ist durch die totale
Zerstörung des occipitalen Sehbündels verursacht.
Später trat, wie es schien, eine vollständige Blindheit
am rechten Auge ein. Auch wurde bei der Herausnahme des
Gehirns eine besondere aber nur kleine Geschwulst dicht am
Chiasma angetroffen, von welcher wohl diese Störung aus-
ging-
Der Fat. scheint nicht an Hallucinationen gelitten zu
haben, obschon die Hirnfläche in gro.sser Ausdehnung gereizt
war, aber der Reiz dehnte sich nicht auf den Occipitallap-
pen aus.
Farbenblindheit war nicht vorhanden, wohl aber Farben-
paraphasie oder Amnesie.
Auffallend genug fehlte die Stasispapille.
III. IV, VI. Schon frühzeitig (im Januar) trat Strabis-
mus ein und später (im April) war eine bilaterale Ablenkung
nach links vorhanden, was sich wohl durch den von der Ge-
schwulst ausgeübten Druck auf die linke Seite des Oculomo-
toriuskerns erklären lässt.
Die Verengerung der Pupillen steht mit dem cerebralen
Reiz in Übereinstimmung, wie auch ihre geringe Reaktion auf
Lichtreiz und Accomodation.
Die Probe auf hemianopische Reaktion fiel unentschieden
aus, sie schien aber zu fehlen. Wenn es wirklich so war,
dann steht es in voller Übereinstimmung mit der Thatsache,
dass die Reflexbahn nicht direkt ergriffen war, indem die
Geschwulst erst occipitalwärts von der Bahn auftrat. Die
Opticusganglien waren an der Basis nicht ergriffen. Später
trat eine schwache hemianopische Reaktion ein und zwar zu
einer Zeit, als der Druck der Geschwulst auf die Reflexbahn
stärker wurde.
V. Das Ausbleiben einer Trigeminusstörung lässt sich
nur durch die bilaterale Innervation erklären.
VI. Dagegen war das linke, untere und obere Facialis-
gebiet etwas paretisch.
VIII. Ein Unterschied der Gehörschärfe wurde nicht
wahrgenommen, obschon das linke Gehörcentrum ergriffen war.
Grund : Bilaterale Innervation.
IX. Der Geschmack ohne Besonderes.
XII. Die Zunge wich nach rechts ab, später war es
Pat. nicht möglich sie heraus zu strecken.
Spinalnerven.
Sensibilität.
Die Herabsetzung der Sensibilität traf den Druck- und
auch wie es scheint den Schmerzsinn. Die Lage der Ge-
schwulst erklärt diesen Befund. Temperatur- und Ortsinn konn-
ten nicht geprüft verden.
Schon frühzeitig (um Johanniszeit 1891) hatte er subjek-
tive Sensibilitätsempfindungen in den rechtsseitigen Gliedern
bis in den Kopf hinauf
Motilität.
Der paretische Zustand der linken Seite hat seinen
Grund in der Lage der Geschwulst, welche sich auch bis
unter die Centraiwindungen ausdehnte. Der schwankende Gang
ist ja gewöhnlich bei Geschwülsten. — Ein Tremor des rech-
ten Arms wurde durch den Reiz der Rinde hervorgerufen.
Die Reflexe wie auch die trophischen und vasomotori-
schen Störungen waren die gewöhnlichen.
Fall 4. Augusta Eriksson.
68 Jahre, Umhertreiberin.
Taf. VII. VIII.
Klinische Diagnose: Hemiplegia dextpa e. Aphasia et He-
mlanopsla dextpa. Gumma in peg, papiet. sinistpa.
Krankengeschichte.
Betreffs des verflossenen Lebens der Pat., sowie ihrer
psychischen Entwickelung konnte man nur unvollständige Aus-
kunft erhalten. Folgende Daten hat man teils von einer Person,
bei welcher die Pat. früher angestellt war, teils von der Pat.
selbst bekomrnen.
Pat. ist Wittwe. Sie hat vier Kinder, musste immer, nach
Patholog. anatom. Diagnose; Gumma in pegione tempopo-
papietali sinistpa.
eigener Angabe, streng arbeiten; während der letzten Jahre litt
sie jedoch keine Not. Bis zur letzten Zeit erfreute sie sich
nach eigener Aussage einer guten Gesundheit. Die Kinder sind
gleichfalls gesund.
Sie soll dem Branntweingenusse nicht ergeben und nicht
luetisch inficirt gewesen sein. An rheumatischen Affektionen soll
sie nicht gelitten haben. Ihre psychische Ausbildung war sehr
NEUE FÄLLE DIE LEHRE VON DER SEHBAHN UND DEM SEHCENTRUM BETREFFEND
45
gering. Sie konnte zwar lesen, aber nicht schreiben. Sie war
rechtshändig. Sie führte ein unstätes Leben.
Über ihre Krankheit ist Folgendes bekannt. Seit dem 8.
Februar 1892 begann sie tiber Unwohlsein und Schmerzen in der
Brust und im Kopfe zu klagen. Ihr Zustand war nicht so schlecht,
dass sie nicht von Zeit zu Zeit hätte auf sein können, aber sie
musste ab und zu wegen der Brust- und Kopfschmerzen das
Bett hüten. So verhielt es sich bis zum 20. Febr., an welchem
sie von einem Schlaganfalle getroffen wurde. Sie befand sich
damals im Bett und erst einen Monat später wurde es durch die
eingetretenen Lähmungssymptome ihrer Umgebung klar, dass sie
einen Schlaganfall bekommen hatte. Inzwischen hatte man
beobachtet, dass ihr Gesundheitszustand vom 20. Februar an sich
verschlechtert hatte, so dass sie von diesem Tag ab -»ganz stumm
und gleichsam wie im Schlummer» bis zum 11. März war. Ob
dieser Zustand durch einen Schlaganfall eingeleitet wurde, oder
ob er mit Zuckungen oder abnormen Bewegungen von Seiten der
Augen verbunden war, ist nicht mehr zu konstatiren. Dagegen
ist es bekannt, dass Fat. während der Krankheit tobsüchtig
wurde, aus dem Bette sprang und ein verstörtes Aussehen zeigte.
Am II. März stellte sich die Sprache wieder ein und blieb bis
zum 19. Fat. war zu jener Zeit klar, aber die »Sprache war
schlechter als vorher». Störungen des Gesichts oder des Gehörs
wurden nicht wahrgenommen. Während dieser Zeit beobachtete
die Umgebung, dass die ganze rechte Seite gelähmt war.
Nach dem 19. März hörte sie wieder auf zu sprechen und
verfiel in einen Zustand »todesähnlichen Schlummers». Während
dessen hörte man sie bisweilen »Nein oder Ja» sagen, aber das
war alles. Eine eigentUche Störung des Gesichts oder des Ge-
hörs wurde auch jetzt nicht wahrgenommen.
Die Person die die Auskunft über sie erteilt hatte, fasste ihr
Urteil folgendermassen zusammen. »Es machte ihr während der
Krankheit Schwierigkeit zu sprechen, was früher immer leicht
von Statten gegangen war. Fast während der ganzen Zeit ihrer
Krankheit sei ihr Mund kaum in der Bewegung und die Lip-
pen seien zusammengekniffen gewesen.»
Ob sie nach irgend einer Richtung hin schlechter gesehen
habe, hatte man nicht wahrgenommen.
Fat. wurde am 22. April ins Krankenhaus aufgenommen.
Status praesens am 2/5 1892.
•Allgemeiner Zustand. Fat. ist bettlägrig, von mittlerer
Grösse. Fettpolster und Muskeln sind nicht in bemerkens-
wertem Grade reducirt. Ihre Kräfte sind' auch nicht besonders
geschwächt, das geht aus dem starken von ihr bei der Unter-
suchung ausgeübten Widerstand hervor. Der Appetit, Stuhl-
gang und Schlaf sind etwas unregelmässig, jedoch im Ganzen
recht befriedigend.
Der Puls ist regelmässig. Die Frequenz wechselt zwischen
110 — 135. Die Radialarterien sind rigide und geschlängelt, nicht
kalkinfiltrirt.
Subjektive Symptome.
Pat. klagte einmal über Schmerzen im Kopf und Rücken.
Gewöhnlich antwortet sie jedoch »ja» auf alle Fragen nach der
Lokalisation der Schmerzen.
Objektive Untersuchung. •
Psyche. Fat. verharrt in einem Zustande von Stumpfheit.
Jedoch scheint sie zu beobachten was um sie vorgeht. Wenig-
stens folgt sie mit den Augen den Personen, welche sich an ihrer
linken Seite befinden. Dasselbe scheint wenigstens nicht in dem-
selben Grade der Fall zu sein, wenn dieselben sich rechts von
ihr befinden.
Nur mit Schwierigkeit beantwortet sie an sie gestellte Fra-
gen, selbst wenn sie so gestellt sind, dass sie nur mit einem »Ja»
oder »Nein» antworten muss. Doch ist sie in dieser Hinsicht
etwas launenhaft, denn sie antwortet bisweilen ganz klar. Die
Untersuchung ermüdet sie und sie schliesst dann eigensinnig die
Augen.
Aphasie. Worttaubheit ist nicht vorhanden, wenigstens keine
vollständige. Zum Beispiel: Bei einer Gelegenheit, da sie leb-
hafter und zugänglicher als gewöhnlich war, fragte ich, ob sie
verstehe was ich zu ihr sprach, sie antwortete mit einem klaren
»Ja». Wenn die Krankenpflegerin sie einmal fragte, ob sie etwas
Essen wünschte, antwortete sie »ja, ich bitte». Als ich einmal
sagte: »ich glaube, dass sie besser geworden sind», antwortete
sie: »nein, das kann ich niemals glauben». Auch wann ihr
gesagt wurde, etwas zu verrichten, bewies sie in den lichteren
Augenblicken, dass sie verstanden hatte, um was es sich handelte.
So z. B. wenn ich sie die Zunge herauszustrecken oder die Zehen
zu bewegen aufforderte, so folgte sie entweder dem Befehl oder
antwortete mit »nein», »nicht» u. s. w.
Ihr Wortvorrat ist ein sehr kleiner. Ausser den eben er-
wähnten Wörtern habe ich sie sagen hören »Pfui», »ach. Elen-
der, was machen Sie», »gehen Sie weg» und einige andere Aus-
drücke. Die Krankenwärterin hörte sie einmal »Tischgebet»
(wenige Worte) hersagen. Einmal als ihr die Untersuchung nicht
behagte, schien sie nach Worten zu suchen, um ihrem Missfallen
Ausdruck zu geben.
Sie kann nicht veranlasst werden, Worte nachzusprechen
— was wohl zum Teil auf der Unfähigkeit nachzusprechen
beruht.
Wortblindheit. Betreffs der Wort- oder Seelenblindheit sind
die Resultate unsicher. Wenn ich eininal auf der Tafel, das
Wort »Anders» schrieb und fragte, ob das ein Frauenname sei,
so schüttelte sie den Kopf. Wenn ich 2 schrieb, so gab sie nach
Aufforderung die Zahl mit 5 Fingern an. Wenn ich 4 schrieb,
so fasste sie die Tafel, betrachtete die Ziffer aufmerksam und
versuchte 4 Finger auszustrecken. Obschon die Bewegungen un-
sicher waren, machte es jedoch den Eindruck, als ob sie die
Zahl richtig verstanden habe.
Seelenblindheit scheint nicht einmal in geringem Grade vor-
handen zu sein. Sie versteht das Glas und den Löffel zu be-
nutzen, und wenn eine Pat. ihr ein Messer überreichte, so ant-
wortete sie auf Befragen »Messer». Wenn ich ihr eine Haarnadel
reichte und fragte, wozu sie dient, so antwortete sie, »ja, ich
weiss es nicht».
Kranialnerven.
I. Wenn man ihr Essigsäure reichte, so zog sie sich zuerst
zurück; auf die Frage: »ob sie riecht», antwortet sie »ja» und
auf die Frage »riecht es schlecht», antwortet sie »nein». Ter-
pentingeruch scheint sie aufzufassen, will jedoch nicht riechen
46
S: E. HENSCHEN.
PATHOLOGIE DES GEHIRNS
Sie roch dann an Kampfer und giebt durch Worte deutHch zu
erkennen, dass sie ihn vom Terpentin unterscheiden könnte. Eau
de Cologne behagt ihr offenbar, denn sie riecht an der Flasche.
Ein Unterschied hinsichthch des Geruchvermögens der
beiden Seiten ist nicht wahrzunehmen.
II. Keine genaueren Resultate. Versuche mit Blinzelre-
flexen mit der Hand zeigten, dass sie an einer homonymen recht-
seitigen Heviianopsie litt. Sie fasst, wie schon erwähnt, leichter
auf was links als was rechts um sie vorgeht. Die Perimeter-
untersuchungen haben zu keinem sicheren Resultate geführt.
Versuche mit einer Lampe Hessen eine rechtseitige Hemianopsie
annehmen. Sobald die Lampe in das sehende Gesichtsfeld kam,
schloss sie die Augen. Eine Untersuchung auf Farbensinn war
unmöglich.
Die Pupillen reagirten auf Accomodation und Licht, keine
hemianopische Pupillenreaktion.
Die ophthalmoskopische Untersuchung zeigte eine, wenn
auch nicht starke Stasispapille. Die Grenzen der Papillen sind
undeutlich. Grosse Blutungen erscheinen, hauptsächlich am Boden
des rechten Auges; und an der oberen Hälfte der Retina treten
breite, rote Streifen parallel den Gefässen hervor und daneben
ein stark glänzender weisser Fleck. Kein Pigment, dagegen weiss-
liche, atrophische Partien.
III. IV. VI. Die Bewegungen der Augen sind frei und
normal. Jedoch konnte sie anfangs das rechte Auge nicht so
weit nach aussen bewegen als das linke. Ein leichter Strabismus
convergens war also vorhanden.
V. Berührungssinn. Selbst eine leichte Berührung be-
merkt Pat. sogleich und zwar eben so gut rechts wie links.
Schmerzsinn. Ebenso markirt sie Schmerz gleich gut rechts
wie links.
Temperatursinn. Sie äussert Missvergnügen, wenn eine Licht-
flamme ihren Wangen genähert wird; ob die Wärmeempfindung
beiderseits gleich ist, ist jedoch ungewiss.
In den ersten Tagen machte Pat. wiederholt Kaubewe-
gungen. Sie hat jetzt damit aufgehört.
VII. Es besteht eine unbedeutende Parese des rechten
Augenlids. Bei der Aufnahme ins Spital öffnete und schloss sie
das linke Auge mit grösserer Leichtigkeit als das rechte. Wenn
sie jetzt mit ges.^hlossenen Augen da liegt, so scheint es als ob
das rechte Augenlid nicht so vollständig geschlossen würde als
das linke.
Eine Störung des unteren P'acialisgebeits ist nicht wahrzu-
nehmen.
VIII. Das Gehör scheint beim Versuche mit einer Taschen-
uhr herabgesetzt zu sein und zwar sowohl rechts wie links
scheint sie das Ticken der Uhr erst dann zu hören, wenn die
Uhr unmittelbar an das Ohr gelegt wird. Jedoch sind die Re-
sultate unsicher, denn sie hört die elektrische Glocke und das
Geklapper der Messer und Gabeln.
IX. Der Geschmack scheint nicht verändert zu sein.
X — XII. Keine nachweisbare Veränderung.
Sensibilität.
Berührungssinn. Eine sichere Untersuchung ist nicht mög-
lich auszufuhren; die Empfindlichkeit scheint sowohl rechts wie
Jinks herabgesetzt zu sein,
Schmerzsinn. Bei der Aufnahme war derselbe an der rechten
Seite deutlich herabgesetzt. Nach der am 26. April eingetretenen
vasomotorischen Störung scheint er eher gesteigert zu sein. Ein
Unterschied der Empfindlichkeit zwischen rechts und links dürfte
nicht bestehen. Wenn man sie ganz leicht mit einer Stecknadel
verletzt, so bemerkt sie es rechts wie links gleich stark. Am
rechten Beine dürfte der Schmerzsinn etwas geschwächt sein.
Ort-, Muskel- und Temperatur sinn scheinen nicht vermin-
dert zu sein.
Motilität.
Der rechte Arm und das rechte Bein sind vollständig ge-
lähmt, mit Ausnahme einer unbedeutenden Beweglichkeit der
Zehen und einer noch geringeren der Finger.
Tonus. Die Muskeln des rechten Armes und Beines sind
bedeutend schlaffer als die linksseitigen.
Kontraktur. Während der letzten Woche des April war
eine Kontraktur der Hüft- und Knie-muskel vorhanden. Jedoch
war es möglich die Gelenke zu strecken. Zur Zeit keine Kon-
traktur.
Reflexe. Der Patellarreflex des rechten Beines war bei
der Aufnahme verstärkt und zwar stärker rechts als links; hier
war auch der Reflex erhöht.
Zur Zeit ist der Patellarreflex rechts etwas vermindert.
Kein Dorsalklonus.
Blase und Mastdarin. Harn und Faeces gehen unfreiwillig
ab, ohne dass Pat. es wahrnimmt.
Trophischc und vasomotorische Störungen. Am Kreuz und
an den Hüften fand sich Anfangs grosser Decubitus, welcher
jetzt geheilt ist. Derselbe begann an der rechten Seite.
Keine Cyanose. Die Hände und Füsse haben einen nor-
malen Wärmegrad. Doch muss bemerkt werden, dass die ge-
lähmte Seite bei der Aufnahme auffallend kälter war.
Am ^'^/4 trat eine höchst bedeutende oedematöse Anschwell-
ung der ganzen rechten Seite auf. Der Arm und das Bein
schmerzten stark beim Druck. Die Geschwulst ging nach einigen
Tagen zurück. Die rechte Seite wurde wärmer als die linke.
Die Symptome verschwanden nach einigen Tagen. Am linken
Femur sind einige Masen entstanden und haben Geschwüre hin-
terlassen.
Die übrigen Organe.
Lungen: Nichts Besonderes.
Herz: Absolute Herzdämpfung fehlt. Der Spitzenstoss im
rechten Interstitium, i cm. unterhalb und ausserhalb der Mamille.
Bauch: Ohne Bemerkenwertes.
Harn: Rötlich mit geringem Sediment. Reaktion sauer;
Spec. Gew. 1,030. Im Bodensatz rote Blutkörperchen in gerin-
ger Menge. Kein Eiweiss oder Zucker.
Tagesaufzeichnungen,
''/ö. Eine diffuse Anschwellung nimmt die rechte Seite ein
und zwar vorzugsweise den rechten Arm. Decubitus am linken
Bein- Pat. ist benornmen,
NEUE FÄLLE DIE LEHRE VON DER SEHBAHN UND DEM SEHCENTRUM BETREFFEND
47
Vs. Der Zustand schlechter. Versteht noch Anrede,
^"/s. Am Abend 37,9.
"/5. Afebril.
^^/s. Die Temperatur Morgens 39,4. Puls 150. Resp.
60. Tod.
Sektion.
Der Schädel zeigt nichts Besonderes.
Die Pia wird überall mit Ausnahme in der Gegend der
Geschwulst leicht abgelöst, ohne dass die Rinde abgerissen wird.
Linke Hemisphäre.
Die Oberfläche des Gehirns zeigt nichts Besonderes; in
den mehr occipitalen Teilen sind die Windungen leicht ab-
geplattet.
Der Frontallappen sowie die Centraiwindungen sind nor-
mal. Der Parietal- und Occipitallappen ebenso, obschon die
Windungen hier etwas abgeplattet sind.
Der vordere Teil des Temforallappens, in einer Aus-
dehnung von 6 cm. zeigt nichts Abnormes; am hinteren Ab-
schnitte der zweiten Temporalwindung über einem Gebiete von
4,5 cm. ist die Pia so stark der Rinde angelötet, dass sie nicht
ohne Beschädigung der Oberfläche sich ablösen lässt.
Hier tritt nun eine nur wenig über die Ebene des Gehirns
hervorragende diff"use Geschwulst von im ganzen rundlicher oder
länglich ovaler Form hervor. Wie die Taf. VIII. Fig. i. näher
zeigt, nimmt sie den hinteren Teil des T^ ein, ist an ihrer Ober-
fläche begrenzt und geht weder auf T^ noch auf T^ oder den
Occipitallappen über. Ihre Grenzen sind jedoch diffus, die Ober-
fläche uneben. In der nächsten Umgebung der Geschwulst ist
die Rindenoberfläche auch uneben und beim Ablösen der Pia
wird die Rinde mit abgerissen. Die genaue Ausdehnung der
Geschwulst lässt sich kaum feststellen. Sie misst in horizontaler
Richtung etwa 3,5 cm., in vertikaler 2,5 cm.
Frontalschnitte durch den occipitalen Teil der He-
misphäre.
An den Schnitten t, 2 und 3 cm. vor der Occipitalspitze
des Gehirns finden sich keine makroskopischen Veränderungen.
Schnitt 4 cm. (Fig. VII. Taf. 4.) vor der Occipitalspitze.
Hier sieht man den hintersten Ausläufer der Geschwulstmasse.
Sie tritt hier an dem lateralen Rande der Sehstrahlung in der
Höhe des O^ wie eine poröse gelbliche Masse auf und dringt
auch etwas in die Sehstrahlung von aussen ein ohne sie ganz
zu durchsetzen. Die ventralsten 5 m.m. sowie der dorsale
Abschnitt der Sehstrahlung sind intakt. Die Geschwulst misst
in vertikaler Richtung etwa 5 m.m. und ist in dem Umfange
diffus; das zunächst liegende Mark ist nicht auffallend erweicht,
aber mit starken Gefässen durchsetzt.
An diesem Schnitt sieht man auch wie die Geschwulst den
hinteren Umfang des T^ einnimmt.
Schnitt 5 cm. An der Oberfläche nimmt die Geschwulst
den T^ ein. Eine Randzone der Geschwulst ist bis zu einer
Tiefe von 7 m.m. bedeutend verdickt, rindenähnlich, ohne dass
es sich makroskopisch bestimmen lässt, ob hier die Rinde oder
die Geschwulst vorwaltet.
Die Ausbreitung der Geschwulst im Mark geht aus der Taf.
VIII. Fig. 4. am besten hervor. Sie ist im Ganzen recht scharf
vom Mark begrenzt und nimmt eine Strecke von 4,5 cm. von
oben-unten und von 3,5 in horizontaler Richtung ein, erreicht
nach oben die obere Ebene des Corpus callosum, durchsetzt nach
innen ganz die Sehstrahlung, welche ganz verwischt ist und be-
rührt nach unten das Mark des T*^. Ihre Ausdehnung im Mark
ist demgemäss bedeutend grösser als an der Oberfläche. Das
umgebende Mark ist nicht erweicht.
Schnitt 6 cm. Taf. VIII. Fig. 3. Die Geschwulst geht von
der Oberfläche des T^ nach oben- innen, nimmt die Tiefe des t^
ein und hat hier auch die untere Fläche des T^ infiltrirt und er-
reicht hier den unteren Umfang des Fossa Sylvii und den Cen-
trallappen, dringt nach oben höher als das Dach der Unterhorns,
infiltrirt vollständig die Sehstrahlung und berührt das Mark des T^
Die Rinde des t^ ist auch makroskopisch verändert, gereizt und
gedrückt. Der Balken ist im äusseren Umfange infiltrirt. Länge
der Geschwulstmasse 5,5 cm. und Breite etwa 2 cm.
Schnitt 7 cm. Taf. VIII. Fig. 2. Die Geschwulstmasse
begrenzt sich an der Oberfläche ganz auf T^, welcher jedoch
bedeutend geschwellt ist, dringt dann wie ein Keil nach innen-
oben und erreicht die Höhe der oberen Fläche des Balkens,
sie dringt nach oben-innen bis zur Wand des Unterhorns, wo
die Sehstrahlung vollständig in Geschwulstmasse umgewandelt ist.
T"* und T* sind nicht berührt.
Schnitt 8 cm. Taf. VIII. Fig. 3. Hier findet man keine
Geschwulstmasse mehr, aber in und lateral von dem dorsalen
Teil des Sehstrahlung, entsprechend der Höhe des Marks des
T^, ist das Mark etwas erweicht und hat eine Anzahl grös-
serer Gefässe.
Die Centraiganglien. Der Linskörper ist von der
Geschwulst nicht berührt.
Nticleus caudatiis ist beiderseits normal zur Form und
Konsistenz. Im Inneren keine Veränderung.
Thalamus opticus hat beiderseits normale Form, Farbe und
Konsistenz. Beim Vergleich findet sich jedoch, dass der linke
Sehhügel von Seite zur Seite ein wenig abgeplattet ist, was be-
sonders hinsichtlich Pulvinar bemerkbar 'st. Es liegt nämlich
links dem entsprechenden Colliculus anterior dichter an als rechts,
woneben auch das Pulvinar etwas abgeplattet und zugespitzt ist.
Das Corpus geniculatum interntim ist beiderseits gleich und
normal.
Das Corpus geniculatum externum ist beiderseits von der-
selben Grösse und Prominenz.
Die Tractus beiderseits gleich dick.
Chiasvia und Nervi optici zeigen nichts Bemerkenswertes.
Corp. 4-gem. Der Colliculus anterior sinister ist im Ver-
hältnis zu dem rechtsseitigen bedeutend abgeplattet und zwar
durch den vom Pulvinar ausgeübten Druck.
Die Colliculi posteriores sind beiderseits gleich und normal.
Die Corpora mamillaria sind beiderseits von normaler Grösse
und Konsistenz.
Die rechte Hemisphäre, Kleinhirn, Medulla oblongata sind
normal, mit Ausnahme dessen was oben von der Pialbekleidung
erwähnt ist.
Aus dem Protokolle wird sonst nur folgender Auszug mit-
geteilt.
48
S. E. RENSCHEN. PATHOLOGIE DES GEHIRNS
Die Hautfarbe etwas gelblich. Über der linken Partie des
Os sacrum einige gangränöse Geschwüre. Allgemeine Körper-
atrophie.
Adhärenzen zwischen den Blättern der rechten Pleura.
Herz: Das Herz ist schlaff; das Fett etwas gelatinös. Es
misst an der Basis 11,5 cm., an Länge 10,5 cm. Die Wände
messen links resp. 10,8 und 11 m.m., rechts 3 m.m. und zeigen
eine Degeneratio adiposa et pigmentosa myocardii.
Die Aorta zeigt eine vorgeschrittene Arteriosclerosis.
Die Lungen: Anthracosis, Emphysema und Hypostasis,
Bronchitis.
Die rechte Lunge zeigt im hinteren oberen Abschnitte eine
schwielige Veränderung an ihrer Fläche von etwa 4 cm. Von
dieser Bildung strahlen schwielige narbenähnliche Streifen gegen
den Hilus. Das Lungengewebe ist hier luftleer, Pleiiropncumonia
chronica fibrosa (syphilitica?). Ausserdem fand sich im unteren
Lobus eine Bronchopneumonia acuta.
Milz nichts Besonderes.
Nieren: Atrophia senilis. In der rechten Niere findet sich
an der Innenseite der Nierenkapsel eine erbsengrosse Verdickung
von gelblicher Farbe und begrenzter Form, welche sich in das
Parenchym hinein erstreckt (Gumma syphiliticum?).
Ventrikel und Dura: Nichts Besonderes.
Leber: ohne Veränderung.
Harnblase, Rectum, Genitalien, Zunge und Lippen ohne
Bemerkenswertes.
Epikrise.
Kurzer Krankenbericht. Pat. war bis in den letz-
ten Jahren kräftig und gesund. Nicht Alkoholiker oder sy-
philitisch (?). Vom 8. Februar 1892 Schmerzen im Kopf und
in der Brust. Am 20. Februar apoplektischer Insult, wurde
»stumm» und wie benommen. Wie der Insult sich äusserte,
ob mit Zuckungen oder Bewusstseinsverlust, ist unbekannt.
Von dem ^'^1^ — ^'/s wurde sie verschiedene Male von Tob-
suchtsanfällen befallen und lief aus dem Bette. Nach dem
i'p — '*/3 sprach sie wieder, obschon schlechter als vorher.
Die rechte Seite schien gelähmt zu sein. Nach dem ^^/a ver-
fiel sie von neuem in Schlummer, sagte nur »Ja» und »Nein».
Stat. prjes. .Sclilafif, partielle Worttaubheit, wahrscheinlich par-
tielle Wortblindheit, amnestische Aphasie, partielle Aphämie,
keine Seelenblindheit. Rechtsseitige homonyme Hemianopsie.
Keine hemianopische Pupillenreaktion. Stasispapille, Blutun-
gen und Atrophie in der Retina. Kaubewegungen. Geringe
Parese im rechten Augenlid. Sonst keine Parese im V oder
VII Nerven. Schmerzsinn vermindert rechts (?), sonst keine
Anästhesie. Rechtsseitige Hemiplegie. Diffuses Anasarca auf
der rechten Seite, ^^/s Tod.
Diagnose. Art der Läsion. Vor der Sektion wurde
die Diagnose auf eine luetische Geschwulst gestellt. Zwar
deutete die Anamnese nicht besonders darauf hin. Von den
Antecedentien der Pat. kannte man überhaupt nichts, aber
ihr unstätes Leben machte die Annahme einer luetischen In-
fektion nicht unwahrscheinlich. Die Stasispapille sowie die
Blutungen in der Retina, aber besonders die begrenzten Atro-
phien deuteten ohne Zweifel auf eine luetische Retinitis mit
Tumor. Gegen diese Annahme sprach anderseits die Be-
schaffenheit des apoplektischen Insultes, welcher ohne auf-
fallende Störungen, Zuckungen u. s. w. auftrat — ja, selbst
von der Umgebung nicht bemerkt wurde.
Daher wurde hier die ophthalmoskopische Untersuchung
entscheidend und zwar sowohl betreffs der Art der Läsion,
bezüglich einer Geschwulst, und der Beschaffenheit derselben.
Diese Geschwulst war wie aus der Taf. VIII. Fig. i. ersichtlich
ist, von einer ungewöhnlichen Grösse. Sie hatte die Ober-
fläche des Gehirns in der Umgebung gereizt, aber eine Ver-
lötung zwischen der Pia und Dura war noch nicht eingetreten.
Die Druckphänomene waren übrigens nicht so hervortretend
und in dieser Beziehung stimmt der Befind mit den gewöhn-
lichen Fällen von Syphilis. Die .syphilitische Geschwulst wirkt
oft weniger durch Verdrängung der Hirnsubstanz, sondern sie
zerstört und ersetzt dieselbe vielmehr.
Die subjektiven Symptome des intrakraniellen Druckes
waren auch vor dem Insulte wenig hervortretend und die
Pat. sollte bis zu der Erkrankung im Ganzen kräftig und ge-
sund gewesen sein.
Lokalisatio7i der Gcschwidst. Auch in dieser Hinsicht
war die Diagnose ante mortem recht glücklich, Dank der
vorhandenen Aphasie.
Hier trafen nähmlich mehrere übereinstimmende Symp-
tome zusammen. Zuerst stützte ich mich auf die vorhandene
rechtsseitige Hemianopsie. Die Geschwulst berührte also
die Sehbahn. Das Nichtvorhandensein einer hemianopischen
Pupillenreaktion gab ihre Lokalisation hinter der Reflexbahn
resp. dem Kniehöcker an. Dazu kamen in diesem P'alle die
Symptome der Aphasie. Obschon die Pat. nur wenig und
ungern sprach, so war es einleuchtend, dass keine motorische
Aphasie, sondern hauptsächlich eine sensorische vorlag. Und
zwar sowohl Worttaubheit wie Wortblindheit. Und da nun
die Pat. ausserdem hemiplegisch war oder vielmehr hemi-
paretisch, so lag es am nächsten auf eine Geschwulst, welche
sowohl das Wortgehörcentrum im Temporallappen wie das
Wortgesichtscentrum im Gyrus angularis berührte und dabei
auch durch Fernwirkung die Hemiparese hervorgerufen hatte.
Die Diagno.se wurde auch durch die Sektion in befrie-
digender Weise bestätigt. Nur will ich bekennen, dass ich
die Geschwulst ein wenig höher lokalisirt hatte.
In Anbetracht dieser Umstände wurde auch die opera-
tive Entfernung der Geschwulst erwogen, aber der schlechte
Allgemeinzustand der Pat., die schon am 7. Mai, also nach
der Aufnahme der Pat. ins Krankenhaus, erscheinende Phleg-
mone und der Decubitus, sowie das Alter der Pat. (68 Jahre)
stellten zu bestimmte Kontraindikationen.
Analyse der Symptome.
Psyche: Bei der circumscripten Beschaffenheit der Ge-
schwulstbildung, bei den wenig hervortretenden Symptomen
eines gesteigerten intrakraniellen Druckes — das Kopfweh
war nur gelinde und die Stasispapille nur wenig ausgeprägt —
waren die psychischen Symptome auftallend stark. Zwar war
der erste Insult am 20. Februar so wenig markirt, dass die
Umgebung ihn nicht bemerkt hatte und die Pat. scheint selbst
NEUE FÄLLE DIE LEHRE VON DER SEHBAHN UND DEM SEHCENTRUM BETREFFEND
49
davon wenig Eindruck gehabt zu haben. Erst einen Monat
später wurden die Lähmungssymptome bemerkt, aber von
jenem Tage bis zum 1 1 . März lag die Fat. stumm und still
wie in tiefem Schlummer. Dagegen traten in der Zwischen-
zeit vom 20. Februar bis zum 11. März starke psychische
und motorische Irritationsphänomene auf. Die Fat. sprang
aus ihrem Bett auf und »sah wild aus». Der inflamma-
torische Reiz der Oberfläche des Gehirns lässt wohl dies
erklären.
Bald darauf begann Fat. wieder zu sprechen und verhielt
sich klar, aber die Sprache war schlechter als früher. Nach
dem 19. März verfiel Fat. von neuem in einen todesähnlichen
Schlummer. Im Krankenhause war sie schlaff und schien
kaum zu bemerken Avas um sie vorging.
Bei diesem Verhalten ist teils ihre psychische Apathie,
teils besonders ihre Abneigung zu sprechen auffallend. Die
Lokalisation der Läsion in die linke Hirnhemisphäre dürfte
hier von besonderer Wichtigkeit sein. Mit dem Verluste der
Worterinnerungen scheint eine Masse von psychischen Vor-
stellungen in Wegfall gekommen zu sein. Gehörerinnerungen
wie Gesichtserinnerungen dürften für die psychische Initiative
besonders von Bedeutung sein. Die äusseren Impulse, welche
durch die peripherischen Sinnesorgane und durch die Sinnes-
bahnen von der Aussenwelt ins Gehirn eintreten und dann
durch die Sinnescentren empfunden werden, werden wahr-
scheinlich in der Regel erst durch die sensorischen Sprach-
centren in höhere psychische Vorstellungen oder Begriffe um-
gewandelt, welche alsdann als klare Willenmotive auf den
Körper lebhaft einwirken können. Fällt jetzt die Thätigheit
der Sprachcentren aus, so verschwinden damit viele wichtige
Momente, welche als Impulse wirken. Das Individuum ver-
fällt in Apathie. Im vorliegenden Falle wirkte wohl auch
der gesteigerte intrakranielle Druck auf die Thätigheit der
Fat. etwas lähmend ein.
Der »todesähnliche Schlummer» der Fat. hatte also hier
wenigstens zwei Gründe. Diese Benommenheit war besonders
bei dem Auftreten der Insulte stark. Später äusserte sie sich
mehr in allgemeiner Apathie. Bei den Insulten kamen also
gewisse Faktoren — wahrscheinlich die veränderte Cirkula-
tion — dazu und wirkten mit dem lokalen Frozesse zu-
sammen.
Seelenblmdheit. Dass die Gesichtsperceptionen nicht tiefer
gestört waren, konnte man daraus schliessen, dass Fat. mit
den Augen den Fersonen, welche an ihrer linken Seite er-
schienen, folgte. Nach der rechten Seite hin war sie hemian-
opisch. Beim Betrachten geschriebener Wörter liess sie er-
kennen, dass sie dieselben nicht verstand. Einen Gegenstand
benannte sie richtig.
In Anbetracht der Lage der Geschwulst und der Theo-
rien der Seelenblindheit verdienen diese Befunde eine gewisse
Aufmerksamkeit. In welcher Ausdehnung nun die Associa-
tionsbündel im occipitalen Abschnitt der rechten Hemisphäre
ergriffen waren, ersieht man am besten aus den Tafeln. Die
Geschwulst fängt unmittelbar vor dem 0-lob an (Taf VIII.
Fig. I.) und erstreckt sich nach vorn bis zum ersten Teni-
poralgyrus, ohne diesen zu ergreifen. Nach oben erstreckt
sie sich bis zum Gyrus angularis. Demnach sind fast alle
5. E. Henschcn. Pathologie des Gehirns,
Verbindungen zwischen dem Occipitallappen und dem Tem-
porallappen wie auch die Verbindung zwischen einerseits O'
und O'* und den Centraiwindungen zerstört. Gesichtsein-
drücke aus dem linken Sehcentrum können also hier nicht
mit den Tast-, Gehör-, Geschmack- und Geruchempfindungen
direkt durch die linke Hemisphäre verbunden werden. Die
notwendige Folge davon dürfte wohl sein : eine mangelhafte
Association und deshalb ein Ausfall in den Gesichtsvorstel-
lungen der resp. Tast-, Geruch- und Geschmacksempfindungen.
Wenn es nun nachgewiesen werden kann, dass wirklich die
resp. Vorstellungen vollständig waren, dann müssten auch
diese Gesichtsempfindungen einen anderen Weg genommen
haben als durch die Associationsbahnen der linken Hemisphäre.
Hier lässt es sich leicht nachweisen, dass sich die neuen Ge-
sichtseindrücke (Empfindungen) von der rechten Hemisphäre
herleiten. Es bestand nähmlich eine vollständige rechtsseitige
Hemianopsie und das occipitale Mark war zerstört.
GesicJitsvorstelbingen können sich also hauptsächlich aus
dem Reiz der rechten Hemisphäre bilden, was ich schon im
Falle Elin Andersson (Fall 41 Teil II) nachgewiesen habe.
Ob aber diese sich ebenso leicht bei Beeinträchtigung
der sensorischen Sprachcentren als sonst zu höheren Begriften
ausbilden können, ist wohl fraglich ; jedenfalls scheinen diese
Centren dabei eine gewisse Rolle zu spielen. Eine Ge-
schwulst mit der Lage wie im vorliegenden Falle ruft also
keine Seelenblindheit hervor.
Seele7ümibheit bestand gewiss nicht. Auch war das
linke Gehörcentrum nicht zerstört, nur berührt, aber seine
Verbindung mit dem Ohr war gewiss aufgehoben.
Beim Betasten der Gegenstände erfasste Fat. die Be^
deutung derselben. Seelenanästhesie bestand also nicht. Auch
waren die Sensibilitätscentren von der krankhaften Geschwulst
nicht ergriften.
Das Eewusstsein war also bei der Untersuchung nicht
tiefer gestört, aber die Initiative fehlte ihr in hohem Grade.
Sie konnte deutlich Schlüsse machi^n und sich gewisser-
massen psychisch bestimmen.
Aphasie. Wortiaubheit w^ar gewiss vorhanden, wenn
auch nur partiell. Fat. verstand in der Regel an sie ge-
stellte Fragen. Sie beantwortete auch bisweilen recht deut-
lich und richtig diese Fragen. Die Lage der Geschwulst
hinter dem Gehörcentrum befindet sich hiermit in voller
Übereinstimmung. Uberhaupt berührte die Geschwulstmasse
das Wortgehörcentrum nur zum Teil. Sie dehnte sich zwar
bis zu dem ersten Temporalgyrus aus aber die Hauptmasse
der Geschwulstbildung nahm eine mehr occipitale Lage ein.
Die erste Temporalwindung ist jedoch etwas an der Ober-
fläche ergrifien.
Der Meningealreiz dehnte sich überhaupt nur wenig
über die Grenzen der Neubildung aus.
Die Folgen der partiellen Worttaubheit waren Abneigung
spontan zu sprechen oder Worte zu \\iederholen. Eigentliche
Faraphasie bestand kaum. Dagegen war ihr Wortvorrat be-
deutend beschränkt ; die amnestische Aphasie war sehr stark.
Sie suchte vergebens Worte zu finden. Daher diese Abneigung
7
50 S. E. IIP:NSCHEN. PATHOLOGIE DES GEHIRNS
zu sprechen und wahrscheinlich die fehlenden Impulse. Ihr
Gedankenkreis war gewiss sehr eng.
WortblindJieit. Durch die Versuche wurde mit Wahr-
scheinlichkeit das Vorhandensein einer Wortblindheit nach-
gewiesen. Davon, dass diese nur eine unvollständige war,
konnte man sich überzeugen. Bisweilen verstand Pat. we-
nigstens einzelne geschriebene Buchstaben oder Zifitern.
Mit dieser Erscheinung ist die Lage der Geschwulst in
Ubereinstimmung. Sie nahm hauptsächlich den hinteren Ab-
schnitt des Gyrus temporalis secundus ein. Aber sie ging
nach oben etwas auf den Gyrus angularis über, nach unten
berührte sie T^; nach vorn war sie vom begrenzt, nach
hinten von dem Occipitallob (Taf VIII. Eig. i).
Die Wortblindheit wird gewöhnlich in den Gyrus angu-
laris lokalisirt. Zwar ist noch weder der Begriff" Wortblind-
heit völlig bestimmt noch die Auffassung wie diese Störung zu
Stande kommt hinreichend klar; und in Folge dessen konn-
ten die Grenzen ihres Centrums noch nicht näher bestimmt
werden. Einerseits finden sich Fälle, wo die Läsion an der
Grenze zwischen dem Parietallappen und Occipitallappen lag,
wie zum Beispiel in einem der reinsten bisher publicirten
Fälle, namentlich dem von mir unter N:o 28 im ersten
Teile meines Werkes publicirten ; anderseits scheint die Wort-
blindheit bisweilen als eine Folge der W^orttaubheit vorzu-
kommen, wobei also die Läsion den Temporallappen betrifft.
Durch diesen Fall, wo die Wortblindheit und die Wort-
taubheit eine nur wenig ausgesprochene war, werden deshalb
die hinteren und unteren Grenzen der Wortgehör- und Wort-
gesichtscentren gewissermassen bestimmt.
Durch die Geschwulst wurden nun wichtige Verbind-
ungen zwischen dem Gesichtscentrum einerseits und den
Wortgesichts- aber besonders Wortgehörcentren abgeschnit-
ten. Dem ungeachtet funktionirten diese Centren bis zu
einem gewissen Grade.
Da ich hoffe in einer späteren Abhandlung die Aphasie-
frage ausführlich zu behandeln, so gehe ich hier auf die Kon-
sequenzen dieses Falles nicht näher ein.
Ausserdem darf nicht vergessen werden, dass, obschon
die Geschwuls' weder T' noch den Gyrus angularis infiltrirt
hatte, doch die Rinde dieser Windungen durch die gum-
möse Meningitis gewdssermassen ergriffen war, wodurch die
Störungen erklärt werden. Ausserdem wirkte wohl auch der
Druck von der Geschwulst aus mit.
ApJiämie. Diese Form von Aphasie lag nicht vor. Pat.
konnte sogar längere Sätze spontan sprechen und die Wörter
waren oft völlig deutlich. Es fehlte ihr auch nicht der Wort-
begriff. Sie sprach keinen Unsinn.
Dagegen ist es einleuchtend, dass die Initiative zu
sprechen fehlte, was wohl von der Störung der sensorischen
Wortgehör- und Wortgesichts-Bildcr oder Erinnerungen ab-
hing. Da diese Störung eher auf einer Beeinträchtigung als
einer Vernichtung dieser psychischen Sphäre beruhte, so fehlte
zwar die spontane Initiative, dagegen riefen neue von aussen
ihr zugeführte Impulse, also P^ragen, Vorzeigen von Gegen-
ständen u. s. w. Meinungsäusserungen hervor. Wurde Pat.
in Ruhe gelassen, so verhielt sie sich auch ganz still, sie lag
wie im Schlummer. In dieser Hinsicht wechselte jedoch ihr
Zustand (s. die Anamnese), was mit den Insulten zusammen-
hing und wahrscheinlich auf Kongestionen beruhte.
Die ausgesprochenen Wörter waren zum Teil eine Art
von Interjektionen oder automatische Ausdrücke, wie ja, nein,
pfui. PLs lässt sich nicht ausschliessen, dass dabei die rechte
Hirnhälfte zu Hülfe genommen wurde.
Eine avincstiscJic Aphasie war ohne Zweifel vorhanden.
Sie fand nicht Worte, oder die Fähigkeit Worte zu wieder-
holen war auffallend beeintriichtigt. Dagegen keine Apltäviie.
Ob Agrapliie vorlag, var unmöglich zu prüfen, da Pat.
früher nicht schreiben konnte.
Kranialnerven.
I. Genich. Sie fasst Gerüche auf und zwar beiderseits
gleich. Sie crfasst, wenn die Stoffe angenehm oder schlecht
riechen; gicbt aber nicht die Namen der Geruchsstoffe zu er-
kennen. Die Geschwulst liegt weiter nach hinten als das
vermutete Centrum.
II. Sowohl durch die Blinzelreflexe wie durch andere
Beobachtungen wurde eine rechtsseitige Hemianopsie konsta-
tirt. Dabei schien das centrale Gesichtsfeld erhalten geblieben
zu sein.
Die Lage der Geschwulst welche das occipitale Seh-
bündel gänzlich zerstört hatte, erklärt befriedigend das Vor-
handensein der Hemianopsie.
Die Prüfung des Farbensinns war vergeblich.
Eine Jieniianopische Pnpillenreaktion war nicht vorhan-
den. Die Sektion lehrte nun, dass sowohl das Pulvinar wie
der Colliculus anterior durch den Druck von der Geschwulst
aus gelitten hatten indem sie abgeplattet waren. Da nun
meiner Meinung nach die Pupillenreflexbahn durch die me-
diale Opticuswurzel läuft, so wäre, da der innere Kniehöcker
kaum makroskopisch beeinflusst wurde, kein Grund zur An-
nahme vorhanden, dass dieser Abschnitt der Reflexbahn in
seiner Funktion beeinträchtigt gewesen wäre.
Schwieriger ist zu erklären, warum die Reflexfasern im
Colliculus anterior frei blieben, obschon das Ganglion deutlich
abgeplattet war. Bei näherer Betrachtung der betreffenden
Teile findet man jedoch, dass der ausgeübte Druck als nur
gering angenommen werden muss. Im vorigen Falle, An-
ders Ersson, wo fast analoge Verhältnisse vorlagen, A\ar erst
gegen das Ende des Pat. eine schwache hemianopische Pu-
pillenreaktion wahrzunehmen. Hier hatten jedoch gewiss schon
früher die Centralganglien durch den Druck gelitten. In An-
betracht des grösseren Umfanges der Geschwulst musste hier
der Druck viel stärker gewesen sein.
Hieraus ergiebt .sich, dass ein gelinder Druck auf das
Pulvinar die Pupillenrefle.xe nicht aufhebt. In dieser Hin-
sicht war der P'all 18 lehrreich. Hier war der allgemeine
intrakranielle Druck sehr stark. Aber nur bei den Kongestions-
anfällen der GeschAvulst traten Anzeichen einer hemianopi-
schen Pupillenreaktion auf Die Geschwulst lag hier von dem
Tractus und der Reflexbahn überhaupt weiter entfernt.
Die ophthalmoskopische Untersuchung ergab eine jedoch
nicht sehr ausgeprägte Stasispapille. Die Grenzen der Pa-
NEUE FÄLLE DIE LEHRE VON DER SEHBAHN UND DEM SEHCENTRUM BETREFFEND
51
pillen waren nicht scharf. Grössere Hämorrhagien waren be-
sonders im rechten Auge vorhanden und in dem oberen Ab-
sclinitte der Retina fanden sicli rote den Gefässen parallele
Blutstreifen. Andererseits waren auch Atrophien vorhanden.
Dieser Befund erlaubte in Anbetracht des Nichtvorlian-
denseins einer Nephritis oder eines Herzfehlers den Schluss,
dass ein luetischer Process, und zwar eine Geschwulst vor-
lag. Bemerkenswert ist, dass das rechte Auge am meisten
ergriffen war, während die Geschwulst auf der linken Seite sass.
III. IV. VI. Nur eine Störung des rechten Abduceus
wurde wahrgenommen. Bei der rechtsseitigen Lage der Ge-
schwulst hätte man eher eine Störung des hnken Abducens
erwarten sollen.
V. Die sensible Portion der Trigeminusbahn war nicht
gestört und von der Geschwulst an keinem Punkt wenn nicht
im Pes berührt.
Von der motorischen Portion der Bahn lagen deutliche
Reizsymptome in Form von Kaubewegungen, welche längere
Zeit anhielten, vor.
VII. Der obere Facialis war deutlich in seiner Funktion
beeinträchtigt. Das rechte Augenlid konnte weder voll-
ständig geöffnet noch geschlossen werden. Dagegen war
es bemerkenswert, dass das untere Facialisgebiet nicht ge-
stört war.
VIII. Die Gehörschärfe war beiderseits vermindert,
aber nicht aufgehoben. Ein Blick auf die Taf. VIII. Fig. 2.
zeigt, dass die centrale Gehörbahn von der Geschwulstbildung
wohl ergriffen war.
IX. Der Geschmack war nicht nachweisbar verändert,
was hinsichtlich der Ausdehnung der Geschwulst Beachtung
verdient.
X — XII. Es war keine nachweisbare Störung, trotz der
rechtsseitigen Parese der Glieder, vorhanden.
Fall
Klinische Diagnose; Hystepia (?) Hemiplegia sinistpa, Hemi-
anopsia?
Krankengeschichte.
Infolge der kurzen Zeit, die Pat. im Krankenhause zu-
gebracht hatte, wurde leider nur. eine unvollständige Untersuch-
ung vorgenommen.
Anamnese. An welchen Krankheiten die Eltern gestor-
ben sind, ist ihr unbekannt. Die Mutter war nervös, der Vater
Alkoholiker. Pat. lebte stets in guten hygienischen Verhältnissen.
Von ihrem siebenten Jahre bis zum dreizehnten hatte sie einen
anstrengenden Dienst und wurde schlecht behandelt. Sie wurde
selbst bisweilen geschlagen und dieses verdüsterte ihr Gemüth
sehr bedeutend. Vom i3:ten bis zum 24:ten Jahre diente sie auf
dem Lande. Der Dienst war zwar anstrengend, aber die Be-
handlung gut.
Sensibilität.
Obschon die Untersuchung bei verschiedenen Gelegen-
heiten ein wechselndes Resultat ergab, dürfte wohl als
Schlussresultat angesehen werden, dass sich eine Störung
des Schmerzsinnes in der rechten Seite vorfand. Aber diese
war nicht beträchtlich und bisweilen sogar nicht sicher nach-
weisbar. Und nachdem die Phlegmone aufgetreten war,
waren die betreffenden Glieder hyperästetisch. Ort-, Muskel-
und Temperatursinn waren ansclieinend nicht gestört, der
Drucksinn war nicht genau zu prüfen. Die scheinbare Ver-
minderung desselben schien von dem allgemeinen Stumpf-
sinn der Pat. abzuhängen.
Da die Geschwulst die sensible Bahn nicht berührt hatte,
stehen die khnischen und anatomischen Befunde im Ganzen
im Einklang mit einander. Die Drucksteigerung erklärt die
Verminderung des Schmerzgefühls.
Motilität.
Da die rechtsseitigen Glieder in hohem Grade paretisch
waren und die Geschwulst die centrale Bahn derselben im
Hemisphäi'enmark nicht ergriffen hat, so dürften die Störungen
Drucksymptome sein.
Gegen das Ende der Pat. kam eine gelinde Kontraktur
dazu. Früher waren die Glieder schlaff.
Reflexe. Zuerst waren die Patellarreflexe besonders
rechts erhöht, später auf derselben Seite vermindert.
Vasomotorische Jind trophisclie Störungen traten zuerst
in der rechten Seite auf, später auch links und führten zun'
Tode. Auch war das Herz bedeutend erweitert und die Ge-
fässe sklerosirt.
Pathol. Anatom. Diagnose: Tuinop syphiliticus in pegione tem-
popali dextp.
Zwischen den i4:ten und i5:ten Jahre machte sie Nerven-
fieber, Scharlach und ein katarrhales Fieber durch. Sie wurde
zwar als gesund entlassen, aber befand sich in einem sehr kraft-
losen Zustande. Im i^:tai Jahre bekam s'e einen epileptischen
Anfall und zwar trat er bei einer Auktion ein, wo die Versteiger-
ung eines Gegenstandes sie in grosse Spannung versetzt hatte
und den Anfall hervorrief. Sie fiel bewusstlos zu Boden und war
nach Angabe der Umgebung während Stunde bewusstlos. Die
Anwesenden erzählten ihr nachher, »dass die Augen stier waren
und der Mund schief gezogen, Schaum stand vor dem Munde,
sie biss auf die Zunge, die Hände waren krampfhaft geballt
und sie zappelte mit den Füssen». Nach dem Anfalle litt sie an
Kopfweh. Störung der Sensibilität oder Motilität oder sonst etwas
Abnormes betreffs der Sinne wurde nicht wahrgenommen.
5. Lovisa Olsson.
Verheiratet. 47 Jahre alt.
Taf. VII.
52 S. E. RENSCHEN. PATHOLOGIE DES GEHIRNS
Bis zum 35:ten Jahre hatte Fat. ähnliche Anfälle anfangs
j in jeder Woche, dann j jeden Tag. Dann verminderte sich
die Zahl der Anfälle und in ihrem 35:ten Jahre hörten sie wie
schon gesagt wieder vollständig auf.
Sie fühlte im Voraus, wann sie kommen würden. Selbst
charaktärisirt sie die Anfälle folgendermassen: zuerst Angst, dann
unstillbares Weinen, es kommt ihr vor, als ob sie jemand er-
mordet hätte, sie bat jeden um Verzeihung; sie fing an zu
schreien und warf alles von sich, was sie zufällig in den Händen
hatte, dann verlor sie das Bervusstscin. Die Krämpfe stellten
sich nun wie beim ersten Anfalle ein. Nach dem Erwachen litt
sie stets während einiger Stunden an Kopfweh, aber sonst blieben
keine anderen Symptome des Anfalles zurück. Ein Arzt wurde
konsultirt, aber ohne Resultat.
Im Alter von 24. Jahren hcirathcte Pat. Essen und Kleider
hatte sie auch dann in genügender Menge, aber ihr Zimmer war
oft kalt und zugig. Die Arbeit war anstrengend. Der Ehcman
war unordentlich und dem Trünke ergeben, was ihr Gemüth
schwer bedrückte. Der Mann war venerisch infizirt, aber sie
selbst soll an Lues nicht gelitten haben und seitdem sie die
Krankheit des Mannes bemerkt hatte, hat sie jede nähere Be-
rührung mit ihm vermieden. Kinder hat sie nie gehabt. Alko-
hol hat sie nie genossen. Ihre Menstruation fing im Alter von
19. Jahren an und dauerte bis zu ihrem 45. Jahre.
Im Herbst 1889 bekam Pat. Influenza mit Frösteln, Schnupfen
und Schmerzen im Rücken, Kopf und Bauch. Das Kopfweh war
besonders heftig wie auch die Rückenschmerzen. Gleichzeitig
stellte sich Erbrechen ein. Wenn Pat. still im Bette lag, war
der Zustand erträglich, aber bei der geringsten Bewegung wurden
die Schmerzen äusserst stark, das Gesicht schwoll an und schmerzte
bei Berührung. Medicin und Hypnotismus wurden versucht, aber
die Schmerzen wurden nur unbedeutend erleichtert. Dagegen
glaubt sie, dass rechts ihr Gehör durch das Hypnotisiren in
hohem Grade abgenommen habe. Der Schlaf war zu dieser Zeit
schlecht wie auch in Folge der Magenschmerzen der Appetit.
Der Stuhlgang träge.
Infolge dieser Schwäche wurde Pat. ins Akademische Kran-
kenhaus am i:sten März aufgenommen und wurde dort unter der
Diagnose Hysteria + Catarrhus ventriculi chronicus bis zum 31.
März s. J. behandelt. Sie wurde dann als gebessert entlassen. Über
ihren Zustand bei der Aufnahme vermeldet das Journal folgendes:
»Pat. klagt über Erbrechen und Schmerzen im Rücken, Kopf
und Magen. Die Schmerzen fingen in der Stirn an, erstreckten
sich nach hinten und unten; oder sie fingen im Hinterkopf an
und erstreckten sich nach unten, dem Rücken entlang. Die Rücken-
schmerzen begannen in den Weichen und erstreckten sich von da
nach oben hin. Die Schmerzen traten in Anfällen auf. Beim
Druck auf den Nervus occip. major wird bisweilen ein gelinder
Schmerz geäussert, bisweilen nicht. Übrigens wurden am Kopf
keine Druckpunkte wahrgenommen. Bisweilen werden auch
Schmerzen bei Druck auf den Musculus erector spinse oder auf
die Spinalprocesse ausgelöst. Übrigens klagt Pat. über Schmer-
zen im Epigastrium und besonders in den Fossae iliacse. Der
Ventrikel ist auch dilatirt. Der Magensaft enthält Salzsäure,
Pat. scheint geneigt ihr Leiden übertreiben und Mitleid hervor-
rufen zu wollen. Sie klagt offenbar mehr als nötig.
Bei der objektiven Untersuchung wurde überhaupt nichts
bemerkenswertes wahrgenommen. An den Kranialnerven wurde
keine Störung beobachtet, ausgenommen, dass der Geschmack
etwas herabgesetzt, und das Gehörvermögen etwas vermindert war.
Durch eine stärkende Behandlung mit China, Eisen, Bä-
dern, Massage, Elektricität u. s. w. wurde Pat. gebessert. Ihr
Gemüth wurde lebhaft, sie schien weniger weinerlich zu sein, die
Schmerzen wurden etwas gelindert, aber das Erbrechen dauerte
noch fort, wie wohl nicht häufig auftretend. Pat. wurde 31. März
1890 entlassen.
Nach der Entlassung befand sich Pat. eine längere Zeit
recht gut. Sie klagte nur über reissende Schmerzen im Kreuz,
besonders wenn sie sich nach vorn neigte. Sie klagte über Steif-
heit und Empfindlichkeit im Nacken und war wegen der grossen
Schwäche zu schwererer Arbeit unfähig. Ihre Nahrung war
während dieser Zeit sehr schlecht, weil sie keine Arbeit ausführen
konnte. Ihr Gemüth war sehr herabgestimmt und zwar infolge
der brutalen Behandlung von Seiten des Mannes, der oft be-
trunken war.
Noch schlechter wurde der Zustand seit ungefähr 11 Wochen
und sie wurde dann gezwungen einen grossen Teil des Tages
liegend /;;/ Bette zuzubringen. Sie litt an heftigem Kopfweh an
Stirn und Scheitel. Die Schmerzen im Kreuz waren anhaltender
als früher und die Schwäche wurde hochgradig. Vor einem
Monate bekam Pat. einen Anfall von, wie sie vermutet, derselben
epileptifornien Beschaffenheit wie in früheren Jahren. Der Verlauf
des Anfalles war jedoch nach ihrer eigenen Aussage den früheren
nicht vollständig ähnlich. Dieser soll nämlich ohne Zuckungen
verlaufen sein, während die früheren immer von diesen begleitet
waren. (Vergleiche den Bericht des Mannes.)
Den vor einem Monat eingetretenen Anfall schildert sie
folgendermassen. Sie stand in der Küche am Feuerherd. An
ihrer Seite hatte sie ein Spülfass mit AVasser. Plötzlich wurde
sie von einem Gefühl einer hochgradigen Angst und Beklommen-
heit befallen. Schwindel trat ein. Sie merkte wie sie zu Boden
fiel, aber was dann erfolgte, weiss sie nicht. Als sie erwachte,
fand sie, dass sie in dem verschütteten Wasser lag. Der Mann
stand an ihrer Seite und fragte, warum sie da liege, worauf sie
antwortete, dass sie davon nichts wisse. Sie versuchte sich auf-
zurichten, aber vermochte es nicht, sondern wurde vom Manne
ins Bett getragen. Sie bemerkte nicht gleich, dass sie in der
linken Seite gelähmt war. Die Länge des Anfalles schätzt sie
auf eine Viertelstunde, aber der Mann giebt an, dass es gewiss
höchstens etwa 5 Minuten gedauert habe. Er war nämlich un-
mittelbar vorher im Zimmer gewesen; als er eintrat, lag das
Weib am Boden ausgestreckt. Alle Glieder zuckten, die Augen
stiertejt wild, das Bewusstsein war geschwunden. Ob Schaum an
dem Munde stand oder das Gesicht schief war, weiss er nicht.
Nach wenigen Augenblicken kam dann das Bewusstsein wieder
und da sie sich nicht aufrichten konnte, trug der Mann sie
ins Bett.
Nach dem Anfalle hatte sie beiderseits vom Scheitel hef-
tiges Kopfweh. Sie fühlte die Schmerzen tief im Inneren des
Kopfes. Erst am folgenden Tage empfand sie, dass sie mit der
linken Hand die Nadel nicht führen konnte, während die rechte
Hand wie früher normal war. Nun fand sie auch bei näherer
Untersuchung, dass auch das linke Bein schwächer als das rechte
war. Doch konnte sie sowohl den linken Arm wie auch das
NEUE FÄLLE DIE LEHRE VON DER SEHBAHN UND DEM SEHCENTRUM BETREFFEND
53
linke Bein etwas bewegen. Als sie aber zu gehen versuchte, war
es ihr ganz unmöglich. Was die Sensibilität anbetrifft, so giebt
sie an, dass dieselbe an der linken Körperhälfte auch etwas ver-
mindert gewesen sei.
Die Sehschärfe der Pat. war während der letzten Jahre etwas
verringert, aber nach dein Anfalle soll sie ganz . bedeutend sich
verschlechtert haben. Infolge dessen konnte sie jetzt nur eine
sehr kurze Weile lesen, weil die Buchstaben nach einigen Augen-
blicken sich nur als eine verworrene Masse darstellten. Früher
konnte sie auch Geschriebenes lesen; sie konnte nie schreiben.
Sie war nicht farbenblind.
Betreffend Geruch, Geschmack und Gehör hatte Pat. keinen
Unterschied vor und nach dem Anfalle wahrgenommen. Alkohol-
missbrauch und venerische Infektion verneint sie.
Der Mann giebt an, dass sie nach dem Anfalle meistens
die Augen auf die Decke gerichtet habe. Dagegen hat er nicht
beobachtet, dass sie überwiegend die Augen nach einer Seite
gerichtet hätte. Auch in der letzten Zeit benahm sie sich oft
sehr sonderbar. Sie wurde von Angst geplagt, bat um Ver-
zeihung, weinte u. s. w. Harn wurde nur jeden vierten bis fünf-
ten Tag gelassen. Die Auslehiung trat nur jeden io:tenbis i4:ten
Tag ein, aber nach Aussage des Mannes waren die Faekalklum-
pen sehr hart und von einer erstauenenerweckenden Grösse.
Die Parese der linken Seite wurde mit Massage und Elek-
tricität von einem Quacksalber behandelt. Die Pat. musste zuerst
zu ihm nach seinem Hause gebracht werden, aber nach einigen
Seancen wurde sie so gebessert, dass sie selbst dorthin gehen
konnte, nur auf eine Person gestützt. Indessen dauerte die Bes-
serung nicht lange. Eine Verschlechterung trat ein und sie wurde
am i2:ten Mai 1892 in die Klinik aufgenommen.
Status praesens am i4:ten Mai 1892.
Pat. ist bettlägrig, unter Mittellänge, schwach gebaut, die
Muskulatur reduzirt, aber das Fettpolster gut entwickelt. Das
Gesicht ist gelblich, bleich und aufgeschwollen, aber sonst findet
sich kein eigentliches Oedem. Die Haut ist übrigens von nor-
maler Elasticität und Feuchtigkeit. Keine Cyanose. An den
Schleimhäuten nichts Bemerkenswertes. Die Zunge ist nicht
belegt.
Subjektive Symptome.
Pat. nennt sich selbst elend und weinerlich und klagt über
Kopfweh.
Objektive Untersuchung.
Der plötzlich am selben Tage, als die Untersuchung vor-
genommen werden sollte, eintretende Anfall Hess diese weni-
ger vollständig werden als wünschenswert gewesen wäre.
Psyche. Sie sieht und hört was um sie vorgeht und fasst
es wie es scheint normalerweise auf. Ihre Intelligenz ist völlig
klar, aber ihr Benehmen ist etwas sonderbar. Sie klagt viel,
obschon sie anscheinend nicht leidet, sie plaudert viel und ist
weinerlich; sie scheint schwerfällig zu sein und macht den Ein-
druck einer ausgesprochenen Hysterischen. Wenn sie im Bette
sitzt, wirft sie sich bisweilen nach hinten auf den Rücken und
schreit.
Aphasie. Wie schon erwähnt, konnte sie das gesprochene
Wort richtig auffassen, ob sie auch das Geschriebene verstand
wurde nicht geprüft. Sie sprach alles ohne Schwierigkeit. Auf
Agraphie wurde sie wegen der kurzen Zeit nicht geprüft. (Sie
konnte auch früher nicht schreiben.)
Kranialnerven.
I. Geruch; nichts bekannt.
II. Gesicht; leider machte ihr plötzlicher Tod eine ge-
nauere Untersuchung unmöglich. Nur folgendes wurde gelegent-
lich bemerkt.
Wenn der Beobachter auf ihrer linken Seite stand, drehte
Pat. den Kopf und die Augen viel häufiger nach dieser Seite
hin, als wenn einer auf ihrer rechten Seite stand. Auf Hemi-
anopsie wurde sie nicht geprüft. Nach den anamnestischen An-
gaben konnte sie auch während der letzten Zeit, wenn auch
schlecht, lesen.
Die Aussage des Mannes, dass sie meistens die Augen
nach oben richtete, bestätigte sich im Krankenhause nicht. Seh-
hallucinationen wurden nicht wahrgenommen.
III. IV. VI. Keine hemianopische Reaktion. Die Augen-
beiuegungen anscheinend normal. Eine eingehendere Untersuchung
wurde nicht vorgenommen. Pupillen reagiren auf Lichtreiz.
V. Nichts Besonderes.
VII. Keine deutliche Schiefheit im Gesicht.
VIII. Nach der Anamnese soll das Gehör am rechten
Ohr verschlechtert sein, und überhaupt war das Gehör ver-
mindert. Gehörhallucinationen wurden nicht wahrgenommen.
IX — XII. Nichts Besonderes beobachtet.
Sensibiütät.
Das Gefühl in der linken Seite schien bei der Prüfung
niclit herabgesetzt zu sein.
Der Muskelsinn ist nicht herabgesetzt.
Motihtät.
Der linke Arm und das linke Bein sind paretisch. Die
rechte Seite ist normal.
Schwache Kontraktur der linksseitige \ Glieder.
T r o p h i s c h e Störungen.
Am linken Unterarme findet sich ein roter Fleck, welcher
auf subkutaner Blutung beruht. Kein Decubitus.
T a g e s a u f z e i c h n u n g e n.
^^/ö. Pat. versuchte aufzustehen, aber fiel um und wurde
ins Bett gebracht.
^^/s. Um 12 Uhr rief sie plötzlich: »jetzt kommt ein An-
fall», sie fiel auf den Rücken und wurde aug^ nblicklich bewusst-
los. Schaum stand am Munde; Strabismus trat ein; das rechte
Auge war nach oben gerichtet, das linke nach unten. Bei oph-
thalmoskopischer Untersuctiung, welche ungewöhnlich leicht war,
wurde die Papille vollständig normal befunden. Die Abgrenzung
war scharf, die Gefässe scharf, nicht dilatirt oder verengt. Keine
Spur von Oedem oder Papillitis.
Pat. hatte keine Zuckungen, las? ganz still im Bette auf
dem Rucken. Die Herzbewegungen waren schwach; sie wurden
für eine Weile durch Elektricität etwas gebessert. Die Absicht
54 S. E. HENSCHEN. PATHOLOGIE DES GEHIRNS
Pat. im Nacken zu schröpfen wurde wegen des schon nach etwa
20 Minuten eingetretenen Todes nicht ausgeführt.
Pat. verschied um 12,40 n. M.
Sektion.
Gehirn.
Das Schädeldach ist bedeutend dick; keine Osteophyten an
der Innenseite.
Z>ic Dura ohne Verdickungen.
Die Pia erscheint ungewöhnlich dünn, ist aber im übrigen
normal und lässt sich nur mit Schwierigkeit von der Rinde ablö-
sen, sie ist aber nicht mit ihr verlötet.
Die Hemisphären machten gleich den Eindruck, dass der
intrakranielle Druck vermehrt gewesen war, denn die Windungen
waren überall etwas plattgedrückt und die Gehirnoberfläche un-
gewöhnlich blutarm, wodurch sie auch etwas gelb erschien.
Die rechte Hemisphäre.
Nach der Herausnahme des Gehirns schwellt die rechte
Hemisphäre etwas auf. Besonders gilt dies vom Temporallappen.
Die Oberfläche des Gehirns zeigt sonst nichts Abnormes
mit Ausnahme, dass der Zwischenraum zwischen Gyrus Hippo-
campi und der lateralen Seite der Corpora quadrigemina, dem
Kniehöcker und Pes von einer gelblichen Geschwiilstmasse aus-
gefüllt ist. Dadurch erscheint der Temporallappen breiter als
normal. Die Geschwulstmasse tritt nur wenig über der Ebene
des T-lappens hervor, ist an der Oberfläche etwas kleinhöckerig.
An der medialen Seite sind sonst keine Veränderungen vor-
handen, aber die Centralganglien scheinen etwas mehr als normal
ausgebreitet und etwas angeschwollen zu sein. Ihre Konturen
sind jedoch nicht verwischt.
Frontal schnitte. Die Hemisphäre wurde in i-c.m.
dicke Scheiben geschnitten.
An den Schnitten 2, 4 und 6 cm. vor der Occipitalspitze
wurde keine Veränderung bemerkt; die Rinde, das Mark und
speciell die Sehstrahlung waren vollständig normal.
Schnitt 7 cm. (in der Ebene des hinteren Colliculus) (Taf.
VII. Fig. 7). Eine taubeneigrosse Geschwulstmasse füllt so weit
man sehen kann das ganze Unterhorn von der unteren Fläche
des Fornix bis zu ihrem Boden aus (vgl unten). Die Masse ist
in der Mittellinie scharf begrenzt, liegt der lateralen Fläche der
Corpora 4-gemina unmittelbar an, ohne mit ihr zusammenge-
wachsen zu sein, hat den Fornix in die Höhe gedrängt, drückt
die Wand des Unterhorns etwas nach aussen, besonders an der
Mitte der Sehstrahlung, wogegen die unteren etwa 15 m.m. der
Sehstrahlung nur wenig oder gar nicht beeinflusst zu sein scheinen.
Nirgends infiltrirt die Masse die Sehstrahlung. Die Grösse der
Geschwulst ist: Länge 35 m.m.. Breite 26 m.m.
Übrigens zeigt der Schnitt keine Veränderung. Das Mark
in der Nähe der Geschwulst ist nicht malacirt.
Schnitt 8 cm. (Taf. VII. Fig. 6.) Die Geschwulstmasse füllt
hier den Raum zwischen Gyrus Hippocampi, dem Pes und Pul-
vinar vollständig aus. Ihre Begrenzung ist nicht mehr so scharf
und sie kann von dem umgebenden Gewebe nicht mehr ge-
trennt werden. Die ganze Umgebung und besonders der Pes
und die Unterseite des Pulvinars wurden von der Masse ge-
drückt, aber nicht malacirt. Die Kniehöcker lassen sich nicht
unterscheiden. Der Durchschnitt der an dieser Stelle härteren
Geschwulst ist 12 -}- 26 m.m.
Schnitt g cm. (Taf. VII. Fig. 5.) Makroskopisch tritt die
Geschwulstmasse hier nicht auf, aber das Gehirngewebe in der
Nähe des Tractus scheint ein wenig verfärbt und in der Furche
zwischen Tractus und Ammonshorn sieht man einen Ausläufer
der Geschwulstmasse.
Schnitt 10 cm. Der Tractus ist hier deutlich von unten
nach oben abgeplattet und misst am Durchschnitte nur i — 2 m.m.
Centralganglien.
Wie schon bemerkt wurde, sind die rechtsseitigen Central-
ganglien von der Geschwulstmasse etwas nach oben und nach
der Mittellinie gedrängt. Ihre Form ist dagegen nicht bemer-
kenswert verändert. Die Frontaldurchschnitte bestätigen dieses,
mit Ausnahme dass die laterale Oberfläche des Pes und die Unter-
fläche des Pulvinar von der Geschwulstmasse gedrückt und in-
filtrirt ist. AVie sie sich verhalten, kann nur das Mikroskop ent-
scheiden.
Sonst markiren sich an den Frontalschnitten alle Teile
deutlich, nämlich der Nucleus caudatus, die äusseren und in-
neren Thalamuskerne, die Capsula interna und die Kerne der
subthalamischen Region.
Dagegen scheinen die Kniehöcker und das Pulvinar in der
Geschwulst aufgegangen zu sein. Die Aussenfläche des Colli-
culus anterior ist mit der Masse zusammengewachsen.
Die frontalen Teile der Centraiorgane sind von der Ge-
schwulstmasse nicht bemerkbar beeinflusst.
Die linke Hemisphäre
zeigt weder an der Oberfläche noch im Inneren etwas Abnormes
mit Ausnahme des Umstandes, dass sie deutlich durch den er-
höhten intrakraniellen Druck etwas gepresst war.
Das Kleinhirn und Medulla oblongata sind auch etwas ge-
drückt, das Kleinhirn ist besonders mit seinem rechten Rande
dem Grosshirn adhserent, wie auch die Medulla oblongata mit
Dura verlötet ist.
Mikroskopisches.
An den makroskopischen Präparaten war es Uberhaupt mit
unbewaffnetem Auge oder mit der Loupe unmöglich Klarheit dar-
über zu gewinnen wie weit die gummöse Geschwulst sich aus-
dehnte und wie die angrenzenden Teile sich verhielten. Dess-
wegen wurde eine grössere Schnittreihe mikroskopischer Präparate
von den ergriffenen Abschnitten verfertigt. Sogar an diesen mi-
kroskopischen Schnitten konnte nur mit grosser Mühe die Lage
und Ausdehnung des krankhaften Processes festgestellt werden.
Centralganglien.
Von welchem Punkt die Geschwulst, welche übrigens alle
Charaktere einer Gummigeschwulst hatte, ausging, Hess sich nicht
mit Sicherheit feststellen. Ihre Ausdehnung und Lage sind oben
beschrieben; aber mit dem Mikroskop liess sich bestimmen, dass
sie nicht in das Unterhorn eindrang, sondern vollständig ausser-
halb desselben lag und zwar mehr medial und die Wände d^s
NEUE FÄLLE DIE LEHRE VON DER SEHBAHN UND DEM SEHCENTRUM BETREFFEND
55
Horns an einander gepresst hatte. Medial erreichte sie also die
Mittellinie, und wurde nach aussen durch den Gyrus Hippocampi
begrenzt. Hier hatte sich die Geschwulst zwischen die Wind-
ungen des Subiculum cornu Ammonis eingedrängt.
Nach vorn nahm die Geschwulst den Raum ventral vom
Pulvinar ein und infiltrirte es ohne scharfe Grenze, während sie
medialwärts den lateralen Rand des Pes infiltrirte. Schärfer war
sie nach aussen begrenzt und hier liess sich stellenweise der freie
Rand der Cauda des Nucleus caudatus und ein Rest des äus-
seren Kniehöckers erkennen.
Am schwierigsten war es festzustellen, wie die Neubildung
sich zu den optischen Ganglien verhielt. Nach vorn drang sie
höchstens i Millimeter frontal von dem äusseren Kniehöcker in
den Tractus opticus ein. Nach hinten nahm dann die Ge-
schwulst an Grösse zu, und infiltrirte die beiden Kniehöcker; von
dem äusseren war nur eine Spur mit Sicherheit zu entdecken, sie
drang dann medialwärts auf die untere Fläche des Pulvinar sowie
auf den Pes über. Dorsalwärts ist das Gewebe hier dorsal vom
Tractus (also die Capsula interna, Lens und Pulvinar bis zu etwa
I cm.) in die Höhe geschoben und teilweise infiltrirt. Gleich-
zeitig hat sie auf den Pes etwa 5 m.m. Ubergegriffen und den-
selben infiltrirt.
Die benachbarten Gefässe zeigen die typische syphilitische
Veränderung, indem ihre Wände verdickt sind.
Was die einzelnen Gebilde betrifft, so wurden folgende spe-
cielle Veränderungen gefunden. Dabei verzichte ich jedoch auf
die genauere Beschreibung der Teile. Das der Neubildung zu-
nächst liegende Gewebe ist wesentlich bis zur Unkenntlichkeit
verändert.
Thalamus. Der frontale Abschnitt bis zum Pulvinar verhielt
sich überhaupt normal. Beim Durchschnitt liessen sich die ver-
schiedenen Kerne leicht erkennen.
Der innere Kern war kaum verändert. (Fig. 5.) Der
äussere hatte normale Form und eine Veränderung durch Druck
trat nicht hervor, ausgenommen im hintersten Abschnitte, welcher
von der Geschwulst bis zu einer Dicke von etwa 5 Millimetern
infiltrirt ist. Die von der Capsula interna einstrahlenden Bündel
zeichneten sich schön ab.
Aber das Pulvinar hing an seiner Untenseite eng mit der
Geschwulst zusammen und war so verändert, dass sein hinteres
Ende sowie seine Konturen nicht zu erkennen waren.
Der rote Kern war anscheinend unverändert.
Der Linsenkörper war in seinem hinteren Abschnitt nach
aussen und oben gedrängt, aber sonst ohne Veränderung.
Der Luys''sche Körper war ebenfalls unbeschädigt.
Der Pes war im lateralen Abschnitt bis zu etwa 5 m.m.
von der Geschwulst infiltrirt.
Die Suhstantia tiigra scheint dagegen nicht betroffen zu sein.
Die an der lateralen Seite des Nucleus ruber nach oben
einstrahlenden Sciileifenfasern liegen unten frei, höher oben in der
unmittelbaren Nähe der Infiltration.
Das optische System.
Vorne hat der Tractus opticus seine Form erhalten; auf
dem Durchschnitt (Frontalschnitt) liegen zahlreiche Fasern gleich-
mässig gestreut, aber sie sind auffallend spärlich und zum grossen
Teil degenerirt oder sehr schmal. Einige m.m. nach hinten sind
schon die Fasern sehr spärlich und deutlich in Degeneration be-
griffen, schon vor dem Auftreten der Geschwulst verschwinden
sie f;ist vollständig und es sind fast nur noch Reste der Nerven-
substanz vorhanden.
Nun treten am ventralen Rande des Tractus einige Milli-
meter vor dem äusseren Kniehöcker die ersten Anzeichen eines
gummösen, gelatinösen Infiltrates auf. Dasselbe nimmt rasch
zu und schon wenige Schnitte weiter nach hinten ist der Tractus
zum grossen Teil in der Neubildung aufgegangen, welche alsdann
mit anderen rundlichen Gummiknötchen zusammenfliesst. Der
Punkt, wo die Geschwulst auftritt, liegt nur wenige Schnitte von
dem Beginn des äusseren Kniehöckers.
Dieses Ganglion wird nach aussen gedrückt, abgeplattet und
durch die Nähe der Gummigeschwulst ist seine Struktur so ver-
ändert, dass ich nur nach langem Untersuchen aus der Lage,
dem Auftreten einiger grossen Zellen u. s. w., die vorliegende
Partie für den äusseren Kniehöcker anzusehen mich berech-
tigt fand.
Der äussere KnicJiöcker ist schon erwähnt. Sein vorderster
Abschnitt ist, obschon verändert noch vorhanden. Die Haupt-
masse lässt sich nicht auffinden. Fasern im erhalten gebliebenen
Teil sind kaum zu finden; von den Zellen sind nur einzelne
vorhanden.
Der innere Kniehöcker liegt am dorsalen Rande der Gummi-
geschwulst nach oben gedrückt, und ist fast vollständig in der
Neubildung aufgegangen. Jedenfalls ist er durch die Nähe der
Geschwulst so verändert, dass man ihn kaum mehr erkennen kann.
Der Beginn der Geschwulst ist also gerade da, wo die me-
diale Opticuswurzel sich abzweigt. Ob von dieser Wurzel Fasern
gerettet sind, ist schwer zu entscheiden, jedoch kaum zu ver-
muthen. Aber es ist auffallend, dass ungeachtet der fast totalen
Vernichtung doch in einem Abschnitte wenige m.m. weiter nach
vorn so viele, wenn auch schmale (atrophische?), Fasern vorhan-
den sind. Dies deutet darauf hin, dass doch eine nicht unbe-
trächtliche Partie der Zerstörung entgangen ist. Ob nun diese
erhalten gebliebenen Fasern die Pupillenreflexfasern sind, ist frag-
lich. Wenn dem so wäre, so dürften sie kaum, wie ich sonst
gern annehmen möchte, auf der Oberfläche des inneren Kniehöc-
kers sondern tiefer verlaufen.
Epikrise.
Kurzer Krankenbericht. Der Vater war Alkoholi-
ker, die Mutter nervös. Schlechte Behandlung in der Jugend.
Im 15. Jahre rief eine starke Erregung einen cpilcptiscJicii
Anfall, ohne Lähmung, hervor. Vom 15. bis 35. Jahre
wiederholte Anfälle, welche später aufhörten. Ihr Mann war
venerisch infizirt; selbst hatte .sie keine Anzeichen von Lues.
Herbst 1889 Influenza mit starkem Kopfweh. Gleichzeitig
Erbrechen und später Herabsetzung des Gehörs am rechten
Ohr. Wurde 1890 vom i. — 31. März im Krankenhause unter
der Diagnose Hysterie gepflegt. Sie litt an nervösen Symp-
tomen. Ausser einer Herabsetzung des Geschmacks und Ge-
hörs, fanden sich keine objektiven Symptome. Erbrechen.
Ihr allgemeiner Zustand war in der folgenden Zeit überhaupt
schlecht; sie hütete das Bett, klagte über Kopfweh und
Schwäche. Im April 1892 hatte sie einen epileptischen An-
56 S. E. HENSCHEN. PATHOLOGIE DES GEHIRNS
fall mit Zuckungen, Bewusstlosigkeit und linksseitiger Parese
der Motilität und Sensibilität.
Status prccscns am 14. Mai 1892. Klare Intelligenz.
Keine Aphasie. Anscheinend hysterisch, schreit bisweilen.
Sehvermögen nach Angabe herabgesetzt. Hemianopsie f.-J.
Kein Strabismus. V. und VII. normal. Gehör links ver-
mindert. Sensibilität und Motilität waren links vermindert.
Pat. verschied unerwartet am gleichen Tag.
Diagnose. Art der Läsion. Der Tod der Pat. trat im
Krankenhause so plötzlich und unerwartet ein, dass eine gründ-
lichere Untersuchung nicht vorgenommen werden konnte.
Die in der Krankenanamnese angeführten Daten \\ aren
beim Tode nur zum Teil bekannt und sind teilweise später
gesammelt geworden.
Pat. trat Abends am 12. Mai ins Krankenhaus ein und
starb schon am Mittag des 14. s. M.
Die Plötzlichkeit des Todes, nachdem sie kurz zuvor
einen apoplektischen von Hemiplegie begleiteten Anfall ge-
habt hatte, machte das Vorhandensein einer Häniorrliagic
recht wahrscheinlich. In Anbetracht, dass Pat. schon in ihrer
Jugend nach einer Gemütsbewegung bei der erwähnten Auk-
tion einen Anfall gehabt hatte, und dass sie bei einem frühe-
ren Aufenthalt im Krankenhause als eine Hy.sterica betrachtet
wurde, sowie auch ihr eigentümliches Benehmen am Tage
vor dem Tode machte es wahrscheinlich, dass die frühei'en
Anfälle, welche mit dem 35. Jahre ohne bekannte Ursache
plötzlich aufhörten, auch nur nervöse Anfälle waren. Im
Jahre 1890 wurden ebenfalls keine objektiven Veränderungen
wahrgenommen, welche auf eine organische Hirnkrankheit
hätten deuten können.
Nimmt man hinzu, dass ihre Lähmung nicht vollständig
war, und vor allem dass eine Stasispapille vollständig fehlte,
so lagen überhaupt keine Anhaltspunkte für eine Geschwulst
vor, wenn auch das mögliche Vorhandensein einer solchen
in Betracht gezogen wurde.
Die Sektion wies eine diffuse, nicht sehr grosse hietiscJie
Gesclizvidst nach. Hier liegt also das Ungewöhnliche vor,
dass eine basale Geschwulst nicht mit Stauung.ssymptomen
vereint war, was um so auffallender war als die Geschwulst
von der Seite auf die Corpora 4gemina gedrückt hatte
und deshalb wohl eine Verengerung des Sylvischen Aquä-
duktes, hätte hervorrufen müssen.
Zweitens fragt es sich : was ist die Ursache jener epi-
leptiformen Anfälle, an welchen Pat. zwischen ihrem 15.
bis 35. Jahre gelitten hatte. Da Pat. wahrscheinlich durch
ihren Mann, welchen sie erst im 20. Jahre geheiratet hatte,
infizirt wurde, so liegt kein Grund vor die Infektion als
Ursache für die Anfälle anzusehen. Die Anfälle waren, der
Beschreibung nach zu urteilen, echte epileptische. Sie waren
von Bewusstseinsverlust und Zuckungen begleitet. Ihr plötz-
liches Verschwinden und späteres zweimaliges Auftreten ist
auch eigentümlich. Bei deren Wiedererscheinen wurde Pat.
hemiplegisch.
Die Sektion wies keine anderen Veränderungen als die
guvnndse GcscJnvidst nach. Ob mikroskopische V^eränderungen
irgendwo sonst vielleicht vorhanden gewesen sind, muss ich
dahingestellt sein lassen. Die Sektion gab kaum eine Er-
klärung der epileptiformen Anfälle.
Da nun bei der Sektion die gummöse Geschwulst sich
im Gyrus Hippocampi vorfand, und hier im Ammonshorn ja
nicht selten bei der Epilepsie Veränderungen gefunden wer-
den, so liegt die Möglichkeit vor an einen Zusammenhang zwi-
schen dem Sektionsbefund und jenen Anfällen zu denken. Da
das Geruchscentrum in der Nähe dieser Stelle ebenfalls häufig
lokalisirt wird, so war es eigenthümlich, dass Pat. nie eine
Aura in Form von Geruchsempfindungen gehabt zu haben
scheint. Wenigstens finden sich darüber keine Angaben.
A n a 1 s e der Symptome.
Psychische Symptome. Wenn man die Symptome all-
gemeiner Schwäche und Nervosität, wie das Angstgefühl, die
hjgentümlichkeit ihres Wesens sowie das schon seit Jugend
bestehende Kopfweh ausnimmt, so waren keine hervorstehen-
den Symptome vorhanden. Pat. war bei klarem Bewusstsein,
sprach zusammenhängend, und hatte normale Gesichts- und
Gehör.sperceiationen. Ilallucinationen sollen nie vorhanden ge-
wesen sein.
Veränderungen der lateralen Oberfläche fanden sich auch
nicht. — Dagegen war das Weib oft herabgestimmt, was aber
in den misslichen häuslichen Verhältnissen eine genügende Er-
klärung findet.
Aphasie in irgend einer Form war nicht vorhanden.
Kranialnerven.
I. Hierüber ist nichts erwähnt.
II. Der Befund post mortem setzt ausser Zweifel, dass
Pat. hcmianopisch war und zwar nach links. Die Geschwulst
hatte den hintersten Abschnitt unmittelbar vor dem äusseren
Kniehöcker infiltrirt, und von diesem Ganglion war nur ein
Überbleibsel zurück. In diesem konnte man nur einige spär-
liche, kaum mehr erkennbare Zellen nach langem Suchen ent-
decken, und Fasern Hessen sich keine färben. Die Haupt-
masse des Ganglions war in der Geschwulst aufgegangen und
nicht aufzufinden.
Der hinterste Abschnitt des Tractus hatte nur spärliche,
zum grössten Teil degenerirte Fasern.
Mit der Annahme einer Hemianopsie stimmten auch die
klinischen Symptome vortrefflich, wenn auch eine specielle
Gesichtsfelduntersuchung wegen des plötzlichen Todes der
Pat. nicht vorgenommen werden konnte. Die Pat. drehte
den Kopf nach links, um die an ihrer linken Seite stehenden
Personen zu sehen, und that dies in höherem Grade als
wenn sie nach rechts hinblicktc.
Nach den Angaben der Anamnese war auch die Seh-
schärfe der Pat. während der letzten Zeit etwas vermindert,
ohne dass für diese Störung in der Beschaffenheit der Augen-
medien eine genügende Erklärung gefunden Averden konnte.
Als ich am letzten Tage die ophthalmoskopische Untersuchung
vornahm, waren die Medien auffallend klar und durchsichtig.
Die Retina war ungewöhnlich leicht zu sehen. Nach dem
Anfalle wurde eine ganz bedeutende Abnahme der Sehschärfe
konslatirt und Pat. konnte deshalb nur eine kurze Weile lesen.
NEUE FÄLLE DIE LEHRE VON DER SEHBAHN UND DEM SEHCENTRUM BETREFFEND
57
Alle diese Phänomene finden in der Hemianopsie eine befriedi-
gende Erklärung.
Es lag ivohl also eine lijikseitige Hemia^iopsie vor.
Dagegen fanden sich keine Gesichtshalhicinaiioiie7i. Wenn,
wie einige Forscher als z. B. Angelucci, Meynert u. s. w. die
rohen Gesichtsperceptionen in den subkortikalen optischen
Ganglien enstanden wissen wollen, so hätten doch wohl auch
irritative Prozesse dieser Ganglien oder des naheliegenden Ge-
webes von subjektiven Phänomenen oder Hallucinationen be-
gleitet werden müssen. Das ist aber, meiner Erfahrung nach,
nicht der Fall, während solche dagegen bei kortikaler Läsion
in den Occipitallappen und sogar Parietallappen recht gewöhn-
lich sind. Zur Zeit behandle ich in meinem Krankenhause
drei Patienten, welche an kortikaler (?) Hemianopsie leiden.
Alle drei leiden an Gesichtshallucinationen. Früher (Teil I
und II Fälle N:ris 21, 22, 24, 30, 35 (S. 210—213) 36, 42, 45
habe ich besonders hervorgehoben, dass diese oftmals die
Form von halbseitigen Gesichtshallucinationen und zwar im
blinden Felde annehmen.
Bisweilen findet man doch auch bei Tractusläsionen Ge-
sichtshallucinationen. Ob diese aber auf retinalen Phosphänen
oder wirklichen Hallucinationen beruhen, verdient untersucht
zu werden.
Schwieriger wird es zu erklären dass die Jieinianopische
Reaktion fehlte. Bei dem nur kurzen Aufenthalte der Pat.
im Krankenhause, wurden keine wiederholten Prüfungen vor-
genommen. Schon deswegen hege ich jedoch etwas Miss-
trauen zu der Richtigkeit dieser Beobachtung. Aus der Sek-
tion geht es nun hervor, dass die Geschwulst im Tractus
ihren Anfang genommen und an der medialen Seite des äus-
seren Kniehöckers schon eine ansehnliche Grösse gewonnen
hatte. Sie hatte die medialwärts vom Kniehöcker liegen-
den Gewebe teils nach oben gedrückt, teils infiltrirt und die
Nervenfasern sowie das Gewebe in der Nähe der Geschwulst
waren überhaupt wesentlich verändert, was ich häufig in der
Umgebung syphilitischer Geschwülste beobachtet habe. Gla-
sige Flecke ohne Struktur und von unregelmässiger Form
waren hier wie im Falle Arnholt (Teil I. Fall 12. S. 80) ob-
schon in geringerer Ausdehnung vorhanden.
Dieser Befund macht es in hohem Grade wahrschein-
lich, dass der innere Kniehöcker von dem nicht einmal Über-
bleibsel entdeckt werden konnten, entweder bis zur Unkennt-
lichkeit verändert oder von der Geschwulst völlig infiltrirt war.
Wenn nun wie ich glaube die Opticuspupillenreflexbahn
hier medialwärts vom äusseren Kniehöcker mit der medialen '
Opticuswurzel und dann an der Oberfläche (?) des inneren
Kniehöckers verläuft, so dürfte sie wohl zerstört gewesen
sein. Gegen eine solche Annahme spricht, dass sich weiter
nach vorn im Tractus zahlreiche Fasern fast über dem gan-
zen Durchschnitt zerstreut vorfanden. Woher kamen diese
Fasern wenn nicht zum grossen Teile von der medialen Wur-
zel, da die äussere nach dem äusseren Kniehöcker gelangende
weiter nach hinten fast völlig degenerirt war?
Es liegen also hier Befunde vor, welche schwer zu deuten
sind und wenigstens in scheinbarem Gegensatz zu einander
stehen — einerseits die wenigstens einmal beobachtete nicht-
S. E. Menschen. Pathologie des Gehirns.
hemianopische Pupillenreaktion, anderseits die Lage der Ge-
schwulst, welche die Pupillenreflexbahn getroften haben muss,
endlich das Vorhandensein einer Anzahl von Tractusfasern
bei Zerstörung des äusseren Kniehöckers imd anscheinender
Infiltration des inneren.
Vielleicht können einige etwas frontal von der Ge-
schwulst verlaufende Pupillenfasern, der Zerstörung entgan-
gen sein.
Obschon der klinische Befund schwierig zu deuten ist
und besonders gegen meine Anschauung anscheinend spricht,
konnte ich nicht umhin denselben zu erwähnen. Dies schien
mir in Anbetracht der Thatsache einer Erwähnung wichtiger,
selbst wenn meine Theorie durch ihn erschüttert werden sollte.
III. IV. VI. Die Augen- und Pupillenbewegungen waren
sonst normal. Die Geschwulst dehnt sich zwar bis zur Nähe
der Oculimotoriusbündel aus, hat dieselben jedoch nicht er-
griffen.
V. Da die sensible Bahn in den Centralganglien nicht
mit Sicherheit ergriffen war, so steht der klinische Befund
nicht zu dem anatomischen im Gegensatz. Der Fall spricht
jedoch kräftig dafür, dass die Trigeminusbahn nicht soweit
nach hinten-unten im Thalamus verläuft, als in der Nähe des
inneren Kniehöckers, denn diese Gegend war durch das
Gumma wesentlich verändert \\'orden resp. völlig infiltrirt.
Wenn die Bahn höher oben und nach vorn verläuft, dann
wird das Nichtvorhandensein einer Trigeminus-Störung be-
friedigend erklärt.
VII. Die Infiltration der Aussenfläche des Pes spricht
entschieden dagegen, dass hier die Facialisfasern verlaufen.
VIII. Die Infiltration des rechten inneren Kniehöcker?
hatte keine auftallende subjektive Störung hervorgerufen.
XII. Das Nichtvorhandensein einer Hypoglossuslähmung
wird wie bei dem Facialis erklärt und das dort Gesagte gilt
auch der Lage der Hypoglossusfasern im Pes.
Sensibilität.
Da die Geschwulst die Centralw'ndungen nicht berührt
hatte, so erklärt sich das Nichtvorhandensein einer Sensibili-
tätsstörung dadurch, dass die sensible Bahn nicht getroften
war. Was oben unter Trigeminus bemerkt ist, gilt auch hier.
Jedoch scheint die Sensibilität unmittelbar nach der Apoplexie
etwas vermindert gewesen zu sein, was sich leicht aus der
in der Nachbarschaft der Bahn sitzenden Geschwulst zu er-
klären lässt.
Motilität.
Die Motilitätsstörung zeigt nichts Abweichendes von
dem was eine ge\vöhnliche Hemiplegie darbietet. Der ein-
zigste Punkt, wo die Pyramidenbahn getroften \\ar, ^\ar am
Pes, derselbe ist zur Hälfte von der Geschwulst infiltrirt.
Später trat eine gelinde Kontraktur auf der linken
Seite ein.
Der Tod wurde gewiss durch Hirnanämie hervorgerufen.
Zuckungen waren nicht vorhanden und das Gehirn im Ganzen
sehr blass.
8
58
S. E. HENSCHEN. PATHOLOGIE DES GEHIRNS
Fall 6. Stj ernstr öm.
Armenhäusicrin. 80 Jalire alt.
Taf. IX. X. XI.
Klinische Diagnose: Hemiplegia sinistpa e. Anaesthesia. Enee-
phalomalaeia.
Krankengeschichte.
Anamnese. Über die Eltern oder Verwandten war keine
Auskunft zu bekommen.
Von den Kindern der Pat. leben noch drei. Dieselben
sind gesund. Mehrere sind jedoch gestorben, einige derselben
an »Wassersucht».
Die Pat. scheint im Allgemeinen unter recht ungünstigen
hygienischen Verhältnissen gelebt zu haben und ihre Beschäftig-
ung war oft sehr anstrengend. Während der letzten Jahre war
sie im Armenhaus.
Im Übrigen war es unmöglich, genauere Auskunft über
die früheren Krankheiten der Pat. zu bekommen. Sie hatte ein-
mal an »Wassersucht» gelitten.
Seit längerer Zeit leidet sie an Altcrsscliwächc, doch konnte
sie meistens ausser Bett sein.
Die Krankheit der Pat. soll Ende iSq2 angefangen haben,
wann, kann nicht näher bestimmt werden. Pat. wurde dann von
Sc/nvindelatifällen betroffen, welche sich nachher immer von
Zeit zu Zeit wiederholten. Diese Anfälle waren anfangs leicht
und traten nur ein, wenn Pat. versuchte sich aufzurichten. Dabei
verspürte sie eine gelinde Eingenommenheit. Der erste stärkere
SeJnvindelanfall trat %ii Neujahr dieses Jahres (1893) auf. Pat.
fühlte sich »eigentümlich» im Kopfe, verlor plötzlich das Be-
7vusstscin und fiel ohne weiteres zu Boden. Das Bewusstsein
kehrte bald zurück, und Pat. schien von dem Anfall sonst keinen
Schaden genommen zu haben. Nach dem Anfalle hütete sie eine
kürzere Zeit das Bett, aber erholte sich bald wieder.
Während des Frühlings und des Sommers soll Pat. mehrere
solche Anfälle gehabt haben. Alle waren leicht, aber wie dieselben
sonst verliefen, darüber fehlt jede Auskunft.
Am 10. Aug. bekam Pat. einen ernsteren Anfall gleicher
Art wie früher. Diesmal soll sie sich beim Fallen weh gethan
haben. Während der darauffolgenden Zeit war Pat. sehr »son-
derbar», hatte starkes Kopfweh, und beim Anreden antwortete
sie etwas verworren.
Am 23. Aug. wurde Pat. ins Akademische Krankenhaus
aufgenommen. Sie war damals nicht gelähmt. In der Nacht
zwischen dem 26. und 27. Aug. stand Pat. auf, bekam einen
Schlaganfall und fiel mit einem Aufschrei zu Boden. Das Be-
wusstsein kam bald zurück, und nun bemerkte man, dass die
linke Körperhälfte und besonders der linke Arm und das linke
Bein gelähtnt waren. Beim Falle hatte Pat. sich eine Kontusion
unter dem rechten Auge zugezogen. Seitdem ist die Pat. sehr
unruhig und macht immer vergebliche Versuche das Bett zu
verlassen. Pat. ist auch sehr verworren und interessirt sich nicht
mehr für das, was um sie vorgeht.
Nach und nach ist die Beweglichkeit des Armes und Beines
zurückgekehrt, wenn auch nur sehr unvollständig. Erst begann
Palholog. anatom. Diagnose: Eneephalomalaeia hemisph, dextp.
et slnistpae.
Pat. die Hand und den Fuss, dann den Unterarm zu bewegen,
und bald konnte sie sowohl Arm wie Bein heben.
Status praesens am 19. Sept. 1893.
Die Pat. ist bettlägrig. Die Muskulatur ist reduzirt und
schlaff, die Kräfte ebenfalls. Der Appetit ist recht gut. Der
Stuhlgang nur künstlich zu erreichen. Der Schlaf ziemlich gut.
Die Temperatur afebril. Der Puls unregelmässig, weich, klein
und von wechselnder Frequenz, bisweilen 80, bisweilen selbst
bis 160. Resp. 20. Der Harn dunkelgelb, von saurer Reaktion
und sp. Gew. 1.017, enthält weder Eiweiss noch Zucker.
Die Hautfarbe ist blassgrau, an den Händen und Füssen
etwas cyanotisch. Die Lippen blass. Die Radialarterien sind
sehr steif mit reichlicher Kalkinfiltration.
Subjektive Symptome.
Pat. klagt über Schmerzen im Kopf, Bauch und in den Bei-
nen, sowie auch über allgemeine Schwäche.
Objektive Untersuchung.
Psychische Funktionen. Der Gesichtsausdruck ist
schlaff, der Blick gleichgültig. Die Intelligenz ist bedeutend
herabgesetzt. Am Tage liegt sie oft in einem somnolenten Zu-
stand, aus welchem sie jedoch ohne Schwierigkeit geweckt werden
kann. In den Nächten liegt sie dagegen wachend da; sie schwatzt
dann oft unzusammenhängende Worte und wehklagt oft, ohne
näheres anzugeben.
Die Auffassung ist bisweilen recht gut, bisweilen etwas ver-
worren. Sie fasst gewöhnlich die Fragen gut auf und antwortet
in klarer Weise und führt Befehle richtig aus. Die Urteilskraft
ist nicht sehr scharf. Das Gedächtnis ist bedeutend geschwächt,
bisweilen ganz geschwunden. Namen, Jahreszahl und Ereignisse
kann sie sich nicht erinnern, wohl aber in gewissem Grade Per-
sonen. Der Gemütszustand ist sehr herabgesetzt. Sie seufzt
oft. Der Wille ist gewöhnlich von richtigen Motiven geleitet.
Hallucinationen scheinen vorhanden zu sein.
Aphasie. Worttaiibheit ist nicht vorhanden. Pat. fasst und
versteht richtig an sie gerichtete Worte. Ob Wortblindheit oder
Agraphie vorhanden ist, lässt sich wegen der herabgesetzten
Sehschärfe nicht bestimmen.
Aphämie findet sich nicht. Pat. wiederholt ohne Schwierig-
keit Worte. Bisweilen macht es ihr Mühe, den richtigen Namen
eines Gegenstandes zu finden, und verwechselt oft Namen: sie
nennt z. B. ein Glas eine Schale, eine Feder einen Pfriemen
u. s. w.
Seclenblindhcit oder Seelentaubheit ist nicht vorhanden.
NEUE FÄLLE DIE LEHRE VON DER SEHBAHN UND DEM SEHCENTRUM BETREFFEND
59
Die Kranialnerven.
I. Der Geruch ist auf beiden Seiten bedeutend herabgesetzt,
und zwar links etwas mehr als rechts. Pat. kann nicht ver-
schieden riechende Stoffe unterscheiden. So z. B. scheint ihr
Ammoniak und Campfer gleichen Geruch zu haben. Pat. liebt
Schnupftabak sehr, aber sie nimmt eben so gern Kaffe und Senf,
ohne einen Unterschied zu ftihlen.
IL Die Sehschärfe ist bedeutend herabgesetzt, und zwar
am meisten am linken Auge. Die Sehschärfe näher zu bestim-
men war nicht möglich, weil Pat. das Detail eines Gegenstandes
nicht bestimmen konnte. In Folge dessen war es auch unmög-
lich das Sehfeld perimetrisch zu bestimmen. Durch verschiedene
Proben war es leicht sich zu überzeugen einerseits, dass das
Sehfeld bedeutend beschränkt war, und andererseits, dass das cen-
trale Sehfeld erhalten war. Wenn man eine I^ampe in der
Mitte des Sehfeldes herumführt, so sieht Pat. dieselbe ; wenn man
sie aber etwas aus dem Fixationsfeld entfernt, so nimmt sie diese
nicht mehr wahr. Eine Hemianopsie ist jedoch nicht vorhanden.
Keine hemianopische Pupillenreaktion. (Vgl. unten.)
Farbensinn. Pat. kann die verschiedenen Farben gut von
einander unterscheiden und benennt sie meistens richtig. Ein
rotes Papier benennt sie rot, ein blaues jedoch »braun».
Die ophthalmoskopische Untersuchung ergab keine abnorme
Beschaffenheit der Retina. In den Linsen beider Augen findet
sich eine centrale Katarakt; im linken Auge sind die Trübungen
der Linse grösser als im rechten.
III. IV. VI. Die Bewegungen der Augen sind normal,
aber etwas träge. Strabismus ist nicht vorhanden, auch kein
Nystagmus. Die Pupillen sind von gleicher und gewöhnlicher
Grösse; sie reagiren gegen Lichtreiz, aber, wie es scheint, nicht
bei Accomodation.
V. Berühritngssinn. Bei der Berührung der rechten Ge-
sichtshälfte mit einem Papierstreifen giebt Pat. sofort die Berüh-
rung an; die linke Gesichtshälfte muss man viel stärker streichen,
wenn Pat. es fühlen soll. Auch giebt sie die Empfindung viel
langsamer an.
Schmerzsi/in. Beim Kneifen oder beim Stechen mit einer
Nadel zeigt sich fast gleiche Schmerzempfindlichkeit auf beiden
Seiten. Auf der linken Seite muss man aber stärker kneifen oder
stechen, damit es die Pat. schmerze.
Wärme- und Kältesinn. Rechts normal. Links bedeutend
herabgesetzt. Ein Probirröhrchen mit Wasser von 15" C. fühlt
sie nicht als kalt, und wenn es mit Wasser 50" C. gefüllt ist,
empfindet sie dabei weder Wärme noch Kälte.
JDer Geschmack an der vorderen Hälfte der Zunge ist sehr
herabgesetzt. Pat. kann Salziges, Süsses und Saures (Salz, Zucker
und Essig) nicht unterscheiden.
Das Gefühl der Zunge ist auch vermindert. Prüfung mit
Papier und Nadel.
VII. Eine Ungleichmässigkeit oder Schiefheit des Gesichts
ist, mit der zu erwähnenden Ausnahme, 7iicht vorhanden. Die
Stirn wird beiderseits gleichförmig gerunzelt. Die Augenlider
werden beiderseits gleichzeitig und mit gleicher Kraft geschlossen.
Der Mund dagegen ist nach links hinübergezogen, und die Lip-
penränder werden links etwas stärker geschlossen als rechts.
Die Nasenspitze weicht etwas nach rechts ab. Sulcus nasolabialis
ist rechts mehr markirt als links. Die Gaumenbögen stehen
gleich hoch, keine Deviation der Uvula.
VIII. Das Gehör ist an den beiden Ohren herabgesetzt,
und zwar in ungefähr gleichem Grade. Pat. kann eine Uhr nicht
weiter als auf 9 cm. hören.
IX. Auch an dem hinteren Abschnitt der Zunge ist der
Geschmack beiderseits bedeutend herabgesetzt. Süsses schmeckt
ihr »gut», aber sie kann es nicht näher bestimmen! Das Schlucken
geht nur träge von Statten.
X. Das Atmen ist normal und auf beiden Seiten gleich.
Die Respirationsbewegungen sind ruhig.
XL Die Stimme ist schwach. Die Sprache unklar. Die
Stellung der Schulter ist normal. Eine Schiefstellung des Kopfes
ist nicht vorhanden.
XII. Die Zunge wird nur unsicher, träge und niclit weit
herausgestreckt. Sie ist überhaupt besonders nach links hin
schwerbeweglich. Sie weicht nach keiner Seite ab. Keine fibril-
lären Zuckungen.
Spinalnerven.
Sensibilität.
Berührungssinn. Er ist rechts normal. Pat. empfindet am
rechten Arm, am rechten Bein, sowie an der rechten Rumpfhälfte
auch eine leichte Berührung mit einem Papierstreifen, wenn sie
CS auch nur langsam angiebt.
Am linken Arm und Bein ist das Gefühl bedeutend ver-
mindert. Erst nachdem man sie recht stark und wiederholt be-
rührt hat, giebt Pat. an, dass sie es verspürt habe. Dagegen
ist das Gefühl an der linken Rumpfhälfte normal (gut).
Schmerzsinn. Rechts normal. Am linken Arm und Bein
bedeutend herabgesetzt. Man kann sie recht tief mit einer Nadel
stechen, ehe Pat. angiebt, dass es sie schmerzt. Dies ist be-
sonders am linken Unterbein der Fall.
Temperatursinn. Dieser Sinn scheint beiderseits herabge-
setzt zu sein. Auf der rechten Seite giebt Pat. erst einen Unter-
schied von 15*' C. an, am linken Arm und Bein unterscheidet
Pat. nicht Wasser von 15" C. und 50" J. Jenes ist nicht kalt
und dieses nicht warm.
Ortsinn. An der rechten Seite giebt Pat. ziemlich richtige
Auskunft betreffs der berührten oder gestochenen Stellen. Am
linken Arm und Bein ist es ihr unmöglich selbst nur annähernd
die berührten Stellen anzugeben. Einen Stich am Oberarm oder
Fuss verlegt sie resp. zum Unterarm oder Unterbein. Sie ver-
wechselt selbst rechts und links.
Die elektrokutane Sensibilität. Es wurden keine genaueren
Resultate erreicht. Sie scheint jedoch am linken Arm und Bein
bedeutend herabgesetzt zu sein; desgleichen an der linken Ge-
sichtshälfte.
Der Muskelsinn. Rechts normal. Im linken Arm und Bein
herabgesetzt. AVenn man den linken Arm in eine gewisse Stellung
bringt und die Pat. auffordert ihn anzufassen, so gelingt dies
erst nach einer Weile, indem sie mit der rechten Hand herum-
sucht. Pat. hat kein Bewusstsein von der Stellung oder Lage
des hnken Beines.
Der Rumpf. Die Pat. kann sich nur bis zur Hälfte auf-
richten und kann sich nicht umdrehen.
(50
S. E. HENSCHEN. PATHOLOGIE DES GEHIRNS
Motilität.
Die Kräfte und folglich auch die Bewegung des Körpers
sind im Ganzen herabgesetzt. Mit den rechtsseitigen Gliedern
kann sie jedoch ziemlich unbehindert alle Bewegungen ausführen.
Die Bewegungen sind jedoch unsicher und tappend. Der linke
Arm liegt gewöhnlich im rechten ^\'inkcl kontraktirt, still und
lässt sich nur schwierig ausstrecken. Pat. kann mit ihm nur
einige wenige Bewegungen ausführen. Den Arm heben und
unter den Kopf legen geht leicht vor sich, dagegen kann sie ihn
nicht zur Mittellinie fuhren. Nur mit Schwierigkeit und langsam
kann sie ihn ausstrecken.
Auch die Bewegungen des linken Beins sind höchst be-
schränkt. Pat. kann in dem Hüftgelenk das Bein fast bis zum
rechten Winkel beugen. Dagegen kann sie es nicht nach aussen
bewegen, nach innen nur mit einer gewissen Anstrengung; doch
kann sie das eine über das andere legen. Die Bewegungen im
Kniegelenk sind schwach und bei geringerem Widerstand unmög-
lich. Im Fussgelenk sind keine Bewegungen ausführbar.
Der Gang. Pat. kann nicht gehen, und nicht ohne kräftige
Stütze stehen. Wenn sie versucht mit einer Stütze zu gehen, be-
wegt sie die Beine unregelmässig und setzt oft den einen Fuss
auf den anderen, ohne zu bemerken, wohin sie die Beine setzt.
Die elektrische Untersuchung mit dem faradischen Strom
zeigt, dass die Irritabilität im Gesicht links unbedeutend, in den
Gliedern aber stärker herabgesetzt ist.
Reflexe. Der Cubitalreflex war rechts nicht vorhanden,
links ist er schwach. Der Patellarreflex ist beiderseits schwach,
links stärker als rechts. Dorsalklonus ist rechts nicht vorhanden,
wohl aber links und daselbst schwach.
Hautreflexe fehlen.
Blase und Rectum. Den Harn lässt Pat. unter sich, oft
auch die Faeces; Flatus gehen oft unfreiwillig ab.
Trophische Störung.
Hand und Fuss sind links kalt anzufühlen. Am unteren
Drittel des linken Unterschenkels gleich oberhalb des vorderen
Randes der Til "a finden sich Hasmorrhagien auf einem Gebiete
von 6 — 8 cm. Hier finden sich auch zwei kleine Geschwüre
mit schwarzer nekrotischer Haut. Unter der linken Ferse findet
sich eine nekrotische Stelle.
Die übrigen inneren Organe. Lungen. Nichts Be-
sonderes.
Herz. Der Herzspitzenstoss findet sich im 6:ten Interstitium
2 cm. ausserhalb der Mammillarlinie und 4 cm. unterhalb der
Mammille. Er ist verstärkt und wird erst von 3 Fingern gedeckt.
Kein Fremissement. Die Grenzen des Herzens sind vergrossert,
sowohl rechts wie links.
Die Herztöne sind an verschiedenen Tagen recht verschieden.
Bei ruhiger Herzthätigkeit (80—100) hört man an der Spitze beim
listen Tone ein Geräusch, der 2:te Ton ist schwach oder un-
hörbar. Gleichfalls an der Basis. — Über der Aorta und Pul-
monalis ist der i:ste Ton etwas unrein; der 2:te schwach. Bei
stärkerer Bewegung treten die Geräusche nicht hervor.
Leber, Milz und Bauch: nichts Besonderes.
Tagesaufzeichnungen.
^^/n. Pat. hatte heute einen leicht vorübergehenden Schivin-
Jclanfall. Während dessen rollten die Augen, der Mund war
zusammengezogen und der linke Mundwinkel etwas nach oben
gezogen. Im linken Arm wurden einige krampfartige Zuckungen
bemerkt. Der Anfall dauerte ungefähr i Min.
^^/'j. Heute ist Pat. verhältnissmässig klar und sass halb-
angekleidet im Bette auf.
'°/io. Pat. ist schlaffer. Erst nach wiederholtem Fragen
versteht sie, was von ihr verlangt wird. Die Beweglichkeit des
linken Armes und Beines mehr herabgesetzt als vorher.
^■''/lo. Der Zustand verschlechtert. Die cerebralen Symp-
tome ausgeprägter als früher. Pat. ist sehr benommen, die Spra-
che ist unklarer, fast unverständlich. Kann den linken Arm und
das linke Bein nicht mehr bewegen. Die Sensibilität in diesen
Gliedern ist auch geringer als früher. Die Geschwüre am lin-
ken Bein sind grösser geworden und zu einem zusammengeflossen.
^^/lo. Wie vorher. Die linke Hand etwas geschwollen.
Sie konnte nach Aufforderung den linken Arm und das linke
Bein nicht bewegen. Starkes Kneifen ruft eine leichte Zuckung
im Unterarme hervor.
^°/io. Pat. liegt komatös. Puls von 134 in der Minute.
Respiration frequenter 32. Tracheales Rasseln.
^^|io. Wie gestern. Puls schwächer links als rechts. Diarrhoe.
^^/lo. Respir. 56. Verschied heute um 12.20 m.
Behandlung. Digitalis, Bad, Wein, Chloral, Morphium, Sul-
phonal, Cognak, T:a thebaica etc.
Anhang. Bemerkung bei der klinischen Untersuchung. Von
dem 19. bis 23. Sept. wurde die Untersuchung der inneren Or-
gane vorgenommen. Nach d. 23. wurde die übrige Untersuchung
vorgenommen. Pat hatte während dieser Zeit keinen Schwindel-
anfall.
Die Prüfung der Augen wurde wiederholt an mehreren
Tagen vorgenommen. Bisweilen gelangen die Proben nicht. Bei
der Untersuchung des Gesichtsfelds war Pat. vollständig oder
verhältnissmässig klar. Die Versuche wurden teils zuerst mit dem
Handperimeter gemacht, aber diese gelangen nicht gut, weil Pat.
nicht fixiren wollte oder konnte. Deshalb wurden die Proben
folgendermassen angestellt. Nachdem das eine Auge zugedeckt
war, wurde Pat. ersucht mich oder die Hand zu fixiren. Wenn
sie nun fixirte, wurde ein Gegenstand und zwar (am Tage ein
Stückchen Papier, am Abend eine Lampe) von der Peripherie
aus nach dem Centrum geführt (Entfernung ungefähr 45 cm.),
und durch wiederholtes Ausfragen und wiederholte Versuche
wurde das Gesichtsfeld bestimmt. Jedes Auge wurde für sich
geprüft und zwar in allen Quadranten.
Dadurch wurde zwar kein detailliertes Resultat gewonnen,
doch wurde folgendes eruirt:
1) Die Sehschärfe war bedeutend herabgesetzt (Centrale
Katarakt).
2) Die Accomodation war sehr herabgesetzt.
3) Hemianopsie war nicht vorhanden. Beide Augen in
dieser Hinsicht geprüft.
4) Die Gesichtsfelder waren bedeutend eingeschränkt, jedoch
symmetrisch (mehr am linken Auge) und zwar ungefähr bis auf
20 — 30*^.
5) Der Farbensinn war bis zu einem gewissen Grade erhalten,
NEUE FÄLLE DIE LEHRE VON DER SEHBAHN UND DEM SEHCENTRUM BETREFFEND
61
Sektion am ^^jio 1893.
Gehirn.
Schädel ist dolichocephalisch, symmetrisch, von gewöhnUcher
Dicke und Durchsichtigkeit, und die innere Tafel hat die ge-
wöhnhche etwas gelbliche Farbe.
Die Dura ist vorne schlaff und nur über den hinteren
Abschnitt des Gehirns gespannt. Ungefähr über dem Gyrus
frontalis superior ist sie am Frontalbeine angewachsen. Am
rechten Frontalbeine ist ein rotbrauner Fleck vorhanden. Seine
Grösse misst 8 cm. An der linken Hälfte des Stirnbeins findet
sich eine platte i cm. breite Exostose. Wenig Blut im Sinus
longitudinalis.
Die Gefässe. An der Basis des Gehirns sind die Carotides
steif, verdickt und gelblich. Die Arterie Fossee Sylvii haben
gelbe Flecke und verdickte Wände. Ebenso die Arteria basilaris,
sowie auch die Arteria corporis callosi.
Reichliche Menge von Flüssigkeit findet sich in den subarach-
noidalen Räumen.
Linke Hemisphäre. (Taf. X.)
Pia wird ohne Schwierigkeit abgelöst.
Occipitallappen. (Taf. X. Fig. i.) (Vgl. s. 63.)
Mediale Fläche. Hinsichtlich der Konfiguration der Gyri
wird auf die Figuren hingewiesen.
Der Cuneus ist etwas klein, indem die Oberfläche etwas
eingesunken ist. Die Rinde ist auch in der Ausdehnung, wie
die Figur zeigt, etwas gelblich. Diese Veränderung ist, wie man
sehen kann, auf die Cuneus-fläche begrenzt. Sie erreicht nicht die
Margo falcata oder die hintere Hälfte (3 cm.) der Fissura cal-
carina, aber in dem vordersten (2 cm.) Abschnitte erreicht die
Malacie die Fissura. An der vorderen Spitze des Cuneus erreicht
die Malacie auch die Fissura parieto-occipitalis.
Die untere Lippe der Fissura calcarina ist nicht angegriffen,
sondern fühlt sich fest und ist nicht verfärbt.
Frontal vom Cuneus ist eine Verfärbung nicht zu beobach-
ten. Die occipitale Spitze des Cuneus ist auch verschont.
Durchschnitte durch den Occipitallappen.
Die Spitze (Fig. 2). Einen getrennten Gyrus extremus
giebt es eigentlich nicht; der ihm entsprechende Gyrus ist an
der Oberfläche ein wenig verfärbt, was auch aus Fig. 3. Taf. X.
hervorgeht. An der Spitze ist eine Veränderung nicht vorhanden.
Schnitt I cm. (Fig. 3.) Keine makroskopische Veränderung,
mit der Ausnahme, dass die Rinde des Cuneus in der Aus-
dehnung von 5 — 6 m.m., wie die Fig. zeigt, verfärbt und mala-
cisch ist. Die Veränderung ist ausschliesslich kortikal.
Schnitt 2 cm. (Fig. 4.) Der Schnitt ist völhg normal, mit
Ausnahme einer kleinen kortikalen Malacie des Cuneus in der
Ausdehnung von i cm. Auch das subkortikale Mark ist bis
zu einer Tiefe von 8 m.m. malacisch.
Schnitt j cm. (Fig. 5.) Der Schnitt unversehrt, mit Aus-
nahme, dass a) in der Rinde und im Mark des Cuneus, dorsal
von der Fissura calcarina eine malacische Veränderung vorhan-
den ist. Diese hat die Cuneus-rinde 0.6 cm. weit zerstört; die
Malacie erreicht die Mündung der Fissura calcarina, b) das un-
terliegende Mark ist ebenfalls zerstört, aber zwischen der Mala-
cie und der Calcarina-rinde existirt ein makroskopisch gesunder
Streifen von Mark.
Die ganze Rinde der Fissura calcarina ist sonst völlig ge-
sund ohne Spur von Veränderung.
Die Schstrahlung: Im dorsalen Abschnitt der Sehstrahlung,
dem Boden der Fissura gegenüber, findet sich ein etwa 2 m.m.
grosses Loch (Malacie), das die Sehstrahlung durchschneidet.
Diese Malacie scheint von frischem Datum zu sein, jedenfalls
jünger als die andere Cuneus-erweichung.
Schnitt 4 cm. (Fig. 6.) Auch hier ist die Schnittfläche
völlig gesund, mit Ausnahme einer kleinen Malacie, welche den
peripheren Abschnitt der dorsalen Lippe einnimmt und die
Rinde der Fissura parieto-occipitalis in einer Ausdehnung von
etwa 2 cm. einnimmt. Auch das subkortikale Mark ist bis zu
einer Tiefe von etwa 3 — 4 m.m. erweicht.
Die Rinde des Bodens der Fissura calcarina ist völlig nor-
mal und auch die ganze ventrale Lippe.
Die Sehstrahlung ist in ihrer ventralen Hälfte schmaler als
gewöhnlich; sonst aber ohne makroskopische Veränderung.
Schluss. i) Die Erweichung der Cuneus-rinde hat weiter
vorn auch den peripheren Abschnitt der Calcarina-rinde ergrif-
fen, überall aber ist der Boden der Calcarina-rinde völlig nor-
mal, sowie auch die ganze untere Lippe.
2) Eine Unterbrechung der Markleitung vom Boden der
Fissur zur Sehstrahlung ist nicht vorhanden, nur am Schnitt 3
cm. giebt eo im dorsalen Abschnitt der Sehstrahlung eine kleine,
2 m.m. grosse Erweichung. In wie weit diese die Leitung un-
terbricht, ist schwierig zu bestimmen.
3) Sonst ist die Sehstrahlung völlig normal.
4) Dagegen ist die Cuneus-oberfläche in grosser Ausdeh-
nung erweicht.
Die rechte Hemisphäre. (Taf. IX. X. XL)
Die laterale Fläche. (Taf. IX. Fig. i.)
Frontallappen. Die Windungen sind zahlreicher als nor-
mal und etwas schmal.
F^ ist der Länge nach unregelmässig, zweigeteilt, aber
ohne pathologische Veränderungen.
F^. Pes des F^ durch 2 starke Schenkel mit C verbun-
den (s. die Fig. i. Taf. IX.). Unmittelbar vor dem Sulcus prce-
frontalis eine unregelmässige kortikale Malacie, welche den F^
in einer Ausdehnung von etwa 35 m.m. und einer Breite von
20 m.m. einnimmt. Die Malacie berührt auch in einer Aus-
dehnung von einigen Millimetern F^ und geht auf den aufstei-
genden Schenkel des F'^ und die nächste ^Vindung des F'^ Uber
in der Ausdehnung, wie Fig. 5. näher zeigt. Der malacische
Herd ist etwas eingesunken, gelblich, weich und wird bei dem
Ablösen der Pia etwas fetzig.
Die Centraiwindungen sind von abnormer Form, und
in Folge dessen ist ihre Begrenzung etwas schwierig zu be-
stimmen.
C"' ist im unteren Abschnitt von einem tiefen Sulcus durch-
schnitten. Dieser Teil geht mit zwei kräftigen Ausläufern in F^
über. Der obere Abschnitt ist kräftig entwickelt. ist völlig
normal,
G2 S. E. MENSCHEN. PATHOLOGIE DES GEHIRNS
Auch CP ist in derselben Höhe in zwei Teile abgeteilt.
Der ventrale Abschnitt ist an der Oberfläche normal. Die der
Rinde zunächstliegenden Teile sind in einer Ausdehnung von 2
cm. in ihrer ganzen Breite malacisch. Die obersten 3.5 cm.
haben eine unversehrte Rinde.
Parallel mit läuft ein schmaler Gyrus, bei dem man
vielleicht zweifelhaft sein könnte, ob er nicht zum gerechnet
werden sollte. Richtiger dürfte es doch sein, ihn zum P" zu
rechnen. Er zeigt in der Länge von 35 — 38 m.m. eine mala-
cische Rinde. Der ventrale Teil bildet die vordere Windung
des P^ der obere sollte vielleicht richtiger dem P^ zugerechnet
werden.
Im Gyrus angularis (A) ist auch eine kleine, 5 — 10 m.m.
messende kortikale Erweichung vorhanden.
An der Spitze des Temporallappens findet sich eine recht
scharf begrenzte Malacie. Diese nimmt nur die äussersten 2.5
cm. ein. (Fig. i.)
Im Occipitallappen (Taf. X.) besteht im Cuneus eine
kleinere Malacie, welche den hinteren Abschnitt einnimmt. Sie
misst oberflächlich sagittal 2 cm., vertikal etwa 18 m.m. und
berührt weder die Spitze noch die Margo falcata, wohl dagegen
die Fissura calcarina in einer Länge von 6 m.m. und zwar 15
m.m. vor der Spitze. Hier dringt die Malacie in die Tiefe,
was unten näher beschrieben werden wird.
Der übrige Teil des Cuneus sowie der Lobulus lingualis,
die ventralen und lateralen Flächen sind makroskopisch voll-
ständig unversehrt und normal.
Die Fissura calcarina ist nach hinten zweigeteilt, und sind
die Zweige in der Fig. 8. mit oc. inf(erior) und oc. sup(erior)
bezeichnet.
Frontaldurchschnitte. Occipito-Parictallappen.
Die Spitze. (Taf. X. Fig. 9.) Die äussersten 2 — 3 m.m.
sind nicht verändert, aber gleich nach vorn davon fängt im Cu-
neus die Malacie an. Der Gyrus lingualis ist dagegen äusser-
lich normal. Die kleine Malacie ist makroskopisch wenig ver-
ändert, aber aus dem Durchschnitte geht hervor, dass die Er-
weichung eine vollständige ist und gegen das benachbarte Ge-
webe sich scharf absetzt. Sie nimmt die Tiefe der Fissura cal-
carina vollständig ein, wie aus der Fig. 10. hervorgeht. Die hin-
tere Spitze der Fissur ist also völlig erweicht, obschon man dies
an der Oberfläche nicht bemerkt.
Schnitt I cm. (Taf. X. Fig. 10.) Hier setzt sich die Er-
weichung fort, nimmt die Oberfläche des Cuneus, mit Ausnahme
der eigentlichen Margo falcata, bis zu einer Tiefe von 3 — 5 m.m.
ein und ausserdem die ganze Fissura calcarina, und zwar so-
wohl die obere wie untere Lippe, mit Ausnahme der Mündung,
wo die Rinde des Lobulus lingualis in einer Ausdehnung von
etwa 3 m.m. makroskopisch normal ist (s. Fig. 10.) — sonst
sind die lateralen und ventralen Flächen normal.
Schnitt /./ cm. (Taf. X. Fig. 11.) Die Malacie nimmt
nur die Lippen der Fissura calcarina im Ganzen 17 m.m. von
der äusseren Fläche ein und greift also einige m.m. auf das
Mark über — sonst sind Rinde und Mark normal.
Schnitt 2 cm. (Taf. X. Fig. 12.) Hier ist nur die obere
Lippe der Fissur und der Oberfläche des Cuneus bis zum Bo-
den malacisch ; der Boden selbst aber und die untere Lippe sind
normal, wie auch die übrige Schnittfläche.
Die Malacie liegt nur kortikal.
Schnitt j cm. (Taf. X. Fig. 13.) Die Schnittfläche nor-
mal; ein suspekter 0,5 m.m. grosser Fleck liegt an der Aussen-
seite des Horns zwischen dem Ependym und der Sehstrah-
lung (atr.).
Ausserdem eine kleine kortikale Malacie (mal.).
Schnitt 4 cm. (Taf. X. Fig. 14.) Hier finden sich 2 klei-
nere Malacien, welche nicht die Sehstrahlung berühren.
a) Die eine liegt in dem Sulcus collateralis internus und
ist fast nur kortikal (2,5 m.m. tief).
b) Die grössere nimmt das Mark des T^ ein, gleich lateral
von der Sehstrahlung, entsprechend einer Höhe von etwa 5 m.m.
dorsal vom Boden des Hinterhorns. Die Sehstrahlung ist nicht
erweicht, ihre Farbe vielleicht suspekt.
Die Malacie ist rundlich-eckig und misst etwa 10 m.m.
frontal und 7 m.m. vertikal und dringt in der Tiefe des t^ bis
zur Oberfläche.
Schnitt 5 cm. (Taf. X. Fig. 15.) Die am vorigen Schnitte
vorhandene Malacie verläuft nach vorn und tritt nun an diesem
Schnitt als eine kleine, unregelmässige, 2 — 3 — 4 m.m. grosse Er-
weichung auf. Sie liegt in der Sehstrahlung 9 m.m. dorsal vom
Boden und hat dieselbe in einer vertikalen Ausdehnung von etwa
2 m.m. unterbrochen. Die ventrale Grenze der Malacie liegt
7 m.m. dorsal vom Boden des Unterhorns, dem t' entsprechend.
Im dorsalen Abschnitt des Marks des P^ liegt eine i m.m.
grosse Erweichung.
Die frontale Hälfte des Gehirns wurde in i cm. dicke
Horizontalschnitte zerlegt.
Der dorsalste Schnitt misst 2 cm. und zeigt im hinteren
Abschnitte des F^ eine kleine, circumscripte Malacie, welche wie
eine mehr ventrale im F^ etwa 2 cm. vor dem C* liegt.
Schnitt 2 cm. (Taf. IX. Fig. 2.) Ventral von der Margo
falcata findet sich eine kortikale Malacie im f' welche, folglich
sowohl F^ wie F^ berührt.
Der C ist auch an der Oberfläche malacisch.
Schnitt j cm. (Taf. IX. Fig. 3.) Hier dringen die bei-
den Malacien tiefer ins Mark ein.
a) Die vordere im F^ dringt 2 cm. ins Mark und misst
an der Oberfläche kaum 2 cm.
b) Die hintere im C'^ ist etwas undeutlich begrenzt und
misst auch etwa 2+2 cm. C''' und die vordere Hälfte des
C werden nicht berührt, aber im Mark sind wahrscheinlich die
Fasern vom C zur Capsula interna durchtrennt.
Schnitt 4 cm. (Taf. IX. Fig. 4.) Noch ausgedehnter sind
die Malacien an diesem Schnitte.
a) Die vordere nimmt den Pes des F^ ein und streckt sich
bis zum C'^ und etwa 2,5 cm. in die Tiefe, bis 3 m.m. von dem
Ependym des seithchen Ventrikels, gegenüber der Insertion des
Balkens. Die Breite der Malacie an der Oberfläche ist etwa
2,5 cm. 0,°- wird nicht berührt.
b) Die hintere nimmt das Mark des C^ und P^ ein, hat
die Markleisten zerstört, aber die Rinde unberührt gelassen. Sie
dringt bis 2,5 cm. ins Innere ein und breitet sich hier in der
NEUE FÄLLE DIE LEHRE VON DER SEHBAHN UND DEM SEHCENTRUM BETREFFEND G3
Corona radiata unregelmässig aus; makroskopisch sind nur etwa
die medialsten 5 m.m. der Corona radiata normal.
Im Schnitt 5 cm. (Taf. X. Fig. 5.) Hier sind die Er-
weichungen nur von geringer Ausdehnung.
a) Die vordere misst in frontaler Richtung (vergl. Fig.)
kaum 2 cm. und 2 cm. an der Oberfläche der Rinde.
b) Die hintere nimmt die hintere Abdachung des C^ und
den ein. Tiefe etwa 1,5 cm. und vordere Abdachung
des CP sind normal.
Mehr ventrale Schnitte. (Taf. XI. Fig. 7.) Die Ausdeh-
nung der Malacie tritt hier an den frontalen Schnitten hervor.
Es zeigt sich, dass nur an dem vordersten Frontalschnitte eine
Malacie von etwa 10 m.m. und zwar im Operculum sich findet.
Weiter nach vorn dringt die Malacie in F' nur einige m.m.
ventralwärts ein.
Dagegen dringt die hintere Malacie im P" bis zur Fossa Sylvii
vor, greift aber auf die Insel oder den Temporallappen nicht über.
Die Rinde der Insel und die ganze Oberfläche der Fossa
Sylvii ist makroskopisch normal (s. unten Mikroskopisches).
Temporallappen. (Taf. XI.) Hier ist nur die Spitze
malacisch.
Frontalschnitte.
Die Spitze ist vollständig malacisch. (Taf. XI. Fig. 6.)
Schnitt I cm. occipital von der Spitze. (Taf XI. Fig. 7.)
Hier sind T^ (die dorso-laterale Fläche) und T^ (die ventro-
mediale Fläche) erweicht. Teile von T^ und T^ sind noch nor-
mal. Die Malacie durchsetzt auch das Mark des T".
Im Operculum ist eine i + i cm. grosse Malacie vorhan-
den; sie stellt den ventralen Ausläufer der frontalen Malacie dar.
Schnitt 2 cm. (Taf. XI. Fig. 8.) Die Malacie dringt etwa
2 cm. mit einem 5 m.m. breiten Sireifen ins Mark zwischen
T'^ und T^ ein.
Schnitt j cm. (Taf. XI. Fig. 9) Die Malacie erstreckt
sich keiförmig, jedoch nur etwa i cm. hinein und berührt
nur das Mark.
Das tiefere Mark des Temporallappens ist makroskopisch
nicht primär getroffen.
Im übrigen ist folgendes zu bemerken (Auszug aus dem
Protokolle).
Herz: Pericardium wenig Flüssigkeit.
Das Herz vergrössert 17 + 11 cm. Die Spitze einige cm.
nach aussen von der Mamllla, ebenso der rechte Rand nach
aussen verschoben. Die Valvul. Aort?e sind zum Teil zusam-
mengewachsen und etwas steif. Die Mitralklappe nicht verän-
dert, aber die Mitralöffnung mit ringförmiger Kalkinfiltration
behaftet, welche sich in die Wand des Ventrikels hinein fort-
setzt. Der hintere Papillarmuskel vollständig kalkinfiltrirt, ebenso
teilweise die Chordse tendinese.
Die Wände sind hypertrophisch, die Ventrikel ausgedehnt.
Lungen: Hypostasis und Bronchitis.
Milz: nichts Besonderes.
Nieren: chronische Stasisniere. Foci embolici.
Ventrikel: Gastritis chronica.
Leber: Atrophia senilis.
Aorta: atheromatöse Ulcerationen, und in den Art. iliacse
Aneurysma cirsoides.
Gcnitalia: Catarrhus h?emorrhag. uteri und Atropliia ova-
riorum.
Der Körper zeigt Decubitus.
Mikroskopisches.
Für die mikroskopische Untersuchung wurden sowohl die
rechten wie die linken Occipito-Parietallappen in Frontalschnitte
zerlegt. Färbung nach Weigert und Marchi und mit Carmin.
Ausserdem wurden die rechtsseitigen Centralganglien in horizon-
tale und die linksseitigen in frontale Schnitte zerlegt.
Die linke Hemisphäre. (Taf. X. Fig. i — 7.)
Schnitt 2 cm. Zuerst ist zu bemerken, dass ein breiter
Vicq d'Azyr'scher Streifen auf 2 übereinander liegende Furchen
sich ausdehnt. Aus diesem Grunde dürfte man berechtigt sein,
auch zwei tlbereinander liegende Fissur?e calcarinfe anzunehmen,
wenn man überhaupt geneigt sein möchte anzunehmen, dass diese
Furche durch jenen Streifen charakterisirt würde.
Eine Sehstrahlung tritt an diesen Schnitten noch nicht als
besondere Schicht hervor.
Cuneus. In der Rinde des Cuneus findet sich eine teils
kortikale Malacie von etwa i cm. Ausdehnung mit zahlreichen
Körnchenzellen, teils eine subkortikale Erweichung von etwa
4 m.m.
Das darunterliegende Mark zeigt eine auffallende Atrophie
und Degeneration bis zu einer Tiefe von 1,5 cm. Das atroph-
ische Gebiet hat eine Keilform, mit der Spitze nach unten ge-
gen die Spitze der Sehstrahlung gerichtet; es umfasst aber auch
die zur Margo falcata verlaufenden Fasern.
Fissura calcarina. Die Rinde zeigt keine Veränderung,
nur sind die Zellen aller Schichten reichlich pigmentirt: der Vicq
d'Azyr'sche Streifen sowie die radiären und tangentialen Fasern
sind in normaler Menge vorhanden.
Das subkortikale Mark ist intensiv gefärbt.
Im O^ findet sich eine m.m. breite und mehrere m.m. von
vorn nach hinten sich erstreckende Malacie vor; von dieser
kann man einen atrophischen Streifen bis zur Sehstrahlung
verfolgen. Sonst scheint die ventrale und laterale Rinde auch
mikroskopisch normal zu sein. Die Zellen sind jedoch häufig
pigmentirt, wenn auch nicht in dem gleichen Grade wie in der
Fissura calcarina. Das subkortikale Mark ist normal.
Das tiefe Mark hat normale Fasern, ausgenommen in dem
der Malacie entsprechenden Gebiete, wo die Fasern völlig im
Zerfall begriffen sind.
Schnitt etwa 2,; cm. Wie der vorige Schnitt.
Im Cuneus und finden sich die eben erwähnten Malacien.
Im findet man ausserdem einen etwa 6 m.m. grossen
oberflächlichen Defekt in der Rinde mit sekundärer Mark-
atrophie.
Die Rinde der Fissura calcarina und ihr subkortikales
Mark sind normal.
Die Selistrahlung tritt hier als eine besondere Bildung her-
vor. Sie zeigt, besonders in ihrem ventralen Abschnitte, eine
auffallende Atrophie der drei Schichten.
64
S. E. HENSCHEN. PATHOLOGIE DES GEHIRNS
Schnitt j c.vi. Die Ausdehnung der Malacie in der oberen
Lippe der Rinde der Fissura calcarina ersieht man aus der
Abbildung; die Rinde ist nur an der Mündung der Furche be-
troffen.
Die Sehstrahluiig zeigt überall, besonders in der mittleren
Schicht einen Faserausfall und im dorsalen Abschnitt eine ausge-
sprochene Veränderung. Dieselbe wird teils durch die ausge-
dehnte Atrophie der Cuneus-rinde, teils durch eine oder richtiger
zwei kleinere Malacien (und Atrophien) in der lateralen Rinde
in der Tiefe des Sulcus occipitalis superior bewirkt. Die eine von
diesen dringt bis in die Sehstrahlung ein. (Taf. X. Fig. 5 atr.)
Sowohl die innere wie die äussere Schicht zeigt in ihrem
dorsalen Abschnitt eine deutliche Degeneration der Fasern,
was sich in gleicher Weise, wie die Degeneration der mittleren
Schicht, erklärt.
Die Rinde und das subkortikale Mark der Fissura calca-
rina sind normal.
Schnitt 4 cm. Fissura calcarina. Die Rinde und das sub-
kortikale Mark sind normal. Die Lage und Form der Malacie
(s. Fig. 6).
Die Sehstrahluiig ist überhaupt schmal und zeigt, im dor-
salen Abschnitte zwei, im ventralen eine begrenzte Atrophie
(s. Fig. 6.) ; beide liegen hauptsächlich in der mittleren Schicht.
Auch im ventralen Abschnitt ist ein Faserausfall vorhanden. Die
Associationsschichten sind dünn.
Schnitt ß cm. Die mikroskopische Untersuchung bestätigt
den makroskopischen Befund hinsichtlich der Lage und Form
der in der Sehstrahlung vorhandenen Atrophie. Ihre Form
und Lage wechseln etwas; die Fig. 7. zeigt die durchschnittliche
Lage und Form.
Schnitt 6 cm. In der Sehstrahlung liegen etwa 2 cm.
dorsal vom Boden des Hinterhorns drei unregelmässige atro-
phische Flecke. Diese entsprechen deutlich den begrenzten Atro-
phien, welche am vorigen Schnitte (s. Fig. 7.) etwa i cm. mehr
ventral liegen und mit atr. bezeichnet sind.
An Marchi'schen Präparaten findet man:
1) in der Associationsschicht an der Wand des Hinterhorns
häufig atrophische Fasern;
2) in der mittleren Schicht zeichnen sich die erwähnten
Atrophien entweder blass, oder sie sind mit schwarzgefärbten
Resten von Körnchenzellen besetzt. Sie stammen wahrscheinlich
aus verschiedenen Krankheitsperioden;
3) degenerirte Flecke in der lateralen Associationsschicht;
4) zahlreit;he degenerirte Fasern im Splenium corporis cal-
losi. Diese Degeneration tritt auch an den Weigert'schen Präp.
hervor.
Schnitt 7 cm. (durch den freien Teil des Pulvinars).
Die Sehstrahlung überhaupt etwas blass, ohne begrenzte
Atrophien. Im dorsalen Abschnitt der lateralen Insertion des
Pulvinars ist sie auffallend blassgelb (atrophisch), und zwar mehr
ventral- als dorsalwärts; besonders zeichnet sich ein dreieckiges
Feld aus, welches etwa in der Höhe des hier noch nicht er-
scheinenden äusseren Kniehöckers liegt.
Die Fasern sind in diesem Gebiete recht stark varicös,
aber die ins Pulvinar einstrahlenden Bündel hatten ganz normale
Fasern.
Schnitt 8 cm. (durch das Brachium anterius).
Brachium anterius: Viele starke Fasern sind in Degene-
ration begriffen (Marchi), wie auch einzelne starke im Stratum
opticum des Colliculus anterior.
Brachium posterius: zahlreiche degenerirte Fasern.
Corpus geniculatum internum : zahlreiche vom Brachium
anterius kommende oberflächliche Fasern in Degeneration be-
griffen, nicht aber die tieferen (— mehr dorsalen).
Corpus geniculatum cxternum: keine begrenzte oder diffuse
Atrophie. Fasern, Markstreifen und Zellen zahlreich und nor-
mal. Selbst an den Marchi'schen Präparaten war sonst nichts
Abnormes zu beobachten. Das Wernicke'sche lateral vom äus-
seren Kniehöcker liegende Feld enthält gut gefärbte Nerven-
fasern in normaler Anzahl. In ventralen Abschnitten parallel
mit dem ventralen Rande tritt an vielen Präparaten ein Streifen
hervor (Fasernausfall ?).
Schnitt p cm. Nichts Abnormes. Die Schnittserie umfasst
die hintere Hälfte der Centralganglien vor dem Kniehöcker.
Rechte Hemisphäre.
Occipitallappen (Taf. X. Fig. 8 — 15).
Schnitt i,s cm. (Fig. ii). Ausser der makroskopischen Er-
weichung der Gegend der Fissura calcarina tritt eine kleine
kortikale Erweichung zwischen und T* hervor und ebenfalls
eine kleine kortikale Erweichung im dorsalen Teil des Cuneus.
Endlich lassen sich noch durchs Mikroskop zwei kleine Rand-
erweichungen in der lateralen Rinde (O^) entdecken (s. Fig. 11).
Die Sehstrahlung Ist in ihrer Mitte sekundär degenerirt, es sind
jedoch die Trümmer der Nervenfasern noch vorhanden. Die
makroskopische Erweichung hat die Ausdehnung, wie sie die Fig.
1 1 zeigt, aber rings um diese Erweichung herum findet man
eine recht ausgedehnte mikroskopische Degeneration, welche sich
nach unten und aussen wenigstens 3 — 4 m.m. weit hinzieht und
sich nach oben noch weiter ausbreitet. Fast überall im Mark
findet man deshalb degenerirte Fasern.
Die laterale Schicht der Sehstrahlung wird von zahlreichen
radiären blassen Streifen, die von der Fissura calcarina kommen,
(nach der lateralen Rinde ziehenden degenerirten Assoclations-
bündeln) durchsetzt.
Schnitt 2 cm. (Fig. 12). Die makroskopische Erweichung
dringt bis zur Wand des Hinterhorns vor (s. Fig. 12). Ausserdem
findet sich im Mark eine und In der lateralen Rinde einige fast
mikroskopische Erweichungen. Die Sehstrahlung ist degenerirt;
aber je welter die Schnitte nach vorn liegen, um so zahlreicher
treten normale Fasern auf.
Schnitt j cm. (Fig. 13). Einige kleine kortikale Malacien
von I — 4 m.m. Grösse in dem lateralen und ventralen Mark.
Die Sehstrahlung ist sonst nunmehr fast nur noch in ihrem
dorsalen Abschnitte etwas atrophisch. Etwas lateral von Ihr liegt
ein einige Millimeter grosser Fleck, welcher sich welter nach
vorn bedeutend vergrössert und zwar lateralwärts.
Schnitt 4 — 5 cm. (Fig. 14. 15). Die eben erwähnte kleine
Malacie dehnt sich hier bedeutend aus und liegt in einer Anzahl
von Präparaten nicht nur unmittelbar der Sehstrahlung an, sondern
hat auch auf eine Strecke von 2 — 2,5 Millimeter die Sehstrahlung
mehr oder weniger vollständig zur Atrophie gebracht. Aber selbst
hier findet sich noch eine Anzahl von Nervenfasern erhalten.
NEUE FÄLLE DIE LEHRE VON DER SEHBAHN UND DEM SEHCENTRUM BETREFFEND
65
Diese Stelle liegt etwa 8 m.m. dorsal vom Boden des Hinter-
horns (s. Fig. 15. mal.).
Auch einige m.m. weiter ventralwärts ist die Sehstrahlung
zum Teil atrophisch.
Schnitt 5 — 6 cm. Die Sehstrahlung ist mehr diffus blass
(Faserausfal!) ; sonst zeigt sie keine nennenswerten Veränderungen.
Keine begrenzten Atrophien.
Die Centralganglien.
Die Centralganglien der linken Hemisphäre wurden in
Frontalschnitte zerlegt, um die eventuell von dem Occipitallappen
ausgehende Degeneration bis in die Centralganglien verfolgen zu
können. Das magere Untersuchungsergebnis findet sich oben
auf Seite 64.
Die Centralganglien der rechten Hemisphäre wurden in
eine Serie von Horizontalschnitten zerlegt, um die sekundären
Veränderungen der Malacie der Rinde der Centralganglien besser
zu verfolgen. Die Beschreibung derselben verfolgt die Richtung
von oben nach unten. Die obersten Schnitte entsprechen der
Oberfläche der Fig. 5 Taf. IX.
Die Rindenmalacie fällt mikroskopisch mit der makro-
skopischen zusammen. Die Ausbreitung dieser Malacie in den
dorsalen Schnitten ersieht man aus den Fig. i und 5 Taf. IX.
Etwas tiefer unten (Ser. a), ist das Operculum superius, zwar in
seinem hinteren Abschnitt, malacisch, aber die Erweichung greift
am Vereinigungspunkt zwischen Operculum und Inselrinde nur
in kleiner Ausdehnung, etwa i cm. in sagittaler Richtung, auf
diese über, auf das subkortikale Mark jedoch gar nicht.
Noch tiefer nach unten (Präp. Serie b) sind die 2 hintersten
Centimeter der Inselrinde ergriffen und ausserdem das subkorti-
kale Mark bis zu einer Tiefe von etwa 3 m.m. Weder das
Putamen noch die Occipitalstrahlungen sind betroffen.
Noch tiefer in der Höhe der Glandula habenulse und des
unteren Rands des Opferculums ist zwar die Rinde des letzteren
malacisch, aber die Inselrinde hat makroskopisch ihr normales
Aussehen fast wiedergewonnen, unter dem Mikroskope jedoch
zeigt sich die Textur der Rinde völlig verändert, indem die
Zellen vollständig degenerirt und die Fasern verschwunden sind.
Das subkortikale Mark färbt sich kaum, wohl aber die äussere
Kapsel des Linsenkerns.
Die Veränderung der Inselrinde ist weiter unten, in der
Höhe des Tractus und des T\ noch vollständiger, sie ist hier
völlig malacisch.
Im untersten Abschnitt (Höhe des Uncus) ist die Insel-
rinde normal.
Thalamus opticus.
Dorsale Schnitte. Die Hauptmasse des Thalamusgewebes
ist normal. Malacien sind nicht vorhanden. Die Fasernetze
von normalem Reichtum; die Fasern sind normal gefärbt, nicht
varikös. Die einstrahlenden Bündel sind an Zahl und Konsti-
tution normal. Die Gitterschicht normal.
Die Zellen sind auffallend pigmentreich, viele scheinen
runder als normal zu sein, andere sind eckig und mit deutlichen
Fortsätzen.
Ventrale Schnitte. Auch hier finden sich keine deutlichen
Veränderungen, ausgenommen, dass eine Anzahl der an dem
S. E. Menschen. Pathologie des Gehirns.
medialen Rande gelegenen Fasern degenerirt ist. Woher diese
stammen, bleibt unklar.
Fiilvinar ohne etwas Bemerkenswertes.
N u c 1 e u s 1 e n t i f o r m i s.
Das Piitamen scheint nicht durch die Rindenveränderung
gelitten zu haben. Nirgends dringt die Malacie in dasselbe ein.
Die äussere Kapsel des Putamens ist zwar makroskopisch
intakt, ihre Fasern sind jedoch in grosser Ausdehnung im Zerfall
begriffen und färben sich überhaupt schwach. Ebenso verhalten
sich die durch den frontalen Abschnitt des Putamens tretenden
Bündel.
Der Globus pallidus und die Ansa lenticularis sind völlig
normal. Die Fasernetze sind kräftig entwickelt und die Fasern
intensiv gefärbt.
Nucleus caudatus ohne Veränderungen.
Corpus geniculatum intcrnuni ohne Besonderes.
Corpus geniculatum externu?n ohne Veränderungen. Die
Fasern zeigen sich schön gefärbt, die Markleisten kräftig und
wohl markirt. Die Zellen ohne deudiche Veränderungen. Die
Marchi'schen Präp. lassen keine Atrophie erkennen.
Tractus normal.
Capsula interna.
//;/ dorsalen Abschnitte des Thalamus.
Die frontale Strahlung. Die Hauptmasse enthält normale
Fasern, nur die durch das Putamen tretenden sind atrophisch
oder im Zerfall begriffen.
Die mittlere (von der lateralen Rindenfläche kommende)
ist im Allgemeinen auch normal.
Die occipitale Strahlung enthält fast ausschliesslich normale
Faserbündel, ausgenommen die medialsten derselben, welche sehr
varikös sind. Die unmittelbar lateral von der Strahlung liegenden
tieferen Assoc'ationsfasern der lateralen Rinde sind dagegen im
Zerfall begriffen.
An den Marchi'schen Präparaten entdeckt man jedoch,
dass eine ansehnliche Anzahl von diesen Fasern der frontalen,
centralen und occipitalen Strahlungen, welche die Capsula interna
durchsetzten, in der That partiell degenerirt sind, wenn auch die
Weigert'schen Präp. dies nicht so deutlich zeigen.
Etwas tiefer sieht man an den Marchi'schen Präp., dass auch
nicht wenige von den in dem unteren Abschnitt der Capsula in-
terna nach unten verlaufenden Fasern degenerirt sind (Ser. C. 5),
und dieses tritt noch deutlicher im Pes hervor. Hier enthält der
mittlere x\bschnitt eine grössere Anzahl degenerirter Fasern.
Corpus quadrigeminum anterius dextrum et sinistnnn ohne
Veränderung, ausgenommen, dass sich in dem linken einige de-
generirte Fasern vorfinden.
Medulla oblong ata.
Bindearme, Olivas und die übrigen Gebilde zeigen nichts
Besonderes.
Die Schleife: An den Weigert'schen Präp. konnte nichts
Abnormes wahrgenommen werden, weder in der Form, noch
der Grösse oder der Färbung. An einigen Präp. nach Marchi
dagegen fanden sich in den beiden Schleifen hie und da schwarze
Klümpclien als Anzeichen einer Degeneratioi..
9
66
S. E. HENSCHEN. PATHOLOGIE DES GEHIRNS
Pyraiuidetibahn: Ein Unterschied in Farbe oder Grösse
wurde nicht wahrgenommen, aber es fanden sich in beiden recht
zahlreiche schwarze KUimpchen, und zwar viel zahlreicher in
der rechten als in der hnken. Sie waren gleichmässig über den
Durchschnitt verteilt.
Kleinhirn: An einer Anzahl von Querschnitten der Pe-
dunculi cerebelli wurde nichts Pathologisches wahrgenommen.
Epikrise.
Kurzer Krankenbericht. Keine nervöse Belastung.
Schlechte hygienische Verhältnisse. 1892 Schwindclanfiille,
anfangs leichterer, später sch^verer Art. Zu Neujahr 1893
ein stärkerer Schwindelanfall, mit Bewusstseinsverlust, aber
ohne nachfolgende Lähmung. Während des Frühlings und
des Sommers wiederholte Anfälle leichterer Art. Um den
10. Aug. ein Anfall. Wurde am 23. Aug. 1893 ins Kranken-
haus aufgenommen. In der Nacht zwischen d. 26. und 27.
August hatte Fat. einen Anfall, fiel zu Boden, verlor das
Bcwusstsein und Avurde auf der linken Seite gelähmt. Nach-
her war Pat. sehr unruhig, verworren und schlaff. — Nach
und nach kehrte die Motilität, obschon nicht vollständig, zu-
rück, sie konnte die Hand und den Fuss bewegen; später
auch den Arm und das Bein heben.
Status prses. ^'^1'^ 93. Graubleich. Puls unregelmäs-
sig. Extremitäten cyanotisch. Somnolent, schwatzt unzu.sam-
menhängende Worte, bisweilen ganz klar; keine Hallucina-
tionen. Leichte amnestische Aphasie II. Sehvermögen herab-
gesetzt, besonders links. Beiderseits beginnende centrale
Katarakt. Gesichtsfeld bedeutend eingeschränkt, nur das cen-
trale erhalten geblieben. Weder Hemianopsie noch hemiano-
pische Pupillenreaktion. III. IV. VI. Nichts. V. Sensibilität
links herabgesetzt. VII. Unteres Facialisgebiet leicht paretisch.
VIII. Gehör beiderseits herabgesetzt. Sensibilität son.st links
herabgesetzt, und zwar sowohl Tast-, Schmerz-, Ort-, Tem-
peratur und Muskelsinn. Motilität auf der linken Seite ver-
mindert. Schwacher Dorsalklonus links. Harn und Faeces
gehen unfreiwillig ab. Decubitus. Herzdegeneration, ^^/o
Partieller epileptiformer Anfall, ^"/lo Die linksseitige Parese
stärker ausgesprochen als vorher, ^^/lo Tod.
Diagnose. Art der LäsioH. Das hohe Alter der
Fat., die vorangegangenen, wiederholten Schwindelanfälle, die
graubleiche Gesichtsfarbe und die Herzdegencration der Pat.
deuteten auf eine Thrombose als Ursache der apoplek-
tischen Anfälle hin. Besonders habe ich öfters beobachtet,
dass eine bleiche ins graubleich-graugelb übergehende Ge-
sichtsfarbe oft bei der Thrombose vorkommt, während eine
mehr rothe auf Hämorrhagie deutet. Die Sektion bestätigte
die Diagnose.
Die vorübergehenden Schwindelanfälle waren, wie es
gewöhnlich unter solchen Umständen der Fall ist, wirk-
liche von organischen Veränderungen begleitete Hirnschlag-
anfälle. Die mikroskopische Untersuchung zeigte, dass die
Veränderungen im Gehirn verschiedenen Alters waren. Die
jüngsten, entsprechend dem letzten Anfalle am 26. Aug., wa-
ren die in der Rinde der rechten Hemi.si3häre, im Gyrus cen-
tralis posterior und G. parietalis inferior und in der Spitze des
rechten Temporallappens gelegenen. Schon älteren Datums
waren die Malacien des Occipitallappens, und endlich fanden
sich in den beiden Occipitalschstrahlungen kleine Narben
noch älteren Datums. Alle diese Veränderungen waren durch
Thrombosen verursacht.
Locus lacsionis. Eine genauere Lokalisation Hess sich
in diesem P"alle nicht feststellen. In dem Verlaufe des Falles
oder im Insulte selbst sind keine besonderen Anhaltspunkte
für eine Dctaildiagnose gegeben. Die Lähmung war keine
von dem gewöhnlichen Typus abweichende. Arm und Bein
wurden gelähmt und zwar sowohl hinsichtlich der Motilität
wie Sensibilität. Die Besserung der Lähmungssymptome
trat in gewöhnlicher Weise nach dem Anfalle ein. Die bald
nachher eintretende Verschlimmerung war wohl eher der
Ausdruck der sinkenden Lebenskraft und des nahenden Todes,
als der einer Vergrösserung der Malacien.
In allen diesen Umständen liegen jedenfalls keine An-
haltspunkte für eine Lokali.sation des pathologischen Proces-
ses. In dem vorliegenden Falle findet sich keine Veränderung
weder in den centralen Ganglien noch in der Medulla oblon-
gata. Fast alle pathologischen Processe sind kortikal, wenn
man die kleinen Veränderungen in den Sehstrahlungcn aus-
nimmt. Es fragt sich deshalb, ob die kortikale Natur in
diesem Pralle wirklich diagnosticirt hätte werden können. In
dieser Hinsicht bemerke ich, dass die Diagnose auf eine
Thrombose mit einem gewissen Grade von Gewissheit gestellt
wurde, da aber die Lähmung in Arm und Bein in ziemlich
gleichem Grade ausgesprochen war und also keine Monoplegie
vorlag, so konnte die Läsion ebenso wohl die Rinde als das
tiefere Mark getroffen haben. Nur die anfangs etwas schnelle
Restitution der Lähmungssymptome konnte gegen eine Lo-
kalisation in der Capsula interna sprechen.
Hinsichtlich der Bedeutung der Stärke der Sensibilitäts-
störungen im Verhältniss zu denen der Motilität siehe unten:
Sensibilität.
Analyse der Symptome.
Psyche: Sowohl vor als nach den stärkeren Schwindel-
anfällen fühlte sich die Pat. bisweilen »im Kopf eingenommen»
und »sonderbar». Nach dem Anfalle im August 1893 hatte
sie Kopfweh und antwortete etwas verworren auf P>agen.
So war es auch nach dem Anfalle in der Nacht vom 26 — 27.
Aug. der Fall. Sie war längere Zeit verworren und sehr
apathisch. Im Sept. bei der Aufnahme des Status praesens
war sie schlaft' und gegen die Umgebung gleichgültig. Sie
plauderte oft unzusammenhängende Worte. Aber bisweilen
war die Intelligenz recht gut, sie verstand dann die an sie
gerichteten Fragen und führte die Befehle aus. Das Ge-
dächtnis für Namen u. s. w. war in hohem Grade geschwächt.
Einen solchen psychischen Zustand habe ich oft bei
multiplen kortikalen Erweichungen in Folge von Thrombose
gefunden. Der somnolente gleichgültige Zustand lässt sich
leicht durch die verminderte und ungleichförmige Blutzuführ
zur Hirnrinde erklären. Diese aber hat ihren Grund haupt-
sächlich in der Arteriosclerose der Gefässe, wodurch die
Rinde in abnormer und ungenügender Weise ernährt wird,
und zwar nicht nur an einer beschränkten Stelle, sondern in
weiteren Gebieten oder an einer grösseren Anzahl von Stellen.
NEUE FÄLLE DIE LEHRE VON DER SEHBAHN UND DEM SEHCENTRUM BETREFFEND G7
Dann treten oft hier und da kleine Thrombosen mit konseku-
tiven Malacien auf. Diese Thrombosirungen kennzeichnen
sich gewöhnUch durch leichtere Schwindelanfälle; falls die
thrombotisirten Gebiete grösser sind, durch apoplektiforme
Anfälle.
So war es auch hier der Fall. Hie und da triftt man
in der Rinde und auch im Mark auf kleine Erweichungen
oder Atrophien als Folgen der vorhergehenden Thrombosen.
In der Rinde finden sich fünf derartige grössere, obschon
nicht ausgedehnte Herde, aber daneben noch eine grosse
Anzahl kleiner bis mikroskopischer.
Durch die konsekutive Nutritionsstörung der Rinde und
das Vorhandensein dieser Herde und der konsekutiven De-
generationsvorgänge in grösseren und kleineren Associations-
bahnen muss das für das psychische Leben notwendige
harmonische Zusammenwirken der verschiedenen Rindenteile
in hohem Grade gestört werden.
In solchen Fällen ist ausserdem die Herzwirksamkeit
infolge der gleichzeitigen Degeneration und oft vorkommenden
Sklerosirung der Herzgefässe gewöhnlich geschwächt und un-
regelmässig. Diese Umstände führen zu einer Anämie des
Gehirns, wodurch die psychische Thätigkeit noch mehr ver-
mindert wird. Alle diese Ursachen resultiren in einer Schwäch-
ung oder selbst Aufhebung der höheren Intelligenz und rufen
Willensschwäche, ja selbst Apathie und Somnolenz hervor.
Aus diesem Zustande kann Fat. oft durch äusseren
Reiz — durch Zuruf, Schmerzreiz u. d. — erweckt werden,
und es zeigt sich oft dabei, dass Pat. dann recht klar und
unverworren Fragen aufifast und Befehle ausführt oder auf
Fragen antwortet.
So liegen die Dinge nicht bei gesteigertem intrakraniellen
Druck. Hier liegt Pat. mehr in einem dauernden somnolenten
Zustande, und der äussere Reiz ruft kaum in gleichem Grade
»lucida intervalla» hervor.
Hierin finde ich bei dem vorliegenden Falle, ich möchte
wohl sagen, den einzigsten Anhaltspunkt für eine »kortikale»
Diagnose.
Aphasie. Es war nicht leicht zu entscheiden, ob in
diesem Falle eine amnestische Aphasie vorlag oder ob die
Unfähigkeit der Pat. Gegenstände resp. Personen zu benennen
auf allgemeiner Gedächtnisschwäche beruhte.
Da keine Veränderung in den linksseitigen kortikalen
Rindencentren vorhanden war, so dürfte wohl die schein-
bare Aphasie von dem geschwächten Gedächtnis abhängig
gewesen sein.
Kranialnerven. I. In Anbetracht des traurigen Zu-
standcs der Pat. können aus den Beobachtungen über den
Geruchsinn nur mit Reserve Schlüsse gezogen werden. Auf-
fallend ist jedenfalls die ausgeprägte Anosmie und der Um-
stand, dass diese besonders Imks ausgeprägt war. — (S. unten
unter IX.)
II. Um so wichtiger scheinen die Beobachtungen über
das Gesichtsvermögen der Pat. zu sein. Mehrere Umstände
vereitelten zwar jeden Versuch einer genaueren Untersuchung.
Die Sehschärfe war nämlich in so hohem Grade herabge-
setzt, dass der Grad der Sehschärfe nicht geprüft werden
konnte, und zwar besonders infolge einer kataraktösen Ver-
dichtung beider Augen, besonders links. Dessen ungeachtet '
wurde mit Sicherheit konstatirt, dass die Pat. nur im cen-
tralen Gesichtsfeld Gegenstände, wie eine brennende Lampe,
sehen konnte, dagegen machten die wiederholten Versuche
bei verschiedenen Gelegenheiten den Eindruck, dass das
peripherische Gesichisfeld voUstäiidig fehlte. Wäre nun dies
durch die centrale Verdunklung des Linsenkörpers verur-
sacht, dann hätte wohl Pat. auch im centralen Gesichtsfeld
nichts sehen können. Dagegen scheiterte jeder Versuch das
Gesichtsfeld perimetrisch zu bestimmen, was um so mehr zu
beklagen ist, da dieser Fall sonst unsere Kentnisse über die
Grenzen des kortikalen Gesichtsfeldes gewiss erweitert hätte.
Bei dieser Sachlage gehe ich nur von der Thatsache aus,
dass das peripherische Gesichtsfeld fehlte, aber das ce?iirale
erhalten geblieben zuar, und dass endlich keine Hemianopsie
vorhanden war. In der That gipfelt die Bedeutung des
P'alles in diesem Verhältnisse.
Was beweist nun der Fall? Ein Blick auf die Figuren
8 — 12 Taf. X zeigt dann, dass im rechten Occipitallappcn
eine scharf begrenzte, hauptsächlich kortikale Erweichung
bestand. Die Lage und Form dieser Erweichung ersieht
man am besten an der Figur 8, und wie tief sie ins Mark
eindringt, zeigen die Figuren lo, il und I2. Etwa 1,^ cm.
vor der Spitze des Occipitallappens dringt die Malacie in die
Sehstrahlung ein, und die mikro.skopische Untersuchung zeigt
hier, dass eine aufiallende Atrophie in der Hauptmasse der
mittleren Schicht dieser Strahlung besteht. Der Effekt der
anfangs anscheinend nur kortikalen Erweichung ist also der,
dass die hinteren etwa 1,5 m.m. des Occipitallappens die
Lichteindrücke nicht empfangen können. Der Effekt erstreckt
sich selbst ein wenig weiter, indem, wie die Fig. 8 und 12
zeigen, die Malacie in der Fissura calcarina sich etwas weiter
nach vorn hinzog und an der Oberfläche des Cuneus selbst
die hintersten 25 m.m. einnahm.
Betrachtet man nun die Fig. i — 6, so wird man gewahr,
dass die Rinde des linken Cuneus auch erweicht ist, und zwar
weniger in der Spitze, ausgedehnter weiter nach vorn. An
keinem Punkte scheint die Sehstrahlung primär affizirt gewe-
sen zu sein, ausgenommen dass eine kleine Malacie in ihrem
dorsalen Abschnitt (Fig. 5 und 6) bestand. Es ist also ein
wenn auch kleines symmetrisches Gebiet in den beiden Oc-
cipitallappcn erweicht. Diese Fläche ist zwar nicht sehr
gross; man dürfte aber gewissermassen berechtigt sein aus-
zusprechen, dass die hinteren Abschnitte der Cunei gewiss
nicht funktionsfähig waren. In diesem Falle war also das
centrale Gesichtsfeld ungeachtet einer bilateralen Zerstörung
der hinteren Abschnitte der Cunei erhalten geblieben. Dar-
aus schliesse ich, dass das Makularfeld hier sich nicht be-
findet. Man mag betreffs der Kompensation die Förster'sche
oder die Wilbrand'sche Ansicht huldigen, der eben aus-
gesprochene Schluss ist jedenfalls zwingend. Nur wenn die
Ansicht von Monakow, dass das Centrum mobil ist, richtig
ist, lässt es sich denken, dass das Sehvermögen im centralen
Gesichtsfeld erhalten geblieben war, selbst wenn es ursprüng-
lich in das zerstörte Rindengebiet lokalisirt wäre. Nach
dieser Ansicht kann nämlich ein ganz neues Gebiet vikari-
GS S. E. HENSCIIEN. PATHOLOGIE DES GEHIRNS
irend eintreten. Nach dieser Ansicht besteht überhaupt kein
konstantes Gesichtscentrum und eine Projektion der Retina
findet überhaupt nicht statt.
Zzveitens schliesse ich aus dem Befund folgendes.
Durch die klinische Beobachtung wurde genügend nach-
gewiesen, dass auch keine Hemianopsie vorhanden war. Da
nun fast die ganze Rindenoberfläche des linken Cuncus er-
weicht war, so spricht der Fall gegen eine Lokalisation des
Gesichtsfeldes hauptsächlich oder ausschliesslich in dem Cu-
neus, was wohl sonst die Mehrzahl der Forscher annimmt.
Im zweiten Teil meines Werkes kam ich nach einer
kritischen y\nalyse der vorhandenen Thatsachen zu dem
Schlüsse, dass das Sehcentrum wesentlich auf die Rinde der
Fissura calcarina begrenzt ist, wenn man auch die genaueren
Grenzen in verschiedenen Richtungen noch nicht bestimmen
konnte; es findet hier eine Projektion statt, indem u. a. das
centrale Gesichtsfeld mehr nach vorn, das peripherische im
horizontalen Meridiane mehr occipitalwärts liegt.
Der vorliegende Fall scheint nun nach dem was oben
nachgewiesen ist mit dieser Theorie in völligem Einklang zu
stehen, indem dadurch bewiesen wird, dass der Cuneus nicht
der hauptsächliche Sitz des Gesichtscentrums .sein kann.
Was die Lokalisation des Makularfeldes betrifft, so ist
unser Fall zwar nicht beweisend. Doch ist die Sache auf-
fallend, dass nach der klinischen Beobachtung das peripher-
ische Gesichtsfeld in jedem Auge fehlte, aber das centrale
erhalten geblieben war. Nun waren im rechten Occipital-
lappen die hintersten 15 — 20 Millimeter des Lappens ausser
Funktion gesetzt, aber das centrale Gesichtsfeld erhalten ge-
blieben. Dies scheint also dafür sprechen, dass das centrale
Gesichtsfeld sich nicht in dem zerstörten Gebiet befinde.
Zwingend ist jedoch, wie schon gesagt, der vorliegende Fall
nicht. Es lässt sich nämlich denken, dass hier eine Kom-
pensation durch den hinteren Abschnitt des linken Occipital-
lappens stattgefunden habe. Eine solche Möglichkeit kann
zwar nicht abgewiesen werden, ist jedoch überhaupt nicht
sehr wahrscheinlich, indem das erhalten gebliebene Gesichts-
feld nicht nur das makuläre Feld umfasste, sondern eine
koncentrische Zone bis zu etwa 20 ä 30". Nun ist aber durch
die bekannten Wilbrand'schen Untersuchungen eine Kom-
pensation des makulären Feldes nachgewiesen, die des mehr
peripherischen Gesichtsfeldes dagegen nicht.
Der Fall wird dadurch also wichtig, dass er für die
von mir früher urgirte Projektionstheorie spriclit und dass
das makuläre Feld sich mehr frontal als das peripherische
befinde.
Im frontalen Abschnitt der Fissura calcarina ist die
Rinde vollständig intakt, au-Sgenommen, dass die obere Lippe
weiter vorne (Schnitt 4 cm., Fig. 5, 6) im linken Occipital-
lappen zum Teil zerstört ist. Dagegen ist der Fundus der
P^issura calcarina, wohin ich das Makularfeld verlege (s. Teil
II. S. 341), vollständig intakt. Ob übrigens dieser vorderste
Abschnitt der Fissura calcarina zum Sehcentrum gehöre oder
nicht, dafür liegen zur Zeit beweisende Thatsachen nicht vor.
Der Fall steht also in vollständiger Übereinstimmung mit
der von mir dargelegten Ansicht, wenn er auch, beim Fehlen
einer peri metrischen Karte des Gesichtsfeldes, nicht so in allen
Details überzeugend wirken kann, wie wohl wünschenswert
wäre.
Farbenblindheit. Pat. konnte noch F"arben unterscheiden.
Dies zeigt, dass die Rinde des Cuneus nicht das centrale
P\Trbenfeld darstellen kann, was auch der von mir aus-
gesprochenen y\nsicht von der Lokalisation des Farbencen-
trums entspricht.
Die Gesichtsstörung war gewiss älteren Datums als die
Lähmung.
Die Zuverlässigkeit der eben erlangten Resultate wird
in einigem wenn auch geringem Grade dadurch vermindert,
dass ausser der erwähnten Malacie in dem vorliegenden Falle
verschiedene mikroskopische Veränderungen im Mark der
beiden Occipito-parietal (resp. Temporal-) läppen vorkommen.
Da alle diese in die beigefügten Figuren eingezeichnet sind,
so wollen wir an der Hand der Abbildungen ihre Lage und
die klinische Bedeutung studiren.
Ich bemerke zunächst, dass in der linken Heinisphäre
am Schnitte 3 cm. in der Spitze (Taf. X. Fig. 5) teils eine
kleinere kortikale und subkortikale Erweichung in der la-
teralen Rinde in der Tiefe des Sulcus occipitalis superior
vorhanden ist. Von dieser verläuft ein sekundär atrophischer
Streifen nach dem dorsalen Abschnitt der Sehstrahlung. Hier
liegt in der That eine grössere Veränderung vor, welche je-
doch zum grössten Teil von der grös.seren medialen Erweich-
ung verursacht wird. Da nun diese Veränderung zum grössten
Teil sekundärer Art zu sein scheint, so fällt der Effekt der-
selben wesentlich mit dem der kortikalen Erweichungen zu-
sammen. An und für sich verursacht wohl die Veränderung
kaum eine grössere Beschränkung des Gesichtsfeldes.
In der folgenden Schnittserie findet man nur Spuren
von dieser Atrophie, ausserdem aber findet sich hier eine
kleine Atrophie im ventral-sten Abschnitte der Sehstrahlung.
Wodurch diese verursacht wird, ist mir nicht recht klar;
vielleicht durch eine mehr diftusc mit dem Mikroskop nicht
nachweisbare allgemeine Reduktion der von der Oberfläche
kommenden Markfasern. Jedenfalls scheint sie von wenig
Belang zu sein.
Am Schnitte 5 cm. (Fig. 7) finden sich in der Seh-
strahlung drei schmale streifenförmige Atrophien. Wenn auch
die erste oder zweite von der grossen Atrophie in der Fig.
3 abhängt, so dürfte jedoch wenigstens die dritte einen mehr
selbständigen Ursprung haben und durch eine kapillare Throm-
bose verursacht sein. Es deuten darauf die Form, Lage und
die mikroskopische Beschaftenheit. Keine dieser Atrophien
dürfte auf die Schlussfolgerungen hinsichtlich des Sehcentrums
einwirken. Ein von mir schon früher (s. Teil I S. 121) mit-
geteilter Fall zeigt, dass kleine bilaterale, streifenförmige pri-
märe Erweichungen in dem ventralen Abschnitte der Sehstrahl-
ungen zwar bei deren Entstehung Blindheit verursachen kön-
nen, aber nachher ohne auftallende Störung des Gesichts vor-
kommen können, wenn nur dabei zahlreiche frische Fasern
vorhanden sind, welche die Gesichtsperception vermitteln.
Wahrscheinlich finden sich in solchen Fällen im Gesichtsfelde
schwarze Flecke, welche übersehen werden.
In der rechten Hemisphäre finden sich auch verschie-
dene Malacien. Von diesen sind die in der Fig. 1 1 in der
NEUE FÄLLE DIE LEHRE VON DER SEHBAHN UND DEM SEHCENTRUM BETREFFEND
69
ventralen Rinde und die in Fig. 12 und 13 in der lateralen
und ventralen Rinde abgebildeten Veränderungen von wenig
Bedeutung. Wichtiger sind die lateral von der Schstrahlung
befindlichen, welche wohl alle mit der grösseren an der Fig.
14 hervortretenden Malacie zusammenhängen. Diese Malacie
liegt fast vollständig lateral von der Sehstrahlung und kann
also eine Einwirkung auf das Sehfeld nicht ausüben, dagegen
findet man an der Fig. 15 zwei bemerkenswerte Atrophien,
welche selbst in die mittlere Schicht der Sehstrahlung über-
greifen. Zwischen diesen liegen intensiv gefärbte Nerven-
fasern. Da nun diese Malacien in der Höhe der zweiten
Temporalwindung liegen und in der Höhe, wohin ich das
Sehbündel für die Macula verlege, so verdienen diese Mala-
cien besondere Aufmerksamkeit. In Anbetracht der vielen
noch vorhandenen normalen Nervenfasern und der weniger
exakten Untersuchung der Sehschärfe im Gebiete des Maku-
larfeldes steht dieser Fall jedoch nicht im Gegensatz mi*: der
von mir oben erwähnten Ansicht. Nur durch ganz exakte
Beobachtungen kann die genaue Lage des Makularbündels
in der Sehstrahlung bestimmt werden. Solche existiren in
der Literatur noch nicht.
Keine der vorhandenen kleineren Malacien ist deshalb
im Stande die oben erwähnten Resultate meiner früheren
Untersuchungen aufzuheben.
HeviianopiscJie Pupillenreaktion. Der Befund, dass eine
solche Reaktion nicht vorhanden war, steht in völligem Ein-
klang damit, dass alle Veränderungen in der Sehbahn resp.
im Sehcentrum hinter dem Kniehöcker lagen und die Reflex-
fasern nicht getroffen haben.
III. IV. VI. Bei diesen Nerven fand sich nichts Ab-
normes.
V. Alle Sensibilitätsqualitäten waren in der linken Hälfte
des Gesichts herabgesetzt. Der Tast- und Schmerzsinn war
links herabgesetzt, aber nicht verschwunden. Der Tempera-
tursinn war links sehr abgestumpft.
Nun wird die Sensibilität gewöhnlich auf die hintere Cen-
tralwindung lokalisirt. Einige Forscher dehnen ihr Centrum
bis auf den Parietallappen aus. Hier war (s. Fig. i Taf IX)
die hintere Centraiwindung nur fleckenweise erweicht, näm-
lich teils in ihrem ventralsten Abschnitt in kleiner Ausdehnung,
dann 3 cm. mehr dorsalwärts auf einer Strecke von etwa 2
cm. Die Durchschnitte (Fig. 2 — 5) zeigen, dass, ob wohl
die Erweichung auch das unterliegende Mark betroffnen hatte,
nichts zu dem Schlüsse berechtigt, dass auch grössere von
anderen Rindengebieten kommende Faserbündel ergriffen wor-
den seien. In der That muss also die Erweichung hier haupt-
sächlich als eine kortikale gewirkt haben. Hieraus folgt also,
dass eine auf die erwähnten Rindengebiete beschränkte Ma-
lacie Anästhesie im Gesicht hervorruft. Der Fall wird da-
durch für die Lokalisationslehre wertvoll. Der Hauptherd
liegt hinter dem Knie der vorderen Centraiwindung, wohin
von Horsley die Innervation des Daumens bei den Affen ver-
legt wird.
Die Frage, ob nun zu dieser Anästhesie die grössere
Malacie im unteren Parietallappen beiträgt, beantwortet der
Fall nicht.
Auch die Sensibilität der linken Zungenhälfte war herab-
gesetzt, was wohl durch die kleine an der Fossa Sylvii lie
gende Malacie bedingt wurde.
VII. Der klinische Befund hinsichtlich der Motilität des
Gesichts war nicht klar, was jedenfalls beim Vorhandensein
der Facialisanästhesie auffällend ist. Die Stellung der Nasen-
spitze und des Sulcus nasolabialis deuten auf eine linksseitige
Parese, die Stellung des Mundes dagegen auf eine rechts-
seitige, wenn man nicht eine Kontraktur der linken Wange
annimmt. Dass eine linksseitige F"acialislähmung vorlag, ist
überhaupt wahrscheinlich. Wenn dies der Fall ist, dann be-
weist unser Fall, dass die Sensibilität und Motilität auf das-
selbe Gebiet zu lokalisircn sind und dass dieses sehr be-
schränkt sein kann.
IX. Da der Geschmack für alle Qualitäten herabgesetzt
und zugleich die Spitze des rechten Temporallappens völlig
erweicht war, so ist man berechtigt zu fragen, ob diese beiden
Befunde von einander abhängen. Dabei ist einerseits zu erin-
nern, dass hier eine eingehende Untersuchung der beiden Zun-
genhälften nicht vorgenommen werden konnte, anderseits dass
Geschmacksstörungen bei cerebralen Leiden ebenso selten sind
wie Erweichungen, welche die Spitze des Temporallappens
einnehmen. Füge ich noch hinzu, dass Ferrier durch die
Exstirpation der vorderen Spitzen der beiden Temporallappen
im Stande war bei Affen den Geschmacksinn zum Verschwin-
den zu bringen, so muss gewiss dem vorliegenden Falle eine
gewisse Bedeutung zuerkannt werden.
Pathologische Beobachtungen über Gcsclunackstörungen
und gleichzeitige Zerstörungen im Temporallappen sind über-
aus .selten. Ferrier'", Beevor und Jackson** haben solche
Fälle erwähnt und ich weise auf sie hin Wenn nun auch
einerseits in Anbetracht der Seltenheit solcher Befunde dieser
P'all primo adspectu beweisend erscheint, so muss doch ander-
seits betont werden, teils dass die Geschmacksstörung sich an
den beiden Zungenhälften vorfand, teils dass die Zerstörung
des GescJunacksccntruDis nur in einer Heinisphäre aller Wahr-
scheinlichkeit nach nicht von einer sehr ausgesprochenen Gc-
schviacksstdrung gefolgt zvird, indem die andere Hemisphäre
wahrscheinlich kompensirend einwirkt.
Auch die in diesem Falle vorhandene GerucJissföriing,
welche links ausgesprochener war, verdient aus demselben
Grunde Aufmerksamkeit, wenn auch die kortikale Läsion auf
die Spitze des Temporallappens beschränkt war und nicht
auf den Gyrus Hippocampi (Uncus) übergriff".
Endlich will ich die Aufmerksamkeit darauf hinlenken,
dass der Geschmack sowohl in dem vorderen wie in dem
hinteren Abschnitt der Zunge herabgesetzt war.
X. XI. Diese Nerven bieten nichts Abnormes dar.
XII. Die Zunge war überhaupt schwer zu bewegen,
aber besonders nach links. Diese linksseitige Parese ist um
so interessanter weil hier die hintere Centraiwindung nur in
geringer Ausdehnung ergriffen war. Wie schon erwähnt, war
* Croonian Lectures on Cerebral Lokalisation 1890, pag. 126.
*• Brain 1889, pag. 346.
Im Jackson-Bevoi sehen Falle hatte eine Geschwulst fast dieselbe
Ausdehnung wie in diesem Falle die Erweichung. Die Störung ' estand in
Geschmackshallucinationen.
70
S. E. RENSCHEN. PATHOLOGIE DES GEHIRNS
auch die Sensibilität der Zunge vermindert — ein Beweis,
dass Sensibilitäts- und Motilitätscentra einander decken.
Sensibilität.
Der Tasisiiin war in den Extremitäten beiderseits ver-
mindert — vielleicht zum Teil infolge des traurigen Zustandes
der Patientin ; auf der linken Seite war er jedoch besonders
abgestumpft. Am Rumpfe konnte ein Unterschied nicht fest-
gestellt werden.
Der Sc/wwr.'^sinn verhielt sich links in derselben Weise,
war aber rechts normal.
Der Temperatursinn schien beiderseits abgestumpft, aber
links in bedeutend höherem Grade.
Ebenso verhielt sich der Ortshm.
Der Miiskelsnm war rechts normal, links sehr abge-
stumpft, was besonders beim Gehen hervortrat. Endlich er-
gab die Untersuchung der elektrocutanen Sensibilität ähnliche
Resultate.
Alle diese verschiedenen Untersuchungen ergaben also
im Ganzen das übereinstimmende Resultat einer Verminderung
aller Sensibilitätsqualitäten auf der linken Seite; die rechte
Hälfte wurde für gewisse Qualitäten normal befunden, be-
treffs anderer weniger empfindlich.
Als Ursache dieser auffallenden AnjEsthesia sinistra fin-
den wir nur die kortikale Malacie an der hinteren Centrai-
windung. Ohne auf die weitläufige Frage nach der Lokali-
sation der Sensibilität hier tiefer einzugehen, will ich die Auf-
merksamkeit nur auf den Befund in diesem Falle hinlenken,
da.ss die Anästhesie sehr verbreitet war, aber die patholog-
ische Läsion sehr beschränkt, wenn man nicht zur hinteren
Centraiwindung auch die dieser parallel laufende lädirte Wind-
ung rechnen will, welche unmittelbar hinter C liegt und von
mir zum unteren Parietallappen gerechnet wird (P' in der
Figur I Taf. IX).
Ausserdem verdient es bemerkt zu werden, das.s hier
alle Qualitäten gestört waren, und wenn man verschiedene
Qualitäten, welche eigentlich inkommensurable Quantitäten
sind, vergleichen darf, in etwa gleichem Grade.
Dies deutet darauf hin i) dass selbst in einem beschränk-
ten Gebiete Elemente für die ganze Körperfläche representirt
sind und 2) dass hier die verschiedenen Scnsibilitätsqualitäten
auch vertreten sind.
Motilität.
Die Motilitätsstörungen waren ganz analog mit denen
der Sensibilität. Überhaupt war die Motilität beiderseits ver-
mindert und zwar in I^^olge der allgemeinen Schwäche der
Pat. Aber links lag eine ausgesiarochene Parese, ja fast Pa-
ralyse vor. Ob diese auch den Rumpf getroffen hatte i.st
wohl unsicher. Ausserdem war selbst ein gewisser Grad von
Kontraktur vorhanden. Auch darf die nach dem Schlag-
anfalle schnelle Restitution hier nicht unerwähnt bleiben.
Hinsichtlich der Lokalisation muss hervorgehoben wer-
den, dass die hhitere Ccntrakvindung mir partiell getroffen
war und die vordere Centraiwindung gar nicht. Für die
Entstehung der Lähmung dürfte die Erweichung im Frontal-
lappen (s. Fig. I — 5) ohne Belang sein, wie es wohl durch
viele Beobachtungen nachgewiesen ist. In den Centralganglien
oder in der Medulla spinalis waren keine Veränderungen vor-
handen. Anmerkenswert ist dass die Pyramidenbahn nicht
deutlich degenerirt war, obschon die Lähmung 2 Monate vor
dem Tode entstand.
Endlich verdient der um ^^/a eingetretene epileptische
Anfall hier erwähnt zu werden.
Der Fall ist also sowohl hinsichtlich der Sensibilitäts-
wie Motilitätsstörungen für die Lokalisationslehre von Be-
deutung.
Reflexe. Anmerkungswert ist das Vorhandensein eines
leichten Dorsalklonus ohne ausgesprochene Degeneration in
der Pyramidenbahn.
Die trophischen und motorischen Störungen bieten nichts
Auffallendes dar.
Pathologisch-anatomische Bemerkungen.
Die Ausbeute der mühevollen Untersuchung des Ge-
hirns war leider nur recht mager. Die beiden Occipitallap-
pen sowie die Centralganglien, die Medulla oblongata und
zum Teil das Kleinhirn wurden in Schnittserien zerteilt und
zwar in einige Tausende von Schnitten, von welchen etwa
500 gefärbt, aufbewahrt und mikroskopisch untersucht wurden.
Die Resultate dieser Untersuchung ist oben zum grössten
Teil verwertet. Hier möchten nur noch einige kleinere Be-
merkungen Platz finden.
Occipitallappen.
Im ganzen stimmte die makro und mikroskopische Un-
tersuchung recht gut mit einander. Verschiedene kleinere
Malacien wurden entdeckt.
Besondere Erwähnung verdient, dass die begrenzten Ma-
lacien eine wertvolle Gelegenheit gaben die sekundären De-
g-enerationen zu studiren und besonders ihren Verlauf in be-
grenzten Bündeln. Diese Degenerationen sind in den Fig.
5, 6 u. a. Taf. X zum grössten Teil eingezeichnet.
Auf der ¥\g. 5 ersieht man, wie die kleine laterale
Malacie, welche mit b bezeichnet ist, sich in eine scharfe
streifenförmige Atrophie fortsetzt, welche sich unter dem sub-
kortikalen Mark schlingenförmig nach oben fortsetzt.
Die andere Malacie resp. Atrophie (atr) geht mit einem
wohl markirten Streifen in den dorsalen Abschnitt der Seh-
strahlung über.
An den Präparaten kann man auch wahrnehmen, wie
die grosse Malacie (mal) in dem Cuneus teils durch eine
sekundäre Atrophie sich bis in die Sehstrahlung fortsetzt,
teils auch (was an der Fig. nicht sichtbar ist) von einer se-
kundären Degeneration in diejenigen Bündel begleitet wird,
welche unter dem Stratum proprium (= subkortikales Mark)
der Fissura calcarina liegen. Hier sind zwar nicht alle Fa-
sern verändert, aber zahlreiche tiefere nach unten (= ventral-
wärts) gehende Association.sbündel. Die Rinde der Fissura
calcarina ist normal und das Stratum proprium tiefschwarz
gefärbt. Ihre Fasern sind also normal, dagegen nicht alle tie-
feren Associationsfasern.
NEUE FÄLLE DIE LEHRE VON DER SEHBAHN UND DEM SEHCENTRUM BETREFFEND
71
Wie die Fasern von der Rinde in die Sehstrahlung ge-
langen und wie sie die äussere Schicht der Schstrahlung
bündeiförmig durchbrechen, hatte ich auch Gelegenheit näher
zu studiren.
An den Schnittreihen 3, 4, 5 und 6 aus der rechten
Hemisphäre konnte ich beobachten, wie die Faserrichtung
in der mittleren Schicht der Sehstrahlung eine nach vorn
(r=r frontahvärts) aufsteigende ist. Eine Degeneration in der
Sehstrahlung, welche hinten liegt, wird mehr nach vorn höher
liegen, was speciell mit meiner Ansicht von der Lage des
Sehbündels in der Sehstrahlung übereinstimmt. Dieses liegt
am Kniehöcker höher als hinten. Dieses Verhältnis erklärt
sich aus dem Zuwachs, welchen die Sehstrahlung durch die
vom Temporallappen in sie eintretenden Faserbündel erhält.
In den Centraiganglien finden sich wenige bemerkens-
werte degenerative Veränderungen.
Die von den Erweichungen in dem Frontallappen und
in der hinteren grossen Erweichung nach dem Thalamus hin
verlaufenden Bündel waren zum Teil degenerirt, aber fast
nur an den Marchi'schen Präparaten konnten sie genauer
verfolgt werden. Diese degenerirten Fasern scheinen zum
gro.ssen Teil im Thalamus eine vorläufige Endigung zu finden,
was ohne Zweifel dafür spricht, dass der Thalamus eine erste
Endstation für kortikale Fasern darstellt.
Andere traten in die Capsula interna ein, aber die kleine
Zahl degenerirter Fasern in der Pyramidenbahn war be-
fremdend. Die Hauptmasse war nicht deutlich entartet. Nur
schwierig kann dieses durch die verhältnismässig kurze Frist
zwischen dem Schlaganfall (26. Aug.) und dem Tod der Pat.
(22. Okt.) erklärt werden. Leichter erklärt es sich dadurch,
dass nur ein beschränktes Gebiet der Centraiwindungen be-
troffen war. Die degenerirten Fasern in der Pyramidenbahn
waren über den ganzen Durchschnitt zerstreut.
Ob dies darauf hindeuten kann, dass von einem be-
schränkten Gebiete der Centralwindungen Fasern für die ver-
schiedenen Glieder ausgehen, wage ich nicht zu sagen. Aber
auch die linke Pyramidenbahn enthielt eine Anzahl von dege-
nerirten Fasern, obschon in geringerer Zahl als die rechte
— physiologische Degeneration oder durch den gekreuzten
Verlauf der Fasern? In der Schleife fanden sich auch zum
Teil degenerirte Fasern, obschon in sehr geringer Anzahl
(physiologische Degeneration ?).
Die Hauptaufgabe der mühevollen mikroskopischen Un-
tersuchung war nachzuweisen, wie die Degeneration der Cu-
neusfasern sich in der Sehstrahlung und besonders im Corpus
geniculatum externum und im Colliculus anterior verhielt.
Alle Versuche dies mit Hülfe der empfindlichen Marchi'schen
Methode zu lösen scheiterten. Zwar konnte ich in der Seh-
strahlung in der linken Hemisphäre eine Degeneration von
Fasern, welche wahrscheinlich in Folge der Malacie der Cu-
neusrinde atrophisch waren, bis zur Ebene des Corpus geni-
culatum externum verfolgen, aber im Kniehöcker selbst konnte
ich keine degenerirten Fasern antreften. Eine Lokalisation der
Cuneusfasern innerhalb des Kniehöckers zu konstatiren wäre
sonst sehr interessant gewesen.
Eine deutliche Veränderung des Kniehöckers hinsichtlich
der Fasern oder Zellen war überhaupt nicht wahrzunehmen.
Fall 7. Lena Jakobsdotter.
Wittvve. 78 Jahre alt.
(Taf. V. XII. XIV.)
Klinisehe Diagnose: Hemiplegia slnistpa (Thpombosis). Hemian-
opsia sin.
Krankengeschichte.
Die nachfolgenden Daten über die Krankheit der Pat.
sind von der Pat. selbst gegeben ; aber da sie sehr geschwächt
war, so können nicht alle Angaben als völlig zuverlässig angesehen
werden.
Anamnese. Die Mutter litt während ihrer letzten
Jahre an Wassersucht und starb im Alter von 53 Jahren, der
Vater verschied im Alter von 60 Jahren nach einer Krankheit
von einigen Tagen. Die Ursache ist unbekannt. Pat. hat 7
Geschwister gehabt, von denen nur das eine noch lebt; von
den übrigen sind einige schon bei der Geburt gestorben. Nerven-
krankheiten scheinen nicht in der Familie vorgekommen zu sein.
Pat. ist verheiratet gewesen und hat einen noch gesunden
Sohn. Ihr Mann starb an Apoplexie. Er war Alkoholiker. Pat.
selbst soll auch bisweilen Alkohol getrunken, aber nach ihrer
Angabe nicht im Übermass. Ob sie Syphilis gehabt, ist nicht
zu eruiren.
Pathologisch-anatomische Diagnose; Eneephalomalaeia
eapsulce interns et peg. adjaeent.
Ihre hygienischen Verhältnisse waren stets gut. Pat. war
früher immer frisch und kräftig und hat stets viel gearbeitet.
Als Kind machte sie Masern und Keuchhusten durch.
Im Friililing i8qo begann sie sich »toll im ganzen Körper
zu fühlen». Es wurde ihr schwer zu gehen und stehen, weil sie
sich so müde und schwach fühlte. Sie litt nicht an Kopfweh
oder Husten und war nicht überanstrengt. Nach und nach wurde
ihr Gesundheitszustand schlechter, und sie hat;e bisweilen Schwin-
del vor den Augen und wurde oft gezwungen sich an Gegen-
stände anzulehnen oder sich zu setzen.
Dann fiel sie eines Tages plötzlich zu Boden und verlor
während,, einer halben Stunde, nach einer anderen Angabe wäh-
rend mehreren Stunden, das Bewusstsein. Ähnliche Anfälle wie-
derholten sich dann mehrere Male. Ob sie dabei Zuckungen in
den Gliedern oder im Gesicht gehabt, ist nicht zu eruiren,
aber nach der Angabe der Familie sollen Zuckungen nie vorge-
kommen sein. Sie miisste dann zwischen Pfingsten und Jo-
hanni das Bett hüten, wurde dann besser, so dass sie, obschon
72 S. E. HENSCHEN. PATHOLOGIE DES GEHIRNS
mit Schwierigkeit, aufstehen konnte. NacJi einer Frist von j
Wochc?i wurde sie von Neuem von einem Schlaganfalle getrof-
fen, während sie mit einer leichteren Arbeit beschäftigt war. Sie
soll dann zu Boden gefallen sein und rief dabei die Anwesenden,
welche ihr ins Bett halfen. Nach ihrer eigenen Angabe fiel sie
nach hinten und wurde dann eine längere Weile Ih'7C'Uss//os. Ob
sie Krämpfe hatte, ist ungewiss. Der Mund war nach links ge-
zogen, die Allgen nach oben und nach links. Seit dieser Zeit ist
sie auf der linken Seite gelähmt.
Während der 3 letzten Jahre ist sie stets bettlägrig gewe-
sen und hat fast Jeden Monat einmal ähnliche Anfälle gehabt.
Es ist nicht möglich gewesen Uber diese nähere Auskunft zu ge-
winnen. Sie hat die Zeit teils sitzend teils im Bette liegend zu-
gebracht; und während dessen wurden die Beine unbeweglich
und nach oben kontrahirf.
Während der letzten 6 Monate hatte man in ihrer Hei-
mat wahrgenommen, dass Fat. nach links Jiin blind war. Sie
soll keine Gesichts- oder Gehörhallucinationen gehabt haben.
1893 am 2 2:ten November wurde sie ins Krankenhaus auf-
genommen.
Status praesens am 30. November J893.
Allgemeiner Zustand. Fat. ist bettlägrig und nicht im
Stande selbst ihre Lage zu ändern. Sie liegt am liebsten auf
der rechten Seite. Die ganze linke Körperhälfte ist gelähmt und
die beiden Beine sind in einander verschränkt, kontrahirt und
gegen den Bauch in die Höhe gezogen. Das Fettpolster und
die Muskulatur sind bedeutend reduzirt. Der Körper ist schwach
gebaut. Der Appetit ist ziemlich gut, der Stuhlgang spontan,
aber träge. Während der ersten Tage schlief sie nur wenig,
später aber brachte sie den grössten Teil des Tages schlafend
zu. Der Puls ist klein, schwach und unregelmässig; die Fre-
quenz 88. Die Temperatur heute Morgen 37, am Abend 37,9
(s. unten). Die Hautfarbe ist gerötet; die Haut runzelig mit
einem ausgedehnten Eczem.
Subjektive Symptome.
Fat. giebt beim Befragen an, dass sie keine Schmerzen hat,
obschon sie sonst oft klagende Worte hervorstösst. Bei der links-
seitigen Lage schmerzt die Hüfte, wo grosser Decubitus vorhan-
den ist. Auch bekommt sie Schmerzen, sobald man versucht
die Beine von einander zu trennen.
Parästhesien hat sie nicht, sie ruft wiederholt ihre Ver-
wandten; kein Kopfweh noch Erbrechen.
Psychische Funktionen.
Der Gesichtsausdruck ist schlaff. Fat. nimmt keine Notiz
von den umgebenden Personen, fragt auch nicht, wo sie sich
befindet. Dann und wann bekommt man beim Anfragen einige
klare, wenn auch nur wortkarge und schwerzudeutende Antwor-
ten. Das Gedächtniss scheint in Anbetracht des hohen Alters
und des schlechten Zustandes der Fat. ziemlich gut zu sein. Sie
ist eigensinnig und mürrisch. Keine Delirien, aber Fat. ist sehr
unruhig und stört die Nachbarn durch vieles Plaudern oder
Schreien.
Keine Aphasie.
Die Kranialnerven,
I. Der Geruch ist verschwunden. Fat. reagirt weder für
Ammoniak, Terpentin, Essigsäure oder Schnupftabak.
IL Die SehscJiärfe zu prüfen war nicht möglich. Auf dem
linken Auge ist Fat. deutlich blind. Mit dem rechten Auge konnte
sie einen Gegenstand nicht sehen, wenn er in die nasale Gesichts-
feldpartie gehalten wurde. Grössere Gegenstände, wie eine Lampe
wurden wahrgenommen, wenn sie gerade vor dem rechten Auge
oder in die temporale Hälfte des Gesichtsfeldes geführt wurden.
Es lag also eine linksseitige Hemianopsie vor. Im horizontalen
Meridian war das Gesichtsfeld weniger beschränkt, wohl dagegen
im oberen und unteren Temporalquadranten.
Rot und grün, weiss und schwarz konnte Fat. recht gut
unterscheiden.
Gesichtshallucinationen scheinen vorhanden zu sein.
III. IV. VI. Die Augefibewegufigen sind in hohem Grade
beschränkt. Sie scheint die Augen weder nach oben, noch
nach unten, oder nach links bewegen zu können, wohl dagegen
nach rechts, und zwar recht gut. Keinen deutlichen Strabismus.
Die Pupillen sind klein, am linken Auge etwas grösser als am
rechten. Sie reagiren für Licht, aber nicht deutlich für Acco-
modation. Ein durch eine Linse scharf begränzter Lichtkegel
bringt beide Pupillen nur dann zur Kontraktion, wenn er von
rechts eingcworfe7i wird. Die Kontraktion ist <?;;/ linken Auge
schwächer als am rechten. Wird Licht von links eirlgeworfen,
ist die Kontraktion der Pupillen auffallend schwächer. Eine
hemianopische Fupillenreaktion ist also vorhajiden.
V. Die linke Gesichtshälfte ist vollständig unempfindlich,
sowohl bei kräftigem Kneifen, wie für Nadelstiche und für ein
Probirröhrchen, welches mit heissem AVasser gefüllt ist; ebenso
für Berühren mit kalten Gegenständen. Die rechte Gesichts-
hälfte ist dagegen sowohl für Berührung und Schnierzein-
drücke, wie Wärme und Kälte sehr empfindlich.
Beim Kauen nichts Abnormes.
VII. Die Augenlider werden beiderseits in gleicher Weise
zugeschlossen. Keine Schiefstellung des Mundes.
VIII. Auf dem linken Ohr hört Fat. nichts ; auf dem rech-
ten hört sie eine Taschenuhr in 12 cm. Entfernung.
IX. Der Geschmack ist bedeutend herabgesetzt, ja fast
verschwunden. Zucker und Salz schmeckte nach ihrer Angabe
gleich, sowohl an der rechten wie linken Zungenhälfte. Das
Schlucken geht normal vor sich.
X. Die Athembewegungen sind normal.
XI. Die Stimme ist heiser. Fat. kann den Kopf bewegen
und nach rechts drehen, nicht aber nach links.
XII. Fat. kann die Zunge herausstrecken. Die Spitze
weicht nicht merkbar von der Mittellinie ab; und die beiden
Hälften scheinen gleich zu sein.
Spinalnerven.
Sensibilität.
An der linken Rumpf hälfte, am linken Arm und Bein ist
die Sensibilität bedeutend herabgesetzt. Fat. reagirt nicht für ein
sehr starkes Kneifen der Haut, wohl dagegen für einen stärke-
ren Druck. Sie empfindet einen recht tiefen Nadelstich nicht,
auch Kälte und Wärme nicht (ein Probirröhrchen mit heissem
Wasser).
NEUE FÄLLE DIE LEHRE VON DER SEHBAHN UND DEM SEHCENTRUM BETREFFEND
Es war deswegen nicht möglich den Ortsinn zu prüfen.
An der rechten Rumpfhälfte, am rechten Arm und Bein war
die Sensibilität, für Berührung, Schmerz, Wärme- und Kältereiz,
nur wenig herabgesetzt, und überhaupt überall in gleichem Grade.
Ebenso verhielt sich der Ortsinn.
Motilität.
Pat. kann nur den rechten Arm unbehindert bewegen, da-
gegen nur sehr unbedeutend das rechte Bein flektiren und ex-
tendiren.
Die Bewegungen des Rumpfes, des linken Anns und Beins
sind vollständig aufgehoben und zwar sowohl aktive wie passive.
Der linke Arm ist nach vorn über den Bauch gezogen. Die
beiden Beine sind kontrahirt, verschränkt und unbeweglich.
Trophische Störung. Über beiden Hüftbeinen grosser
Decubitus, am grössten links.
Herz, Die Herztöne sind rein, der i:ste an der Herzspitze
etwas unrein.
Lungen, wie auch die übrigen Organe, nichts Besonderes.
Die Zunge belegt.
Harn. Den Harn lässt Pat. unter sich. Er ist tiefbraun,
sp. Gew. 1,022, enthält weder Eiweiss noch reduzirende Sub-
stanzen.
Tagesanzeichnungen.
^'/ii- Nach Behandlung mit Sodabad und Zinkpaste ist
das Eczem bedeutend gebessert, aber zahlreiche neue Masen
sind entstanden. Durch Bersten der Blasen sind Geschwüre ent-
standen.
^/i2. Pat. ist heute nicht so klar als an den vorhergehen-
den Tagen und klagt über Kopfweh. Der Apetit ist schlecht.
Temperatur heute Abend 39,8". Die rechte Hand und die Aus-
senseite des Unterarms sind schwarzblau und sehr kalt. Die
Geschwüre sind missgefärbt. Der Puls 104.
^/i2. Die Temp. 40,1. Pat. verschied um 11,20 v. M.
Die Behandlung. Chloral, Sodabad, Unguent. Dia-
chyli, Stimulantia und Sulphonal.
Sektion.
Der Schädel ist etwas dünn und etwas asymmetrisch, in-
dem die rechte Hälfte etwas mehr als die linke ausgebuchtet ist.
Die Diploe ist ziemlich reichlich vorhanden.
Die Dura ist etwas gleichförmig verdickt; nicht gespannt.
Die Pia nichts Besonderes.
Die Gefässe. Die rechte Arteria fossse Sylvii ist bedeu-
tend verdickt und weiss, wie auch die A. communicans anterior.
Die linke A. fossse Sylvii ist auch in einer Ausdehnung von 1,5
cm. verändert. Beim Aufschneiden der rechten A. fossae Sylvii
findet man, dass ihr Lumen fast impermeabel ist. Weiter peri-
pheriewürts ist die Arterie auch sehr atheromatös.
Die Wi7idungen sind im Allgemeinen vorspringender als
gewöhnlich, und die Furchen tiefer und deutlicher als normal.
Sonst findet man an den lateralen und ventralen Flächen keine
Veränderungen. Beim Trennen der beiden Hemisphären findet
man auch an den medialen Flächen keine Veränderungen, mit
der Ausnahme, dass die Gyri rechts etwas mehr hervorragen
S. E. Menschen. Pathologie des Gehtins.
als links. Sonst wird bei der Herausnahme des Gehirns be-
merkt, dass:
die Innenseite des rechten Thalamus etivas eingesunken und
das rechte Pulvinar missgefärbt gelatinös ist. Das Pulvinar
barst leicht bei Berührung und es öffnete sich eine Cyste an sei-
ner medialen Seite.
Die linke Hemisphäre.
Auf der ventralen Oberfläche des linken Temporallappens
wurden einige kleine Hsemorrhagien bemerkt.
Sonst fand sich in dieser Hemisphäre nichts Abnormes.
R e c h t e H e m i s p h ä r e.
Frontalschnitte.
Occipito-Parietallappen.
Die Schnitte i. 2. 3. 4 und 5 cm. vor der occipitalen
Spitze sind makroskopisch völlig normal.
Schnitt 6 cm. Hier erscheint das occipitale Ende der
grossen Erweichung in Form einer diffusen der dorsalen Hälfte
des Hinterhorns gegenüberliegenden Erweichung. Makroskopisch
berührt diese weder die Sehstrahlung noch die Rinde und liegt
ausschliesslich im lateralen Marke, sonst ist der Schnitt normal.
Einige Millimeter weiter nach vorn dehnt sich die Erweichung
auch auf die ventrale Hälfte des Marks aus (Taf. XII. Fig. 7).
Sie misst in Höhe 30 m.m., in Breite etwa 2 — 3 m.m.
Schnitt 7 cm, (Taf XII. Fig. 6.) Die Zerstörung ist hier
sehr ausgedehnt und nimmt nicht nur das ganze vertikale Mark
in seiner ganzen Ausdehnung, sondern auch das ganze lateral
und dorsal vom Hinterhorn gelegene Mark ein. Auch die Rinde
in der Tiefe des t^ (sowohl des T^ wie T^) ist zerstört und im
T^ dringt die Erweichung bis dicht unter die Rinde vor.
Dagegen ist das Mark sowie die Rinde des H, T^ und
des Gyrus cinguli sowie das Corpus callosum unberührt.
Die erweichte Partie ist sehr lose und hat zahlreiche un-
regelmässige Höhlen.
Schnitt S cm. (Taf XII. Fig. 5.) Auch hier ist die Er-
weichung sehr ausgedehnt und erstreckt sich im lateralen Mark
bis dicht unter die Rinde der Windungen, und in vertikaler Rich-
tung von der Ebene des Balkens bis i cm. unter das Niveau
des Bodens des Hinterhorns. Sie dringt in die Markleiste der
Windungen ein und lässt nur das Mark des H und des frei
imd zwar nur zum Teil. Alle nach den Centralganglien von
H, T^ T^ T-, TS P'^ CP und e\ sowie Gyrus anguli und des
Balkens ziehenden Fasern sind folglich entweder unmittelbar
unter der Rinde wie die Fasern der T^, T^, T\ P^, C^ oder
weiter centralwärts wie die der H, T', C'"^, Gyrus cinguli und
des Balkens abgebrochen.
Nur in der Tiefe der Fossa Sylvii hat die Rinde unmittelbar
durch die Erweichung gelitten.
Fro ntal 1 ap pen.
Schnitte i, 2 und 3 cm. hinter dem Frontalspitze sind ma-
kroskopisch völlig normal.
Schnitt 4 cm. (Taf XII. Fig. i.) Hier ist das frontale
Ende der grossen Malacie durchschnitten. Diese liegt 3 m.m.
lateral vom Vorderhorn und nimmt hauptsäcnlich das Mark des
10
74 S. E. HP:NSCHEN. PATHOLOGIE DES GEHIRNS
ein; sie ist unregelmässig und besteht eigentlich aus zwei bis
drei zusammenhängenden cystüsen Ausläufern, welche zusammen
in Höhe 2,5 cm. und in Breite 15 m.m. messen. Die Rinde
ist nur in beschränktem Maasse im orbitalen Gebiet bertihrt.
Schniit ß cm. (Taf. XII. Fig. 2.) Hier ist die Erweichung
ausgedehnter und dringt bis zur ventralen Oberfläche des F*
im Winkel zwischen F"* und Insula hervor sowie auch bis zum
Vorderhorn ohne jedoch das Ependym zu durchbrechen. Sie
nimmt hauptsächlich das Mark des F'' sowie das Caput nuclei
caudati et lentiformis ein; F^ und F^ sind nicht berührt, weder
im Mark noch in der Rinde.
ScJinitt 6 cm. (Taf. XII. Fig. 3.) 2 m.m. vor dem Cor-
pus mammillare. Die Erweichung hat hier sowohl den ganzen
Insellappen, sowie das laterale Mark dorsal und ventral von ihm
zerstört. Nach oben erstreckt sich die Zerstörung bis 5 cm.
dorsal vom Nucleus caudatus, nach unten bis etwa zum Boden
des Unterhorns, nach innen geht sie bis zur Capsula interna, und
zum lateralsten Abschnitte des Nucleus externus des Thalamus
und hat den Nucleus caudatus zerstört. Das Mark und die ven-
trale Rinde des C'"* (Operculum superius anterius) sowie die dor-
sale Rinde des T^ sind auch erweicht.
Unberührt sind die Markleisten und die Rinde des H, T^,
T^, T'"*, F^ und F\ sowie der Balken und der Fornix.
Schnitt 7 cvi. (Taf. XII. Fig. 4.) Die Erweichung ist
noch etwas ausgedehnter als am Schnitt 6 cm., aber sonst von
fast derselben Eage und Form. Nach oben ist die Ausdehnung
dieselbe. Nur das Mark des F^ und zum Teil das des F^ ist
unberührt. Das Mark der C^, der Insula und des T^ ist zer-
stört. Die Malacie dringt durch die innere Kapsel und dann
längs dem ventralen Rande der Centralganglien.
Die Hauptmasse des Thalamus und die Regio subthaia-
mica ist nicht berührt.
Das Mark zwischen dem T-lappen und den Centralganglien
ist zerstört.
Das erhalten gebliebene etwa 2 cm. dicke Stück der Cen-
tralganglien wurde in P'rontalschnitte geschnitten.
Centralganglien.
Der rechte Thalamus ist bedeutend geschrumpft und in
Folge dessen die mediale sowie auch die dorsale Fläche narbig
eingezogen.
Pulvinar ist deutlich unterminirt, die Oberfläche ist zwar
erhalten geblieben, aber gerunzelt. Nach dem Durchschneiden
sieht man, dass es zum Teil in eine nrehrere m.m. grosse malac-
ische Höhle verwandelt ist.
Das Gebiet des Corpus geniculatum iiitcrnuui ist malacisch
und zerfliesst leicht. Das Ganglion selbst ist klein und ge-
schrumpft. An Durchschnitten zeigt sich das Innere durch eine
Höhle ersetzt.
Das Corpus geniculatum externum ist makroskop-
isch verändert, etwas klein und ragt an der Oberfläche mehr
als gewöhnlich hervor, sein Volumen ist jedoch vermindert.
Der Nucleus caudatus ist in seiner ganzen hinteren
Hälfte geschrumpft, indem die Zerstörung seine laterale Hälfte
getroffen hat (s. Mikroskopische Untersuchung). Nur der vordere-
innere Abschnitt scheint z. T. makroskopisch unverändert zu sein.
Das Corpus mammillare scheint unverändert zu sein.
Der Pcs ist in seinem äusseren hinteren Abschnitt sehr lose
und gelb und folglich malacisch.
Unmittelbar nach aussen vom Nucleus caudatus ist das
Mark vollständig zerstört und durch löcheriges Bindegewebe er-
setzt. Die laterale Rinde dagegen mit Ausnahme der Insular-
rinde ist intakt.
Die Inselrinde ist vollständig erweicht.
Die Sektion im Übrigen (Auszug aus dem Protokolle).
Körper: schwach, mager; die Muskulatur schwach. Die
Haut cyanotisch mit ausgebreiteten Geschwüren.
Herz: Atrophia fusca; Myocarditis. Fibrosis musculorum
papill. cordis. Sonst keine Veränderung der Valvel.
Lungen: Petrificatio partialis glandularum lymphaticarum.
Milz: klein.
Nieren: Atrophia senilis renum.
Ventrikel: Catarrhus ventriculi.
Leber: ohne Besonderes. Gallensteine.
Aorta abdominalis: eine ausgedehnte hochgradige Sklero-
sirung und Kalkinfiltration.
Uterus: atrophisch.
Mikroskopisches. (Taf. V.)
Ein Blick auf die Tafel XII. überzeugt, dass die haupt-
sächliche und primäre Erweichung die Insularrinde, die Capsula
externa und den Linsenkörper einnimmt. Diese Malacie sendet
Ausläufer sowohl nach oben und unten ins Mark sowie auch
medialwärts in die Capsula interna und den Thalamus hinein.
In wie weit diese nach verchiedenen Richtungen eindringen, zei-
gen die Figuren, soweit es makroskopisch nachzuweisen war.
Ausserdem finden sich auch sekundäre Degenerationen,
deren Ausbreitung sich erst mit dem Mikroskope studiren lässt.
Die Figuren zeigen weiter, dass die Grenzen der grossen
lateralen Erweichung keineswegs scharf sind. Die mikroskopischen
Figuren zeigen, dass das Grenzgewebe durchlöchert und das
Nervengewebe daselbst fast vollständig geschwunden ist. Wenn
wir nun an der Hand der Abbildungen (an Taf. V.) die ver-
schiedenen Ganglien betrachten, so finden wir folgendes.
Die Centralganglien.
Liuscukörpcr. An den occipitalen Schnitten (Taf. V. Fig.
7) findet man von ihm kaum etwas erhalten; nur einige schwach
grau geiärbten Bündel (put.) bezeichnen die Lage des Putamens.
Von den Fasern sind nur Bruchstücke erhalten, Zellen sind nicht
geblieben. Weiter nach vorn (Fig. 8) werden die erwähnten Bün-
del etwas deutlicher und bilden eine vertikale Reihe; das Ge-
webe ist noch völlig atrophisch ebenso in der nächsten Schnitt-
serie (Fig. 9), wo das Gewebe sehr durchlöchert ist.
Erst an den Frontalschnitten im vorderen Umfange des
roten Körpers findet man, dass die Fasern des Globus pallidus
zum Teil erhalten geblieben sind, und man erkennt die Form
dieses Ganglions, wie auch die Fig. 11 (Gl. pal.) zeigt. Diese
Fig. zeigt auch die Anordnung der Fasern und wie die Bündel
medialwärts durch die atrophische Kapsel in den Luys'schen
Körper hineinstrahlen. Die Bündel des Globus pallidus bestehen
NEUE FÄLLE DIE LEHRE VON DER SEHBAHN UND DEM SEHCENTRUM BETREFFEND
75
mehr aus einzelnen starken Fasern und Faserresten als aus dickeren
Bündeln mit normalen Fasern.
Das feine Nervennetz fehlt fast völlig. Die Bündel, welche
die innere Kapsel durchziehen, bestehen aus teils zusammen-
hängenden Fasern, teils einer Anzahl in Degeneratio7i begriffener
dünner Fasern und Bruchstücke von Fasern. Diese Balken
bilden dann teils die dorsale und ventrale Kapsel des Luys'schen
Körpers, teils ziehen sie in das Innere des Ganglions ein, teils
endlich ziehen sie mehr ventrahvärts hin. Eine kleine Cyste
(Cy) schneidet das ventrale Bündel ab. Dieses Balkensystem
sieht man noch an der folgenden Serie (Fig. 12). Dabei ver-
binden sich die Bündel von der Spitze des Globus pallidus mit
der dorsalen Spitze des Luys'schen Körpers, die der mittleren
Partien dieser Körper verbinden sich mit einander und die ven-
tralen ebenso.
Zellen. Die spärlichen, noch zurückgebliebenen Zellen sind
gewiss in hohem Grade atrophisch, pigmentirt, eckig, klein, ohne
Ausläufer.
Die Alisa lenticularis (Fig. 13) ist an den frontalsten Schnit-
ten noch vorhanden, aber schwach, ihre Fasern sind tiefschwarz
gefärbt.
An den frontalsten Schnitten (Fig. 12, 13) und noch mehr
frontal ist auch das Pntamen mehr oder weniger vollständig zer-
stört, nur der ventro-mediale Abschnitt ist erhalten. Es finden sich
keine Nervenfasern mehr und das Gewebe ist mürb, durchlöchert
und die Zellen fehlen. Die Zerstörung greift auf das Caput
nuclei caudati über.
Also: Das Patamen ist fast vollständig zerstört, nur der
ventro-mediale Abschnitt ist noch erhalten; im mittleren Abschnitt
des Globus palUdus finden sich noch spärliche Fasern, aber die
wenigen Zellen sind atrophisch.
Nucleiis caüdatus. Die Cauda nuclei caudati ist nicht von
der Erweichung berührt, dagegen ist das Corpus dieses Gang-
lions fast vollständig zerstört, so dass es selbst schwierig ist seine
Lage an den mikroskopischen Präparaten nachzuweisen.
An den frontalen Schnitten durch das Caput n. caudati ist
die dorsale Hälfte malacisch, die ventro-mediale ist erhalten,
die Gefässe sind injicirt. Die Zellen finden sich hier noch vor.
Thalamus opticus. Dieses Ganglion ist überhaupt von der
Erweichung nicht direkt betroffen, wohl aber in weiter Ausdehnung
indirekt und ausserdem finden sich in ihm verschiedene kleinere
Cysten. In Folge dessen finden sich noch nur gewisse Fasern-
systeme erhalten und selbst diese sind schwach vertreten und die
Fasern färben sich überhaupt schlecht.
Form. Dass die allgemeine Form verändert und das Vo-
lumen reduzirt ist, geht aus den mikroskopischen Abbildungen
hervor (Taf XII. Fig. 3. 4. 5. Th. Pulv.). Die Nuclei inter-
nus und externus zeichnen sich kaum von einander ab, wohl
aber N. anterior.
Cysten a). Im Pulvinar findet sich eine grosse Cyste,
welche nach hinten das Brachium anterius, Corp. 4-gem. abge-
trennt hat. Nach vorn v/ird sie kleiner und liegt am dorso-
medialen Rande. Ihre Grösse geht aus den Abbildungen hervor
(Fig. 7 — Ii).
b) Im Thalamus: eine schlitzförmige Cyste dorsal vom
Nucleus ruber (Fig. 10. 11. Cy.).
c) Eine ventrale Cyste dorsal vom Tractus opticus ; sie ist
nach hinten gross (Fig. 8), dann kleiner und sinuös (Fig. 9),
nach vorn (Fig. 11) klein.
Occipitale Schnitte. Hier färbte sich nur die Ausstrahlung
einiger Bündel in dem occipitalen Abschnitt der inneren Kapsel
(Fig. 7. C. i). Sie bildet einen vertikalen Streifen, welcher wohl
zum Teil von den hintersten radiären in das Pulvinar und den
Thalamus einstrahlenden Bündeln besteht. Diese Bündel sind
spärlich und nur sehr schwach gefärbt. Sie sind am stärksten
da, wo das Pulvinar sich mit der Occipitalstrahlung vereint.
Nach vorn findet man als Fortsetzung nur einen sehr
schmalen Streifen, welcher gewiss der Gitterschicht der Lamina
medullaris externa des Thalamus entspricht (Fig. 9) und an
einer Anzahl von Präparaten selbst geschwunden ist (Fig. 8),
um dann weit nach vorn deutlicher zu werden (Fig. 11).
Von diesem Streifen ziehen spärliche schwach gefärbte
Fasern bogenförmig als Radien medialwärts in den Thalamus
hinein. Diese radiären Fasern des Thalamus sind durch die
erwähnte ventrale Cyste zum Teil im occipitalen Abschnitte ab-
gebrochen (Fig. 8. 9); weiter nach vorn (Fig. 11) dagegen nicht.
Schleife und Haubenstrahlung. An occipitalen Schnitten
(Fig. 8) bemerkt man, dass im Pes ein verhältnissmässig gut
erhaltener Streifen mit gut gefärbten Fasern von ventralen Teilen
nach aussen oben steigt. Diese sind die Schleifenfasern (Schi.).
Sie verlaufen nach oben-aussen und schmelzen mit Zügen vom
roten Kern (Fig. 9) innig zusammen und bilden einen rund-
lichen verhältnissmässig faserreichen Körper im lateralen und
ventralen Abschnitt des Thalamus (Th.).
Die Fasern sind sehr stark und intensiv gefärbt, auf längeren
Strecken zahlreich und zusammenhängend.
Nach den eben beschriebenen rundlichen Körper im ven-
tralen Teil des Thalamus strahlen zahlreiche Bündel vom roten
Kern hin. Diese kommen teils vom ventralen Umfang (Kapsel)
(Fig. 8), teils vom ventralen Abschnitt des Kerns (Fig. 9), wie
die Fig. näher zeigen. Züge, welche vom medialen Umfang
des roten Kerns kommen, scheinen unmittelbar lateralwärts gegen
die Lamina medullaris sich fortzusetzen (Fig. 11). (Haub. S.)
Der Nucleus ruber ist überhaupt gut erhalten geblieben,
wenn auch vielleicht etwas faserarm.
Die Kapsel ist im ventro-medialen Umfang recht kräftig,
im ventro-lateralen schwächer, im dorsalen vorne (Fig. 11) schwach
(durch die Nähe der Cyste), aber im mittleren Abschnitt stark
(Fig. 9), die mediale ziemlich normal. Das Innere ist recht
faserreich, die Balken und Fasern sind stark und intensiv gefärbt,
ohne Spur von Degeneration,
Die im ventro medialen Abschnitt durchziehenden Bündel
des Oculimotorius sind stark und intensiv gefärbt.
Corpus subthalamicum. Wie dieser Körper mit dem Glo-
bus pallidus durch zahlreiche Balken (welche die innere Kapsel
durchziehen) verbunden ist, ist oben erwähnt. Das Ganglion
ist auffallend reduzirt, misst nur 4+2 m.m. Es wird von der
Haubenstrahlung (s. Fig. 11) durch einen bleichen an Nerven-
fasern sehr armen Streifen getrennt.
76
S. E. HENSCHEN. PATHOLOGIE DES GEHIRNS
Das Innere hat ein feines aus feinen und gröberen Fasern
gebildetes Netz, aber die Fasern, obschon intensiv gefärbt, scheinen
nirht zusammenzuhängen, sondern aus Bruchstückchen zu bestehen;
auch sehr dünne kurze Fäden finden sich (Atrophie der Fasern).
Die Zellen sind sehr pigmentreich, die Konturen sehr
scharf, die Form eckig abgerundet; sie scheinen an Zahl ver-
mindert zu sein, aber treten in Folge der Faseratrophie un-
gewöhnlich deutlich hervor.
Also: Allgemeine Reduktion des Ganglions mit Schwund
und Atrophie der Fasern und Atrophie der Zellen.
Corpus main/nillarc und seine Schenkel.
Das Corpus selbst misst höchstens 3,5 m.m.
In occipitalen Teilen ist die Kapsel schwach oder fehlt,
die P'asernetze auch schwach entwickelt und die Fasern grau,
die Zellen atrophisch ('?).
In frontalen Abschnitten ist die dorsale Kapsel stark mit
intensiv gefärbten Fasern, so auch die ventrale, obschon weniger
auffallend. Die Zellen im medialen Ganglion sind erhalten, gross,
wenig pigmentreich, die des lateralen klein, pigmentirt aber mit
Ausläufern, eckig mit scharfen Konturen. — Also ist wohl im
occipitalen Abschnitte ein Faserschwund vorhanden, im fron-
talen kaum.
Die Columna fornicis ist vorhanden, grau gefärbt, vielleicht
an Dicke etwas reduzirt.
Die Columna Vieq d' Azyr ist sehr schwach gefärbt, kann
aber bis zum Nucleus anterior verfolgt werden.
Der Nucleus anterior Thalami ist makroskopisch nicht
verändert, hat aber eine sehr schwache Kapsel und ist über-
haupt schwer zu erkennen. Die Fasernetze sehr undeutlich. Die
Zellen sind erhalten geblieben, pigmentirt, scharf konturirt, eckig.
Columna Thalami. Vom oberen Umfange des Corpus mam-
millare kann man diese Säule bis zur Capsula interna genau
verfolgen. Sie legt sich der dorsalen Kapsel des Luys'schen
Körpers nahe an um mit ihr erst an dem dorsolateralen Pole zu-
sammenzuschmelzen. Ihre Fasern sind sehr schwach gefärbt. An
der Grenze der inneren Kapsel hört sie plötzlich auf. (Fig. 12.)
Die Capsula interna ist fast vollständig weg. Kaum findet
man in ihr eine einzige Faser. Ihre Bahn ist also durch einen
kleinen atrophischen Streifen bezeichnet. Nur in der Frontal-
strahlung finden sich einige bleiche Bündel. Aber an den Mar-
chi'schen Präparaten (Fig. 10) zeichnet sich ihr Weg sehr deut-
lich und wir finden hier wie sie auch ins Innere des Thalamus
Fasern sendet. An meinen Präparaten erreichen diese nicht den
roten Körper.
(In Anbetracht dass das Osmium nur wenig in die Präpa-
rate eindringt, möchte die Abwesenheit einer Scharffärbung nicht
viel bedeuten, wohl aber das Vorhandensein der gefärbten Fett-
körner.)
Substantia nigra. Die Zellen sind klein und gerundet, oft
ohne scharfe Konturen (Atrophie).
Ausser den beschriebenen Bündeln findet man einige spär-
liche Fasern in dem Stratum zonale und der Stria terminalis, in
der Commissura posterior, der Meynert'schen Kommissur (s. unten)
und der ventralen (Temporal-) Strahlung.
Die ventrale Einstrahlung in den Thalamus. An den Fig.
7 — II ersieht man, wie in dem ventralen Abschnitt des Thala-
mus ein breites Bündel längs dem ventralen Rande des Thalamus
verläuft. An den Fig. 7 ist es nicht abgebrochen, wohl aber
an der Fig. 8 und zwar durch eine Cyste, so auch zum Teil an
der Fig. 9 und 11. An der Fig. 12 fehlt es und ist gewiss von
der Malacie abgeschnitten, so auch an Fig. 13. Diese Strahlung
ist die Temporale Strahlung.
Das optische System.
Die MeynertscJie Kommissur ist sehr schön vorhanden; an
occipitalen Schnitten fliesst sie mit Ansa lenticularis anscheinend
zusammen. (Fig. 13.)
Tractus opticus. An mehr frontalen Schnitten findet man
im Tractus eine ausgeprägte Atrophie; diese nimmt die ventrale
Peripherie und besonders die laterale Hälfte ein. Hier findet
man nur vereinzelte Fasern, welche alle in Degeneration be-
griffen und äusserst varikös sind.
Aber im dorsomedialen Abschnitt des Tractus findet man
zahlreiche recht gut gefärbte Fasern, von welchen viele jedoch
nicht als normal betrachtet werden können und besonders an
der Grenze gegen die Atrophie nicht dicht an einander liegen.
Auch in dem erhalten gebliebenen Felde findet sich reichlicherer
Bindegewebe als an normalen Schnitten.
Dieses Feld behält seine Lage im Tractus weit nach hin-
ten, aber im occipitalsten Abschnitt sind die Fasern im Tractus
über den Querschnitt etwas mehr gleichmässig zerstreut, wenn
sie auch vorzugsweise ihre dorsale Lage behalten. Hier tritt dor-
sal vom Tractus eine kleine Cyste hervor, welche jedoch den Trac-
tus nicht direkt berührt. (Taf. V. Fig 11. Cy. 12. Cy. 13. Cy.)
Diese Cyste ist recht unregelmässig und tritt an den Schnitten
unmittelbar frontal vom Kniehöcker (Taf. V. Fig. 10) nicht hervor.
Corpus geniculatum extcrnum. Schon an den frontalen
Schnitten des Kniehöckers findet man mehrere unregelmässige
kleine mikroskopische Hämorrhagien, welche längs dem medio-
ventralen Rande des Ganglions in eine Reihe geordnet sind
(Präp. C. 142). Bald fliessen diese zusammen (Präp. C. 113)
und bilden eine von oben nach unten, i m.m. von der ventralen
Oberfläche entfernt, verlaufende schlitzförmige Cyste ; sie dehnt
sich nach oben aus, und hier findet man bald (Präp. C. 71
Taf V. Fig. 9) eine dreieckige Cyste, welche nach hinten an
Grösse zunimmt und sich nach oben-innen längs der ventralen
Oberfläche des Pulvinars verlängert.
So entsteht im occipitalen Abschnitte des Kniehöckers eine
grössere Höhle (etwa 4 — 5 m.m.), welche an mehr occipital ge-
legenen Schnitten mit der grossen Cyste des Pulvinars zusammen-
hängt. (Taf. V. Flg. 8, 7.)
Durch diese Cyste ist die Konstitution des Kniehöckers
wesentlich beeinflusst.
Fasern. In frontalen Abschnitten sind diese Uberhaupt
sehr spärlich, in mehr occipitalen und besonders occipito-lateralen
reichlicher vorhanden.
Kapsel. In den frontalsten Abschnitten ist das Ganglion
überhaupt undeudich begrenzt. Die ventrale Kapsel fehlt voll-
ständig, die dorso-mediale und dorso-laterale ist äusserst schwach,
indem nur spärliche zum Teil degenerirte Fasern erhalten sind.
Diese haben die Richtung nach oben-medialwärts. (Präp. C. 142.)
NEUE FÄLLE DIE LEHRE VON DER SEHBAHN UND DEM SEHCENTRUM BETREFFEND
77
Weiter nach hinten (Präp. C. 71. Fig. 9) fehlt auch die
ventrale Kapsel fast vollständig; im dorso-medialen Umfange
liegt die Cyste; die dorso-laterale Kapsel ist deutlich mit zwar an
Anzahl sehr reduzirten, jedoch nicht wenigen Fasern, welche
schwach gefärbt und zum Teil in Degeneration begriffen sind.
Der occipitale Abschnitt (Taf. V. Fig. 8. Präp. b. 66) des
Kniehöckers. Die ventrale Kapsel fehlt auch hier fast vollstän-
dig. Die dorsale Kapsel ist von der Cyste zerstört. Die dorso-
laterale ist noch schwach, aber jedenfalls kräftiger als in mehr
frontalen Schnitten, dagegen ist die ventro-laterale kräftig. Ihre
Fasern sind recht zahlreich und färben sich intensiv.
Fasern im Inneren. Marklamellen. In frontalen Schnitten
fehlen diese vollständig, in mittleren aber treten im ventro-
lateralen Abschnitte eine oder zwei Lamellen auf und werden
selbst recht dicht und kräftig in demselben Maasse wie die late-
rale Kapsel kräftiger wird.
Einstrahlende radiäre Fasern. In frontalen Abschnitten
findet man nur* einzelne schwach gefärbte Fasern, welche keine
Netze bilden. In den mittleren und occipitalen dagegen fehlen
diese fast nur im ventromedialen Abschnitt; dagegen sieht man.
wie zahlreiche Fasern von der lateralen Kapsel ins Innere des
Kniehöckers einstrahlen. Diese sind zuerst parallel und bilden
überhaupt nicht eigentliche Netze, sondern parallele Bündel oder
Fasern. Alle diese Fasern sind intensiv gefärbt ohne Zeichen
einer Degeneration.
Diese Fasern verlaufen lateral vom Kniehöcker nach aussen-
unten in fast vertikaler Richtung und zeigen im Allgemeinen
keine Zeichen einer Degeneration. An den Marchi'schen Präpa-
raten findet man jedoch, dass neben normalen Fasern nicht wenige
Reste degenerirter Fasern vorhanden sind.
Zellen: In frontalen Schnitten: An den Weigert'schen Prä-
paraten markiren sich die Zellen nur sehr schlecht, obschon die
Fasern fast geschwunden sind. Die meisten Zellen sind hoch-
gradig atrophisch und zu bleichen rundlichen Körperchen um-
gewandelt, an denen man überhaupt die gewöhnliche Textur
vermisst. An Karminpräp. (C. 108) färben sich überhaupt nur
spärliche Zellen.
Die grossen Zellen der viedioventralen Randzone sind zum
grossen Teil verschwunden, die zurückgebliebenen sind nicht,
wie normal, in Reihen angeordnet, sondern liegen ohne Ord-
nung hie und da. Alle diese Zellen sind rundlich oder rundlich-
eckig, nur an zwei oder drei entdeckt man einen Rest eines
Prozesses.
Die kleinen Zellen sind :
a) In dorsalen Abschnitten zum grössten Teil geschwunden,
die wenigen zurückgebliebenen sind entweder hochgradig atro-
phisch zu kleineneckig-rundlichen Klümpchen umgewandelt oder
grösser und nicht so auffallend verändert.
b) In lateralen und latero-ventralen Abschnitten sind die
Zellen viel zahlreicher; neben völlig atrophischen zu kleinen Klümp-
chen reduzirten Zellenkörpern trifft man auch recht gut erhalten
gebliebene, an denen man selbst die Fortsätze sehen kann.
Die Rosin'schen Präparate bestätigen die Resultate.
Das Stroma ist überall kernreicher als normal.
In mittleren Schnitten (Fig. 9. Präp. 77) verhalten sich die
Zellen überhaupt ungefähr in derselben Weise in den verschiedenen
Abschnitten, aber sie sind überall zahlreicher und etwas besser
erhalten.
An recht zahlreichen grossen Fandzellen, welche im ventralen
Abschnitte liegen, erkennt man noch die feinen Fortsätze, und
die Zellenkörper haben ihre Form erhalten (Präp. C. 68) (Mety-
lenpräp.).
Die kleineren Zellen verhalten sich wie in frontalen Ab-
schnitten. Reichliche Pigmentklümpchen finden sich vor, sowohl
zwischen den grossen wie besonders den kleinen Zellen.
In occipitalen Sclinittcn: Die grossen Zellen sind zahlreicher,
liegen mehr in geordneten Reihen als in der ventromedialen
Randzone.
Die kleinen Zellen sind wie in den mittleren Schnitten;
atrophische liegen neben besser erhalten gebliebenen und dazu
finden sich zahlreiche Pigmentklümpchen.
Das Stroma ist in occipitalen Teilen nicht so kernreich (?)
wie in frontalen.
Rückblick. In den frontaleii und ventrolateraleii
Abschnitten fcJden entweder vollständig oder grösstenteils
sowohl die Nervenfasern wie Zellen. Besonders gilt dies
der Reihe der grossen ventralen Zellen. Von diesen sind nur
noch wenige vorhanden, und fast alle diese sind atrophisch.
Weiter nach hinten treten mikroskopische Hämorrhagien in
dem ventro-medialen Umfange i m.m. von der Oberfläche
entfernt auf. Dem ungeachtet findet man in den ventro-
occipitalen Abschnitten nicht wenige Zellen, von denen einige
selbst die Fortsätze noch beibehalten haben.
Ganz anders verhält sich der laterale und besonders dei
occipito-laterale Abschnitt. Hier findet man noch eine fasern-
reiche Kapsel und es strahlen zahlreiche radiär angeordnete
Fasern in das Ganglion ein und bilden zwar nicht Netze,
wohl aber Marklamellen. Hier sind die Zellen noch zahlreich.
Normale Zellen sind nur spärlich vorhanden, dagegen finden
sich atrophische in verschiedenen Stadien und Pigmentklümp-
chen in reichlicher Anzahl.
Der dorsale Abschnitt wird zum grossen Teil von einer
Cyste eingenommen.
Es giebt also im äusseren Kniehöcker zwei ganz ver-
schiedene Prozesse, deren Wirkung jede für sich betrachtet
werden muss, nämlich teils i) primär begrenzte Hämorrhagien,
teils 2) eine sekundäre Degeneration der Fasern und Zellen.
Die hämorrhagischen Herde haben teils die entsprechen-
den Teile des Kniehöckers zerstört, teils etwas destruirend
auf die Umgebung eingewirkt. Die letztere Einwirkung kann
überhaupt als eine sehr gelinde bezeichnet werden, denn
in fast unmittelbarer Nähe der mikroskopischen LIerde selbst
findet man wenig veränderte Zellen. Dagegen hat die grosse
Cyste den dorsalen Abschnitt des Kniehöckers zum grössten
Teil ersetzt. Da nun die weiter frontal liegende Cyste (Taf. V.
Fig. 1 1 Cy), welche dorsal vom Tractus liegt, vor dem
Kniehöcker aufhört (Fig. 10) und die Cyste an den Fig. 8, 9
erst mehr occipitalwärts anfängt, so kann sie die Tractusfasern
nicht in mehr frontal liegenden Abschnitten durchtrennt haben,
wohl aber in mehr occipitalen, und gewiss ist hier eine Masse
von Tractusfasern durch die Hämorrhagie und Cystenbildung
zur Atrophie gebracht worden.
78 S. E. RENSCHEN. PATHOLOGIE DES GEHIRNS
Die ausgedehnte Tractusatrophie hängt teils hiervon, teils
von der Zerstörung der Pupillenfasern ab. Aber ausserdem
müssen durch die Cystenbildung zahlreiche occipitale Sehfa-
sern von den frontalen Ganglienzellen abgetrennt worden sein.
Durch die Einwirkung dieser drei Prozesse lässt sich die
fast vollständige Atrophie der Zellen und Fasern im frontalen
Abschnitte des Ganglions genügend erklären. Besonders auf-
fallend ist die vollständige Atrophie der Fasern in dem ven-
tralen Umfange des Tractus und die eben so vollständige
Atrophie der ventralen Kapsel des Ganglions, welche beide
im Zusammenhang mit einander stehen.
Die hochgradige Zellenatrophie im latero-occipitalen Ab-
schnitte hängt wohl von der Destruktion der ganzen occipi-
talen Strahlung ab (Taf. XII. Fig. 3 — 6), und steht in Über-
einstimmung mit den Befunden Monakows, dass eine Destruk-
tion des occipitalen Markes oder der occipitalen Rinde von
Atrophie der Zellen des Kniehöckers gefolgt wird.
Dagegen ist auffallend, dass die Atrophie nicht alle
Zellen getroffen hat, und dass noch eine nicht unbeträchtliche
Anzahl von erhalten gebliebenen Nervenfasern vorhanden ist.
Woher stammen diese Fasern? Wenn man die Figuren 7 — 9
Taf V. betrachtet und damit die Fig. 3 — 6 auf Taf XII ver-
gleicht, so ist es zwar nicht leicht zu sagen, woher diese Fa-
sern kommen. Die Fig. 4 wie auch die vertikale Richtung
der Fasern von unten deuten doch darauf hin, dass sie vom
Temporallappen stammen, denn wie die Fig. 5 und 6 zeigen,
können sie mit den occipitalen oder parietalen Teilen nicht
zusammenhängen.
Wenn dem so ist und diese Fasern nicht nur zur Bild-
ung der Kapsel des Kniehöckers beitragen, sondern auch ins
Innere des Ganglions eindringen und mit den Zellen zusam-
menhängen, so muss der äussere Kniehöcker auch mit dem
Temporallappen zusammenhängen und also nicht länger als
ein ausschliessliches Gesichtsganglion betrachtet werden.
Der von mir im ersten Teile mitgeteilte Fall I, wo nach
einer 50-jährigen Blindheit mit doppelseitiger Bulbusatrophie
eine Atrophie der Sehbahnen eintrat, zeigt, dass dabei die
occipito-temporale Strahlung in grosser Ausdehnung beteiligt
war, und zwar nicht nur der Teil der Strahlung nach den
Occipitallappen, sondern auch der nach den Temporal- und
Parietallappen. Die Thatsache ist zwar etwas schwierig zu er-
klären, da der Temporallappen keineswegs zum Gesichtsgebiet
gerechnet werden kann, aber sie deutet jedenfalls auf eine Ver-
bindung und Zusammengehörigkeit des äusseren Kniehöckers
und des Temporallappens, welche wohl nur dann erklärt wer-
den kann, wenn man annimmt, dass der äussere Kniehöcker
nicht nur ein Gesichtsganglion, sondern auch ein Reflex-oder
Verbindungsganglion zwischen der Rinde der Occipital- und
Temporallappen darstellen. Zwar sind diese beiden Rinden-
flächen durch den mächtigen Fasciculus longitudinalis mit
einander verbunden, aber es ist keineswegs befremdend, dass
ausserdem centrale Verbindungspunkte zwischen ihnen be-
stehen.
Die einstrahlenden erhalten gebliebenen Fasern bilden
zum Teil deutlich die Kapsel und die Lamellen, dagegen
verlaufen sie im Allgemeinen als parallele radiäre Fasern und
bilden überhaupt kaum Netze. Dies spricht dafür, dass die
Netzbildung im Corpus geniculatum dadurch entsteht, dass
sich verschiedene Systeme vom Tractus und der occipitalen
Strahlung mit einander verweben, was ich schon früher aus
anderen Thatsachen geschlossen habe.
Das Ganglion geniculatum internum zeichnet sich
überhaupt nur undeutlich ab. Sein unterer Rand ist fetzig und
schon in frontalen Schnitten treten in seinem dorsalen Umfange
eine Cyste und in seinem Inneren kleine mikroskopische Hämor-
rhagien auf (Taf. V. Fig. 9).
Weiter nach hinten (Taf. V. Fig. 8) nimmt eine grosse
Cyste den ganzen dorsalen Abschnitt ein, der ventrale ist da-
durch abgesprengt. Das Ga/iglion ist aber zum grössten Teil
zerstört.
Fasern. Die Bündel des ventralen Randes sind verschwun-
den. Auch die Fasern im Inneren sind zum grössten Teil de-
generirt oder, wie in den occipitalen Teilen, verschwunden.
Zellen. Nur wenige atrophische Zellen sind noch vor-
handen. Normale Zellen fehlen.
Also: die hämorrhagischen Cysten haben das Ganglion
zum grössten Teil zerstört.
Corpora 4-gemina. Collicitlus anterior dexter. Taf. V. Fig. 7.
Die Taf. V. Fig. 7 zeigt die Beschaffenheit des rechten
vorderen Vierhügels. Man sieht, dass dieser Hügel durch eine
grössere Cyste vom Pulvinar getrennt ist, dass der frontale Rand
des Hügels fetzig und macerirt ist, und unter dem Mikroskope
zeigen sich im Rande kleine Hämorrhagien, welche am media-
len Rande gegen das Pulvinar bis i m.m. tief eindringen. Durch
die Cyste sind die Brachia anterius und posterius zerstört und
also die hier verlaufenden Faserbündel durchschnitten. Dagegen
hat übrigens die Cyste auf das tiefere Gewebe nicht direkt ein-
gewirkt.
Das Stratum zonale ist durch die Hämorrhagie zerstört
Fasern. Die Cappa cinerea ist auch dadurch zum grös-
sten Teil zerstört, sie enthält aber noch zerstreute degenerirte
Nervenfasern, sowie kleine hämorrhagische Herde.
Das Stratim opticum enthält zahlreiche Fasern, welche zum
Teil normal erscheinen. Die Nervennetze sind überhaupt nur
spärlich.
Stratum Lemnisci. Circuläre Fasern: sind in zahlreichen
Bündeln vorhanden und normal.
Die radiären Fasern: sind auch recht zahlreich und nicht
degenerirt.
Die Schleife: Ihre Mächtigkeit ersieht man aus der Fig. 7.
Sie enthält zahlreiche intensiv gefärbte Fasern. Sie dürfte je-
doch schwächer als normal sein.
Zellen: Um die Zellen zu studiren, wurden die Vierhügel
aus dem frischen Gehirn zum grössten Teil ausgeschnitten und
in absolutem Alkohol gehärtet; nach Einschmelzung in Paraffin
wurden die Schnitte in Methylen, Rosins Farbegemisch u. s. w.
gefärbt. Die Methylenfärburg nach Nissl zeigte sich hier als
allen anderen Methoden überlegen, indem die Konturen sehr
scharf wurden. Die Zellenkerne wie die zarten Fortsätze zeich-
nen sich besonders sehr scharf ab.
(Die Untersuchung geschah mit Hartnack ocul, 2 und 4,
Obj. 7.)
NEUE FÄLLE DIE LEHRE VON DER SEHBAHN UND DEM SEHCENTRUM BETREFFEND
79
Cappa cinerea. Die hier etwas grösseren Zellen sind alle
scharf konturirt von unregelmässiger Form. Der Zellenkörper
ist zum grössten Teil von dem deutlichen Zellenkern eingenom-
men, das Protoplasma körnig ; die Kontur nicht aufgedunsen oder
blasigkonvex; Zellenfortsätze finden sich wenigstens an den mei-
sten Zellen und sind an den grösseren selbst sehr lang, bisweilen
peitschenähnlich oder verästelt.
Stratum opticinn. Die drei Schichten zeigen hinsichtlich
der Zellen keinen Unterschied. Hinsichtlich der Grösse der
Zellen kann man grosse, mittelgrosse und kleinere unterscheiden.
Die grossen sind sehr schön und intensiv gefärbt, das Proto-
plasma reichlich mit methylenophilen Körnern und bleicheren
Zwischenfeldern ; die Kerne sind scharf mit deutlichen Kernkör-
perchen ; die Zellenkonturen sind immer scharf, die Fortsätze
sehr lang, oft schon verästelt. Viele Zellenkörper ausserdem mit
kleinen Pigmenthäufern. (Taf. XIV. Fig. 7).
Die mittclgrossc7i Zellen sind überhaupt schwächer gefärbt,
sonst aber ganz wie die grossen; also normal.
Die kleinen Zellen. Hier finden sich teils solche, welche
den vorigen in allen Charakteren ähneln, also sicher normal
sind ; ausserdem zerstreute, mehr rundliche stark gefärbte Zel-
len mit sehr kurzen oder undeutlichen Fortzätzen. Ob diese
normal oder vielleicht etwas verändert sind, muss ich dahinge-
stellt sein lassen. Keine Pigmenthäu<chen.
Stratum Lemnisci. Die Zellen sind mittelgross, dreieckig
oder länglich, mit scharfen Konturen, körnigem Protoplasma
und langen schönen Fortsätzen. Ausserdem kleinere multiforme
Zellen, welche keine Zeichen von Atrophie zeigen.
Im Aquseductus-grau. sind die Zellen zahlreich, eckig scharf
konturirt mit schönen Fortsätzen. Ich verzichte auf die genau-
ere Beschreibung.
Das Stroma zeigt keine Kern- oder Zellenwucherung.
Rückblick. Eine genaue Untersuchung der Zellen Hess
selbst keine Spur von Atrophie der Zellen nachweisen. Das
vollständige Fehlen freier Pigmentklümpchen und das Vor-
handensein der langen schönen Fortsätze bürgt besonders
dafür.
Collicidtis poster. dext. Dieser Hügel wurde ausschliesslich als
Alkoholpräparat aufbewahrt und zur Zellenfärbung mit Methylen
u. s. w. verwendet.
Stratum zonale mit zahlreichen kleinen gut gefärbten rund-
lichen Zellen oder Körnern. In der Schicht unmittelbar darun-
ter (dorsal vom Ganglion) finden sich gut gefärbte längliche oder
eckige Zellen mit schönen Fortsätzen.
Der Nucleus colliculi posterioris hatte zahlreiche schön ge-
färbte, scharfkonturirte Zellen mit deuthchen Fortsätzen. Aus-
serdem eine Menge feinere Körnchen und kleine Zellen.
Also: keine Anzeichen einer Atrophie.
Stratum zonale: Die sehr kleinen Zellen dieser Schicht wa-
ren zahlreich vorhanden, von eckiger Form mit kurzen Fort-
sätzen.
Die Rinde der Fissura calcarina.
Für die genauere Untersuchung der Zellen wurden Stück-
chen der Rinde in Alkohol gehärtet und nachher mit Methylen-
blau nach Nissl gefärbt. Zur Kontrolle wurde auch die Rinde
aus der linken Fissura calcarina in gleicher Weise behandelt.
Die Schnitte hatten eine Dicke von 0,01 — 0,02 m.m.
Die Rinde im vorderen Abschnitt der Fissura calcarina
der linken Hemisphäre (vgl. Taf. XIV. Fig. 8, welche Zellen
aus der Rinde des Lobulus lingualis darstellt).
1) Die ependymäre Schicht: ohne Anmerkung (Fig. 8. a).
2) Die Schicht der kleinen Pyramidenzellen (Fig. 8. b).
Die Zellen sind zahlreich, alle mit langen Spitzfortsätzen ver-
sehen, die basalen Fortsätze deutlich, aber nicht lang ; die mei-
sten mit dreieckigem Zellkörper, andere mit abgerundeter Basis.
3) Die Schicht der grösseren Pyramidenzellen enthält:
a) spärliche grosse Pyramidenzellen, mit einem (langen)
verästelten Spitzenfortsatz und verästelten basalen Fortsätzen
(Fig. S.c);
b) zahlreichere mittelgrosse Pyramidenzellen auch mit deut-
lichem Spitzenfortsatz;
c) eine grössere Anzahl kleiner dreieckiger Zellen, mit kur-
zen feinen Fortsätzen.
4) Stratum moleculare mit kleinen polygonen, abgerundeten
oder dreieckigen Zellen (Fig. 8. d).
5) Die Schicht der solitären Zellen, welche lange Fortsätze
und gerundet-eckige Körper mit zahlreichen basalen Fortsätzen
haben. Ausserdem zahlreiche polygone Zellen mit kurzen Fort-
sätzen.
6) Die Schicht der schräg dreieckigen Zellen (Spindelzellen)
(Fig. 8.e).
Wenn man die Rinde der rechten Fissura calcarina hier-
mit vergleicht, so findet man (vgl. die Taf. XIV. Fig. 9, welche
jedoch Zellen aus der unteren Fläche der Rinde des Lobulus
lingualis darstellt):
1) Die ependymäre Schicht zeigt nichts Abweichendes
(Fig. 9. a).
2) Die Schicht der kleinen Pyramiden Fig. 9. b. Diese
Zellen sind zwar zahlreich vorhanden und viele zeigen über-
haupt nichts Abweichendes, aber danebei giebt es viele Zellen,
deren Körper rundlicher und kleiner als die der linken He-
misphäre sind. Die Fortsätze sind zwar in der Spitze vorhan-
den, aber der Körper wird mehr durch den Kern ausgefüllt.
Eine Reduktion der Anzahl giebt es nicht.
3) Die Schicht der grösseren Pyramidenzellen (Fig. 9. c).
Es kommt mir vor, als ob hier die grossen Pyramidenzellen
spärlicher seien als links, aber die vorhandenen zeigen einen
langen Spitzenfortsatz und lange schöne basale Fortsätze. Ei-
nige der grossen Zellen haben vielleicht einen etwas rundliche-
ren Körper als links.
4) Die molekulare Schicht zeigt keine sichtbaren Verän-
derungen (Fig. 9. d).
5) Schicht der solitären Zellen. Die einzelnen Solitärzel-
len sind sehr schön mit langen Spitzenfortsätzen und schönen
basalen Prozessen und zeigen einen eckig-gerundeten Körper.
6) Kein deudicher Unterschied gegen links. Die Zellen
schön mit deutlichen Fortsätzen (Fig. 9. e).
Bei der Untersuchung der Rinde der unteren Fläche des
Lobulus lingualis., wo zufällig die Schnitte mehr vertikal in der
Längsrichtung der Zellen gefallen waren, findet man ungefähr
80
S. E. HENSCHEN. PATHOLOGIE DES GEHIRNS
dieselben Verhältnisse. Aus diesem Grunde habe ich die Zellen
von der Rinde des Lobulus lingualis abzeichnen lassen.
Aus der jetzt gegebenen detaillirten Beschreibung der Zel-
len in der Fissura calcarina der rechten und der linken Hemi-
sphäre ergiebt sich, dass der Unterschied überhaupt als eine ge-
ringfügiger bezeichnet werden muss — ja, ich wage zu behaup-
ten, dass man selbst einen Unterschied nicht bemerkt haben
würde, wenn man nicht Grund gehabt hätte danach besonders
zu suchen.
Der Unterschied besteht:
1) nicht in einer bestimmten Reduktion der Dicke einer
bestimmten Schicht ;
2) auch nicht in einer ausgeprägten Atrophie von Zellen
einer gewissen Form (Solitärzellen u. s. w.) oder Struktur;
3) dagegen in einer geringfügigen Volumenrcdiiktion gewis-
ser Zellen, nämlich sowohl der kleinen icie der grossen Pyrami-
denzellen. Von diesen haben einige ihre charakteristische Form
zum Teil verloren. Die Form der kleinen Pyramidenzellen ist
nicht so ausgeprägt triangulär rechts wie links und ebenso trifft
man auch eine Anzahl grösserer Pyramidenzellen, welche mehr
abgerundete Zellenkörper haben als normal. Es kommt mir vor,
als sei das Protoplasma dieser Zellen etwas reduzirt, weshalb
auch der Zellenkern den Zellenkörper mehr ausfüllt als in nor-
malen Zellen, wo ein Saum von Zellenprotoplasma den Kern ge-
wöhnlich umgiebt.
4) Diese Veränderung betrifft lange nicht alle Zellen, son-
dern nur eine Anzahl der kleinen und grossen Pyramidenzellen.
5) Es giebt also ausserdem zahlreiche kleine und grosse
Pyramidenzellen, an denen ich überhaupt gar keine Veränder-
ungen wahrnehmen konnte.
6) Sowohl die Spitzen wie die basalen Fortsätze sind auch
an den veränderten Zellen sehr schön, lang und verästelt, na-
türlich in weit höherem Grade an den grossen Zellen als an den
kleineren. Vielleicht sind jedoch die Zellenfortsätze links noch
schöner entwickelt (an der normalen Seite) als rechts.
7) In der molekularen Schicht sowie in den tieferen
Schichten scheint überhaupt kaum ein Unterschied zu existiren.
8) Völlig atrophische Zellen oder Pigrnentklümpchen finden
sich nicht.
Durch die Zerstörung der Sehstrahlung während der Dauer
von etwa vier Jahren sind also nur sehr geringfügige Veränder-
ungen der Zellen eingetreten, und zwar so gering, dass sie an
den Figuren kaum hervortreten. Ich will zwar nicht verneinen,
dass daneben noch andere Veränderungen sich vorfinden könn-
ten, welche mir entgangen sind, aber welche sich bei der Nissl'-
schen Färbung nicht besonders markiren.
Wenn nun diese Deutung der Präparate richtig ist, dann
folgt daraus der sehr wichtige Schluss, dass Veränderungen der
Zellen bei der Zerstörung der Sehstrahlung eintreten und zwar
der kleinen und grossen Pyramidenzellen, dass sie aber nicht
alle Zellen dieser Schichte betreffen, sondern nur einige und
dass also die Sehstrahlung nicht einer ganzen Rindenschicht,
sondern in den zwei Schichten nur einzelnen Zellen entspricht.
Die übrigen Zellen müssen also ihre Fortsätze nach einer ande-
ren Richtung hin aussenden. Dieser Befund stimmt also gut mit
den durch die Golgi'sche Färbung erreichten Befunden, aber
steht mit der Monakow'schen Ansicht nicht in Übereinstimmung,
dass eine gewisse Schicht eine Projektionsschicht, eine andere
eine Associationsschicht sei.
Auffallend ist jedenfalls nur, dass die Atrophie der Zellen
nicht mehr vorgeschritten ist. Dies steht wohl damit in Zu-
sammenhang, dass die Zerstöring die Sehstrahlung weit vom Oc-
cipitallappen entfernt getroffen hat und dass sie nicht unmittel-
bar subkortikal ist. Je mehr peripherisch die Läsion ein Neuron
trifft, je geringfügiger dürfte die nachfolgende Atrophie der zu-
gehörigen Zellen sein und je langsamer tritt sie auch wahrschein-
lich ein.
Die Centraiwindungen.
Von diesen Windungen wurden sowohl Präparate nach Cox
wie nach Nissl, Rosin u. A. gefärbt.
Die Taf. XIV. Fig. 10 und 11 zeigen einen Durch-
schnitt (bei gleicher Vergrösserung (mit Hartnack) mit Camera
gezeichnet) der Rinde der vorderen Windung und zwar aus
der Mittelpartie der Windung (vergl. Taf. XII. Fig. 4). Die
Fig. sind also nach der Natur gezeichnet und alle Zellen einge-
zeichnet. Aber aus ökonomischen Gründen und wegen der An-
ordnung der Tafel konnte ich nicht die ganzen recht grossen
Abbildungen drucken, sondern habe charakteristische Zellen aus
der Umgebung in die Zeichnung anbringen lassen. Dadurch
sind diese Zeichnungen zwar naturgetreu, aber verhältnissniässig
zellenreicher als die entsprechenden Präparate; aber da bei
allen Imprägnationspräparaten nur wenige Zellen sich impräg-
niren lassen, so sind in der That die Fig. zellenärmer als
normal. Dies zeigen auch die Präparate nach Nissl. Aus die-
sen Gründen können die Figuren als gewissermassen naturgetreu
betrachtet werden.
Anderseits muss ja hervorgehoben werden, dass alle Im-
prägnationspräparate sich unregelmässig färben und der Vergleich
der Figuren muss also nur mit einer gewissen Reserve vorge-
nommen werden. Indessen war ich sehr sorgfältig charakterist-
ische Präparate für die Abbildung auszuwählen.
I^ie folgende Beschreibung stützt sich sowohl auf Cox'sche
wie an Nissl'sche und Rosin'sche Prä]:)arate, und werden jene
als Cox und Nissl bezeichnet.
NEUE FÄLLE DIE LEHRE VON DER SEHBAHN UND DEM SEHCENTRUM BETREFFEND
81
A.
Die linke vordere Centraiwindung (verhältnismäs-
sig normal). (Taf. XIV. Fig. lo.)
I. Die oberflächliche molekuläre Schicht. (Fig. lo. a.)
Cox: Kleine rundliche Zellen mit mehreren meistens hori-
zontal laufenden Fortsätzen.
Nissl: Zahlreiche polymorphe kleine Zellen.
II. Die Schicht der kleinen Pyramidenzellen. (Fig. lo. b.)
Cox: Hier treten Zellen verschiedener Form auf. Ein Blick
auf die Fig. lo giebt den besten Begriff von der Form und An-
ordnung dieser Zellen. Es giebt :
1) a) kleine, b) mittelgrosse, c) grosse Pyramidenzellen mit
schönen langen reichlich verästelten Fortsätzen in der Spitze und
an der Basis ;
2) andere kleine Zellen mit längeren Ausläufern;
3) zahlreiche grosse quer-ovale mit kurzen Fortsätzen und
zwar a) teils in oberflächlichen, b) teils in tieferen Abschnitten ;
4) kleine Reste atrophischer Zellen.
Nissl: i) a) Zahlreiche kleine triangelförmige Pyramiden-
zellen mit nicht sehr langen Pyramidenfortsätzen, b) zahlreiche
etwas grössere und c) grosse Pyramidenzellen mit längeren Fort-
sätzen in der Spitze und an der Basis ;
2) andere Zellen verschiedener Form.
III. Die Schicht der grossen Pyramidenzellen.
Cox: i) Die grossen Pyramidenzellen sind an den vorlie-
genden Präp. nur spärlich imprägnirt (Fig. 10. ed.);
2) es finden sich kleinere Pyramidenzellen, zum Teil atro-
phische ;
3) polymorphe Zellen mit langen Fortsätzen;
4) grosse Stachelzellen mit mehreren kurzen Fortsätzen ;
5) Reste atrophischer Zellen.
Nissl: a) Zahlreiche grosse Pyramidenzellen mit schönen
Fortsätzen;
b) verschiedene andere Zellentypen.
IV. Die tiefsten Schichten.
Cox: Hier fanden sich (s. Fig. lo) teils einzelne kleine
(atrophische?) Zellen (Fig. 10. e.), teils grosse wohl erhaltene
pyramidenförmige Zellen (Fig. 10. f).
Nissl : Verschiedene Zellentypen.
B.
Die rechte vordere Centraiwindung. (Taf. XIV.
Fig. II.)
I. Cox: Die kleinen Zellen scheinen ziemlich gleich oder
ein wenig atrophisch (kleiner mit kürzeren Fortsätzen). (Fig. u.a.)
Nissl: Wie links.
II. (Fig. ii.b.) Cox: Recht zahlreiche kleine Pyramiden-
Zellen finden sich noch. Einzelne von diesen haben noch lange
verästelte Fortsätze; beim Vergleich mit denen der linken He-
misphäre (s. Fig. 10. b.) scheinen sie fast alle mehr oder weni-
ger atrophisch; die Zellenkörper sind abgerundet, die Fortsätze
kurz und wenig verästelt. Ausserdem finden sich Zellenreste
verschiedener Formen.
Nissl: Die zahlreichen Zellen sind kleiner als links und
haben nicht so spitze Ecken und deutliche Fortsätze wie dort.
Es tritt besonders an den grösseren Zellen hervor, dass
ihre Basis oft etwas abgerundet erscheint. Auch sind die basa-
len Fortsätze nicht so deutlich wie links.
III. (Fig. ii.c.) Cox: Nur einzelne sind imprägnirt; und
teils normale, teils atrophische Pyramidenzellen finden sich wie
auch verschiedene andere Typen. Ausserdem mehrere Zellen-
reste.
Nissl: Es finden sich zahlreiche grosse Pyramidenzellen,
mit langen Fortsätzen, besonders sind die Spitzenfortsätze lang,
die basalen kurz. Im Ganzen sind diese Zellen nicht so gross
und eckig wie links und die Fortsätze erscheinen nicht so schön
wie dort.
Auch verschiedene andere Zellentypen.
IV. (Fig. ii.d.) Cox: a) Zahlreiche atrophische Zellen
und Zellenreste.
b) Einzelne grosse Pyramidenzellen.
c) Polygone atrophische Zellen.
Ausserdem wird bemerkt:
Die Rinde der rechten Centralwinüung ist bedeutend ge-
schrumpft. Gleich grosse Stücke der Rinde sind an den Figu-
ren abgebildet, aber in der Fig. 1 1 der atrophischen Rinde tan-
girt die obere Grenze der Figur die Hirnfläche, während an der
Fig. 10 ein Stückchen der oberflächlichen zellenarmen Schicht
abgeschnitten ist. In der Fig. 10 der verhältnissmässig norma-
len Rinde fällt die untere Grenzlinie der Fig. mit der unteren
Grenze der Rinde etwa zusammen, an der Fig. 1 1 aber tief im
subkortikalen Mark.
S. E. Menschen. Pathologie des Gehirns.
Die Schichten der Rinde sind also geschrumpft, und wenn
man die beiden Abbildungen an einander legt, so entsprechen
die Schichten gleicher Höhe einander nicht.
Wenn man die oben gegebenen Beschreibungen der Rinde
der linken und der rechten vorderen Centraiwindung mit einander
vergleicht, so wird man zuerst dadurch frappirt, dass der Un-
terschied zwischen den beiden Windungen an den Cox'schen
Imprägnationspräparaten so bedeutend ist, während an den Nissl'-
schen Präparaten die Rinde der beiden Seiten einander hoch-
gradig ähnelt.
1 1
82
S. E. HENSCHEN. PATHOLOGIE DES GEHIRNS
Überhaupt muss man nun Imprägnationspräparate als für
pathologische Zwecke weniger geeignet bezeichnen, da dabei nur
einzelne Zellen regellos imprägnirt werden, während dagegen
mit der Nissl'schen Färbung alle Zellen gleichmässig gefärbt
werden. Nichts desto weniger zeigt die oben gegebene Beschrei-
bung, dass hier das praktische Resultat ganz anders ausgefallen
ist, als man vermuten könnte. Die Nissl'sche Färbung scheint
so alle Details auch der veränderten Zellen zu färben, dass der-
artige sicher atrophische Zellen mit ihren Fortsätzen den nor-
malen in hohem Grade ähnlich werden.
Auf andere Weise kann ich das Resultat der Untersuchung
nicht erklären. Die untersuchten Präparate waren nämlich sehr
schön und deutlich, und die Untersuchung eingehend.
Als Hauptresultat geht nun hervor. Die Rinde der rech-
ten vorderen Centraiwindung ist atrophisch und schmäler. Die
Atrophie macht sich in allen Schichten geltend, vielleicht mit
Ausnahme der oberflächlichen molekularen Schicht, wo es Uber-
haupt schwierig zu beurtheilen ist, ob eine Zellenatrophie vor-
liegt oder nicht.
In der Schicht der kleinen Pyramidenzellen ist die Atro-
phie an den Imprägnationspräparaten am wenigsten ausgespro-
chen. Die Atrophie ist zwar deutlich, auch verhältnismässig
normale Zellen finden sich noch da neben vielen atrophischen,
verschiedener Typen. Völlig normale waren nicht imprägnirt.
In der Schicht der grossen Pyramidenzellen ist die Ver-
änderung am auffallendsten. Von den grossen Pyramidenzellen
sind an der kranken Seite nur vereinzelte imprägnirt. Alle an-
deren Zellen sind atrophisch, wenn auch an einigen recht lange
Fortsätze sich noch imprägniren lassen. Ausserdem finden sich
zahlreiche Zellenreste.
An der linken Seite dagegen finden sich grössere mehr
normale Zellen zahlreicher.
In den tiefsten Schichten findet man links normale grosse
schöne Zellen mit langen Fortsätzen, rechts hauptsächlich Zel-
lenreste und atrophische Zellen.
So treten die Bilder an Imprägnationspräparaten hervor.
Der Unterschied ist deutlich. Es fragt sich nun, ob das Resul-
tat zuverlässig i^t. In dieser Hinsicht muss man etwas reservirt
sein. Jedenfalls darf der Schluss aus nur einem Falle nicht ver-
allgemeinert werden.
Die Atrophie nach Durc]ischneide?i der Corona radiata un-
ter der Rinde trifft also alle Schichten.
Links, wo keine pathologischen Veränderungen vorhanden
waren, sondern der Effekt der Zerstörung in der rechten He-
misphäre gespürt werden konnte, fanden sich auch nicht wenige
Zellenreste und zwar sowohl in der Schicht der kleinen und
grossen Pyramidenzellen wie auch in tieferen Schichten. Es
durften sich also Associationszellen, welche die linke Hemisphäre
mit der rechten vereinen nicht nur in einer, sondern in mehre-
ren Schichten vorfinden.
Medulla oblongata. (Taf. XIV. Fig. 5. 6.)
Der oberste Teil war leider während meiner Abwesenheit
verloren gegangen.
Die proximalsten mir zugänglichen Schnitte sind aus der
Höhe der Strice acusticce.
Die rechte Hälfte ist nur ein wenig kleiner als die linke.
Dies hängt besonders von der vollständigen Atrophie der rechten
Fyramidenbahn ab.
Der Lemniscus (Präp. a. 42). (Taf. XIV. Fig. 5.)
Die dorsalste Fortion (Fascic. longitudinalis posterior) ist
beiderseits gleich intensiv gefärbt und gleich gross.
Die Portio interreticularis (Mingazzini) ist beiderseits et-
was schwach gefärbt und rechts unbedeutend schmaler als links
und auch etwas schwächer gefärbt. Die Nervenfasern stehen
links dichter und sind intensiver gefärbt als rechts.
Portio ititerlemniscalis (Mingazzini) = das Zwischenoliven-
feld ist beiderseits recht gut gefärbt, aber das rechte Feld ist
konstant etwa 0,5 — 0,75 m.m. schmaler. Die Nervenfasern ste-
hen rechts weiter aus einander als links.
Fibrce arcuatce interttce intrareticulares scheinen beiderseits
in gleicher Zahl vorhanden zu sein.
Fibrce arcuatce int. intralemniscales ebenso, wie auch die
Fibrce arcuatce zu den Corpora restifortnia.
Fibrce arcuatce externce ebenso. Dagegen scheint sowohl
das Stratum zonale olivse wie auch der Pedunculus olivae rechts
etwas schwächer als links. Es scheint nämlich rechts ein ge-
ringer Fasernausfall (?) zu bestehen. Die Oliven zeichnen sich
beiderseits gleich gut ab. Die Netze der grauen Lamellen zei-
gen keine deutliche Differenz.
Die Corpora restiformia sind beiderseits anscheinend
gleich stark.
Die aufsteigende Quintus-wurzel ist beiderseits gleich stark.
An dem anterolateraleii Rande der Olive giebt es eine sichelför-
mige Atrophie zwischen Stratum zonale und Fibrce arcuatce ex-
ternce. (Fig. 5. a.)
Weiter auch unten (Präp. X. 89.) in der Höhe des Ner-
vus XIT.
Überhaupt sind hier die Veränderungen ganz dieselben wie
eben beschrieben wurde, wenn man ausnimmt:
1) dass die Fibrce arcuatie intern ce interreticularcs links
spärlicher sind als rechts. Der Unterschied ist jedenfalls unbe-
deutend ;
2) dass das Zwischenolivenfeld rechts nur unbedeutend schma-
ler ist als links.
Weiter nach unten, am unteren Ende der unteren Olive
oder unmittelbar caudal von ihr, wo sowohl der Nucleus graci-
lis als cuneatus deutlich sind, bemerkt man :
dass das rechte Schleif e?feld bedeutend schmaler als das
linke ist.
Die Fibrce arcuatce internce sind rechts nur wenig zahlrei-
cher als links. Man kann ihren Verlauf bis in den Nucleus fu-
nicuU gracilis beiderseits verfolgen; aber auch in den Nucleus
f. cuneati gehen links (von der atrophischen Schleifenhälfte) zahl-
reiche Fasern (Präp. X. 27).
Nucleus funiculi gracilis ist links nicht kleiner als rechts
und auch nicht N. funiculi cuneati. Die Fasern und P'asern-
netze sind beiderseits gleich reichlich.
/// dein antero-lateralen Strang findet sich eine deutliche halb-
NEUE FÄLLE DIE LEHRE VON DER SEHBAHN UND DEM SEHCENTRUM BETREFFEND
So
mondförmige Atrophie von der Grösse 1,5 m.m. längs der Peri-
pherie, und 0,5 in radiärer Richtung. Sie Hegt am lateralen
Rande der atrophischen vorderen Pyramidenbahn, von ihr durch
ein etwa 0,5 m.m. breites Bündel von Nervenfasern getrennt.
Innerhalb der gelben Atrophie findet man nur vereinzelte Fa-
sern.
Weiter nach unten wird diese Atrophie keilförmig mit
der Spitze nach innen-vorn. Sie wird dabei auch nach innen
etwas diffuser, indem ein etwas bleicheres Feld sich nach der
atrophischen Pyramidenbahn hin erstreckt. (Präp. 4. 13. 36.)
Das Cervicalmark :
1) die Atrophie der linken hinteren lateralen Pyramiden-
bahn ist vollständig ;
2) die nicht gekreuzte Pyramidenbahn zeigt eine deutliche
Atrophie;
3) die nach aussen von ihr liegende Kleinhirnseitenstrang-
bahn zeigt einen Fasernausfall ;
4) der antero-laterale Strang zeigt wie oben erwähnt eine
partielle, aber ausgeprägte Atrophie. (Taf. XIV. ¥\g. 6. a.)
Bei näherer Nachforschung wie weit nach oben diese kleine
Atrophie verfolgt werden könnte, zeigte sich, dass sie sich an
allen Schnitten der Medulla oblongata wieder auffinden Hess.
Sie lag überall fast an derselben Stelle, aber näherte sich nach
oben etwas dem lateralen Rande der degenerirten Pyramiden-
bahn. Im Gebiet der unteren Olive hat die Atrophie die Form
einer schmalen Sichel und liegt latero-ventral (resp. antero-late-
ral) von der Olive (Taf. XIV. Fig. 5. a). Nach aussen ist die
Atrophie von einigen Fasern der Fibrse arcuatae externae, nach
innen von dem Stratum zonale der Olive umgeben.
An dieser Stelle kann man die Atrophie bis zum oberen
Ende der Olive verfolgen, also so weit als überhaupt meine
Schnittserie sich erstreckt. Ihr weite/er Verlauf nach oben ist
mir also unbekannt. Im Ganzen behält die Atrophie ungefähr
dieselbe Grösse der Area, obwohl ihre Form sich bedeutend
ändert.
Epikrise.
Kurzer Krankenbericht. Keine nervöse Belastung.
Sie soll Alkohol genossen haben; ob sie Syphilis gehabt, ist
nicht bekannt. Im Frühling 1890, im Alter von 74 Jahren,
wurde sie sehr schwach und hatte bisweilen leichte Schwin-
delanfälle. Einmal fiel sie plötzlich zu Boden und verlor eine
Weile das Bewusstsein. Hatte dann wiederholte Schwindel-
anfälle, nach Angabe ohne Zuckungen, musste jedoch eine
Zeit lang das Bett hüten. Im Juli Schlaganfall; sie fiel zu
Boden und war eine längere Weile bewusstlos. Der Mund
war nach links gezogen, die Augen nach oben und nach
links, die linke Seite gelähmt. Seit dieser Zeit war sie stets
bettlägerig und hatte wiederholte Anfälle. Die Beine wur-
den kontrahirt. Während der letzten 6 Monate hat man
wahrgenommen, dass Fat. nach links hin blind war.
St. prces. ^«/ji 1893.
Ausgedehntes Eczem. Grosser Decubitus. Anzeichen
von Herzdegeneration, unruhig. Psyche: schlaff. Keine Apha-
sie. Kranialnerve7i. I. Geruch verschwunden, II. hm lin-
ken Auge blind, am rechten Auge hemianopisch nach links.
Kann Farben unterscheiden. Scheint Gesichtshallucinationen
zu haben. III. IV. VI. Die Augenbewegungen sind sehr be-
schränkt und sie scheint nur nach rechts sehen zu können.
Die linke Pupille etwas grösser, eine hemiopische Pupillen-
reaktion ist vorhanden, aber nicht vollständig. V. Die linke
Gesichtshälfte unempfindlich für alle Sensibilitätsqualitäten.
VII. Keine deutliche Facialisparese. VIII. Taub am linken
Ohr. IX. Der Geschmack bedeutend herabgesetzt. Keine
deutliche Parese der Zunge. Die linke Rumpfhälfte, der
linke Arm und das linke Bein sind hochgradig anästetisch
für Berührung, Schmerz, Kälte und Wärme. Die linke Seite
ist vollständig gelähmt. Das rechte Bein scheint auch paret-
isch. Fat. verschied 93.
Diagnose. Art der Läsion. Der Verlauf der Krank-
keit, die sich im Jahre 1890 entwickelnde allgemeine Schwäche
im Verein mit wiederholten Schwindelanfällen sprach ohne
Zweifel für eine entwickelte Herzdegeneration und Sklerose
der Gehirngefässe. Der unregelmässige Puls und der grosse
Decubitus waren gewiss geeignet diesen Schluss zu bestätigen.
Sowohl der erste Schlaganfall wie auch die wiederholten nach-
folgenden Anfälle waren vom Verlust des Bewusstseins be-
gleitet, aber scheinen ohne Zuckungen oder Krämpfe abge-
laufen zu sein. Da nun die vollständige Lähmung sowie der
hochgradig herabgesetzte Allgemeinzustand der Fat. für einen
sehr ausgedehnten pathologischen Hirnprozess sprach, so
waren überhaupt alle Indicien für das Vorhandensein einer
Thrombose der sclerosirten Gehirngefässe vorhanden und die
Herzdegeneration schien die Diagnose zu bestätigen. Die
Sektion zeigte einen ausgedehnten malacischen Prozess, wel-
cher hauptsächlich in der Corona radiata und im Linsen-
körper lokalisirt war. Die löcherige Beschaffenheit des Ge-
webes deutete auf wiederholte Anfälle. Ausserdem fand sich
im Pulvinar eine grössere hämorrhagische Cyste und ver-
schiedene kleinere punktförmige Hämorrhagien. Es lag also
ein gemischter Prozess vor, wenn auch die Thrombose der
wichtigste war. Die klinische Diagnose war also im Ganzen
richtig.
Lokalisation. Die vollständige und plötzliche Lähmung
sowie die vollständige Anästhesie und Hemianopsie deuteten
auf einen centralen Sitz des Hirnprozesses, dessen Ausdehn-
ung übrigens nicht praeciser angegeben werden konnte, da
wir wohl zur Zeit keine dififerentiele Merkmale einer Läsion
der centralen Ganglien kennen. Jedoch sprach die partielle
Unbeweglichkeit der Augen dafür, dass auch die Kerne der
Augenmuskeln an irgend einer Stelle getroffen waren.
Analyse. Obwohl der vorliegende Fall besonders aus
pathologisch-anatomischen Gesichtspunkten von Interesse ist,
so verdient er jedoch auch in klinischer Hinsicht analysirt zu
werden. Wenn man die Taf. XII betrachtet, so sieht man
gleich, dass die Hauptmasse der Corona radiata der rechten
Hemisphäre mehr oder minder vollständig zerstört war, und
dass besonders fast alle Verbindungen zwischen der Rinde und
den centralen Ganglien aufgehoben waren, ebenso wie auch die
Verbindungen zwischen den beiden Hemisphären in weiter
Ausdehnung durch den malacischen Prozess beeinträchtigt
oder vollständig vernichtet worden waren Der Fall ähnelt in
84 S. E. RENSCHEN. PATHOLOGIE DES GEHIRNS
dieser Hinsicht einigen der vorhergehenden und besonders
dem Fall N:o i Malm, wenn auch der Prozess hier nicht so
alt ist.
Psychische Funktionen. Was in dem Fall Malm von die-
sen bemerkt ist, das gilt auch von diesem und wird im Allge-
meinen von diesem Fall bestätigt. Die allgemeine Intelligenz
war ab und zu wenigstens klar. Die Pat. verstand und be-
antwortete in ihren klaren Augenblicken an sie gerichtete
Fragen und der Bericht der Kranken über ihre Krankheit
zeigte, dass ihr Gedächtnis überhaupt als ein verhältnismässig
gutes bezeichnet werden konnte. Ihre hochgradige Schlaff-
heit scheint die notwendige Folge ihrer vorhergegangenen
schlechten Behandlung und ihres elenden Zustandes gewe-
sen zu sein. Sie war vorher in einem Armenhaus unter-
gebracht. Das ausgebreitete Eczem und die grossen Ge-
schwüre an den Hüften deuteten auf eine vollständige Ver-
nachlässigung von Seiten ihrer Umgebung. Wenn man dies
in Betracht nimmt und sich zugleich erinnert, dass sie nur
wenige Tage vor ihrem Tode in der Klinik untersucht wurde,
so dürfte man wohl berechtigt sein zu erstaunen, dass, unge-
achtet der ausgebreiteten Encephalomalacie in der rechten
Hemisphäre, die Intelligenz verhältnissmässig so gut war.
Ohne Zweifel deutet dies hier, wie im Fall i, darauf hin,
dass die Intelligenz durch Zerstörung des Marks der rechten
Gehirnhälfte überhaupt wenig beeinträchtigt wird. Es genügt
also, wie ich schon an der Seite 15 ausgesprochen habe, die
linke Hirnhälfte für ein fast normales psychisches Leben. In
diesem Falle beitrugen die Atheromatose der Gefässe und
die dadurch gewiss selbst in der linken Gehirnhälfte veran-
lassten Cirkulationsstörungen für die Herabsetzung der geist-
igen Kräfte.
Gesichtsperccptionen. Gesichtsperceptionen konnten in
das rechte Gesichtscentrum von aussen nicht eingeführt wer-
den, denn die Sehstrahlung war malacish. Das Sehcentrum
war auch durch die ausgedehnte Malacie des Markes ausser
Verbindung mit weiter nach vorn liegenden Teilen der Rinde
gesetzt. Dagegen war die Association mit dem linken Occi-
pitallappen noch möglich und zwar sowohl hinsichtlich der
medialen wie der lateralen Rinde. Sowohl ihre Gesichtsper-
ceptionen, wie Gesichtsvorstellungen müssen wohl als verhält-
nissmässig normal betrachtet werden, wenn auch Gesichts-
hallucinationen vorhanden waren.
Dasselbe gilt von den Gehörperceptionen und Gehör-
vorstellungen.
Aphasie. Es war keine Form von Aphasie vorhanden.
Die Pat. fasste Fragen richtig auf und gab klar, wenn auch
wortkarg Antwort.
Kranialnerven. I. Das Fehlen des Geruchs durfte
wohl nicht auf der cerebralen Läsion sondern auf unbekannten
Veränderungen in der Schleimhaut beruhen; da jedenfalls die
linke Hemisphäre normal war, und in anderen Fällen, wo eine
genauere Untersuchung vorgenommen werden konnte, die
einseitige Läsion des Temporallappens überhaupt kaum eine
merkbare Geruchsstörung hervorzurufen pflegte.
II. Die linksseitige Hemianopsie findet in der ausge-
dehnten Läsion sowohl des Kniehöckers wie der Sehstrah-
lung der rechten Hemisphäre ihre Erklärung. Aber der Fall
ist überhaupt nicht geeignet die Sehbahn näher zu lokalisiren.
Die erhalten gebliebene temporale rechte Gesichtsfeld-
hälfte war ausserdem beschränkt, was wohl durch die Zer-
störung der rechten Hemisphäre als eine Amblyopie erklärt
werden muss.
Ob wirklich GesicIitslialhici7iatio7ien vorhanden waren,
Hess sich nicht mit Sicherheit feststellen. Wenn dies der
Fall war, so lassen sie sich leicht durch die ausgedehnte
Läsion in dem hinteren Abschnitt der rechten Hemisphäre
erklären.
III. IV. VI. Die Beschränkung der Augenbewegungen
fand in dem Sektionsbefund keine genügende Erklärung,
wenn man nicht annehmen will, dass der Umstand, dass Pat.
am linken Auge blind und am rechten hemianopisch war,
dazu mitgewirkt habe. Sie hatte ein Gesichtsfeld nur nach
rechts und auch dieses war sehr beschränkt. Nach dieser
Richtung hin bewegte sie auch die Augen. Eine solche Er-
klärung der Parese der Augenbewegungen scheint mir jedoch
wenig genügend, und die freie Bewegung der Hemianopischen
selbst bei gleichseitig vorhandener Amblyopie mit beschränk-
tem Gesichtsfelde steht im Gegensatz mit dieser Erklärungs-
weise.
Hemiopische Reaktion. Im vorliegenden Falle steht
das Vorhandensein dieser Reaktion mit dem Sektionsbefund
in völliger Übereinstimmung. Wenn man die Taf. V Fig.
7 betrachtet, so findet man gleich, dass die Bahn der Pupil-
lenfasern in der rechten Hemisphäre zwischen dem Pulvinar
und Colliculus anterior durchschnitten war, und zwar in grosser
Ausdehnung. Da inzwischen die Läsion im Pulvinar so aus-
gedehnt war, so giebt der Fall nur wenig Auskunft, wo die
Pupillenfasern verlaufen. Im Tractus scheint der Abbruch
nicht vorhanden zu sein. Dagegen sind sowohl der äussere wie
der innere Kniehöcker zerstört sowie auch die Verbindung
zwischen dem Pulvinar und dem Colliculus anterior; und da
selbst das Stratum zonale und zum Teil Cappa cinerea im
vorderen Ab.schnitt des Colliculus anterior geschädigt .sind, so
kann aus dem vorliegenden Falle überhaupt ein sicherer
Schluss über den Verlauf der Pupillenfasern nicht gezogen
werden aber das Vorhandensein einer solchen seltenen Reak-
tion bleibt von Interesse übrig.
Aus der Taf. V P^ig. 7 ersieht man, dass dem unge-
achtet die radiären Fasern im Colliculus anterior vorhanden
waren und die Taf. XIV Fig. 7 zeigt, dass die zu diesen ra-
diären Fasern wahrscheinlich gehörigen im Stratum opticum
liegenden grossen Zellen keine Spur von Atrophie zeigten.
Hieraus lässt sich der Schluss mit Wahrscheinlichkeit
ziehen, dass diese Zellen und diese radiären Fasern nicht in
Kontinuität mit den Pupillenfasern stehen. Denn die Pupillen-
fasern im Tractus wurden wohl bei dem Schlaganfalle im
Jan. 1890 zerstört, und Pat. starb erst 4 Jahre später. Diese
Zeit genügt gewiss die Degeneration einer Zelle eines Neurons
hervorzurufen, besonders da die Läsion der Nervenfaser sehr
nahe der Zelle liegt.
V. Bei der vollständigen Zerstörung der Capsula in-
terna ist die vollständige Unempfindlichkeit des linken Tri-
geminus nicht befremdend, Nur mag bemerkt sein, dass bei
NEUE FALLE DIE LEHRE VON DER SEHBAHN UND DEM SEHCENTRUM BETREFFEND
85
ähnlichen Läsionen die Anästhesie nicht immer so vollstän-
dig ist.
VII. Um so auftallender war, dass der Facialis über-
haupt nicht merkbar ergriffen war. Die Augenlider schlössen
sich beiderseits in gleicher Weise, und eine deutliche Schief-
heit des Mundes war nicht zu entdecken. — Wenn man
diesen klinischen Befund mit denen in anderen Fällen ver-
gleicht und dabei in Betracht zieht, dass die innere Kapsel
rechts vollständig destruirt war, so muss man dem individuel-
len Wechsel in verschiedenen Fällen einen gewissen Spiel-
raum einräumen. Sonst wird der Befund unerklärlich.
VIII. Die Taubheit des linken Ohres kann wohl die
Folge der Zerstörung der Verbindung zwischen dem Pulvinar
und dem Colliculus posterior sein. Da inzwischen die Ge-
hörstörung in analogen Fällen bei einseitiger Zerstörung
der Gehörbahn nur geringgradig wird, so müssen ausserdem
peripherische Veränderungen vorliegen. Dafür spricht auch
der Umstand, dass das Gehör selbst am rechten Ohr be-
deutend herabgesetzt war.
IX. Der Geschmack war wie auch der Geruch fast
verschwunden. Die Erklärung dürfte die gleiche sein.
XL Es ist auffallend, dass in diesem Fall die Kopf-
bewegungen nach links aufgehoben waren, nicht dagegen
nach rechts — ein analoges Verhältnis mit dem was hin-
sichtlich der Augenbewegungen bemerkt wurde.
XII. Auch hinsichtlich der Zunge ist es auffallend,
dass die Spitze nicht abwich.
Durch die Störungen mehrerer Kranialnerven weicht also
der Fall von dem Gewöhnlichen ab.
Sensibilität. Die Anästhesie der linksseitigen Glieder
und der linken Rumpfhälfte ist zwar sehr stark, aber nicht
absolut vollständig. Fat. reagirt nämlich für einen stärkeren
Druck. Die innere Kapsel war jedoch vollständig destruirt.
Motilität. Die Motilität der linken Seite war voll-
ständig aufgehoben. Eine hochgradige Kontraktur war auch
eingetreten. Auch war die Pyramidenbahn völlig degenerirt.
Es scheint in Anbetracht anderer Fälle wahrscheinlich, dass
die Kontraktur der Glieder die geringfügige ursprünglich er-
halten gebliebene Beweglichkeit derselben genommen hatte.
Gewiss war Pat. niemals einer zweckmässigen Behandlung
unterworfen.
Die trophischen Störungen waren sehr stark ausgeprägt.
Pathologisch-anatomische Bemerkungen.
Der vorliegende Fall hat sein Hauptinteresse in den
pathologisch-anatomischen Veränderungen. Durch die aus-
gedehnte und beim Tode der Pat. fast 4-jährige Malacie der
Corona radiata und der angrenzenden Teile war die Verbind-
ung zwischen der Rinde der rechten Hemisphäre und dem
veriängerten Marke fast vollständig aufgehoben. Ein Blick
auf die Taf XII überzeugt davon. Die Rinde des Occipital-
lappens war durch die Zerstörung der Sehstrahlung ausser
Verbindung mit den centralen Ganglien gesetzt. Ebenso die
durch die Corona radiata nach der parietalen Rinde verlaufen-
den Fasern, wie auche viele nach der Temporalrinde. Wie
schon bemerkt ist und die Taf. XII Fig. 4 und die Taf V
Fig. 7 — II zeigen, sind jedoch Fasern, welche in ventraler
(resp. dorsaler) Richtung verlaufen, noch erhalten geblieben.
Wenn diese auch zum Teil in Degeneration begriffen waren,
so fanden sich dennoch nicht wenige, w'elche keine Anzeichen
einer pathologischen Veränderung darboten. Viele von die-
sen strahlten in den äusseren Kniehöcker ein.
Die Verbindungen mit den Centralganglien waren also
überhaupt aufgehoben. Und so war dies auch grössten Teils
der P"all hinsichtlich des Stirnlappcns ; die Frontalstrahlung
war auch zerstört.
Der Effekt dieser ausgedehnten Destruktion hinsichtlich
der Centralganglien war der, dass überhaupt alle diejenigen
Fasernsysteme, welche in centrifugaler Richtung von der Rinde
in die centralen Ganglien einstrahlen, verschwunden waren.
Das Präparat zeichnet sich also als ein physiologisches Cor-
rosionsi^räparat aus, wo alle erwähnten Fasern corrodirt sind.
Auch diejenigen Zellen, welche in centripetaler Richtung
durch die destruirte Corona radiata Fasern entsenden, dürften
verschwunden gewesen sein. Dagegen scheinen die von in
mehr caudalen Teilen gelegenen Zellen kommenden cen-
tripetal verlaufenden Fasern, welche in den nicht geschädigten
Abschnitten der centralen Ganglien enden, noch zu bestehen.
Aber die Centralganglien sind leider auch durch patholog-
ische Prozesse primär ergriffen. Teils finden wir hier im
Pulvinar eine grössere Cyste, welche die medio-dorsale Partie
des Pulvinars einnimmt. Diese Cyste erstreckt sich durch
die Verbindung des Pulvinars mit dem Colliculus anterior
unter der Oberfläche des Pulvinars nach unten hin und hat
hier den inneren und zum Teil auch den äusseren Kniehöcker
zerstöft. Dabei ist auch der Pes nicht unberührt geblieben
(Taf V Fig. 8, 9).
Am meisten ist jedoch der laterale Abschnitt der Cen-
tralganglien durch die grosse Malacie ergriffen. Hier ist das
Putamen des^ Linsenkörpers völlig zerstört. Von ihm findet
man in occipitalen Schnitten nur einige degenerirte Bündel
noch übrig (Fig. 7 — 9); der mittlere Abschnitt ist vollstän-
diger zerstört (Fig. 11 — 13). Nur vorne bei dem Zusammen-
fluss des Putamens mit dem Caput nuclei caudati ist der
^mediale Abschnitt des Putamens zum grösseren Teil erhalten
geblieben.
Es liegen also ganz verschiedene Prozesse vor, teils
i) eine primäre Hämorrhagie (Cyste), teils 2) eine Malacie,
teils 3) sekundäre Degenerationen.
Da nun die destruirten Partien sich unregelmässig gegen
die erhalten gebliebenen abgrenzen und die erwähnte Cyste
ebenso umfangsreich, als unregelmässig i t, so ist es über-
haupt nicht leicht die vorliegenden Präparate in pathologisch-
anatomischer Hinsiciit richtig zu deuten.
Nach dieser Übersicht gehe ich zur Betrachtung der
verschiedenen Systeme über.
Das optische System.
Das wichtigste hinsichtlich dieses Systems habe ich
schon oben erwähnt. Hier dürfte nur folgendes noch be-
merkt werden.
Der rechte Tracius ist überhaupt sehr atrophisch. Nur
86 S. E. HENSCHEN. PATHOLOGIE DES GEHIRNS
im dorso-medialen Abschnitt des Durchschnittes findet man
noch eine Anzahl Fasern, welche jedoch zum Teil degenerirt
sind. Zum Teil strahlen die erhalten gebliebenen Fasern in
den Kniehöcker ein. Ob sie zum Teil zur Gudden'schen
Kommissur gehören, muss ich unentschieden lassen.
Die Ursache der hochgradigen Atrophie ist folgende.
Die Gudden'sche Kommis.sur und der optische Teil sind ja
als Bestandsteile des Tractus zu betrachten. Wenn man mit
Darkschewitz, Pribytkow und Bechterew annimmt, dass die
Gudden'sche Kommissur eine Verbindung zwischen dem in-
neren Knichöcker und dem gekreuzten Linsenkörper ist, so
sollte sie wohl im vorliegenden Falle wenigstens zum Teil
atrophisch sein, da jene beide Ganglien zum grössten Teil
zerstört waren.
Was den optiscJum Abschnitt betrifft, so waren gewiss
die Pupillenfasern durchtrennt und zwar an ihrer Peripherie
im Brachium anterius. Die übrigen strahlen wie genannt in
den äusseren Kniehöcker ein, es waren aber nur wenige
blass und bildeten keine zusammenhängenden Bündel oder
Lamellen; zum grössten Teil waren sie aber durch die Cyst-
bildung im Ganglion durchschnitten. Alle Bestandteile des
Tractus müssten also mehr oder weniger vollständig atroph-
isch sein.
Über den Zusammenhang der Fasern mit den Zellen
des äusseren Kniehöckers habe ich oben (S. 78) das wich-
tigste erwähnt. Dabei will ich nur noch einmal hervorheben,
dass auch Fasern aus dem Temporallappen in das Ganglion
geniculatum extcrnum einzustrahlen scheinen.
Da die Sehstrahlung vollständig zerstört war, so bot es
Interesse festzustellen, welche Veränderungen in der Rinde
des Occipitallappens sich etwa finden würden und besonders
wie die dortigen Rindezellen sich verhalten möchten. In die-
ser Hinsicht weise ich auf die Seite 79 hin.
Das sensible System (Die Schleife).
Durch einen Blick auf die Figuren der Taf XII und der
Taf V gewinnt man die Uberzeugung, dass alle Fasern zwischen
den Centraiwindungen und den centralen Ganglien zu Grunde
gegangen sein müssen. Diejenigen Fasern, welche in diesen
Ganglien an den Präparaten noch erhalten geblieben sind,
können also nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit der
Rinde stehen. Dadurch lässt es sich erklären, dass in den cen-
tralen Ganglien überhaupt so wenige Fasern noch vorhanden
sind. Spuren von degenerirten Bündeln sind ausserdem dort
noch zu entdecken. Die Taf V Fig. 10 zeigt ein Präparat
nach Marchi, wo man noch Reste der Fasern der Capsula
interna und so weiter sieht.
Wenn man nun die sciisible Bahn von der Rinde bis
zum Rückenmark in Betracht nimmt, so findet man gleich,
dass der kortikale Abschnitt vollständig zerstört ist. Eine
Capsula interna existirt auch nicht da wo die sensiblen Fa-
sern durch sie passiren. Dagegen finden sich zahlreiche sen-
sible Fasern im Thalamus. Man sieht sie an den Fig. 8, 9
und 1 1 unmittelbar medial von der inneren Kapsel. An der
vordersten dieser Figuren (Fig. 11) ersieht man in dem ven-
tralen Abschnitt des Thalamus die Haubenstrahlung mit einer
)recht reichlichen Anzahl von Fasern lateralwärts vom roten
Körper und ausserdem die dorsal vom roten Körper liegen-
den Bündel nach aussen ziehen.
Ventral von der Haubenstrahlung sieht man hier nur
ein schmales Bündel, welches mit dem roten Körper nicht
zusammenzuhängen scheint.
Weiter nach hinten treten dagegen kräftige Bündel auf
(Fig. 9), welche sich im ventralen Abschnitt des Thalamus
mit den vom roten Körper kommenden Bündeln zusammen-
weben und hier einen rundlichen Körper bilden, welcher sich
an der Fig. 8 besonders deutlich darstellt. An der Fig. 9
sieht man, dass aus diesem Knäuel Bündel sowohl nach dem
roten Körper wie nach unten medialwärts ziehen, weiter
nach hinten (Fig. 8) aber läuft eine Masse dieser Fasern ven-
tralwärts vom roten Körper hin, welche offenbar als Schlei-
fenfasern angesehen werden müssen.
Leider konnte ich aus äu.sseren Gründen die Lage und den
Verlauf dieser Fasern nicht Schnitt für Schnitt nach unten ver-
folgen. Aber in der Höhe der Oliven findet man eine ausge-
prägte Atrophie der Schleife, welche auch weiter bis zum Rüc-
kenmark deutlich zu verfolgen ist. Überall trifft die Atrophie
sowohl das Zwischenolivenfeld wie auch, in geringerem Grade
die mehr dorsale Schicht (Fibrse interreticulares). Eine voll-
ständige Atrophie findet sich jedoch nicht. Die übriggeblie-
benen Fasern müssen wohl 3. T. die oben erwähnten Thalamus-
fasern sein. Bei der Kreuzung der sensiblen Fasern sieht man,
dass diese Fasern sowohl in den Nucleus gracilis wie in den
Nucleus caudatus einstrahlen.
Wenn man sich diese Thatsachen vergegenwärtigt, so
drängt sich einem wohl die Ansicht auf, dass die Haupt-
masse der von den linkseitigen Nuclei funicuh gracilis et funi-
culi cuneati ausgehenden erhalten gebliebenen Fasern, welche
sich nachher als Fibrae arcuatai internae kreuzen um in der
rechten Schleifenbildung nach oben zu steigen, nicht höher als
in die centralen Ganglien aufsteigen und hier eine vorläufige
Endigung finden. Wenn diese Fasern wirklich mit der Rinde
unmittelbar zusammenhingen, dann wären sie ohne Zweifel
mehr oder weniger vollständig untergegangen (degenerirt oder
atrophirt). Und da nun in der Medulla die rechtseitige Schleife
kaum auf die Hälfte im Verhältnis zu der linken reducirt war,
so folgt daraus, dass die von der Rinde eventuel kommenden
direkten Schleifenfasern weniger als die Hälfte der Schleife
ausmachen.
Eine zweite Frage ist nun, woher kommen die atrophir-
ten Fasern. Nach den geläufigen Ansichten haben die Schlei-
fenfasern folgende Hauptursprungs- oder Endigungsstellen,
nämlich die Rinde, Thalamus, Globus pallidus, Corpus Luysii
und Colliculus anterior. In welchem Masse diese Ganglien
eher als Ursprungs- oder Endigungsorte der Schleifenfasern
bezeichnet werden dürften, ist noch nicht eruirt. \^on diesen
Ganglien sind nun Thalamus, Corpus Luysii und Colliculus
anterior wesentlich erhalten geblieben, dagegen der Globus
pallidus zum grossen Teil zerstört und .sein Zusammenhang
mit der Rinde aufgehoben.
Betrachtet man die Fig. 7—13 Taf. V, so wird die Ant-
wort auf die Frage kaum zweifelhaft. Die Hauptmasse, der
erhalten gebliebenen Schleifenfasern enden wohl im Thala-
mus. Wir haben in den Figuren fast wie auf einem Corro-
NEUE FÄLLE DIE LEHRE VON DER SEHBAHN UND DEM SEHCENTRUM BETREFFEND
87
sionspräparat die Thalamusschleife vor uns. Ein bedeutender
Teil der Schleifenfasern findet also im Thalamus ihre vorläu-
fige Endigung und diese Fasern hängen also nicht unmittelbar
mit der Rinde zusammen.
Die Untersuchung der Präp. (s. Fig.) zeigt weiter, dass
wenn überhaupt Fasern vom Globus pallidus und dem Luys'
sehen Körper kommen, welche erhalten geblieben sind, diese
in der Schleife sehr spärlich vorhanden sein müssen. Die
vom Colliculus anterior herkommenden Fasern dürften über-
haupt erhalten geblieben sein.
Weiter ist zu bemerken, dass die Atrophie an mehr
proximalen Schnitten der Medulla oblongata mehr ausgeprägt
ist als weiter caudalwärts. Dieses deutet darauf hin, dass
zur Schleifenbildung des Zwischenolivenfeldes recht zahlreiche
Fasern mitwirken, welche also von mehr caudalen Kernen
kommen (resp. gehen). Was dann die untergegangenen Fa-
sern der Schleife betrifft, so müssen sie entweder von der
Rinde oder von dem Globus pallidus oder dem Luys'schen
Körper kommen (resp. dort enden).
In dieser Hinsicht ist das Präp. (resp. Taf. V Fig. lo)
von besonderem Interesse. Wir sehen hier Spuren einer An-
zahl vollständig degenerirter Fasern, welche radiär in den
Thalamus einstrahlen. Es ist wohl im höchsten Grade wahr-
scheinlich, dass wir hier mit Rindenfasern zu thun haben und
zwar mit sensiblen Fasern, welche wohl wahrscheinlich die
Verbindung zwischen der Thalamusschleife und der Rinde
ausmachen.
Betrachtet man einen vertikalen mit der Cox'schen Lös-
ung gefärbten Schnitt der Rinde der Centralvvindungen (Taf.
XIV Fig. Ii), so ersieht man gleich bei Vergleichung mit
einem homologen Schnitt aus der rechten Hemisphäre, dass
eine ausgeprägte Atrophie der Zellen vorliegt. Nur wenige
normale Zellen sind vom Quecksilber imprägnirt. Die Atro-
phie hat fast alle Zellenschichten getroffen und wie es scheint,
alle Formen von Zellen. Wenige Zellen haben noch ihre nor-
malen Fortsätze erhalten. An Präparaten, welche nach Niessl
gefärbt sind, sieht man die Veränderungen nur sehr undeut-
lich (vergl. oben).
Der rote Körper.
Was das System des roten Körpers betrifft, so findet
man, dass der rote Körper im Ganzen als normal bezeichnet
werden muss. Vom roten Körper zieht die recht kräftige Hau-
benstrahlung gegen den ventralen Abschnitt des Thalamus
hin s. Taf. V Fig. 9). Da nun die Verbindung der Hauben-
strahlung mit der Rinde aufgehoben ist, so muss wohl we-
nigstens die Hauptmasse dieser Haubenstrahlung im ventralen
Abschnitt des Thalamus eine vorläufige Endigung finden.
Hier begegnen sich also die Fasern der Haubenstrahlung
und die der Schleife, und von hier geschieht die Verbindung
mit der Rinde durch neue Neurone.
Das Vorhandensein der Haubenstrahlung bei so gross-
artiger Atrophie des Thalamus scheint nun dafür zu sprechen,
dass die Hauptmasse der erhalten gebliebenen Fasern dieser
Strahlung von den Zellen des Nucleus ruber stamme. Die
erhalten gebliebenen Fasern sind also wohl diejenigen, welche
in centripetaler Richtung vom Kleinhirn durch den Bindearm
und den roten Körper nach der Rinde leiten. Wie es sich
mit den in entgegensetzter Richtung eventuell leitenden Fa-
sern verhält, geht aus dem Fall nicht hervor. Es scheint
mir jedoch wahrscheinlich zu sein, dass in der Haubenstrah-
lung und im roten Körper ein F"aserausfall vorhanden ist,
und dass dabei die eventuell zu Grunde gegangenen Fasern
vollständig resorbirt sind (wie anderswo im Thalamus), des-
halb konnten deutlich degenerirte Fasern nicht aufgefunden
werden. Diese geschwundenen Fasern sind wohl die von
der Rinde des Grosshirns zum Kleinhirn verlaufenden Fasern.
Die Verbindung zivisdien dem Globus pallidus und dem
Lnys'schen Körper tritt in Folge des Ausfalls der inneren
Kapsel besonders schön hervor. Die Fig. 1 1 zeigt sehr hübsch
wie diese beiden Ganglien intim zusammenhängen. Fasern
vom Globus pallidus bilden zum Teil die Kapsel des Luys'
sehen Körpers, zum Teil ziehen sie in das innere dieses
Ganglions ein.
Die Verbindung zwischen dem Globus pallidus und der
ventralen Strahlung tritt in der Fig. 1 1 auch besonders klar
hervor.
An der Fig. 13 tritt eine Ansa lenticularis deutlich
hervor, wie auch der nahe Zusammenhang dieser Schlinge
mit der Meynerf sehen Kommissur. Etwas weiter nach hin-
ten fliessen diese anscheinend zusammen.
Die Reste der inneren Kapsel treten an der Fig. 10
besonders schön hervor. Man bekommt durch die Figur
eine Vorstellung von der Form derselben und von der Art
und Weise wie von verschiedenen Richtungen kommende Fa-
sern in dieselbe eintreten.
Das Fornixsystem.
Die Columna ascendens ist noch erhalten geblieben
und zwar recht kräftig (Fig. 13). Die Columna Vicq d'Azyr
tritt sehr schwach hervor, aber die Columna Thalami kann
man an der Fig. 12 recht gut verfolgen. Ihr Verhältnis
zum Luys'schen Körper liegt hier klar. Über das Corpus
mamillare selbst siehe den Text.
88
S. E. RENSCHEN. PATHOLOGIE DES GEHIRNS
Fall 8. Winström.
59 Jahre. Tischler.
(Taf. XIII. XIV.)
Klinische Diagnose: Hemiplegia sin.
Krankengeschichte.
Da der Pat. in Stockholm im Armenliause »Grubl^ens gärde»
verpflegt wurde, so hatte ich nur einmal die Gelegenheit ihn zu
untersuchen und zwar etwa 3 Monate vor seinem Tode. Da
die Untersuchung des Gehirns post mortem zeigt, dass nachher
keine neue Veränderungen zugekommen sind und nur ein Herd
vorhanden war, und ausserdem keine neuen Schlaganfiille ihn
getroffen hatten, so scheint diese einzige eingehende Untersuch-
ung genügend zu sein. Die Augenuntersuchung wurde von
einem Augenarzte Herrn Docent A. Gullstrand vorgenommen.
Anamnese. Der Vater war Alkoholiker, ein Bruder
hatte im i6:sten Jahre Epilepsie. Ein Onkel und die Schwester
des Vaters hatten Schlaganfälle; auch sind Geisteskrankheiten in
der Familie aufgetreten.
Pat. selbst ist verheiratet und hat 2 gesunde Kinder. Er
hat vor vielen Jahren Variola durchgemacht, dann auch Nerven-
fieber.
Er war früher dem Trunk sehr ergeben und hatte sich
ausserdem im lyisten Jahre Gonorrhoe zugezogen.
Schon 18^6 soll sich Pat. eine linkseitigc wahrscheinlich
peripherische Facialis-parese zugezogen haben. Er wurde dann
ins Catharina Krankenhaus aufgenommen.
iSjS am 20. November um 7 Uhr des Morgens wurde er
von einem Schlagaiifalle getroffen. Der Anfall war mit Zuck-
ii/igcn verbunden, er wurde während einiger Stunden beiaussths.
Beim Erwachen war er in der linken Seite iwllständig gelüJwit.
Die Sensibilität war in derselben Seite bedeutend vcrtnindert,
und er hatte keine Empfindung vom Kneifen. Auch im Gesicht war
die Empfindung weg, das Gesicht war schief und das linke Auge
thränte. Er hatte Schwierigkeit zu sj>?-cchen. Von der Blase
war keine Störung vorhanden.
Unter Behandlung mit Elektricität etc. wurde er indessen
gebessert. Die Fähigkeit die Glieder zu bewegen kam, wenn
auch nur in geringerem Grade, zurück, auch wurde die Sensi-
bilität gebessert. Er hatte nur diesen einen Anfall gehabt.
Status praesens am 7. November 1891.
Das Fettpolster ist gut entwickelt; der Körperbau kräftig,
der Kräftezustand gut. Der Appetit und der Stuhlgang zeigen
nichts Abnormes. Er schläft schlecht.
Subjektive Symptome.
Pat. ist nervös und weint gern. Er klagt über Schmer-
zen im Rücken wenn die Zuckungen sich einstellen. Er hat
auch Parästhesien in der linken Seite und bekommt bisweilen
Gesichtshallticinationen, indem er grüne Wälder oder Bäumchen
sieht. Diese sollen nach links projicirt werden.
Pathol. -anatoin. Vepänd. : HiBmopphagia. Cysta haemopphagiea
in Capsula intepna et Thalamo optieo.
Objektive Untersuchung.
Psychische Funktionen.
Pat. hat ein gutes Aussehen. Seine Auffassung der Um-
gebung ist auch gut. Sein Urteilsvermögen ist wie das Gedächt-
nis gut, aber wie erwähnt, ist sein Gemüt etwas weinerlich.
Keine Delirien.
Aphasie. Weder Wortblindheit, Worttaubheit oder Aphä-
mic ist vorhanden; und er spricht ohne Schwierigkeit.
Keine Anzeichen von Seelenblindheit oder Seelentaubheit.
Kranialnerven.
I. Der Geruch ist rechts schlecht, links besser. Keine
Geruchsamnesie.
II. Die Sehschärfe links = 0,3, rechts = 0,4. Eine be-
ginnende Kernkatarakt im rechten Auge. Beginnende Katarakt-
bildung auch im linken Auge und daneben senile Veränderungen
in der Gegend der Macula lutea.
Keine Hemianopsie ; das Gesichtsfeld Hess sich ohne Schwie-
rigkeit mit dem Perimeter genau messen; koncentrische Be-
schränkung etwas mehr links als rechts.
Die linke Cornea und Conjunctiva haben verminderte Sen-
sibilität.
GesiclitsJialliicinationen (s. oben).
III. IV. VI. Die Bewegungen der Augen sind normal. Die
Pupillen sind beiderseits klein und reagiren beim Licht nur träge ;
sie reagiren auch bei Accomodation.
V. Die Empfindung im Gesicht ist für Tasten rechts gut,
links vermindert.
Der Schmerzsinn ist rechts gut, links bedeutend herab-
gesetzt.
VII. Oberer Facialis: rechts normale Motilität, links ver-
mindert.
Unterer Facialis: rechts normal; im unteren Facialisgebiet
ist das Gesicht schief, links paretisch.
VIII. Das Gehör ist auf beiden Ohren herabgesetzt, und
zwar etwa in gleichem Grade.
IX. Die Schluckbewegungen gehen leicht von Statten.
XI. Die Stimme ist gut.
XII. Die Zunge weicht beim Herausstrecken nach links
ab; keine trophischen Veränderungen.
Spinalnerven.
Sensibilität.
Tastsinn. Sowohl an den Armen wie Beinen ist der Tast-
sinn rechts recht gut, links auffallend vermindert.
Schnierzsinn. In den Armen und Beinen ist er rechts gut,
links vermindert.
Tcmpcratiirsinn. Für Kälte: rechts gut, links dagegen
schlechter.
NEUE FÄLLE DIE LEHRE VON DER SEHBAHN UND DEM SEHCENTRUM BETREFFEND
89
Für Wärme: ist das Resultat dasselbe, sowohl in den Ar-
men wie Beinen.
Muskelsinn ist rechts normal, im linken Arme etwas ver-
mindert, besser im linken Beine.
Die Motilität
der Arme und Beine ist rechts gut; dagegen ist der linke Ann
fast vollständig gelähmt, nur eine geringe gröbere Beweglich-
keit ist noch zurück.
l^as linke Bein ist nur paretisch; die gröberen Bewegungen
werden gut ausgeführt, dagegen nicht die feineren.
Die Bewegungen des Rumpfes scheinen gut zu sein.
Ataxie: Der Gang des Pat. ist hemiplegisch.
Zuckungen entstehen leicht im Arm und zwar sehr stark,
auch im Beine.
Kontraktur findet sich im linken Arme.
Reflexe. Starker Dorsalklonus ist im linken Beine vor-
handen, fehlt aber im rechten.
Die Patellarreflexe sind beiderseits stark.
Blase: nichts Besonderes. Die Harnmenge ist eine ge-
ringe.
Trophische Störungen: Die Atrophie der linkseitigen Glie-
der ist hochgradig.
Kein Decubitus.
Vasomotorische Störung: Die linksseitigen Glieder waren
früher gerötet und angeschwollen, jetzt aber nicht; sie sind da-
gegen kälter als die rechtsseitigen.
Innere Organe:
Herz: nichts Besonderes.
Lungen: nichts von Bedeutung.
Pat. starb im Februar 1892.
Sektion.
Beschreibung des gehärteten Gehirns.
Die Dura gleichmässig verdickt, aber sonst ohne patholo-
gische Veränderungen.
Die Pia lässt sich ohne Schwierigkeit von der Oberfläche
ablösen und ist dünn und durchsichtig.
Die linke Hemisphäre.
Die Oberfläche zeigt nichts Besonderes. Die Windungen
sind im Allgemeinen etwas klein, schmal und atrophisch und
zwar besonders im Frontalhirn.
Durchschnitte.
An den Durchschnitten werden pathologische Veränderun-
gen nicht wahrgenommen. Die Hirnsubstanz ist überall fest und
hat normales Aussehen.
Die Centralganglien, Thalamus, Nucleus caudatus, Corpora
geniculata externum und internum, wie auch die Corpora qua-
drigemina von normaler Form und Konsistenz.
Die rechte Hemisphäre.
Die Oberfläche ohne Veränderungen. Die Windungen sind
zwar etwas schmal aber ohne begrenzte Atrophien.
S. E. Heu sch en, Pathologie des Gehii tis.
Durchschnitte.
An den Durchschnitten werden Veränderungen nicht wahr-
genommen. Die Rinde wie das Mark ist überall normal, mit
Ausnahme, dass die Insularrinde im hinteren oberen Abschnitte
an einer Strecke von 2 cm. verfärbt und zum Teil mala-
cisch ist.
Erst an einem Durchschnitt im Frontalplane des hinteren
Abschnitts des Thalamus tritt eine Veränderung in der Form einer
streifenförmigen Verfärbung (Taf. XIV. Fig. i, atr.) hervor. Die-
ser Degenerationsstreifen liegt lateral vom vertikalen Mark, dicht
medial von der Rinde der Fossa Sylvii und streckt sich teils in
ventro-lateraler Richtung in das Mark des Temporallappens, teils
auch mehr horizontal dem Dach der Fossa Sylvii entlang. Diese
beiden Streifen konvergiren gegen ein Loch (Defekt), welches
zu einer älteren Cyste im Thalamus (Taf. XIV. Fig. i. Cy.) führt.
Im Zusammenhang hiermit ist der Nucleus caudatus hier
narbig geschrumpft. Dem Loch gegenüber ist die Oberfläche
des Thalamus etwas konkav.
Die Öffnung des Loches misst 2 — 3 m.m. und die Tiefe
der Höhle etwa 5 m.m. in horizontal-frontaler, dagegen etwa
IG m.m. in horizontal-sagittaler Richtung. Das umgebende Ge-
webe ist nach allen Seiten hin weich und bräunlich (in MüUer's
Lösung gehärtet) verfärbt.
Die Centralganglien.
Nucleus caudatus (Taf XIV. Fig. i.). Er ist in seinem
ganzen frontalen Abschnitt normal. Erst im hinteren ist seine
Masse zerstört.
Das Ependym ist erhalten geblieben, aber es zeigt hier
eine narbige Einziehung.
Thalainus ist infolge der Cyste im hinteren lateralen Ab-
schnitt eingesunken und etwas weicher als normal. Diese Ein-
buchtung misst in sagittaler Richtung etwa 2 cm. bezw. von
der höchsten Wölbung des Thalamus bis zum Ende des Pulvi-
nars, und nimmt die ganze Breite des Ganglions ein; wie tief die
Cyste ist, tritt erst an den Durchschnitter, hervor. Durch die Ein-
ziehung ist also der hintere Abschnitt des Thalamus abgeplattet
und die Wulst des Pulvinars tritt deshalb als eine platte Wöl-
bung an ihrer medialen Seite vor; die Oberfläche des Pulvinars
ist etwas kleinhöckerig.
Aber auch der frontale Abschnitt des Thalamus ist auffal-
lend vermindert, die mediale Fläche ist nicht wie die der lin-
ken Hemisphäre hervorgewölbt, sondern narbig eingezogen und
im Ganzen an Volumen reduzirt.
Das Corpus gcniculatuni externum sprinjt rechts etwas mehr
als links hervor, aber das Ganglion ist nicht verkleinert.
Corpus gcniculatum internum ist etwas eingezogen und auf-
fallend verkleinert. Die Furche zwischen dem Pulvinar und den
Corpora quadrigemina ist eingezogen. Die Oberfläche ist nicht
makroskopisch verändert.
Corpora 4-gemina. Colliculi anteriores und posteriores sind
an der rechten Seite unbedeutend verkleinert. Der Unterschied
tritt erst bei genauerer Betrachtung hervor. Die Form ist bei-
derseits gleich.
12
90 S. E. HENSCHEN. PATHOLOGIE DES GEHIRNS
Kleinhirn.
Ohne Bemerkenswertes.
P 0 n s und M e d u 1 1 a.
Die rechte Hälfte ist in Folge der Atrophie der rerliten
Pyraniidenbahn und der rechten Schleife deutlich vermindert.
Mikroskopisches.
I
Die Centralganglien der recliten Hemisphäre.
(Taf. XIII).
Die Centralganglien wurden in eine Horizontalschnittserie
zerteilt und zwar in etwa 6oo Schnitte, von denen etwa 200 ge-
färbt wurden.
Die schon an der Oberfläche der Centralganglien an der
Fig. I. Taf. XIV sichtbare Cyste verhielt sich folgendermassen.
An den dorsalsten Schnitten, welche den dorsalen Rand des
Nucleus caudatus und dorsal von dem an der Fig. i. Taf. XIV
mit Cy bezeichneten Loch getroffen hatten, sieht man nur eine
begrenzte Verfärbung (an der Fig. i mit atr. bezeichnet). In die-
sem Gebiete sind die Nervenfasern entweder atrophisch oder in
Degeneration begriffen und nehmen kaum Farbe an; das Ge-
webe ist locker und die Fasern spärlich.
Etwa 2 m.m. weiter nach unten im Dach der Cyste ist
die Verfärbung ausgesprochener, das Nervengewebe ist in einer
Ausstreckung von 15 m.m. in sagittaler und etwa 5 m.m. in
frontaler Richtung ganz zu Grunde gegangen. Am hinteren
Umfange strahlen noch erhalten gebliebene aber degenerirte Fa-
sern der Corona radiata hindurch. Der Nucleus caudatus ist
hier nicht getroffen, Hegt mehr ventral und frontal (Fig. i. Taf.
XIII; Präp. II. 79). Diese Fasern der Corona stammen wohl
aus Lobus parietalis superior und inferior und Lobus paracen-
tralis (Central, posterior, vielleicht auch aus dem dorsalsten Ab-
schnitt des Centralis anterior). (Fig. i Taf. XIV.)
Im Dache der Cyste tritt nun reichliches Blutpigment in
Form von mikroskopischen Körnchen auf.
In der Ebene, wo die Cyste auftritt, ist auch der entsprech-
ende Abschnitt des Nucleus caudatus in den Prozess hinein-
gezogen und ist hier in narbiges Bindegewebe verwandelt, in
dem nur spärliche Reste der Nervenfasern noch übrig geblieben
sind. (Fig. 2. Taf. XIII).
Die Cyste ist ringsum von degenerirtem Gewebe umgeben
und liegt also an den Weigert'schen Präparaten in einem ovalen
gelben Fleck von der oben erwähnten Ausdehnung. P^twas mehr
ventralwärts dehnt sich das degenerirte Gebiet mehr aus, in dem
Masse wie die Cyste sich vergrössert. Diese wird bald etwas
sinuös und dehnt sich bis zur Insularrinde aus und zwar in der
Ebene der dorsalsten Schnitte des Thalamus. (Fig. 2.)
Schon in dieser Ebene ist der hinterste Rand des Thala-
mus durch den pathologischen Prozess zum Schwund gebracht
und die vom occipito-lateralen Umfang nach vorn in das Gang-
lion einstrahlenden Bündel sind atrophirt. Dagegen sind mehr
frontal liegende Bündel sowie die vor der Cyste liegenden Bün-
del der Corona radiata mikroskopisch unverändert, ausgenom-
men in der unmittelbaren Nähe der Cyste (Fig. 2. Präp. II. 166).
Da nun durch die Cyste der ganze occipitale Abschnitt
der Corona radiata (resp. die Parietalstrahlung) durclitrennt war
und folglich auch die in den Thalamus einstrahlenden parie-
talen Bündel fehlten oder degenerirt waren, so war der Thalamus
in seinem occipitalen Abschnitt teils eingesunken teils geschrumpft
und der hintere sonst abgerundete Rand des Ganglions in der
Frontallinie der Mündung der Cyste verschwunden. Die am
Rande liegenden Nervenfasern waren atrophisch, bleich und de-
generirt, weshalb der occipitale Rand des Thalamus sich blass
darstellte. (Fig. 3. Präp. IL 218.)
An den folgenden Präparaten tritt nun das Putamen auf.
Die Cyste erstreckt sich hier weiter nach aussen, und lateral vom
Putamen in der Capsula externa nach vorn. Die Insularrinde
ist hier durchlöchert und atrophisch, das Putamen dagegen er-
halten geblieben; dagegen ist der occipitale Abschnitt des Pu-
tamens völlig in Bindegewebe umgewandelt, und alle Nervenfa-
sern fehlen. Dieses Bindegewebe setzt sich als eine 2 m.m.
breite blasse Kante auf den occipitalen Rand des Thalamus fort.
Etwas mehr ventral (Präp. II. 307) ist die ganze occipi-
tale Hälfte des Thalamus durch die Cyste entweder zerstört oder
in Bindegewebe umgewandelt und zwar in einer Ausdehnung
(Fig. 4.) von etwa i cm. in sagittaler Richtung, dagegen ist
die frontale Hälfte gut erhalten. Der Rand der Zerstörung liegt
etwa in der frontalen Linie des Ganglion habenul?e.
In der folgenden Schnittserie dehnt sich die Cyste in fron-
taler Richtung gegen die Mittellinie bedeutend aus. Sie durch-
setzt den ganzen occipitalen Abschnitt des Thalamus und dringt
gerade bis zum Ganglion habenulse vor. Ihre Breite (in sagit-
taler Richtung) ist 4 — 6 m.m., ihre Länge von der Insularrinde
bis zum Ganglion etwa 2,5 cm. Die Höhle ist ringsum von nar-
bigem Bindegewebe umgeben und zwar nach vorn bis zu einer
Dicke von i — 2 m.m., nach hinten ist das ganze Pulvinar zwar
nicht wesentlich in der Form, wohl aber in der Struktur verän-
dert, indem sowohl Zellen als Nervenfasern verschwunden sind.
In derselben Linie ist auch die innere Kaj^sel, die occipitale
Strahlung und das Putamen völlig vernichtet. (Präp. III. 62.
Fig. 5.) Ausserdem tritt 4 m.m. von der Mittellinie und 7 m.m.
nach hinten-aussen von dem Ganglion habenulae ein 2 m.m.
grosser hemorrhagischer Herd auf, welcher das umgebende Ge-
webe des Thalamus zur Atrophie gebracht hat. (Fig. 5. Cy).
An den folgenden Präparaten ist der Effekt der Cyste ein
noch grösserer, indem ein noch grösserer Abschnitt des Pulvi-
nars sowie auch der medio-occipitale Abschnitt des Thalamus
dadurch gelitten hat. Diese Veränderung wird durch die eben
erwähnte kleinere Cyste verursacht.
An den folgenden Präparaten (von etwa III. 50) treten nun
im Pulvinar die ersten Spuren von Nervenfasern auf. Diese
kommen von der Occipitalstrahlung. Die Cyste ist an Dimen-
sionen etwas vermindert; am Rande des Pulvinars treten die zo-
nalen Fasern auf und an mehr ventralen Präp. bald auch Fa-
sern im Inneren; diese alle sind nunmehr kaum oder doch nur
wenig verändert. Diese Schnitte liegen in der Höhe der hinte-
ren Kommissur und der Oberfläche des Colliculus anterior (Präp.
in. 38).
Je tiefer man nun kommt, desto zahlreicher treten im Pul-
vinar die von der occipitalen Strahlung kommenden Nervenfa-
sern auf; die Fasern des Brachium anterius erscheinen, die Cyste
vermindert sich und wird vom Narbengewebe ersetzt. Diese
Narbe durchsetzt wie ein Keil das hintere Ende des Putamens
NEUE FÄLLE DIE LEHRE VON DER SEHBAHN UND DEM SEHCENTRUM BETREFFEND
91
und des Globus pallidus, die innere Kapsel und den hinteren
Abschnitt des Thalamus bis zur hinteren Kommissur (Präp. III.
24) (Fig. 6 = Präp. III. 10.)
Mehr ventralwärts zieht sich die Cyste zusammen und
dehnt sich nur in der Vertikallinie am lateralen Rande des
Putamens aus, das Narbengewebe erstreckt sich nur einige
m.m. in den ventro-occipitalen Abschnitt des Thalamus hin-
ein und erreicht nunmehr nur das mediale Ende des inneren
Kniehöckers. Das Narbengewebe vermindert sich und misst
bald nur 3 m.m. in der Breite da, wo es die innere Kapsel
von der occipitalen Strahlung trennt. Die Narbe berührt den
frontalen Rand des inneren Kniehöckers, hat aber das Gang-
Hon nicht in den pathologischen Prozess hineingezogen; der
äussere Kniehöcker ist unberührt, der rote Körper, (Fig. 7 =
II, 179) kaum, wohl aber das occipitale Ende des Luys'schen
Körpers.
Man hat sich nun dem Boden der Cyste genähert ; hier exi-
stirt die Cyste nur noch am Aussenrande des Putamens, das Nar-
bengewebe durchsetzt nunmehr nur zum Teil den hinteren Ab-
schnitt des Putamens ohne das Ende zu zerstören, und hat auch
das occipitale Ende des Globus paüidus in ganz geringer Aus-
dehnung geschädigt.
Noch tiefer, in der Höhe des Tractus, liegt die Cyste an
der Aussenseite des Tractus, ohne diesen zu durchschneiden
(II. III.) (Fig. 9.) oder zu usuriren, und in der Höhe der
Vereinigung des Tractus mit dem Kniehöcker findet man einen
Ausläufer der Cyste am lateralen Rande der äusseren Kapsel
8 m.m. lateral vom Tractus (Präp. II. 82 = Fig. 10). Die
Cyste dringt nach unten bis in die Substantia perforata ein.
Die Schnitte bieten dann nichts Pathologisches mehr dar.
Rückblick. Aus der eben gegebenen Beschreibung
der Lage der Cyste und des sie umgebenden Gewebes geht
also hervor, dass die Cyste, welche an der klassischen Stelle
im hinteren Abschnitte des Nucleus caudatus an der Fissura
chorioidea nach einer Ha;morrhagia cerebri entstanden ist,
von diesem Punkte sich teils nach aussen bis zur Oberfläche
der Inselrinde, teils nach vorn bis zum lateralen Rand der
Capsula externa und vor allem niedialwärts hin erstreckt.
Dabei nimmt sie auch eine quere Richtung und durch-
bricht sowohl das Putamen, die Capsula interna und den hin-
teren Abschnitt des Thalamus und erreicht die mediane Wand
dieses Ganglions am Ganglion habenulae. Dadurch sind die
eben genannten Teile zerstört, der dorsale Abschnitt des Pul-
vinars atrophirt und das occipitale Ende des Luys'schen Kör-
pers verändert.
Durch die Cyste sind, wie durch ein Experiment, der
hintere Abschnitt der Capsula interna und in dieser Frontal-
ebene liegende Teile des Thalamus und das Corpus lenti-
forme von oben bis zur Höhe des Tractus quer durchschnit-
ten. Tractus opticus und Corpora ^eniculata soxvie der ven-
trale Abschnitt des Pulvinars sind dabei nicht getroffen.
Obwohl aus dieser Beschreibung der Cyste hervorgeht,
welche Teile überhaupt geschädigt oder zerstört worden sind,
dürfte eine eingehendere Beschreibung lehrreich sein.
Nucleus caudatus.
Fig. I. 2 zeigen, dass er nur in seinem occipitalen Abschnitt
getroffen ist, nämlich gegenüber der in der Fig., Taf. XIV sicht-
baren Öffnung der Cyste. Hier ist das Ganglion in einer Aus-
dehnung von etwa 10 m.m. in Bindegewebe verwandelt. Der
frontale Abschnitt (Fig. i. 2 Taf. XIII) ist völlig normal.
Thalamus opticus.
Der Cyste gegenüber ist der Thalamus, wie die Fig. i. Taf.
XIV zeigt, eingesunken. Der dorsale Abschnitt bildet das Dach
der Cyste und ist wie erwähnt in einer Ausdehnung von etwa
I cm. völlig degenerirt, Nervenzellen und Nervenfasern fehlen
hier. Die Ausdehnung dieser Veränderung tritt in den Fig. 2 — 6
hervor. Aus der oben gegebenen Beschreibung der Ausdehnung
der Cyste lässt sich entnehmen, in welcher Ausdehnung der Thala-
mus zerstört ist. Daraus geht also hervor (vgl. die Fig. 3 — 4),
dass der Thalamus hinter der Frontalebene des Ganglion habenulae
in seinem dorsalen Teil völlig degenerirt oder selbst zerstört ist.
Der dorsale Abschnitt (Fig. i — 4).
Die frontale Hälfte zeigt dagegen im Ganzen eine normale
Beschaffenheit.
Fasern: die frontale Einstrahlung ist gut entwickelt, ihre
Fasern intensiv gefärbt, nicht varikös.
Die mittlere Einstrahlung ebenso bis zur Grenze der Narbe.
Die Fasernetze sind schön und die Zellen ohne deutliche
Veränderung.
Die Gitterschicht reichlich bis zur Grenze der Cyste.
Der mittlere Abschnitt (Fig. 5 — 6).
Hier tritt das degenerirte Pulvinar auf Die Cyste dringt
bis zum Ganglion habenulse ein und hier tritt eine neue kleine
(3+1) m.m. hämorrhagische Cyste nahe der Mediallinie auf.
Durch diese letztere ist hier der Nucleus internus fast in seiner
ganzen Ausdehnung degenerirt, wenn auch einzelne Faserbündel
noch erhalten geblieben sind. Dagegen ist der Nucleus externus
gut erhalten (bis zum Rande der grossen Cyste) (Fig. 5). Schon
etwa I m.m. mehr ventralwärts hat die kleine Cyste nicht mehr
auf das Gewebe eingewirkt. Indessen ist durch die Einwirkung
der beiden Cysten der Thalamus etwas geschrumpft, was sich
besonders auch dadurch kennzeichnet, dass die mediale Wand
etwas konkav ist.
Ventraler Abschnitt.
Weiter nach unten vermindert sich nach und nach die
Cyste und das umgebende atrophische Gewebe wird von
normalem Nervengewebe ersetzt. Der occinitale Abschnitt (das
Pulvinar) nähert sich dabei dem frontalen Teile des Thalamus,
aber immer bis auf den Tractus opticus ist das hintere Drittel
der Capsula interna von der Cyste durchschnitten und durch
das umgebende Gewebe mehr oder weniger vollständig ersetzt.
In der Horizontalebene der hinteren Kommissur misst die-
ser Defekt an Horizontalpräparaten 5 m.m. (Fig. 6). Nach aus-
sen sind sowohl die occipitalen Abschnitte des Putamens als des
Globus pallidus dadurch abgeschnitten. Nach innen dringt die
Veränderung bis zur Insertion der Kommissur vor. Das Pul-
vinar ist nur am frontalen Rande berührt. Das Thalamusge
92
S. E. RENSCHEN. PATHOLOGIE DES GEHIRNS
webe zeigt hier fortdauernd im Nucleus externus die radiäre An-
ordnung der einstrahlenden Bündel. Alle diese radiären Bündel
enthalten normale Fasern. Dagegen giebt es selbst im frontalen
Abschnitte zahlreiche äusserst variköse Fasern (degenerirte '?),
welche zwischen diesen Bündeln liegen.
Die Frontalstrahlung hat normale Fasern.
Der Vicq d'Azyr'sche Mammillarschenkel ist normal.
Trigonum haboiidcc. Da die Läsion im Winkel zwischen
dem medialen Rand des Pulvinars und Trigonum habenul«
fast bis zur Ventrikelwand vorgedrungen ist und hier nur durch
eine i-m.m. dicke Brücke atrophischen Gewebes von dem Ven-
trikel getrennt ist und ebenso nur i m.m. von Ganglion habe-
nulse entfernt bleibt, so sind sowohl Fasern wie Zellen dieses
Ganglions durch die Läsion in hohem Grade affizirt.
Die Fasern sind im Ganzen in der Nähe der Läsion spär-
lich; es ist ein bedeutender Faserschwund vorhanden und auch
die im Trigonum liegenden Zellen scheinen atrophisch zu sein.
Die Stria mediiUaris ist fast verschwunden und der
Rand des Thalamus ist hier konkav und blass, aber etwa 0,5
m.m. innerhalb der Ventrikelwand ist ein nach vorn ziehendes
Faserbündel noch vorhanden.
Ptilvinar.
Wie schon erwähnt fehlt der dorsalste Abschnitt des Pul-
vinars vollständig (Fig. 2 — 3), der zunächst liegende ist zum Teil
zerstört, zum Teil in atrophisches Bindegewebe umgewandelt
(Fig. 4 — 5). Der dann folgende, also in der Ebene der Commis-
sura posterior, hat normales Aussehen. Sein occipitaler Rand ist
kaum geschrumpft (Fig. 6).
Fasern. Das Stratum zonale ist gut entwickelt. Seine
Fasern sind varikös und erscheinen etwas dünn und schwach
gefärbt (Fig. 6).
Die tiefer liegenden resp. mehr frontalen Fasern sind recht
zahlreich und obschon auffallend varikös jedoch im Ganzen er-
halten und normal. Den Verlauf dieser Fasern kann man an
einer grösseren Anzahl von Präparaten besonders leicht verfol-
gen, lateralwärts bis zur lateralen Kapsel des Pulvinars, wo eine
Anzahl Fasern sich in die Kapsel einwebt (Fig. 6). Andere be-
sonders mehr occipitale strahlen in die Sehstrahlung occipital-
wärts ein. Dieselben Bündel verlaufen medialwärts in den Col-
liculus anterior ein und strahlen hier in die verschiedenen Schich-
ten dieses Ganglions ein. Ihre Ausbreitung hier ist sehr leicht
zu verfolgen. Die mehr frontal liegenden Fasern liegen auch im
Colliculus mehr frontal u. s. w. ; die Fasern breiten sich also
ziemlich gleichmässig sowohl in das Stratum zonale, opticum (in
seine drei Schichten) und ins Stratum lemnisci aus. Die frontalen
streben nach der Kommissur hin und dürften in sie gelangen.
An höher (mehr dorsal) gelegenen Schnitten, wo diese Fa-
sern im Pulvinar fehlen oder schwach vertreten sind, scheint
auch die occipitale Strahlung schwach zu sein.
Ob nun einige von diesen Bündeln, welche die laterale
Kapsel des Pulvinars bilden, nach unten schwenken und dann
in den Tractus opticus gelangen lässt sich nicht entscheiden.
Die Zellen sind wenigstens zum Teil normal, scharf kontur-
irt und eckig, aber pigmentirt.
Der vejitrale Ahsclmitt. Hier ist das Gewebe völlig nor-
mal. Die Fasern: Die Bündel sind sehr zahlreich und kräftig
entwickelt; und ihre Fasern intensiv gefärbt und kaum varikös.
Die Fasernetze zahlreich und schön (Fig. 7 — 9).
Die Zellen zwar pigmentirt, aber sonst normal. Die late-
rale Kapsel ist wie das Stratum zonale stark entwickelt.
Das Ganglion geniculatum internum misst etwa
5-1-3 m.m. auf den Horizontalschnitten. Fasern: die oberfläch-
liche Kapsel ist dick und enthält stark gefärbte Fasern. Die
Bündel im Inneren des Ganglions sind auch gut entwickelt und
tief schwarz gefärbt; die Fasern etwas varikös. Zellen gross.
Also: normal.
Das Ganglion geniculatum externum wird von
der Cyste oder dem atrophischen Gewebe nicht berührt. In
den dorsalen Teilen: die Form und Grösse ist normal. Fasern:
die occipitale und occipito-laterale sowie occipito-mediale und
frontale Kapsel gut entwickelt. Besonders ist die occipito-late-
rale (nach der Sehstrahlung) kräftig. Markstrahlen und Fasern
im Inneren sehr reichlich.
Zellen: die Randzone: die grossen Zellen normal, an Zahl
und Grösse. Im Inneren: die kleinen Zellen zahlreich vorhan-
den, erscheinen normal.
Die mediale Wurzel des Tractus ist stark gefärbt und ihre
Fasern sind normal.
Der Traetiis selbst ist von der Cyste, obschon sie bis zu
seiner dorsalen Oberfläche vordringt, gar nicht berührt. Er ist
dick, intensiv gefärbt und hat normale Fasern.
Linse nkörper.
Wie schon beschrieben, ist dieses Ganglion in seinem hin-
teren Abschnitt von der Cyste überlagert und dadurch verklei-
nert. Wo die Läsion liegt, ersieht man am besten an den Fig.
I — 8. Die Läsion liegt in dorsalen Schnitten an dem hinteren
Ende des Putamens, in ventralen etwas vor dem Ende, und die
occipitale Spitze bleibt deshalb hier unversehrt.
In mehr ventralen Schnitten ist auch der Globus pallidus
am hinteren Ende etwas getroffen.
Das Putamen ist in der Nähe der Cyste deutlich in Dege-
neration begriffen; die Zellen sind daselbst in Körnchenmassen
umgewandelt. Weiter nach vorn ist das Gewebe normal.
Die Capsula externa ist in Folge der Ausdehnung der
Cyste (s. die Fig. 3 — 6) in weiterer Ausstreckung degenerirt.
Globus pallidus ist im Ganzen von der Cystenbildung
nicht berührt, nur seine hintere Spitze ist in einer Länge von
höchstens etwa 2 m.m. dadurch zerstört.
Die Fasern im Innern sowie in den Kapseln (Laminse)
sind reichlich und intensiv gefärbt, aber in frontalen Abschnitten
stark varikös. Die durch die innere Kapsel verlaufenden Ver-
bindungen mit dem Luys'schen Körper sind zahlreich und an-
scheinend normal; nur ihre oecipitalsten Fasern sind zerstört.
Im ventralsten Abschnitte ist das Fasernetz sehr dicht und
intensiv gefärbt; hinten an der Cystenbildung ist jedoch dieses
Netz in kleiner Ausdehnung geschädigt. Vorne schlägt es sich
mit kräftigen Bündeln um den Pes herum.
Die Ansa lenticularis scheint kaum geschädigt.
Luys' Körper. Dieses Ganglion ist im Ganzen völlig nor-
NEUE FÄLLE DIE LEHRE VON DER SEHBAHN UND DEM SEHCENTRUM BETREFFEND
93
mal. Seine Kapsel ist recht gut entwickelt, das Fasernetz im In-
neren reichlich mit intensiv gefärbten Fasern.
Die Zellen gross, scharf konturirt, blass. Dagegen ist der
occipitale Pol, welcher vor der Cystenbildung liegt, blasser, hat
spärlichere Fasern, scheint aber sonst auch recht gut erhalten
zu sein.
Nucleus ruber.
Der Nucleus ruber selbst wird von der Cyste nirgends
berührt, wohl aber die ihn an dem occipito-lateralen Umfange
begrenzenden Bündel d. h. die Haubenstrahlung des roten Kör-
pers. Diese wird in einer Entfernung von i — 1,5 m.m. vom
Ganglion durchschnitten und ist in der Richtung gegen die Cap-
sula interna völlig vernichtet und zwar sowohl an mehr dorsa-
len als an mehr ventralen Schnitten. An einer Anzahl von Prä-
paraten ist deshalb auch die latero-occipitalc Kapsel auffallend
schwächer als normal, aber die zurückgebliebenen Fasern sind
intensiv gefärbt und keineswegs varikös.
Die mediale und frontale Kapsel des Ganglions ist kräftig
mit intensiv gefärbten Fasern; nur die Bündel zwischen dem ro-
ten und dem Luys'schen Körper werden weniger dicht und zahl-
reich in dem Masse sie sich dem pathologischen Herd nähern.
Der ventrale Abschnitt des Ganglions wird von der Läsion
überhaupt gar nicht berührt. Das Ganglion selbst hat normales
Aussehen, die Bündel sind kräftig und die Fasern intensiv ge-
färbt, das Nervennetz auch normal und die Zellen gross, nicht
pigmentirt mit scharfer Kontur.
Corpora 4-gemina.
Brachintn anteriiis. Die Läsion (d. h. die Cyste und das
sie umgebende atrophische Gewebe) ist bis zum Brachium vor-
gedrungen, hat es aber nicht durchs .hnittten ; die Fasern sind
reichlich und normal und breiten sich in den oberflächHchen
Schichten (Stratum zonale, Cappa und Str. opticum) aus (Fig. 6).
Man kann, wie schon erwähnt, den Verlauf dieser Fasern bis in
die occipitale Strahlung genau verfolgen.
Colliculiis anterior.
Stratum zonale: ist gut entwickelt; mit normalen Fasern.
Cappa cinerea enthält eine normale Anzahl von Fasern;
letztere sind normal.
Stratum opticitm: Fasern zahlreich und normal.
Das Stratum Lcmnisci enthält zahlreiche normale Fasern.
An dorsalen Schnitten kann man deutlich verfolgen, wie
alle Fasern dieser Schichten dann durch das Brachium anterius
lateralwärts durch das Pulvinar ziehen um dann in die occipi-
tale Strahlung einzulaufen.
An mehr ventralen Schnitten sieht man wie Fasern aus
diesen Schichten durch den inneren Kniehöcker in der Richtung
gegen den oberen Abschnitt des äusseren Kniehöckers ziehen.
Brachiinn posterius scheint normal zu sein.
Colliculus posterior.
Stratum zonale normal.
Nucleus. Zahlreiche Faserbündel ziehen sowohl in radiärer
wie cirkulärer Richtung um und in das Ganglion.
Der Colliculus scheint also ganz normal zu sein.
Capsula interna.
Sie ist in ihrem hinteren Drittel durch die Cyste zerstört
und durch atrophisches Gewebe ersetzt. Wie breit der Defekt
ist, lässt sich kaum mehr exakt bestimmen, da eine Narbenre-
traktion eingetreten ist. Im mittleren Abschnitte ist die Läsion
am grössten, im dorsalen auch gross und im ventralsten am
kleinsten.
Dorsaler Abschnitt.
An den dorsalsten Schnitten (Fig. 3) in der Höhe des
Nucleus caudatus misst die Narbe, welche hier die Corona ra-
diata trifft, wenigstens 13 m.m. in sagittaler Richtung und er-
streckt sich von der Ventrikelwand bis in die Inselrinde; die
Zerstörung ist vollständig.
In der Ebene, wo die ersten Spuren vom Putamen auftre-
ten, liegt die Läsion an seinem hinteren Ende und hat etwa
dieselbe Grösse (cirka 1,3 cm. in sagittaler Richtung).
Weiter nach unten, wo die Capsula interna deutlich ist,
hat die Zerstörung dieselbe Grösse (Fig. 4). Auch die occipi-
tale Strahlung in den Thalamus ist hier gänzlich zerstört. Da-
durch erscheint die krankhafte Veränderung der Capsel noch
grösser.
Erst an den Präp. in der Ebene des Ganglion habenulje
treten die ersten Spuren von Fasern in der occipitalen Strahlung
hervor (Fig. 5. III. 62). Die Lücke zwischen dieser und dem
frontalen erhalten gebliebenen Abschnitt der Capsula interna
beträgt 12 m.m. und ist durch Narbengewebe ersetzt, in welchem
Fasern gänzlich fehlen.
An den folgenden Schnitten vermindert sich diese Lücke
und an Präparaten in der Höhe der Oberfläche des Colliculu-
anterior (Präp. III. 37) (also etwa i m.m. mehr ventral) ist sie
9 m.m. breit (in sagittaler Richtung). Nun vermindert sich die
Narbe schnell und da wo der Luys'sche Körper auftritt (III. i.
also etwa i m.m. weiter ventralwärts) misst die Lücke nur 3
m.m. (Fig. 7). Die occipitale Strahlung hat sich nach vorn
verlängert. Diese Lücke entspricht recht genau dem hinteren
Pole des Luys'schen Körpers und umfasst also den hintersten
Abschnitt der inneren Kapsel. Der frontale Rand der Lücke liegt
hier 14 m.m. occipital vom frontalen Rande der inneren Kapsel.
Die vom Globus pallidus zum Luys'schen Körper verlau-
fenden, die Kapsel durchsetzenden Fasern sind hier atrophisch.
Ventraler Abschnitt.
Wir sind hier fast an die Formation des Pes angelangt.
An der Grenze zwischen Capsula interna und dem Pes ist die
Lücke keilförmig, breiter nach aussen (3 m.m.) und schmaler
nach innen (i m.m.), aber durchsetzt noch die Kapsel in ihrer
ganzen Breite. Hier liegen zwischen der Läsion und dem äus-
seren Kniehöcker noch erhaltene Fasern in einer Breite von
1,5—2 m.m. (Fig. 8). Diese Fasern hängen deutlich mit der
occipitalen Strahlung zusammen und können in Anbetracht der
Form und Breite nicht als zur inneren Kapsel gehörig betrach-
tet werden. Occipital von diesem 2 m.m. breiten Bündel liegt
die Kapsel des äusseren Kniehöckers (Fig. 8). Noch weiter
ventralwärts liegt zwischen dem Pes und der medialen Wurzel
des Tractus opticus (Fig. 9) ein i m.m. breites Feld von atro-
phischem Gewebe, welches hier den Pes durchsetzt.
Dieser Streifen ist also der ventrale Ausläufer der Läsion.
94 S. E. RENSCHEN. PATHOLOGIE DES GEHIRNS
Rückblick. Aus der Beschreibung geht also hervor,
dass der occipitale Abschnitt der Capsula interna von oben
bis nach unten zerstört ist. Oben misst die Narbe i cm.,
wird dann etwa 1,3 cm. und wird im ventralen Teil immer
schmäler. Tm ventralsten Abschnitt tritt ein etwa 2 m m. brei-
tes Band von Bündeln auf, welche von der occipitalen Strahl-
ung in den Pes einstrahlen. Dagegen ist der occii^itale Ab-
schnitt der eigentlichen Capsula interna von oben nach unten
vollständig zum Schwund gebracht.
Der rechte Occipito-parietal-lappen.
Für die mikroskopische Untersuchung, ob auch in der Seh-
strahlung eine secundäre Atrophie vorhanden wäre, wurde das
Occipitalhirn in eine grössere Serie von frontalen Schnitten zer-
teilt, welche nach Weigert gefärbt wurden.
In den frontalsten von diesen Schnitten, wo noch die Bal-
kenfaserung zu sehen war und welche Schnitte etwa 6 c.vi. vor
der Occipitalspitze liegen, wurden in der dorsalen Partie, ent-
sprechend der Höhe des Balkens zwei atrophische Flecken wahr-
genommen. Der mehr dorsale misst etwa 3 m.m. und liegt in
der Höhe der oberen Fläche des Balkens, also etwas höher als
der höchste Punkt des Hinterhorns, der mehr ventrale etwa in
der Höhe der unteren Fläche des Balkens und misst etwa 4
m.m. in der Breite, 3 in der Höhe. Das Gewebe ist in diesen
Flecken in Folge des Schwunds einer grösseren Anzahl von Ner-
venbündeln mehr durchsichtig als in der Umgebung. Die Atro-
phie liegt zwar vorzugsweise in der mittleren Schicht des verti-
kalen Marks aber dehnt sich auch in die äussere longitudinale
Schicht aus und wird übrigens von zahlreichen Associationsfasern,
welche aus dem Balken kommen, durchzogen.
Diese zwei atrophischen Flecken scheinen nach hinten und
oben zusammenzufliessen.
Die ScJinittc etwa 5, 4, j und 2 cm. zeigten in der Seh-
strahlung keine Veränderung, mit Ausnahme in der Serie 5 cm.,
wo in der Höhe des Balkens einige suspecte Flecken von Atro-
phie vorkamen.
Die Rinde der Fissitra calcarina scheint völlig normal zu
sein. Die Dicke war die gewöhnliche, die einstrahlenden radiä-
ren Bündel zahlreich mit intensiv gefärbten Fasern, der Vicq
d'Azyr'sche Streifen war gut markirt und intensiv gefärbt. Die
Zellen zeigen keine deutliche Atrophie und das Stroma hat nor-
male Durchsichtigkeit und Körnigkeit.
Also: keine deutliche Atrophie in der Sehstrahlung oder
der Rinde des Occipitallappens (resp. Fissura calcarina).
Schnitte etwa 2 cm. vor der Spitze. Die Sehstrahlung
zeigte nichts Abnormes.
Dagegen wurde bemerkt, dass an einer Anzahl von Prä-
paraten die Rinde zwischen dem Vicq d'Azyr'schen Streifen
und dem Mark durchsichtiger ist als sonst der Fall. An den
Präp. nach Weigert kann ich sonst Veränderungen nicht wahr-
nehmen.
Medulla oblongata.
Die Hatiptschleife (Fig. 2. Taf XIV) ist links völlig nor-
mal sowohl in ihren medialen, mittleren und lateralen Ab-
schnitten. Wenn man damit die rechte Schleife vergleicht, so
findet man an einem Schnitte etwas unterhalb des Trochlearis-
kerns folgendes. Die rechte Schleife ist überhaupt höchst atro-
phisch. In einer Ausdehnung von 4 m.m. von der Mittellinie
finden sich nur einige kleine Bündel mit graugefärbten Fasern;
dann liegt eine Sammlung von intensiv gefärbten Nervenbündeln,
welche zusamman etwa 2 m.m. in der Breite (frontal), und etwa
0,75 m.m. in der Dicke messen. Lateral von diesem Fascikel,
entsprechend dem lateralen Abschnitte der linken Schleife, ist die
Atrophie wieder sehr ausgeprägt. An homologer Stelle misst die
linke Schleife 1.50 m. m.; aber ausserdem ist die rechte graublau,
die linke blauschwarz ; in der rechten finden sich noch zahlreiche
Nervenfasern, aber diese liegen nicht dicht an einander, sondern
die einzelnen Fasern sind durch Bindegewebe von einander ge-
trennt, während in der linken die Fasern dicht an einander lie-
gen. Dadurch gewinnt der Durchschnitt rechts eine graue Farbe,
während er links dunkelblau-schwarz erscheint.
Die laterale Schleife ist vielleicht auch rechts etwas schma-
ler als links (?).
Weiter nach unten.
Hier tritt auch die Atrophie der rechten Schleife deutlich
hervor, aber die genauere Lokalisation der Atrophie innerhalb der
Hauptschleife ist schwieriger zu bestimmen; der Faserausfall ist
am deutlichsten bei der Mittellinie und im ventralen Abschnitt
der Schleife (s. Fig. 3).
In der Höhe der Oliven. (Fig. 4.) Hier tritt sowohl der
Unterschied zwischen links und rechts wie auch die Lokalisation
besonders deutlich hervor. An der Raphe kann man in den dor-
salsten etwa 1,5 m.m. keine Differenz in der Farbenintensität unter-
scheiden, dann wird deutlich die Schleife rechts bleicher und fa-
sernärmer ; je mehr ventralwärts, desto deutlicher tritt der Unter-
schied in der Farbenintensität hervor, und in der Höhe des dor-
salen Blattes der rechten Olive ist die Schleife rechts auffallend
blass und auch schmaler als links. Entsprechend dem ventralen
Blatte der Olive ist die rechte Schleife wohl etwa nur '/2 der
linken und die Fasern sind hier nur spärlich, links aber zahl-
reich. Überall finden sich jedoch gleichförmig gestreute inten-
siv gefärbte Fasern.
Die inneren radiären Fasern (Fibrje arcuatje internse) sind
beiderseits recht zahlreich, links spärlicher als rechts.
Die Fyraniidenbalin. Sowohl im Pons wie in der Pyramide
ist rechts ein bedeutender Faserschwund und Atrophie vorhanden.
Deshalb ist die ganze rechte Hälfte des Pons vermindert. Doch
finden sich hier einzelne erhaltene Bündel und nicht wenige einge-
streute normale Fasern.
In der Pyramidenbahn dagegen ist ein fast vollständiger
Schwund der Nervenfasern. Kaum einige sind noch erhalten,
während die linke Pyramidenbahn normal und kräftig ist.
Nucleus funiculi cuneati ist rechts auffallend grösser
als links und in ihn strahlen (resp. gehen aus) zahlreiche Fibrte
arcuatcC internje und bilden am lateralen Rande einen dicken
Saum, während der linke Kern auf etwa — reducirt ist,
und nur wenige Bündel ein- (resp. aus-)strahlen.
Nuclei funicul. gracilium sind an Grösse kaum ungleich,
aber in den rechten strahlen recht zahlreiche Fibrse arcuatae in-
ternse, während nur wenige in den linken Kern ein- (resp. aus-)
strahlen.
NEUE FÄLLE DIE LEHRE VON DER SEHBAHN UND DEM SEHCENTRUM BETREFFEND
95
Sonst findet sich kein Unterschied in Grösse, Farbeninten-
sität oder Faserreichtum zwischen links und rechts.
Die Oliven sind beiderseits normal und gleich gross. Die
eintretenden Fasern und die Fasernetze sind beiderseits gleich
stark.
Corpora restiformia sind beiderseits intensiv gefärbt.
Epikrise.
Kurzer Krankenbericht. Starke neuropathische
Belastung, Alkoholiker. Bekam 1876 eine wahrscheinlich pe-
ripherische linksseitige Facialisparese und 1878 2o^j^ eine Apo-
plexie mit kurzdauerndem Bewusstseinsverlust und Zuckungen.
Linksseitige vollständige Paralyse und Hemianästhesie. Dann
geringe Besserung. 1891 ''/i war Fat. klar. Keine Aphasie.
Geruch rechts etwas vermindert, verminderte Sehschärfe, ocu-
läre Fehler (s. oben), Sehfeld etwas eingeschränkt; III. IV.
VI. normal. Anästhesie links im Gesicht, Arm und Bein.
Parese links, unbedeutend im Gesicht, fast vollständig im
Arm, stark im Bein. Linksseitige Kontraktur mit Dorsalklo-
nus. Starb P'ebr. 1892. Die Sektion zeigte eine hämorrha-
gische Cyste im Thalamus und hinteren Abschnitte der in-
neren Kap.sel sowie konsekutive Degeneration der Schleife
und der Pyramidenbahn.
Diagnose. Art der Läsioii. Der Pat. scheint nur
einen Hirnschlaganfall gehabt zu haben und z\\'ar am 20.
Nov. 1878. Die vorhergehende Parese des rechten Facialis
scheint eine peripherische gewesen zu sein. Der Hirnschlag
wurde schon ante mortem als eine HjEmorrhagia cerebri
diagnosticirt, und diese Diagnose wurde durch die Sek-
tion bestätigt. Es fand sich nämlich in den Wänden der in
den rechtsseitigen Centraiganglien befindlichen Cyste reich-
liches Blutpigment in krystallinischen Körnchen. Die Dia-
gnose stützte ich auf folgende Momente: verhältnismässig ju-
gendliches Alter (46 Jahre), nachgewiesener Alkoholismus; be-
sonders jedoch auf die Symptome bei dem Anfalle. Dieser
trat plötzlich auf, und war mit Verlust des Bewusstseins und
Zuckungen verbunden ohne deutlich vorhergehende Schwäche
des Herzens. Endlich war bei der Untersuchung kein Zei-
chen von Degeneration des Herzens vorhanden. Aus diesen
Gründen konnte hier eine Thrombose ausgeschlossen werden.
Die Thrombose der cerebralen Arterien tritt nämlich vor-
zugsweise bei gleichzeitiger Herzdegeneration und Arterio-
sclerose ein. Diese letztere entwickelt sich selten bei ei-
nem 46-jährigen Manne. Endlich ist die Thrombose selten
mit Zuckungen verbunden, und nur wenn sie ein grösseres
kortikales Gebiet umfasst, ist sie vom Verlust des Bewusst-
seins begleitet. Der Schlaganfall hatte also hier alle Charak-
tere einer Hämorrhagie.
Locus IcEsionis. Die vor dem Tode gestellte Lokaldia-
gnose wurde auch durch die Sektion bestätigt. Die Hä-
morrhagie hatte die Capsula interna getroffen. Die kurz-
dauernde Bewusstlosigkeit deutete auf eine nicht zu grosse
Blutung und zwar irgend wo, wo eine Ausgleichung des ge-
steigerten intrakraniellen Drucks bald stattfinden konnte. Eine
solche Stelle ist der Thalamus opticus, weil dieses Ganglion
nach der Mittellinie hin leicht ausweichen und daselbst die
Cerebrospinalflüssigkeit zum Entweichen bringen kann. In der
That ist die Bewusstlosigkeit bei Thalamus-blutungen ge-
wöhnlich kurzdauernd, wenn diese nicht zu gross sind. Die
nachfolgende mit fast vollständiger Anästhesie verbundene
Paralyse der linken Seite deutete auf die Capsula interna als
Stelle der Blutung hin.
Sonst hatte der Fall an und für sich nichts besonders
charakteristisches. Weder Hemianopsie noch Oculimotorius-
lähmung waren vorhanden. Der Fall ist ein typischer und
gewöhnlicher. Nichts destoweniger ist er won grossem Inter-
esse und geeignet in einigen wichtigen Beziehungen die all-
gemeine Auffassung über den Symptomenkomplex bei Her-
den in der Capsula interna zu korrigiren.
Analyse der Symptome.
PsycJie . Den Insult bei dem Schlaganfalle ausgenommen
findet sich hier keine Störung der psychischen Funktionen.
Dies zeigt, dass die psychischen Symptome des Insults auf
gesteigertem Drucke und konsekutiven Cirkulationsstörungen
in grösseren und entfernteren Gebieten beruhten.
Dass anderseits selbst eine grössere Zerstörung im Tha-
lamus von wenig Belang für das psychische Leben ist, ist
eine längst bekannte Thatsache.
Aphasie kam in diesem Falle nicht vor.
Kranialnerven.
I. Geruch. Obschon hier die Capsula interna eben im
Carrefour sensitif rechts zerstört war, war der Geruch rechts
schlechter als links. Spricht gegen die Lehre von »Garre
four sensitif».
II. Die herabgesetzte Sehschärfe links 0,3, rechts 0,4
wird zwar aus den intraokulären Fehlern genügend erklärt.
Ophthalmoskopisch merkbare Veränderungen fanden sich links
im Gebiete der Macula lutea, und rechts war eine beginnende
Catarakt vorhanden. Unter solchen Umständen liegt kein
zwingender Grund vor die verminderte Sehschärfe im Zusam-
menhang mit der intracerebralen Läsion zu setzen, wenn auch
die Möglichkeit nicht ausgeschlossen werden kann, dass diese
Läsion zur Verminderung der Sehschärfe beigetragen haben
könnte. Jedenfalls ist es bemerkenswert, dass die Sehschärfe
am rechten Auge, wo ein beginnender Catarakt vorhanden
war, dessen ungeachtet, 0,4 beträgt, und am linken, wo ein
Catarakt fehlte, nur 0,3.
Der vorliegende I'all ist darum von grossem Interesse,
weil einerseits das hintere ^/s der Capsula interna total zer-
stört war, anderseits eine Hemianopsie nicht vorlag. Die
Frage nach dem Zusammenhang der Sehstörungen mit Lä-
sionen der inneren Kapsel ist eine noch nicht genügend auf-
geklärte, aber gehört zu den am meisten diskutirten auf dem
weiten Gebiete der Fragen nach den Sehstörungen bei ce-
rebralen Läsionen. Es ist nicht meine Absicht hier tiefer
in dieses Gebiet einzudringen, nur möchte ich die Konsequen-
zen der vorliegenden thatsächlichen Beobachtung etwas her-
vorheben.
Seit langem hatte besonders die Charcot'sche Schule be-
obachtet, dass Läsionen der inneren Kapsel oft von Sehstör-
ungen begleitet sind und stellte in Folge dessen die Lehre
96
S. E. RENSCHEN. PATHOLOGIE DES GEHIRNS
von »Amblyopie croisee» auf, eine Lehre, welche einerseits
zur Hypothese von der doppelten Kreuzung der Opticusfa-
sern, anderseits zur Annahme zweier verschiedener kortikaler
Centren — das eine für das bilaterale Sehen, das andere für
das unilaterale Sehen führte.
Die dieser Hypothese zu Grunde liegenden Beobacht-
ungen waren hauptsächlich klinische Daten — die Coincidenz
einer Hirnläsion mit einer »Amblyopie croisee» welche ge-
wöhnlich mit gleichseitiger Anästhesie des Auges verbun-
den war. Nur wenige anatomische Thatsachen finden sich
als Stütze dieser Lehre. Fere hat diese klinisch-anatomischen
Fälle in seiner bekannten Arbeit, — »Troubles fonctionels
de la Vision», zusammengestellt — im Ganzen sind diese nur
etwa 6. In diesen Fällen hat man eine Läsion in oder nahe
dem hinteren Abschnitt der inneren Kapsel gefunden. Mit
Ubergehen .späterer Beobachtungen von Thomsen und Oppen-
heim, welche auch die Coincidenz der Amblyopie mit An-
ästhesie bestätigen konnten, will ich nur hervorheben, dass
noch über der Lehre von der »Amblyopie croisee» ein Dun-
kel liegt.
Unter solchen Umständen scheint es angemessen jede
diesbezügliche genau beobachtete Thatsache zu publiciren um
Klarheit zu gewinnen, welche Sehstörung eine Läsion der in-
neren Kapsel verursacht. In dieser Hinsicht ist der vorlie-
gende Fall lehrreich. Die Natur hat hier selbst ein Experi-
ment gemacht, schade nur, dass der Fall nicht von Anfang
an verfolgt werden konnte. Welche Art von Sehstörung der
apoplektische Insult hervorgerufen hatte, weiss man nicht.
Bei der von mir und Herrn Doktor Gullstrand gemachten
klinischen Beobachtung war die Läsion eine konstante, eine
stillstehende. Hier ist nun die Capsula interna in ihrem hin-
teren Drittel völlig zerstört. Die Stelle entspricht einer Li-
nie, welche vom occipitalen Ende des Putamens bis zum Gang-
lion habenulae geht. Eine Cyste und das dieselbe umgebende
völlig atrophische Gewebe hat das Nervengewebe ersetzt. Die
Folge der Zerstörung bezüglich der Gesichtsfunktionen war
nun keine Hemianopsie, wohl aber eine deutliche, aber nicht
hochgradige koncentrische Gesichtsfeldeinschränkung, welche
links ein wenig grösser war. In dieser Hinsicht spricht der
Fall eine unzweideutige Sprache, welche um so wertvoller
ist, als die Läsion die Kapsel und zwar in aufiallender Breite
bis auf den Tractus durchschnitt und die Gesichtsfeldbeschränk-
ung keineswegs als hemianopisch bezeichnet werden kann.
Die Beobachtung dürfte in dieser Hinsicht entscheidend sein
— es treten nicht visuelle Fasern in oder diircJi den Jiintcreit
Abschnitt der Capsida ijiterna ein.
Da anderseits Fälle mit Hämorrhagie in der inneren
Kapsel bisweilen von Hemianopsie begleitet sind, so wird es
notwendig sein zu untersuchen, unter welchen Verhältnissen
diese Hemianopsien bei Läsionen der Kapsel auftreten — und
zwar besonders, ob sie transitorisch oder permanent sind.
Ein Bhck auf die Figuren i — lo Taf. XIII überzeugt bald
davon, dass die frontale Hauptmasse des Thalamus durch
den pathologischen Process vollständig sowohl vom Pulvinar
als von den Ganglia geniculata und den Corpora 4-gemina
getrennt ist. Diese Trennung ist in der That so vollständig
wie man es überhaupt nur wünschen kann. Ausserdem ist
der dorso-occipitale Abschnitt des Thalamus destruirt. Da
man nun überhaupt keine Verbindungen zwischen dem fron-
talen Teil des Tractus und dem Thalamus opticus kennt, so
dürfte wohl der Schluss nicht unberechtigt erscheinen, dass
überhaupt Thalamus opticus (Pulvinar ausgenommen, wovon
unten) visuelle Fasern nicht empfängt und also kein Sehgang-
lion ist. Seine Bezeichnung »opticus» ist folglich missleitend
und der Name »Thalamus centralis» sowohl von anatomischem,
physiologischem und selbst pathologischem Gesichtspunkte
aus bezeichnender.
L.A. RA.
Pulvinar. Hinsichtlich des Pulvinars bemerke ich, dass
der dorsale Abschnitt (Fig. i — 4. Taf XIII) völlig destruirt
war; der mittlere Teil, in der Höhe des Ganglion habenulae
(F^'g- 5) war ebenfalls so durchgreifend verändert, dass dieser
Abschnitt gewiss nicht funktioniren konnte. Nur der ventrale
Abschnitt (Fig. 6 — 10) war nach Form und Struktur noch
erhalten geblieben. Hieraus lässt sich, ohne Gefahr zu irren,
der Schluss ziehen : eine Läsion des dorsalen Abschnittes des
Pulvinars verursacht keinen hemianopischen Defekt im Ge-
sichtsfelde. In wie weit aber der ventrale Abschnitt visu-
elle Fasern enthält, darüber entscheidet dieser Fall nichts.
Verschiedene wichtige Schlüsse lassen sich also aus dem
vorliegenden Falle ziehen.
Was dann die »Amblyopie croisee» betrifft, wenn man
darunter die Beschränkung des Gesichtsfeldes und die Ver-
minderung der Sehschärfe einbegreift, so ist der Fall in die-
ser Hinsicht nicht rein genug um sichere Schlüsse aus ihm
zu ziehen. Zwar ist das Gesichtsfeld beschränkt und die
Sehschärfe herabgesetzt, aber wie schon erwähnt, lässt sich
die verminderte Sehschärfe am rechten Auge aus dem Vor-
handensein der Catarakt erklären, und im linken Auge sind
ophthalmoskopisch bemerkbare Veränderungen im Gebiete
der Macula lutea vorhanden. Ob nun die Beschränkung des
Gesichtsfeldes eine unmittelbare Folge aus der Verminderung
der Sehschärfe ist oder in Zusammenhang mit der Zerstörung
der inneren Kapsel steht, lässt sich wohl kaum mit völliger
Sicherheit entscheiden. In Anbetracht aber, dass die reti-
nalen Veränderungen nur das Gebiet der Macula lutea be-
trafen, scheint es mir wahrscheinlich, dass die Beschränkung
des Gesichtsfeldes am besten als eine Folge der Veränder-
ungen der inneren Kapsel betrachtet werden muss. Wenn
dem so ist, dann ist dieser Fall ein interessanter Beleg der
Lehre der Charcot'schen Schule von der Amblyopie.
In welchem Verhältnisse aber diese Amblyopie croisee
zu der Kap.seldestruktion steht, darüber behalte ich mir vor
NEUE FALLE DIE LEHRE VON DER SEHBAHN UND DEM SEHCENTRUM BETREFFEND
97
an einer anderen Stelle mich zu äussern. Jedenfalls kann
für die Erklärung der Umstand, dass die Amblyopie gleich-
zeitig mit einer Anästhesia faciei et bulbi auftritt, nicht aus-
ser Acht gelassen werden.
III. IV. VI. Überhaupt nichts Abnormes. Die Ver-
engerung der Pupillen steht wohl mit der Verminderung der
Sehschärfe in Zusammenhang.
V. Die Verminderung der Sensibilität für Berührung
und Schmerz ist die unmittelbare Folge der Zerstörung des
hinteren Drittels der äusseren Kapsel (vergl. unten : Sensi-
bilität).
VII. Die Parese hat sowohl die oberen wie die hinte-
ren Zweige getroffen ; überhaupt ist die Störung nicht sehr
hochgradig. Dies lässt sich ohne Schwierigkeit dadurch er-
klären, dass der vordere Abschnitt der Kapsel intakt ist.
In Anbetracht, dass die Cyste nach aussen oben sehr
unregelmässig ist, lässt sich die Möglichkeit nicht ausschlies-
sen, dass verschiedene Facialisfasern durchschnitten sind, wenn
sich auch die sekundäre Atrophie in der vorderen Partie der
inneren Kapsel nicht bemerkbar macht.
VIII. Die Gehörbahn scheint nicht von der Zerstörung
an irgend einem Punkte getroffen zu sein. Die Bahn scheint
nämlich ventro-occipital von der Läsion zu liegen. Ihr ge-
nauer Verlauf ist jedoch nicht bekannt. Die Verminderung
der Gehörschärfe an beiden Ohren ist also gewiss peripher-
ischer Natur.
X. Vom Hypoglossus gilt mutatis mutandis dasselbe
wie vom Nervus facialis.
Sensibilität.
Hier war die Sensibilität auffallend mehr vermindert als
im Gesicht; überhaupt war sie bedeutend geschwächt und
zwar hinsichtlich aller Qualitäten, aber besonders waren die
Tast- und Schmerz-sinne getroffen. Hieraus will ich schliessen:
In Anbetracht der Lage und Ausdehnung der Cyste
und des sie umgebenden atrophischen Gewebes sowie auch
des Umstandes, dass die Läsion in der Capsula interna auf
das hintere Drittel der Kapsel beschränkt war, muss man an-
nehmen, dass Nervenfasern für alle Qualitäle/i in der zer-
störten Partie der Kapsel verlaifen.
Dagegen beweist der Fall nicht, dass alle diese sen-
siblen F"asern für die Extremitäten hier verlaufen. Es lässt
sich nämlich, da keine vollständige Paralyse vorlag, denken,
dass sich auch in der vorderen Partie der Kapsel Sensibili-
tätsfasern vorfinden. Die unvollständige Störung lässt sich
auch dadurch erklären, dass die linke Hemisphäre kompen-
satorisch eingetreten ist; oder endhch lassen sich diese bei-
den Erklärungsweisen gleichzeitig anwenden, da sie nicht im
Gegensatz zu einander stehen
Motilität.
Die Lähmung der linksseitigen Extremitäten war hoch-
gradig. Nur die gröberen Bewegungen des linken Armes
waren noch vorhanden und zwar nur in geringem Grade.
Das linke Bein war dagegen nur paretisch und Pat. konnte
S. E. Menschen. Pathologie des Gehirns.
die gröberen Bewegungen ohne Schwierigkeit ausführen. Im
Arme fand sich noch eine starke Kontraktur vor.
Bei der Untersuchung der Pyramidenbahnen in der Me-
dulla oblongata findet man nun, dass die rechte Pyramiden-
bahn vollständig atrophisch und geschrumpft ist. Kaum fin-
det man da noch einige erhalten gebliebene Fasern, und da
nun eine Kreuzung der motorischen Fasern zwischen der in-
neren Kapsel und der Pyramidenbahn (in der Höhe der Oli-
ven) nicht bekannt ist, so schliesse ich daraus, dass alle mo-
torischen Fasern der rechtsseitigen Extremitäten in der inne-
ren Kapsel atrophisch sind. Nun findet man im vorderen
Abschnitt der Kapsel keine Spur von Atrophie. Daraus
dürfte man berechtigt sein zu schliessen, dass alle motorischen
I'asern der Extremitäten an der Stelle der Cyste und des sie
umgebenden atrophischen Gewebes liegen. Zwar findet man
bisweilen bei Atrophie, dass der Schwund der Fasern biswei-
len so vollständig sein kann, dass es schwierig ist die atro-
phische Stelle ausfindig zu machen, aber hier dürfte wohl,
in Anbetracht der hochgradigen Paralyse und der vollständi-
gen Atrophie der Pyramidenbahn, die Atrophie ausgedehnt
genug gewesen sein, um in dem vorderen Abschnitt der Kap-
sel mit dem Mikroskope entdeckt zu werden. Daraus dürfte
man berechtigt sein zu schliessen, dass die Hauptmasse der
motorischen Fasern im hinteren Abschnitt der inneren Kap-
sel verlaufen und zwar da, wo die grosse Atrophie sich vor-
findet.
Diese Stelle liegt in der Kapsel recht weit nach hinten,
wie besonders die Figuren 4 — 6 zeigen und speciel weiter
nach hinten als z. B. Bechterew in Schema 13. Seite 154
und Obersteiner (Anleitung b. Stud.) .sie abbildet. Sie ent-
spricht dem occipitalen Ende, des Putamens. Die grosse
Ma.sse der Kapselfasern ist dagegen erhalten geblieben.
In der rechten Pyramidenbahn in der MeduUa oblon-
gata sind nun fast alle Fasern vollständig untergegangen, nur
im dorso-msdialen Abschnitte des Durchschnittes findet man
in einigen Bündeln eine kleine Anzahl Nerven, von denen
nicht wenige deutlich von der Raphe stammen und wohl
nicht zu den Pyramidenfasern zu rechnen sind. Da nun un-
geachtet der so vollständigen Atrophie der Fasern für die
Extremitäten mit dem linken Arm gröbere Bewegungen aus-
geführt werden konnten und mit dem linken Bein solche Be-
wegungen selbst gut von Statten gingen, so lässt sich dies
kaum auf andere Weise erklären, als dass die Fasern der hn-
ken Pyramidenbahn die linksseitigen Glieder innerviren. Diese
kommen aus der linken Hemisphäre. Ob der Ursprungsort
des Reizes bei solchen Bewegungen in diese Hemisphäre
oder in die rechte (vermittelst des Balken) verlegt werden
soll, darauf antwortet dieser Fall nicht.
In noch höherem Grade gilt dieser Schluss hinsichtlich
der Innervation des Rumpfes. Der Pat. konnte gut gehen.
Er benutzte dabei natürlich auch die rechte Rumpfhälfte, und
diese wurde gewiss von der linken Hemisphäre (direkt oder
indirekt) innervirt.
Pathologisch -anatomische Bemerkungen.
Dass in diesem Falle die Cyste durch Hcemorrhagie ent-
standen ist, geht aus der mikroskopischen Untersuchung
13
98 .S. E. HENSCHEN. PATHOLOGIE DES GEHIRNS
hervor. Überall in der Nähe der Cyste findet man zahlreiche
Hämatoidinkrystalle.
Dadurch erklärt sich auch, dass das atropJiischc Gewebe
um die Cyste Jicruvi relativ misgedeJint ist, indem das Ge-
webe zuerst durch den Druck so bedeutend gelitten hat, wo-
durch die Nervenfasern geschwunden sind und das Gewebe
dann nach Resorption des Blutes in Bindegewebe umgewandelt
ist. Sonst ist die Atrophie recht scharf begrenzt.
Das optische System.
Dieses System ist nicht von der Läsion betroften. Da
nun diese das hintere Drittel der inneren Kapsel betroflen
hat, und die Beschränkung des Gesichtsfeldes in Vereinigung
mit einer Verminderung der Sehschärfe vielleicht als eine
»Amblyopie croisee» aufgefasst werden und daraus der Schluss
gezogen werden könnte, dass in jener Partie der inneren Kap-
sel visuelle Fasern verlaufen, so ist die Thatsache, dass im
rechten Tractus keine Spur von Atrophie oder Degeneration
entdeckt werden kann, von grosser Bedeutung.
Ein Blick auf die Fig. 4 — 6 Taf XIII überzeugt, dass'
die Läsion sich bis zum Ganglion habenulae erstreckte und
dass dieses Ganglion wesentlich ergriffen und zur Atrophie ge-
bracht worden war. Da nun Darkschewitsch durch Experimente
zu der Ansicht gekommen ist, dass dieses Ganglion mit den
Pupillenfasern, welche im Tractus verlaufen, in Zusammenhang
stehe, so ist auch die Beobachtung von Wichtigkeit, dass im
Tractus keine Atrophie zu entdecken war. Die Fig. 4, 5
und 6 zeigen, dass die Atrophie sich an beiden Seiten des
Trigonum habenulje ausbreitet. Es lässt sich unter solchen
Umständen kaum denken, dass Pupillenfasern, wenn sie mit
jenem Ganglion Verbindung hätten, nicht zerstört worden
wären.
Dagegen ist die mediale Wurzel des Tractus erhalten
geblieben und kein Hindernis scheint im Wege zu stehen,
dass die Pupillenfasern durch diese Wurzel und dann in der
Nähe des inneren Kniehöckers zum vorderen Vierhijgel ge-
langen können, denn dieser Hügel ist intakt, sowohl in vor-
deren wie hinteren Abschnitten.
Die Einstrahlung der occipitalen Strahlung in das Pul-
vinar tritt an den Präparaten besonders schön und rein hervor,
und zwar aus dem Grunde, dass durch die Läsion alle vom
frontalen Abschnitt des Thalamus kommenden Fasern abge-
schnitten sind. (Vergl. Fig. 6 — 10.)
Diese Einstrahlung in den ventralen Abschnitt" des
Pulvinars ist reichlich und tritt an den Fig. sehr klar hervor.
In wie weit Tractusfasern untermischt sein können, ist zwar
ungewiss, aber anscheinend hängen die Pulvinarbündel mit der
occipitalen Strahlung zusammen (Fig. 7 — 10).
Ebenso klar tritt die Einstrahlung der occipitalen Fasern
in den äusseren Kniehöcker (Fig. 7 — 8) hervor.
Aber am schönsten fällt die Faserstrahlung im dorsalen
Abschnitt des Pulvinars auf (Fig. 6). Hier kann man mit
Vorteil den Verlauf der occipitalen F"asern durch das Pulvinar
in den Colliculus anterior studiren. Die Fasern breiten sich
hier nicht nur in das s. g. Stratum opticum sondern auch
oberflächlich, und so weit ich an anderen Präparaten sehen
kann auch tiefer in das s. g. Stratum Lemnisci und zwar
nach vorn bis in die hintere Kommissur aus. Wahrscheinlich
sind diese in den Colliculus einstrahlenden Fasern Reflexfasern,
welche von den occipitalen Teilen des Gehirns kommen.
Die Faserung der Colliculi ist reichlich.
Das sensible System.
Hier finden wir die interessante Thatsache, dass der
laterale Abschnitt der Hauptschlcife hochgradig atrophisch ist.
Verschiedene Ansichten über den Zusammenhang dieses Ab-
schnittes mit anderen Hirnteilen machen sich zur Zeit geltend.
Wenn man z. B. das Schema 1 1 Bechterews' (Leitungsbahnen
Seite 89) betrachtet, so findet man, dass die Linie 9, welche
den lateralen Abschnitt der Hauptschleife vertritt zum Luys'-
schcn Körper und Linsenkörper verläuft und an den Fig. IV
— VI findet man denselben Verlauf abgebildet.
Obersteiner dagegen lässt dieselbe Portion der Haupt-
schleife zum Thalamus und den Centrahvindungen verlaufen
(Fig. 140 S. 331). Ohne näher auf dieses Thema einzugehen,
bemerke ich nur, dass auch Hösel in einem neulich in Rom
gehaltenen Vortrage zu derselben Ansicht gekommen ist,
dass die mediale Portion der Hauptschleife teils zum Linsen-
körper teils zur Inselrinde (vermittelst des Linsenkörpers)
verläuft.
Der vorliegende Fall scheint in dieser Hinsicht lehrreich.
Vor allem ist die laterale Portion hochgradig atrophisch, jedoch
finden sich noch da zahlreiche Fasern vor. Daraus geht teils
hervor, dass die zerstörte Partie im Thalamus, CajDsula interna
und Corona radiata hauptsächlich in Zusammenhang mit der la-
teralen Portion der Hauptschleife steht, was am nächsten mit
der Ansicht von Obersteiner und Flechsig-Hösel stimmt, teils
dass durch diese Läsion des Thalamus nicht alle Fasern der
lateralen Partie der Hauptschleife zerstört werden. Die erhalten
gebliebenen bilden keinen besonderen Abschnitt oder Bündel
der lateralen Portion, sondern sind mit den zum Schwund ge-
brachten vermischt. Da inzwischen die Läsion recht aus-
gedehnt ist, so fragt es sich: mit welchen von den zerstörten
Fasern oder Partien stehen die geschwundenen Schleifenfasern
in Verbindung? Fasern aus der Inselrinde, den Central- und
Parietalwindungen, der Capsula interna und dem Thalamus
waren lädirt und im Thalamus erstreckt sich die Läsion von
oben nach unten. Diese Frage lässt sich nicht mit Hülfe
nur dieses einen Falles entscheiden. Die Läsion der Insel-
rinde ist in diesem Falle verhältnismässig gering. In anderen
Fällen war die Läsion der Inselrinde sowohl sehr ausge-
dehnt wie auch alt (z. B. im Falle I. Malm Teil III S. 20),
ohne dass eine Veränderung der lateralen Portion sich be-
merkbar machte. Die Veränderung in diesem Falle hängt
also wahrscheinlich nicht von der Insularläsion ab. Die Lä-
sion des Putamens kann als klein, ja minimal bezeichnet
werden und bei grösseren Destruktionen des Putamens wie
im Falle I. Malm S. 20 wird die erwähnte Portion der Haupt-
schleife nicht atrophisch. Ebenso ist der Fall mit dem Glo-
bus pallidus. So weit ich sehen kann, ist die Ansa lenticula-
ris kaum oder nur minimal getroffen, die Bündel des Globus
pallidus sind reichlich vertreten und intensiv gefärbt; überhaupt
kann dieses Ganglion als normal bezeichnet werden. Die
atrophischen Fasern der Hauptschleife dürften deshalb nicht
NEUE FÄLLE DIE LEHRE VON DER SEHBAHN UND DEM SEHCENTRUiM BETREFFEND
99
mit dem Linsenkörper in Verbindung gewesen sein. Der
Luys'sche Körper ist nur im occipitalen Pole an einem klei-
nen Gebiete geschädigt. Dies kann nicht die Schleife zur
Atrophie gebracht haben.
Die Atrophie der Hauptschleife wird folglich durch die
Zerstörung des Thalamus resp. der durch die Capsula interna
von der Rinde der Central-Parietalwindungen kommenden Fa-
sern bedingt. Der Fall ist soweit recht überzeugend.
Aber im Thalamus sind verschiedene Bildungen durch-
schnitten, zuerst die hintere Partie des Ganglions (Fig. 2 — 4),
weiter eine bedeutende Portion der Haubenstrahlung, welche
deutlich nach dem hinteren Abschnitt der inneren Kapsel ver-
läuft, und zwar sowohl in dorsalen wie mittleren Teilen des
roten Körpers (Fig. 6--8), ja selbst in ventralen Partien
dieses Ganglions findet die Wirkung der Cyste (Fig. 9) statt.
Es fragt sich deshalb ob hier Linsenkörperfasern getroften sind.
Ich wage zwar die Möglichkeit eines solchen Verhält-
nisses nicht zu verneinen, aber schon ein Blick auf die Fig.
7 — 10 macht den Eindruck, dass höchstens relativ wenige
solcher Fasern zerstört werden können, während die durch
die Cyste zerstörten mit der Haubenstrahlung verlaufenden
Fasern sehr zahlreich sein müssen.
Es scheint mir deshalb kaum zweifelhaft, dass die Atro-
phie der lateralen Portion der Hauptschleife in Zusammen-
hang mit der Zerstörung der Haubenstrahlung und den zur
hinteren Partie der inneren Kapsel verlaufenden Fasern steht
und dass also die laterale Portion der Schleife mit der Rinde
der Central- (Parietal ?) Windungen zusammenhängt.
Ob diese Verbindung eine unmittelbare oder eine durch
den Thalamus vermittelte ist, entscheidet dieser Fall nicht.
Der Fall Malm spricht kräftig für eine nur mittelbare Ver-
bindung.
Betrachtet man Schnitte der Medulla oblongata aus der
Höhe der Oliven, so findet man, dass die Atrophie im ven-
tralen Abschnitte des Zwischenolivenfeldes am ausgesprochen-
sten ist, dass sie aber ohne scharfe Grenzen in die mehr dor-
sale zusammenfliesst (Fig. 4. Taf XIV), während die Atrophie
höher hinauf sich scharf auf die laterale Portion beschränkt.
Aber überall finden sich noch intensiv gefärbte Fa.sern, wenn
auch am wenigsten im dreieckiger Raum zwischen der Olive,
Raphe und der Pyramidenbahn.
Die laterale Portion der Schleife steht also im intimsten
Zusammenhang mit dem ventralen Abschnitte des Zwischen-
olivenfeldes wie wohl auch allgemein angenommen wird.
Es folgt hieraus, dass im lateralen AbscJuiitt der Schleife
sowohl Tast- tvie Schmers- ja selbst Tetiiperatur- tmd Micskel-
empfindiingen geleitet zuerden.
Motorische Bahn.
Hier betone ich nur die Lage der Pyramidenbahn in
der inneren Kapsel (s. oben).
Im Pes haben wir teils mit dem ventralsten Ausläufer
der Läsion (Fig. 9, atr.) zu thun, teils mit der sekundären
Atrophie der höher oben zerstörten Fasern. Diese liegt
mehr medial und wird durch reichliches Bindegewebe be-
zeichnet.
II.
Ueber hemiopische Pupillenreaktion.
Schon im Jahre 1881 hatte IFZ/^ra««/ auf Grund klinischer
Beobachtungen nachgewiesen, dass bei Tractusläsionen die
Pupillenreflexe und Lichtempfindungen einander parallel gehen
müssen.
Auf Grund theoretischer Erwägungen * kam dann Wcr-
nicke 1883 zur Ansicht, dass die Pupillenreaktion verschieden-
artig ausfallen muss, wenn man bei einer Läsion des einen
Tractus vor dem Punkte, wo die Pupillarfasern zu ihrem Cen-
trum hin von der Bahn der Sehfasern abweichen, die linke
oder die rechte Retinahälfte reizt. Dieses Centrum verlegte
Wernicke nach den Vierhügeln. » Central wärts» »hängt jeder
Tractus opticus mit einem reflexvermittelnden Centrum in den
Vierhügeln zusammen». »Eine hemiopische Pupillenreaktion
entsteht dann, wenn der eine Tractus opticus quer durch-
trennt oder leitungsunfähig geworden ist.»
Bald wurde diese lokaldiagnostische Reaktion von ver-
schiedenen Autoren wie Mauthner (1885), Moebius (1886) und
Philipsen (1886) als geltend angeführt, ohne dass sie jedoch,
wie es scheint, beweisende Fälle mitgeteilt hatten. Nach Wer-
nicke ist die hemiopische Pupillenreaktion nicht etwa bloss ein
theoretisch kombinirtes Symptom, sondern durch vielfache ana-
loge Beobachtungen bestätigt. Und er führt selbst an, dass
er in einem Falle von Chiasma-läsion resp. bitemporaler He-
mianopsie eine solche Pupillenreaktion beobachtet hat. Da-
gegen ist es mir nicht gelungen die Beschreibung des von
ihm beobachteten Falles in der Literatur zu finden. Erst
später konnte deshalb die praktische Bedeutung der neuen
Reaktion durch jjenauere klinische Beobachtungen nachgewie-
sen werden.
Schon im Jan. 1886 hatte ich einen klinischen Fall
mit hemiopischer Pupillenreaktion in meiner klinischen Ab-
teilung beobachtet, aber erst nachdem ich im Jahre 1888
einen neuen abweichenden Fall mit transitorischer recurrenter,
hemiopischer Pupillenreaktion untersucht hatte, teilte ich am
4. Okt. 1889 drei Fälle im Ärzte-Verein in Upsala (Upsala
läkareförenings förhandl. 1889—90) mit. Diese Fälle finden
sich im ersten Teile dieser Arbeit unter N:o 20, 32 und 35.
Inzwischen hatte Martijis im Jahre 1887 einen klinischen
Fall aus Gerhardts Klinik in den Charite Annalen publicirt;
• S. Wernicke, Gesammelte Aufsätze 1893 S. 211. 325, Anm. 48.
der Fall kam nicht zur Sektion und die lokaldiagnostische
Bedeutung der Reaktion konnte also in diesem F"alle nicht
bestätigt werden.
Im selben Jahre hatte Scguin in der New-Yorker Neuro-
logischen Gesellschaft 3 Fälle von bitemporaler Hemianopsie
mit dieser Reaktion mitgeteilt. Alle waren aber klinische
F'älle ohne Sektion (Journal of mental and nervous diseases.
1887. S. 721).
Der erste durch Sektion bestätigte Fall wurde von ScJiniidt-
Riinplcr beobachtet, ein Fall, in welchem eine undeutliche he-
miopische Pupillenstarre bei Tractusatrophie wahrgenommen
wurde, (Arch. f. Augenheilk. 1888). Dieser Fall steht mit
der Wernicke'schen Voraussetzung in Übereinstimmung. —
Der nächste durch Sektion bestätigte Fall wurde von mir
im Mai 1889 beobachtet, und im Okt. des folgenden Jahres
im Ärzte-Verein in Upsala mitgeteilt. Im ersten Teil (unter
N:o 20) findet sich der ausführliche Kranken- und Sektions-
bericht. Dieser P'all war anscheinend nicht geeignet die Wer-
nicke'sche Lehre von der hemiopischen Pupillenreaktion zu
bestätigen. Doch hierüber unten mehr.
Aus dem Jahre 1890 stammten weiter einige Mitteilungen
über dieselbe Reaktion. Ferrier beobachtete nach zufälliger
Lädirung der Tractus an zwei Affen bei einer am Temporal-
lappen vorgenommenen Operation die hemiopische Pupillen-
reaktion (Croonian lectures 1890 s. 59). Seitdem sind ver-
schiedene Fälle publicirt, wie aus den folgenden Zeilen wohl
hervorgeht.
Nach dieser kurzen Skizze der Entwicklung unserer
klinischen Kenntnisse über die hemiopische Pupillenreaktion,
will ich zuerst einige allgemeine Bemerkungen hinsichtlich der
Reaktion vorausschicken, weiter die bisher bekannten klinischen
Fälle anführen, um dann die lokaldiagnostische und anatomische
Seite der Sache zu betrachten.
Die Frage nach der hemiopischen Pupillenreaktion kann
überhaupt als eine missliche betrachtet werden. Es wird
von verschiedenen Forschern nicht nur bezweifelt, dass bis-
her Fälle von hemiopischer Reaktion beobachtet worden
sind, sondern selbst die Möglichkeit der Reaktion. Auf dem
internationalen Kongresse in Rom d. J. (1894) wurde während
der Diskussion aus Anlass einer von mir gemachten Mitteil-
UEBER HEMIOPISCHE PUPILLENREAKTION
101
ung über die hemiopische Pupillenreaktion selbst von den
hervorragendsten Augenärzten bemerkt, dass sie Fälle mit
hemiopischer Pupillenreaktion nie beobachtet hatten. Die
Möglichkeit der Reaktion wird aus teoretischen Gründen in
Frage gestellt. Von verschiedenen Forschern wird nämlich
hervorgehoben, dass ein in das Auge von einer Seite einge-
worfener Lichtkegel nicht nur die entgegengesetzte Retina-
hälfte beleuchtet, sondern den ganzen Augenboden beleuchten
muss. In Folge dessen muss, um ein konkretes Beispiel zu
nehmen, bei einer linksseitigen Hemianopsie, wo der rechte
Tractus zerstört ist und in Folge dessen die rechtsseitigen
Retinahälften für Lichtreiz unempfindlich sind, das von links
auf diese Hälfte eingeworfene Licht nicht nur die rechts-
seitigen Hälften sondern auch die beiden Macuhe luteas und
die linksseitigen Retinahälften beleuchten und zwar mit ge-
nügender Stärke um die Pupillenkontraktion reflektorisch
auf dem Wege des unversehrten linksseitigen Tractus aus-
zulösen.
In der That ist die klinische BeobacJiüing der hemianop-
ischen Pupillenreaktion eine schwierige. Zwar erklärte Samel-
soJin auf dem erwähnten Kongresse, dass es genüge mit einem
gewöhnlichen Licht den Augenboden (von der Seite?) zu
beleuchten um die Reaktion auszulösen. So leicht ist es mir
indessen im Allgemeinen nicht gelungen, die Reaktion hervor-
zurufen; früher warf ich mit dem Augenspiegel einen durch
eine Konvexlinse koncentrirten Lichtkegel in einem dunklen
Zimmer in das nach aussen oder nach innen abgelenkte Auge
ein, und zwar mit sorgfältiger Rücksicht darauf, dass das
Licht nicht die Macula lutea treffen sollte. In den letzten
Jahren brauche ich für diesen Zweck eine besonders ein-
gerichtete Lampe. Das Licht ist von einem Blechtubus um-
geben um jeden Lichtreiz auszuschliessen und nur durch ein
kleines Loch in einem Diaphragma kann der Lichtkegel her-
ausstrahlen; er wird dann durch eine Konvexlinse koncentrirt.
Mit einer solchen Lampe ist es leicht dem Lichtkegel die
gewünschte Richtung zu geben.
Aber selbst unter diesen Umständen ist es manchmal
schwierig zu bestimmen, ob die Reaktion verschieden stark
ausfällt, wenn das Licht von den verschiedenen Seiten in das
Auge eingeworfen wird. Ist die Pupillenreaktion aus anderen
Gründen — wie bei alten Leuten, bei der Katarakt — träge,
so vermehrt sich die Schwierigkeit zu entscheiden, ob eine
hemiopische Reaktion vorliegt oder nicht. Überhaupt muss
man nicht fordern, dass selbst beim Vorhandensein der he-
miopischen Reaktion jede Pupillenbewegung ausbleiben soll,
wohl aber dass die Reaktion von den beiden Retinahälften
deutlich verschieden intensiv ausfällt. Dieses Verhältnis dürfte
wohl darin eine Erklärung finden, dass selbst der auf das
peripherische Gebiet der Retina in das Auge schräg einge-
worfene Lichtkegel auf das centrale Gebiet etwas dispersirt wird.
Weiter muss daran erinnert werden, dass wohl die in
zwei Augen geworfenen Lichtkegel selbst, wenn sie unter
demselben Winkel eingeworfen werden, verschieden wirken
können, je nach der verschiedenen Ausstreckung des von
Wilbrand als »überschüssiges Gesichtsfeld» bezeichneten Ge-
bietes. Wenn z. B. bei linksseitiger Tractus-hemianopsie in
einem Fall die Trennungslinie mathematisch durch den Fixa-
tionspunkt verläuft und in einem anderen Auge dagegen ein
grosses »überschüs-siges Gesichtsfeld» vorhanden ist, so muss
in jenem Auge der auf die linke Retinahälfte eingeworfene
Lichtkegel nicht so leicht die zu der rechten Hemisphäre ver-
laufenden ungeschädigten centripetalen Pupillenfasern treffen,
wie in diesem Falle, wo ein ausgiebiges überschüssiges Ge-
sichtsfeld vorhanden ist.
Thatsache ist jedenfalls, dass die klinische Beobachtung
der hemiopischen Pupillenreaktion eine missliche ist.
Was die aiiatoiniscJie Untersiichniig post mortem solcher
Fälle betrifft, so muss hervorgehoben werden, dass diese im-
mer mit dem Mikroskope vorgenommen werden muss. Es gilt
die Stelle ausfindig zu machen, wo die bisweilen mikroskopische
Läsion die Reflexbahn betroffen hat. Die Notwendigkeit der
mikroskopischen Untersuchung habe ich selbst in einem Falle
erfahren. Im Falle N:o 20 (s. Teil I.) fand ich eine ausge-
dehnte makroskopische Malacie im Parietallappen (Taf XXV.)
und hemiopische Pupillenreaktion, was im Wiederspruch mit
der Wernicke'schen Theorie zu stehen schien. Erst etwa 2
Jahre später fand ich in den anscheinend unversehrten Cen-
tralganglien eine mikroskopische Läsion, welche vom Thala-
mus auf den rechten Tractus Übergrift" und das Auftreten der
eigentümlichen Pupillenreaktion leicht erklärte.
Nach diesen Betrachtungen gehe ich unmittelbar zu den
klinischen Beobachtungen über um nachher die Schlüsse zu
ziehen.
Die klinischen BeobacJitJingen betrefts der hemiopischen
Pupillenreaktion sind teils positiver, teils negativer Art. Seit
mehreren Jahren habe ich die allermeisten Kranken mit cere-
bralem Leiden auf die Reaktion untersucht und besonders habe
ich die H^mianopischen darauf geprüft. Die meisten dieser
Patienten sind nicht zur Sektion gekommen. In allen jenen
Fällen fehlte diese Reaktion mit euier Ausnahme, nämlich
im Falle 32 Johansson. Dieser Fall ist im Teil I. S. 202
ausführlicher beschrieben. Da in den übrigen die Sektion
noch fehlt, so dürfte es nicht angemessen scheinen sie hier
anzuführen, da eine Lokaldiagnose in diesen Fällen nicht mit
völliger Sicherheit gestellt werden kann. Dagegen ist es lehr-
reich diejenigen Fälle kurz anzuführen, welche zur Sektion
gekommen sind, selbst wenn die hemiopische Pupillenreak-
tion fehlte. Nur durch die Zusammenstellung dieser Fälle
mit den positiven, wo die Reaktion vorhanden war, kann man
überhaupt eine richtige Vorstellung von der Bedeutung der
Reaktion in lokaldiagnostischer und anatomischer Hinsicht
bekommen.
Die klinischen Fälle können am besten nach der Lage
der anatomischen Läsion angeordnet werden.
L Die Läsion liegt hinter oder lateral von dem äusseren
Kniehöcker.
A) Fälle ohne hemiopische Pupillenreaktion,
a) Fälle ohne Hemianopsie.
Fall I. Henschen (Lovisa Berg) (Teil II. S. 435). Ausgedehnte
Encephalomalacie im rechten Occipito-temporallappen ; die
102 S. E. RENSCHEN. PATHOLOGIE DES GEHIRNS
Malacie drang in die Sehstrahlung ein. Keine Malacie in
der frontalen Sehbahn oder in den Centraiganglien. (Taf.
LH— LIV.)
Fall 2. Renschen (Stjernström) (Teil III. S. 59). Bilaterale
Malacie in den beiden Cunei und verschiedene kleine
Malacien in den beiden Sehstrahlungen. Keine Läsion in
der frontalen Sehbahn oder in den .Centralganglien. (Taf.
IX. X. XI.)
b) Fälle mit Hemianopsie.
*) Geschwülste.
Fall j. Renschen (Zetterberg) (Teil I. S. 127). Zuerst uni-
laterale Hemianopsie, dann vollständige Blindheit. Mul-
tiple Krebsgeschwülste, sowohl in der Rinde der beiden
Hemisphären, wie in den beiden Sehstrahlungen. (Taf.
XXIII.)
Fall 4. Renschen (Augusta Eriksson) (Teil III. S. 46). Eine
grössere Geschwulst im Temporallappen, welche in die Seh-
strahlung eindrang und selbst auf das Pulvinar drückte.
(Vgl. S. 50.) (Taf. VIII.)
Fall 5. Renschen (Ekelund) (noch nicht publizirt). Grosse
Geschwulst, welche vom rechten Parietallappen gegen den
frontalen Abschnitt der Sehstrahlung dringt und durch Druck
eine bilaterale homonyme linksseitige Hemianopsie hervor-
gerufen hat.
**) Malacie.
Fall 6. Renschen (Joel Andersson) (Teil II. S. 363). Eine
Encephalo-malacie nahm den mittleren Abschnitt der lin-
ken Hemisphäre ein und drang bis in die unmittelbare
Nähe des Tractus und des äusseren Kniehöckers hervor.
Das Ganglion war entzündlich affizirt (Taf. XXIX).
B) Fälle mit hemiopischer Pupillenreaktion.
Fall 7. Renschen (Anders Ersson) (Teil III. S. 38). Anfangs
keine hemiopische Pupillenreaktion, später reagirten die
Pupillen nicht mehr auf Licht von der rechten Seite, aber
schwach von der linken Seite. Eine diffuse grosse Ge-
schwulstmasse drang von dem Temporallappen sowohl
nach oben und nach hinten wie nach innen gegen die
Centralganglien und den äusseren Kniehöcker vor. (Taf.
VL und VII. Fig. i. 2.)
Fall 8. Renschen (Anna Olsson) (Teil II. S. 370). Nur bei
den Kongestionsanfällen kurz vor dem Tode wurde ein
hemianopischer Defekt im unteren Quadranten des Ge-
sichtsfeldes beobachtet. Gleichzeitig wurde die hemiop-
ische Pupillenreaktion wahrgenommen. Die Sektion zeigte
eine grössere Geschwulst in der Fossa Sylvii, welche von
oben an den vorderen Abschnitt des Tractus einen indi-
rekten Druck ausgeübt haben dürfte. (Taf. XL. XLI.)
II. Die Läsion liegt in den Centralganglien.
A) Eine hemiopische Pupillenreaktion ist vorhanden,
a) Fälle mit recurrenter hemiopischer Reaktion.
Fall g. Renschen (Carl L. C.) (Teil I. S. 211. T. II. S. 440).
Anfangs transitorische, dann permanente Hemianopsie, tran-
sitorische mehrmals recurrente hemiopische Pupillenreak-
tion, welche schliesslich permanent (V) wurde. Bei der Sek-
tion teils bilaterale grössere Veränderungen im linken Oc-
cipital- und rechten Parietallappen und in den Centrai-
windungen, teils Veränderungen des rechten Pulvinars und
des inneren Kniehöckers, wogegen der äussere Kniehöcker
nur wenig verändert war. Der pathologische Process war
hier eine sekundäre diffuse fortschreitende Bindegewebs-
wucherung im Gebiete des hinteren Abschnittes des Tractus.
(Taf. LIV. LV. LVI.)
Fall 10. Renschen (Elin Andersson) (Teil II. S. 413). Die
Reaktion wurde zweimal beobachtet. Bei der Sektion :
ausgedehnte Malacie in der linken Hemisphäre mit Zer-
störung des linken äusseren Kniehöckers und des Pulvinars.
(Taf. XLV. XLVL LVI.).
b) Fälle mit permanenter (?) hemiopischer Pupillenre-
aktion.
*) Haemorrhagie.
Fall II. Renschen (August Johansson) (Teil 1. S. 203). Nur
klinischer Fall. Infantile Hemiplegie nach einer in seinem
3:ten Jahre eingetroffenen Apoplexie, welche wahrschein-
lich durch eine Haemorrhagie in den Centralganglien ver-
ursacht war.
**) Encephalo-malacie.
Fall 12. Renschen (Jakobsdotter) (Teil. III. S. 71). Die Lä-
sion bestand in einer ausgedehnten Malacie mit Zerstörung
der Corona radiata bis in den Thalamus und ausserdem
eine Hremorrhagie, welche die Verbindung zwischen dem
Colliculus anterior und dem Thalamus aufgehoben hatte.
(Taf. XII. und VX-)
Fall 13. Knies. (Die Beziehungen des Sehorgans 1893. S. 58.)
Bei einem 64-jähr. Mann mit Atheromatose der Rirnarte-
rien war eine Sehstörung plötzlich aufgetreten, nämlich
rechts vom Fixirpunkt eine amblyopische Stelle (s. Orig.).
Eine hemianopisch verminderte Lichtreaktion, nach Knies
wahrscheinlich durch eine kleine Blutung entweder in das
central gelegene Bündel des Tractus oder wahrscheinlich
ins Corpus geniculatum externum (Schwiele?).
***) Geschwülste.
Fall 14. Dercum (Journal of mental and nervous diseases 1890.
S. 506. Ref. im Teil II. S. 270).
Hemiopische Pupillenreaktion wurde wiederholt be-
obachtet. Thalamus und besonders Pulvinar war durch ein
Gliosarcoma infiltrirt,' wie auch zum Teil Nucleus cauda-
tus; dagegen weder Corpora quadrigemina noch Tractus.
Da Thalamus hier bedeutend vergrössert war, lässt es
sich nicht bestimmen, ob die Reaktion durch die Infiltra-
tion des Thalamus oder den eventuellen Druck auf den
Tractus entstand.
B) Negative Fälle. Keine hemiopische Reaktion.
a) Malacie.
Fall Iß. Renschen (Westerberg) (Teil III. S. 23). Malacie im
Pulvinar und den Kniehöckern wie die Taf V. näher zeigt.
Ausserdem ausgedehnte Malacie der medialen Rinde des
Occipitallappens.
b) Gumma.
Fall 16. Renschen (Lovisa Olsson) (Teil III. S. 53). Gummöse
UEBER HEMIOPISCHE PUPILLENREAKTION
103
Geschwulst an der unteren Fläche des Pulvinars, die Knie-
höcker zerstörend. (Taf. VII. Fig. 5. 7.)
Fall 77. c) Ruel (Tubercul.quadrij. 1890). Eine vom hinteren
Vierhügel auf den äusseren Kniehöcker übergreifende Ge-
schwulst, ohne hemiopische Reaktion.
in. Tractus-Fälle.
A) Positive Fälle.
a) Encephalo-malacien.
Fall iS. Renschen (Jan Jansson) (Teil 1. S. 136). Die hemi-
opische Reaktion wurde wiederholt beobachtet. Die Sek-
tion zeigte eine ausgedehnte Malacie im Mark und in der
Rinde der rechten Hemisphäre und ausserdem eine fast mi-
kroskopische Läsion des rechten Tractus und des angren-
zenden Gebietes des Thalamus. (Taf. XXV. XXVI. und
im Teil III. Taf. IIL Fig. 1-4.)
Fall IQ. Leyden (Virchow's Festschrift 1891. III. S. 304).
Im Herbst 1890 rechtsseitige transitorische Hemiplegie,
^^/i 1891. Wiederholter Anfall von Apoplexie mit links-
seitiger Lähmung, Augenablenkung nach rechts und links-
seitiger Hemianopsie. Keine Sensibilitätsstörung, aber he-
miopische Pupillenreaktion. Am 4. Mai war diese nicht
mehr nachzuweisen, wohl aber am 8. Mai. Bei der Sek-
tion wurde ein Erweichungsherd im rechten Linsenkern
sowie in dem Hirnschenkel gefunden. Tractus ergriffen.
Fall 20. Martins (Charite Annalen 1887). Klinischer Fall, wo
die Hemianopsie, mit Hemiplegie, Hemianästhesi und Ocu-
limotoriusparalyse die Verlegung der Läsion zum Pedun-
culus cerebri und Tractus berechtigt.
Fall 21. Peters (Deutsche medic. Wochenschr. 1891. S. 1097).
Nach einer Schädelfractur eine t.efe Depression des Schä-
dels über dem Hinterhauptlappen mit Hemianopsie, Atro-
phie des Tractus und Strabismus. Fast vollständige he-
miopische Reaktion, besonders am rechten Auge.
b) Geschwülste.
Fall 22. Samelsohn (Berlin, klin. Wochenschrift 1890. N:o
14 und nach brieflicher Mitteilung 1894). Hemiachroma-
topsie mit Gesichtshallucinationen. »Gliosarcoma des Tractus
opticus mit Fortpflanzung auf Thalamus opticus und Vier-
hügel. Die Rinde wie die Sehstrahlung völlig frei.»
Fall 24. Oliver (Ophthalmie Review 1890. S. 268, American
Ophth. Soc. Ref. im Teil II. S. 268.)
Deutliche hemiopische Pupillenreaktion. Gliosarcoma
im Thalamus und Corpus striatum. Der linke Tractus
war bis zum Chiasma deutlich durch den Druck abgeplat-
tet. — Auch in diesem Fall ist es unmöglich zu bestim-
men, ob die Ursache der Pupillenreaktion zum Tractus
oder Thalamus zu lokalisiren sei.
Fall 25. Uhthoff (Über die bei der Syphilis des Centrainerven-
systems vorkom. Augenstörungen S. 226. 308. Auch in
Graefe's Archiv. Vol. 39. II. 172.). Klinischer Fall ohne Sek-
tion. Doppelseitige Hemianopsie. Die Pupillenreaktion war
nicht im strengen Sinne hemiopisch, sondern nur andeu-
tungsweise, indem die Pupillen bei seitlicher Beleuchtung
der ganzen blinden Retinahälften unter sonst gleichen Un-
tersuchungsbedingungen deutlich weniger lebhaft reagirten
als bei Beleuchtung der noch etwas sehenden Hälften. Es
wurde diagnosticirt: Tractus-affektion mit Übergreifen auf
das Chiasma.
c) Entzündungen.
Fall 26. Schmidt-RImpler (Arch. f. Augenheilkunde Bd. XIX.
1888). Abscess Im rechten Occipitallappen. Meningitis.
Rechts: Atrophie des Pulvinars und der Kniehöcker und
des Tractus zum Teil in Folge der Meningitis. — Unvoll-
ständige hemiopische Pupillenreaktion.
Wie weit die Entzündung auf die primären optischen
Centren eingewirkt hat, ist wohl ohne mikroskopische Un-
tersuchung unentschieden. Der Fall Ist für die Lokalisa-
tion der Pupillenfasern nicht brauchbar.
B) Negative Fälle.
Fäll 27. Morris (Ophth. Review 1890. S. 267. Medical Record
189 1. S. 391. Ref. im Teil II. S. 269). Ein grösserer
Defekt im oberen linken Quadranten, später vollständige
Hemianopsie. An der linken Seite war mehr als ein Qua-
drant blind und an der rechten beinahe die Hälfte, dessen
Rand schief und irregulär war. Keine hemiopische Pupil-
lenreaktion.
Ein Gumma bei der Vereinigung zwischen Crus ce-
rebri und dem Temporallappen streckte sich nach hinten
zur Aussenseite des Unterhorns; nach vorn und innen brei-
tete sich die Geschwulst bis zum Tuber cinereum aus und
umgab den Tractus, nach oben bis Zoll über das Pul
vinar, sie infiltrirte den Linsenkörper, den vorderen Ab-
schnitt der inneren Kapsel und streckte sich lateralwärts
bis zum Thalamus.
Die -Geschwulstmasse scheint erst spät den Tractus
erreicht zu haben (vgl. Teil II. S. 269. Bemerkung).
Fall 28. Remak (Neurol. Centralbl. 1890. S. 130).
Klinischer Fall: Partielle linksseitige Hemiplegie,
rechtsseitige Ptosis und Parese des rechten Rectus supe-
rior. Linksseitige Hemianopsie. »Spuren eines Lichtscheines
an einzelnen Stellen des Gesichtsfeldes scheinen noch vor-
handen zu sein.» Keine hemiopische Pupillenreaktion.
IV. Chlasma-Fälle.
A) Positive Fälle.
Fall 2Q. Seguin (Journal of mental and nervous diseases 1887.
S. 721). Khnischer Fall ohne Sektion. L. A. Blind. R. A.
Temporale Hemianopsie. Komplete Atrophie des linken,
inkomplete des rechten Auges. Keine anderen Symptome
eines Gehirnleidens,
Fall jo. Seguin (a. a. St. S. 724). Partielle Blindheit mit aus-
geprägter Atrophie der beiden Sehnerven. Bitemporale
Hemianopsie mit Verdunklung des oberen Quadranten des
linken Gesichtsfeldes. Keine anderen Symptome eines Ge-
hirnleidens. Hemiopische Reaktion am rechten Auge.
Fall ji. Seguin (a. a. St. S. 726). Beinahe vollständige Blind-
heit am rechten Auge. Temporale Hemianopsie am lin-
ken Auge. Partielle Atrophie der beiden Sehnerven. Keine
anderen Symptome eines Gehirnleidens.
104
S. E. HENSCHEN. PATHOLOGIE DES GEHIRNS
Fall J2. Gullstrand (mündliche Mitteilung). Bitemporale He-
mianopsie. Chiasmageschwulst.
J^f^^ 33- Asmus (Arch. f. Ophth. Bd. 39. 2. 1893). Klinischer
Fall. Akromegalie mit temporaler Hemianopsie, wahrschein-
lich in Folge einer Hypophysisgeschwulst. Bei Beleuchtung
der inneren Retinahälften keine Reaktion, dagegen eine
träge bei Beleuchtung der äusseren Hälften. Sehvermögen
stark herabgesetzt, besonders rechts.
Fall J4. Peretti (Hemianopsia bitemporalis traumatica in: 50
Beiträge. Festschrift zur Feier des Jubilceums des Vereins
d. Ärzte des Regierungsbezirkes Düsseldorfs. Bergmanns
Verl. 1894). Kopftrauma. Bitemporale Hemianopsie. Zuerst
normale etwas träge Pupillenreaktion; später verschlechterte
sich das Sehvermögen am linken Auge und erlosch schliess-
lich ganz. Erst jetzt konnte P. bei intensiver Beleuchtung
der temporalen (?) Netzhauthälfte eine immer deutlicher
werdende hemiopische Pupillenreaktion nachweisen.
B) Negativer Fall.
Fall j^. Story (Brit. med. Journ. 1891 31. Mai) Keine he-
miopische Reaktion. Rechts totale Erblindung, links tem-
porale Hemianopsie. Chiasmageschwulst.
[Fälle von Uhthoff, nicht näher beschrieben, wo er
eine hemiopische Reaktion vergebens suchte.]
[3 Fälle von Samelsohn mit hemiopischer Reaktion
— nicht näher beschrieben (briefl. Mitteilung 1894). Chi-
asmafälle?]
V. Opticus-Fall.
Fall j6. Wilbrand (briefliche Mitteilung 1894). Klinischer Fall
ohne Sektion. Zerreissung des linken Sehnervens in Folge
einer Schädelfraktur in der Nähe des Foramen opticum
mit monokulärer temporaler Hemianopsie auf dem linken
Auge. Rechtes Auge normal. Hemiopische Pupillenreak-
tion links.
Es liegt also eine recht bedeutende Anzahl von Beob-
achtungen über die hemiopische Reaktion vor; in einigen
Thailen fand sich die hemiopische Reaktion, in anderen fehlte
sie. Wenn auch die Anzahl nicht zureichend ist um die Be-
deutung der Reaktion in diagnostischer und anatomischer
Hinsicht endgültig zu beurteilen, so dürfte es doch ange-
messen sein, diese Fälle etwas näher zu analysiren, um einige
vorläufige Schlüsse aus ihnen zu ziehen.
Betrachten wir dann die mitgeteilten Fälle, so finden
wir zuerst im Falle i Berg, dass selbst eine ausgedehnte Ma-
lacie in der Rinde der occipitalen und parietalen Lappen nicht
von der Reaktion begleitet wird. Diese Malacie hatte nicht
Hemianopsie verursacht.
Im I*"alle 2 Stjernström fand sich eine Rindenmalacie in
den beiden Cunei und ausserdem verschiedene kleine Verän-
derungen in den Sehstrahlungen mit auffallender Einschränkung
der Gesichtsfelder. Keine hemiopische Pupillenreaktion.
Wenn ich zu diesen Erfahrungen lege, dass ich in einer
grösseren Anzahl von Fällen, welche nicht zur Sektion ka-
men, aber wo verschiedene pathologische Processe ausserhalb
der Sehbahn vorhanden waren, nicht eine hemiopische Reak-
tion angetroffen habe, so dürfte der Schluss wohl berechtigt
sein, dass selbst grosse Malacien der occipitalen SehbaJui oder
der Rinde der Occipito-parietallappen iibcrJiaupt nicht Jicnii-
opiscJie Reaktion hervornifen.
Der Fall 6 vervollständigt diese klinische Erfahrung. Hier
drang, wie die Fig. 2 Taf. XXXIX. vermuten lässt und die
mikroskopische Untersuchung nachwies, die Malacie bis in
die unmittelbare Nähe der frontalen Sehbahn (3 m.m. vom
Kniehöcker entfernt) ohne die Bahn unmittelbar zu berühren;
der Kniehöcker war entzündlich afficirt, aber der Tractus
unberührt und doch fehlte die hemiopische Reaktion.
In den Fällen 3 — 5 haben wir mit grossen uni- und bi-
lateralen Geschwülsten zu thun, welche den hinteren Abschnitt
der Sehbahn direkt oder indirekt berühren und ausserdem ein
grösseres Gebiet des Marks und der Rinde einnehmen. In
den Fällen 3 — 4 ist die Sehbahn zerstört, im Pralle 5 dagegen
durch Druck unmittelbar hinter den CentralCTan<jlien zusam-
o o
mengedrückt. Im keinem von diesen P'ällen war die Reaktion
vorhanden. Geschwülste in der occipitalen Sehbahn oder im
Occipital-, Temporal- oder Parietallappen rufen also im Allge-
meinen keine hemiopische Reaktion hervor. In einem von
diesen Fällen (Fall 4) war jedoch ein deutlicher, wenn auch
nicht sehr starker Druck auf das Pulvinar wie auch auf den
hinteren Abschnitt des Colliculus anterior ausgeübt und doch
blieb die Reaktion aus.
Gehen wir so zu den Fällen 7 und 8 über, so finden
wir, dass auch hier, wo grösse circumscripte oder diffuse Ge-
schwülste vorhanden waren und den mittleren Abschnitt des
Gehirns einnahmen, die Reaktion doch nicht im Allgemeinen
vorhanden war. Aber im Falle 7, wo die Geschwulstmassc
bis zur unmittelbaren Nähe des Tractus und Corpus geni-
culatum externum vorgedrungen war, trat die Reaktion in den
letzten Tagen des Lebens, obschon nur schwach, ein. Die
Fig. 4 Taf VI. und die Fig. i. Taf VII. zeigen, dass die
Geschwulstmasse zu dieser Zeit kaum ein m.m. von der fron-
talen Sehbahn entfernt war. Ihr Einfluss auf diese ist also
ausser Zweifel gesetzt, wenn sie auch nicht durchbrochen wor-
den war.
Im Falle 8 Anna Olsson (II. Teil S. 370) war ein
Tumor diagnosticirt. Während der letzten Tage tritt nun
eine inkomplete Hemianopsie der unteren Quadranten bei den
Kongestionsanfällen der Pat. auf Es wurde diagnosticirt, dass
ein Tumor von oben aussen auf die Sehbahn drückte, aber
ich musste unentschieden lassen, ob der Tumor vor oder hinter
dem Corpus geniculatum externum lag. Dann trat zwei Tage
vor dem Tode der Pat. während eines Anfalles eine unvoll-
ständige hemiopische Pupillenreaktion gleichzeitig mit dem
Erscheinen des hemianopischen Defektes auf. Deutlicher war
die Reaktion in derselben Nacht als die Pat. während eines
solchen Anfalles verschied. Die Pat. war dann benommen,
und es war unmöglich festzustellen, ob der hemianopische
Defekt quadrantisch oder total war.
Hier lag die Geschwulst von der Sehbahn recht entfernt.
Die sehr begrenzte fibröse Geschwulst, welche von der Dura
ausging und überhaupt mit der Hirnrinde oder den Meningen
nicht zusammengewachsen war, drückte gegen die Fossa Syl-
UEBER HEMIOPISCHE PUPILLENREAKTION
105
vii. Unter gewöhnlichen Umständen übte sie keinen merk-
baren Druck auf die Sehbahn aus, aber bei den Kongestions-
anfällen entstand der partielle quadrantische Defekt im unteren
Gesichtsfelde und nun trat während der Anfälle die hemiop-
ische Pupillenreaktion auf
Durch diese Eigentümhchkeiten wird dieser Fall beson-
ders lehrreich und zugleich einzelstehend.
Wir gehen einen Schritt vorwärts, wir gehen zu den
Fällen der Gruppe III über. Hier berührt die Läsion den
Tractus opticus. Mehrere interessante Fälle kommen in dieser
Gruppe vor. Der Fall 20 Martius ist ein klinischer Fall, wo
also die Diagnose einer Tractus-afifektion zwar sehr wahr-
scheinlich erscheint, jedoch nicht durch Sektion kontrollirt
wurde.
Dagegen sind mehrere Fälle durch Sektion kontrollirt.
Der eine (Fall 16) ist von Leyden beobachtet. Das Vorhan-
densein der jedoch nicht konstanten Reaktion wurde durch
eine vom Linsenkern auf den Tractus übergreifende Malacie
erklärt. Eine genauere mikroskopische Untersuchung scheint
nicht vorgenommen worden zu sein. Der zweite Fall, welcher
überhaupt einer der ersten durch Sektion kontrollirten Fälle
von hemiopischer Reaktion war, ist von mir beobachtet und
hatte für mich persönlich ein besonderes Interesse. Der schon
im Teil I. dieses Werkes mitgeteilte Fall zeigte eine deutliche
hemiopische Reaktion, aber die Sektion zeigte (vgl. Taf. XXV.
und XXVI.) anscheinend nur eine ausgedehnte Malacie, vor-
zugsweise im Parietallappen, während in den Centralganglien
und im Tractus keine makroskopische Veränderung zu Tage
trat (vgl. Teil I. S. 139). Erst später entdeckte ich unter
dem Mikroskope eine kleinere Veränderung im Thalamus,
welche auf den Tractus übergriff.
Eine Beschreibung der Veränderungen möchte hier als ein
Anhang zum Sektionsbericht (Teil I. S. 136) Platz finden.
Fall 20. Jan Janssen. Makroskopisch waren die Central-
ganglien an ihrer Aussenfläche gar nicht verändert, aber beim
Durchschneiden wurde im vorderen Abschnitt eine kleine Mala-
cie in der unmittelbaren Nähe des Tractus opticus angetroffen.
Um die genaue Lage dieser Malacie zu studiren, wurden die
Centralgangligen zuerst in horizontaler Richtung in i-m.m. dicke
Scheiben geschnitten und für jeden Millimeter einige mikroskop-
ische Schnitte zur Färbung herausgenommen, dann wurden die
i-m.m. dicken Scheiben mit Celloldin zusammengefügt und die
Centralganglien in vertikale Schnitte zerteilt. Auf diese Weise
war es möglich die Lage der fast mikroskopischen Malacie im
Verhältnis zum Tractus sowohl in vertikaler als in horizontaler
Richtung zu bestimmen. (Taf. III. Fig. i, 2 Horizontalschnitte,
Fig. 3, 4 Frontalschnitte.)
Die Malacie im Thalamus ist am grössten etwas dorsal
vom Tractus. Sie misst etwa 9 m.m. in der Länge, 2 in der
Breite, hat also eine längliche Form und liegt in der innersten
Portion des Linsenkerns dem lateralen Rande des Pes entlang
und schneidet mit einer dreieckigen 2 m.m. breiten Spitze etwa
12 m.m. frontal von hinteren Ende des Pes in ihn hinein und
hindurch ohne den Thalamus zu berühren (Fig. i, 2). Weiter
dorsalwärts hört sie auf und erreicht den dorsalsten Teil des Tha-
lamus gar nicht. In der Höhe des Tractus liegt die Malacie
S. E. II e n s c Ii e u. Pathologie de!; Gehirns.
im lateralen Rande des Pes und des Thalamus und schneidet in
den medialen Rand des Tractus etwas ein, wie die Fig. i, 4
näher zeigen. Die Malacie überschreitet dabei nicht '/3~'/ides
Umfanges des Tractus. Die frontale Grenze der Malacie liegt
am Tractus etwa 17 m.m., die occipitale etwa 13 m.m. vor dem
frontalen Rande des äusseren Kniehöckers. (Fig. i.)
Wie die Malacie sich zum Tractus verhält, geht weiter aus
den vertikalen Schnitten (Fig. 3, 4) hervor. Hier finden wir an
den am meisten frontalen Schnitten (Fig. 3), dass die Malacie
dem Tractus ganz nahe liegt, ohne auf ihn Uberzugreifen; an
mehr occipitalen Schnitten sieht man, dass der Tractus in seinem
oberen medialen Umfange zwei kleine (0,5 m.m.) verfärbte de-
generirte Fleckchen zeigt (Fig. 4 atr.). Das an der lateralen
Spitze liegende weisse Fleckchen ist keine Degeneration, sondern
bezeichnet den Durchtritt eines Gefässes.
Mikroskopisch findet man die malacische Höhle mit Körn-
chenzellen erfüllt, aber auch unmittelbar lateral vom Tractus
finden sich solche Ansammlungen. Die Grenze der Malacie ist
überhaupt scharf. Im Rande des Tractus findet sich eine An-
zahl mehr oder weniger degenerirter Nervenfasern. Normale
Fasern fehlen in dem dorso-lateralen degenerirten Fleckchen des
Tractus fast vollständig, aber am dorso-medialen sind noch zahl-
reiche wenig veränderte vorhanden. Die Hauptmasse des Trac-
tus wird von ganz normalen Fasern gebildet. Diese färben sich
sehr schön und zeigen keine abnormen Varicositäten.
In Anbetracht der wiederholt beobachteten hemiopischen
Reaktion und der genauen Untersuchung der mikroskopischen
Veränderung im Tractus scheint der eben beschriebene Fall
für die Lehre von der hemiopischen Reaktion von besonderer
Wichtigkeit. Eine mikroskopische Malacie im dorso-medialen
Umfange des Tractus genügt also um die Reaktion hervor-
zurufen, und die klinische Beobachtung hat nachgewiesen,
dass bei jener Lage der kleinen Erweichungen die Reaktion
zwar an beiden Augen erscheint, aber auf dem linken Auge
besonders stark hervortritt, bedeutend schwächer auf dem
rechten. (Ein mis,sleitender Druckfehler findet sich Teil I.
S. 137. 8 Zeile: von der »linken» Seite, soll von der »rechten»
Seite sein.)
Während der Fall also zuerst überhaupt im Widerspruch
mit der Wernicke'schen Theorie stand (vgl. Teil I. S. 139),
wurde er später nacJi der mikroskopischen Untersuchung ein
schlagender Beweis für ihre Richtigkeit.
Zwischen meinem Fall und dem Leyden'schen besteht
also volle Übereinstimmung.
Was die Fälle 26 Schinidt-Riiiiplcr und 21 Peters betreften,
so haben sie das gemeinsam, dass in beiden ein Trauma über
dem Hinterlappen mit Depression des Schädels und mit wie
es scheint in beiden Fällen nachfolgender Meningitis die He-
mianopsie hervorgerufen hat. Eine Atrophie des Tractus
ist zugekommen sowie eine hemiopische Reaktion. In dem
Schmidt-Rimpler'schen Falle waren die subkortikalen Seh-
ganglien zum Teil verzerrt und der meningitische Process
war bis in ihre Nähe vorgedrungen. Wie die Sache sich
im Peters'schen Falle verhält, ist ungewiss, da der Pat. noch
im Leben ist. Es ist nun sehr wahrscheinlich, dass die Atro-
phie des Tractus in den beiden Fällen durch die begleitende
14
106
S. K. HENSCHEN. PATHOLOGIE DES GEHIRNS
Meningitis hervorgerufen war, und nicht als eine sel<undäre
betrachtet werden soll. In Anbetracht dieser Umstände und
da keine mikroskopische Untersuchung des ersten Ealles vor-
genommen ist, können diese Fälle überhaupt nicht genauer
anal3'sirt werden. Die hemiopische Reaktion wird wahrschein-
lich durch das Übergreifen des meningitischen Processes auf
den Tractus oder auf die Centraiganglien verursacht. Die
Ansicht Peters' dass bei einer Läsion der occipitalen Sehbahn
die Reaktion dann eintritt, wenn eine sekundäre Atrophie
des Tractus der Läsion des Occipitallappens folgt, ist nicht
aufrechtzuhalten, da die Pupillenfasern im Tractus gewiss
nicht nach einer solchen Läsion sekundär atrophiren, sondern
nur die visuellen Fasern des Tractus. Greift aber der pa-
thologische Process direkt auf den Tractus i.iber, dann kön-
nen auch die Pupillenfasern atrophiren, und dann möchte eine
hemiopische Reaktion eintreten.
Gehen wir also zu den Geschwülsten über. Der Fall 22
Sainciso/m, wo nach einer brieflichen Mitteilung die Reaktion
sich vorfand, zeigte eine auf den Tractus übergreifende Ge-
schwulst. Der Fall ist nicht ganz klar, indem nach der
klinischen Beobachtung keine Hemianopsie, sondern nur eine
Hemiachromatopsie vorlag. Da weder eine eingehende kli-
nische Untersuchung noch ein genauerer Sektionsbericht vor-
liegt und eine mikroskopische Untersuchung, wie sich die
Geschwulst dem Tractus gegenüber verhält, wie es scheint,
nicht vorgenommen ist, so entzieht sich der Fall jeder Kri-
tik, bis ausführlichere Auskunft vorliegt. Wenig beweisend ist
der U/itkoff' fic\\Q Fall 25, wo eine Tractusafifektion mit Über-
greifen auf das Chiasma infolge Syphihs klinisch diagnosticirt
war. In Anbetracht des Fehlens der Sektion entzieht sich
der Fall der Kritik. Die Reaktion war nur eine unvoll-
ständige.
Dagegen steht der Norris' sehe. Fall N:o 27 in schein-
barem Widerspruch mit der Theorie, aber nur scheinbar.
Hier war zuerst nur eine Ouadranten-hemianopsie vorhanden,
später eine vollständige Hemianopsie. Eine hemiopische Re-
aktion trat bei der Prüfung zwar nicht ein; aber aus der Be-
schreibung des Falles geht nicht hervor, wann die Unter-
suchung auf die Pupillen-reaktion vorgenommen wurde, ob
im Stadium der Quadranten-heraianopsie oder in dem der
vollständigen Hemianopsie. Dass eine hemiopische Reaktion
selb.st bei Quadranten-hemianopsie deutlich genug hervortre-
ten kann, weist mein P'all 8 Anna Olsson (Teil II. I-^all 38.
S. 368. Teil III. S. 102). Ihr Nicht-erscheinen wird aber
durch die Schwierigkeit der L^ntersuchung leicht erklärlich,
denn nur in dem Falle, dass der schräg in das Auge ein-
geworfene Lichtkegel ausschliesslich den hemianopischen Qua-
dranten der Retina trifft, kann man eine deutliche hemiop-
ische Pupillenreaktion erwarten.
Ausserdem wurde meines Wissens keine mikroskopische
Untersuchung über die Ausdehnung der Geschwulst vorge-
nommen. Es lässt sich denken und der Fall Jan Jansson
(Taf. III. Fig. 4) scheint es anzudeuten, dass die Pupillen-
fasern im Tractus ein besonderes Bündel am dorso-medialen
Rande bilden. Nur wenn die Geschwulst dieses Bündel zer-
stört, muss die hemiopische Reaktion eintreten. Beim Fehlen
einer mikroskopischen Untersuchung, lässt der Fall sich nicht
kritisiren.
Der Norris'sche I'all braucht also nicht in Widerspruch
mit den übrigen Fällen zu stehen.
Es fragt sich dann, welche Läsionen der Centrnlganglicn
von der Reaktion begleitet werden. Hier treten uns misslichere
Verhältnisse entgegen, und zwar deswegen, weil die anato-
mische Untersuchung dieser Fälle überhaupt unvollständiger
als in den vorigen P'ällen ist und auch anscheinend einander
widersprechende Befunde vorliegen.
Was dann zuerst den Fall 14 Dcrcinn betrifft, so war hier
sowohl Thalamus wie Pulvinar durch eine Geschwulstmasse
infiltrirt. Ob hier die Reaktion durch den auf den Tractus
ausgeübten Druck oder durch die Infiltration des Thalamus
(resp. Pulvinar) hervorgerufen wurde, ist wohl ungewiss; je-
denfalls erklärt die Infiltration an und für sich genügend das
Erscheinen der Reaktion, giebt aber keine nähere Auskunft
über die wichtige P'rage, wo die centrii3etalen Pupillcnfasern
in den Centraiganglien verlaufen.
Wie schon bemerkt wurde, gehört vielleicht auch hiehcr
der Fall N:o 24 Oliver.
Ob mein klinischer Fall N:o 1 1 August Johansson hicher
gehört oder nicht, ist beim Fehlen einer Sektion nicht zu ent-
scheiden.
Dagegen hatte ich Gelegenheit in drei Fällen bei Sek-
tion Läsionen in den Centralganglien anzutreffen. Diese sind
die Fälle N:o 9 Carl L. C, 10 Elin Andersson und 12 Lena
Jakobsdotter. Betrachten wir zuerst die ersten zwei Fälle.
In klinischer Beziehung sind sie schon aus dem Grunde be-
merkenswert, dass die Reaktion transitorisch war; in diesem
wurde sie zweimal beobachtet um dann zu verschwinden, in
jenem wurde das Auftreten und Verschwinden wiederholt
beobachtet.
Im Falle Carl L. C. (Fall 35 Teil I. S. 208) war bei der
Aufnahme des Status am ^^/lo 1887 eine rechtsseitige He-
mianopsie und linksseitige Hemiplegie nach einer Apoplexie
am 23. Sept. s. J. vorhanden. Diese Hemianopsie war
verschwunden, '''/la wurde der Pat. von einem neuen Insult
getroffen und nun trat von neuem die Hemianopsie hervor
um schon am ^*/i2 zu verschwinden. W'iederholter Insult am
^"/'i 1888 rief abermals die Hemianopsie hervor, welche schon
Anfang Februar vermindert war. So traten immer neue von
Hemianopsie begleitete Insulte ein. Nach einem in der Nacht
des ^/n eingetretenen Insulte wurde nun zum ersten Male die
hemiopische Pupillenreaktion beobachtet. Schon am Abend
desselben Tags war die Reaktion jedoch undeutlicher und
am "/ii konnte sie nicht mehr wahrgenonmien werden. Am
"^/2 1889 wurde nach einem Anfalle, und ebenso im April
und Mai s. J. nach neuen Hirninsulten dasselbe Phänomen
beobachtet. In diesem Jahre wurde die Hemianopsie konstant,
aber die hemiopische Pupillenreaktion konnte nicht wahrge-
nommen werden (vgl. S. 213).
Im Jahre 1890 wiederholten sich die epileptiformen An-
fälle (II. S. 440) und linksseitige Hallucinationen traten dabei
auf Bei Prüfung auf die Wernicke'sche Pupillenreaktion war
der Ausschlag gewöhnlich negativ, aber unmittelbar nach den
UEBER HEMIOPISCHE PUPILLENREAKTION
107
Anfällen positiv. So z. B. am ^^/a und ^^/a 90 epileptiforme
Anfälle ; gleich nach dem Anfalle deutliche Wernicke'sche
Reaktion; ^°/9 zwei Anfälle aber die Reaktion verschwunden;
^'/a ein Anfall, keine hemiopische Reaktion. Am '^/i2 1891
neuer Anfall um 5 v. M. Um 1 1 v. M. hemiopische Re-
aktion. ''/12 Neuer Anfall. '''/12 hemiopische Reaktion, ebenso
und ^^/i 1892; ^*/2 und ^/a Anfälle mit hemiopischer Re-
aktion. Verschied am ^^/a.
Bei der Sektion fand sich eine durch das Pulvinar und
Corpus geniculatum internum verlaufende Narbe (S. 445. Taf.
LIV. Fig. 4). Das Pulvinar war in narbiges Gewebe ver-
v/andelt; dagegen war der äussere Kniehöcker nur wenig an-
gegriffen und nur seine ventro-laterale Spitze war atrophisch.
Das Brachium anterius war in Bindegewebe umgewandelt.
Der Tractus opticus war im Ganzen wenig reducirt, in der
Nähe des äusseren Kniehöckers zeigt der Durchschnitt eine
nicht unbeträchtliche Neubildung von Bindegewebe.
Hier finden wir einen ersten Fall mit temporärer hemi-
opischer Pupillenreaktion. Nach fast jedem Insulte konnte
die Hemianopsie beobachtet werden und verschwand nach
wenigen Tagen. Nach einer Reihe von epileptiformen Insulten
wurde die Hemianopsie erst nach etwa 2 Jahren konstant; die
hemiopische Pupillenreaktion scheint anfangs nur bei den Kon-
gestionsanfällen eingetreten zu sein. Hier ist also das Auf-
treten und Verschwinden der Reaktion ebenso intressant wie
der Wechsel der Hemianopsie. Die Deutung dieser Verhält-
nisse bietet keine Schwierigkeiten. Die Anfälle wurden durch
Kongestionen oder Blutungen hervorgerufen. Die Hemianopsie
wie die Pupillarreaktion war Anfangs ein Druck- oder Reiz-
symptom von der Sehbahn aus, welches sobald die Konge-
stion verschwand oder der Druck der Blutung nachUess, auf-
hörte.
In dem zweiten Falle N:o 10 (Teil II. S. 394) Elin An-
dersson war auch eine Hemianopsie in Folge der Zerstörung
der Sehstrahlung vorhanden; aber ausserdem fand sich hier
bei der Sektion eine Läsion des Corpus geniculatum externum
und eine sekundäre Atrophie des linken Tractus. Nachdem
Pat. schon am '^'^jn 1886 von einem schweren apoplektischen
Insulte getroffen war, wodurch sie aphasisch, hemiplegisch
und hemianopisch wurde, kamen während des Aufenhalts der
Pat. in meiner klinischen Abteilung in den Jahren 1887 und
1888, 1889 und 1892 wiederholte epileptiforme Anfälle vor,
gleich wie im vorigen Falle.
Am ^^/lo 1889 trat ein ähnlicher Krampfanfall während
nur 5 — 10 Minuten auf. Gleich darnach war Pat. bei Bewusst-
sein und nun wurde eine hemiopische Pupillenreaktion wahr-
genommen, welche schon nach einigen Tagen verschwand.
Auch später wurde diese Reaktion vorübergehend beobach-
tet. Bei kurz vor dem Tode vorgenommener Untersuchung
konnte keine solche Reaktion wahrgenommen werden, ob-
wohl bei der Sektion eine nicht unbedeutende Läsion des
rechten Corpus geniculatum externum und des rechten Pul-
vinars (S. 403) vorhanden war (Taf. LVI. Fig. 7).
Der zuerst angeführte Fall (Carl L. C.) ist zweideutig,
kann aber beweisen, dass eine Zerstörung des eigentlichen
Pulvinars nicht von einer hemiopischen Reaktion begleitet
wird, wenn nämlich die Bindegewebeumwandlung des Pulvinars
älter als die Reaktion war, in dem zweiten Falle (Taf. LVI.
Fig, 7) war das Pulvinar auch verödet, wie auch der äussere
Kniehöcker ,07/w Tf// zerstört.
Der dritte Fall 12 Jakobsdotter (Teil III. S. 71) bietet
auch Veränderungen in den centralen Ganglien dar. Zwar ist
hier das Corpus geniculatum externum zum grössten Teil zer-
stört, aber die Hauptläsion in der Opticusbahn bildet doch eine
grosse haemorrhagische Cyste, welche einen bedeutenden Teil
des Pulvinars, den inneren und zum Teil den äusseren Knie-
höcker zerstört hat und vor allem den Colliculus anterior von
der Verbindung mit dem Pulvinar getrennt hat. Die Fig. 7 — 9
an der Taf V. zeigen dies besser als eine Beschreibung. Hier
wurde nun eine hemiopische Pupillenreaktion wahrgenommen.
Es Hegt am nächsten anzunehmen, dass die Pupillarfasern im
oder kurz vor dem Brachium anterius durchschnitten sind,
aber zi/6'un sie an der Oberfläche des Kniehöckers oder im
äusseren oder inneren Kniehöcker verlaufen, so können sie
auch hier abgeschnitten sein. Da ausserdem auch in der
Nähe des Tractus kleine Cysten vorhanden sind, so lässt sich
der Fall nur mit Reserve für die Lokaldiagnostik verwerten.
Auch Fälle, wo ungeachtet Veränderungen im hinteren
Abschnitte des Thalamus (resp. Pulvinars) die Reaktion nor-
mal (resp. nicht-hemiopisch) war, sind — ich kann wohl sagen
leider — von mir beobachtet. Im Falle 15 Westerberg finden
sich nicht unbedeutende Veränderungen im hinteren Segment
des Thalamus (resp. Pulvinars). Die Lage dieser Zerstörungen
geht am besten aus den F"ig. i — 5 Taf V. hervor. P^s wird
überhaupt recht schwierig in diesem Falle das Ausbleiben
der Reaktion zu erklären (vgl. unten).
Auch im Falle 16 Lovisa Olsson (Teil III. S. 51) (Taf.
VII. Fig. 5 — 7) kann es schwierig sein das Nichtvorhandensein
der Reaktion zu erklären, wenn die Fasern an der Oberfläche
des inneren Kniehöckers verlaufen (vgl. unten).
Zu diesen unklaren Fällen gehört auch ein Fall von Knies
N:o 13 mit Andeutung einer hemiopischen Reaktion aber ohne
Hemianopsie. Da indessen dieser Fall nur klinisch beobachtet
ist, so ist überhaupt eine Verwertung des sonst intressanten
Falles vorläufig nicht möglich. Die Deutung von Knies scheint
mir ebenso unwahrscheinlich wie seine Theorie, dass bloss
die makularen Fasern des Tractus mit dem äusseren Knie-
höcker zusammenhängen. Eine solche Theorie entbehrt z. Z.
meines Erachtens der thatsächlichen Grundlage (s. im Teil I.
und II zahlreiche Fälle wie z. B. Fall 2) und ist übrigens
unwahrscheinlich. (Vgl, Knies a. O. S. 58 u. s. w.)
Lehrreich ist dagegen der Fall von Riiel (S. 103), wo
eine sich vom hinteren Vierhügel entwickelnde Geschwulst
auf den äusseren Kniehöcker übergriff, ohne dass eine hemi-
opische Pupillenreaktion vorlag — ein Befund, der unten ver-
wertet werden wird.
Lassen wir damit vorläufig dieses schwierige Gebiet,
um bei der Betrachtung der anatomischen Seite der Sache
dorthin zurückzukehren, und wenden wir uns zu den Chiasuia-
fällcn, so ist es einleuchtend, dass diese überhaupt klarer
und einfacher liegen. Die Lokaldiagnose ist in allen Fällen
mit bitemporaler Hemianopsie gesichert. Diese sind die 3
Fälle 29 — 33 von Segidn und je ein von Gullsirand und
108 S. E. HENSCHEN. PATHOLOGIE DES GEHIRNS
Asmiis. Diese Fälle stimmen darin mit einander überein, dass
die bitemporalc Hemianopsie mit einer hcmiopischen Reak-
tion verbunden war.
Schwieriger wird es die negativen Fälle zu erklären. In
Story's Falle wurde eine Chiasmagcschwulst diagnosticirt, aber
da Fat. noch lebte (1891), weiss man nicht ob das Chiasma
durch die Geschwulst infiltrirt war oder nicht. Der Fall be-
weist also überhaupt nichts.
Von weit grösserer Bedeutung scheint es, dass Uhthoft'
ungeachtet seiner umfassenden Erfahrung über mit Opticus-
atrophie begleitete Fälle von Chiasmagummata (resp. Syphi-
lis) nie einen Fall mit hemiopischer Reaktion beobachtet hat,
ausgenommen in dem Falle N:o 25, wo eine unvollständige
Reaktion wahrgenommen wurde.
In nächster Beziehung zu diesen Cliiasmafällen steht
auch ein klinischer Fall 28 von Rcinak. wo beim Vorhanden-
sein einer Hemianopsie in Folge eines diagnosticirten Gumma
(resp. Syphilis) an der Basis Cranii (resp. Tractus) die hemi-
opische Reaktion fehlte. In Anbetracht der oft unregelmäs-
sigen Ausdehnung der gummatösen Geschwülste (vgl. Uhthoff
über die bei der Syphilis etc. S. 250) und des Fehlens einer
Sektion verzichte ich auf eine Disku.ssion des Falles und be-
merke nur, dass viellciclit (s. unten) im Tractus die centripe-
talen Pupillenfasern ein besonderes Bündel bilden und von
der Geschwulst nicht beeinträchtigt waren. Remak erklärt
den Fall durch das Vorhandensein einer Spur von Lichtschein
in der blinden Retinahälfte. (Neurol. Centraiblatt 1890.)
Pcrcttrs P'all 34 unterscheidet sich von den vorigen
hauptsächlich in ctiologischcr Hinsicht (Trauma) und dadurch,
dass die hemiopische Reaktion erst nach lirblindung des
Auges eintrat, was wohl darauf deuten kann — was auch
Peretti erwähnt — dass die hemiopische Reaktion infolge von
Diffusion des Lichtes auf die sehende Retinahälfte au.sbleiben
kann, selbst wenn die centripetalen Pupillenfa.sern einseitig
beeinträchtigt sind.
Endlich hat nach brieflicher Mitteilung SainclsoJin 3
Fälle mit hemiopischer Reaktion in dem Ärzte-Verein in Bonn
mitgeteilt, über welche jede nähere Auskunft leider fehlt.
Von hemiopischer Pupillenreaktion bei Opticusläsion
scheint nur ein Fall vorliegen, nämlich der Fall von Wil-
brand, welcher noch nicht publicirt ist. Dass hier eine Hemi-
läsion vorliegt, geht aus dem Vorhandensein einer monoku-
laren Hemianopsie hervor. Der Fall deutet auf eine be-
stimmte anatomische Beziehung zwischen den pupillaren und
visuellen Opticusfasern.
Es liegt also schon eine bedeutende Kasuistik über
Fälle mit hemiopischer Pupillenreaktion vor. Es existirt kein
Zweifel mehr, dass in der That diese Reaktion vorkommen
kann, wenn auch hervorragende Auktoritäten auf dem Ge-
biete der Ophtalmologie ihr Vorhandensein oder selbst Mög-
lichkeit leugnen. Bei dem Kongresse in Rom d. J. (1894)
bezweifelten verschiedene Augenärzte ihre Existenz.
Eine kurze Ubersicht ihrer lokaldiagnostischen Bedeutung
dürfte hier am Platze sein.
I. Die H.R. (= hemiopische Reaktion) tritt nicht auf
ä) bei Malacien im Occipital-, Parietal- oder Temporal-
lappen. (Fälle I — 2.)
a) selbst wenn sie sehr gross sind, oder
ß) die Malacie bis in die Nähe des Kniehöckers vor-
gedrungen ist (Fall 6).
b) bei Geschwülsten in den erwähnten Teilen,
7.) selbst wenn sie ausgebreitet sind (Fälle 3 — 5) oder
ß) die Sehstrahlung zerstört haben (Fall 3 — 4),
Y) oder einen leichteren Druck auf das Pulvinar
S) oder die Vierhügel von hinten ausgeübt haben.
II. ä) Wenn eine Geschwulst in die unmittelbare Nähe der
frontalen Sehbahn vorgedrungen ist, kann eine undeut-
liche oder unvollständige H.R. entstehen, selbst wenn
die frontale Bahn nicht abgeschnitten ist (Fall 7).
b) Plbcnso kann (ausnahmsweise?) eine grö.sserc Ge-
schwulst von der Fossa Sylvii aus auf den Tractus
so stark drücken, dass U.R. entsteht, wenn zugleich
der intrakranielle Druck hochgradig gesteigert ist
(Fall 8).
III. Die H.R. entsteht in der Regel bei Läsionen im Tractus
(Fall 18—20), selbst wenn sie sehr klein sind (Fall 17).
IV. Die Läsion des äusseren Kniehöckers scheint nicht die
H.R. hervorzurufen.
a) wie z. B. wenn der Kniehöcker entzündlich affizirt
ist (Fall 6),
b) oder durch ein Gumma (Fall 16) oder andere Ge-
schwulst (Fall 17),
c) oder durch eine Malacie ergriffen ist (Fälle 10, 15).
V. Ob eine FI.R. durch eine Affektion des inneren Knie-
höckers entstehe ist noch nicht entschieden.
VI. Die H.R. scheint durch die Zerstörung des Pulvinars
nicht zu entstehen, weder
a) bei Malacie und Narbenbildung etc. (Fall 9? 10, 15, 16)
b) oder bei einem leichten Druck auf das Ganglion
(Fall 4).
VII. H.R. bleibt bei Zerstörung der hinteren Vierhügel aus
(Fall 17).
VIII. H.R. ensteht
d) bei ausgedehnter Geschwulstinfiltration des hinteren
Abschnittes des Thalamus und Pulvinars (Fall 14).
(Druck auf den Tractus?)
b) bei ausgedehnter Zerstörung dieses Gebietes, Fall
12 (durch Zerstörung des Brachium anterius?).
IX. H.R. entsteht bei Chiasmaaffektionen (besonders Syphilis)
mit bitemporaler Hemianopsie (Fälle 29, 30, 31, 32, 33)
bleibt doch dabei oft aus, aus unbekannten Gründen,
wie z. B. bei Hypophysis-Geschwülsten ? (Fall 35) oder
Syphilis (Uhthoff 's Erfahrungen).
X. H.R. kann nach Fractur in der Nähe des Foramen
orbitale mit monokulärer Hemianopsie vorhanden sein
(Fall 34).
In wie weit die H.R. von lokaldiagnostischer Bedentung
ist geht aus dieser kurzen Übersicht der Kasuistik hervor.
Wenn man die den übrigen anscheinend widersprechenden
Fälle N:is 15, 16, 27 und 35 genau analysirt, so dürfte man
wohl zu der Ansicht kommen, dass sie wohl zu erklären
UEBER HEMIOPISCHE PUPILLENREAKTION
109
sind. Jedenfalls sind alle diese von negativer Art (eine H.R.
ist in diesen nicht gefunden) und es lässt sich selbst denken,
class in einigen das Ausbleiben der Reaktion auf fehlerhafter
Untersuchung beruht, indem vielleicht der in das Auge ein-
geworfene Lichtkegel selbst die Macula lutea oder das von
den beiden Hemisphären inncrvirte überschüssige Gesichtsfeld
gereizt hat.
Und damit lasse ich die klinische Seite dieser Frage,
um die anatouiische zu behandeln.
Die Frage nach dem Verlaufe der ceniripetaleii Pitpillcn-
fasern hat sowohl ein theoretisches wie ein praktisches In-
teresse. Erst wenn man den anatomischen Verlauf dieser
Fasern kennt, wird man im Stande sein die diagnostische
Bedeutung der Pupillenveränderungcn im speciellen Falle
diagnostisch zu verwerten.
Die Lehre von der hemiopischen Pupillenreaktion geht
von der Voraussetzung aus, dass es besondere Pupillenreflex-
fasern giebt und dass diese sich im Chiasma ähnlich wie die
übrigen Opticusfascrn hinsichtlich der Kreuzung verhalten,
dass also auch eine Partialkreuzung dieser F"asern stattfindet
und dass sie nach dieser Kreuzung im Tractus-Strange mit
den übrigen Opticusfascrn verlaufen. Ein solches Verhältnis
scheint auch a priori am wahrscheinlichsten und das blosse
Auftreten der hemiopischen Pupillenreaktion ist im höchsten
Grade geeignet eine solche Auffassung zu bestätigen. Der
anatomische Beweis für die Richtigkeit dieser Ansicht dürfte
jedoch bisher nicht geliefert worden sein. Auf dem ana-
tomischen Wege ist es meines Wissens noch nicht gelungen
die centripetalen Pupillenfasern von den übrigen zu isoliren,
oder ihrem Verlauf in der vorderen Sehbahn zu folgen. Und
auf rein anatomischem Wege dürfte überhaupt dieses Problem
nicht gelöst werden können, wenn sich auch hervorragende
Anatomen damit beschäftigten. Es dürfte hier überflüssig
sein die geschichtliche Entwicklung der Frage nach dem
Verlauf dieser Fasern darzustellen. Nur daran will ich erin-
nern, dass nach Meynert die Radiärfasern, welche aus den
Kernen der vorderen Vierhügel in das Aquäductusgrau ein-
dringen, die Reflexe von den in die Vierhügel eindringen-
den Opticusfascrn auf die Oculimotoriuskerne überführen.
Forel2htx leugnet selbst das Vorhandensein dieser Fasern,
sowie ihre von Meynert supponirte Funktion.
Uberhaupt sind wir auf rein anatomischem Wege kaum
weiter als Meynert gekommen — nämlich wir können kon-
statiren, dass Fasern aus Tractus opticus in die vorderen
Vierhügel gelangen, und Ranwn y Cajal hat konstatirt, wie
die als Opticusfascrn supponirten Fasern hier bäumchenför-
mig enden, aber den Beweis, dass diese Fasern die Pupillen-
reflexbahn bilden, kann überhaupt die reine Anatomie nicht
liefern.
Nur durch das Experiment oder die klinisch-anatomische
F"orschung können wir hier zu einem Resultat gelangen. Ver-
schiedene Forscher waren mit dem Problem beschäftigt, vor
allen haben Gudden, Bechterew und DarkschezvitscJi versucht
auf dem Wege des Experiments die Sache zu lösen, sind
aber zu verschiedenen Resultaten gekommen,
Durch Exstirpations versuche an Kaninchen kam Gudden'^-
zu folgenden Schlüssen. Wird der eine Colliculus anterior
Corporis quadrigemini z. B. der rechte weggenommen, so
wird das Thier am entgegengesetzten Auge blind. Das
Thier sieht links nicht, die Pupillen aber verhalten sich auf
beiden Seiten gleich und normal. Nimmt man beide obere
Hügel fort, so erscheint das Thier blind, die Pupillen aber
verhalten sich wie bei normalen Thieren. Nimmt man aber
mit dem oberen rechtsseitigen Hügel auch einen vor dem-
selben liegenden »Buckel» (im Thalamus) weg, so beobachtet
man au.s3er der linksseitigen Blindheit noch eine ungemein
starke Erweiterung der Pupille auf dem blinden Auge. In
beiden diesen Fällen entsteht im linken Sehnerv eine diffuse
aber unvollständige Atrophie. »Zwei Centren sind demnach
vorhanden, jedes mit einem besonderen Fasersystem, ein Seh-
centrum (oberer Hügel) und ein vor diesem liegendes, durch
welches auf reflektorischem Wege die Verengerung der Pupille
herbeigeführt wird.» Ein drittes Centrum findet sich im äus-
seren Kniehöcker.
Durch Thierexperimente kam später DarkscJiewitsch hin-
sichtlich des Verlaufs der centripetalen Pupillenfasern zu einer
im Ganzen ähnlichen Ansicht. (Arch. i. Anat. und Physiol.,
Anat. Abteil, 1883. S. 268, Wratsch 1886 N:o 43. Ref.
in neurol. Centralbl. 1887. S. 36).
Nach ihm folgen diese Pupillenfasern dem Tractus, treten
im Gebiete des äusseren Kniehöckers aus dem Tractus und
ziehen nun durch den Sehhügel hindurch zur Zirbeldrüse
und Ganglion habenulae und von hier werden die Reflexe durch
Fasern der hinteren Kommissur zu den Kernen der Nervi
Oculimotorii geführt. Dieser Verlauf wurde von Darksche-
witsch, teils durch die Atrophiemetode, teils durch Durch-
schneidung des Pupillenfasernbündels, wo es in der hinteren
Sehhügelsportion oder in der hinteren Abteilung der Seiten-
wand des dritten Ventrikels verläuft, erwiesen.
Dieser Auflassung, dass die PuDÜlenfasern durch den
Thalamus verlaufen, scheint auch Bellonci nach umfassenden
komparativ-anatomischen Studien sich anzuschliessen (Zeit-
schrift f. wissenschaftl. Zoologie Bd. 74. Hft. i. S. 25).
Auch Mendel schliesst sich in so weit der Ansicht Dark-
schewitsch's an, dass er im Ganglion habenulae ein Pupillen-
ganghon ersieht. Nach Exstirpation der Iris bei neugeborenen
Thieren fand er eine Atrophie des gleichseitigen Ganglion
habenuljE wie auch gewisser Fasern der Commissura posterior.
Die Reflexbahn für die centripetalen Pupillenfasern ist also nach
Mendel: Nervus opticus, Chiasma, Tractus opticus, ungekreuzt
zu Ganglion habenulre, Commissura posterior zu dem Gudden'
sehen Kern und zu dem Oculimotorius.
Anders verlaufen nach BecJitereiv die centripetalen Pupil-
lenfasern.
Er kam nämlich auf Grund seiner Experimente zum Re-
sultate, dass die centripetalen Pupillenfasern im Nervus op-
ticus nur bis zum Chiasma verlaufen, dass sie aber weiter
caudalwärts nicht dem Tractus folgen oder in die Corpora
geniculata gelangen, sondern hinter dem Chiasma unmittelbar
und ohne Kreuzung in das die Höhle des dritten Ventrikels
* Gesammelte Abhandl. S. 188. 198,
110
s. E. hp:nschen.
PATHOLOGIE DES GEHIRNS
bekleidende Centralgrau hineintreten, um dann zu den Kernen
des Oculimotorius zu ziehen. Während ilires ccntripetalen
Verlaufs sind sie nicht gekreuzt. Am Boden des dritten Ven-
trikels findet sich nicht ein Centrum, sondern nur ein Teil
der centripetalen Bahn des Reflexbogens ; das Centrum selbst
befindet sich nach Bechterew im Kern des Oculimotorius
(Neurol. Centraiblatt 1883 S. 320 Ref.).
Zu diesem Resultate gelang Bechterew durch Experi-
mente an Hunden. Nach dem Durchschneiden des einen
Tractus opticus bekam er Hemianopsie, aber keine Änderung
in der Weite und Beweglichkeit der Pupillen. Auch nach
Zerstörung der Erhebungen des vorderen Vierhügels und
Läsion des lateralen Kniehöckers hörte bei Hunden die
Lichtreaktion der Pupille nicht auf
Wie Heddätis aber bemerkt und jeder Kliniker, der die
hcmiopische Pupillenreaktion beobachtet hat, weiss, ist dieser
Schluss verfrüht, denn infolge der Partialkreuzung der Pupil-
larfasern im Chiasma wird selbst nach Zerstörung des einen
Tractus infolge der Wirkung des Lichtreizes auf die andere
Retinahälfte und auf die bilateral innervirte Macula lutea
eine Veränderung der Pupillen vermisst. Wie Heddäus rich-
tig anmerkt, könnte eine solche Veränderung erst nach Zer-
störung der beiden Tractus eintreten.
Inzwischen findet Bechterew in den Darkschewitsch'en
Untersuchungen im Ganzen eine Bestätigung seiner eigenen
Untersuchungen, obschon Darkschewitsch eben in seinen
Ergebnissen einen Widerspruch ersieht (Bechterew, Leitungs-
bahnen S. 78).
Auch CJiristiaiii hat Beziehungen der Wand des 3:ten
Ventrikels zur Pupille nachgewiesen.
Zu der Ansicht Bechterew's neigt 'sich Heddäus und zwar
auf Grund verschiedener eigener Beobachtungen aus der
menschlichen Pathologie (Heddäus, Die centripetalen Pupillen-
fasern 1894).
Als solche pathologische Thatsachen, welche für eine
Verlegung der Pupillenfasern zur Wand des dritten Ventrikels
sprechen, hat Moc/i* einen Fall angeführt, wo eine voUstän
dige bilaterale Pupillendilatation mit Aufhebung der Pupillcn-
rcaktion durch eine Geschwulst im 3:ten Ventrikel verursacht
wurde. Diese Aufhebung der Reaktion war eine dauernde
und ganz gleichmässige. Sie war bei guter Sehschärfe und
bei vollkommener P>haltung der Pupillenverengerung auf
Konvergenz vorhanden. Sowohl der Opticus wie der Oculi-
motorius waren intakt. Keine ophthalmoskopische Verän-
derung. Unter diesen Umständen sagt Moeli »liegt es nahe
in einer Schädigung dem Ventrikel benachbarter Pupillen-
fasern des Opticus durch die Geschwulst den Grund für die
Starre der Pupillen in diesem Falle zu suchen».
Auch ich habe einen ähnlichen Fall beobachtet (Teil I.
S. 92 Fall 13). Hier fand sich auch im 3:ten Ventrikel eine
Geschwulst (Taf. XIX. Fig. 4). Hier waren die Pupillen be-
deutend dilatirt, die Reaktionsfähigkeit ausgelöscht, aber die
Augenbewegungen normal. Pat. war blind und hatte Stasis-
papille. Die Geschwulst füllte den 3:ten Ventrikel vollstän-
dig aus.
Endlich hat Schütz *, welcher sich speciell mit Unter-
suchungen über die Veränderungen der Fasern in der Wand
des 3:ten Ventrikels bei Paralysie generale beschäftigt hat,
gefunden, dass, ungeachtet der Pupillenstarre der Paralytiker,
»die aus dem Tractus opticus in das Infundibulum abgehenden
Fasern» »sich in einigen Fällen von Paralyse mit reflektor-
ischer Pupillenstarre intakt» »erwiesen» hatten. »Es Hess sich
keine bestimmte Beziehung irgend eines Teiles des centralen
Höhlengrau zu dem Pupillenreflexe auf Licht feststellen.»
»Damit ist aber die Wahrscheinlichkeit nicht ausgeschlossen,
dass im centralen Höhlengrau dennoch Fasern verlaufen, die
einen Teil jenes Reflexbogens bilden.»
Was nun diese Fälle betrifft, so dürften überhaupt Fälle
mit Geschwülsten für die genauere Lokalisation der Bahn der
Pupillenfasern nicht geeignet sein, und der Schütz'sche Be-
fund spricht wohl eher gegen als für die Bechterew sehe
Ansicht.
Entscheidend für die F"rage, ob die Pupillenfasern un-
mittelbar nach hinten vom Chiasma von der Sehbahn in die
Gehirnhemisphäre übertreten oder dem Tractus folgen, um
erst später etwa in der Gegend der Corpora geniculata in
' den Thalamus einzutreten und zu ihrem Kern zu gelangen,
sind, wie mir scheint, die klinischen Ergebnisse über die
hcmiopische Pupillenreaktion. Dieses Symptom lässt sich
nur durch eine unmittelbare oder mittelbare Läsion oder Be-
einträchtigung der Pupillenfasern erklären. Was lehren denn
die P"älle mit hemiopischer Pupillenreaktion?
Wie oben wiederholt hervorgehoben ist, ruft eine Läsion
in der occipitalen Sehbahn überhaupt nie die hcmiopische
Reaktion hervor (Fälle l — 6), wenn diese nicht durch ihre
Nähe auf die frontale Bahn beeinträchtigend einwirkt. Hier-
aus geht also hervor, dass die Pupillenfasern nicht in der
occipitalen Sehbahn liegen, sie weichen an einem Punkt vor
dem Anfang dieser Bahn nach der Mittellinie ab.
Dass anderseits die Pupillenfasern im Tractus erhalten
sind, das leidet nunmehr keinen Zweifel. Der Fall von Ley-
den (S. 103) und noch mehr der von mir beobachtete und
nach dem Tode mikroskopisch untersuchte Fall (S. 105), wo
sich eine minimale Malacie im vorderen Teil des Tractus, dem
frontalen Teile des Pes gegenüber, vorfand, beweist, dass sich
hier Pupillenfasern vorfinden. Die Pupillenfasern weichen also
nicht wie Bechterew annimmt schon am Chiasma aus dem
Tractus in die Wand des dritten Ventrikels ab, sondern erst
später.
Dieser Schluss steht mit den anderen Fällen, wo eine
hcmiopische Reaktion durch eine Läsion im Tractus verur-
sacht wurde nicht in Widerspruch, wird eher bestätigt. Wenn
wir dabei die rein klinischen Fälle N:o 20. 21. 25 ausser Acht
lassen, da man die precisc Lage und Ausdehnung der Läsion
nicht bestimmen kann, so sind die Fälle mit Geschwülsten
noch übrig.
In Dercum's Pralle (N:o 8 Teil II. S. 270) fand sich ein
Tumor Thalami, welcher das Ganglion ausdehnte und haupt-
sächlich Pulvinar und in bedeutender Ausdehnung auch den
eigentlichen Thalamus (»tubercle») einnahm. Aus dieser Be-
' Archiv f. Psychiatrie Bd. i8. S. 32.
* Archiv f. Psychiatrie Bd. 22. S. 584.
UEBER HEMIOPISCHE PUPILLENREAKTION III
Schreibung lässt sich wohl vermuten, dass die Pupillenfasern
bei ihrem Durchgang durch den hinteren Absclinitt des Tha-
lamus ergriften waren; doch erlaubt die Beschreibung nicht
auszAischliessen, dass vielleicht die Pupillarfasern in der Wand
des dritten Ventrikels angegriften waren. Sowohl die Vier-
hügel wie der Tractus waren mikroskopisch intakt, was doch
nicht einen auf sie ausgeübten Druck ausschliessen dürfte.
Im zweiten Fall (N:o 4 Oliver Teil II. S. 268) fand
sich auch eine Geschwulst im äusseren Abschnitt des Tha-
lamus und im Corpus striatum. Die Geschwulst drückte
auf den Tractus nach vorn bis zum Chiasma. In Folge
dessen erlaubt der Fall die Einwendung, dass die hemiop-
ische Pupillenreaktion vielleicht durch den in der Nähe des
Chiasma ausgeübten Druck hervorgerufen sei. Für die Lo-
kalisation der Pupillenfasern ist der Fall deswegen nicht
brauchbar.
Dasselbe gilt von dem Falle Samelsohn, wo eine Ge-
schwulst vom Thalamus auf den Tractus übergreift.
Ich komme nun zu der Frage, wo diese Pupillenfasern
vom Tractus abweichen um in den Thalamus einzutreten.
Nach dem, was wir oben gesagt haben, folgen die Fasern
dem Tractus wenigstens bis zum frontalen Rande des Pe-
dunculus cerebri, aber treten die Fasern in den äusseren
Kniehöcker ein oder nicht? Nach DarkscJiezvitsch und Bel-
lonci. trennen sich die Pupillarfasern vom Tractus im Bereich
des Corpus geniculatum externum. Es wäre inzwischen von
Interesse entscheiden zu können, ob die Pupillarfasern inner-
halb oder vor dem Corpus geniculatum externum abweichen.
Es lässt sich nämlich denken, dass eine Verfeinerung der
Lokaldiagnostik eintreten könnte, wenn 'es sich nachweisen
Hesse, dass die Pupillarfasern wirklk^h frontal vom Kniehöcker
nach der Mittellinie abweichen.
In der That habe ich verschiedene F"älle beobachtet,
welche für diese Ansicht sprechen. Im Falle N:o 14 (Elin
Andersson Teil II. S. 394), welcher oben ausführlich be-
schrieben ist, entstand nach einer Apoplexie eine dauernde
Hemianopsie nebst VVortblindheit und rechtsseitige Hemi-
plegie. Die Pat. hatte während ihrer mehrjährigen Krankheit
wiederholt epileptische Anfälle und dabei trat die hemiop-
ische Pupillenreaktion deutlich auf, um in der Zwischenzeit zu
schwinden.
Dieser Wechsel Hess sich einige Male nachweisen, aber
kurze Zeit vor dem Tode fand sich keine hemiopische Reak-
tion vor. Bei der Sektion war nun' eine ausgeprägte primäre
Läsion im linken äusseren Kniehöcker vorhanden.
In Ubereinstimmung hiermit war eine deutliche sekun-
däre Atrophie im Tractus und den beiden Sehnerven nach-
weisbar. (Taf. XXXVII. Fig. 12—24.)
Da nun ungeachtet der Zerstörung des Kniehöckers
keine konstante hemiopische Pupillenreaktion vorhanden war,
so scheint es gewissermassen berechtigt zu sein zu schliessen,
dass die Pupillenfasern nicht durch den Kniehöcker ziehen,
sondern vor dem Ganglion nach der Mediallinie hin in
die Substanz des Thalamus abweichen. Ganz einwurftrei ist
der Fall doch nicht, denn der Kniehöcker war nicht völlig
destruirt, und es lässt sich denken, dass die Pupillarfasern
im erhaltenen Abschnitt des Ganglions hindurchtraten.
Weniger klar ist der l'all Carl L. C. 35 und 45, (Teil I.
S. 20S und Teil II. S. 439 und Teil III. S. 102). Hier wurde
eine Anfangs transitorische dann anscheinend permanente he-
miopische Pupillenreaktion beobachtet. Bei der Sektion fand
sich der äussere Kniehöcker wenig affizirt, aber unmittelbar
vor ihm lag eine schräg über den Tractus verlaufende Narbe,
welche etwa der medialen Tractuswurzel entsprach. Hier
scheinen also die Pupillenfasern zu verlaufen, nicht aber im
äusseren Kniehöcker. Weiter nach vorn fand sich im Tractus
oder Thalamus keine Läsion, welche die Reaktion erklärte —
ja überhaupt keine primäre Veränderung.
Für diese Frage ist auch der Fall N:o 32 Ruel von
Interesse (Teil II S. 279). Die Symptome datirten wenigstens
aus dem September 1886, schon im Februar 1887 kam Herab-
setzung der Intelligenz und Apathie dazu, im Mai war der
Pat. schon umnebelt und doch konnte Ruel am Ende des
Monats keine Wernicke'sche Reaktion nachweisen. Noch im
August war die Reaktion des rechten Auges normal. Im
Oktober reagirten die beiden Pupillen nicht mehr. Der Pat.
fiel in einen komatösen Zustand und starb '/i 1888. Bei der
Sektion nahm eine Geschuailst den linken hinteren Vierhügel
ein; daneben waren der äussere und der innere Kniehöcker
erweicht und die Erweichung dehnte sich bis in das Pulvinar
und den Hirnschenkel aus. Da nun gegen das Ende des
Pat. beide Pupillen reaktionslos waren, so kann dieses durch
den Hydrops ventriculorum am besten erklärt werden. Die
lange bis in August hinein erhaltene Pupillenreaktion und das
Fehlen der Wernicke'schen Reaktion im Mai kann dafür
sprechen, dass die Pupillarfasern nicht den äusseren Knie-
höcker passiren.
Für dieselbe Auffassung spricht auch der Fall 5 (Teil
III. S. 51), wo eine Gumma den äusseren Kniehöcker voll-
ständig infiltrirt und zerstört hatte, ohne dass eine hemiopische
Reaktion bei der Untersuchung nachgewiesen wurde. — Im
Falle N:o 2 (Teil III. S. 22), wo die Reaktion auch ausblieb,
war dagegen der äussere Kniehöcker nur im lateralen Rande
zerstört, weshalb der Fall nichts beweist.
Endlich fand sich im Falle N:o 37 (Teil II. S. 362) eine
sich bis in die unmittelbare Nähe des äusseren Kniehöckers
ausdehnende hämorrhagische Malacie. In Folge dessen war
das Ganglion entzündlich affizirt. Dessen ungeachtet war
eine hemiopische Reaktion nicht vorhanden.
Alle diese Fälle stimmen mit einander überein und
wenn auch jeder Fall für sich nicht absolut beweiskräftig
ist, so sprechen sie zusammen kräftig dafür, dass die Piipillcn-
fasern nickt in den äusseren Knieliöcker eintreten. Aus die-
sem Grunde kann ich auch Knies nicht beipflichten, da er
der zwar hypothetischen Anschauung ist, dass eine Läsion
des Kniehöckers hemiopische Pupillenreaktion hervorruft.
Die Pupillenfasern weichen also wahrscheinlich zwischen
dem frontalen Rande des Hirnschenkels und dem äusseren
Kniehöcker nach der Mittellinie ab. Wenn man diese Strecke
des Tractus mit dem Mikroskope mustert, so findet man ohne
Mühe, dass hier überhaupt keine Fasern in medialer Richtung
abweichen, ausgenommen die mediale Opticuswurzel und die-
112 S. E. HENSCHEN. PATHOLOGIE DES GEHIRNS
jenigen recht zahlreichen Fasern, welche den hintersten Ab-
schnitt des Pedunculus in einer Ausstreckung von einigen
m.m. durchsetzen. Diese Fasern sind aber recht zahlreich.
Es liegt also am nächsten, hier die Pupillenfasern zu .suchen.
Diese Fasern bilden zum grössten Teil die mediale Wurzel.
Verschiedene von ihnen schwenken um dem occipitalen Rand
des Pedunculus herum, um dann am medialen Rande des
Pedunculus nach vorn in der Richtung nach dem Luys'schen
Körper hin zu ziehen. Die Hauptmasse aber teilt sich in
zwei Bündel, ein tieferes und ein oberflächliches. Diese um-
fassen den inneren Kniehöcker, oder ziehen in das Ganglion
ein. Es ist wahrscheinlich, dass wir hier die Pupillenfasern
zu suchen haben.
Können uns dabei die klinischen Beobachtungen leiten ?
Es fragt sich mit anderen Worten: entsteht eine hcmiopische
Reaktion durch die Zerstörung des inneren Kniehöckers oder
des Pulvinars?
Diese Frage gehört zu den schwierigen.
Was zuerst Pnlviiiar betrifft, so war es im Falle 41 Elin
Andersson (Teil II. S. 349) vollständig zerstört, im Falle We-
sterberg (Teil III. S. 22) zum grossen Teil und im Falle 5
(Teil III. S. 51) war seine untere Fläche gummatös infiltrirt.
In diesen drei Fällen war die hemiopische Reaktion dessen
ungeachtet vorhanden. Es scheint deswegen unwahrscheinlich,
dass die Pupillarfasern an oder unmittelbar unter der Ober-
fläche des Pulvinars verlaufen. Hiermit stimmt auch die Be-
obachtung in meinem Falle N:o 4 (Teil III. S. 44), wo die
im Temporallappen befindliche Geschwulst einen deutlichen
Druck auf das Pulvinar ausgeübt hatte, wodurch es abge-
plattet war (Teil III. S. 47), ohne dass eine hcmiopische
Reaktion auftrat.
Weiter ist in dieser Hinsicht der Fall Elin Andersson
lehrreich. Wie die Fig. 7 Taf. LVI. zeigt, ist hier das Pul-
vinar geschrumpft, so auch die innere und zum Teil der
äussere Kniehöcker zerstört. Wie die Figur 7 zeigt findet
sich im hintersten Abschnitte der Capsula interna eine kleine
Cyste (Cy) aber zwischen dieser und dem Pulvinar läuft ein
auf der I'^igur ersichtliches dickes Bündel mit zum Teil unver-
sehrten h^asern (vgl. Teil II. S. 406). In Anbetracht der hier
abgehandelten Frage habe ich -diese Präparate von neuem
einer mikroskopischen Untersuchung unterworfen und finde,
dass obschon, wie die Beschreibung S. 406 und 407 an die
Hand geben, die hier zwischen der Cyste und dem Pulvinar
verlaufenden Fasern zum Teil atrophisch sind, doch eine
grcsse Anzahl dieser I'asern noch gut gefärbt sind und keine
deutliche Anzeichen einer Atrophie zeigen. Diese Fasern
laufen in die tieferen Schichten des Colliculus anterior ein
und scheinen also in Folge ihrer Lage die Pupillenrcflcxc
vermitteln zu können.
Weniger entscheidend ist der I'all 35 (45) (Teil II. S.
444, 445) (Taf. LVI. Fig. 12). Hier war sowohl Pulvinar wie
der innere Kniehöcker in Bindegewebe umgewandelt. Die
hemiopische Reaktion war während der letzten Zeit des Pat.
vorhanden, und der Sektionsbefund steht also mit der klin-
ischen Beobachtung in Uberein.stimmung; dagegen ist es wohl
nicht möglich zu sagen wie weit in einer Zeit, wo die he-
miopische Reaktion noch fehlte, die Bindegewebeumwandlung
fortgeschritten war. Diese Veränderung war eine sekun-
däre, wahrscheinlich von oben-aussen von der grossen Cyste
(Taf. LV. Fig. 4 Cystas) aus nach unten-innen auf das Pulvinar
u. s. w. fortschreitende Bindegewebebildung. Bei den durch
Kongestionen hervorgerufenen epileptiformen Anfällen wurden
die in der unmittelbaren Nähe des neugebildeten Bindege-
W'ebes liegenden Pupillenfasern in ihrer Funktion beeinträch-
tigt. Nach und nach wurde das hier liegende Gebiet in
Bindegewebe umgewandelt und nun wurde die hemiopische
Reaktion konstant.
Die beiden Fälle N:o 41 und 35 (45) scheinen also mit
einander nicht in Widerspruch zu stehen, wohl aber einander
zu vervollständigen.
Aber leider habe ich einen Fall beobachtet, welcher
sich mit der gegebenen Anschauung kaum in vollständigen
Einklang bringen lässt, nämlich den P'all Westerberg (Teil
III. S. 26—30) (Taf. IV und V. 4. 5.).
Hier finden wir eine unregelmässige in Spitzen aus-
laufende Malacie, welche den lateralen Rand des äusseren
Kniehöckers, das Pulvinar zum grössten Teil sowie auch das
Gebiet zwischen Capsula interna, dem inneren Kniehöcker
und Thalamus einnimmt d. h. also die Gegend, wo eben die
tieferen Bündel der medialen Opticuswurzel verlaufen und wo
die bei Elin Andersson erhaltenen Bündel liegen. In diesem
Falle war jedoch keine hemiopische Reaktion vorhanden.
Ein Blick auf die Präparate überzeugt, dass hier aber die
oberflächlichen Bündel, welche also mit der medialen Wurzel
an der Oberfläche des inneren Kniehöckers verlaufen, erhalten
sind. Die Fig. 3 — 5 Taf. V. zeigen, dass diese Fasern nicht
von der Malacie getroffen sind.
Dieser Fall steht also scheinbar mit dem Fall N:o 41
(Elin Andersson) in Widerspruch. Beide Fälle lassen sich
jedoch erklären, wenn man annimmt, dass sowohl die ober-
flächlichen wie die tieferen Bündel Pupillenfasern enthalten und
dass eine hemiopische Reaktion nur dann entstehe wenn so-
wohl tiefe wie oberflächliche Bündel zerstört worden sind. In
wie weit eine solche Ansicht berechtigt sein kann, muss ich
z. Z. dahin gestellt sein las.sen. Ich bin eher geneigt anzu-
nehmen, dass im Falle 2 Westerberg die klinische Beob-
achtung, dass die hemiopische Reaktion fehlte, unrichtig war.
Der Pat. war nur 10 Tage im Krankenhause und zwar in
einem elenden Zustande. Unter solchen Umständen, und da
der Pat. nicht ohne Schwierigkeit untersucht werden konnte,
lässt es sich leicht denken, dass der ins Auge schief einge-
worfene Lichtkegel bei der Prüfung der Pupillenreaktion auch
die Macula lutea getroften haben kann.
Die delikate P'ragc, wo in der Nähe des inneren Knie-
höckers die Pupillenfasern verlaufen, kann also nur durch
wiederholte kombinirtc klinisch anatomische Untersuchungen
endgültig entschieden werden. Dabei muss die anatomische
Untersuchung eine mikroskopische sein, und auf dem Ver-
halten der tieferen und oberflächlichen Bündel der medialen
Opticuswurzel besonders geachtet werden. Dass die Pupillen-
fasern in dieser Wurzel erhalten sind, betrachte ich infolge
der eben gegebenen Auseinandersetzung äusserst wahrschein-
UEBER HEMIOPISCHE PUPILLENREAKTION
113
lieh, da keiner der Fälle mit dieser Annahme in Wider-
spruch steht.
Unklarer ist der Fall N:o 5 Lovisa Olsson Teil III. S. 51
(Taf. VII. Fig. 5 — 7). Hier lag ein Gumma unmittelbar auf
der unteren Fläche des Pulvinars und hatte sowohl den äus-
seren wie den inneren Kniehöcker destruirt. Nichts desto
weniger blieb die hemiopische Pupillenreaktion aus, aber
wahrscheinlich (vgl. T. III S. 57) waren die tieferen Bündel
der medialen Opticuswurzel zum Teil erhalten geblieben. Der
Fall steht also mit den vorigen nicht in Widerspruch, wenn
er auch kaum als eine sichere Stütze angeführt werden kann.
Für die Lösung dieser delikaten Frage sind alle die-
jenigen Fälle, wo diffuse pathologische Prozesse vorliegen,
unbrauchbar. Die drei Fälle von Samelsohn, Dercum und
Oliver, wo diffuse Geschwülste vorliegen, können also in
dieser Hinsicht nicht gebraucht werden und zwar besonders
weil in allen diesen der Tractus entweder direkt (Fall Samel-
sohn) oder indirekt (Fälle Dercum und Oliver?) affizirt wor-
den war.
Wir haben damit die Pupillenfasern bis zum medialen
Rande des inneren Kniehöckers verfolgt; zwischen diesem
Punkt und dem Pupillenkern im Aquaeductus-grau ist nur eine
kurze Strecke übrig.
Wo enden nun die Pupillenfasern Das ist die letzte
Frage .
Es ist dabei zu erinnern, dass obschon wir noch nicht
7nä Sichcrlieit wissen wie die Pupillenfasern enden so deutet
doch jede Analogie darauf hin, dass die Pupillenfasern ihre
Ganglienzellen in der Retina haben und dass ihre Endigung
in gewöhnlicher Weise mit Ramifikat'onen geschieht.
Wo die Endigung stattfindet, das wissen wir auch
noch nicht. Einerseits hat schon RIcyncrt auf den Colliculus
anterior hingewiesen und besonders supponirt, dass die hier
befindlichen s. g. Meynert'schen radiären Fasern Pupillcn-
fasern sind, welche selbst bisweilen bei Pupillenstarre atro-
phiren sollen (Ross Brain 1886. S. 21), während andere wie
Oppcnlichn und Schiita bei Pupillenstarre keine Atrophie
dieser P^asern gefunden haben.
Für die Meynert'sche Ansicht spricht sich auch neulich
Kdlliker aus. »Nach meinen eigenen Erfahrungen an Golgi
sehen Präparaten vermute ich», sagt Kölliker, »dass die
Opticusfasern, die im cerebralen Vierhügelpaare enden, auf
die Zellen dieses Hügels einwirken und dass die.se mit ihren
nervösen Fortsätzen, die nachweislich die Bogenfasern am
Rande des centralen Höhlengraues bilden helfen, teils direkt,
teils durch zahlreiche in das centrale Grau eindringende Col-
lateralen auf die betreffenden motorischen Kerne einwirken.»
Weiter ist an die Monakow^' ic\\e Theorie zu erinnern,
dass die im Mark des Colliculus anterior liegenden Zellen,
Fasern nach vorn aussenden, welche mit Ramifikationen in
der Retina enden.
Endlich sollen nach Darkschnviisch die Pupillenfasern
in der Nähe des Ganglion habenulae enden und hier in naher
' Archiv f. Psychiatrie Bd.
S. E. Henschen. Pathologie des Gehirns.
Beziehung zu dem oberen vorderen Oculimotoriuskern, welcher
der Pupillenkern sein soll, stehen.
Nach Kölliker ist es indessen nunmehr nachgewiesen,
dass die von Darkschewitsch als Pupillenkern supponirte Zel-
lensammlung nicht zum Oculimotorius gehöre (Kölliker Lehr-
buch. 1893. S. 300). Damit ist, scheint es mir, eine wichtige
Stütze für die Darkschewitsch'sche Theorie weggenommen.
Anderseits kennt man mit Sicherheit, dass eine Anzahl
supponirter Opticusfasern in den oberflächlichen Schichten
des Colliculus bäumchenförmig endet (Ramon y Cajal). Aber
die Frage, ob diese Endigungen auch die der Pupillenfascrn
seien, ist dadurch nicht erledigt. Es dürfte nähmlich wohl
keinem Zweifel unterliegen, dass im Colliculus auch andere
P'asern als Opticusfasern ihre Endigung finden. Nach Mona-
kow enden hier Fasern aus dem Occipitallappen und die
blosse Betrachtung einiger Figuren in diesem W^erke ist ge-
eignet diese Ansicht zu stützen, dass nicht nur Opticusfasern
in die vorderen Vierhügel ein- (resp. aus-) strahlen.
Die Fig. i, 2, 3, 4, Taf III. (Teil I.) zeigen einen Durch-
schnitt durch die vorderen Vierhügel in einem Falle von voll-
ständiger Atrophie der Sehnerven (Fig. 7 — 10) in Folge der
Atrophie der Bulbi und der Zerstörung des Chiasma. Dem
ungeachtet findet man (im Teil I. an Taf III. Fig. 4, 5) reich-
liche Fasernbündel (i — 5) welche von der Gegend des inneren
Kniehöckers in die vorderen Vierhügel ein- (resp. aus-?) laufen.
Und in der Fig. 6 Taf XIII (Teil III.) ersieht man, wie eine
Anzahl Bündel, welche anscheinend von der Occipitalstrahlung
kommt, in die vorderen Vierhügel ein- (resp. aus-) strahlt.
Hier ist jedoch vielleicht der Weg vom Sehnerven noch often
(vergl. Fig. 7, 8, 9).
Nicht auf anatomischem, sondern physiologisch-expe-
rimentellem oder anatomisch-klinischem Wege dürfte diese
Frage, wo die Pupillenfasern enden, ihre Lösung finden. Und
dabei dürfte besonders das Vorhandensein oder Fehlen einer
hemiopischen Pupiilenreaktion den P'orscher leiten.
Es dürfte dabei nicht notwendig sein darauf hinzu-
weisen, dass einfache Beobachtung über die Veränderungen
der Grösse oder Reaktionsfähigkeit der Pupillen nicht zum
Ziele führen kann. Beim Vorhandensein einer einseitigen
Zerstörung der centripetalen Pupillenfasern brauchen die Pu-
pillen nicht von der normalen Grö.sse und Form abzuweichen,
und die Reaktion wird beim Reiz der Macula lutea nicht
verändert; die ganze Pupille kontrahirt sich ringsum auch
bei unilateraler Destruktion der centripetalen Pupillenfasern.
Im Vorbeigehen will ich jedoch bemerken, dass ich
mehrmals beim Vorhandensein der hemiopischen Pupillen-
reaktion eine abweichende F"orm der Pupillen wahrgenommen
habe.
Im Falle N:o 20 (Teil I. S. 135) hatten die Pupillen die
Form, welche an der Karte C. abgezeichnet ist und im Falle
35 (Teil II. S. 208 = Fall 45. Teil II. S. 439) die eben da-
selbst angegebene Form, aber auch im Falle 18 Zetterberg,
wo bei der Prüfung keine hemiopische Reaktion wahrgenom-
men wurde und wo die Sektion keine Geschwulst oder Zer-
störung der Bahn der Pupillarfasern ergab, ^\ar die Form
der Pupillen in ähnlicher Weise abweichend. (Karte C.)
Im Falle 41 (Teil II. S. 398) waren die Pupillen eckig
15
114
S. E. RENSCHEN. PATHOLOGIE DES GEHIRNS
iinregelmässig und in einig-en anderen Fällen (Teil III. S. 72)
ungleich gros.s. In Anbetracht dieser Thatsachen verdient
die Form und Grös.se bei Hemianopsie und besonders beim
Vorhandensein einer hemiopischen Pupillenreaktion besondere
Aufmerksamkeit.
Mehrere Forscher haben auch die Aufmerksamkeit dar-
auf hingelenkt, dass die Pupillen oft bei Läsionen der Vier-
hügel Abweichungen darbieten (Nothnagel, Eisenlohr).
Zur Zeit können jedoch aus den vorliegenden Beob-
achtungen keine sicheren Schlüsse gezogen werden.
Was beweisen nun die klinischen Beobachtungen?
Im Falle Augusta Eriksson (Fall 5 Teil III.) drückte
die Geschwulst deutlich auf den vorderen Vierhügel, aber
dem ungeachtet blieb die hemiopische Reaktion aus. P>inc
Untersuchung des Präparates zeigt jedoch, dass der Druck
nicht beträchtlich war, und dass der vordere Abschnitt über-
haupt nicht dem Drucke ausgesetzt war. Im hinteren und
am meisten konvexen Abschnitt war die Oberfläche etwas
plattgedrückt, wie auch das Pulvinar.
Der Ruel'sche P^all ist in negativer Hinsicht von Be-
deutung. Eine Gesehwulst entsprang vom hinteren Vierhügel
und dehnte sich auf den äusseren Kniehöcker aus. Keine
hemiopische Reaktion war vorhanden. Also im hinteren
Vierhügel enden die Pupillenfascrn nicht, und das hat wohl
Niemand angenommen.
Der einzige Fall, welcher von positiver Bedeutung für
die hier abgehandelte Frage ist, ist der Fall 12 Jakobsdotter.
Hier fand sich eine hemiopische Reaktion und eine Cyste
hatte das Brachium anterius abgeschnitten. Leider ist der
Schluss nicht erlaubt, dass die Pupillenfasern in diesem Arm
verlaufen und zwar aus dem Grunde, dass die Cyste nicht
nur die Brachia (anterius und posterius) abgeschnitten hatte,
sondern sich auch weiter nach vorn erstreckte und da
selbst (Fig. 7, 8 Taf. V.; Fig. 5 Taf. XII.) das Gebiet des
Ganglion habenulaj in der Weise lacerirt hatte, dass der
Fall die Frage nicht lösen kann, ob die Pupillenfasern nach
diesem Ganglion oder dem Collieulus anterior verlaufen. Da
ausserdem die Gegend des inneren Kniehöckers geschädigt
war, so besteht der Fall, obschon anscheinend vom grö.ssten
Interesse, nicht die Probe einer wissenschaftlichen Anal)'se.
Zur Zeit scheint also kein endgültiger klinisch-anatom-
ischer Beweis geliefert zu sein, dass die Pupillenfasern im Colli-
eulus anterior enden, wenn auch dies im höchsten Grade
wahrscheinlich er.scheint. Bei der Analyse meiner oben in
diesem Werke mitgeteilten Fälle habe ich auch im allgemeinen
vorläufig angenommen, dass dies der Fall sei, %vilL aber hier
ausdriicklicJi aiisgcsprocJien Jiaben, dass ich eine solche Ansicht
noch nicht als wissenschaftlicli begründet betrachte.
Nur noch einige Worte über die im vorderen Vierhügel
vorhandenen radiären Fasern. Mehrere Verfasser haben aus-
gesprochen, dass diese in der That Pupillenfasern seien. Ich
will deshalb hervorheben, dass diese P'asern sich auch in
dem Falle vorfinden, wo eine vollständige Opticusatrophie
vorhanden ist. Im P"alle I. (Teil I. S. i. 1890) finden sie
sich noch erhalten und sind in den Fig. i, 2, 3 und 4 Taf.
III. abgezeichnet; auch im Falle 7 (Jakobsdotter), wo eine
hemiopische Pupillenreaktion eine Zerstörung der Pupillen-
fasern rechts angab und die Cyste (Cy Fig. 7 Taf. V.) das
Pulvinar vom Collieulus anterior getrennt hatte, waren sie
noch schön vorhanden. Dieses beweist, dass sie mit den
Pupillenfasern nicht atrophiren, sondern wahrscheinlich von
den Zellen des Marks des Collieulus anterius ausgehen und
mit den Fasern des Stratum Lemnisci zusammenhängen,
welche wahrscheinlich den Opticus-oculimotoriusreflex ver-
mitteln.
Im Zusammenhang mit der Frage nach dem Verlauf der
Pupillenfascrn im Thalamus steht die Frage, welche Symp-
tome dürften eine Läsion in dem eben abgehandelten Gebiete
der Pupillenfasern begleiten. So lange die Läsion den Trac-
tus triftt, so mu.ss natürlich Hemianopsie entstehen; aber wenn
die Läsion medialwärts vom Tractus die pupillenfascrn (die
mediale Wurzel bis zu ihrer Endigung) trifft, so ist es ein-
leuchtend, dass eine hemiopische Reaktion entstehen muss
und zwar ohne Hemianopsie. Die Fasern passiren dabei in
der Nähe des inneren Kniehöckers und da, aller Wahrschein-
lichkeit nach, dieses Ganglion etwa dieselbe Bedeutung für
das Gehör hat, wie der äussere Kniehöcker für das Gesicht,
so dürfte eine solche Läsion von anfangs aufgehobenem, dann
aber vermindertem Gehör auf dem gegenüberliegenden Ohr
also bei links.seitiger Lä.sion von Herabsetzung der Gehör-
schärfe am rechten Ohr begleitet sein.
In der Nähe des inneren Kniehöckers liegt weiter die
sensible Bahn; ihre Läsion ruft Anästhesie hervor. Streckt
sich die Läsion noch weiter, so kann Hemiplegie entstehen.
Ein .solcher Symptomenkomplex ist meines Wissens
noch nicht klinisch angetroffen. Aber in Anbetracht der
häufigen Läsionen in dieser Gegend habe ich ihn seit einigen
Jahren gesucht, aber vorläufig ohne einen solchen Fall zu
finden.
Der eriL'äJinte Syviptovienkoniplex dürfte für das Gre7iz-
gebiet zzviscJien Pulvinar und Thalamus pathognomoniscJi sein
und praktisch von bedeutender Wichtigkeit, indem er einen
chirurgischen Eingriff kontraindiciren kann.
Nachdem ich schon mehrere Jahre in meiner Klinik die
Mediciner auf diesen Symptomenkomplex aufmerksam ge-
macht habe und auch meine Ansichten hierüber in dieser
schon im Jahre 1892 verfas.sten Abhandlung, welche erst jetzt
in umgearbeiteter Form publizirt wird, dargelegt hatte, hat
Knies in seiner im vorigen Jahre (1893) gedruckten Arbeit (Die
Beziehungen des Sehorgans etc.) auf diesen Symptomenkom-
plex aufmerksam gemacht (S. 56). Knies hat aber die An-
sicht, dass eine Läsion im Pulvinar Hemianopsie hervorrufe
und dass nur die Macularfasern im äusseren Kniehöcker (S. 57)
endigen und stellt in Übereinstimmung damit eine Theorie auf,
welche ich meines Teils als weniger gut begründet ansehen
muss. Die Voraussetzungen dafür stimmen nicht mit den
von mir (im Teil II. S. 357, Teil III S. 96) auf Grund zahl-
reicher Thatsachen gewonnenen Ansichten. Aber wenn seine
Ansicht richtig ist, nämlich dass Hemianopsie durch Zer-
störung des Pulvinars entstehe, so muss der Symptomenkom-
UEBER HEMIOPISCHE PUPILLENREAKTION
115
plex, hemiopischc Reaktion ohne Hemianopsie, nur durch Zer-
störung der Endigungen der Pupillenfasern eintreten. Die
Strecke dieser Endausbreitung misst eher Millimeter als Cen-
timeter.
Nach dem was oben dargestellt worden ist, hat also
die hemiopische Pupillenreaktion nicht nur eine teoretische
sondern auch eine praktische lokaldiagnostische Bedeutung.
Aber erst weitere Untersuchungen können den Verlauf der
Pupillenfascrn und damit die Bedeutung der hemiopischen
Pupillenreaktion endgültig entscheiden.
Noch ein Wort über die lokale Anordnung der Pupillen-
fasern innerhalb der frontalen Gesichtsbahn. Wie liegen die
centripetalen Pupillenfasern in der Retina, im Opticus und
Tractus ?
Hinsichtlich der Verteilung dieser Fasern in der Retina
macht die Beobachtung, dass der Pupillenreflex überhaupt
von jedem Punkte der Retina ausgelöst werden kann, es
wahrscheinlich, dass die Pupillenfasern über der Retina gleich-
massig gestreut sind. Hiermit .stimmen u. A. auch die Anga-
ben Peretti's * und Sachs' überein, welche Pralle beobachtet
haben, in denen nur von sehr beschränkten sehenden Ge-
bieten die Pupillenreflexe ausgelöst Averden konnten. Was
die Lage der Pupillenfasern im Opticus betrifit, so lehren
die bekannten Untersuchungen von Key und Retziiis. dass
die Opticusfasern beim Menschen verschiedenen Kalibers sind.
Es ist wohl dann auch wahrscheinlich, dass sie verschiedene
Funktionen haben. Die beiden Arten von Fasern sind unter
einander gemischt. Bei den Thieren hatte Giiddcn schon
1882 das Vorhandensein von zwei Fasersystemen im Opticus
nachgewiesen, und zwar ein System von Sehfasern und ein
solches von Fasern, die auf reflektoiischem Wege die Pupil-
lenbewegung beherrschen. Durch Exstirpation des Colliculus
* Deutsche Med. Wocli. 1893 N:o 13,
'* Archiv f. Augenheilk. Okt. 1893 (Nach Peretti).
Gesamm. Abhandl. 1889. S. 189. 199.
anterior (beim Kaninchen) konnte Gudden im Sehnerven der
entgegengesetzten Seite >die mächtige Ansammlung der
dicken Fasern» nachweisen d. h. ai-so eine Atrophie der
dünnen Fasern. Diese Atrophie war in der Retina eine all-
gemeine, nicht eine lokale.
Der mir brieflich von Wilhrand mitgeteilte Fall, in wel-
chem eine nach einem Trauma des eines Opticus entstandene
Hemianopsie von hemiopischer Pupillenreaktion begleitet war,
scheint zu beweisen, dass die visuellen und centripetalen Pu-
pillenfasern für ein gewisses Gebiet der Retina im Opticus
zusammen liegen.
Betrefts des Chiasma, wissen wir nur, dass hier auch
die Pupillenfa.sern einer Partialkreuzung unterworfen sind ; das
zeigt das Vorhandensein der hemiopischen Reaktion.
In Übereinstirnmung hiermit sah Giiddeii bei der
Katze bei Durchschneidung des einen Tractus opticus, dass
die dicken Fasern denselben Kreuzungsverhältnissen wie die
dünnen unterliegen.
Wie die Pupillenfasern im Tractus liegen, darüber fehlt
auch zur Zeit jede Auskunft. Im Falle 2 (Teil I. S. 14,
Teil II. S. 257) habe ich nachgewiesen, dass sich im Tractus
verschiedene Bündel, welche sich im Chiasma partiel kreuzen,
vorfinden. Besonders zeichnet sich ein dorso-lateral liegendes
Bündel von den anderen deutlich ab. Ich warf dort die Frage
auf, ob dieses Bündel die centripetalen Pupillenfasern ent-
halte und erklärte, dass es in Anbetracht der lateralen Lage
wahrscheinlich nicht den Pupillenfascrn entspräche (Teil II.
S. 259). Der einzigste Fall, welcher meines Wissens geeignet
ist, Auskunft über die Lage der Pupillenfasern im Tractus zl
geben ist wohl mein Fall N:o 20 (Teil III. S. 104) (Taf III.
Fig. I — 4), wo eine mikroskopische Atrophie im dorso-medialen
Rande des rechten Tractus einen auf dem linken Auge deut-
lichen und auf dem rechten Auge undeutlichen hemiopischen
Pupillenreflex hervorrief. Dieser Fall deutet also an, dass
die Pupillenfasern am dorso-medialen Rand des Tractus ein
besonderes Bündel bilden. Der Fall steht aber bisher ver-
einzelt.
I
Bezeicliniingen auf den Tafeln.
Die punktirten Stellen sind malacisch oder pathologiscli verändert.
A.
— Gyrus angularis ~ parietalis infer. poster.
— Pli courbe.
O'.
Gyrus occipitalis primus (superior).
C.
— vordere Centraiwindung ~
Gyrus frontalis
ascendens.
O^.
„ „ medius (secundus).
C. c.
— Corpus callosum.
03.
„ „ inferior (tertius).
C. i.
— Capsula interna.
00.
Fissura calcarina.
C».
— hintere Centraiwindung —
Gyrus parietalis
ascendens.
op.
Fissura occipito-parietalis.
Cun.
— Cuneus — Zwickel.
p>.
Gyrus parietalis superior.
C. 4-gem. — Corpora 4-gemina.
PI
„ „ inferior anterior = G. siipramarginalis
F'.
— Gyrus frontalis superior =
primus.
p2/
„ „ inferior posterior = G. angularis = Pli
F\
— „ „ medius =
secundus.
Praec
Prsecuneus.
F\
— „ „ inferior =
tertius.
r.
rechts.
F. S.
— Fossa Sylvii.
S. S.
Sehstrahlung.
H.
— Gyrus Hippocaampi.
T'.
Gyrus temporalis superior = primus.
I.
— Insula = Lobus centralis.
„ „ medius = secundus.
ip.
— fissura intraparietalis.
„ „ inferior tertius.
1.
— links.
T*.
„ occipito-temporalis externus = G. fusiformis.
lat.
— laterale Fläche.
„ „ „ internus = lobulus lingualis.
med.
— mediale Fläche.
U.
Uncus.
I
I
TAFEL I.
TAFEL I.
Fall I. Malm. Encephalomalacie der rechten Hemisphäre mit
Hemiplegie. Seite i.
Fig. I. Die rechte Hemisphäre; multiple Malacien in der Rinde; laterale Fläche.
Fig. 2. Die rechte Hemisphäre; ventrale Fläche mit einem grossen malacischen Defekt
im 0-T-Lappen.
Fig. 3. Die linke Hemisphäre; Horizontalschnitt in der Hohe des Nucleus caudatus.
N. caud. — Nucleus caudatus. -
Pulv. — Pulvinar.
Thalam. — Thalamus opticus.
Fig. 4. Die rechte Hemisphäre; Horizontalschnitt in der Höhe der Centralganglien ; mit
ausgedehnter Malacie im Marke,
atr. — Atrophie.
Cyst. — Cyste.
Mal. — Malacie.
Ventr. III — Ventriculus tertius.
Fig. 5-
Die Centralganglien mit den entsprechenden Abschnitten der Hemisphären. Die
Centralganglien rechts geschrumpft.
TAFEL II.
TAFEL II.
Fall i. Malm (s. Taf. I). Seite i.
Fig. 1 — 6, 8—10. Die rechte Hemisphäre, Fig. 7. Die linke Hemisphäre.
Fig. I. Horizontalschnitt in der Höhe des Balkens und des oberen Abschnittes der an
Taf. I Fig. I befindlichen grossen Cyste.
Fig. 2 — 6. Frontaldurchschnitte durch die occipitale Hälfte der rechten Hemisphäre. In
den Fig. 5 u. 6 grosse cystöse Räume.
Fig. 7. Die occipitale Spitze der linken Hemisphäre mit kortikalen Malacien (mal.).
Fig. 8—10. Frontalschnitte durch den Frontallappen der rechten Hemisphäre.
Fig. 8 — 2 cm. nach hinten vor der Spitze,
-f^'g- 9 — 3 c.m. (nicht 4) » » »
Fig. 10 — 4 c.m. (nicht 3) » » »
1
TAFEL III.
TAFEL III.
Fig. I — 4. Fall 20. Jan Jansson. Teil I. Seite 135, Teil III.
S. 105. Fig. I. 2. 2-mal, Fig. 3. 4. 4-mal vergrössert.
Fig. I. 2. Horizontalschnitte, i. — durch den Tractus opticus, Pes, Thalamus und Corpus
Luysii, 2. — durch Globus pallidus, Capsula interna und Thalamus.
In beiden Figuren eine kleine Cyste (mal.).
C. g. a. — Corpus geniculatum externum.
Corp. Luys — der Luys'sche Körper.
C. i. — Capsula interna.
Gl. pal. — Globus pallidus.
Fig. 3 — 4. Frontalschnitte durch den Tractus opticus und Thalamus. 3. — der Schnitt
liegt mehr frontal; 4. — mehr occipital (vgl. Fig. i.). In der Fig. 4. zwei kleine
Atrophien im dorso-medialen Rande des Tractus. Der laterale weisse P'leck ist
keine Atrophie, sondern der Durchtritt eines Gefässes.
Fig. 5—10. Fall I. Malm (s. Taf. I). Seite i. Fig. 5—8 4-mal
vergrössert.
I^'g- 5 — 7- Horizontalschnitte durch die geschrumpften Centralganglien. 4-nial vergrössert.
Fig. 5. Durc hschnitt durch den roten Körper und den äusseren Kniehücker (Corp. gen. ext.).
Caps. i. — Capsula interna. lat. Mark. — laterales Mark,
f. retr. — fasciculus retroflexus. N. ext. — Nucleus externus Thalami.
Hab. — Ganglion Habenulse. Sehstr. — Sehstrahlung.
Haub. Str. — Haubenstrahlung.
Fig. 6. 7. Durchschnitte mehr frontalwärts als Fig. 5.
C. Luys. — Corpus Luysii. N. caud. — N. caudatus.
C. mamill. — Corpus mamillare. N. int. — N. internus.
F.M. — Meynert's fascikel. Put. — Putamen.
Forn. — Columna fornicis. Thal. — Thalamus.
Gl. pall. — Globus pallidus. tr. opt. — Tractus opticus.
Fig. 8. Durchschnitt durch den Pons.
B.-A. — Bindearm (links atrophisch). Schi. — Schleife (rechts atrophisch).
Fig. 9. Zellen der Substantia nigra a. aus der rechten Hemisphäre, atrophisch, b. aus
der linken, normal.
Fig. IG. Zellen aus dem rechten äusseren Kniehöcker.
I
TAFEL IV.
TAFEL IV.
Fall 2. Westerberg. Hemiplegia sinistra c. Hemianopsia. Seite 22.
Fig. I. Die mediale Fläche der rechten Hemisphäre. Ausgedehnte Malacie im Cuneus,
T'^ und
Fig. 2. Die Centralganglien von unten.
C. gen. ext. — Corpus geniculatum externum.
C. gen. int. — » » internum.
C. 4-glm. — Corpus quadrigeminum ant. (anterius), post. (posterius).
Mal. — Malacie.
Pulv. — Pulvinar.
Fig. 3. Die occipitale Spitze der rechten Hemisphäre; und Cun. etwas erweicht.-
Fig. 4 — 9. Frontalschnitte durch den occipitalen Abschnitt der rechten Hemisphäre, resp.
2. 3. 4. 5. und 6. cm. vor der Occipitalspitze.
Hensclien. Patliologie des Gelurns.
Tafel Yj-
I
\
i
TAFEL V.
TAFEL V.
Fig. I — 6. Fall 2. Westerberg (s. Taf. IV). Seite 22.
Fig. 1 — 5. Horizontaldurchschnitte durch die Centralganglien der rechten Hemisphäre
Fig. I die dorsalsten Schnitte durch den Thalamus, Fig. 5 die ventralsten durch
den Tractus opticus. 2-mal vergrössert.
C. g. e. — Corpus geniculatum externum.
C. g. i. — » » internum.
C i. ■ — Capsula interna. Lins. — Linsenkörper.
C. mani. — Corp. mamillare. L. K. — Der Luys'sche Körper.
C. 4-gem. — Corp. quadrigeminum. N. r. — Nucleus ruber.
Col. p. — CoUiculus posterior. Schi. — Schleife.
Cort. — Cortex. S. S. — Sehstrahlung.
Cy. — Cyste. Thal. — Thalamus.
Fl.p. — Fasciculus longitudinalis posterior, tr. opt. — tractus opticus.
Haub. Str. — Haubenstrahlung.
Fig. 6. Durchschnitt durch den Pons.
B.A. — Bindearm. Cy. — Cyste. Sch. — Schleife.
Fig. 7 — 10. Fall 7. Lena Jakobsdotter. Hemiplegia sinistra.
Seite 7L
Fig. 6 — 10. P'rontalschnitte durch die Centralganglien der rechten Hemisphäre. Fig. 7
die occipitalsten Schnitte durch die Vierhügel und den Pulvinar. Fig. 13 die
frontalsten durch den frontalsten Abschnitt des Thalamus. Fig. 7. 8. 9. 11. 12 und
13 nach Weigert'schen Präparaten, Fig. 10 nach einem Präparate nach Marchi.
Alle Fig. sind 2-mal vergrössert.
Die Bezeichnungen wie in den Fig. i — 6.
ansa 1. — ansa lenticularis. pineal — Pedunc. glandulae pinealis.
Aq. S. — Aquaeductus Sylvii. rad. — Radiäre Fasern im äusseren Kern
Coli. ant. — Colliculus anterior. des Thalamus.
H. — Gyrus Hippocampi. temp. occ. S. — die temporo-occipitale
häm. — Hämorrhagien. Strahlung.
lam. med. — lamina medullaris corporis tr. — tractus opticus.
lentiformis. U. H. — Unterhorn.
Luys. — Corpus Luysii. Unc. — Uncus.
M. K. — Meynert's Kommissur. V. chor. — Vena corp. striati.
N. III — Nervus tertius (oculimotorius).
TAFEL VI.
TAFEL VI.
Fall 3. Anders Ersson. Tumor cerebri (Hemisph. sin.). Seite 36.
Fig. I. Der frontale Abschnitt der linken Hemisphäre. Geschwulstmasse im Temporal-
lappen, mit Ausbreitung der Geschwulstbildung Uber die Fossa Sylvii und den
Frontallappen.
Fig. 2 — 4. Frontaldurchschnitte durch die Geschwulstmasse. Fig. 2 durch den vordersten
Abschnitt des Temporallappens c:a 5 cm. hinter der Frontalspitze der Hemi-
sphäre Fig. 3. c:a 6.5 cm. und Fig. 4. 8 cm, hinter der Frontalspitze,
bulb. olf. — Bulbus olfactorius.
C. c. — Corpus callosum.
F. S. — Fossa Sylvii.
N. caud. • — Nucleus caudatus.
Th. — Thalamus.
U. — Uncus Hippocampi.
Hensclien. Pathologie des Geliirns
Tafel VT.
TAFEL VII.
1
TAFEL VII.
Fig. I. 2. Fall 3. Anders Ersson. Tumor cerebri. Seite 36.
Fig. I. Frontalschnitte durch den occipitalen Abschnitt des Thalamus (Pulvinar), die
Vierhügel und den äusseren Kniehöcker 9 cm. vor der Occipitalspitze.
Fig. 2. Frontalschnitte 7 cm. vor der Occipitalspitze, gleich hinter dem Pulvinar (pulv.).
Fig. 3. 4. Fall 4. Augusta Eriksson. Gumma regionis tem-
poro-parietalis sinistrse. Seite 44.
Fig. 3. Frontalschnitt 8 cm. vor der Occipitalspitze, von vorn abgebildet.
In der Sehstrahlung liegt das vordere Ende einer Erweichung.
Fig. 4. Frontalschnitt 4 cm. vor der Occipitalspitze mit Geschvvulstmasse in der Rinde;
Erweichung in der Sehstrahlung,
mal. — Malacie.
Fig. 5. 6. 7. Fall 5. Lovisa Olsson. Gumma regionis Hippo-
campi dextri. Seite 51.
Fig. 6. Die Geschwulstmasse infiltrirt die ventrale Fläche des Pulvinars, 8 cm. vor der
Occipitalspitze.
tum. — Gumma.
Fig. 7. Die Geschwulstmasse füllt den Raum zwischen den Vierhügeln, dem Fornix und
Gyrus Hippocampi, 7 cm. vor der Occipitalspitze.
C. 4-gem. p. • — Corpus quadrigeminum posterius.
Fig,
5
Schnitt 9 cm. vor der Occipitalspitze, im Ganzen normal.
C. i. — Capsula interna. tract. — tractus opticu-s.
N. ext. — Nucleus externus thalami. tum. — tumor.
N. i. — Nucleus internus.
F. S. — Fossa Sylvii.
H. — Gyrus Hippocampi.
Hensclien Pathologie des Geliirns
Tafel VIT.
A. Gyllenspelz delin. '
LiÜi. W. Schlächter, StocHiolm.
I
TAFEL VIII.
I
TAFEL VIII.
Fall 4. Augusta Eriksson. Gumma regionis temporo-parieta-
lis sinistrse. Seite 44.
Fig. I. Die linke Hemisphäre, laterale Fläche, Geschwulst in der zweiten Temporal-
windung.
Fig. 2. 3. 4. Frontalschnitte. 7. 6 und 5 cm. vor der Occipitalspitze.
C. c. — Corpus callosum.
C. p. — Cornu posterius,
prjec. — praecuneus.
Hens eilen. Pathologie des Gelurns
Tafel WI
I
1
I
TAFEL IX.
TAFEL IX.
Fall 6. Stjernström. Encephalomalacia hemisphaer. dextr. et
sinistr. Seite 58.
Fig. I. Die rechte Hemisphäre; laterale Fläche mit multiplen kortikalen Malacien.
Fig. 2 — 5. Horizontalschnitte resp. 2. 3. 4 imd 5 cm. unterhalb der Margo falcata.
N. c. — Nucleus caudatus.
Th. — Thalamus.
L.L.LjurLjgreii & J Fredlmii delm. ^
LitJi. W Schlächter, Stochliolm^
TAFEL X.
TAFEL X.
Fall 6. Stjernström. Encephalomalacia hemisphser. dextr. et
sinistr. Seite 58.
Fig. I. Die mediale Fläche des linken Occipitallappens.
Fig. 2 — 7. Die Occipitalspitze und Frontalschnitte durch den occipitalen Abschnitt der
linken Hemisphäre resp. i. 2. 3. 4 und 5 cm. vor der Spitze.
Fig. 8. Die mediale Fläche des rechten Occipitallappens.
Fig. 9 — 15. Die Occipitalspitze und Frontalschnitte durch den occipitalen Abschnitt der
rechten Hemisphäre resp. i. 1.5. 2. 3. 4 und 5 cm. vor der Spitze.
atr. — Atrophie.
Cun. — Cuneus.
F. c; oc. ; calc — Fissura calcarina.
mal. — Malacie.
oc. inf. — Fissura calcarina, ramus inferior,
oc. sup. — » » » superior.
J. Fredkmd. delm. ^
Lith. W Schlacliter, StocHiolm,
TAFEL XI.
TAFEL XL
Fig. 1—5. Fall . Blindgeborenes Kind.
Fig. I. Das Gehirn, von vorne abgebildet.
Fig. 2. Das Gehirn, von hinten abgebildet.
Fig. 3. Die rechte Hemisphäre, laterale Fläche.
Fig. 4. Die linke Hemisphäre, laterale Fläche.
Fig. 5. Die mediale Fläche der linken Hemisphäre und Sagittalschnitt in die Mittellinie
c. c. — corpus callosum.
C. 4-gem. — Corpus quadrigeminum.
Fig. 6 — 9. . Fall 6. Stjernström. Encephalomalacia hemisphaer.
dextr. et sinistr. Seite 58.
Fig. 6. Die rechte Hemisphäre von unten abgebildet.
Fig- 7 — 9- Frontalschnitte durch diese Hemisphäre resp. i. 2. 3 hinter der Temporal-
spitze.
F. S. — Fossa Sylvii.
lat. — laterale Fläche,
med. — mediale Fläche.
1
TAFEL XII.
TAFEL XII.
Fall 7. Lena Jakobsdotter. Encephalomalacia capsulae internse
region. adjac. Seite 71.
Fig. I — 7. Frontalschnitte durch die rechte Hemisphäre.
Fig. I — 4 resp. 4. 5. 6. 7 cm. hinter der Frontalspitze, Fig. 5. 6. 7. resp. 8.
7. 6. cm. vor der Occipitalspitze.
C. c. — corpus callosum.
C. g. e. — Corpus geniculatum externuni.
Forn. — Fornix.
F. S. — Fossa Sylvii.
I. — Insula.
Mal. — Malacie.
Th. — Thalamus.
U. — Uncus Hippocampi.
J Fredkmcl deliu.
Lüh. W. ScWacliter, StocMiolm.
TAFEL XIII.
TAFEL XIII.
Fall 8. Winström. Cysta haemorrhagica in Capsula interna et
Thalamo optico dextro. Seite 88. Fig. 2-mal vergrössert.
Fig. I — lo. Horizontalschnitte durch die Centralganghen. Fig. i. Schnitt in der Höhe
der dorsalen Fläche des Thalamus, durch den Nucleus caudatiis. Fig. lo. Schnitt
durch den Tractus opticus und Corpus quadrigemin. posterius,
a — (Fig. ig) artificielle Zertrennung in dem Präparate.
Aq. S. — Aquaeductus Sylvii.
atr. — Atrophie.
C. ext. — Capsula externa,
C. g. e. — Corpus geniculatum externum.
C. g- i. ■ — » » internum.
C. i. — Capsula interna.
C. L. — Corpus Luysii.
Col. ant. — Colliculus anterior (Vierhügel).
Col. p. — Colliculus posterior (Vierhügel).
Com. p. — Commissura posterior.
Cort. — Cortex.
Cor. rad. — Corona radiata.
Cy. — Cyste.
C. V. d. A. — Columna Vicq d'Azyr.
Glob. pall. — Globus pallidus.
N. caud. — Nucleus caudatus.
N. r. — Nucleus ruber.
Occ. S. — Occipitale Strahlung.
Pulv. — Pulvinar.
Put. — Putamen.
Th. — Thalamus.
Trig. Hab. — Trigonum Habenulae.
Hensclien, Pathologie des -Gelurns.
Tafel XÜT-
A. Cleve deliu,
Lift. W. Schlachter, Stockholm.
TAFEL XIV.
TAFEL XIV.
Fig. I — 4. Fall 8. Winström. Cysta hsemorrhagica in Cap-
sula interna et Thalamo optico dextro. Seite 88.
Fig. I. Die Centralganglien der rechten Hemisphäre.
Atr. — Atrophie (Degeneration).
Col. a. — Colliculiis anterior (Vierhügel).
Col. p. — Collicuhis posterior (Vierhügel).
Cy. — Cyste.
Trig. H. — Trigonum Habenulce.
Fig. 2 — 4. Durchschnitte durch den Pons und die Medulla oblongata. 2-mal vergrössert.
B.A. — Bindearm. r. Schi. — rechte Schleife.
1. — links. C. r. — Corp. restiforme.
lat. Schi. — laterale Schleife. Py. — Pyramidenbahn,
r. — rechts.
Fig. 5— II. Fall 7. Lena Jakobsdotter. Encephalomalacia in
Capsula interna. Seite 71.
Fig 5. Durchschnitt durch die Medulla oblongata. 2-mal vergrössert.
a. — Atrophie des antero-lateralen Stranges.
C. r. — Corpus restiforme.
Py. — Pyramidenbahn,
r. Schi. — rechte Schleife.
Fig. 6. Durchschnitt durch das Cervikalmark. 2-mal vergrössert.
a. — rechter antero-lateraler Strang, degenerirt.
1. Py. — der linke Seitenstrang, degenerirt.
Fig. 7. Mikroskopischer Schnitt durch den rechten Colliculus anterior des Vierhügels.
Hartnack Obj. 7. Ocul. 2.
Fig. 8. Zellen aus der Rinde der linken Fissura calcarina (S. 79.). Hartnack Obj. 7.
Ocul. 2.
Fig. 9. Zellen aus der Rinde des rechten Lobulus lingualis (S. 79). Hartnack Obj. 7.
Ocul. 2.
Fig. IG. Zellen aus der Rinde der linken vorderen Centraiwindung. (S. 80. 81.)
Fig. II. Zellen aus der rechten vorderen Centraiwindung.
Die Fig. 10 und 11 sind mit Zeiss' Camera, und bei Zeiss' Mikroskop Obj. 16.
Ocul. 4 gezeichnet.
Hensclien. PatMogie des Gelurns. _ Tafel 217
Cleve deliu.
Lüh
W. Schlachter, StocHiolm.
/
KLINISCHE UND ANATOMISCHE BEITRÄGE
ZUR
THOLOGIE DES GEH Ii!
VON
Dp. SALOMON EBERHARD MENSCHEN
PROFESSOR DER KLINISCHEN MKDICIN, DIREKTOR DER MEDICINISCHEN KLINIK
AN DER UNIVERSITÄT UPSALA
DRITTER TEIL
MIT 27 TAFELN
UPSALA 1896
ALMQVIST & WIKSELLS BÜCHDRUCKEREI AKTIENGF.SEI.LSCH AFT
KOMMISSIONS-VERLAG VON K. F. KOEHLER. LEIPZIG
KLINISCHE UND ANATOMISCHE BEITRAGE
ZUR
THOLOGIE DES GEH Iß
VON
Dp. SALOMON EBERHARD RENSCHEN
PROFESSOR DER KLINISCHEN MEDICIN, DIREKTOR DER MEDICINISCHEN KLINIK
' AN DER UNIVERSITÄT UPSALA
DRITTER TEIL
ZWEITE HÄLFTE
MIT 13 TAFELN
UPSALA 1896
A[,MQVIST & WIKSELLS BUCHDRUCKEREI-AKTIENGESELLSCHAFT
KOMMISSIONS-VERLAG VON K. F. KOEHLER. LEIPZIG
VORWORT.
Durch die Freigebigkeit des Herrn August Röhss in Gothenburg bin ich in den
Stand gesetzt worden, diesen dritten Teil herauszugeben. Ich statte diesem hochherzigen Gön-
ner und Förderer der Kunst und der wissenschafthchen Forschung hiermit meinen tiefgefühlten,
herzlichsten Dank ab und hege den Wunsch, dass seine Gabe durch die in diesem Werke
niedergelegten Beobachtungen auch den leidenden Menschen zu Gute kommen möge.
Bei der Abfassung dieses Teils bin ich denselben Grundsätzen wie früher gefolgt: die
klinischen Beobachtungen eingehend darzulegen, überall, wo es angemessen erschien, den Sec-
tionen ausführliche mikroskopische Untersuchungen beizufügen, alles Thatsächliche in den
Vordergrund zu stellen und es gewissenhaft von dem Hypothetischen zu trennen, das Auf-
stellen verfrühter Theorien zu vermeiden und endlich durch zahlreiche naturgetreue Abbil-
dungen und ausführliche Beschreibungen den Forscher in den Stand zu setzen, von einem
unabhängigen Standpunkte aus die Schlüsse zu kritisiren.
So suchte ich überall die Thatsachen ihre unwiderlegliche Sprache sprechen zu lassen
und ein Material über hirnpathologische Fragen zu sammeln, aus dem auch kommende
Forscher vielleicht etwas schöpfen könnten, wann einst die verschiedenen Probleme ihrer
Lösung entgegenreifen.
In diesen drei Teilen sind Probleme, die den Gesichtssinn betreffen, vorzugsweise be-
handelt worden, aber wenn mir Zeit und Kraft nicht fehlen werden, so hoffe ich in der Fort-
setzung des Werkes auch die Lokalisation und Funktionen der übrigen Sinne, soweit diese
der kombinirten klinisch-anatomischen Forschung zugänglich sind, zu behandeln, und zwar
unter Zugrundelegen der in diesen drei Teilen vorgeführten sowie neuer Beobachtungen.
Mein verehrter Freund, Herr Doctor H. JVilbrand hat mir einen neuen Beweis seiner
Freundschaft und Uneigennützlichkeit geliefert, indem er mir drei sehr interessante Kranken-
geschichten, sowie die dazu gehörenden Gehirne zur Bearbeitung überlassen hat; ich danke
ihm deshalb herzlichst.
Für die einsichtsvolle Korrektur meiner Manuskripte spreche ich Herrn IValtcr Berger
in Leipzig meinen aufrichtigen und verbindlichsten Dank aus. Fräulein Agnes Cleve in
Upsala, welche die meisten Abbildungen in diesem Teile gezeichnet hat, und die Herren IV.
Schlachter und Gustaf Tholander in Stockholm, welche sie sorgfältig lithographirt haben,
teilen das Verdienst der schönen Bilder und mögen meinen besten Dank empfangen.
Endlich bin ich den Herren y. IViksell und K. JV. Appelberg für ihre Mühe bei der
Herstellung des schönen Druckes der erschienenen drei Teile in hohem Maasse verpflichtet.
Sätra Brunn d. i. Juli 1896.
S. E. MENSCHEN,
UEBER HEMIOPISCHE PUPILLENREAKTION
115
plex, hemiopische Reaktion ohne Hemianopsie, nur durch Zer-
störung der Endigungen der Pupillenfasern eintreten. Die
Strecke dieser Endausbreitung misst eher Millimeter als Cen-
timeter.
Nach dem, was oben dargestellt worden ist, hat also
die hemiopische Pupillenreaktion nicht nur eine teoretische
sondern auch eine praktische lokaldiagnostische Bedeutung.
Aber erst weitere Untersuchungen können den Verlauf der
Pupillenfasern und damit die Bedeutung der hemiopischen
Pupillenreaktion endgültig entscheiden.
Noch, ein Wort über die lokale Anordnung der Pupillen-
fasern innerhalb der frontalen Sehbahn. Wie liegen die
centripetalen Pupillenfasern in der Retina, im Opticus und
Tractus ?
Hinsichtlich der Verteilung dieser Fasern in" der Retina
macht die Beobachtung, dass der Pupillenreflex überhaupt
von jedem Punkte der Retina ausgelöst werden kann, es
wahrscheinlich, dass die Pupillenfasern über der Retina gleich-
massig zerstreut sind. Hiermit stimmen u. A. auch die Anga-
ben Peretti's'-' und Sachs'*'-' überein, welche Fälle beobachtet
haben, in denen nur von sehr beschränkten sehenden Ge-
bieten die Pupillenreflexe ausgelöst werden konnten. Was
die Lage der Pupillenfasern im Opticus betrifft, so lehren
die bekannten Untersuchungen von Key und Ketzins, dass
die Opticusfasern beim Menschen verschiedenen Kalibers sind.
Es ist wohl dann auch wahrscheinlich, dass sie verschiedene
Funktionen haben. Die beiden Arten von Fasern sind unter
einander gemischt. Bei den Thieren hatte Gudden schon
1882 das Vorhandensein von zwei Fasersystemen im Opticus
nachgewiesen, und zwar ein System von Sehfasern und ein
solches von Fasern, die auf reflektorischem Wege die Pupil-
lenbewegung beherrschen. Durch Exstirpation des Colliculus
anterior (beim Kaninchen) konnte Gudden im Sehnerven der
entgegengesetzten Seite »die mächtige Ansammlung der
dicken Fasern» nachweisen d. h. also eine Atrophie der
dünnen Fasern. Diese Atrophie war in der Retina eine all-
gemeine, nicht eine lokale.
Der mir brieflich von Wilbraiid mitgeteilte Fall, in wel-
chem eine nach einem Trauma des einen Opticus entstandene
Hemianopsie von hemiopischer Pupillenreaktion begleitet war,
scheint zu beweisen, dass die visuellen und centripetalen Pu-
pillenfasern für ein gewisses Gebiet der Retina im Opticus
zusammen liegen.
Betreffs des Chiasma, wissen wir nur, dass hier auch
die Pupillenfasern einer Partialkreuzung unterworfen sind; das
zeigt das Vorhandensein der hemiopischen Reaktion.
In Ubereinstimmung hiermit sah Gudden *** bei der
Katze bei Durchschneidung des einen Tractus opticus, dass
die dicken Fasern denselben Kreuzungsverhältnissen wie die
dünnen unterliegen.
' Deutsche Med. Woch. 1893 N:o 13.
" Archiv f. Augenheilk. Okt. 1893 (Nach Peretti).
Gesamm. Abhandl. 1889. S. 189. 199.
Wie die Pupillenfasern im Tractus liegen, darüber fehlt
auch zur Zeit jede Auskunft. Im Falle 2 (Teil I. S. 14,
Teil II. S. 257) habe ich nachgewiesen, dass sich im Tractus
verschiedene Bündel, welche sich im Chiasma partiel kreuzen,
vorfinden. Besonders zeichnet sich ein dorso-lateral liegendes
Bündel von den anderen deuthch ab. Ich warf dort die Frage
auf, ob dieses Bündel die centripetalen Pupillenfasern ent-
halte, und erklärte, dass es in Anbetracht der lateralen Lage
wahrscheinlich nicht den Pupillenfasern entspräche (Teil II.
S. 259). Der einzige Fall, welcher meines Wissens geeignet
ist, Auskunft über die Lage der Pupillenfasern im Tractus zu
geben, ist wohl mein Fall N:o 20 (Teil III. S. 104) (Taf III.
Fig. I — 4), wo eine mikroskopische Atrophie im dorso-medialen
Rande des rechten Tractus einen auf dem linken Auge deut-
lichen und auf dem rechten Auge undeutlichen hemiopischen
Pupillenreflex hervorrief Dieser Fall deutet also an, dass
die Pupillenfasern am dorso-tnedialen Rand des Tractus ein
besonderes Bündel bilden. Der Fall steht aber bisher ver-
einzelt da.
Anhang.
Nach dem Druck der obigen Abhandlung, sind einige
neue Fälle von hemiopischer Reaktion in der Litteratur be-
kannt geworden, welche hier der Vollständigkeit halber an-
geführt werden. Auch habe ich selbst einige diesbezügliche
Beobachtungen gemacht. Diese Fälle sind in folgender weise
einzuregistriren (vgl. S. loi).
Unter I. A) a) (S. loi).
Fall jy Henschen (Chr. Wef) Grosse Geschwulst in der
rechten Plemisphäre (in den Paracentral- und Parietallappen).
Die Geschwulstmasse übte auf den vorderen Colliculus anterior
einen indirekten bedeutenden Druck aus (s unten) ohne he-
miopische Pupillenreaktion hervorzurufen.
Unter I. A) b) (S. 102).
Fall j8. Henschen (Sundelin, s. unten, S. 120). Grosse
Geschwulstmasse im Mark des unteren Parietallappens und
der angrenzenden Windungen, welche zuerst nur eine tempo-
räre, .später eine konstante Heinianopsie hervorrief.
Unter III. A) b) (S. 103).
Fall jg. Horsley (Brit. med. Journ. 1893 Dec, S. 1366).
Tumor im Temporosphenoidallappen.
d) Verletzungen (nach Fall 26) (S. 193).
Fall 4.0. Wernicke (Neurol. Centralbl. 1895, S. 511).
Stichwunde durch den Pedunculus cerebri und den TractuS.
Unter IV. Chiasma-Fälle (S. 103).
Fall ^i. Mercanton et Combe (Revue medicale de la
Suisse romande, Tome XII, S. 489). Fall von Hirntuberkel
mit bitemporaler Hemianopsie.
Unter V. Opticus-Fälle (oder unter IV. Chiasma-Fälle)
(S. 104).
Fall ^2. Henschen (Erika Börjesson). F^olgender Fall
scheint eine ausführlichere Mitteilung zu verdienen.
5. E. Henschen.
Pathologie des Gehirns.
1 in
S. E. HENSCHEN. PATHOLOGIE DES GEHIRNS
Fall 9. Börjesson.
Klinische Diagnose; Meningitis serosa mit monoculäpep nasalep Hemianopsie und tpansitopisehep hemiopisehep Pupillenpeaktion.
Zusammenfassung: Das 19jährige Mädchen hatte im
Alter von 15 Jahren eine gelinde Meningitis überstanden, wo-
bei auch die Sehschärfe sich verminderte. Von Neujahr 1895
an eine schleichende Meningitis serosa, welche besonders das
Sehvermögen bedrothe. Stauungspapille entwickelte sich bei-
derseits. Nach Entleerung erst von 35 und dann von 4 Ku-
bikcentimetern durch Lumbalpunktion trat schnelle Besserung
des Allgemeinzustandes ein, und die Sehschärfe schien zuzu-
nehmen; die Stauungspapille verschwand. Gesund entlassen.
Uebrigens rechts monoculäre nasale Hemianopsie mit hemiop-
ischer Pupillcnreaktion.
Krankengeschichte.
Erika Börjesson, 19 Jahre, Dienstmagd, wurde am 29.
Januar 1895 in's Krankenhaus aufgenommen und am 8. Mai
desselben Jahres als gesund entlassen.
Weder tuberculöse, noch nervöse Belastung findet sich in
der Familie. Auch weder Lues noch Alkoholismus. Patientin
hat die Masern durchgemacht. Als elf- bis zwölfjähriges Kind
hatte sie Rhacliitis, war sehr schwach, so dass sie kaum gehen
konnte, und war an den Gelenken empfindlich, ohne dass die
Knochen in irgend einer Weise deformirt waren. Die Lebens-
verhältnisse waren sonst ziemlich gut, und sie soll nie mit Tu-
berculosen umgegangen sein.
Im Alter von 15 Jahren machte sie eine mit der gegen-
wärtigen ähnliche Krankheit durch. Die Symptome waren: Schwere
in der Stirn und am Scheitel, besonders links, localisirte Kopf-
schmerzen, Erbrechen und Entkräftung. Die Sehschärfe vermin-
derte sich während der Krankheit, besonders die des rechten
Auges; nur mit Schwierigkeit konnte sie lesen, und es war ihr
so trübe vor den Augen, dass sie nur die am nächsten liegen-
den Gegenstände sehen konnte. Patientin war drei Wochen
bettlägerig. Darnach genas sie allmälich; aber seitdem litt sie
bisweilen an Kopfweh und Müdigkeit. Ob die Sehschärfe schon
seit dieser Zeit herabgesetzt war, weiss sie nicht anzugeben.
Seit vielen Jahren litt sie an Bleiclisucht mit Schwäche,
sowie an einem Magenleiden, wahrscheinlich in Folge unmässigen
Kaffeetrinkens.
Von NeujaJir iSgß datirt sie ihre Krcinklieit. Ohne be-
kannte Ursache trat Tag und Nacht saures Aufstossen und hef-
tiges Erbrechen von saurem Wa.sser — ja zweimal selbst von
Blut — ein. Heftige Schmerzen im Epigastrium. Kein Appetit.
Nach 8 Tagen musste sie sich in's Bett legen.
Am 29. Januar 1895 wurde Patientin in's Krankenhaus
gebracht. Sie klagte über schweres Kop/ice/i und Ohrensausen,
Empfindlichkeit am Bauch. Temperatur 38,4.
5. Februar. Besser, kann etwas essen. 9. bis 12. Februar.
Fieber, Kopfweh.
Status praesens 19. Februar 1895.
Kopfweh, Ohrensausen, Müdigkeit und Schwindel. Ab und
zu Erbreehen.
Obstipation. Temperatur leicht febril, aber der Puls lang-
sam, lieute 54, höchstens 98. Blut 3,800,000, Hämoglobin .25
Percent. Die weissen Blutkörperchen vermehrt.
Empfindlich im Epigastrium. Acidität des Mageninhaltes
vermehrt. Keine deutlichen krankhaften Brustsymptome, aus-
genommen etwas verschärftes Athmen. Keine Bacillen im Ex-
pectorat. Sonst nichts Bemerkenswerthes.
5. März. Es wurde bemerkt, dass die Sehschärfe beson-
ders rechts, bedeutend herabgesetzt war.
R. A. Am rechten Auge sieht Pat. in einer Entfernung
von 5 cm. tiegenstände im temporalen Gesichtsfelde, aber kann
die Konturen selbst nicht scharf sehen. Sieht die Konturen eines
Lichtes. Keine Refraktionsanomalie.
L. A. Auch keine Anomalie der Refraktion. S. = 0.5.
Vielleicht unregelmässiger Astigmatismus. Gesichtsfeld nicht he-
mianopisch.
Die Pupillen reagiren für Licht und Accomodation, gleich
gross. Keine deutliche hemiopische Pupillenreaktion. Weder
Farbenblindheit noch Gesichtshallucinationen.
Pat. liest eine Weile mit Schwierigkeit, kann dann nicht
mehr lesen; es wird ihr dunkel vor den Augen.
Gelinde Stauungspapille auf beiden Augen.
7. März. Ophthalmoskopisch (Prof. Gullstrand und Ver
fasser) : L. A. Die Papille stark geschwollen, die Grenzen un-
deutlich; die Farbe bleich, die obere Grenze hat vertikale ra-
diirende weisse Streifen. Die Venen erweitert, geschlängelt, die
Arterien verengt. Zwei kleine Hämorrhagien, die eine in der
Maculargegend, von der Grösse eines Hanfkorns, die andere
gleich über der Papille von der Grösse des Kopfes einer Steck-
nadel.
R. A. Die Papille mehr angeschwollen; sonst sind die
Veränderungen der Gefässe sowie die Grenzen und die Farbe
der Papille wie links. In der Maculargegend eine erbsengrosse
gesprenkelte Stelle. Nach aussen davon eine linsengrosse un-
regelmässige Hämorrhagie.
Gesichtsfeld: L. A. Nichts Auff'allendes S = 0,5. R. A.
Nasale Hemianopsie. Im temporalen Ge'sichtsfelde, ist die Seh-
schärfe vermindert. Keine hemiopische Fupillenreaktion. Pupillen
gleich", die rechte reagirt kaum gegen Licht (9. März).
R. A. In temporalen Gesichtsfelde ist die Sehschärfe grös-
ser im oberen als im unteren Quadranten; im nasalen kann
sie Finger nicht zählen.
Mitte März. In der Zwischenzeit hat sich der Zustand
kaum verändert. Kopfweh in Verbindung mit Erbrechen, un-
bedeutende Temperatursteigerung bestanden fort. Patientin war
etwas somnolent und schlaff.
Die Kranialncrven normal, ausgenommen den Opticus, wo
lechts nasale Hemianopsie mit Beschränkung des temporalen
Gesichtsfeldes bestand. L. A. wenig verengtes Gesichtsfeld.
UEBER HEMIOPISCHE PUPILLENREAKTION
117
13. März 1895.
Die Augen können frei in alle Richtungen bewegt werden.
Kein deutlicher Strabismus. Die Pupillen gleich gross, reagiren
auf Licht und bei Accomodation, am rechten Auge keine deut-
liche hemiopische Pupillenreaktion.
Die Spinalnerven. Von der Sensibilität und Motilität nichts
Abnormes.
Die rechte Lungenspitze sehr verdächtig (stärkerer Fremitus
und kürzerer Percussionsschall. Exspirium verlängert).
14. März. Schweres Kopfweh mit Erbrechen; Patientin
konnte kaum im Buche lesen.
Um 2 Uhr 20 Minuten Nachmittags Liimbalpunction mit
Entleerung von 35 Kubikcentimeter wasserklarer Flüssigkeit (Spur
von Eiweiss). Die Pupillen erweiterten sich eine Weile bei und
nach der Function. Patientin fühlte sich auch etwas benommen.
Nach einer Viertelstunde Erbrechen. Am Nachmittag fühlte
sich Patientin ei-leichtert. Das Kopfweh nahm ab. Temperatur
Abends 38,7.
15. März. Temperatur 36,9. Sehschärfe subjectiv gebessert,
aber objectiv unverändert. Patientin konnte lesen. Gesichts-
felder unverändert. 16. März. Anschwellung beider Papillen
kann auf drei Dioptiren geschätzt werden (Prof. Gullstrand).
Anzeichen von älterer Atrophie. Kein Kopfweh.
17. März. Abnahme der Sehschärfe, wie 14. März, Kopfweh.
18 März, Lumbalpujiction. 'Hmx 4 Kubikcentimeter entleert.
— 19. März. Wenig Kopfweli. Kein Erbrechen. Patientin steht
auf. Appetit gebessert. Patientin sieht nach ihrer Aussage
besser; objectiv keine Besserung.
21. März. Die PaiDÜle links vielleicht etwas klarer, rechts
klarer. Die Excavatibn deutlicher. Die Streifung der oberen
Grenze vermindert. Sieht rechts nur (?) im oberen temporalen
Quadranten. Undeutliche hemiopische Reaktion rechts.
1. April. R. A. Die Anschwellung der Paiaillen drei Diop-
trien. Die Excavationen sind beiderseits deutlich. Die Ver-
änderungen an den Gefässen weniger ausgesprochen. L. A.
Papille weniger gestreift. Sehschärfe entschieden gebessert. Pa-
tientin Hest feinen Druck.
2. April. Die Hemianopsie besteht noch am rechten Auge.
Im temporalen Gesichtsfelde sieht Pat. fleckenweise deutlich,
fleckenweise dunkel.
18. April. Bedeutende Besserung des Allgemeinzustandes.
Gewicht seit dem 22. März um 5,5 Kilogramm vermehrt. Ge-
sichtsfelder erweitert. S. L. 0,9, S. R. '/so.
18. April 1895.
28. April. R. A. Papillenanschwellung zwei Dioptrien. Die
Papille bleich, graublau, die Grenzen scharf. Sowohl Arterien
wie Venen sind verengt, mit deutlichen Grenzen. Längs der
unteren Vene helle Streifen (Perivasculitisj. Die Pupille reagirt
zwar auf Licht von beiden Seiten, aber schwächer, wenn es von
der linken Seite eingeworfen wird als von der rechten; also
beide Gesichtsfelder sind bedeutend erweitert im Vergleich mit
dem Zustande am 13. März. Schwache hemiopische Reaktion
(wechselt). L. A. weniger veränderte Venen.
7. Mai. S. L. 0,9, S. R. Vis bis ^/20. Gesichtsfeld. Rechts:
Nasale Hemianopsie. Links : Normales Feld. Im nasalen Ge-
sichtsfeld des rechten Auges kann Pat. die Konturen einer Licht-
flamme nicht sehen.
Bezüglich der Pupillenreaktion unsicheres Resultat.
8. Mai. Gesund entlassen.
Epikrise.
Das früher rhachitische Mädchen litt anscheinend an
einem Magenleiden, charakterisirt durch Erbrechen, selbst
von Blut, saurem Aufstossen, Empfindlichkeit im Epigastrium
u. s. w. Unter Fieber entstanden dann Schwindel und schweres
Kopfweh, welches sich fast bis zu Benommenheit steigerte;
das Erbrechen nahm zu, und eine Stauungspapille bildete
sich auf beiden Augen schnell aus. Der Puls war 54 bis
98, aber die Temperatur bis 38 — 39,4. Alle diese Symptome
deuteten auf eine gelinde Meningitis mit vermehrtem intra-
kraniellen Druck. Die Symptome an der rechten Lungen-
spitze machten eine schleichende Tuberculose sehr verdächtig,
aber keine Bacillen konnten in der klaren Punktionsflüssigkeit
nachgewiesen werden.
Da das Sehvermögen der Patientin deutlich in Gefahr
war, nahm ich die Lunibalpiinktiod vor. Obschon in zwei
Sitzungen nur etwa 40 Kubikcentimeter entleert wurden, so
datirte sich doch von dem A2igenblicke ab die Besserung der
Patientin, denn bis dahin hatte sich der Zustand immer ver-
schlimmert. Wenn auch die Patientin ohne diese Punktion
hätte genesen können, so ist es meine Ueberzeugung, dass
durch die Function der krankhafte Process plötzlich abge-
schnitten wurde und die Flüssigkeit unter günstigere Resorp-
tionsverhältnisse gesetzt wurde. Dass dadurch das Sehver-
Diögen auf dem linkefi Auge der armen Patientin gerettet
wurde, ist höchst wahrscheinlich, was umso wichtiger war,
da der rechte Opticus durch einen früheren, augenscheinlich
gleichartigen Process schon geschädigt war. Es war nämlich
hier eine ältere partielle Atrophie vorhanden, und die kleine
118 S. E. RENSCHEN. PATHOLOGIE DES GEHIRNS
Narbe im Augengrund war auch eine Erinnerung an diesen
älteren Process.
Die Lmiibalpunktion zvirkte also sehr gihistig.
Der Fall wird hier nicht der Lumbalpunktion halber an-
geführt, sondern wegen der vorhandenen JuDiiopischeii Pu-
pillenreaktion am rechten Auge. Diese steht hier mit der
seltenen Form von Gesichtsfeldsdefekt an demselben Auge
im Kausalz.usammenhang. Es bestand nämlich am rechten
Auge eine nasale Hemianopsie während in dem Gesichtsfelde
des linken Auges am 13. März eine geringe koncentrische
Einschränkung vorhanden war, welche jedoch nach den Lum-
balpunktionen fast vollständig verschwand.
Eine solche Kombination von Gesichtsfeldsdefekten ist
sehr selten, w ie überhaupt eine monokuläre nasale Hemianopsie.
Seit welcher Zeit diese stammte, ist nicht absolut sicher,
aber nach aller Wahrscheinlichkeit war sie schon bei dem
früheren Anfalle von Meningitis vor vier Jahren entstanden.
Auch fand sich sowohl vermehrter intrakranieller Druck, wie
auch wenigstens eine kleine Blutung im rechten Augengrund
(s. Beobachtung am 7. März). In Anbetracht der unbedeu-
tenden Ausdehnung kann die retinale Blutung die nasale He-
mianopsie nicht erklären, und es muss hier ein kleines cir-
cumscriptes Exsudat am Chiasma (im äusseren Winkel) oder
am intrakraniellen Teil des rechten Nervus opticus, das unge-
kreuzte Bündel zur Atrophie gebracht haben. Die Untersuch-
ung wies ausserdem nach, dass am 21. März selbst das tem-
porale Gesichtsfeld in dem oberen Quadranten beschränkt war.
Nach der Lnnibalpiniktion erzveitertc sich das vorher
concentrisch eingeengte linke Gesichtsfeld und wurde fast
normal, auch das rechte hemiopische Feld dehnte sich et-
was aus.
Die hemiopische Pnpillenreaktion wurde nicht schon im
Anfang der Krankheit wahrgenommen, wenn auch nicht ver-
neint werden kann, dass sie schon von der 4. Jahre früher
durchgemachten Krankheit her hatte bestehen können. Am
7. Marz konnte nämlich bei Prüfung auf hemiopische Reaktion
eine solche nicht nachgewiesen werden. Sie scheint mit der
iCntwickelung der Meningitis entstanden zu sein und mit ihr
auch verschwunden zu sein. Am 21. März bestand eine
schwache hemiopische Pupillenreaktion. Bei Prüfung am 28.
April und an anderen Tagen wurde sie auch nachgewiesen;
aber nicht bei allen Proben an demselben Tage war es mög-
lich sie wahrzunehmen, obschon dieselbe Methode angewendet
wurde. Überhaupt war beim E^inwerfen des Lichtes in das
rechte Auge von der linken Seite her nicht eine absolute Pu-
pillenstarre wahrzunehmen, sondern nur eine deutliche Diffe-
renz der Intensität der Pupillenbewegung.
Man kann den Wechsel der hemiopischen Pupillenreak-
tion in mannigfacher Weise erklären. Wahrscheinlich waren
in der blinden Retinahälfte noch Elemente übrig, durch deren
Reizung bisweilen eine reflektorische Kontraktion ausgelöst
wurde, während diese Reizung nicht kräftig genug war, eine
Lichtperception hervorzurufen.
Dieses deutet entweder auf das Vorhandensein differenter
Elemente in der Retina für Lichtreflexe und Lichtperception
oder auf eine difierente Empfindlichkeit derselben Elemente
für Reflexreiz und für Lichtreiz, d. h. die Retinaelemente
können einen Reiz, welcher durch die Reflexwege fortgepflanzt
wird, noch empfinden oder aufnehmen, selbst wenn sie in
dem Grade geschädigt sind, dass sie zur Aufnahme von Licht
nicht mehr fähig sind.
Der von Peretti beobachtete Fall (n:o 34. S. 104) von
bitemporaler Hemianopsie nach einer Schädelfractur, in dem
die hemiopische Pupillenreaction erst nach dem PIrblinden des
ganzen linken Auges an diesem Auge nachgeweisen war, spricht
dafür, dass bei einer Läsion des frontalen Abschnittes der
Sehbahn die Perception oder Leitung des Lichtreflexes vor-
handen sein kann selbst wenn die Lichtperception oder ihre
Leitung erloschen ist.
Von den obigen zwei Möglichkeiten bin ich für die erste
mehr geneigt und zwar aus dem Grunde, weil wir a) teils
nunmehr, meiner Meinung nach, ganz bestimmt wissen, dass
es eigene Reflexwege für Lichti;eiz giebt welche nach dem
Pupillencentrum verlaufen, b) teils in der Retina verschiedene
Nervenelemente bestehen, und c) in der Sehbahn Fasern von
ungleichem Kaliber sich vorfinden.
Nach HeddiBHS spielt vielleicht bei dem Wechsel der
Pupillenreaktion der Haab'sche Hirnrindenreflex eine Rolle
(Arch. f Augenheilk. von Knapp & Schweigger 1896 S. 91).
Aus dem Vorhandensein einer monokularen Hemianopsie
und hemiopischen Pupillenreaktion ist weiter zu lernen, dass die
pupillenreflektorischen Fasern, welche im Opticus und Tractus
verlaufen, gewiss mit den optischen Fasern in abgeschlossenen
Bündeln bis zu dem oder bis in das Chiasma verlaufen. Die
vorhandene monokuläre nasale Hemianopsie zeigt, dass das
ungekreuzte Bündel, welches die temporale Retinahälfte in-
nervirt, mehr oder weniger atrophisch war. Diese Atrophie
ist durch ein meningeales Exsudat oder dergleichen in der
Kranialhöhle zu Stande gekommen. Das Vorhandensein einer
hemianopischen Pupillenstarre beim Einwerfen vom Licht von
der linken Seite auf die rechte Retinalhälfte muss auch durch
die Atrophie hervorgerufen worden sein und zeigt, dass dasselbe
Bündel nicht für den Reflexreiz leitend war. Dieser Reiz
muss also auch in demselben ungekreuzten Bündel fortge-
leitet werden.
Schon oben S. 114 habe ich nachgewiesen, dass der
von Wilbrand beobachtete Fall von Hemianopsie infolge von
P'raktur an dem P'oramen orbitale zeigt, dess die pupillen-
reflektorischen Fasern der nasalen Retinahälfte in der Nähe
von diesem Foramen im gekreuzten Bündel enthalten sind.
Mein Fall vervollständigt in wünschenswerther Weise jene
sonst einzeln dastehende Beobachtung und zeigt, dass in dem
ungekreuzten Bündel sowohl Reflex- wie Sehfasern enthalten
sind, und zwar auch für den intrakraniellen Abschnitt des
Opticus oder eventuel selbst für das Chiasma. Dass das
meningeale Exsudat das ungekreuzte Bündel nicht im Tractus
ergriffen hat, scheint mir aus dem Grunde wahrscheinlich,
weil das ungekreutzte Bündel hier hauptsächlich im Inneren
des Tractus liegt (Teil II, Taf XXVIII, 17). Es lässt sich
dann nur schwierig denken, dass ein pathologischer Prozess
beim Übergreifen auf dieses Bündel das gekreuzte unversehrt
gelassen hätte.
UEBER HEMIOPISCHE PUPILLENREAKTION
119
Die oben angeführten Fälle von hemiopischer Reaktion
fügen überhaupt unseren früheren Kenntnissen, wie sie von
mir auf dem internationalen Kongresse in Rom, im März
1894, und hier oben, S. loi — 115, mitgeteilt sind, wenig
Neues hinzu.
Der Fall 37 zeigt, dass selbst ein ansehnlicher Druck auf
den hinteren Abschnitt des Colliculus anterior nicht den Pu-
pillarreflex aufhebt.
Die Fälle 39 und 40 bestätigen die schon früher durch
vielfache Beobachtungen erhärtete diagnostische Bedeutung
der hemiopischen Pupillenreaktion bezüglich Tractus-Läsionen,
wie auch der Fall 41 hinsichtlich der Chiasma-Läsion. Da-
gegen erweitert der Fall 42, wie schon erläutert, in einigen
Hinsichten unsere Kentnisse über die Lage der Pupillen-
Fasern im Verhältniss zu den Sehfasern.
Ausserdem verdienen noch zwei Beobachtungen hier
erwähnt zu werden; die eine von Keen (Am J. of med. Sc.
1894, n:o 2. S. 109 ff.), die andere von Rotlinimin (Deutsche
Medic. Wochenschr. 1894, n:o 15).
In dem Falle von Keen war die hemiopische PupilUen-
reaktion so undeutlich, dass Dr. Oliver ihr keine Bedeutung
für die Lokalisation zuerkennen wollte, und in Anbetracht der
Pupillensynechien in beiden Augen war dies gewiss berechtigt.
Bei der Sektion wurde an der Basis des Gehirns im
dritten Ventrikel eine Geschwulst angetroffen, welche auf das
plattgedrückte Chiasma und auf den Tractus drückte. Da
die Geschwulst auch auf die Corpora 4-gemina drückte, so
hat der Fall nur das Interesse, dass die Beachtung der hemi-
opischen Reaktion dem auf das Kleinhirn gerichteten opera-
tiven Eingriff hätte vorbeugen können.
Von Rothmann ist ein künischer Fall von recidivirender
Hemiplegie und Hemianopsie im Verein mit hemiopischer
Pupillenreaktion beobachtet worden. Da der Fall nicht zur
Sektion kam, so ist überhaupt jeder Schluss auf Grund dieses
Falles wenig berechtigt. Die von Rothmann aufgestellten
Sätze über die Bedeutung der hemiopischen Reaktion gründen
sich auch deutlich auf theoretische Erwägungen und entbehren
der nothwendigen kombinirten klinisch-anatomischen Grund-
lage. Dabei muss ich besonders hervorheben;
1. Satz I ist unvollständig, da eine hemiopische Pupillar-
reaktion sowohl bei Läsionen des Sehnerven und des Chiasma,
sowie auch bei chronisch auftretenden Hemianopsien eintritt.
2. Der Satz 4 ist aus dem Grunde unrichtig, weil eine
Degeneration der Pupillarfasern im Tractus durch Läsion eines
»höher sitzenden primären Herdes» überhaupt nicht eintritt,
wenn nicht der Herd auf die Pupillenfasern übergreift, wie im
Schmidt-Rimpler'schen Falle (S. 103).
3. Der Satz 5 : »Hemiopische Pupillarreaktion ohne Hemi-
anopsie beweist einen zwischen Vierhügel und Sphincter
iridis gelegenen Herd» ist aus nahe zur Hand liegenden
Gründen unrichtig, denn auch Herde zwischen dem Tractus
und dem Endigungspunkt der centripetalen Pupillarfasern
müssen dieselbe Reaktion ohne Hemianopsie hervorrufen (s.
oben, S. 1 14), wenn die Sehfasern nicht betroffen sind.
III.
Zwei Fälle von Hemianopsie durch Geschwülste im unteren Parietallappen.
Fall 10. Sundelin.
49 Jahre. Arbeiter.
Tafel XVI. Fig. i— 6.
Klin. Diagnose: Tumop eerebpi, lobi papietal. infep. dexlpi (He-
miplegla sin.) + Pneumonia aeuta dextpa.
Zusammenfassung. Alkoholiker, seit einiger Zeit
veränderte Stimmung. Dann plötzlich Schwindel und progres-
sive Lähmung der linken Seite ohne Zuckungen; unter Zu-
nahme der Symptome kamen bald Hemianopsie und später
allmählich Symptome von Hirnkonipression dazu. Tod nach 2
Monaten. Eine grosse Geschwulst nahm die ganze mittlere
Partie der rechten Hemisphäre ein, berührte die Rinde, grifif'
aber nicht auf sie über. Die Hemianopsie war eine indirekte.
Die Sehstrahlung oben ein wenig berührt. Rechtsseitige Ge-
sichtshallucinationen in Folge von Pialblutungen im linken
Occipitallappen.
Anamnese.
Der Vater lebt im Alter von 88 Jahren. Der Vater soll
mit »Nervenkrankheit» geboren sein: seine Hände zitterten, wie
auch Teile des übrigen Körpers; auch der Grossvater zitterte,
aber in höherem Grade. Die Mutter litt an Athemnoth und
starb im Alter von 46 Jahren plötzlich während die Arbeit an
Schlagfluss. Pat. hat p Geschwister, welche alle an Tremor lit-
ten. Sie waren auch wie Pat. selbst von Athemnoth beschwert,
und eine Schwester starb daran. An Schwindel, Herzklopfen
oder Husten litten sie nie.
Pat. hat unter guten hygienischen Verhältnissen gelebt;
hat Wechselfieber im Alter von 14 Jahren und Masern im Alter
von 16 Jahren gehabt. Verneint Lues, soll periodenweise Al-
kohol in nicht unbedeutendem Grade gemissbraucht haben.
Er war immer gesund und kräftig bis zum Ausbruch der
gegenwärtigen Krankheit, ausgenommen dass er vor g Jahren
von einem Baugerüste fiel. Er stiess sich nicht an einer bestimm-
ten Stelle, fiel auf die Hände, nicht auf den Kopf, aber war
während einiger Tage »sich nicht ähnlich-»; er zitterte in den
Händen und war nervös. Diese Symptome schwanden bald. —
In den letzten Jahren war Pat. nach Angabe seines Schwagers
i>sich selbst nicht ähnlich-»; wie, das konnte er nicht näher be-
Anatom. Diagnose: Glioma eepebpl.
stimmen. Pat. war niedergedrückt und seine Arbeitskraft in be-
deutendem Grade vermindert. Er klagte jedoch nicht über et-
was Bestimmtes. Soll nicht Schwindel gehabt haben.
Die Krankheit begann nach Aussage des Pat. plötzlich am
II. Oktoker i8g4. Er arbeitete streng an einem Mauerwerk
und .suchte es mit der linken Schulter zu stützen. Daher nach
seiner Meinung die linksseitige Lähmung. Nachmittags, als er
vom Baugerüste herunterstiegen war, wurde es ihm dunkel vor
den Augen, und er fiel nach vorn, hinüber; verlor aber das Be-
wusstsein nicht und setzte bald die Arbeit fort, wie auch am fol-
genden Tag. Am 13: bemerkte er, dass der linke Arm in
» Unordnung» war. Er sollte seine Tabaksdose nehmen, und
fand den Arm für eine kurze Weile 7C'ie gelähmt und er konnte
ihn nicht beherrschen ; dann war er wie vorher und konnte den
ganzen Tag hindurch arbeiten. Am 15. und 16. desselben Mo-
nats wurde er gewahr, dass der linke Arm und das linke Bein
etwas geschwächt waren; er konnte nicht mit diesem Arm etwas
tragen. Er bemerkte auch, dass er von Sachen, die er mit der
linken Hand trug, nicht los kommen konnte, sondern dass er die
Finger mit der rechten Hand losmachen musste. Die linke Hand
war also krampfhafit geschlossen. Das linke Bein wurde jetzt auch
schwach. Pat. musste sich eines Stockes bedienen. Die Schwäche
schritt nun in den folgenden Tagen schnell fort. Schröpfen
half nichts und mit jedem Tage wurde er allmählich schtvächer.
Am 26. Oktober konnte er nur wenig den Arm und die
Hand bewegen, das Bein war dagegen beweglich; er konnte es
im Knie beugen und mit einem Stock mit Schwierigkeit gehen. In
der ganzen Zeit litt er nicht an Schmerzen weder im Kopf noch
sonst. Aber die linksseitigen Gliedmassen waren taub, und in
der letzten Zeit fühlte er sie nicht mehr. Kein Ameisenkriechen.
Pat. hat keine Störung des Gesichts, Gehörs, Geruchs oder
Geschmacks oder Sprachstörung wahrgenommen. Er war immer
ZWEI FÄLLE VON HEMIANOPSIE DURCH GESCHWÜLSTE IM UNTEREN PARIETALE APPEN. 121
klar im Kopf und hatte keine Hallucftiationen. Harnentleerung
und Stuhlgang ohne Störung.
Am 27. Oktober sollte er nach dem Krankenhause ge-
bracht worden, aber durch Unglücksfall fiel er aus dem Wagen
und stiess sich an den Unterleib und in die linke Seite. Sonst
war nach seiner Angabe, keine Veränderung in der gelähmten
Seite, aber es wurde bemerkt, dat der Mitnd scliief gezogen war;
wie Fat. glaubt, war er schon früher so.
Wurde am 27. Oktober 1894 ins Krankenkaus aufgenommen.
An demselben Tage wurde die Perimeterkarte L aufge-
nommen.
Z,A, RA.
Bei der Prüfung des Gesichts wurde linksseitige Hemianopsie
auf beiden Augen bemerkt. Keine konsensuelle Reaktion ; auch
keine heniiopiscJie Pupillenrtaktion. Die Sehschärfe war normal
und der Augenhintergrund ohne Veränderungen.
^^/lo. Pat., welcher bei der Aufnahme den linken Arm
etwas bewegen konnte, vermag es heute nicht mehr. Das Bein
kann er so viel heben, dass Unterschenkel und Oberschenkel
einen rechten Winkel bilden. Eine vorläufige Untersuchung der
Sensibilität zeigt, dass sie in der ganzen linken Seite herabgesetzt
ist, und zwar am meisten im Arm, am wenigsten im Gesicht und
am Bauche. In den linken Hälften der Gesichtsfelder ist die
Sehschärfe bedeutend herabgesetzt — eine ]^erdiinkliing findet
daselbst statt, aber keine Blindheit.
^^10. Pat. ist fortwährend bei klarer Intelligenz und be-
antwortet Fragen ohne Verzug.
Pat. erscheint etwas schlaff und nervös, weint leicht.
Die Hemianopsie heute mehr ausgeprägt, jedoeh ist er im dunklen
Felde nicht völlig blind. Der Harn geht in's Bett. Der Puls
stärker an der gesunden Seite.
Status praesens d. 5.— 10. November 1894.
Allgemeinzitstand. Pat. ist bettlägrig, kann nicht selbst die
Lage verändern. Guter Körperbau und starke Muskulatur. Kein
Oedem. Der Appetit ist gut. Schläft nicht nur in der Nacht,
sondern auch oft am Tage. Afebril. Radiales nicht sklerotisch.
Subjektive Symptome.
Er leidet wenig. Geringes Kopfweh an der Stirn ist in
den letzten Tagen eingetreten. Keine Übelkeit oder Erbrechen.
Schmerzen in der kranken Seite. »Es ist, als ob die Seite nicht
vorhanden wäre.» In den letzten Tagen hat er Stechen Amci-
senkj'iechen empfunden, welches am linken Knie anfängt und sich
nach unten bis in die Zehen fortsetzt. In der rechten Seite
und im Bauche hat er bei Stilliegen keine Schmerzen, bei Be-
wegungen bekommt er heftiges Stechen wie mit Messern.
Objektive Untersuchung.
Psyche. Das Aussehen war anfangs gesund, ist nunmehr
sehr schlaff und abwesend. Das Urteilsvermögen ist noch ziem-
lich klar, sowie die Aufpassung, doch ist eine deutliche Herab-
setzung seit der Aufnahme bemerkbar. Das Gedächtniss noch
gut; Geruch, Gesicht, Gedächtniss ohne Besonderes. Der Wille
ist wenig kräftig. Keine. Delirien oder Hallucinationen.
Aphasie. Keine ausgeprägte Form von Aphasie liegt vor;
kann etwas lesen und schreiben, wenn auch mit Schwierigkeit,
da er es nicht gelernt hat. Keine Worttaubheit.
Die Sprache ist undeutlich und dick, bisweilen wie abge-
brochen. Seine Sprache war immer schwer vorständlich. Eine
Verschlimmerung ist im Krankenhause eingetreten (motorische
Aphasie?). Kann nachsprechen, und findet selbst richtige Worte.
Kranialnerven.
I. Pat. unterscheidet auf beiden Nasenlöchern Kampher-
spiritus, Terpentin, Nelkenöl und Essig; kann sie aber nicht
immer benennen. Von schwachen Lösungen hat er keinen Ge-
ruch. Keine Hallucinationen.
II. Die Sehschärfe war bei den Aufnahme ziemlich nor-
mal, jetzt etwas herabgesetzt.
Die am -^/lo erwähnte Hemianopsie war bis zum eher
eine Verminderung der Sehschärfe im linken Gesichtsfelde, aber
am Abend des ^/u war eine vollständige Hemianopsie vorhan-
den. So war es auch der Fall an dem Abend, als er aufge-
nommen wurde. Am ^/ii keine Hemianopsie nachzuweisen.
Die ophtalmoskopische Untersuchung zeigt nichts Abnormes.
Die Papillen haben scharfe Grenzen, und die Gefässe sind nicht
verändert.
III. IV, VI. Kein Strabismus oder Nystagmus. Die Pu-
pillen sind gleich gross und reagiren auf Licht und bei der Ac-
commodation. Auch konsensuelle Reaktion ist vorhanden, aber
keine hemiopische Pupillenreaktion. Die Augenbewegungen waren
normal bis zum 10. Oktober.
V. Die Sensibilität ist links im Gesicht deutlich herab-
gesetzt, wenn auch nur wenig. Dies betrifft sowohl den Tast-
sinn wie den Ortsinn. Leichtes Betasten empfindet Pat. nicht.
Ortsinn. Rechts 2 — 3 cm. Links 7,5 — 10 cm.
Schmerzsinn. (Nadelstiche und Kneifen.) Auch links et-
was herabgesetzt.
Temperatursinn. C. wird rechts als lauwarm empfun-
den, links hat Pat. davon keine deutliche Empfindung.
Die Masseteres ziehen sich beiderseits gleich kräftig zusammen.
VII. Obere Aste. Das Schliessen der Augenlieder ist schwä-
cher links als rechts.
Untere Aste. Schwäche links. Die Uvula weicht nicht ab,
und die Gaumenbogen stehen beiderseits gleich.
VIII. Das Gehör ist beiderseits herabgesetzt, am meisten
links. *^/u hörte er eine Taschenuhr links auf 7 cm., rechts
auf IG cm. ''/ii horte er sie noch 5 cm. weiter auf beiden Ohren:
Pat. unterscheidet und empfindet beiderseits an der Zunge
Saures, Salziges, Süsses und Bitteres, vielleicht etwas besser rechts
als links. Kann die Geschmachempfindungen auch richtig be-
nennen. Keine Hallucinationen.
Das Schlucken etwas erschwert, der Bissen kommt leicht
zurück.
122
S. E. HENSCHEN. PATHOLOGIE DES GEHIRNS
Die Sensibilität im Mund und Pharynx scheint herabgesetzt
zu sein teils für Berührung, teils so dass der Bissen keine Ver-
suche zum Schlucken hervorruft.
X. Das Athem 20.
XI. Die Stimme ist undeutlich und vielleicht heiser. Mm.
sternocleidomastoidei beiderseits gleich kräftig.
Der Cucullaris links scheint vollständig gelähmt zu sein.
XII. Die Zunge weicht nach links ab. Keine trophischen
Störungen.
Spinalnerven.
Sensibilität.
Ein deutlicher Unterschied hinsichtlich der Sensibilität sym-
metrischer Teile der beiden Körperhälften ist zu constatiren.
Die grösste Differenz besteht hinsichtlich der Arme, dann hin-
sichtlich der Beine.
Der Tastsinn wurde durch Berühren mit Papierstreifen und
Hollundermarkscheiben von verschiedenem Ciewicht geprüft. Eine
bedeutende Herabsetzung des Tastsinnes besteht links.
Rechts Links
Ann: Vola maous.. .. 5 mg. Erst mehr als 50 mg; fühlterststärkcres Betasten
dorsum nianus 5 )> » » » 5^ » » » » "
vola antibrachii 4 » « » » 50 >> » schonlciditesStrcichcln
dorsum » 3 » » » >' 5° » » » » »
vola hunieri ... 5 » 50 »
dorsum )) ... 10 » » >) » 50 )) » erst stärkeres Streicheln
Bnist: 5 " "^-'^ 50 »
Baufh: 7 » » » ^^Is 5° »
Behl: Planta pedis . . 50 » » » » 50 «
dorsum « .. 50 » » » » 50 »
Extensorenseite
d. Unterschenk. 50 » » » » 50 »
Extensorenseite
d. Oberschenk. 15 » » » » 5° "
An der Fle.xorenseite der Beine fühlt er iinks erst starkes
Streicheln.
Der Ortsinn zeigt au( h eine bedeutende Herabsetzung an
der linken Seite.
Prüfung mit dem Aesthesiometer.
Reclits Links
Acstliesiometer in der Längsrichtung, Querrichtung
Ann: Volamanus... 2 cm. 2 cm.; fühlt nur eine Spitze;
dorsum » 2 « 2 » » » » »
vola antibrachii 3 » 3,5 » » « » »
dorsum » 3,r, » 3,5 » » » « »
vola hunicri 6 » 2,;-, » » » » >>
dorsum » 3,.-, » 2,5 » » » » »
Brust: 9 » 15 '^'T'-
Batich: 3 » 12 «
Rechts Links
Bein: In der Längsrichtung, Q.ucn-icluung Längsriclit. duerricht.
Planta pedis 3 cm. 5 cm. 5 cm. 5 cm.
dorsum » 5 » 7 » 10 » 10 »
Vorderseite des
Unterschenkels 8 » .4,,- » 10 »: nur eine Spitze
Hinterseite d
Vorderseite des
Oberschenkels.. 2 » 3 » 15 » » » »
Hinterseite d:o... 4 » 3 » 15 » >> » »
Schmerzsinn. Eine Herabsetzung besteht links, und am
meisten ausgesprochen an den Armen, weniger an den Beinen,
auch deutlich am Rumpf.
Tempcratiirsinn ungefähr wie im Gesicht.
Muskelsinn links nicht zu prüfen ; scheint auch rechts herab-
gesetzt. Pat. kann mit den rechten Gliedern die den linken
Gliedern gegebenen Stellungen nachahmen oder einen gegebe-
nen Punkt in genauer Weise betasten.
Elektrische Reizbarkeit an beiden Seiten etwa gleich.
Motilität.
Kopf: Die Bewegungen sind anscheinend normal.
Arme: Pat. kann den linken Arm und die linke Schulter
nicht bewegen, beim Versuche entstehen Mitbewegungen im rech-
ten Arm. Er kann zwar den rechten Arm bewegen, aber dabei
entsteht Zittern, so dass er ohne Hülfe nicht speisen kann.
Bauch: Die linken Bauchmuskeln etwas schwächer als die
rechten.
Beine: Er kann das linke Bein bis zum rechten Winkel
im Knie an sich ziehen und auch die Ferse vom Bett erheben.
Kann auch etwas ab- und adduciren. Die Kraft ist jedenfalls
im Krankenhause vermindert. Kann sich auf dieses Bein nicht
stutzen. Das reclite Bein, bewegt Pat. ziemlich unbehindert, wenn
nicht dabei die Schmerzen in der linken Seite ihn hindern. Die
Kraft ist jedenfalls herabgesetzt. Beim Sitzen will Pat. nach
vorn und links umfallen.
Keine fibrillären Zuckungen oder Kontrakturen.
Reflexe. Die Patellarreflexe sind beiderseits verstärkt, am
meisten links. Dorsalklonus fehlt.
Hautreflexe sind geschwächt. Bauch- und Cremasterreflexe
fehlen.
Blase und Rectum: Der Harn geht oft ins Bett, einige
Male auch der Koth, besonders nach Laxativen.
Vasomotorische Störungen: nichts Besonderes, ausgenommen
dass der linke Puls schwächer schlägt als der rechte.
Trophische Störungen: nicht vorhanden.
Innere Organe.
Brust und Lungen: ohne Besonderheiten.
Herz: anscheinend ein wenig vergrössert, reicht nach links
bis zur Mamillarlinie und überschreitet nach rechts den Sternal-
rahd. Die Töne klar.
Bauch: Der Leib etwas träge.
Harn: Sp. Gew.. i,oiii, saure Reaktion, ohne Albumin oder
Zucker.
Behandlung : Symj^tomatisch.
Tagesnotizen : "/n- Heute liegt Pat. in somnolentem Zu-
stande. Antwortet stossweise und undeutlich. Der Blick ab-
wesend.
II. Die Hemianopsie nach links ist absolut; er reagirt auf
Licht von der rechten Seite.
ZWEI FÄLLE VON HEMIANOPSIE DURCH GESCHWÜLSTE IM UNTEREN PARIETALLAPPEN
123
III, IV, VI. Gestern wie heute kann er die Augen nicht
nach hnks über die Mittellinie hinaus bewegen.
Abends: Sensorium freier, wie auch die Augenbewegungen.
Er kann die Augen nach links, wenn auch schwierig und un-
sicher, drehen. Die Hemianopsie nicht verändert.
'^/ii. Wie gestern Abend. Gesichtsfelder (s. Karte II)
eingeschränkt. Das Resultat etwas unsicher. Beim Versuch mit
gefärbten Probelappen konnte nur so viel konstatirt werden,
dass Pat. sie innerhalb der Grenzen des Weiss sehen konnte.
^^\n. Augenbewegungen normal. Leichter Decubitus am
Kreuz. Harn geht oft ins Bett. Pat. konnte einen Bekannten
erkennen.
^■^/ii. Halbschlummer den ganzen Tag hindurch. Schwatzt
in der Nacht verworrenes Zeug. Der Bissen kommt oft aus dem
Munde zurück, und das Schlucken ist schwierig.
'■''/ii. Die Hemianopsie wie früher. Einige Male reagirte
er noch im linken GesicJitsfelde. Augenhintergrund nicht mit Si(~-
herheit verändert. Augenbewegungen normal.
^Vii- Schlaffer als früher. Versteht Worte, aber antwortet
sehr undeutlich; findet jedoch Worte.
'^/ii. Am Nachmittag etwas klarer.
^^/u. Somnolent. Hemianopsie absolut.
^"/u. Bei Prüfung auf die SensibiHtät schien der Unter-
schied zwischen rechts und links ausgeprägter als früher zu sein.
^^/ii. Spricht vor sich hin; glaubte dass er mit einem Ver-
wandten sprach. Anscheinend Sehhalli/cinationen, denn er strei-
chelt mit der rechten Hand an der nach rechts stehenden Wand,
als ob er etwas da sehe. BHckt immer nach der Wand hin.
'^'^\n. Sehr abwesend und schlaff; ^'^/ii. Etwas komatös.
Kannte seine Freunde nicht. T. 37,1°— P. 100.
^^/ii. Lebhafter. Antworten ziemlich klar. Kannte seinen
Schwager, aber war sonst gleichgültig.
26|j^ — ^'^/ii. Sehr schlaff, will nicht essen.
'^'^jn. Hat verschiedene Sehliallucinationcn. Er sieht Bur-
schen teils durch das Fenster (nach rechts) einhüpfend, teils pro-
menirend. Er sieht sie immer nach rechts, an welcher Seite er
liegt. Die Leute waren »schwarz gekleidet». Hörte auch Leute
im Korridore nach links »tanzen».
^^\\\. Die Sehschärfe konnte untersucht werden und wurde
ziemlich normal befunden.
^/i2. Er stiert hartnäckig, anhaltend nach rechts (selten
nach links), sieht auch in dieser Richtung Figuren u. s. w. Wenn
er nach vorn oder nach links sieht, so sagt er, dass er die Figuren
nicht sehe. Die Hallucinationen scheinen also den Augcnbeivegun-
gen nicht zu folgen. Wenn man sich vor seine Augen stellt und
versperrt ihm die Aussicht, so sieht er auch die Figuren nicht,
sondern will sich im Bette aufrichten, um an der Seite des vor
ihm stehenden Arztes vorbei zu sehen. Sah heute zwei Perso-
nen mit Gewehren (an dem Fenster). YjX 'konnte die ganzen Per-
sonen vollständig sehen. Wenn man an der Wand ein Gesicht
abbildet, so unterscheidet er die Abbildung deutlich von der
hallunicirten Person.
*~^/i2. In somnolentem Zustande.
^°/i2. Vorm. wie früher. Am Nachmittag: noch schlaffer,
liegt mit halbgeschlossenen Augen und schnarchender Athmung:
reagirt nicht auf Anreden. Wenn die Hand im rechten Ge-
5. E. Hen sehen. Pathologie des Geliirns.
sichtsfelde vor den Augen vorbeigeführt wird, so blinzelt er;
dagegen nicht, wenn man dies im linken macht (Hemianopsie).
'^/li?. Allgemeinzustand in der letzten Zeit verschlimmert.
Er ist abgemagert. Das Aussehen schlaff. Liegt in Zwangslage
mit dem Kopf nach rechts, mit dem Körper einen Winkel von
etwa 45" bildend.
Augen Untersuchung. Linkes Auge: Die Papille hat
nicht mehr das klare Aussehen wie früher, ist hyperämisch, ge-
trübt und hat nach oben, innen und unten diffuse Grenzen,
nach aussen schärfere Grenzen. Die Hauptvenen sind erweitert,
aber die Arterien kaum verengt.
Pat. ist für Licht von der rechten Seite in beiden Quadran-
ten empfindlich, nicht aber für Licht von der linken Seite. Er
folgt mit den Augen Bewegungen im rechten Gesichtsfelde.
Die Augen sind 20 — 30° nach rechts abgelenkt.
Aufgerichtet, fällt er ins Bett zurück.
Die Lähmung des linken Arms wie früher; im rechten, der
noch beweglich ist, scheint eine Kontraktur in den Flexoren des
Unterarms zu bestehen. Beine: das linke völlig gelähmt, das
rechte noch spontan beweglich. Gelinde Kontraktur beiderseits
in den Adduktoren. Am Halse besteht Kontraktur in den Mm.
sternocleidomastoidei, welche hervorspringend und gespannt sind.
Auch Kontraktur in der Nackenmuskulatur. Der rechte M. cu-
cullaris bedeutend mehr gespannt als der linke. Sonst ist der
Nacken nicht steif, aber nach hinten gebeugt.
Die Decubitus wollen nicht heilen.
^^/lä. Sehr schlaff, liegt mit halbgeschlossenen Augen. Stra-
bismus divergens. Augen nach oben gerichtet.
Empfindlich an einem Punkte, 4 cm occipital \-om Gehör-
gange und in der Höhe desselben. Sonst nicht empfindlich am
Kopfe. Keine Narbe findet sich hier.
K— i5^j^2. Wie früher. AVeder Albuinen, noch Zucker im
Harn.
Sehr schlaff. P. 112. T. 36.9" Vorm. — 39.1" Nachm.
Cyanose, Coma, Tracheales Rasseln. An der Spitze der rechten
Lunge bronchiales Athmen.
'''/12 1894. T. 40". Tod am 11 Vormittags.
Bemerkung. Pat. hatte im Krankenhause nie Konvulsionen
oder Anfälle von Zuckungen.
Sektion, 18. Dec. 1894.
Gehirn.
Die Dura ohne Befund.
Die Pia lässt sich überall leicht iblösen. In derselben fin-
den sich kleine Blutungen an der linken HeniispJiäre (Fig. S. 124).
a) im der Broca'schen Region, sowie über dem angren-
zenden Anteil der vorderen Centraiwindung und am ventralsten
Teil der zweiten Frontalwindung:
b) über dem Prjecunens und an der Fissura occipito-parie-
talis an der Margo falcata.
Die Gefässe ohne Besonderes.
An der Oberfläche des Gehirns sind die Gyri dicht an
einander zusammengepresst und die Sulci verwischt. Das ganze
Gehirn, und zwar besonders die rechte Hälfte, ist zusammenge-
drückt, und bei der Herausnahme des Gehirns aus der Schädel-
höhle schwillt besonders die Parietalgegend der rechten. Hemis-
phäre Uber die Oberfläche des übrigen Gehirns empor.
17
124
S. E. HENSCHEN. PATHOLOGIE DES GEHIRNS.
An der Oberfläche finden sich ülirigens keine Verände-
rungen. Nirgends ist die Rinde erweicht. Bei der Palpation ist
die Gegend des unteren Parietallappens etwas schwappend
anzufühlen.
Die linke Hemisphäre
an der Oberfläche und im Inneren ohne pathologischen Befund.
Die rechte Hemisphäre
wurde wie die linke in i cm. dicke Scheiben zerteilt. Dabei
fand sich im Inneren eine sehr ausgebreitete Gesc/nviilstmassc.
Schilift j cm. vor der Occipitalspitze. Zu oberst im Prsecuneus
findet sich im Mark die erste Andeutung einer Geschwulst. Das
Mark ist hier auf dem Durchschnitte etwas weicher und nicht so
glatt und glär^end wie sonst, sondern matt und etwas porös in
einer Ausdehnung von etwa 2 c.m. Die Veränderung erstreckt
sich nicht bis an die Fissura occipito-parietalis, sondern ist auf
den Prrecuneus beschränkt. Das Mark ist hier mit (reschwulst-
elementen infiltrirt.
Der Schnitt sonst normal und zeigt Anzeichen von Kom-
pression der Sehstrahlung und der Fissura calcarina.
Schnitt 4 c.m. (Taf. XVI, Fig. 6). Die Geschwulstmasse
bildet eine lose Masse, welche das Mark vollständig ersetzt hat,
und zwar in der Ausdehnung, die Fig. 6 angiebt oder bis zur
Fissura occipito-parietalis. Jedoch ist das Mark hier recht fest.
Die Grenze der Geschwulst nach unten sehr undeutlich. Sie
erreicht nicht die Sehstrahliing. Die Rinde ist überall verschont.
Schnitt 5 c.?n. (Taf. XVI, Fig. 5). Die Geschwulst nimmt
die ganze dorsale Hälfte des Schnittes ein und hat das ganze
Mark dorsal von dem Hinterhorn infiltrirt. wie auch den ober-
sten Abschnitt der Sehstrahlung bis zu der Höhe des ersten
Temporalsulcus. Die untere Hälfte der Sehstrahlung ist normal,
vielleicht ein wenig von oben nach unten comprimirt und erscheint
etwas breit.
Schnitt 6 c.m. (Taf. XVI, Fig. 4.) Die Neubildung hat noch
grössere Ausdehnung und nimmt das ganze Mark dorsal vom
Unterhorn ein. Sie infiltrirt das Mark unter Cp, P^, Lobus
Ijaracentralis. Gyrus cinguH und selbst den dorsalen Abschnitt
der occipitalen Strahlung bis zu der Höhe des ersten Temjjoralsul-
cus und dem dorso-lateralen Rand des Balkens. Die ventralen
25 m.m. der Sehstrahlung sind vollständig normal, erscheinen aber
breit (von oben nach unten ein wenig zusammengedrückt).
Schnitt 7 c.m. (durch den hinteren Teil des Pulvinars, Taf.
XVI, Fig. 3). Die Geschwulstmasse infiltrirt das Mark unter den
G*. GP, P^, Gyrus cinguli und dringt nach unten bis zum late-
ralen Rand das Nucleus caudatus mit diffuser Grenze vor. In
wie weit dieses Cranglion infiltrirt ist, ist nicht möglich makro-
skopisch festzustellen, aber das Ganglion ist nach innen verdrängt.
Die Rinde oder Oberfläche des Gehirns ist nirgends zerstört.
Die ganze Sehstrahlung ist unberührt.
Schnitt S c.m. (durch den rothen Kern, Taf. XVI, Fig. 2).
Auch hier hat die Geschwulstmasse ungefähr dieselbe Ausdeh-
nung, und nimmt das Mark des G'', G^ und des Gyrus cinguli
ein. Die untere Grenze ist sehr diffus und liegt in der Höhe
des durch die Geschwulst infiltrirten Nucleus caudatus. Die
Corona radiata ist also vollständig dcstruirt wie die Capsula
interna; und die Gitterschicht scheint die Barriere der hervor-
dringenden Geschwulstmasse zu sein.
Der Thalamus ist sonst nicht berührt.
Sch/iitt p c.m. (durch den vorderen Thalamu.skern, Taf.
XVI, Fig. i). Die Geschwulstmasse vermindert sich, wie die Fi-
gur zeigt, aber die Grenzen sind überall so diffus, dass man
nicht entscheiden kann, wo Geschwulstmasse, wo Gehirnsubstanz
vorhanden ist. Nach unten dringt die Geschwulst bis zur oberen
Grenze des Putamens und dann lateral von diesem Ganglion in
die Capsula externa bis zur unteren Grenze des Linsenkörpers.
Das Mark des C" und I ist also infiltrirt und die Corona radiata
zerstört. Die Centralganglien sonst unversehrt.
Schnitt 10 c.m. Die Schnittfläche ist normal.
Die Ge.schwulstmasse hat also das Mark der vorderen
und hinteren Centraiwindungen, der oberen und unteren Pa-
rietalwindungen, des Paracentrallappens, der Balkenwindung,
des Prsecuneus, zuin Teil der Angularwindung diftus infiltrirt,
und erstreckt sich von der Fissura occipito-parietalis interna
bis zum Frontalbirn; sie hat auch die Verbindung der Rinde
dieser Windungen mit den Centralganglien aufgehoben. Da-
gegen sind die Centralganglien und die Sehbabn, den Schweif-
kern ausgenommen, unversehrt.
Durch den Druck ist die ganze Hemisphäre zusammen-
gedrückt, und besonders scheint dies hinsichtlich des Occipi-
tallappens der Fall sein.
Die Geschwulst ist von loser Konsistenz, selbst zerfallend
und hat überall dififuse Grenzen.
Kleinhirn imd Medulla oblongata.
Diese Teile zeigten weder an der Oberfläche, noch auf
den Durchschnitten etwas Besonderes.
Übrigens: Degeneratio parenchymatosa et adiposa myo-
cardii. Atheromatosis incipiens arteriar. coronar. et aortae.
Atelectasis pulmonis dextri lobi superioris. Pneumonia lobu-
laris partis anter. pulmon. sin. Atrophia centr. hepatis. De-
generatio levis parenchym. renum.
ZWEI FÄLLE VON HEMIANOPSIE DURCH GESCHWÜLSTE IM UNTEREN PARIETALLAPPEN. 125
Mikroskopische Unterzuchung: Die Geschwulst be-
steht aus dicht an einander hegenden kleinen Rundzellen mit
verhältnissmässig grossen Zellkernen und spärlichem Protoplasma.
Längs der zarten Gefässe liegen die Zellen in dichten Reihen.
Das interstitielle Gewebe ist spärlich, glia-ähnlich. Die Grenzen
zwischen der Geschwulstmasse und dem gesunden Hirngewebe
sind selbst unter dem Mikroskope diffus, indem die Zellen dieses
infiltriren. Es liegt also ein Gliotna vor. Fleckenweise war das
Gewebe degenerirt. Die Gefässe sind zahlreich.
Epikrise.
Kurzer Krankenbericht. Ausgeprägte nervöse Be-
lastung. Tremor beim Vater, bei 5 Geschwiestern und ande-
ren Anverwandten. Die Mutter starb an Schlagfluss. Der
49-jährige Arbeiter hat Alkohol gemissbraucht. Sonst gesund.
In den letzten Jahren vor der Krankheit veränderte Stimmung
mit herabgesetzter Arbeitskraft. Hat immer, besonders nach
Alkoholgenuss, besonders an den Händen gezittert. Fiel vor
9 Jahren ohne sich zu schaden von einem Baugerüste, und
war einige Tage »sich nicht ähnlich».
Erkrankte plötzlich ^^U^ 1894 nach einer körperlichen
Anstrengung mit Sclrwindel ohne Verlust des Bewusstseins.
Den -^^/lo Schwäche in dem linken Arm und den ^'''/lo auch
im linken Beine und tonische Kontraktion in der linken Hand.
Dann allmähliche Progression der Lähmung ohne Parästhesien
oder Schmerzen, aber mit Taubwerden der linken Seite, '^^/lo
war der Mund schief; Parese des linken Arms und Beins.
Bilaterale Hemianopsie nach Imks, zuerst nicht vollständige,
dann absolute Verdunklung.
St. prses. 1894.
Wenig Kopfweh, leichte Parästhesien im linken Knie,
etwas abwesend, ohne tiefere Intelligenzstörung. Kranialner-
ven: I, III, IV, VI. normal; II linksseitige Hemianopsie mit
koncentrischer Einengerung; keine Stauungspapille; V. leichte
Anästhesie; VII. leichte Parese; VIII. Verminderte Gehör-
schärfe, besonders links ; IX. Geschmack gut, Schlucken
schwierig; XII. links Parese. Links herabgesetzte Sensibilität,
auch etwas rechts. Muskelsinn normal. Links: Parese. Pa-
tellarreflexe verstärkt.
Nachher: Allmähhcher Verfall der Intelligenz, zuneh-
mende Parese links. Zuletzt rechtsseitige Gesichtshallucina-
tionen und beginnende Stauungspapille. Tod "/12 1894.
Diagnose. Art der Läsion. Der Alkoholmissbrauch,
der plötzliche Ausbruch der Krankheit nach einer körperlichen
Anstrengung im Zusammenhang mit dem Alter führte den
Gedanken auf eine leichtere Blutung oder Thrombose; beson-
ders auf Blutung, da sich keine Gefäss-Sklerose vorfand.
Die allmähliche Entwickelung der Parese, welche sich nicht
dem Schwindelanfalle unmittelbar anschloss und erst nach 2
Tagen auftrat, um 2 Tage später von einer Parese des Beins
gefolgt zu werden, konnte dagegen für eine Geschiviilst spre-
chen. Der vor 9 Jahren erlittene Fall aus einer Höhe (ohne
dass Pat. mit dem Kopf anstiess), konnte vielleicht als entfern-
tere Ursache angeführt werden, besonders da der Pat. schon
seit einiger Zeit an veränderter Stimmung und verminderter
Kraft litt. Dazu konnte jedoch auch der Alkoholmissbrauch
beigetragen haben.
Andererseits sprach besonders das Fehlen eines ausge-
prägten Kopfwehs und der Stauungspapille gegen Geschwulst.
Je mehr die Krankheit sich entwickelte, desto klarer wurde
es, dass eine Geschwulst vorlag, wenn auch erst sehr spät
eine Andeutung einer Stauungspapille erschien. Es war be-
sonders die auffallende Somnolenz, das allmähliche Fortschrei-
ten der Krankheit, das allmähliche Herabgehen körperlicher
und geistiger Kräfte, welche eine solche Diagnose wahrschein-
lich machten, wenn auch der plötzliche Anfang anscheinend
nicht damit in Übereinstimmung stand. Es fehlten auch nicht
Andeutungen von Reizsymptomen — der tonische Krampf an-
fangs und dann bisweilen leichte Parästhesien.
Lokaldiagnose. Nachdem die Diagnose auf Ge-
schwulst gestellt war, machte sich die Frage gleich geltend,
ob .sie lokalisirbar und oj^erabel wäre. Es war dann gleich
klar, dass sie in der rechten Hemisphäre lag. Die wichtig-
sten Symptome waren linksseitige Hemiplegie und Hemianop-
sie.. Aus dem Krankenbericht ging es hervor, dass die He-
miplegie sich nicht gleich als eine vollständige zeigte, sondern
dass zuerst der linke Arm, 2 Tage später das Bein gelähmt
wurde, und hinsichtlich der Hemianopsie konnte nachgewiesen
werden, dass sie ursprünglich, ja selbst später bisweilen
nur eine relative war, d. h. Pat. war im dunklen Felde nicht
vollständig blind.
Der letzte Umstand wies darauf hin, dass die Sehbahn
nicht zerstört war, sondern nur gedrückt, und das Fehlen der
hemianopischen Reaktion sprach eher für eine Lokalisation
occipital als frontal vom äusseren Kniehöcker, wenn auch bei
der Annahme, dass die Hemianopsie ein indirektes Druck-
symptom war, das Verhalten der Pupillen gegenüber dem von
verschiedenen Seiten eingeworfenen Licht nicht entscheidend
sein konnte. Es wurde also angenommen, dass die Geschwulst
irgendwo auf die Sehstrahlung drückte, dass sie aber nicht
auf sie unmittelbar übergriff, da die Hemianopsie dann jeden-
falls constant sein müsste. Mit der von mir angenommenen
Lage der occipitalen Sehbahn nämlich in der Höhe der zwei-
ten Temporalwindung wurde die Geschwulst dorsal von dieser
Linie verlegt.
Die hinsichtlich sowohl der Ausdehnung als Intensität
unvollständige Hemiplegie wies auf eine Lokalisation in der
Nähe des Armcentrums hin. Die motorische Bahn dürfte an-
fangs nicht zerstört, sondern nur gedrückt worden sein.
Nach dieser Auseinandersetzung sollte also die Ge-
schwulst zwischen dem Armcentrum in den Centraiwindungen
und dem oberen Teil der Sehstrahlung liegen; und es wurde
deshalb der untere Parietallappen als Ausgangspunkt ange-
nommen, und dass sich die Geschwulst von dieser Gegend
sowohl nach hinten unten wie nach vorn und oben ausdehnte.
Diese Anjiahme bestätigte sich auch vollständig bei der Sektion.
Die nächste Frage war; ist sie operabel, ist sie dem
Messer zugänglich, liegt sie oberflächlich oder tief.? Dabei
wurde in Anbetracht der zuerst partiellen Lähmung, welche
sich auf den Arm beschränkte und erst später auch das Bein
126
S. E. HENSCHEN. PA fHOLOGIE DES GEHIRNS
umfasste, und der gelinden Art, eine Lokalisation in der in-
neren Kapsel ausgeschlossen. Also entweder im Mark, in
der Corona radiata oder in der Rinde. Folgende Umstände
sprachen für eine tiefere Lage : das Fehlen jeder Jackson'schen
Epilepsie, das Fehlen ausgeprägter Parästhesien und ausge-
prägter Empfindlichkeit des Schädels über der supponirten
Stelle. Zwar fand sich bisweilen eine gewisse Art von toni-
scher Kontraktur der Flexoren an der linken Hand. Pat.
konnte bein Tragen von Gegenständen die Finger nicht
spontan lösen, und später empfand er, wenn auch anscheinend
selten, Ameisenkriechen und Stechen vom Knie bis in die
Zehen, aber diese Reizsymptome waren sehr ephemär.
Auch der geringe Grad vom Kopfweh sprach gegen eine
kortikale Lokalisation.
Alle diese Umstände niachlen eine Lokalisation im Mark
sehr iva/irscheinlich. was sich auch bestätigte. Uberall be-
rührt die Geschwulstmasse nur die Rinde, ohne sie irgendwo
zu durchbrechen, oder eigentlich kortikal zu werden, oder
die Rinde zu infiltriren. In dieser Hinsicht ist der Fall für
den Chirurgen lehrreich.
Was die Art der Gesclnvulst betrifft, so war es schwierig
weiter zu kommen als zu sagen: sie muss schnell wachsen
und also wahrscheinlich maligner Natur sein. Also wahr-
scheinlich ein zellenreiches Sarkom oder Gliom, und diese
sind ja gewöhnlich infiltrirend.
Die Natur und die Ausdehnung der Geschwulst machten
zwar eine Operation nicht unmöglich, aber andererseits den
Erfolg sehr ungewiss. Und die Sektion bestätigte die Be-
rechtigung davon, dass sie nicht versucht wurde. Es zeigte
sich nämlich, und die Abbildungen machen es klar, dass die
Geschwul.stmasse das Mark so infiltrirt hat, dass die Grenzen
nicht mit dem Mikroskop bestimmt werden können. Bei dem
Durchschneiden des frischen Gehirns war ich erst selbst
unsicher, was ich vor mir hatte, eine Erweichung oder eine
lose Geschwulstmasse. Erst das Anschwellen der Gehirnober-
fläche machte dieses wahrscheinlich sowie die Rosafarbe des
Gewebes. Das Verfahren, nicht mit Operation einzugreifen,
war also das einzig richtige. Einem Eingriff" wäre wahr-
scheinlich profu.se Blutung und Herabsetzung der Kräfte,
wenn nicht der Tod, gefolgt und, wenn sie gelungen wäre,
würde vollständige Lähmung gefolgt sein und baldiges Reci-
diviren mit allen damit zusammenhängenden Schwierigkeiten,
ohne Hoffnung auf Verlängerung des Lebens.
Analyse der Symptome.
Der Fall ähnelt in gewis.sen Hinsichten dem Falle n:o 3,
Anders Ers.son, in diesem Teile (S. 36), und deswegen gelten
hier auch einige dort in der Epikrise gemachte Bemerkungen
über die allgemeine Wirkung der Geschwülste.
Psychische Störungen.
Schon nach dem Pralle vor 9 Jahren hatte sich der Pat.
während einer Zeit verändert. Das war transitorisch. Dann
in der letzten Zeit vor dem Au.sbruche der Krankheit war
die Veränderung »einer Stimmung selbst den Verwandten auf-
fallend. Eine tiefer eingreifende Intelligenzstörung trat nicht
gleich bei dem Ausbruche der Krankheit ein. Schon etwa
I Monat nach dem Beginn der Lähmung verfiel Pat. in einen
gleichgültigen Zustand, der allmählich, wenn auch durch »lucida
Intervalla» unterbrochen, bis zum Tod fortschritt. Die tiefe
Somnolenz ähnelte dem bei Geschwülsten gewöhnlichen Zu-
stande.
Es fragt sich nun, wurde dieser Zustand durch den Druck
der Geschwulstmasse oder durch ausgedehnte Zerstörung in
der rechten Hemisphäre verursacht. Dass der Druck beim
Tode recht bedeutend war, erleidet keinen Zweifel; die glatte
Oberfläche und der zusammengedrückte Zustand der Windun-
gen zeigen es deutlich, aber gewiss war die Geschwulstmasse
auch dann bedeutend grösser. Anfangs machte sich der
Druck gewiss weniger geltend, denn die Geschwulst infiltrirte
und ersetzte das Mark; auch war das Kopfweh sehr gering,
kaum ausgeprägt, und eine Stauungspapille fehlte bis zu den
letzten Tagen und war selbst dann wenig hervortretend.
Dagegen wies die schon bei der Aufnahme in's Krankenhaus
bestehende Hemianopsie auf einen starken Ferndruck hin.
Hatte denn die grosse Zerstörung des Gehirns den Zu-
.stand verursacht? Dabei kann ich nicht umhin an den ersten
Fall, Malm, dieses Teiles zu erinnern, wo fast das ganze
Mark der rechten Hemisphäre malacisch oder in cystöse
Räume umgewandelt war, ohne dass dadurch die Intelligenz
in auffallendem Grade gelitten hatte. Eine Destruktion der
rechten Hemisphäre scheint nicht eine au.sgeprägte Intelli-
genzstörung hervorzurufen.
Man hat auch Grund zu fragen, ob nicht durcli den
Zerfall der Gehirnsubstanz oder bei der Entwickelung grosser
Geschwulstmassen toxische Stoffe gebildet werden, welche
das Gehirn vergiften. Eine bestimmte Antwort auf diese Frage
läs.st sich zwar nicht geben ; aber die Herabsetzung des psy-
chischen Lebens scheint in diesem Pralle doch genügend als
eine I'olge des Drucks zu erklären zu sein.
Die verschiedenen P'aktoren des psychischen Lebens
scheinen alle in ungefähr gleichem Grade gelitten zu haben.
Die Perceptionen waren träge, das Urteilsvermögen wie das
Gedächtniss vermindert und der Wille geschwächt; die Ge-
rucherinnerungen waren verblasst u. s. w.
Seelenblindheit oder Seelentaubheit waren nicht vor-
handen. Auch kein Reiz der Psyche, was um so auffallender
ist, da die Geschwulstmasse bis zur Rinde von innen hervor-
drang.
Sprache. Motorische Aphasie. Pat. soll immer undeut-
lich gesprochen haben. Im Krankenhause trat eine bestimmte
Verschlechterung ein, welche oben im Status preesens als ein
gewisser Grad von ataktischer Aphasie bezeichnet wird. Den
^^/ii wird die Sprache als stossweise ausgesprochen bezeichnet.
Am ^^jw sprach Pat. lange Zeit mit sich selbst. Am ^'/n
war das Sprechen noch schwieriger und unverständlicher, ob-
schon Pat. zu verstehen schien. Am '^Vii sprach er viel vor
sich hin und glaubte, dass er mit Verwandten spräche. Von
dieser Zeit ab hatte er auch Gesichtshallucinationen.
Es war also wahrscheinlich teils eine motorische Parese,
teils ein Reizzustand des motorischen Sprachapparats vor-
handen. Es ist deshalb von Interesse, dass iiöer dem grösseren
Teil der Broca' sehen Region sich frische Pialbluttmgeii befin-
den, wie Figur S. 124 zeigt.
ZWEI FÄLLE VON HEML\NOPSIE DURCH GESCHWÜLSTE IM UNTEREN PARIETALLAPPEN
127
Andere Formen von Aphasie waren nicht vorhanden
und auch keine Pialblutungen an den resp. Centren.
Kranial nerven. I. Die Geruchempfindung- war nicht
gestört und die Centren waren nicht von dem Krankheitsherd
getroffen.
II. Hemianopsie. Die gleich am ersten Tage im
Krankenhause beobachtete linksseitige Hemianopsie war eine
absolute, aber an den folgenden Tagen war ich mehrmals
unsicher, ob eine Hemianopsie bestand oder nicht. Die Proben
fielen verschieden aus. In der That wechselte der Zustand,
und oft war die Hemianopsie nicht absolut; Pat. war im dunklen
Felde nicht absolut blind. Später wurde die Hemianopsie
absolut und konstant. Dies deutete, wie schon gesagt, nicht
auf eine totale Zerstörung der Sehbahn, sondern auf einen in
der Stärke wechselnden Ferndruck, was sich auch bei der
Sektion bestätigte.
Aber nach der Sektion hat man Grund zu fragen, auf
welchen Punkt der Sehbahn wirkte der Druck? In der That
ist der Abstand der Sehbahn von der Geschwulstmasse ein
bedeutender, nämlich überall i — 2 cm. oder mehr. Das Fehlen
einer hemiopischen Pupillenreaktion konnte auf die Sehstrahlung
hinweisen. Die Form des Tractus (Taf XVI Fig. i) macht es
nicht wahrscheinlich, dass er gedrückt war; der äussere Knie-
höcker (Fig. 2) dagegen hat die Form, als ob er etwas gedrückt
wäre, und ebenso die occipitale Sehstrahlung (Fig. 3 — 5),
welche breiter und von oben nach untern zusammengedrückt
erscheint. In der That ist es nicht sicher anzugeben, wo die
Sehbahn dem Druck ausgesetzt war. Auch der ganze Occi-
pitallappen war nach hinten geschoben und machte den Ein-
druck als ob er gedrückt wäre.
Von dem Falle 24 im ersten Teil, wo auch eine Ge-
schwulst, welche auf die Sehstrahlung etwas übergriff (Teil I,
Taf XXXI, Fig. 3), aber wo nicht eine Hemianopsie, sondern
nur eine koncentrische Einschränkung nachgewiesen wurde
(Karte A, n:o 29), unterscheidet sich dieser P^all durch die
bedeutend grössere Geschwulstmasse und den vielleicht in
Folge dessen vermehrten Druck. — Mit dem Anwachsen der
Geschwulst verengte sich das Gesichtsfeld (Perimeterkarten
I, II).
Für den Chirurgen ist es von Wichtigkeit, dass Hemia-
nopsie durch eine so entfernte Geschwulst verursacht werden
kann.
Sehschärfe und StmiiDigspapillc. Jene war bei der Auf-
nahme normal und eine Stauungspapille bestand gar nicht.
Erst in der letzten Zeit konnte eine beginnende Stasis nach-
gewiesen werden, obschon der intiakranielle Druck gewiss
dann enorm gestiegen war. Dies ist auffallend und spricht
gegen die Druck-Theorie. Auch im Pralle 3 dieses Teiles,
S. 26, war ungeführ dasselbe Verhältniss vorhanden. Sollte
es darauf beruhen, dass die Geschwulst mitten im Mark
eingebettet war und nirgends an den Duralraum grenzte,
wodurch phlogogene Stoffe der Papille nicht zugeführt wurden?
Halhicinaiio7ien. Besondere Aufmerksamkeit zogen die
vom 21. November an auftretenden rechtsseitigen Gesichts-
hallucinationen auf sich. Schon im Teil I habe ich sechs Beo-
bachtungen über einseitige Gesicht.shallucinationen angeführt,
und diese von mir gemachten Mitteilungen waren die ersten
von Sektion begleiteten Beobachtungen in der Litteratur.
Schon 1888 wurden von Seguiji und dann von Mackay einige
solche, aber nur klinische Beobachtungen gemacht, und seit-
dem haben F. Peter so)i (New-York), Schzveiniiz, Bidon, SoucJwn.
Lamy, Putzel auch einige interessante Mitteilungen gemacht.
Ausserdem habe ich in diesen Tagen eine neue Beo-
bachtung gemacht, und zwar in einem Falle von Geschwulst
in der linken Hemisphäre des Kleinhirns, und ich konnte
voraussehen, dass die Gesichtshallucination nach oben rechts
erscheinen würden ; und der Pat. bestätigte, dass die Hallucina-
tionen immer in dieser Richtung erschienen waren.
Von den 8 von mir beobachteten Fällen kamen 6 zur
Sektion wie auch der Sch%veiHitz''?,c\\& Fall. In allen meinen
Fällen fanden sich Veränderungen in den Occipitallappen oder
ihrer unmittelbaren Nähe, während in dem 5fZ'7C'if/;//te'schen
Falle solche nicht nachgewiesen werden konnten, wohl aber
ein luetisches Exsudat an der Basis des Gehirns und an dem
Tractus in Verbindung mit Meningitis.
Einseitige HaUuci)iatione7i im blinden Felde bei Hemian-
opsie sind also, ivenn auch nicht ein 7tntrfigliches, jedoch ein
sehr zvicJitiges Zeichen einer Läsion des Occipitallappens der
entgegengesetzten Seite oder seiner Umgebung. Im vorliegenden
Falle dagegen erregte es mein Erstaunen, dass die Hemian-
opsie eine linksseitige war, aber die Hallucinationen nach
rechts projicirt waren. Es war nun von Interesse zu erfahren,
dass bei der Sektion piale Blutungen im linken Occipitallaopen
entdeckt wurden, nämlich an der Margo falcata an der Fissura
occipito-parietalis. Es unterliegt wohl keinem Zweifel, dass
diese die Hallucinationen verursacht hatten.
Im Teil I, S. 151 und ff., habe ich die Ansicht ausge-
sprochen, dass die Gesichtshallncinationen nicht im Sehcentrum
selbst (in der engeren Bedeutung genommen) gebildet werden,
sondern ausserhalb des Gebietes der Fissura calcarina, und
gewöhnlich in Folge von Processen, welche die laterale Fläche
des Occipitallappens oder seiner nächsten Umgebung reizen.
Es ist nun von Interesse dass im vorliegenden Falle eine sehr
begrenzte Läsion, vorliegt welche die Fissura calcarina gar
nicht berührte.
Hinsichtlich der Beschaffenheit dieser Hallucitiationen
suchte ich zu konstatiren, ob sie von den Augenbewegungen
abhängig waren, und konnte konstatiren, dass Pat. die Figuren
nur dann sehen konnte wenn die Augen nach rechts ge-
richtet waren. Es muss in Zusammenhang hiermit hervorge-
hoben werden, dass die Augen während der letzten Zeit an-
haltend nach rechts gerichtet waren. In Anbetracht der
von Münk, Obregia, Schäfer u. A. gemachten Versuche,
dürfte man also berechtigt sein, anzunehmen, dass eine
Reizung der Occipitalrinde Augenbewegungen hervorruft, sowie
auch auf Grund meiner Beobachtungen gleichzeitig Hallucina-
tionen, welche in eine bestimmte Richtung des Raumes proji-
cirt werden. Aber in welchem Verhältniss stehen die Augen-
bewegungen und die Hallucinationen? Diese letzteren werden
bisweilen nach oben projicirt, wie meine Fälle 30 und 28
(Teil I) zeigen, gewöhnlich aber mehr nach der Seite hin. Im
vorliegenden Falle waren sie, wie sich zeigt, nach oben rechts
projicirt. Von Anderen sind nur spärliche Beobachtungen
über den Zusammenhang der Augenbewegungen mit den Seh-
128 S. E. RENSCHEN. PATHOLOGIE DES GEHIRNS
hallucinationen gemacht worden. Pcterson in New-York hat
in einen Fall von Paranoia (New-York medic. Journal: 30.
x\iig. 1890) folgende ]3enierkung gemacht : »If pat. directs his
eyes towards his right side, where the vi.sions appear, the
move still farther towards the right.» In meinem Falle ist
weiter beobachtet worden, dass, wenn eine Person dem Pat.
die Aussicht benahm, das hallucinirte Bild verschwand, und
Pat. setzte sich im Bett auf, um an der Seite der vor ihm
stehenden Persone vorbei zu sehen.
Diese spärlichen Beobachtungen zu deuten, ist nicht
leicht. Im /V^rj-«?« 'sehen Falle scheint es, als ob die Hallu-
cination im Auge läge, da sie sich mit dem Auge bewegte,
in meinem Falle entstanden die Hallucinationen gewiss in der
Occipitalrinde; das zeigt die dort vorhandene Pialblutung. Die
Beobachtung, dass Pat. die Bilder nur bei einer gewissen
Richtung der Augen sehen konnte, deutet darauf, dass eine
Reizung an der linken Margo falcata gleichzeitig Hallucina-
tionen erweckte, welche eine ganz bestimmte Lokalisation
im Räume nach rechts einnahmen, und die Augen in eine
bestimmte Richtung nach diesem Punkte ablenkten; die Augen
konnten jedoch, wenn auch schwierig, von dieser Richtung
abgelenkt werden, aber erst beim Fi.xiren dieses Punktes
erschienen die Hallucinationen wieder.
Die Beobachtung, dass die Hallucination von einer vor
dem Pat. stehenden Person zum Verschwinden gebracht wurden,
scheint in Widerspruch mit der Natur einer spontan in der
Rinde entstehenden und nach aussen projicirten Hallucination
zu stehen und scheint besser mit einem ausserhalb des Pat. be-
findlichen reellen Gegenstand übereinzustimmen. Die Beobach-
tung lä.sst sich aber erklären, wenn man annimmt, dass das Bild
in eine bestimmte Entfernung vom Pat. verlegt wurde. Dieses
aber setzt eine bestimmte Konvergenz der Seha.xen und eine
damit in Übereinstimmung stehende Accommodation voraus.
Es ist auch bemerkenswerth, dass Pat. eine auf der
Wand gezeichnete Figur, z. B. ein Gesicht, von dem hallu-
nicirtcn Bild unterscheiden konnte. Dies lä.s.st sich auch durch
die gegebene Auslegung der Erscheinung, nämlich dass die
Figur eine andere Konvergenz der Augenaxen forderte, erklä-
ren, aber auch in anderer, nahe zur Hand liegender Weise,
nämlich dass die mit Kreide gezeichnete Figur andere P'orm
und Farbe als die Hallucination hatte, u. s. w.
Der Fall bietet also verschiedene, vielleicht neue, Ge-
sichtspunkte i.iber die Natur der Hallucinationen, aber es wäre
verfrüht aus den einzelnen bisher zugänglichen Beobachtungen
in dieser Hinsicht Schlüsse zu ziehen. Sie fordern immerhin
zur erneuerten Beobachtung auf, und die oben gemachten
Auseinandersetzungen werden nur als hypothetische Vermuth-
ungen von mir betrachtet. Endlich bemerke ich, dass die
von dem Pat. gesehenen Bilder vollständig, nicht halb waren.
So war es auch immer in den früheren von mir mitgeteilten
Fällen. Es handelte sich also nicht um »hemiopische» Bilder.
Wären sie im Sehcentrum gebildet worden, würden sie, der
Theorie nach, halbe Bilder gewesen sein.
III. IV. VI. Pupillen. Eine hemiopische Pupillenreak-
tion war nicht zu erwarten, da die Geschwulstmasse so ent-
fernt von der Sehbahn lag (Vgl. S. 124). — Die Reaktion
der Pupillen bot sonst nichts Besonderes dar.
III. IV. VI. Angenbeivegnngen. Schon oben sind diese
Störungen berührt. Diese Störungen traten nicht von Anfang
der Krankheit an auf, sondern erst am 10. November. Pat
konnte die Augen nach links nicht über die Mittellinie hin-
aus bewegen. Schon Nachmittags desselben Tages wurden die
Bewegungen freier, und am 15. Nov. waren die Bewegungen
normal. Vom 21. Nov. an trat die konjugirte Augenbewegung
nach rechts auf, um jedoch nach einigen Tagen, als Pat.
somnolenter wurde, nachzulassen. Am 29. Nov. wurde sie von
Neuem bemerkt, wie am 2i:ten in Verein mit rechtsseitigen
Hallucinationen. So war es auch später am 3. December.
Schon früher war auch Zwangslage eingetreten, der Kopf
war nach rechts gerichtet.
Für die Erklärung der Augenbewegungen habe ich oben
die Pialblutung an dem linken Occipitallappen in Anspruch
genommen. Aber es fragt sich auch, ob nicht die Ge-
schwulst die Augenablenkung verursachen konnte. Und diese
Frage ist um so mehr berechtigt, da die Geschwulst ihre
Lokalisation im rechten Parietallappen hat. Wernicke sucht,
wie bekannt, nach dem unteren Parietallappen ein Centrum
für die konjugirte Augenablenkung zu verlegen, und im Teil I
habe ich nachgewiesen, dass der Befund im Falle 16 mit einer
solchen Ansicht in Übereinstimmung stehe, ohne jedoch zu
behaupten, dass der P'all die Richtigkeit der Wernicke'
Ansicht positiv bciviese.
Es ist zur Zeit noch unentschieden, ob wirklich ein
Centrum für konjugirte Augenablenkung im P' liegt. That-
sache ist, dass einer plötzlichen Reizung durch Blutung, und
besonders Geschwulst, gewöhnlich konjugirte Ablenkung folgt,
wo auch der Herd liegen mag. In diesem Falle kann man
nur sagen : Anfangs war die Augenablenkung nicht da, obschon
die Geschwulst in P"' oder in der Nähe dieser Windung an-
gefangen hatte; später bei gesteigertem Druck oder Reiz der
Parietalrinde trat sie ein, ohne konstant zu werden. Ihre
Inkonstanz spricht hier gegen ein Abhängen der Augen-
ablenkung von der Reizung der P" Rinde. Übrigens müsste
hier, wenn P'^ das Centrum wäre, eine Parese eingetreten sein,
denn das Mark war zerstört; also Ablenkung nach rechts.
Dagegen spricht das y\uftreten der Augenablenkung im Verein
und gleichzeitig" mit den Gesichtshallucinationen dafür, dass
sie durch die Blutung im linken Occipitallappen hervorgerufen
wurde.
V. Die Anästhesie war wenig ausgesprochen und be-
traf alle Qualitäten.
VII. Die Parese betraf wie gewöhnlich auch die oberen
Äste, aber nicht deutlich den Gaumenbogen. Ein Blick auf
die Taf. XVI, Fig. i, 2, 3, erklärt die Störungen in dem
Quintus und Facialis.
VIII. Die bilaterale Herabsetzung des Gehörs steht in
vollständiger Übereinstimmung mit der bilateralen Innervation
der Gehörcentren und dass die Leitung zum rechten Gehör-
centrum durch den Druck der Geschwulstmasse beeinträchtigt
war (Taf XVI, Fig. i — 3). — Auch Hallucinationen nach
links sind erwähnt und lassen sich leicht aus der Reizung des
rechten Gehörcentrums erklären.
IX. Eine Störung des Geschmacks wurde nicht sicher
festgestellt. — Die Schwierigkeit bei dem Schlucken kann viel-
ZWEI FÄLLE VON HEMIANOPSIE DURCH GESCHWÜLSTE IM UNTEREN PARIETALLAPPEN
129
leicht von der Herabsetzung der Pharyngealreflexe abhängen.
Die Herabsetzung ist jedenfalls auffallend und weniger ge-
wöhnlich, wie auch in Anbetracht der unilateralen Störung
schwierig zu erklaren.
XI. Auch eine leichtere Störung der Innervation der
Larynxmuskeln scheint vorhanden gewesen.
Bemerkenswerth ist die Parese des linken M. cucullaris.
XII. Die Parese der linken Zungenhälfte bedarf keiner
Erklärung.
Sensibilität.
Eine Herabsetzung der Sensibilität der linken Seite war
vorhanden.
Die Störung hat alle Sinnesqualitäten betroffen, wenn
man ausnimmt, dass der Muskelsinn nicht genauer geprüft
werden konnte. Die beobachtete Störung dieses Sinnes auch
an der rechten Seite kann wohl von der allgemeinen Herab-
setzung der Psyche abhängen.
Motilität.
Die Parese der linken Seite unterscheidet sich in diesem
Falle sowohl hinsichtlich ihrer Entstehung wie Entwickelung
von der in anderen Fällen von Hemiplegie.
Nach einer körperlichen Anstrengung hatte Pat. einen
Schwindelanfall, wovon er sich jedoch vollständig erholte.
Zwei 1 age später bemerkte er eine Schwäche im linken Ann.
und, wenn er etwas fassen sollte, wurde er wie gelähmt und
konnte den Arm nicht beherrschen. Noch zwei Tage ver-
flossen, ohne dass Pat. etwas Krankhaftes bemerkte ; dann
trat eine Schwäche sowohl im Arm wie im Bein ein. Gleich-
zeitig bemerkte er eine Art von tonischem Krampf Die Hand
löste sich nicht vom selbst, sondern schloss sich kramphaft
um die Dinge. Nach diesem Tag schritt die Schwäche fort,
und eine Paralyse entwickelte sich schnell und war schon
bei der Aufnahme in's Krankenhaus vollständig. Im linken
Beine entstaaden, wie schon erwähnt, die Symptome erst
einige Tage nach denen in dem Arme; die Schwäche war
geringer als im Arm, und die Parese entwickelte sich nicht
so schnell wie im Arme. Er konnte selbst am lo. November
das Bein etwas bewegen, es im Knie beugen, und selbst die
Ferse vom Bette heben u. s. w.
In den Bauchmuskeln war die Schwäche links noch ge-
ringer.
Diese allmähliche Entwickelung der Paralyse sowie der
Umstand, dass die Schwäche im Beine sich nicht schnell und
intensiv entwickelte, steht in vollem Einklang sowohl mit
der Natur der Geschwulstbildung als mit dem gewöhnlichen
Gesetz für die kortikalen Läsionen der motorischen Centren
und Bahnen. Die Art der Störung deutet auch darauf, dass die
Geschwulst erst in der Nähe des Armcentrums sich entwic-
kelt und später um sich gegriffen hat. Der Sektionsbefund
steht damit auch in Ubereinstimmung (vgl. Taf. XVI, Fig.
I — 4). Das Centrum der Geschwulst liegt in der mittleren
Höhe der hinteren Centraiwindung aber etwas mehr nach
hinten und hat erst später den dorsalsten Teil der Centrai-
windungen oder das Beincentrum ergriffen.
Im Folge der grossen Ausdehnung der Geschwulstmasse
giebt der Fall keine für die Lokalisationslehre neuen Gesichts-
punkte.
Reizsymptome.
Es ist auffallend, dass die Irritationsphänomene im vor-
liegenden Falle gering waren, und zwar sowohl hinsichtlich
der Sensibilität wie der Motilität.
S e n s i b i 1 i t ä t s s y m p t o m e. Anfangs fehlte jedes Reiz-
symptom vollständig. Nach etwa 3 — 4 Wochen traten einige
Parästhesien im Form von Stechen und Ameisenkriechen im
linken Knie und nach unten bis in die Zehen auf Später
scheinen auch sie verschwunden zu sein, und nur sensorielle
Reizsymptome im Form von Hallucinationen traten auf
Motilitätssymptome. Dagegen traten schon gleich
vom Anfang Zeichen von motorischer Reizung der Hand auf,
wie schon erwähnt. Auch diese waren sehr gering und vorü-
bergehend, und jedes Anzeichen eines allgemeinen oder lokalen
klonischen Krampfes fehlte, was besonders in diagnostischer
Hinsicht lehrreich ist.
Dagegen nahm Pat. zuletzt nit dem Kopf eine Zwangs-
lage nach rechts (s. oben) ein. Diese trat in Zusammenhang
mit den rechtseitigen Hallucinationen und der konjugirten
Augenablenkung auf Die Kopflage muss also wohl auch
in Zusammenhang mit den Hallucinationen stehen, aber zu
beweisen, dass sie von der Reizung eines bestimmten Punktes
in der Rinde stammte, ist meiner Meinung nach nicht mög-
lich, insbesondere da eine solche Zwangslage fast jeden
epileptischen Anfall einleitet.
Die übrigen S3'mptome boten nichts Besonderes dar.
130
S. E. RENSCHEN. PATHOLOGIE DES GEHIRNS
Fall 11. Eklund.
Arbeiter. 72 Jahre alt.
Taf. XV. Fig. 1—4; Taf. XVII. Fig. i, 2,
Klinische Diagnose; Hemiplegia sin. (Tumop?)
Zusammenfassung: Der 72-jäht-. Alkoholiker wurde
nach anstrengender Arbeit von Parese der Finger der Hnken
Hand sowie von Zuckungen befallen und wurde zuerst partiel
dann total hetnianopisch nach links und paretisch in der lin-
ken Seite. Hatte später Gesichtshallucinationen nach rechts.
Eine grosse Geschwulst infiltrirte das Mark und die Rinde des
rechten Parietallappens sowie zum Teil die Sehstrahlung. Be-
ginnende Meningitis über der linken Hemisphäre. — Die Hemi-
anopsie war zuerst ein Fernsymptom. Die rechtsseitigen Ge-
sichtshallucinationen werden durch die Reizung des linken
Occipitallappens erklärt. Die Entwickelung der Krankheit ist
in diagnostischer Hinsicht lehrreich.
Anamnese. Grossvater und Oros.smutter des Pat. star-
ben in hohem Alter. Der Vater war ein entschiedener Alkoho-
liker, litt vom 33. Jahre an Athemnoth und Herzklopfen und
starb plötzlich an Schlagfluss im Alter von 50 Jahren. Die
Mutter starb in demselben Alter an einer unbekannten Krank-
heit. Von 8 Geschwistern sind 4 gestorben, eines an Lungen-
schwindsucht. Von den übrigen i.st nichts bekannt. Pat. hat
4 Kinder, von denen 2 gesund sind, eines leidet an Kopfschmerz,
eines ist schwächlich.
Die hygieinischen und übrigen Leheiis7'crhältnissc des Pat.
waren sehr wechselnd. Oft hatte er es recht gut, oft hat er
Noth gelitten. Gegen seinen Magenkatarrh gab die Frau ihm
gewöhnlich einen Schnaps in Kaffe und so entwickelte er sich
zum AlkoJioliker. Auch Tabakmissbrauch hat er sich hingegeben.
Liictisclic Infektion leugnet er.
Er beschäftigte sich früher mit Arbeit auf dem Fände und
in den letzten Jahren mit Holzhacken und soll sich bei anstren-
gender Arbeit nie geschont haben.
Die psychische und körperliche Entwickelung des Pat. war
normal, und sowohl Intelligenz, Gedächtniss wie Stimmung wa-
ren immer gut bis zum Jahre 1890, als die Frau starb. Seit
dieser Zeit war sein Gemüth nach Aussage der Kinder gedrückt,
und er hatte seither keine Ruhe, besuchte seine Kinder unmoti-
virt und verliess sie oft ohne Veranlassung. Er hat seit jener
Zeit keinen Alkohol mehr genossen. Sonst wurde nichts Ab-
normes bemerkt.
Als Kind machte er die Masern durch. Mit den 25. Jahre
begann Athemnoth sich einzustellen und von dieser Zeit an litt
er an Magenkatarrh und Diarrhöe.
In späteren Jahren hatte er bisweilen Sc/m'i/ideige/ii/ii und
Sausen in den Ohren, doch nie in höherem Grade. Der Schlaf
war früher immer gut, aber von der Mitte Januar dieses Jahres
(1894) an trat eine Veränderung ein, mAftm A^r Sehlaf schlechter
und oft von Kopfschmerz und Frösteln gestört wurde.
.'Anatom. Diagnose; Glio-sapcoma lobi parielalis infep. dextPi.
Seine Krankheit fing anscheinend plötzlich an. Am ij. Dec
jSpj machte er eine kleine Wanderung von etwa 15 Kilometer
von seiner Heimath zu seinem Sohne. Dort am Vormittage an-
gekommen, begann er Holz zu hacken und arbeitete fort bis 3
Uhr Nachmittags. Am Mittage fühlte er sich frostig und eigen-
thunilich im Kör]jer. Er ging auf den Abtritt, aber als er nach
der Defäkation den Hosenträger befestigen wollte, merkte er,
dass die Finger der linken Hand nicht mehr ihren Dienst thun
wollten: auch die der rechten Hand waren nicht wie friiher.
Schwindelgefühl oder Hallucinationen sollen nicht vorgekommen
sein. Nachdem er eine Weile sich über die Situation gewundert
hatte, kehrte er in das Haus zurück und hielt dann die Hosen
mit dem ret;hten Unterarm; der linke hing schlaff an der Seite
und war taub. Die Tochter half ihm jetzt zu einem Stuhle und
bemerkte, dass der Mund nach dem linken Ohr verzogen war,
und dass es Gesicht und besonders in den Lippen zuckte.
Die Augen stierten und hatten einen eigenthümlichen Ausdruck ;
ob sie abgelenkt waren, erinnert sich die Tochter nicht. Pat.
sprach nur undeutlich und unverständlich. Der linke Arm und
die linke Hand lagen schlaff an dem Knie, und mit der rechten
suchte er vergebens seinen Anzug in Ordnung zu bringen. Als
keine Besserung eintrat, wurde Pat. nach einigen Stunden in's
Bett gebracht. Die Hände waren kalt, aber nicht die Füsse.
Er wurde mit »Schlagwasser» begossen. Nach einer Weile fing
Pat. plötzlich an, sich zu strecken und die Arme heftig zu be-
wegen und laut zu schreien. Die Brust hob sich heftig. Bald
nachher schlief er ein.
Am folgenden Morgen erwachte er mit Kopfschmerz, emp-
fand dabei auch ein Gefühl von Ameisenkriechen in der Haut.
Übrigens war er matt. Gehörs- oder Gesichtshallucinationen
waren nicht vorhanden. Am Tage besserte sich der Zustand,
Pat. wollte nach Hause gehen, wurde aber zurückgehalten, und
erst am folgende Tage wurde er in seine Heimath gebracht ;
do(h konnte er die letzten 5 Kilom. selbst gehen. Seine Fa-
milie bemerkte jetzt nichts Ungewöhnliches in seinem Benehmen,
nur dass er etwas müde war, und Pat. ging aus um Holz zu hacken.
Dabei empfand er selbst, dass die Finger die Axt nur schwierig
halten konnten.
Während einer Zeit von einem Monat waren seine Kräfte
etwas herabgesetzt, aber sonst waren seine Seelenkräfte normal.
Mitte Januar ging er einmal aus. Bei seiner Rückkehr
war es ihm eigenthümlich im Kopf Es sauste vor den Ohren,
er sah Finge und Streifen von Licht, welche vor seinen Augen
tanzten, und zwar in gerader Richtung vor den Augen, weder
nach rechts, noch nach links. Im Munde empfand er einen
bitteren Geschmack. Es zuckte in den Augenlidern und auch in
den Beinen.
ZWEI FÄLLE VON HEMIANOPSIE DURCH GESCHWÜLSTE IM UNTEREN PARIETALLAPPEN
131
So blieb es bis Anfang Februar, als der Zustand sich ver-
schlechterte. Seit dieser Zeit war er bettlägrig, unvermögend etwas
zu thun. Seine Verwandten bemerkten, dass er au der liukcu
Seite gelähmt war und nach links nicht sehen konnte. Eine Stö-
rung des Gefühls wurde nicht wahrgenommen, aber er fror,
klagte Uber Kältegefühl am Scheitel, weshalb er sich oft am Koi)f
rieb. Bisweilen wurde es ihm >~'licht vor den Augen». Brillen
konnten ihm keinen Nutzen bringen. Eine Störung beim Spre-
chen wurde nicht wahrgenommen, ausgenommen dass er mit
den Antworten etwas zögerte. Beim Essen klagte er, dass es
ihm »im Rachen brenne». Auch hatte er Schwierigkeit beim
Schlucken. Der Harn ging einmal spontan ab.
Da keine Besserung eintrat, wurde er in"s Krankenhaus
gebracht und wurde daselbst am 14. Febr. 1894 aufgenommen.
Status praesens 16. — 22. Febr. 18^4.
Allgemeinzustand. Fat. ist bettlägrig, kann sich im Bette
nicht selbst aufrichten und übrigens sich nicht selbst behelfen.
Der Körperbau etwas schwach. Das Fleisch ist reduzirt. Die
Nase roth. Der Appetit ist gering. Die Darmentleerung spärlich.
Die Radialarterien sind ein wenig sklerotisch. Der Puls
giebt am Sphymographen einen -»Pulsus differens». und zwar
rechts einen »Pulsus parvus et tardus», links fast einen »Pulsus
celer et magnus».
Frequenz 80. T. afebril.
Subjektive Symptome,
Pat. liegt des Tages gewöhnlich //; einem soninolenten Zu-
stande mit bisweilen eintretendem tieferen Schlaf. In den Näch-
ten ist er oft wach und braucht Hülfe.
Pat. hat und hatte besonders in der letzten Zeit verschie-
dene subjektive Empfindungen. Von diesen sind jetzt nur die
Geschmackhallucinationen (s. unter IX. Geschmack) und das Ge-
fühl von Frieren und der Kopfschmerz zurückgeblieben. Um
das Frieren zu beseitigen, bedeckt Pat. beständig den Kopf
mit einem Tuch.
Den Kopfsch?ner2 lokalisirt Pat. in der linken Stirngegend
(regio supraorbitalis), und von da aus erstreckt sich das Gebiet
wie ein Band zum hinteren Teil der Temporalgegend. Wenn
Pat. sich im Bette aufrichtet, hat er das Gefühl, als ob etwas
im Hinterkopf liege, und als ob es nach unten in den Nacken
fallen wollte.
Objektive Untersuchung.
Psyche. Pat. befindet sich, wie schon erwähnt, gewöhn-
lich in einem somnolenten Zustande. Er fasst korrekt auf und
antwortet korrekt und deutlich auf Anfragen. Seine Intelligenz
ist also nicht tiefer benommen oder gestört. Das Gedächtniss
ist für in der Zeit entferntere Ereignisse gut. Dagegen erinnere
er sich nicht gut dessen, was in der letzten Zeit geschehen ist.
Die Gesichts-, Farben-, wie Gehörs-, Geruchs- und Ge-
schmacks-Gedächtnisse sind erhalten geblieben. Die Reflexions-
fähigkeit ist deutlich herabgesetzt. Keine Zwangsvorstellungen
oder perversen Triebe.
Die gedrückte Stimmung fällt gleich in die Augen. Be-
sonders, wenn er von seinen Verwandten besucht wird, ist er
traurig. Ist dabei jedoch eigensinnig.
S. E. He n sehen. Pathologie des Gehirns.
Sprache. Pat. antwortet etwas träge, aber korrekt und
deutlich. Keine Paraphasie. Fasst auch die Bedeutung sowohl
der gedruckten wie der geschriebenen Buchstaben und liest rich-
tig vor. Versteht auch die Zahlen und bezeichnet sie richtig,
jedoch nur bis zu der Zahl 4, durch Zeichnen von geraden Strei-
chen. 5 bezeichnet er mit so vielen Strichen, als an der Tafel
Raum finden. Keine Seelenljlindheit.
Kranialnerven.
I. Pat. erkennt und nennt gleich Schnupftabak. Terpen-
tinoel^ unterscheidet er nicht gleich von Kampher. Ammoniak
und Essig, beide verdünnt, erkennt er nicht, aber empfindet sie
als verschiedene Geruchstoffe. Eau de Cologne giebt (ieruch-
sensation. Zwischen rechts und links besteht kein Unterschied.
II. Die Sehschärfe konnte nicht geprüft werden, indem Pat.
aus Eigensinn nicht antwortet und die Augen schliesst.
Pat. erkennt Farben. Die Gesichtsfelder s. die Karte ; die
Zuverlässigkeit der Abmessung kann wegen des Zustandes des
Pat. nicht garantirt werden.
Nach späteren Untersuchungen besteht eine linksseitige He-
mianopsie mit der Grenzlinie ungefähr durch die Mittellinie.
Augenhintergrund trotz wiederholten Versuchen unmöglich
zu untersuchen, da Pat. hartnäckig die Augen schliesst und
Schwierigkeiten macht.
III, IV, VI. Keine hemiopische Reaktion.
Die Aiigenbetiiegungcn nicht beschränkt, ausgenommen dass
er die Augen extrem nach links nicht ablenken kann. Kein Ny-
stagmus.
V. Genauere Untersuchung war unmöghch.
Tastsinn. Ein leichtes Berühren empfindet der Pat. ebenso
gut in der Stirn und im Gesicht, und beiderseits in gleichem
Grade.
Der Schmerzsinn scheint nirgends herabgesetzt zu sein.
Tenperafursinn : Die Resultate unsicher. 36,0° C. empfin-
det er als warm, 28 "C. als kalt. Gleich auf den beiden Seiten.
VII. Geringe linksseitige Parese. Die Augen schliessen sich
beiderseits gleich gut. ebenso wird die Stirn beiderseits gleich
leicht gerunzelt. Der linke Mundwinkel steht etwas tiefer.
Der M. masseter sin. zieht sich etwas schwächer zusammen
als der M. m. dexter.
VIII. Gehör beiderseits in gleichem Grade herabgesetzt.
Hört die Taschenuhr in einer Entfernung von 20 — 30 cm. und
schwaches Sprechen in einem Abstand von i — 2 Metern.
IX. Geschmack. Kein Unterschied zwischen der Spitze
und Wurzel der Zunge. Schwache Salzlösung wurde als Bitteres
18
132
S. E. HENSCHEN. PATHOLOGIE DES GEHIRNS
aufgefasst, gleich auf beiden Seiten; schwache Zurkerlösung links
als süss, rechts bisweilen als süss, bisweilen als bitter : schwache
Essiglösung bisweilen als süss, bisweilen als sauer, und zwar
gleich an beiden Zungenhälften. Chininsuljjhat wurde als stark
und süss empfunden und gleich auf den beiden Seiten.
Pat. empfindet spontan einen bitteren Gese/nnaek \m Munde.
Schunerigkcit heim Schlucken fester Speisen.
X. Die Herzthätigkeit ist etwas beschleunigt.
XI. Die Stimme etwas heiser und schwach.
Die linke Schulter kann nur wenig gehoben werden.
XII. Die Zunge kann nur wenig herausgestreckt werden
und weicht nach rechts ab. Keine tr()])his( hen Störungen.
Sensibilität.
(ienauere Untersuchungen wurden durch die Schlaffheit
des Pat. vereitelt.
Tastsinn: Der Pat. em})findet an den Armen und Reinen
gut und in gleichem (irade leichtes Betasten mit dem Finger
oder einem Papierstreifen. *
Der Sciunerzsinn, ebenfalls grob gejjrüft. scheint au( h
nicht wesentlich herabgesetzt zu sein.
Temperattirsinn : Das Resultat niuss als unsicher bezeichnet
werden. Pat. empfindet in der Hand 36. ri'^ als warm. 30" als
kalt, und beiderseits gleich.
Lokalisationssinn : Keine Störung, indem Pat. bei geschlos-
senen Augen die berührte Stelle anzeigen kann. Er nennt da-
bei immer die rechte Hand, die linke oder den rechten Fuss,
den linken u. s. w. Darauf aufmerksam gemacht, sagt er, dass
er »weggekommen» ist, aber korrigirt sich nicht, wenn der Ver-
such wiederholt wird.
Reizbarkeit der Nerven und Muskeln für den faradischen
Strom :
(jberer Facialis rechts
6 c.m.
links
I c.m.
Unterer » »
5.5
»
»
6 »
N. accessorius »
7
»
»
7,5 »
» ulnaris »
5
»
»
6 »
» medianus »
6
»
»
6 »
» peroneus »
6
»
»
6 »
Musculus zygomaticus »
c
J
»
»
5 »
» bicejjs »
6
»
»
6 »
» brachialis int. »
4
»
»
4,5 »
» vastus int. »
2
»
»
2 ,5 »
Motilität.
Pat. liegt auf dem Rücken und kann im Bette nicht die
Lage ändern. Die Beine sind oft gekreuzt.
Arm: Der Unke Arm ist paretiscli. Pat. kann ihn jedoch
zum Gesicht führen, sowie gegen die Mittellinie des Körpers:
hilft gern dabei mit der rechten Hand nach. Kann dagegen
nicht einen vorgezeigten Gegenstand greifen, sondern greift fehl,
nach vorn oder nach hinten.
Brust: Der Brustkorb hebt sich beiderseits gleichmässig.
Beine: Die Beine werden beide nach oben in gleichem
Grade hinaufgezogen.
Krämpfe oder fibrilläre Zuckungen sind nicht vorgekommen,
Reflexe.
Sowohl die Kubital- wie Patellarreflexc sind schwach. Kein
Dorsalklonus.
Hautreflexe fehlen.
Harn und bisweilen auch Faeces gehen spontan in's Bett.
J'asomotorisclie Störunge/i: Die Gefässe s. oben. Die linke
Hand ist wenig kälter anzufühlen als die rechte. Sonst keine
Störungen.
Trophische Störungen sind nicht vorhanden.
Innere Organe.
Lungen: Nichts Besonderes. Hustet nicht. Respiration 12.
Herz: Tone rein und kräftig. Keine absolute Herzdämpf-
ung. Der Spitzenstoss, im 5:ten Zwischenrippenraum 3 c.m. nach
innen von der Mamillarlinie. ist etwas hebend und wird von
einem Finger bedeckt.
Leber: Nichts Besonderes.
Magen: Am "/2 Erbrechen. Acidität o.si; "/o. keine Salz-
säure-, aber Milchsäure-Reaktion.
Harn schwach sauer, klar: sp. Gew. r.nio, frei von Eiweiss
und Zucker.
T a g e s a u f z e i c h u n g e n.
'^'l-i. Pat. ist sehr träge und apathisch. Ist heiser: der
Klang der Stimme verschwunden. Harn und Faeces gehen in's
Bett. Er zupft an der Decke mit der linken Hand.
^^/2. Die ganze linke Hand und der linke Arm sind para-
lytiscli. Arm und Finger rechts sind gewöhnlich /// Kontraktions-
stellung. Im rechten Ami Zuckungen, wechselnd damit, dass Pat.
bisweilen mit dem Arm schlägt. Erkennt nicht seine Verwand-
ten. Strabismus. Keine Reflexe.
^''/z. Puls gleichmässig, 80. Pat. empfindet, wenn man
den linken Arm kneift. Mit der rechten Hand pflückt und tappt
er ausserhalb des Bettes herum. Bei der Anfrage, warum er das
macht, antwortet er, dass er »die Knöpfe knöpfen» will. Be-
ginnender Decubitus.
^/s. Pat. ist seit einigen Tagen weniger schlaff. Beant-
wortet die an ihn gestellten Fragen. Heute Verschlimmerung.
Zuckungen in der rechten Hand. Kann nur schwierig geweckt
werden. Der Harn geht In das Bett. Pat. empfindet Nadel-
stiche im Cxesicht gleich auf den beiden Seiten. An dem linken
Arm vollständige Anästhesie. An dem linken Beine ist Pat. für
Stiche noch etwas empfindlich.
^js. Abends greift Pat. mit der rechten Hand nach rechts
von der Mittellinie. Auf Befragen antwortet er, dass er »Haus-
kobolde» sah. Auch sah er Fische, im Bettlaken eingewickelt.
Später Abends sah er den Teufel selbst vor sich stehen; aber
er wollte keine Beschreibung von ihm geben. Pat. lag nach
rechts gedreht. /// den beiden Quadranten nach rechts scheint
er noch Sehvermögen zu haben.
^l3. Heute Vormittags hat Pat. noch Erinnerung an seine
Hallucinationen. Erzählt dass er »schwarze Kobolde gesehen,
welche in schwarzem Wasser hüpften», und behauptet, dass die Pati-
enten im Krankensal auch mit den Kobolden tanzten. Er sah
sie weder nach oben, noch nach unten. Sie plauderten mit
einander, aber Pat. verstand nicht, was sie sagten.
Abends neue Hallucinationen. Pat. lag nach rechts ge-
wendet. Er sah nach rechts und recht viel nach oben teils Segel-
boote, teils Tafeln, und er griff nach diesen.
ZWEI FÄLLE VON HEMIANOPSIE DURCH GESCHWÜLSTE IM UNTEREN PARIETALLAPPEN
133
Va. Tafeln sind auch heute dem Pat. erschienen. Sie waren
»buntgefärbt». Pat. lag mit dem Gesicht gerade nach vorn, und
in dieser Richtung erschienen die Hallucinationcn. Am 7. Abends
erschien ein weisser Hase, und Pat. suchte ihn zu greifen. Nach-
her sah er etwas nach links von der Mittellinie. Lag dann mit
dem Gesicht ebenfalls nach vorn.
*"/:!. Greift auch heute Abend nach etwas; wollte von
heute ab nichts von seinen Hallucinationen mitteilen.
^[i. Soporös. Einzelne Zuckungen in der rechten Hand.
Pat. giebt kein Zeichen, dass er etwas versteht.
"^j-i. T. 37,3°. Wie gestern. Jlemiopische Reaktion besteht
nicht. Die Pupillen von Mittelgrösse, nicht völlig rund, sondern
von Form unregelmässig.
Die ophthalmoskopische Untersuchung wurde durch Kata-
rakta incipiens und stetige oscillirende Bewegungen des Auges
vereitelt. Ob Veränderungen im Augenhintergrunde vorhanden
waren, wurde nicht entschieden. Aber die Papilla^ nerv, optic.
erschienen mehr grauroth als normal.
Um 4. Nachmittags wurde bronchiales Athmen Uber beiden
Lungen gehört. Um '/^ 7 Nachm. war die T. 38,8". Resp. 40.
P. 120. Verschied '/a 1894 um 8,20 Nachmittags.
Sektion.
Die Dura ist mit dem Schädel nicht zusammengelöthet.
An ihrer Oberfläche blutrei(-h, überall gespannt, sowohl in den
frontalen, als occipitalen Teilen. An ihrer Innenseite findet man
über den rechtsseitigen Centraiwindungen eine etwa 5 + 4 cm.
grosse, ganz frische Blutung, ebenso an der Oberfläche der an-
liegenden Pia.
Die Pia sonst ohne Veränderung; sie ist blutreich, an der
Oberfläche der Geschwulst sehr dünn. Die Oberfläche des Ge-
hirns ist abgeplattet mit verwischten Sulci. Bei der Heraus-
nahme beobachtet man, dass die rechte Hirnhälfte, besonders
in den parietalen Teilen, sich bedeutend hervorbuchtet. Hier
findet man auch eine gioblobirte Geschwulst.
Die Gefässe etwas atheromatös und steif.
Die linke Hälfte ist auffallend kleiner, ohne makroskopische
Veränderungen darzubieten.
Im dritten Ventrikel findet sich ein unregelmässiger, von
vorn nach hinten 6 m.m., von oben nach unten 6 — 7 m.m. mes-
sender Blutfleck, welcher 2 m.m. nach hinten vom aufsteigenden
Vicq d'Azyr'schen Schenkel liegt und etwa 8 m.m. nach vorn
vom Ganglion habenulse und ic m.m. nach unten vom Medul-
larstreifen. Er ist ganz frisch und oberflächlich.
Am gegenüberliegenden Punkte in der Wand, also der rech-
ten Hemisphäre, findet sich auch eine kleine Blutung, welche
3 m.m. hinter dem hinteren Rand des aufsteigenden Vicq d'A-
zyr'schen Schenkels liegt, und 12 m.m. nach unten vom Mark-
streifen und etwa 8 m.m. vom Ganglion habenulse. Diese
Blutung misst 3 m.m. vorn, r hinten, 7 — 8 von vorn nach hin-
ten. Keine reaktiven Veränderungen in der Nähe.
Die linke Hirnhälfte ist vor dem Splenium mit der rech-
ten leicht verlöthet und zeigt überhaupt eine nicht unbeträcht-
liche Reiztmg, besonders in der Nähe der Margo falcata am Über-
gange zwischen O- und P-Lappen. Diese erstreckt sich hier auf der
Aussenfläche des 0-lappens einige cm. diffus hinab. An der Aus-
senfläche des rechten 0-lappens war keine deutliche Reizung zu
sehen. Sonst war nichts Bemerkenswerthes in dieser Hemisphäre
vorhanden.
Die rechte Hemisphäre.
Aus der Schädelhöhle herausgenommen, verändert das Ge-
hirn seine Form und nimmt nach 1 — 2 Tagen in der Härtungs-
flüssigkeit die in der Fig. i., Taf. XV, angegebene Form an. Die
Mitte der Hemisphäre wird von einer orange-grossen, rundlichen
Geschwulstmasse eingenommen. Diese hat besonders den unteren
Parietallappen infiltrirt, greift aber auch auf die angrenzenden
Partien der Angularivindung und der ersten Temporahaindu ng nhtr.
Dadurch sind die angrenzende hintere Centraiwindung, die erste
und zweite Temporalwindung, die übrige x\ngularwindung sowie
die Occipital- und obere Parietalwindung bedeutend zusanimen-
iredriickt. An der Oberfläche der Geschwulstmasse lassen sich noch
o
die Form der Windungen und die Sulci im Ganzen erkennen,
wie aus der Figur i. hervorgeht. Die Oberfläche der Neubildung
ist rauh und wie etwas haarig. Die Geschwulstmasse ist halbhart
anzufühlen, nicht schwappend.
Die Hemisphäre wurde in i cm. dicke Scheiben zerteilt.
Schnitte i — 5 cm. vor dem Occipitalpole. An allen diesen
Schnittflächen finden sich keine pathologischen Veränderungen.
Schnitt 4 cm. (Taf. XV, Fig. 2). Der Schnitt fällt durch
den occipitalen Teil der Geschwulstmasse ungefähr an der Grenze
zwischen der Angularwindung und dem unteren Parietallappen
fs. Fig. 2.). In wie weit die Angularwindung infiltrirt ist,
zeigt die Fig. i am besten. Die Ausdehnung der Geschwulst-
masse tritt auch am besten an der Figur hervor. Diese nimmt
hauptsächlich die Gegend zwischen der zweiten Temporalwindung
und dem oberen Parietallappen ein, infiltrirt also A und P-, und
misst in der Höhe 4, in der Tiefe 3 cm., und hat diese beiden
Windungen ausser Lage gebracht und gleichzeitig gedrückt.
Nach innen dringt die Geschwulst bis zum dorsalsten Abschnitt
der Sehstrahlung hervor und begre azt sich hier diffus, aber infil-
trirt nicht die Sehstrahlung, welche sich ganz distinkt abzeichnet.
Sie infiltrirt vollständig die Rinde. Die Grenzen nach oben und
nach unten gegen P^ und T^ sind scharf.
Scnnitt 5 cm. (Taf. XV, Fig. 3). Die Geschwulst nimmt
eine noch grössere Fläche ein und misst in der Höhe 5 cm.,
in der Tiefe 4 cm., infiltrirt die bedeutend vergrösserte P^ und
nach unten A, erstreckt sich von dem ersten Temporalsulcus bis
zum Sulcus intraparietalis und hat P^ zusammengedrückt. Die
Rinde des P^ ist infiltrirt, ausgenommen die dorsalsten und ven-
tralsten Ränder.
In die Tiefe dringt die Geschwulst bis /;/ den dorsalsten
Abschnitt der Grntiolef sehen Strahlung, ohne jedoch diese voll-
ständig zu infiltriren. Sie zeichnet sich im Gegenteil recht gut ab.
Schnitt 6 cm. (Taf. XV, Fig. 4). Hier dringt die noch
ausgedehntere Geschwulstmasse bis in das Unterhorn ein und
durchsetzt den dorsalsten Abschnitt der Sehstrahlung in einer
Ausdehnung von 2 cm. vom Balken nach unten (s. Fig. 4).
Die Masse misst in vertikaler Richtung 5,5 cm., in frontaler
6 cm., und nimmt die vergrösserte P^ und den dorsalsten Teil
der T^ ein. Die Geschwulst ist hier wie sonst der Degeneration
anheimgefallen.
Schnitt 7 cm. (Taf. XVII, Fig. i). Die Geschwulstmasse
hat hier ihre grösste Ausdehnung, nimmt an der Oberfläche des
134 S. E. HENSCHEN. PATHOLOGIE DES GEHIRNS
Gehirns V'^ und zum Teil T', sowie das ganze Mark der P', T'
und den obersten Teil der Gr'atiolefschen Strahlung ein, welche
diffus infiltrirt ist. Die untere Grenze der Geschwulst lässt sich
hier nicht makroskojiisch bestimmen, sie liegt anscheinend in der
Höhe des ersten Temporalsulcus, ungefähr i cm. dursal vom
Boden des Unterhorns und etwa in der Höhe des äusseren Knie-
höckers und wenige mm. occijutal von diesem Ganglion.
Die Geschwulst greift nicht auf die Rinde, aber auf das
Mark der Cp über.
Schnitt S CHI. (Taf. XVII, Fig. 2. Durch den äusseren
Kniehöcker"). Die (leschwulstmasse ist bedeutend vermindert,
dringt bis zur Rinde der P^ hervor, greift weder auf noch T'
über; sie erstreckt sich nach hinten etwa bis zu der äusseren
Grenze des Schweifkerns. Die Grenzen sind überall diffus.
Kleinhirn und M e d u 1 la o I ) 1 o n g a t a.
Weder an der Oberfläche, noch auf der Schnittfläche wurde
etwas Pathologisches wahrgenommen.
Deutliche Zeichen einer Kompression dieser Teile wurden
ni( ht beobachtet.
Käue Ausclnvclhnig der PapilUc 11 error 11 in o/>tieorn/n konnte
post mortem konstatirt werden.
Die Sektion des übrigen Körpers wurde von den Verwand-
ten verweigert.
M i k r o s k o j) i s c h e Untersuchung.
Die Geschwnlstinasse ist sehr lose und von zahlreichen
dünnwandigen (iefässen durchzogen. Hie und da finden sich
kleinere Blutungen oder Pigmenthäufchen. Sie besteht aus
dicht an einander liegenden Zellen ohne eigentliches Stroma.
Die Zellen sind teils Rnndzcllcn verschiedener Cirösse, grössere
mit grösseren Kernen und deutlicher scharf konturirter Proto-
plasmascheibe und kleinere, wahrscheinlich jüngere Zellen, mit
grossen Kernen und spärlichem Protoplasma ohne Kontur, teils
Spindelzelleii mit grösseren Kernen und spitzen oder abgerunde-
ten Enden. Beide Arten von Zellen bilden unter einander ge-
mischte Kolonien und zahlreiche Übergangsformen von Zellen
finden sich ; die Rundzellen scheinen überhaupt jüngere Formen
zu sein. Inseln von degenerirtem CJewebe sind eingestreut.
Es liegt also ein Glio-sarkoin vor.
Um die genauere Lage der Hämorrhagien in den ^^"änden
des dritten Ventrikels zu untersuchen, wurde von der linken He-
misphäre eine Serie von mikroskopischen Frontalschnitten ver-
fertigt. Aus diesen erhellte, da.ss die Hämorrhagie bis 0,5 — 0,7.5
m.m. in die Wand in der Höhe des oberen Umfanges des rothen
Kerns eindrang und sich nach vorn hin bis zu der vorderen
Grenze dieses Kernes ausdehnte und nach hinten an etwa 80
mikroskopischen Schnitten als tiefliegende Blutung zu verfolgen
war. Diese Ausdehnung entspricht also den vordersten etwa
3 m.m. des rothen Kerns. Die Blutung lag i m.m. medial von
dem medialen Rande dieses Kernes und schräg nach oben innen
und beschränkte .sich auf die graue Substanz der Ventrikelwand.
An denselben Schnitten sieht man die Bündel des Oculimotorius
durchtreten.
Wie schon erwähnt, waren die Blutungen beiderseits in den
Wänden symmetrisch.
Epikrise.
Kurzer Krankenbericht. Der 72-jährige Arbeiter
hatte v. ie der Vater Alkohol gemissbraucht. Der Vater starb
an Schlagfluss. Bis in das hohe Alter hatte er anstrengende
Arbeit; war aber immer stark und gesund. Nach dem Tode
der l'rau 1890 wurde er verstimmt und eigenthümlich. Seit
der Mitte Januar 1894 war der Schlaf gestört, und er litt an
Kopfschmerz.
Am 13. Dec. 1893, nach körperlicher Anstrengung, wurde
er von Schwäche und Taubsein der Einger der linken Hand
befallen, auch die der rechten Hand waren nicht wie früher;
der Mund wurde nach der linken Seite hinaufgezogen, und
Zuckungen stellten sich in der linken Gesichtshälfte ein, und
darnach wurde die linke Seite .schlaft'. Später begann er zu
schreien und mit den Armen zu schlagen. Nach zwei Tagen
konnte er eine längere Strecke wandern. Bei der Arbeit
empfand er Schwäche in der linken Hand.
Mitte Januar nach einer Promenade empfand er Sausen
in den Ohren und Licht-phänomene vor den Augen und hatte
Geschmackshallucinationen. Seitdem paretisch in der linken
Seite. Hatte Frostgefühl am Scheitel und sah »Licht vor
den Augen». Den 14. Febr. 1894 ins Krankenhaus auf-
genommen.
St. pra^s. 16. — 23. Febr. Arteriosklero.se, Pulsus difte-
rens, bettlägrig. Geruch- und Temperatur-Hallucinationen oder
Parästhesien. Kopfschmerz. Etwas schlaft"; keine Aphasie. I.
Recht gut. II. Nach links beschränktes Gesichtsfeld; später
Hemianopsie, ohne hemiopische Pupillenreaktion. Hinsichtlich
des Augenhintergrundes kein sicherer Augenbefund. III, IV,
VI. Parese des linken Auges bei extremer Ablenkung nach
links. V. Keine Anästhesie. VII. Parese links. VIII. Beider-
seits etwas herabgesetzt. IX. S. oben. XI. Stimme heiser.
XII. Parese links. Sensibilität: keine deutliche Abnormität.
Motilität: linksseitige Parese im Arm und Bein. Reflexe:
schwach; Harn und Faeces gehen unwillkürlich ab. Innere
Organe zeigen nichts Abweichendes, ausgenommen dass das
Herz dilatirt ist.
Nach und nach verfiel Pat. in einen somnolenten und
zuletzt komatösen Zustand. Reizungsphänomene in Form
kleiner Zuckungen traten in der rechten Hand auf (selten in
der paretischen linken s. ^"/a), die linke Hand wurde anäs-
thetisch, wie auch in geringerem Maasse das linke Bein. Seit
d. ^/s bis zum Tode hauptsächlich wiederholte Hallucinationen
nach rechts und Deviation der Augen nach derselben Seite
hin. Pupillen kaum verändert. Tod ^,'3 1894.
Diagnose.
Art der Läsion. Der Fall war nicht leicht zu diagnos-
ticiren. Einerseits sprach die plötzliche, wenn auch unbe-
deutende Parese nach der grossen körperlichen Anstrengung
(Wanderung von etwa 15 kilom. und Holzhacken während
mehrerer Stunden) so bestimmt gegen eine Geschwulst und
für eine kleine Blutung oder in Anbetracht des früheren Alko-
holmissbrauchs, der vorhandenen Herzdilatation und des Pulsus
differens und der F'orm der Pulskurve für eine Thrombose
eines kleineren Gefässes. Und diese Auftassung fand eine
gewisse Stütze darin, dass Pat. nach Erholung binnen einigen
ZWEI FÄLLE VON HEMIANOPSIE DURCH GESCHWÜLSTE IM UNTEREN PARIETALLAPPEN
135
Tagen nicht nur ohne Schwierigkeit längere Strecken wandern
konnte, sondern auch recht gut arbeiten konnte. Das gelinde
Kopfweh und die geringen Reizsymptome sprachen auch
anscheinend eher gegen als für einen Tumor. Alle Versuche,
durch die ophthalmoskopische Untersuchung einen Haltpunkt
in der Sache zu erlangen, scheiterten durch den Eigeasinn
des Pat., indem er bei den Versuchen, ihn zu untersuchen,
die Augen schloss und Augenbewegungen ausführte. Auch
die beginnende Katarakt stand hindernd im Wege. Zwar
glaubte ich, kurz vor dem Tode beobachten zu können, dass
die Papillae nervorum opticorum etwas diffuse Grenzen hatten,
aber das Resultat der Untersuchung war zu unsicher. Übrigens
bestand gewiss keine ausgesprochene Stauungspapille, denn
bei der Sektion war ich in Stande, diese zu untersuchen, und
fand keine Scfnvelliing der Papillce.
Aber wenn einerseits viele Umstände für eine Thrombose
und gegen eine Geschwulst sprachen, so war doch die Ent-
wickelung der Krankheit ziemlich charakteristisch für eine
Geschwulstbildung. Andererseits traten auch, besonders gegen
das Ende, Zeichen einer intrakraniellen Blutung auf, da Pat. ^/s
in einen soporösen Zustand verfiel.
Es war also im Leben die Diagnose nicht ganz klar, ob
ein Tumor vorlag oder nicht.
Da durch die Sektion eine grosse Geschundst nach-
gewiesen worden ist, und ausserdem eine Blutung, sowohl an
der Oberfläche der Geschwulst wie in demselben Gebiete,
eine suprapiale Blutung sowie kleine Blutungen in den dritten
Ventrikel und ausserdem eine meningeale Reizung an der
Aussenseite des linken Occipitallappens, — so ist es lehr-
reich, die Symptome auseinander zu setzen, um zu sehen, in
wie weit diese mit dem durch die Sektion nachgewiesenen
Befund zusammenstimmen.
In dieser Hinsicht ist es erst auffallend, in welchem ho-
hen Grade dieser Fall mit dem Falle Sundelin (S. 120), über-
einstimmt. In beiden liegt eine infiltrirende grosse Geschwulst
in der Mitte der rechten Hemisphäre vor. In beiden hat das
Neoplasma erst das Mark infiltrirt; aber im vorliegenden
Falle greift es auf die Rinde über und dringt bis an die
Oberfläche des Gehirns hervor und ruft zugleich hier eine
subdurale und subpiale Blutung hervor; im Falle Sundelin
dagegen bildet die Rinde gegen die sonst das Gewebe in-
filtrirende Geschwulst eine Barriere, welche undurchdringlich
ist. In beiden Fällen war die Kompression des Gehirns be-
deutend. Die Ausdehnung des Neoplasma nach vorn und
hinten war im Falle Sundelin etwas grösser, und das ganze
Mark des oberen Parietallappens und der Centraiwindungen
war von ihm infiltrirt. Nach innen griff die Geschwulst in
beiden Fällen etwas auf den dorsalen Abschnitt der Seh-
strahlung über, ohne den ventralen zu zerstören. Die Centrai-
ganglien waren in beiden Fällen im Ganzen verschont, wie
auch die Sehbahn (s. unten).
Endlich fand sich in beiden Fällen eine meningeale
Irritation oder Blutung an der Margo falcata des rechten
Occipitallappens.
Diese Übereinstimmung hat nicht nur für die Diagnose
der Gehirntumoren eine gewisse Bedeutung, sondern ist auch
aus physiologischem Gesichtspunkte lehrreich. Hier will ich
zuerst die praktisch-diagnostische Seite abhandeln, um dann
unter der Rubrik Analyse der Symptome die physiologi.sche
zu analysiren.
Diagnostische Ähnlichkeiten der Fälle Eklund und Sunde-
lin.
Die Anamnese bietet mehrere Vergleichspunkte dar.
Aetiologie. Schon die hereditären Verhältnisse waren
in so weit in den beiden F"ällen ähnlich, als in den Familien
der beiden Pat. eine nervöse Belastinig vorhanden war; die
Mutter Sundelin's starb während einer anstrengenden Arbeit
an einem Schlaganfall im Alter von 46 Jahren, und der
Vater Eklunds, welcher Alkoholiker war, starb auch an Schlag-
fluss im Alter von 33 Jahren. Ausserdem bestand Tremor
in der Familie Sundelin's. Beide Pat. missbrauchten Alkohol
in hohem Grade, sonst waren beide gute Arbeiter. Bei beiden
ging eine längere Zeit vor dem Ausbruch der Krankheit
Scinvernuith oder veränderte Stimmung voraus, bei Sundelin
vielleicht in Folge eines Falles 9 Jahre früher, bei Eklund in
Folge des Todes seiner Frau. In welchem Masse der Alko-
holmissbrauch oder vielleicht die keimenden Geschwülste diese
veränderte Stimmung veranlassten, ist ungewiss.
Prodrome der Krankheit. Bei beiden kam der Ausbruch
der Krankheit anscheinend plötzlich, aber schon früher hatten
gewisse Symptome die drohende Gefahr angekündigt.
Unter diesen Symptomen war es auftallend, dass das
Kopftveh bei tlklund so gelinde war, und bei Sundelin scheint
dieses sonst so wichtige Symptom erst später angefangen
zu haben. Dies scheint damit in Zusammenhang zu stehen,
dass die Geschwulst bei Eklund oberflächlicher lag und schon
frühzeitig die Rinde afficirte, während sie bei Sundelin nie
oberflächlich wurde. Dies zeigt, dass das Mark relativ oder
absolut unempfindlich für selbst maligne und sonst reizende
Geschwülste ist. Das Kopfweh wird leicht bei Eklund durch
die meningealen Reizung erklärt; Jei beiden nahm es mit dem
gesteigerten Druck zu.
Ausbruch der Krankheit. In beiden Fällen gab eine
excessive körperliche Anstrengung den scheinbaren Anstoss
zum Ausbrauch der Krankheit (s. oben) und in beiden Fällen
begannen die ersten Symptome erst eine Weile nach dieser
Anstrengung. Zuerst trat Störung des Bewusstseins ein, wenn
auch in verschiedenen Formen. Weiter äussert sich die
Krankheit bei Beiden zuerst in sehr begrenzten Gebieten;
bei Sundelin 2 Tage später mit einer gewissen Schwäche
vielleicht mit gelinder Kontraktion in der linken Hand beim
Greifen einer Tasse Kaffee; bei Eklund fingen die Symptome
gleich mit Schwäche in den Fingern an in Verbindung mit
Kontraktion des Gesichtes, wo auch Zuckungen bemerkt
wurden. Bei diesem traten also Reizsymptome etwas deut-
licher hervor, in Übereinstimmung mit der kortikalen Aus-
dehnung des Neoplasma; dann brach eine Art von epilep-
tischem Anfall bei Eklund aus und am folgenden Morgen
hatte er Kopfschmerz und Parästhesien.
So verflossen bei Beiden 2 Tage ohne Verschlimmerung.
Darauf trat bei Beiden eine linksseitige Pareso ein, welche
jedoch bei Eklund auf den Arm beschränkt war.
Entivickclung. Beim Vergleichen der sich dann ent-
wickelnden Symptomen fällt bezüglich Beider das allmähliche
136
S. E. HENSCHEN. PATHOLOGIE DES GEHIRNS
Nacheinanderaiiftreten der Zeichen auf, aber -während bei
Sundelin nur paretische Symptome langsam erschienen, finden
wir bei Eklund neben der hnksseitigen Parese auch ab und
7,u deutHche Reizsymptome, und zwar in vielen Formen. Hier
spielen besonders die subjektiven Symptome eine Rolle, l^k-
lund empfand einen eigenthümlichen Geschmack im Munde,
er hörte Sausen in den Ohreii und sah Lichtstreifen und
Lichiringe, es fror ihn am Scheitel, so dass er sich dort reiben
musste oder ein Tuch um den Kopf legen musste, und es
schmerzte ihn im Rachen beim Essen.
Auch bei Sundelin traten, wenn auch anscheinend gering-
fügige Parästhesien ein — AnieiscnkriccJien vom Knie in die
Zehen herab. Sonst prädominirte bei ihm das Tatibsein der
linken Seite, und zwar gewiss in Folge der früzeitigen Aus-
dehnung der Geschwulstmasse in das Mark der Centralwindun-
gen, welche bei Eklund nie in demselben Grade primär affi-
zirt wurden, sondern fast nur indirekt.
Auch das allmähliche Fortschreiten der Krankheit, die
nach und nach eintretende Sonmolenz und zuletzt das Koma
ist Beiden gemeinsam. Bei Beiden war dieser Schlaffheits-
zustand von »luciden Intervallen» unterbrochen und Anfälle
von plötzlich gesteigertem intrakraniellen Druck und von Reiz
der Rinde wechselten bei Beiden.
Viele andere Symptome, welche auch physiologisches
Interesse haben, werden unten abgehandelt. Kaum dürfte
man zwei Pendants mit grösserer Ähnlichkeit finden. Die
Differenzen vollenden das Bild; der P"all S!i?idelin ivar der
Typus einer snbcortikalen Gesc/nunlstbildiing. der Fall Fkliind
einer auf die Rinde iibergreif enden.
In praktisch-diagnostischer Hinsicht möchte ich nur Fol-
gendes hinzufügen. Beide Geschiuiilste waren infiltrirend.
Das Hirngewebe ist in beiden Fällen von der Neubildung so
vollständig infiltrirt und ersetzt worden, dass man daselbst
nur neugebildete Elemente findet. Diese Infiltration charak-
terisirt sich auch durch die vollständig diffusen Grenzen der
Geschwülste; und als einen Ausdruck dafür finden wir die
geringfügige und erst sehr späte Ansclnvelliing der PapilUe
nerv, opticoriini, \\'elche vielleicht bei Eklund nicht einmal
deutlich vorhanden war. Auch in dieser Hin.sicht sind die
Fälle lehrreich. Und diese Erfahrung haben schon Goivers
und Andere vorher gemacht, dass selbst grössere infiltrirende
Geschwülste im Mark der Grosshirnhemisphären in der Nähe
der Centraiwindungen ohne Stauungspapille verlaufen können.
Füge ich noch zu diesem Krankheitsbilde, dass die Ge-
schwülste eine ungefähr gleiche Ausdehnung hatten, dass
beide Fälle mit linksseitiger Hemianopsie ohne hemianoj^ische
Pupillenreaktion verliefen, mit geringen Gehörstörungen und
endlich mit sehr bemerkenswerthen rechtsseitigen Gesichts-
Hallucinationen und nach rechts eintretenden Augenablenkungen
verliefen — so ist das Zwillingsbild der Kranken vollständig.
Lokalisation der Läsion. Bezüglich dieser P'rage kann
ich mich kürzer fassen. Es giebt auch in dieser Hinsicht so
viele gemeinsame Punkte zwischen den beiden Fällen, dass
die Gründe, welche hinsichtlich der Lokalisation bei Sundelin
angeführt worden sind, auch bei Eklund im Ganzen anwend-
bar sind. Die zuerst in der linken Hand auftretende, dann
sich auf die ganze linke Seite ausdehnende Parese deutet auf
einen Herd in der Nähe des Handcentrnm. Die zuerst un-
vollständige, später vollständige Hemianop.sie nach links zeigt,
dass der Herd allmählich auf die SeJibahn übergriff, und das
P^ehlen der hemiopischen Pupillenreaktion verlegt den Herd
nach hinten von der frontalen Sehbahn. Also aus denselben
Gründen wie im Falle Sundelin musste der Herd nach dem
unteren Parietallappen verlegt zvcrden.
Wie tief die Geschwulst liegen musste, geht in diesem
Falle am besten aus den begleitenden Reizsymptomen hervor.
Diese waren hier teils mannigfacher, teils öfter hervortretend
als im Falle Sundelin und deuten auf eine mehr kortikale
Lage — eine Infiltration der Rinde. Andererseits gingen hier
die paretischen Symptome voraus oder erschienen etwa gleich-
zeitig mit den Reizsymptomen, was auf eine sowohl medulläre
wie kortikale Lokalisation deutet.
Andererseits konnte eine ursprünglich kortikale Lage
ausgeschlossen w^erden, da jede ausgesprochene Jackson'sche
Epilepsie fehlte.
Die später erscheinenden rechtsseitigen Hallucinationen
und die rechtsseitige Ablenkung der Augen werden unten
abgehandelt.
Der Fall bietet also in Verein mit dem Falle Sundelin
für den Chirurgen viele lehrreiche praktische Gesichtspunkte
dar und diese beiden können als 2 etwas verschiedene Typen
einer subkortikalen und einer ursprünglich subkortikalen, später
auf die Rinde übergreifenden Geschwulst aufgestellt werden.
Analyse der Symptome.
Psyche. Die allgemeinen psychfschen Störungen sind
schon oben im Wesentlichen kurz erwähnt, und hinsichtlich
ihrer Deutung kann kurzweg auf den Fall Sundelin hingewiesen
werden. Die ersten Anfänge beginnen nach dem Tode der
Frau. Die Schwermuth, von der er darnach befallen wurde,
dürfte wohl eine stetige Hirnhyperämie unterhalten haben,
wodurch eine eventuel keimende Anlage einer Geschwulst-
bildung hinzuzukommen begann. Ähnliche Verhältnisse (oeko-
nomische Sorgen) liegen im Fall 3, Anders lirsson, vor.
Andererseits läuft man Gefahr, dabei Ursache und Folge zu
verwechseln. Unmotivirtes Handeln ging schon längere Zeit
dem Insulte voraus (s. Anamnese). Nach dem Insulte traten
allerlei Formen von Parästhesien und Hallucinationen auf (s.
unten).
Sprache: Die leichten Störungen bieten nichts Beson-
deres dar.
Kranialnerven. I. Nichts Besonderes.
II. Hemianopsie. Der P^all ist ein interessanter Beleg
und Beweis dafür, dass eine Geschivulst im Jinieren Parietal-
lappen keine Hemianopsie verursacht und in Anbetracht des
bedeutenden Drucks, welchen die Neubildung auf den Gyrus
angularis gewiss schon frühzeitig ausgeübt hat, und der aus-
gedehnten Zerstörung des Marks des Parietallappens, kann
der Fall auch als ein, wenn auch schwacher Beweis gegen
die Lokalisation des Sehcentrum in der Angularwindung gelten.
Jedenfalls ist die Beweiskraft des Falles nicht so stark wie
die des Pralles Sundelin, wo die Ausdehnung der Geschwulst
grösser war. Anfangs trat nur eine homonyme Finschrän-
ZWEI FÄLLE VON HEMIANOPSIE DURCH GESCHWÜLSTE IM UNTEREN PARIETALLAPPEN 137
hing der linksseitigen Gesichtsfelder und vielleicht besonders
der unteren Quadranten auf, später erst eine koniplete He-
mianopsie. Die etwa einen Monat spater gemachte Sektion
zeigte, dass die Geschwulst hier zwar den dorsalen, aber nicht
den ventralen Abschnitt der Gratiolet'schen Sehstrahlung in-
filtrirt hatte, und zwar bis zur Höhe des ersten Temporal-
sulcus, 5 — 6 cm. vor dem Occipitali^ole. Aber ganz vorn,
unmittelbar occipital vom Pulvinar, erstreckt sich die Ge-
schwulst bis zur Höhe des inneren Kniehöckers. Es geht
aus der Fig. i, Taf XVII hervor, dass diese Infiltration
bedeutend später sich entwickelt hat.
Dieser Befund steht in Einklang mit der von mir schon
früher ausgesprochenen Ansicht über die Lage der occipitalen
Sehbahn. Zuerst war hier eine indirekte inkomplete Hemia-
nopsie vorhanden, später gewiss eine indirekt auch durch
Druck verursachte komplete Hemianopsie, zuletzt vielleicht
eine durch Infiltration der Sehbahn unmittelbar hinter dem
äusseren Kniehöcker hervorgerufene Hemianopsie.
Beide Hälften der Gesichtsfelder sind in etwa gleichem
Grade schon anfangs beeinträchtigt, was auf ein Aneinandcr-
liegen der Bündel der beiden Augen deutet, wenn es auch
nicht beweisend ist.
Die Bedeutung des Ausbleibens der SiaiiiDigspapille ist
oben kurz erwähnt.
So ist auch das Felden der Jicmianopischeii Piipdle)i-
reakt'ion schon angeführt.
Hallucinationcn. Interressant sind in diesem, wie im Pralle
Sundelin, die gegen das Ende des Lebens auftretenden nach
rechts projicirten GesicJdshalliiciiiaticmen. Auch in dieser Hin-
sicht ähnelt der Fall dem oft erwähnten Falle. Man hätte
hier doch nach links gesehene Erscheinungen erwartet. Aber
eigenthümlicherweise wie im Falle Sundelin fand sich auch
hier eine ausgesprochene Meningeahrritation an der Oberfläche
des linken Occipitallappens (s. Sektionsprotokoll). Ganz in
Übereinstimmung hiermit waren auch die Augen gewöhnlich
nach rechts abgelenkt. Hierüber weise ich auf den Fall Sun-
delin (S. 127) hin. Dieser Fall ist also wenigstens der 10.
von mir beobachtete Fall von einseitigen Gesichtshallucina-
tionen, und die Sektion hat meine früher ausgesprochene An-
sicht über die Lokalisation solcher Erscheinungen bestätigt.
Hier zuie im Falle Sundelin zvaren die rechtsseitigen Halln-
cinationen nicht mit gleichseitiger Blindheit verbnnden, was
für die Lokalisation und Begrenzung des Sehcentrums, die
Lokalisation der Augenbewegungen und der Gesichtsvorstel-
lungen von besonderem Werthe ist.
Aber ausnahmsweise (am ^/s) traten die Erscheinungen
7iach links auf oder gerade nach vorn auf Interressant ist dann
zu bemerken, dass sich eine Verwachsung der beiden Hemis-
phären nach vorn vom Splenium vorfand. In der Nähe des
rechten 0-lappens war also auch eine unbedeutende Reizung
vorhanden, wodurch dieses Verhalten erklärt werden kann.
Beide Hemisphären waren dabei gereizt und die Bilder nach
vorn projicirt.
III, IV, VI. Anfangs wurde nur eine Schwäche bei der
extremen Ablenkung des linken Auges nach links beobachtet.
Später wurde bei dem somnolenten Zustande Strabismus wahr-
genommen; endlich beim Fortschreiten der Krankheit Schwie-
rigkeit beide Augen nach links abzulenken, und noch später
trat konjugirte Ablenknng nach rechts ein. Dies alles lässt
sich durch die Reizung an der Oberfläche des linken Occipi-
tallappens, weniger leicht durch die des Parietallappens, er-
klären. Zwar bestand wohl anfangs eine Reizung der rechten
P", aber zu dieser Zeit fanden sich keine solchen Symptome;
später war jede Einwirkung von diesem Lappen aufgehoben;
es sollte also eine Parese bestehen. Doch ka)in man sich
denken, dass zuletzt die Innervation von der linken P' sich
geltend machte. Eine solche Erklärung ist selbst im Falle
Sundelin anwendbar, wenn auch kaum wahrscheinlich.
Bei der Sektion wurde auch in dem dritten Ventrikel
c:a 8 m.m. nach vorn und unten vom Ganglion habenula;
und also etwa i cm. frontal von der vorderen Mündung der
Sylvi'schen Wasserleitung eine bilaterale Blutung wahrgenom-
men. Solche Blutungen bei malignen Geschwülsten üben fast
immer eine nicht geringe Reizung auf die Umgebung aus;
und da die Blutung hier bilateral war und das Centrnm für die
Konvergenz der Angen und für die Pupilleninnervatio)i in
die Nähe verlegt wird, so ist es von einem gewissen Interesse,
im Leben am '','3 und schon früher beobachtet zu haben,
da.ss die Pupillen von Mittelweite und von unregelmässiger
Form und nicht vollständig rund waren, und dass weiter eine
hemiopische Pupillenreaktion fehlte. Pat. machte bei den Ver-
suchen zur ophthalmoskopischen Lhitcrsuchung oscillirende
Bewegungen.
Eine Kontraktion der Pupillen odei- Konvergenz der Au-
gen war nicht vorhanden.
V. Keine besondere gröbere Störung.
VII. Schon anfangs traten auch Reizsymptome in Form
von Zuckungen und tonischer Kontraktion des Gesichts auf,
zu erklären durch die an das Gesichtscentrum angrenzende
Geschwulstbildung. Später bildete sich Parese aus. Die Pa-
rese betraf nach Angabe nicht die oberen Facialis- Aste. In
den Augenlidern traten frühzeitig Zuckungen auf (s. Ana-
mnese).
VIII. Die geringe doppelseitige Gehörstörung steht im
Einklang mit der Läsion der rechten Gehörbahn. Doch
hätte man eine grössere Störung des Gehörs af dem linken
Ohr erwartet. Auch Halhici?iatio)ien waren voran sfegantfen
(Reizung der ersten rechten Temporalwindung).
IX. Die Beobachtungen legten eine perverse Sförnng
des Geschmacks in Verbindung mit Geschmackshallucinatio-
nen dar. Ob dabei die Geschmacksbahn oder das Centrum
gereizt wurde, ist unsicher. Die perverse Störung schien sich
rechts zu lokaüsiren.
Auch die Schwierigkeit zu schlucken ist bemerkenswerth,
wenn auch zur Zeit schwierig zu erklären.
X. Der ausgesprochene Pulsus dififerens wird vielleicht
durch Veränderungen der Aorta erklärt (Sektion verweigert).
XI. Die Heiserkeit der Stimme wird in oft erwähnter
Weise erklärt.
XII. Die gewöhnliche Erklärung.
Sensibilität. Die Anästhesie war bei den ersten Un-
tersuchungen nicht ausgesprochen. Später (^ 3) mit dem Fort-
schreiten der Geschwulstbildung trat eine vollständige Anas-
138
S. E. HENSCHEN. PATHOLOGIE DES GEHIRNS
thesie in der linken Hand ein; am Beine war der Schmerz-
sinn diesen Tag nur in geringem Grade erhalten.
Parästhesien. Interessanter sind die Parästhesien.
Schon frühzeitig vor der Aufnahme ins Krankenhaus empfand
Pat. »P"rieren am Scheitel», und diese Parästhesien hielten
dann längere Zeit an. Er liebte es auch, den Kopf mit einem
Tuche 7.U bedecken und sich den Kopf 7x\ reiben. Auch
hatte er Schmerzen, welche in der linken Seite lokalisirt
wurden.
Diese Parästhesien sind gewiss durch die Reizung der
Rinde der Centraiwindung hervorgerufen.
Motilität. Auch hier finden sich sowohl Irritations-
wie paralytische Symptome. Beide sind oben kurz erwähnt
und lassen sich leicht erklären.
Unerwartet genug traten ("*;2, ^/s) die Symptome von
Reizung auch in der rechten Hand und im rechten Arm auf
Dies di-irfte durch eine Reizung der Pia der linken Hemi-
sphäre erklärt werden. Eine solche Reizung wurde bei der
Sektion, wenn auch nur geringfügig (s. Protokoll) entdeckt, und
deutet wie die Pialreizung des linken Occipitallappens und die
Zusammenlöthung der beiden medialen Flächen vor dem Sple-
nium auf ein Übergreifen der Irritation auch auf die linke
Gehirnhälfte.
Die übrigen Symptome bedürfen keiner besonderen
Analyse.
IV.
über die Beziehung der Sehfasern zu den CentralgangHen.
Nachdem ich in einer vorhergehenden Abhandlung Ȇber
hemiopische Pupilienreaktion» die Beziehung der Pupillarfasern
zu den Centraiganglien abgehandelt habe, so beabsichtige ich
in diesem Abschnitt einige Beiträge zu der wichtigen P'rage
nach dem Verlaufe und der Beziehung der eigentlichen Seh-
bahn zu den ihr angrenzenden CentralgangHen zu geben.
Diese Frage hat für die Anatomie, die Physiologie, die Pa-
thologie und die Klinik gleich grosse Bedeutung; und die
früher von Anderen gemachten Beobachtungen waren, wie
ich schon im Teil II. S. 355 nachgewiesen habe, nicht im
Stande, dieses Problem zu lösen, indem aus den positiven
Fällen von Hemianopsie nicht geschlossen werden konnte,
welcherlei Funktionen den verschiedenen sogenannten sub-
kortikalen Ganglien dem äusseren Kniehöcker, dem Pulvinar,
dem Thalamus und dem Colliculus anterior zukommen.
Übersicht der Fälle.
a) Läsion der dorsalen Tractus-Fasern. Quadrant-Hemian-
opsie nach unten.
Fall 12. Heyden. Taf. XVII. XVIII. XIX.
b) Läsion des dorsalen Abschnittes des Kniekörpers. Qua-
drant-Hemianopsie nach unten.
Fall 13. Esche. Taf. XX. XXI.
c) Klinische Fälle von Quadrant-Hemianopsie nach unten.
Fall 14. I. E. Andei'ssoii . Thrombose(?) in den CentralgangHen.
Fall Iß. Hilda Berg. Lues in den CentralgangHen.
d) Frische Blutung im Thalamus. Hemianopsie.
Fall 16. Hinrichseu. Taf. XVII, XIX.
Anhang: Fall Jan Anderson (Teil I. Fall 15). Taf. XIX.
e) Läsion im Thalamus und Pulvinar ohne Hemianopsie.
Fall 17. Brita Eriksdotter. Taf XXV.
Fall 18. Christina Jönsson. Taf XXII.
Fall 12. Heyden.
48 Jahre. Maler.
Taf. XVll. 3.4. XVIII. XIX.
Klin. Diagnose: Multiple Sklerose, Hemlplegia, HemianaBsthesia,
Hemianopsia partiahs dextpa.
Friedrich Heyden wurde am 25. Maj 1890 in das Kran-
kenhaus in Eppendorfif, Hamburg aufgenommen und starb im
alten Krankenhaus, Hamburg, den 19. Dec. 1893. Die Kran-
kengeschichte und das Gehirn sind mir von Dr. H. Wilbrand
gefälligst überlassen worden.
Zusammenfassung. Pat. hatte wenigstens 4 Schlag-
anfälle sowohl mit linksseitiger als rechtsseitiger Hemiplegie.
Zufällig wurde eine rechtsseitige Quadrant-Hemianopsie nach
unten entdeckt. Die Sektion zeigte, dass eine Destruktion
der dorsalen Hälfte des Tractus bestand. Die Fasern für
die dorsalen Retinahälften liegen also dorsal im Tractus. —
Später trat eine vollständige Zerstörung der linken Sehbahn
auf mit sekundärer Degeneration der Sehstrahlung hinter dem
Kniehöcker. Ausserdem war eine ausgedehnte Zerstörung des
Linsenkörpers vorhanden.
S. E. Menschen. Pathologie des Gehiins.
Anatom. Diagnose: Cyst£e hamopphagiege ambap. hemisphffip.
Anamnese. Nach Angaben der Frau litt Pat. als Kind
am kalten Fieber, war später häufig magenleidend; klagte über
Drurk und Volle im Leib, Uber Aopetitlosigkeit und trägen
Stuhl, ohne Erbrechen. Er ist seit 20 Jahren verheirathet, hatte
5 Kinder, von welchen 3 früh starben. Eine Fehlgeburt hatte
die Frau nie gehabt. Pat. ist kein Potator,
Vor 10 fahren hatte Pat, einen Schlaganfall, er fiel beim
Waschen um und war kurze Zeit bncn/sstlos. mehrere Stunden
fehlte die Sprache, später fiel eine Lähmung des linken Armes,
besonders der Hand auf die nach einigen Wochen zurückging;
doch blieb die li//ke Hand immer etwas schwächer; im übrigen
war Pat, auch in geistiger Beziehung in den letzten 10 Jahren
völlig normal.
Am ■*/io i88g) 2:ter A?ifall. Ohne Bewusstseinsstörung, ohne
Erbrechen, erfolgte eine Lähmung des rechten Armes und Beins;
19
140
S. E. RENSCHEN. PATHOLOGIE DES GEHIRNS
Pat. lag 8 Tage lang zu Bett, hat sich dann meist zu Hause
aufgehalten und fing im Früjahr wieder an zu arbeiten.
A/n ^'/ö iSjpo j.ier Anfall. (Gleichfalls oliiic ßeicitsstsci/is-
st'oruiig mit Erbrechen und Krämpfen. Es resultirte eine Läli-
Diiing des liukcu Arms und Lähmung der Schluckmusculatur. die
früher niemals mit betroffen war. Wurde am -''/s ins Kranken-
haus in Eppendorff aufgenommen.
Status praesens den 25. Mai 1890.
Psyche. Seit dem letzten Anfall ist der Frau auch das
veränderte psychische Verhalten, der Stimmungswechsel und die
GcdäcJitinsscJm'äche aufgefallen: vor demselben soll er geistig
völlig normal gewesen sein.
Auch die Sprache ist seit dem Anfalle erschwert wwA lallend.
Kranialnerven.
L Geruch ohne Störung.
III. Pupillen reagieren direkt und indirekt.
V. Kaiivermögen seheint gestört^zii sein.
VII. Im Stirnfacialis kein Unterschied, Orbicularis oculi
links leichter zu Uberwinden als rechts. Mittlerer und unterer
Teil des linken Facialis deutlich paretisch. SjMtzen der Lippen
und Pfeifen nicht möglich. Pharynx wird nur wenig gehoben,
beide Gaumenbögen stehen gleich hoch.
Buccinatorfunktion wird beiderseits schwer.
IX. Geschmack ohne Störung.
Schlucken sehr erschwert. Pat. kann nur flüssige Nahrung
mit Anstrengung schlucken.
XI. Hals- und Nackenmuskulatur ohne Störung.
XII. Die Zunge wird zitternd vorgestreckt, etwa i cm.,
etwas nach links abweichend. Keine fibrillären Zuckungen in
den Lippen und in der Zungenmusculatur.
Sensibilität. Tastsinn überall gut, Schmerzempfindung
desgleichen ; Nadel-Spitze und -Kopf wird überall richtig gefühlt.
Temperatursinn normal.
Motilität. Schultermusculatur rechts funktioniert, ist aber
leicht zu überwinden. Triceps und Biceps ziemlich kräftig. Beu-
ger des Vorderarms kräftig, Strecker gleichfalls. Daumenballen
und Kleinfingermusculatur schwach. Interossei gut. Links: Der
Arm wird nur mit Mühe bis zur Horizontalen gehoben. Wider-
stände können mit der Schultermusculatur nicht überwunden
werden. Pectoralis maj. und Triceps gut. Biceps funktioniert.
Supinator longus sehr kräftig, Beuger des Vorderarms paretisch,
Strecker gleichfalls"; doch können von beiden letzteren die Be-
wegungen noch kraftlos ausgeführt werden. Interossei völlig pa-
retisch; in geringem Grad Daumen- und Kleinfingermusculatur.
Bein: Die grobe Kraft der Unter- und Oberschenkelmusculatur
nicht einseitig herabgesetzt.
Der Gang ist leicht spastisch, aber sonst ohne Schwanken.
Auch bei geschlossenen Augen kein Schwanken.
Reflexe. Lebhaftes Kniephänomen. Achillessehnenkopf-
reflex vorhanden; Andeutug von Fiissklonus. Oberarm- und
Vorderarmreflex normal.
Hautreflex, Plantarreflex sehr lebhaft. Scrotal- und Abdo-
minalreflex schwach: schwacher Schlundreflex. Stuhlgang und
Urin ist in den letzten Tagen in das Bett entleert worden.
^"/g. Schluckvermögen hat sich etwas gebessert.
Pat. wurde anfangs nur mit der Schlundsonde ernährt.
Status wie bei der Aufnahme.
Pat. erklärte ganz plötzlich, entlassen werden zu wollen,
worin er von seiner Frau unterstützt wurde.
Entlassen gegen ärztlichen Rath.
Wurde am 7. Nov. 1893 in das alte Krankenhaus in Ham-
burg aufgenommen.
Status den 7 Nov. 1893.
Mässig guter Ernährungszustand.
Pulmones et Cor ohne Befund.
Äusserst fötider Geruch aus dem Munde, so dass der ganze
Saal verpestet wird, Folge der Stomatitis. Appetit ist gut; Pat.
ist. obgleich er mit der Schlundsonde ernährt wird, in den Spei-
sen wählerisch.
Psyche. Fassungsvermögen gut erhalten, ebenso ein feines
Ciehör. Pat. versteht Alles. Stimmung wechselt sehr, oft traurig.
Pat. fängt leicht an zu weinen. Trotz seines jahrelangen Leidens
ist Pat. noch hoffnungsvoll.
Sprache. Sprache fehlt. Er giebt seine Wünsche durch
Schreiben auf der Schiefertafel kund. Die Schrift ist sehr im-
deutlich, da der Griffel nicht fest von der Hand gehalten wer-
den kann und die Hand zittert.
Kranialnerven.
II. Es bestand LLeniianopsia honionynia incompleta dextra,
und zwar fehlte der ret hte untere Quadrant in jedem Auge.
Die Farben schnitten scharf mit dem Defect für Weiss ab. Pe-
rimetrisch war das Gesichtsfeld nicht aufzunehmen, weil Pat.
stets sobald man ihn vor den Perimeter setzte laut zu weinen
anfing. (Dieser Befund wurde mitte November bestätigt.)
Die Hemianopsie wurde zufällig entdeckt, weil Pat. eine
Brille zum Lesen haben wollte. Wie lange sie bestand, konnte
nicht eruirt werden, da er nie über einen Gesichtsfeldausfall
Klage geführt hatte. Die Sehschärfe des Patienten war gut.
Der Augenspiegelbefund normal.
V. Der Speichel fliesst fortwährend aus dem Munde (Fa-
cialisparese).
VIII. Gehör gut.
IX. Schlucken unmöglich. Pat. führt sich selbst die
Schlundsonde gut ein, hauptsächlich mit der Unken Hand.
Sensibilität ist nicht zu prüfen, da Pat. wegen der feh-
lenden Sprache keine genaue Angaben machen kann.
Motilität. Parese des rechten Arms und Beins; geringere
des linken Armes; mit der rechten Hand ist das Schreiben noch
möglich.
Gang ist etwas unsicher und nach vorn schiessend: doch
fällt Pat. nie.
Nachts ist Pat. unruhig: am Tage gar nicht im Bett zu halten.
\\'egen des (Geruchs, den Pat. verbreitet, wird er auf ein
Zimmer für sich gelegt.
ÜBER DIE BEZIEHUNG DER SEHFASERN ZU DEN CENTRALGANGLIEN
Ul
^/ii. Fat. steht auf. Albuminurie,
'"/u. Urin normal,
^^/ii. Stuhl verstopft.
^/i2. Bisher war der Zustand des Fat. immer der gleiche
geblieben; heute neuer apoplektiscker Insult, etwas teilnahnilos.
Farese der rechten Extremitäten verstärkt; Schreiben nicht mehr
möglich. Schlundsonde wird dagegen noch eingeführt. (Jestern
stand Fat. wohl über eine Stunde immer auf demselben Fleck,
sich am Bettpfosten festhaltend ; bald darauf konnte er nicht
mehr gehen. Ord. Bettruhe.
''/12. In einer Woche 4^2 kg. abgenommen.
Fat. wird teilnahmloser; Schlundsonde kann er nicht mehr
einführen.
*^/i2. Am Tage 3, in der Nacht 4 epileptiforme Anfälle.
^*'/i2. Fieber; Fneumonie.
H. R. U. handbreit Dämpfung: abgeschwächtes Athmungs-
geräusch.
^7i2. Wieder epileptiforme Anfälle; Zunahme der Dämp-
fung.
^^/i2. Dämpfung bis zur Spitze.
*^/i2 1893. Gestorben.
Sektion.
Beschreibung des gehärteten Gehirns.
Die Fia ist überall mit Ausnahme des Occipitallappens
verdickt, etwas weisslich und derb. Sie löst sich überhaupt von
der Rinde leicht ab, ausgenommen an einigen umschriebenen
Stellen, nämlich
a) an der linken Hemisphäre, wo die Fia mit der Rinde
des vorderen Abschnittes der unte'-en Fläche des Temporallappens
verlöthet ist;
b) an der rechten Hemisphäre ist die Pia fester angelöthet
i) am vorderen Abschnitt des F'^ in einer Ausdehnung von
etwa 2,5 cm.;
2) am Gyrus angularis da, wo die Rinde erweicht ist
(einige cm.);
3) am Gyrus parietalis superior;
4) am Gyrus occipitalis superior.
Die Gefässe sind steif ohne grössere, gelbe atheromatöse
Herde.
Die linke Hemisphäre.
Laterale Fläche. Sie hat normale Form, und die Gyri
zeigen nichts Abnormes. Die Rinde ist nirgends erweicht.
Die ventrale Fläche ist normal. Am vorderen Abschnitte
des Temporallappens haftet die Pia etij'as fester an der Rinde.
Der Occipitallappen (Taf XVII. Fig. 4) ist in toto ge-
schrumpft. Dies tritt jedoch an der lateralen Fläche weniger
als an der medialen Seite hervor. Die Cuneusfläche liegt unter
der Ebene der übrigen medialen Fläche. Die Fissura occipito-
parietaHs ist weiter offen als gewöhnlich. Die Schrumpfung
scheint fasst nur den Cuneus betroffen zu haben. In Folge dessen
misst der Cuneus vorn kaum 3 cm. an Höhe, in seiner Mitte
kaum 2 cm. und in sagittaler Richtung an seiner Basis nur
4 cm.
Die Grösse des Lobulus lingualis scheint mir auch etwas
vermindert zu sein.
Die Rinde ist überall normal und die Pia kann leicht
abgelöst werden.
Frontalschnitte durch die Centraiganglien (Taf XVIII. XIX).
p cm. vor der Occipitalspitze (entspricht beinahe der Fig. 4.
Taf XVIII). Der Schnitt fällt durch den hinteren Abschnitt des
Thalamus. Hier tritt gleich eine Cyste, welche fast den ganzen
Linsenkörper einnimmt, hervor. Diese Cyste ist hier nahe an
ihrem hinteren Ende getroffen, sie erstreckt sich dann nach vorn
durch drei, i cm. dicke, Scheiben und misst also in sagittaler
Richtung gut 3 cm. Vom Linsenkörper ist nichts erhalten ge-
blieben.
Am Schnitt 9 cm. misst die Cyste in frontaler Richtung
2 — 2.5 m.m., in der Höhe 12 m.m., berührt nach oben die
Capsula interna, nach aussen die Capsula externa, nach unten
ist sie durch eine 5 m.m. dicke Wand vom Dach des Unter-
horns getrennt. Die AVand der Cyste ist in einer Breite von
einigen Mm. pathologisch verändert. Ausserdem findet sich ein
kleiner rundlicher, pathologischer Herd von c:a 3 + 3 m.m. in
der Gitterschicht des Thalamus, 5 m.m. ventral von der dorsalen
Oberfläche des Thalamus, und berührt die mediale Fläche der
inneren Kapsel. Der Herd hat etwas loses Gewebe und setzt
sich in das Pulvinar fort. Die innere Kapsel selbst ist etwas
gelblich, ob degenerirt, lässt sich makroskopisch nicht bestimmen.
Der Tractus opticus ist hier nicht berührt.
Schnitt 10 cm. (fällt durch den Fornixschenkel, entspricht
beinahe Taf. XVIII. Fig. i). Die Cyste ist bedeutend grösser
und nimmt das ganze Futamen ein; sie erstreckt sich nach oben
bis zur inneren Kapsel ; medialwärts hat sie die zwei unteren
Drittel des mittleren Gliedes des Linsenkörpers zerstört, aber das
oberste zurückgelassen sowie das innere Glied. Sonst keine Ver-
änderung in den Centraiganglien. Der Tractus ist nicht berührt,
die insuläre Rinde auch nicht.
Schnitt II cm. Hier ist dij Cyste gegen den äusseren
Abschnitt des Futamens scharf begrenzt; sie berührt nach aussen
die äussere Kapsel, nach oben die Frontalstrahlung, nach innen
den erhalten gebliebenen Teil des Futamens. Die Breite 8 m.m.,
die Höhe 22 m.m. Das umgebende Gewebe ist normal.
Im Übrigen war noch folgendes zu konstatiren.
Der Thalamus ist im Ganzen nicht geschrumpft, wenn auch
die mediale Fläche an dem gehärteten Präparate etwas einge-
sunken ist.
Das Fulvinar ist dagegen bedei^tend vermindert und ge-
schrumpft, ohne gröbere Erweichungen der Oberfläche zu zeigen.
Doch ist es an der Oberfläche von etwas weicher Konsistenz.
Das Corpus geniculatum internuni ist ein wenig kleiner
als normal.
Das Corpus geniculatum externum kann nicht untersucht
werden, da das Präparat für mikroskopische Untersuchung auf-
bewahrt wurde.
Corpora 4-gemina. Der Colliculus anterior ist links etwas
mehr platt als rechts, sonst normal.
Der Colliculus posterior ist beiderseits gleich und normal.
Die Occipitalstrahlung ist schmal und unten kaum 3 m.m.
dick; sonst keine makroskopische Veränderung.
J42
S. E. MENSCHEN.
PATHOLOGIE DES GEHIRNS
Die rechte Hemisphäre.
Laterale Fläche. Die allgemeine Form nicht verändert.
Gyri von normaler Form.
Froiiiallappen. Die drei Gyri sind kräftig entwickelt. Am
vorderen Abschnitt des F' in einer .Viisdehnvmg von 24-2 cm.
ist die Rinde lose, aber ohne deutliche Verfärbung. Die an-
grenzenden Gyri sind normal.
Ccntralwiudiingen. Ihre Konfiguration etwas abweichend
von der normalen. In der oberen Hälfte der hinteren Centrai-
windung ist die Rinde in einer Ausdehnung von 2 cm. weich
ohne eine deutliche Verfärbung zu zeigen. Dieser Fleck liegt 3
cm. lateral von der Mittellinie. Die Pia adhärirt hier nicht,
Parietallappeii. Im P^ besteht auch eine solche kortikale
Erweichung, nahe der Fissura intraparietalis. Grösse c:a i + 1
cm. Die Pia adhärirt hier.
Oceipitallappeii. Laterale Fläche. O' ist im Ganzen normal,
aber an der Grenze gegen O' findet sich eine kleine 15 + 5 m.m.
messende eingesunkene kortikale Malacie, i cm. nach hinten
aussen von der Fissura parieto-occipitalis.
Ausserdem zeigt eine grössere kortikale Erweichung,
welche den vorderen Abschnitt des 0'^ den hinteren des A und
den oberen hinteren des T- einnimmt. Die Fläche misst etwa
4 + 2 cm., ist nicht verfärbt. Die Pia adhärirt hier leicht.
Mediale Fläche. Sie ist völlig normal. Besonders wurde
die Cuneusfläche untersucht.
Durchsclinitte. Schnitt 4 cm. hinter dem frontalen Pole.
Entsprechend dem Caput nuclei caudati findet sich unmittelbar
lateral vom Ependym des Vorderhorns eine 2 cm. hohe und 4
m.m. breite Cyste, welche also dieselbe Höhe wie das vergrösserte
Horn hat. Diese Cyste setzt sich durch die nächste i cm.
dicke Scheibe fort.
Schnitt 5 etil. (Fig. 3. Taf. XVII.) Die viereckige Cyste
nimmt hauptsächlich den mittleren Abschnitt des Putamens und
der frontalen Strahlung ein, misst in der Höhe 7 m.m.. in Breite
15 m.m. und wird nur durch das Ependym vom Vorderhorn
getrennt und lässt teils den dorsalen Teil des Caput nuclei cau-
dati, teils den ventralen Abschnitt des Putamens unversehrt. Die
Umgebung ist von fester Konsistenz. Diese Cyste dringt noch
'/2 cm. nach hinten in die zunächst nach hinten liegende
Scheibe ein und misst also in frontaler Richtung 2 cm.
Auf dem Schnitt etwa p cm. vor dem occipitalen Pole
oder durch etwa die Mitte des rothen Kerns findet sich im
Thalamus 4 m.m. unter der dorsalen Fläche, 6 cm. medial von
der inneren Kapsel und 5 m.m. dorsal vom rothen Kern eine
kleine in frontaler Richtung 5 m.m., in vertikaler i — 3 m.m.
messende Erweichung, welche also weder die Haubenstrahlung,
oder die Gitterschicht noch die innere Kapsel berührt.
Schnitt 7 cm. vor dem occipitalen Pole in der Höhe des
Balkens eine unbedeutende Erweichung im Tapetum.
Kleinhirn und Medulla oblongata ohne makroskopische pa-
thologische Veränderungen.
Mikroskopisches.
Die Centralganglien der linken Hemisphäre.
Wie schon bei der makroskopischen Sektion klar wurde
und aus den beigefügten Figuren erhellt, nimmt eine grosse
Cyste das Gebiet des Putamens in grosser Ausdehnung ein. Ob
diese Cyste die Folge einer Hämorrhagie oder einer Malacie
ist, ist schwer zu .sagen. Für eine vorhergehende Blutung spricht,
dass die Wände der Cyste mit reichlichem Blutpigment infiltrirt
sind.
Diese Blutung hat den mittleren Teil des Putamens völlig
zerstört und hier sieht man (Taf. XVIII. Fig. 2. 3) an den Wänden
die Gewebsreste; bei zunehmender Blutung ist das Blut an der
Aussenseite des Putamens nach vorn gedrungen.
Die in dem umgebenden Gewebe vorhandene Ausdehnung
der Gefässe deutet auf eine bedeutende Cirkulation.sstörungen.
Die Cyste erstreckt sich, wie aus den Fig. i — 5. Taf.
XVIII erhellt, nach vorn ungefähr bis zum Caput Putaminis.
An den frontalsten Schnitten meiner Schnittreihe tritt sie in Form
eines vertikalen, i cm. hohen und i m.m. breiten, Schlitzes an
dem lateralen Umfange des Putamens auf, und unmittelbar medial
von und parallel mit der Capsula externa. Nach hinten behält
die Cyste dieselbe Form und ungefähre Grösse an den nächsten
etwa 80 Schnitten, vergrössert sich dann an den nächsten 130
Schnitten allmählich sowohl in vertikaler wie in frontaler Rich-
tung und misst an Höhe 1.5 cm., an Breite 3 — 5 m.m. Das
Caput Putaminis ist fortdauernd wenig ergriffen.
Dann erweitert sich die Cyste ansehnlich in der Ebene der
vorderen Kommissur und misst in der Höhe 2 cm. in der Breite
I cm. und greift auf das Putamen destruirend über. Nach oben
erreicht die Cyste die Ebene der Oberfläche des Thalamus, nach
unten die Commissura anterior (Fig. i. Taf. XVIII) und die
untere Fläche des Linsenkörpers.
Weiter nach hinten greift die Cyste auch auf die übrigen
Glieder des Linsenkörpers über, dringt auch nach innen unten,
durchsetzt die innere Kapsel und den Pes und greift selbst auf
den Tractus opticus vom oben aussen über (Fig. 2. 3. Taf.
XVIII). Die Cyste hat hier nicht so ebene Wände, sondern
ist von fetzigen Resten des Hirngewebes begrenzt.
Dann, entsprechend der Fläche des Corpus mammillare,
beginnt die Cyste sich zu vermindern; sie bildet unmittelbar
unter der inneren Kapsel einen dreieckigen Raum (Fig. 3. 4.
Taf. XVIII) und zieht sich schnell zusammen. Aber mit einer
Spitze setzt sie sich nach hinten fort. Diese dringt (Fig. 4. 5.
Taf. XVIII) nach hinten bis zu der frontalen Fläche de säusseren
Kniehöckers und der hinteren Kommissur, also bis zum hinter-
sten Ende des Putamens, und liegt hier dorsal vom Wernicke"schen
Feld des Kniehöckers.
Durch diese Cystenbildung wurden auch verschiedene an-
grenzende Teile nachteilig eingewirkt, wie aus der folgenden
Beschreibung hervorgeht. Am meisten affizirt sind der Linsen-
körper und die innere Kapsel.
Nticleus caudatus. Caput und Corpus sind erhalten ge-
blieben, aber die Cauda (in der Nähe des äusseren Kniehöckers)
blutig imbibirt und in Bindegewebe verwandelt.
Capsula interna. Die Cyste liegt in grosser Ausdehnung
von etwa 250 Schnitten an der Aussenseite der inneren Kapsel,
an den frontalsten Schnitten, jedoch nur an den dorsalsten Bün-
deln an, und zwar nicht unmittelbar, dann, Fig. i. Taf. XVIII,
an etwa 100 Schnitten den obersten Bündeln unmittelbar an,
ohne sie zu zerstören.
ÜBER DIE BEZIEHUNG DER SEHFASERN ZU DEN CENTRALGANGLIEN
143
An den folgenden etwa 70 Schnitten ist die Kapsel an
5 — 10 m.m. in ihrem ventralen Teil völlig zerstört (Fig. 2. 3.
Taf. XVIII). Diese Zerstörung trifft die Kapsel teils in ihrer hal-
ben Höhe, (Fig. 2), teils weiter nach hinten mehr den Übergang
der Kapsel in den Pes (Fig 3).
Der occipitale Abschnitt der Kapsel ist Uberhaupt unversehrt
(Fig. 4) und nur im medialen Rande oben von der im Thalamus
liegenden Blutung berührt.
Der Pes zeigt am lateralen Rande eine begrenzte Atrophie;
am meisten ist das TUrck'sche Bündel betroffen. (Fig 5. Taf.
XVIII).
Linsenkörper. Caput lentis. An den frontalsten Schnit-
ten ist das Gewebe des Linsenkörpers fast gar nicht zerstört^
aber wegen der Cyste besteht hier eine auffallende Cirkulations-
störung. Die Gefässe sind sehr ausgedehnt und mit Blut sehr
gefüllt, die Bündel in den der Cyste angrenzenden Partien färben
sich nicht, während die entfernteren Bündel sich gut färben.
Eine tiefere Ernährungsstörung des Grundgewebes und der Zellen
scheint nicht zu bestehen. So verhält sich die Sache an den
frontalsten 200 — 250 Schnitten.
Corpus lentis. Weiter nach hinten, in der Ebene der vor-
deren Kommissur, wo die Cyste bedeutend grösser ist, zeigt es
sich, dass die Cyste nicht an der lateralen Peripherie des Linsen-
körpers, sondern innerhalb der lateralen Partie des Putamens
liegt. Das Gewebe ist hier von der Cyste in gewisser Aus-
dehnung (3 — 4 m.m.) zerstört und durch" den Druck bedeutend
verändert, indem die Faserbündel ganz entfärbt sind, und Blut-
pigment hie und da gefunden wiid.
Weiter nach hinten (Fig. i. Taf. XVIII) ist das Putamen
bedeutend schmäler und weiter occipitalwärts (Fig. 2) vollständig
destruirt und resorbirt (Fig. 3. 4); nur die occipitalsten Ausläufer
(Fig. 5) sind zum Teil erhalten geblieben.
Von den inneren Gliedern, Globus pallidus, existirt zwar
der frontale Abschnitt des mittleren Gliedes bis zur Ebene
des Nuclens anterior Thalami, aber die Laminae medulläres sind
entweder gänzlich verschwunden, oder ihre Fasern nehmen kaum
Farbe an oder existiren nur stückeweise. Das Gewebe scheint
morsch, Zerfall begriffen. Nur auf einer kleineren Strecke
ist der Globus pallidus besser erhalten geblieben. Mehr nach
hinten (Fig. 2. 3) ist er völlig destruirt, und nur Gewebsreste
in Form fester Bindegewebsstränge sind noch übrig geblieben.
Die Verbindungen zwischen dem Linsenkörper und dem Caput
nuclei caudati treten (Präp. nach Weigert) als gelbe verfärbte
Stränge zwischen den gut gefärbten Fasern der Capsula interna
hervor.
Die Ansa lenticularis existirt frontal von der Commissura
anterior nur als sehr schwache und entfärbte Bündel (Fig. i );
weiter nach hinten (Präp. b. 106 etc.) ist sie auffallend kräftiger
und intensiver gefärbt, obschon der Globus pallidus hier fast total
zerstört ist, und ihre Bündel zeichnen sich beim Durchgang durch
die bleiche innere Kapsel sehr scharf ab. Diese treten makro-
skopisch mit der Columna Thalami in Verbindung. Noch weiter
nach hinten ist die Ansa in der Ausdehnung, wo der Globus
palHdus zerstört ist, auch fast destruirt. Es bestehen jedoch
noch Reste gefärbter Bündel.
Die Commissura anterior ist zum Teil zerstört und etwas
schwach gefärbt (Fig. i).
Thalamus opticus. Dieses Ganglion ist überhaupt wenig
ergriffen und /// de/i frontalen Abschnitten gar nicht. Die Figur
I zeigt, dass die Cyste vorn das Ganglion gar nicht berührt;
weiter nach hinten dringt die Cyste durch die innere Kapsel bis
zur Gitterschicht in grosser Ausdehnung hervor, entfernt sich
dann vom Ganglion. Dagegen findet sich im occipitalen Ab-
schnitte in der Ebene des Kniekörpers in der Gitterschicht eine
kleine unregelmässige Blutung (Fig. 4. 5), welche an einer Reihe
von etwa 100 Schnitten kenntlich ist und demnach in sagittaler
Richtung 3 — 4 m.m. misst. Diese Blutung misst im Durchmesser
höchstens 5 m.m. Die umgebenden Fasern sind etwas entfärbt
oder in einer Ausdehnung von i — 2 m.m. zum Teil degenerirt.
Sie liegt entsprechend dem hinteren Drittel der inneren Kapsel.
Da der frontale Abschnitt des Thalamus von der Zerstörung
nicht getroffen ist, so dürfte eine eingehende Beschreibung über-
flüssig sein. Nur so viel verdient hier erwähnt zu werden, dass
der Nucleus anterior normal ist und seine Kapsel kräftig.
Der Nucleus externus ist auch im vorderen Abschnitte
normal mit zahlreichen kräftigen Balken, nur dass hier die von
der Ansa lenticularis kommenden Bündel sehr schwach sind.
Mittlerer Abschnitt. Hier hat die Cyste auf einer Strecke
von etwa 50 Schnitten oder mehr die Capsula durchbrochen
und hat auch die angrenzende Gitterschicht (Fig. 2) in ihrem
mehr ventralen Teile affizirt, wie die Figuren am besten zeigen.
Der dorsale Teil der Gitterschicht ist sonst erhalten, wie
auch die Hauptmasse des Thalamus.
Geschützt vor der Einwirkung der Cyste (resp. Blutung)
durch die kräftige innere Kapsel, scheint der Thalamus hinsicht-
lich seiner Textur gut erhalten, ausgenommen da, wo die innere
Kapsel durchbrochen ist, wo eine schmale Zone von etwa i
m.m. zerstört ist.
Der Nucleus internus ist überall unversehrt.
Im occipitalen Abschnitt des Thalamus tritt im dorsalen
Teil der Gitterschicht die schon erwähnte Blutung auf, welche
das Gewebe durchweicht. Sonst ist der Thalamus im Ganzen
erhalten und in der Ebene des Ganglion habenulae sind sowohl
Fasern wie das Gewebe völlig normal.
Pulvinar. Der occipitalste Teil des Pulvinar ist vollständig
in Bindegewebe umgewandelt. Man sieht hier weder Zellen, noch
Fasern. Mehr nach vorn treten die von der Occipitalstrahlung
und inneren Kapsel in das Ganglion eintretenden Fasern und
Bündel auf, aber der dorso-mediale Abschnitt ist noch an Wei-
gert'schen Präp. völlig bleich; der ventrale Abschnitt in der
Nähe des innneren Kniehöckers ist noch recht reich an Fasern.
Mehr nach vorn wird das Aussehen allmählich mehr normal.
Nucleus ruber scheint normal zu sein wie auch die LLauben-
strahlung.
Der Luys'sche Körper liegt unmittelbar dorsal von der
durch Blutung verursachten Zerstörung der inneren Kapsel (resp.
Pes), und es hat die Zerstörung auch dieses Ganglion erreicht.
Im Folge dessen befindet sich der Körper zum frössten Teile
in körnigem Zerfall, obschon man noch daselbst Bruchstücke von
Fasern sowie auch Zellen findet. Die Kontur (Kapsel des Gang-
lions) zeichnet sich nicht deutlich ab. Der dorsale Teil ist etwas
144
S. E. RENSCHEN. PATHOLOGIE DES GEHIRNS
besser erhalten als der ventrale. Vom dorsomedialen Rande
ziehen schwache Bündel nach oben-innen hin. aber jede Ver-
bindung in ventraler Richtung scheint aufgehoben.
Die Snbstantia nigra ist auf einer kurzen Strecke teilweise
zerstört.
Das optische System.
Dieses System ist an mehreren Stellen und in grösser Aus-
dehnung laedirt. Ausserdem finden sich sehr auffallende sekun-
däre Degenerationen.
Für die Figuren sind diejenigen Stellen mit Vorliebe aus-
gewählt, wo die Läsionen der Sehbahn charakteristisch sind.
Der äussere Kniehöcker (Fig. 4. 5. Taf XVIII). Nur der
frontalste Abschnitt, wo der Tractus in das Ganglion übergeht,
und wo seine Form noch erhalten ist, existirt noch, und zwar
in einer Strecke von 100 Schnitten, also etwa 3 m.m. An den
frontalsten dieser Schnitte ist nur die mediale Spitze (also etwa
V-t — Vß) noch übrig; die ventro- und dorso-mediale Kapsel ist
hier recht kräftig, die Markleisten und die Fasernetze zeichnen
sich gut ab, und die Zellen sind noch vorhanden, wenn auch ver-
ändert. Ihre Konturen sind abgerundet, aber scharf (atrophisch?).
Die übrige Hauptmasse des Ganglions ist verödet oder
atrophisch, die dorso-laterale Kapsel zum grossen Teil verschwun-
den, die laterale fast vollständig weg. und nur am ventralen
Rande besteht noch ein Streifen mit erhaltenen Fasern.
Der occipitale Abschnitt des Ganglions ist total in Bindege-
webe verwandelt, und es ist selbst schwierig, seine Lage zu be-
stimmen. Er ist mit dem Pulvinar zusammengeschrumpft (Fig. 6.
Taf. XVIII).
Das laterale Jl'ernicke'sche Feld ist völlig bleich, alle Fasern
sind völlig verödet, mit Ausnahme vielleicht einer Anzahl der dor-
salen. An ihrer Stelle findet sich ein blutinbibirtes, kernreiches
Bindegewebe. Das atrophische Feld erreicht die ventrale Fläche
des Pulvinar und ist etwa 4 m.m. hoch. Nach vorn erstreckt es
sich längs des Tractus bis gegen die Cyste (Fig. 4) ; seine Lage
und Grösse im Ganzen erhaltend; nach hinten dehnt es sich
bis in den dorsalen Abschnitt der Sehstrahlung hin aus (Fig. 5. 6).
Alle vom ventrolateralen Gebiete des Kniehöckers kom-
menden Sehfasern sind verödet, eine Anzahl der von der dor-
salen Kapsel stammenden vielleicht erhalten. Auch diese sind
wahrscheinlich an irgend einem Punkte durchtrennt.
Tractus opticus.
Der occipitalstc Abschnitt. Unmittelbar vor dem Kniehöc-
ker hat der Tractus seine Form erhalten; der dorsale Abschnitt
ist am meisten atrophisch, und dorsal vom Tractus liegt ein blei-
ches atrophisches Feld, wie auch lateral vom Tractus, wo ein
blutig imbibirtes Gebiet existirt. Innerhalb des Tractus findet
sich a) ein kleines atrophisches Feld ventro-lateral, und b) längs
dem ventralen Rand Hegt, nach unten von einem Streifen nor-
maler Fasern begrenzt, ein gelber atrophischer Streifen, welcher
sich bis zur medialen Spitze des Tractus hin erstreckt.
Diese Atrophien, welche alle sekundärer Natur sind, behal-
ten weiter nach vorn ihre Lage bis zu dem Punkte, wo die pri-
märe Läsion den Tractus getroffen hat.
Etwa 30 Schnitte weiter nach vorn, i-, höchstens 2 — 3 m.m.
frontal von dem äusseren Kniehöcker, liegt die primäre Läsion
des Tractus. Diese hat dann in einer Strecke von etwa 75
Schnitten, also 3 — 4 m.m., ihre deletäre Einwirkung auf den
Tractus ausgeübt.
Die Fig. 3. zeigt, dass die Läsion hier auf den Tractus
übergegriffen hat. und zwar von dem dorsolateralen Umfange aus.
An einigen benachbarten Schnitten sieht man dieses noch besser.
Hier, wie überall, ist überhaupt (s. Fig. 2. 3.) die mediale Spitze
unversehrt, gut gefärbt und enthält normale Fasern; der ventrale
Umfang ziemlich gut erhalten, aber gleich dorsal von der er-
halten gebliebenen Peripherie liegt längs des unteren Randes ein
gelber atrophischer Streifen. Sonst sind die lateralen et^ca "^/s
mit umschriebenen, unregelmässigen atrophischen Partien durch-
setzt; der dorso-laterale Abschnitt ist (Fig. 3.) völlig atrophisch
in der Ausdehnung, wie sie die Figur angiebt.
Folgen wir dem Tractus nach vorn, so verändert sich das
Aussehen wenig, aber die atrophische dorso-laterale Partie ver-
schiebt sich medialwärts übrigens ist der Durchschnitt ziem-
lich normal, jedoch mit den erwähnten eingestreuten, kleinen
Atrophien. Der gelbe atrophische ventrale Streifen besteht fast
bis zum Chiasma. aber verschiebt sich lateralwärts.
In dem frontalen freien Abschnitt des Tractus, welchen die
Läsion überhaupt nicht berührt hat, und wo also nur sekundäre
Atrophien bestehen, finden wir (Fig. 6. Taf. XIX)
a) eine Verminderung des ganzen Querschnittes,
b) eine diffuse Atrophie, indem die zurückgebliebenen Fa-
sern entfernter von einander liegen, und mehr Bindegewebe vor-
handen ist, weshalb auch der Durchschnitt bleif'her als der des
rechten Tractus ist,
c) ein grosses völlig atrophisches Feld im dorso-medialen Ab-
schnitte: dieses wird oben von einem schmalen Streifen mit spär-
lichen Fasern begrenzt und unten von einem breiteren Felde
mit ziemlich normalem Aussehen. Dieses atrophische Feld be-
hält auch bis zum Chiasma dieselbe Lage bei (Fig. 5. Taf. XIX),
d) längs des ventralen Randes, unten von einer Schicht
normalen Fasern begrenzt, ist ein gelber atrophischer Streifen,
welcher den Tractus fast rings umzieht.
Chiasma.
Die Lage der Atrophie im Chiasma tritt an den Figuren
4. und 3. Taf. XIX hervor. An occipitalen Schnitten nimmt die
Atrophie eine dorso-mediale Lage in der linken Hälfte des Chi-
asma ein; sie erreicht den dorsalen Rand mit ihrer am meisten
atrophischen Partie (Fig. 4).
Weiter nach vorn /;// frontalsten Abschnitt des Chiasma
(Fig. 3.) findet man 2 getrennte atrophische Felder, und zwar
a) das eine im dorso-medialen Rande der rechten Hälfte. —
Hier hat also eine Kreuzung stattgefunden — und b) das an-
dere am ventro-lateralen Rande der linken Hälfte.
Die beiden atrophischen Felder enthalten nunmehr auch
viele erhalten gebliebene Fasern.
Nervus opticus.
Hier werden die atrophischen Felder, je mehr man nach
vorn fortschreitet, allmählich verwischt. Unmittelbar vor dem
Chiasma (Fig. 2. Taf XIX) liegt im linken Sehnerven das atro-
phische Feld im vordersten Teile des Chiasma ventro-lateral, und
weiter nach vorn (Fig. i.) hat es ungefähr dieselbe Lage, viel-
leicht etwas höher.
ÜBER DIE BEZIEHUNG DER SEHFASERN ZU DER CENTRALGANGLIEN
145
Im rechten Sehnerven liegt die Atrophie unmittelbar vor
dem Chiasma dorso-medial. Weiter nach vorn ist die Atrophie
weniger deutlich und nimmt auch eine dorso-mediale Lage ein,
oder ein wenig mehr nach unten.
Ausserdem besteht in den beiden Optici eine ausgedehnte
diffuse Atrophie, die Nerven sind im Clanzen etwas geschrumpft,
und das Bindegewebe ist bedeutend vermehrt.
In Folge dieser diffusen Atrophie ist es schwierig, zu be-
stimmen, wie sich die atrophischen Gebiete weiter nach vorn
verhalten; ihre Lage tritt hier nicht deutlich genug hervor.
Die Sehstrahlung (von vorn nach hinten beschrieben).
Wie schon erwähnt, liegt lateral vom Kniehöcker, ent-
sprechend dem Wernicke'schen Feld, ein ganz verfärbtes, blut-
imbibirtes und in Bindegewebe umgewandeltes Feld. Dieses ver-
längert sich nach hinten unten bis in den dorsalen Abschnitt
der Sehstrahlung (Fig. 6. 7. Taf. XVIII), und das Gewebe ist
hier bis zur Wand des unteren Hornes zerfetzt, und zwar in
einer Ausdehnung na<'h vorn bis zur Unterwand der grossen
Cyste (Fig. 2. 3.), also etwa 250 — 300 Schnitte oder c:a i cm.
Nach hinten sieht man an Fig. 7. Taf. XVIII im oberen
Teile der Sehstrahlung einen Ausläufer, wo das Tapetum durch-
brochen ist. Durch diese Läsion muss die Hauptmasse der vom
Kniehöcker kommenden Sehfasern zerstört sein.
Weiter nach hinten, etwa 6 c.ni. vor der Occipitalspitze
(Fig. 7. Taf. XIX), ist die Sehstrahhing in ihrer ganzen Aus-
breitung (i m.m.) von oben nach unten atrophisch und an Wei-
gert'schen Präp. gelb, wenn auch einige gefärbte Fasern einge-
streut sind.
Das Tapetum ist dick und gut gefärbt.
Etwa 5 cm. vor der Occipitalspitze (Fig. 8. Taf. XIX) ist
die Atrophie noch vorhanden, und zwar ausgeprägter im ven-
tralen als im dorsalen Teile. Zahlreiche gefärbte Fasern sind
eingestreut' oder durchsetzen die Sehstrahlung. Die Atrophie
setzt sich in das Mark des Gyrus Hippocampi bis in die Höhe des
Spleniums fort. An den Marchi'schen Präp. markirt sich die
Atrophie durch eine Reihe schwarzer Körner.
Etwa j c.7n. vor der Spitze (Fig. 9. Taf. XIX) tritt die
Atrophie der Sehstrahlung noch scharf hervor. Sie ist am mei-
sten markirt, entsprechend dem unteren Winkel und der unteren
Lippe, weniger im dorsalen Abschnitt der Sehstrahlung, welcher
überhaupt recht intensiv gefärbt ist.
Etwa 1,5 cm. vor der Spitze (Fig. 10. Taf. XIX) ist die
Atrophie noch sehr deudich. wenn auch nicht so scharf. Die
ventrale Partie ist atrophischer als die dorsale, wo jedoch eine
ausgebreitete, wenn auch nicht intensive Atrophie besteht.
Die Rinde der Fissura calcarina macht schon makrosko-
pisch oder unter der Loupe einen schmäleren Eindruck als die
übrige Rinde des Occipitallappens. Dies bestätigt sich auch bei
der exakten Messung. Am Durchschnitt j cm. vor der Occi-
pitalspitze misst die Rinde der Fissura calcarina kaum 2 m.m.,
die übrige Rinde c:a 2,5 m.m. An einem Sc;hnitte 1,5 cm. vor
der Occipitalspitze ist die Verschmälerung zwar geringer, ist
aber noch nachzuweisen.
Fasern. Der Baillarger'sche Streifen ist deutlich und scharf
gezeichnet und enthält ziemlich reichlich gut gefärbte Fasern.
Die tangentiale Schicht ist vorhanden. Die radiären Strah-
len sind auch recht reichlich vertreten und haben normale Länge.
Das Grundgewehe erscheint etwas atrophisch, indem die pericellu-
lären Räume etwas geräumiger sind.
Die Zellen. Da mir nur in MüUer'scher Flüssigkeit ge-
härtete Präparate zur Verfügung standen, möchte es schwierig
sein, ein bestimmtes Urteil über ihren Zustand abzugeben. Zahl-
reiche waren stark pigmentirt und die Marchi'sche Färbung wies
eine recht ausgebreitete Fettdegeneration nach. Aber auch in
der übrigen Rinde waren Fettkörner recht zahlreich. Die Kerne
waren vorhanden, und an vielen konnte die dreieckige Basis
deutlich gesehen werden.
Ich bin also geneigt, anzunelimen, dass in der Rinde der Fissura
calcarina eine diffuse Atrophie des Grundgeicebes bestand, icelclie
kaum in der übrigen Occipitalriiide nachzuweisen war.
Der innere Kniehöcker
ist überhaupt wenig ergriffen. An den Schnitten, wo das ganze
Pulvinar und der äussere Kniehöcker geschrumpft waren, ist der
innere Kniehöcker zwar in den Schrumpfungsprocess zum Teil
einbezogen. Zwar sind hier auch einzelne Bündel sowie die
ventrale Kapsel ziemlich erhalten, aber sonst ist die Textur des
Ganglions wesentlich umgewandelt (Fig. 6. Taf. XVIII).
Weiter nach vorn nimmt aber das Ganglion seine gewöhn-
liche Form und Textur an.
Corpora 4-gemina.
Colliculus anterior wenig verändert.
Stratum zonale im Ganzen erhalten, aber schwach.
Die Cappa cinerea scheint körnig zerfallen, besonders ent-
sprechend dem Brachium anterius.
Stratum opticum erhalten mit reichlichem Fasernetz.
Stratum circulare — reichlich wie auch die radiären Fasern.
Colliculus posterior sinister.
Die Form ist erhalten.
Stratum zonale erhalten.
Nucleus mit deutlicher Kapsel. Das Fasernetz im Inneren
spärlich. Die nach unten verlaufende Schleife recht dick, und
wie die Kommissurfasern erhalten.
Die Centraiganglien der rechten Hemisphäre.
(Taf. XIX. Fig. II. 12.)
Da an den makroskopischen Durchschnitten nur einige un-
bedeutende Veränderungen wahrgenommen wurden, welche nicht
im Stande waren, die im Leben beobachteten Symptome zu er-
klären, so wurden die Centraiganglien in eine zusammenhängende
Serie mikroskopischer Schnitte zerteilt. Dabei wurde Folgendes
beobachtet.
In den Centraiganglien finden sich mehrere Destruktions-
herde, von denen einige durch Malacie, andere durch Blutung
verursacht sind.
Pulvinar. Im occipitalen Abschnitte des Pulvinars in der
Ebene der hinteren Kommissur schneidet vom medialen Rande
des Pulvinars eine schlitzförmige, 0.5 m.m. hohe, malacische Cyste
3 m.m. in das Ganglion ein. Sie liegt unmittelbar dorsal vom
inneren Kniekörper und greift auf die dorsale wie dorso-mediale
Kapsel dieses Ganglion über, wodurch zahlreiche nach der Mit-
tellinie verlaufende Fasern durchtrennt werden.
146
S. E. HENSCHEN. PATHOLOGIE DES GEHIRNS
Nach vorn (Präp. 3.34) hin erweitert sich diese Cyste und
zerstört die ganze dorsale Kapsel des inneren Kniehöckers und
dehnt sich 10 m.m. lateralwärts bis zum lateralen Rand des
inneren Kniehöckers aus.
Weiter nach vorn (Präp. 3.107) (Taf. XIX. Fig. 12. Cy.j dehnt
sich die Malacie in horizontaler Richtung bis einige m.m. von
der Gitterschicht aus.
Tlialaiiiiis. Die grössere Malacie setzt sich dann in den
nächsten etwa loo Schnitten fort und nimmt das Centrum des
Thalamus ein. ohne die Gitterschii ht zu erreichen oder die Hau-
benstrahlung zu zerstören. Die Malacie nimmt nun an Cirösse
allmählich ab und hört in der Frontalebene auf, in der der
Nucleus anterior erscheint.
Durch die Malacie ist also der grössere Teil des Piilvinars
und der hinterste Ahscluiitt des Tlialaiiius zerstört.
Das mittlere Thalamitsgebict ist in Anbetracht der kleinen
Ausdehnung der Malacie im mittleren Abschnitt des Ganglions
relativ intakt.
Dagegen finden sich im frontalen Abschnitt des Thalamus
durchgreifende Veränderungen. Hier zeigt die dorsalste Partie
in der (iegend des Nucleus anterior eine etwa 5 m.m. grosse
Atrophie, welche sekundär ist infolge von mehreren kleinen /'// dem
Nucleus anterior, in seinem ventralen Umfange oder mehr lateral
liegenden Malacie/i, welche auch in dem umgebenden Gewebe
die Nervenfasern zum Schwund gebracht haben. Diese setzen
sich unregelmässig nach unten fort.
Infolge von diesen Veränderungen sind:
Der Nucleus anterior im ventralen Umfange sowie seine
ventrale Kapsel zum grössten Teil und die obersten 3 m.m. des
Vicq d'Azyr"schen Schenkels zerstört; im ventralen Abschnitt
dieses Schenkels besteht eine partielle Atrophie.
Der Nucleus internus ist bedeutend atrophisch und faserarm.
aber seine Konturen sind erhalten gebHeben:
Der Nucleus cxternus ist im hintersten Abschnitte afficirt ;
die Gitterschicht ist überhaupt imversehrt. sowie die Hauben-
strahlung, ausgenommen in einer umschriebenen Partie.
Der Meynert'sche Thalamuschenkel ist nicht ergriffen, und
man kann, infolge von der ausgedehnten Atrophie der Capsula
interna, seine Fasern lateralwärts und nach unten durch die in-
nere Kapsel l)is in die dorsale Kapsel und das Fasernetz des
Globus pallidus sehr genau verfolgen.
Der Luys'sche Körper ist unversehrt, und der Verlauf der
Fasern der ventralen Kapsel durch die atrophische Capsula in-
terna bis in den Globus pallidus und in die Ansa denticularis
tritt besonders schön hervor.
Nucleus ruber normal, wie der Fasciculus retrofle.xus.
Capsula interna und Fes zeigen beide eine recht ausge-
dehnte Atrophie, welche teils die medialen, d. h. frontalen Fa-
sern, teils auch die mittleren getroffen hat. Die Atrojjhie ist
besonders ventral vom Luys'schen Körper ausgeprägt.
Eine primäre Läsion hat die Frontalstrahlung getroffen,
eine andere liegt im Pes beim Austritt des üculomotorius. eine
dritte im Pons.
Nucleus lentiformis. Die occipitale und die mittleren Par-
tien der I,insen sind normal. Dagegen ist der frontale Abschnitt
des Putamens zum grossen Teil zerstört worden und in eine
unregelmässige Cyste verwandelt. Diese erstreckt sich von der
Frontalebene des frontalen Umfanges des Nucleus anterior nach
vorn etwa 1,5 c.m. und umfasst also hauptsächlich den Kopf
des Putamens. Nach aussen ist die Cyste von der äusseren
Kapsel begrenzt, nach innen (medialwärts) von der mittleren
Lamina meduUaris. Weiter nach vorn ist der ventrale Abschnitt
erhalten geblieben (Taf. XVIL Fig. 3. Taf. XIX. Fig. 11).
Das äussere Glied des Globus pallidus enthält in seinem
frontalen Abschnitte auch einen malacischen Herd, welcher den
ventralen Abschnitt des Ganglions zerstört hat, und die obere
Hälfte ist von der lateralen Cyste zum Teil destruirt worden.
Das innere Glied ist nur wenig ergriffen.
Die Ansa lenticularis ist erhalten.
Der Tractus opticus ist überall unversehrt.
Das Corpus geniculatum externum ist im Ganzen unversehrt,
wenn auch im dorso-medialen Umfange eine kleine x m.m.
grosse Blutung vorkommt. Auch die Kapsel ist überall normal;
nur in der Faserstrahlung nach oben-aussen in die Lamina ex-
terna Thalami liegt eine kleine, i m.m. breite und 3 m.m.
lange Malacie. welche an etwa 10 — 15 Präp. auftritt.
Corpus geniculatum internum. Die dorsale Kapsel ist gröss-
tenteils zerstört. Ausserdem im Inneren eine kleine Malacie.
Die Commissura posterior scheint schmäler als gewöhnlich.
Die Commissura anterior ist unversehrt, eine kleine be-
grenzte Atrophie ausgenommen.
Pons und M e d u 1 1 a o 1) 1 o n g a t a.
Nur im Pons wurde an etwa 80 Präp. in der rechten Pyra-
midenbahn ein kleiner rundlicher 2 m.m. grosser Erweichungs-
herd angetroffen.
Die Pyramidenbalinen waren beiderseits auffallend atrophisch
und zwar besonders die linke; jedoch war auch in ihr eine nicht
unbedeutende Anzahl Fasern erhalten geblieben.
Die Schleife zeigte keine ausgesprochene Atrophie, wenn
auch die linke unten in der Kreuzung etwas schmäler erschien.
Epikrise.
Kurzer Krankenbericht. Aus der Krankenge-
schichte ist nur hervorzuheben, dass der 48-jährige Maler
schon im Alter von 38 Jahren seinen ersten Schlaganfall
hatte, welcher von Bewusstseinsverlust und linksseitiger Läh-
mung begleitet war, und da.ss er dann '' s 1889 von einem
zweiten Schlaganfall ohne Störung des Bewusstseins, aber
mit rechtsseitiger Lähmung betroffen worden war. Von die-
sem erholte er sich bald, so dass er schon im Frühjahr wie-
der arbeiten konnte. Schon nach einem halben Jahre trat
ein 3:ter Anfall ein, und zwar ohne Bewusstseinsstörung, Er-
brechen oder Krämpfe, aber mit linksseitiger Lähmung. End-
lich trat im December 1893 ein neuer Insult ein, nach wel-
chem noch epileptiforme Anfälle erschienen. Tod den 19.
December 1893. P^s bestand eine rechtsseitige Quadrant-
Hemianopsie nach unten. S. übrigens oben.
Diagnose. Art der Läsion. Aus der Krankenge-
schichte ist es schwierig zu bestimmen, ob eine Hämorrhagie
oder eine Thrombose die Schlaganfälle verursacht hatte. Nur
der erste Anfall war von Störung des Bewusstseins begleitet,
was wohl auf Blutung deutet. Da in der rechten Hemisphäre
nur kleinere Malacien vorliegen, so war die Störung des Be-
ÜBER DIE BEZIEHUNG DER SEHFASERN ZÜ DEN CENTRALGANGLIEN
147
wusstseins also gewiss durch die Circulationsstörung verursacht.
Bei dem 2:ten von rechtsseitiger Lähmung begleiteten Anfalle
trat nach Angabe der Krankengeschichte keine Störung des
Bewusstseins auf, obschon die Läsion in der linken Hemis-
phäre sehr gross war und ganz gewiss von einer Kompression
der Hemisphäre begleitet war. — Die Sektion wies eine
Blutung als Ursache nach.
Was den den Läsionen zu Grunde liegenden patho-
logischen Prozess anbelangt, so spricht das Alter des Fat., 38
Jahre, und die Thatsache dass er kein Fotator war, für Syphi-
lis, da sich in der Krankengeschichte keine Andeutung einer
Nephritis oder einer anderen Krankheit vorfindet. Für diese
Diagnose kann auch der Umstand sprechen, dass von den 5
Kindern 3 früh starben. Charakteristische Befunde eines syphi-
litischen Prozesses fanden sich nicht im Gehirn, ausgenommen
dass der Prozess an vielen Stellen auftrat, und dass die Pia
an verschiedenen Stellen der Rinde angelöthet war.
Lokalisation. In der Entwickehing der Krankheit oder
in den Symptomen fehlen überhaupt sichere Anhaltspunkte für
eine genauere Lokaldiagnose, mit Ausnahme der Quadrant-
Hemianopsie, was jedenfalls auf eine Lä.sion der Sehbahn
hinweist. Eine Affektion der linken Centralganglien war also
wahrscheinlich.
Analyse der Symptome.
Es ist überhaupt nicht leicht, im vorliegenden Falle
den Sektionsbefund in genügende Übereinstimmung mit den
in der Krankengeschichte erwähnten klinischen Symptomen
zu bringen. Wir wollen zuerst den letzten, den 6. December
eingetretenen Schlaganfall analvsiren. Dieser nur 13 Tage
vor dem Tode eingetretene Insult war wohl durch die in der
Rinde der rechten Hemisphäre befindlichen ganz frischen
Malacien bedingt, denn diese waren die einzigen nachweis-
baren ganz frischen Veränderungen im Gehirn, und das
Aussehen der Rinde stimmt gut damit überein, dass die
Malacien etwa i — 2 Wochen vor dem Tode entstanden Avaren.
Auch die auffallende Veränderung der Intelligenz und der
schnelle Verfall des Fat. spricht dafür, dass die Rinde in
grösserer Ausdehnung ergriffen war. Die nachfolgenden epi-
leptiformen Anfälle gingen wohl von diesen kortikalen Ver-
änderungen aus und verursachten vielleicht neue Läsionen
der Rinde, da solche mehrfach bei der Sektion entdeckt wur-
den. Eine solche lag in der hinteren Centraiwindung, eine
andere in F" rechts, andere noch in F^, und die grössten im
Occipitallappen.
Bezüglich der drei ersten Anfälle ist es auffallend, dass
der erste nach den beim Insulte zu Tage getretenen Symp-
tomen der schwerste war, denn Bewusstseinsverlust begleitete
den Insult und eine dauernde Schwäche der linken Hand
folgte.
Die Schwäche der linken Seite findet in den multiplen
Läsionen der motorischen Bahn eine genügende Erklärung;
dagegen scheinen die kleinen zerstreuten Malacien in den
Centralganglien und im Fons den Verlust des Bewusstseins
beim Insulte nicht in genügender Weise zu erklären.
Die bemerkenswertheste Veränderung i)i der linken Hemi-
sphäre war eine grosse Cyste hämorrhagischen Ursprungs,
S. E. Hellsehen. Pathologie des Gehirns.
welche an der Aussenseite des Linsenkörpers lag, den gröss-
ten Teil dieses Ganglions zerstört hatte und sich vom Kopf
bis zur hintersten Spitze des Ganglions erstreckte. Diese
Cyste hatte ausserdem die Capsula interna an einer Strecke
durchbrochen, und zwar frontal von der Haubenstrahlung, also
etwa im mittleren -^/.s der Kapsel; auch der Fes war in recht
grosser Ausdehnung mit in die Zerstörung hineingezogen (Fig.
2. 3. Taf. XVIII). — Alles dieses stimmt recht schlecht mit dem
klinischen Bericht, dass die rechtsseitige Lähmung erst im
Jahre 1889 eingetreten sein sollte; damit scheint das Aussehen
der wahrscheinlich bedeutend älteren Cyste im Widerspruch
zu stehen ; auch dass der Insult ohne Störung des Bewusst-
seins eintrat, steht in grellem Widerspruch damit, dass ein
solcher Blutherd eine bedeutende Kompression hervorgerufen
haben muss. Ich habe in einigen Fällen solche Blutungen
von derselben Ausdehnung und Lage gesehen, wo der Tod
durch Kompression eingetreten war. Fat. lag mehrere Tage
in tiefem Coma. Das Fehlen des Erbrechens und der Krämpfe
stimmt auch nicht damit, wie auch der Umstand, dass Fat.
schon nach 8 Tagen das Bett hatte wieder verlassen können.
Viel besser würde es mit dem 10 Jahre früher einge-
troffenen Schlaganfalle stimmen, wo Fat. kurze Zeit bewusstlos
und sprachlos war, und nach welchem eine dauernde Lähmung
folgte.
Dem mag sein, wie ihm wolle. Wir wollen jetzt in der
Kürze die Symptome aus dem Sektionsbefunde zu erklären
suchen.
Psyche. Erst nach dem dritten Anfalle ^^/s 1890
veränderte sich das psychische Verhalten des Fat. Diese
Veränderung findet kaum in dem Sektionsbefund genügende
Erklärung, wenn man nur die Zerstörungen in Betracht zieht.
Selbige waren nämlich nicht in der Rinde, sondern in den
centralen Ganglien lokalisirt, und hatten auch keine auf-
fallende Ausdehnung. Die linkrseitige grosse Cyste hatte
nach dem Krankenbericht keine psychische Störung zur Folge.
Aber die Erklärung liegt wohl in der ausgedehnten Sklerose
der Gehirngefässe, wodurch die Rinde und das ganze Gehirn
nicht ihre genügende Ernährung mehr fand. Die später im
Dec. i8go auftretenden Malacien deuten auch auf ungenügende
Nutrition der Rinde. Auch nahm clie Intelligenz des Fat, im
Dec. 1890 schnell ab.
Sprache. Die Schwierigkeit beim Sprechen im Mai 1890
nach den 3. Anfalle kann der Ausdruck einer Facialis-
Zungen-Lähmung sein. Die später bemerkte motorische Apha-
sie findet \m Sektionsbefund keifte Erklärung.
o
Kranialnerven. I. Nichts Besonderes.
II. Die Gesichtsstörung wird unten ausführlicher ana-
lysirt.
III. Nichts Bemerkenswerthes.
V. Die Schwierigkeit beim Kauen, Status -'', 5 1890,
kann durch die Parese des Facialis bedingt sein, wie auch
der Speichelfluss.
VII. Die linksseitige Facialisparese hat sowohl die obe-
ren, wenn auch weniger, als die unteren Zweige betroffen.
\TII. Das feine Gehör (Status ''/n 1893) ist auffallend,
da die linksseitige Gehörbahn gewiss durch die Schrumpfung
20
148 S. E. RENSCHEN. PATHOLOGIE DES GEHIRNS
des linken Pulvinars litt. Diese Bindegewcbeumwandlung hat
auch den inneren Kniehöcker getroffen; auch rechts war dieses
Ganglion und besonders die dorsale Kapsel geschädigt.
IX. Geschmack ohne Störung. — Auffallend ist, dass das
Schlucken schon vom Anfalle am 1890 an so bedeutend
erschweit war, dass Pat. nur flüssige Nahrung zu sich nehmen
konnte. Im Juni hatte sich dieses gebessert, aber noch im
December winde er mit der Schlundsonde ernährt.
Da keine Veränderungen in der Medulla oblongata exi-
stiren, so ist dieses Symptom gewiss als Ausdruck einer Läsion
im Grosshirn ungewöhnlich. Es dürfte von der im Status
im Mai erwähnten Schwäche der Gaumenbogen bedingt sein.
Durch die bilaterale Lähmung war wahrscheinlich die Gaiimen-
imiskiilatiir beiderseits ergrijfcn und weniger funktionsfähig
geworden. Vielleicht bestand auch Larynxparese, welche zur
Schwierigkeit des Schluckens beitrug.
XI. Hals- und Nackenmuskulatur ohne Störung.
XII. Die Zunge wich nach links ab.
Sensibilität.
Die Sensibilität für Betasten und Schmerz war überall
gut, so lange darauf geprüft werden konnte. Bemerkenswerth
i.st dabei, dass die Ansa lenticularis in der linken Hemisphäre
zum Teil geschädigt war. Die Schleifen waren kaum ergriffen.
Motilität.
Wie schon erwähnt wurde, hätte man nach dem Sektions-
befunde eine auffallende rechtsseitige, aber eine geringe links-
seitige Lähmung erwartet. Der Gegensatz ist erwähnt. Die links-
seitige war dauernd, aber die nach dem Insulte am ^/lo 1889
eingetretene rechtsseitige scheint nur vorübergehend gewesen
zu sein, da Pat. nach einiger Zeit wieder arbeiten konnte.
Im Status im Mai 1890 steht auch, dass die rechte Arm-
muskulatur überhaupt kräftig war, die linksseitige schwach.
Dagegen findet sich im Dec. 1890 die Bemerkung, dass
eine Parese rechts bestand, und zwar stärker als links, wo
auch eine Schwäche vorhanden war. Doch konnte Pat. noch
mit der rechten Hand schreiben.
In den Beinen war der Unterschied nicht auftallend.
Die Sektion zeigte, dass beide Pyramidenbahnen atrophisch
waren, die linke mehr als die rechte.
Die übrigen Symptome boten nichts Besonderes dar.
Gesichtsstörungen.
Wenn die obigen Symptome überhaupt nicht besonderes
Interesse darboten und hier hauptsächlich der Vollständigkeit
halber besonders erwähnt und analysirt wurden, so verdient
dagegen die Gesichtsstörung eine um so grössere Aufmerk-
samkeit.
Diese wurde zufällig in November 1893 entdeckt, als
Pat. eine Brille zum Lesen haben wollte. Wie lange sie bestand,
war nicht nachzuweisen. Die Sehschärfe war gut und der
Augenhintergrund normal.
Es ist also die rechtsseitige Quadrant-IIciniaiiopsie nach
7i)itt >i zu erklären.
Wenn man die begleitenden Abbildungen betrachtet
(Taf XVIII, Flg. 2 — 7) und die ausführliche Beschreibung
der mikroskopischen Veränderungen durchliest, so fällt bald
die Schwierigkeit der ICrklärung einer begrenzten Quadrant-
Hemianopsie in die Augen. Wie im Falle Esche (s. unten),
wo auch eine Ouadrant-Hemianopsie nach unten vorlag, fragt
es sich hier: wo hat die primäre Läsion eingewirkt und welche
Veränderungen in der Sehbahn sind sekundärer Natur?
Hier ist nun Folgendes zu beachten. Die grosse Hämorr-
hagie in der linken Hemisphäre hat deutlich im Körper des
Linsenganglions angefangen, und zwar von der Arterie, welche
die französischen Verfasser als Artere de l'hemorrhagie be-
zeichnen. Die Fig. 2. u. 3. Tafel XVIII. entsprechen dieser
Partie; man sieht, wie die Wände der Cyste zerfetzt sind,
und kann leicht verstehen, dass diese Reste des Hirnrewebes
bei dem Zerwühlen und Auseinanderdrängen der Hirnteile
entstanden sind. Man bekommt auch den Eindruck, dass die
massenhafte Blutung nach und nach mit kleineren Ausläufern
oder Herden durch die innere Kapsel hervorgedrungen ist.
Nach unten hat die Blutung den Pes und den Tractus opti-
cus erreicht. Durch Druck und direkte Zerstörung ist der
latcro-dorsale Abschnitt des Tractus zerfetzt und seine Ele-
mente zum Untergang gebracht. Dagegen sind die ventralen
Fasern und der freie mediale Rand erhalten geblieben, wahr-
scheinlich weil sie dem Druck nach unten nachgeben konn-
ten. Wären diese Teile in festes Gewebe eingebettet, so
wären sie auch ohne Zweifel zerdrückt worden. Der freie
Platz an der Gehirnbasis hat den ventralen Abschnitt des
Tractus gerettet. Indessen findet man selbst in diesem Ab-
schnitte teils eine lateral liegende Läsion, teils eine oberhalb
des ventralen Randes verlaufende streifenförmige Atrophie.
Der dorso-laterale Rand ist völlig atrophisch und zwar
in bedeutender Ausdehnung. Da nun eine Quadrant-Hemio-
nopsie nach unten besteht, so haben wir ohne Zweifel hier
den Ursprung dieser Gesichtsstörung. Dies stimmt völlig mit
dem, was ich im Teile II, S. 259, nachgewiesen habe, dass
die dorsalen Fasern der Retina im Tractus dorsal liegen, was
auch von A. Pick* für das Kaninchen bestätigt ist. Die im
ventralen Abschnitt des Tractus befindlichen kleineren Atro-
phien dürften nur begrenzte Skotome verursacht haben.
Die im frontalen Ab.schnitt des Tractus, im Chiasma
und in den Sehnerven vorhandenen Atro23hien sind sekundä-
rer Art und werden später berücksichtigt.
So weit ist nun Alles gut und leicht zu erklären. Be-
trachten wir aber die Fig. 4 — 6, so finden wir, dass die
Hauptma.sse des äusseren Kniehöckers fast vollständig in Binde-
gewebe umgewandelt ist. Diese Veränderung umfasst nicht
die mediale Spitze des Frontalschnittes, wohl aber die
lateralen etwa ^, « — g des Durchschnittes, wo sow ohl Zellen
wie Markleisten verschwunden sind und man nur mit Mühe
die laterale Kontur des Ganglions erkennen kann; daneben
ist die ganze occipitale Partie des Kniehöckers total in Binde-
gewebe aufgegangen. Ausserdem finden wir, dass die Fa-
sern des Wernicke'schen Feldes fast vollständig verödet sind,
und dass endlich der dorsale Abschnitt der Sehstrahlung nach
unten und aussen vom Wernicke'schen Feld in Bindegewebe
* Nova Acta der I.eop.-Carol. Deutsch. Akad. der Naturforscher Bd
LXVI. I. 1895.
ÜBER DIE BEZIEHUNG DER SEHFASERN ZU DEN CENTRALGANGLIEN
149
umgewandelt ist, und ferner dass die Sehstrahlung überhaupt
eine diffuse Atrophie, besonders im ventralen Teile zeigt.
Durch alle diese Veränderungen muss der Zusammenhang
des Tractus mit der Sehrinde total aufgehoben gewesen sein.
Zwar findet man die mediale Spitze des frontalen Abschnittes
des 'Kniehöckers zum Teil erhalten, und wie die Fig. 5. zeigt,
ist vielleicht eine Anzahl Fasern von der dorsalen Kapsel
des Ganglions noch übrig geblieben, aber ein Blick auf die
Figuren 6. u. 7. dürfte überzeugen, dass auch diese ausser
Zusammenhang mit der Sehrinde gesetzt waren. Jedenfalls
durften diese Fasern der dorsalen Retihahälfte gehören.
Hieraus schliesse ich, dass beim Tode des Fat. ehw voll-
ständige Hemianopsie bestand. Die Quadrant-Hemianopsie
wurde nun am 7. Nov. 1893 beobachtet und zwischen diesem
Tag und dem Tod liegt eine Zwischenzeit von 48 Tagen. In
dieser Zeit sind wahrscheinlich die erwähnten Veränderungen
aufgetreten.
Es ist anzunehmen, dass diese Veränderungen insofern
sekundär sind, als die Blutung nach und nach durch ihre
Nähe und durch den von ihr ausgeübten Druck diese
Partie zur Atrophie und Bindegewebswucherung gebracht
hat. Die mikroskopische Untersuchung macht es auch wahr-
scheinlich, dass Blut in das veränderte Gewebe vom Haupt-
herd aus oder durch Zerreissung der Gefässe eingedrungen war.
Durch die fast totale Verödung der occipitalen Strahl-
ung dürfte nachher das Pulvinar sekundär seine Fasern und
Struktur verloren haben und in Bindegewebe umgewandelt wor-
den sein. Wenigstens giebt es keine primäre Läsion daselbst.
Die eben gegebene Erklärung der Veränderung ist die
annehmbarste und erscheint nicht befremdend. Der Schluss
ist also berechtigt, das die Fasern der dorsalen Hälfte der
Retina im Tractus dorsal nnd für die beiden Augen in ?/;/-
gefähr derselben Höhe liegeji. Wie ich im Teil II angeführt
habe, sind die Beweise für diesen Satz hinsichtlich des Trac-
tus sehr spärlich und in der Litteratur fand ich 1892 nur die
bezüglichen Befunde, von denen der eine von Marchand, der
andere von mir (Teil II, Fall 38) geliefert war. Beide waren
nicht ganz einwurfsfrei. Dagegen finden sich mehrere That-
sachen, welche, wenn auch nicht beweisend, jedenfalls für
eine solche Ansicht sprechen, wie der Befund im Uhthoff'schen
Falle (Teil II, S. 222, Karte D. V.) und andere (Fall 2, Teil I),
wo die Lage einzelner Bündel bis in das Chiasma verfolgt
werden konnte. Ausserdem bestätigen die Untersuchungen
von Fick auch hinsichtlich des Kaninchens obigen Schluss.
Stellt man dann damit zusammen, dass der Befund im Falle
Esche (in diesem Teil), der klinische Befund im Falle 14 J.E,
Andersson (s. unten) u. A. ebenfalls für diesen Satz sprechen,
so kann man wohl jetzt mit mehr Sicherheit annehmen, dass
die Fasern der dorsaleft Retinahälfte im Tractus dorsal liegen.
Damit ist nicht nur eine anatomische Thatsache erwor-
ben, sondern auch eine klinisch diagnostische, welche selbst
für den Chirurgen von Belang sein kann. Basale patholo-
gische Prozesse, welche vom Schädel ausgehen, dürften zu-
erst eine Quadrant-Hemianopsie nach oben hervorrufen, spä-
ter vollständige Hemianopsie, intracerebrale Blutungen, wie
in diesem Falle Quadrant-Hemianopsien nach unten. Bei
Geschwülsten muss man den Befund nur mit Vorsichtigkeit
aufnehmen. Für die Physiologie hat dieser Schluss das be-
sondere Interesse, dass die Fasern der Retinahälften während
ihres Verlaufs durch das Gehirn in vertikaler Richtung nicht
verschoben werden.
Aus der mikroskophischen Untersuchung der rechtsseiti-
gen Centralganglien geht hervor, dass in der Gegend des
äusseren Kniehöckers der Thalamus und das Pulvinar im dor-
salen Abschnitt von einigen grösseren Malacien durchsetzt
waren. (Taf XIX. Fig. 11. 12). Dem ungeachtet wurde kein
Defekt in den linksseitigen Hälften der Gesichtsfelder im No-
vember 1893 bemerkt. Dies spricht für die von mir schon
früher ausgesprochene Ansicht, dass der Thalamus und das
Pulvinar nicht optische Fasern enthalten. Da indessen diese
Ganglien zum Teil erhalten sind, so ist der Fall nicht so be-
weisend wie der Fall N:r 8 (Teil III, S. 88), wo ein viel aus-
gedehnterer Defekt vorlag.
Pathologisch-anatomische Bemerkungen.
Nur kurz möchte ich einige Bemerkungen noch hinzu-
fügen.
Die Lage der Fasern im Tractus.
Wie schon erwähnt, lag die grössere Atrophie im Trac-
tus dorso-lateral. F^olgt man dem Tractus von der Läsions-
stelle Schnitt für Schnitt, so findet man, was auch aus den
Figuren erhellt, dass diese Atrophie nach vorn allmählich nach
der Mittellijiie verschoben zvird, und an dem freien Abschnitt
des Tractus sieht man, wie die Atrophie nach und nacn von
Fasern etwas überlagert wird und endlich eine centro-medi-
ale Lage, etwas mehr dorsal als ventral, einnimmt. Die mi-
kroskopische Untersuchung lehrt, dass frontal von der Lä-
sionsstelle (s. Fig.) die lateralen Fasern sich nach und nach
ein wenig nach oben schieben.
Es scheint mir in Anbetracht des Falles Esche (Taf XXI.
Fig. 4.) und dieses Falles (Taf XIX. Fig. 5. 6.) etwas unsicher,
ob die von mir auf der Seite 258 und Taf 38. Fig. 16. im Teil
II. gegebene Beschreibung der Lage der dorsalen Bündel im
frontalen Abschnitt des Tractus ganz zuverlässig ist. Schon
bei der Konstruktion dieses Bildes bemerkte ich (Teil II.
S. 258): »wie dorsale und ventrale Fasern sich im Felde ver-
teilen, lässt sich zwar vermuthen, aber zur Zeit nicht bewei-
sen». Wenn man das Bild etwas schief stellt, so wird es
vielleicht richtiger, und in der That liegt der Tractus im Ge-
hirn etwas schief
Ein anderer lehrreicher Schlu?~s lässt sich aus der mi-
kroskopischen Untersuchung der kleinen Atrophien im Trac-
tus ziehen. Am lateral-ventralen Rande des Iractus liegt
eine kleine umschriebene, nicht i. m.m. grosse Atrophie; diese
Atrophie kann man als ein Bindegewebsfeld weithin durch
den Tractus, ja bis in das Chiasma verfolgen. Die zusammen-
gestellten Figuren zeigen dieses.
Noch weiter, längs des ventralen Randes verläuft ein
atrophischer Streifen nach unten von einer dünnen Schicht
normaler Fasern begrenzt. Diesen feinen Streifen kann man
bis in das Chiasma verfolgen, wenn er auch sich lateral etwas
verschiebt, wie die Fig. 4. 5. zeigen.
Nach hinten lassen sich diese Felder auch leicht ver-
folgen, und zwar bis an den äu.sseren Kniehöcker.
150
S. E. HENSCHEN. PATHOLOGIE DES GEHIRNS.
Endlich ist noch zu bemerken, dass die an der Läsions-
stelle freie Spitze unversehrt gebheben ist, ebenso ist auch
der entsprechende mediale Abschnitt des Kniekörpers erhalten
geblieben, was darauf hindeutet, dass die an dem medialen
Rande liegenden Fasern im medialen Abschnitt des Kniehöckers
endigen.
Alles in Allem, die Fasern im Tractus verschieben sich
nur wenig. Die verschiedenen Fasern bleiben im Verhtältniss
zu einander wiihrend des Verlaufes ziemlich unveriuidcrt, wenn
auch die oben erwähnte Lageveränderung stattfindet.
Die vollständige Bindegewebsumwandlung des hinteren
Teils des Piilvinar ohne Malacie oder Blutung innerhalb dieses
Teiles, aber bei Zerstörung der Sehstrahlung, spricht dafür,
da.ss die Hauptmasse seiner Fasern mit der Sehstrahlung Zu-
sammenhang hat, denn der occipitale Abschnitt der inneren
Kapsel ist im Ganzen unversehrt.
Ansa lenticularis. Man wird erstaunen, dass die Ansa
besteht, dass jedoch der Globus pallidus fast vollständig
zerstört ist. Dies deutet darauf hin, dass ihre Fasern im
Globus pallidus endigen und nicht dort von Zellen entspringen.
Die Verbindung zwischen dem Piitanioi und dem Corpus
caudatiini \\ar degenerirt.
Die Meynerf scJie Konunissur und de r Luys' sc Jic Körper.
Die erste bestand beiderseits, ob.schon der letztere zerfallen war.
In diesem Falle war eine seltene Gelegenheit, vorhan-
den zu Studiren, wie die Fa.sern der dorsalen Kapsel des
Globus pallidus und auch diejenigen des intraganglionären
Netzes mit der Kapsel des Luys'schen Körpers und mit dem
Thalamusschenkel des Mamillarkörpers zusammenhängen. Man
kann den Durchtritt dieser Verbindungsfasern durch die innere
Kapsel genau verfolgen.
Betreffs der ScJisiroJdung verweise ich auf die mikro-
skopische Untersuchung und die Bilder (Taf XIX).
Fall 13. Esche.
51 Jahre alt. Verheirathete Frau.
Taf. XX, XXI.
Klinische Diagnose: Hemiplegia et Hemianaestesia sin. c. Hemia-
nopsia sin. ineompleta.
Zusammenfassung: Die 5 1 -jährige Frau wurde plötz-
lich von einem Schlaganfall getroffen, wonach eine linksseitige
Lähmung mit schwerer Anästhesie bis zum Tode bestand.
Im Juni 1889 fand sich eine homonyme linksseitige Hemia-
nopsie; später im August dess. J. nur eine linksseitige Quadrant-
Hemianopsie nach unten. Diese dauerte bis zum Tode un-
verändert fort.
Die Sektion ergab eine grössere hämorrhagische Cyste,
welche hauptsächlich den occipitalen Abschnitt des Linsen-
körpers und der Capsula interna, einnahm und den hintersten
Abschnitt des Thalamus sowie das Pulvinar zur Atrophie
gebracht hatte. Der Destruktionsherd hatte auf den dorsalen
Abschnitt des äusseren Kniekörpers übergegriffen luid um-
schloss überhaupt teils den Tractus opticus, teils das Wer-
nicke'sche Feld und die occipitale Sehstrahlung, ohne diese
optischen Leitungen zu zerstören.
Schluss. Die Ouadrant-Hemianopsie wird durch die
Atrophie des dorsalen Abschnittes des Kniehöckers genügend
erklärt. Diese Partie innervirt also die dorsalen Hälften der
beiden Retinae; hier vereinigen sich also die gekreuzten und
ungekreuzten Bündel für die homonymen Retinahälften; und
der ventrale Abschnitt des Kniehöckers kann nicht für den
oberen vikariirend eintreten. Eine Lokalisation besteht also im
äusseren Kniehöcker.
Der Fall ist mir vom Herrn Doktor H. Wilbrand in Ham-
burg gefälligst zur Bearbeitung überlassen worden. Sowohl die
klinischen Daten und die Perimeter-Karten, wie auch der allge-
meine Sektionsbericht .sind mir vom Dr W. übergeben. Die
specielle Beschreibung des Gehirns und die mikroskopische
Palhol. -anatom. Diagnose: Cysta hg?mopphagiea Lentis, Thalami
optici et Capsulas intern».
Untersuchung sind von mir gemacht. Die Zeichnungen sind in
meinem Laboratorium verfertigt.
Anamnese. Pat. war verheiratet, aber kinderlos; der
viel ältere Mann soll Alkolwlist gewesen sein. Lues wird ent-
schieden in Abrede gestellt. Pat. soll äusserst solid gelebt
haben; soll stets gesund gewesen sein, aber nach grösseren
Gemüthsaufregungen von Ohnmachtsanwandlugen befallen worden
sein.
Vor 12 AVochen fühlte Pat. sich plötzlich, von einem Gang
zurückgekehrt, sclmiindclig und verlor bald das Bewusstsein.
Nach 8 Stunden kehrte das Bewusstsein alimählich zurück. Das
Sprechen wurde ihr anfänglich schwer; das Gesicht war nach
links verzogen, die ganze li/d^e Körperhälfte gänzlich gelähmt
und gefiihUos. Das Schlucken wurde ihr anfänglich schwer.
Pat. vers( hlu< kte sii h.
Allmählich besserte sich der Zustand unter geeigneter Be-
handlung. Das Bein konnte wieder bewegt werden. Das Gefühl
besserte sich. Die Beschwerden beim Sprechen und Schlucken
verschwanden.
Status praesens.
Wohlgenährte, kräftige Frau von gesunder Gesichtsfarbe.
Psyche. Völlig intakt.
Kranialnerven. II. ^/c 1889. Hemianopsia homonyma
sinistra mit Einschränkung der erhalten gebliebenden rechtsseitigen
Gesichtsfeldhälften. (S. Perimeterkarte.)
VII. Linker Mundwinkel nach unten gezogen. Ganz geringe
Parese der unteren Facialisäste. Uvula schwat-h nach rechts.-
ÜBER DIE BEZIEHUNG DER SEHFASERN ZU DEN CENTRALGANGLIEN
151
XII. Zunge weicht beim Herausstrecken, stark nach Hnks ab.
Sensibilität. Starke Herabsetzung der Sensibih'tät auf
der ganzen linken Körperhälfte. Leichte Berührungen mit der
Fingerkuppe werden nicht empfunden; ebenso oberflächliche
Nadelstiche. Keine Parästhesien.
Motilität. Die obere Extremität ist völlig gelähmt. Finger
in leichter Kontrakturstellung, sonst schlaffe Lähmung. Untere
linke Extremität kann aktiv im Hüft- und Kniegelenk flektirt
werden.
Trophiselie und vasoiiiotorisehc Stöniugen. Unterarm und
Hand ödematös geschwollen. Hautfarbe: livid marmorirt.
Innere Organe: Die Untersuchung der inneren Organe ergiebt
durchaus normale Verhältnisse, namentlich Herzgrenzen normal,
Töne durchaus rein und regelmässig. Keine erkennbare Arterio-
sklerose.
Urin wird spontan entleert, Stuhlgang träger.
Status Juli 1889.
Kranialnerven. II. -0/101889. Scharf begrenzte ////X'x-
seitige Quadrant-Hcniianopsie nach unten (Perimeter-Karte II)
Farbensehen normal. Die Farben schneiden mit dem ]:)efekt
für ^^'eiss scharf ab. (Mehrere Beobachtungen.)
III. Pupillar-Reaktion, direkte wie indirekte, beiderseits
fast gleich null.
VII. Nasolabial-Falte links verstrichen. Beide unteren
Facialisäste paretisch.
XII. Leichte Abweichung der Zunge nach links.
Sensibilität.
Tastsinn links stark herabgesetzt bis aufgehoben, rechts
gut, nur in der Peronealgegend scheinbar herabgesetzt.
Schmerzenempfiudung links erhalten, aber vermindert. Unge-
nügende Lokalisation links an der oberen Extremität.
Nachempfindung an der unteren Extremität.
Tenifieratursinn. Empfindungslähmung für Kälte links, rechts
normal.
Gefühl für Lage und Stellung der Glieder rechts gut, links
völlig aufgehoben.
Elektrische Reizbarkeit. Untersuchung direkt.
N. ulnar. rechts 104 links 40
» med.
»
100
»
55
» rad.
»
85
»
35
» peron.
»
91
»
80
» tib. ant.
»
83
90
» crur.
»
80
»
73
Faradischc Untersuchung indirekt.
M. deltoid.
rechts
90
links
55
» biceps
»
82
52
» supin.
»
92
»
35
» quadrig.
»
95
»
73
» tib. ant.
»
85
»
85
Motilität. Stehen und Gehen unmöglich, weil der linke
Fuss die Schwere des Körpers nicht zu tragen vermag.
Motorische Kraft im Biceps, Triceps, Pector. maj. rechts
gut erhalten. Links O.
In den Flexoren und Adduktoren der Hand rechts gut,
links =- O, Adduktoren des Oberschenkels, des Quadriceps, der
IJorsal- und Plantarflektoren des Fusses rechts gut erhalten, links
gleich O.
Reflexe. Am Oberarm links und rechts nicht deutlich;
Refl. am Unterarm rechts vorhanden, links erhöht. Bauchmuskel-
reflexe rechts deutlich, links schwach.
1890
Pat. ermüdet leicht. Deshalb ist das Gesichts-
feld nicht mehr genau zu bestimmen.
S. = ^"/s- Pat. erkennt central auf beiden Augen selbst
die kleinsten Farbenobjekte.
Es besteht eine linksseitige Quadrant-Heniianopsie nach
unten (gei)rüft für weiss und roth). S. die Perimeter-Karte. III.
Status am 27. Sept. 1890 und im Febr. 1891. Status idem
wie im Juli 1889. 1891 'V^- Pat. ermüdet dermassen leicht
bei der perimetrischen Untersuchung, dass eine solche nicht
mehr ausführbar ist. Bei der leider sehr ungenauen Unter-
suchung wurde am Imken Auge eine hochgradige Beschränkung
des Gesichtsfeldes mit Hemianopsia sinistra, doch vorzugsweise
im unteren linken Quadranten beobachtet.
Am 6. Nov. i8q2. Im linken oberen Quadranten ergiebt
sich bei dem Versuch der Gesichtsfeldaufnahme geringe Störung.
Für »grün und gelb» absoluter Ausfall im äusseren Quadranten.
152
S. E. HENSCHEN. PATHOLOGIE DES GEHIRNS
Hemianopsia homonyma sinistra mit koncentrischer Ein-
schränkung der erhalten gebliebenen Gesirhtsfeldhälften (als
Ausdrurk einer funktionellen nervösen Störung). Das Gesichts-
feld wurde nur für weiss geprüft.
Sehschärfe beiderseits = ^"/so + ^jio Jaeger N. 2 gelesen.
Ophtlialmoskopischer Befiind. Grosse physiologische Exkava-
tion; im Allgemeinen normaler Befund.
Pupillen: rechts Pupilla major. Pupillen unregelmässig
eckig; reflektorische Pupillenstarre.
1893 ^\\. Äussere Augengebilde ohne Besonderes, ebenso
Cornea, Conjunctiva und brechende Medien; keine Bewegungs-
störungen. Pupillen gleich (3 — 3,.') m.m.), vollkommen reaktionslos.
Beiderseits temporale Hälfte der Papille entfärbt, links am oberen
Papillarumfang, rechts temporalwärts breiter Skleralstreifen. S.
beiderseits.
Bei Prüfung des Gesichtsfeldes für weiss ermüdet Pat. leicht
und macht deshalb unsichere Angaben.
1893 Im Allgemeinen wenig Klagen. Pat. täglich
etwas ausser Bett, ziemlich guter Appetit. Objektiver Befund
unverändert.
^/i. Temp. 38.2°, sonst gutes Befinden.
Temp. bisher andauernd 38°, heute 37.2". Pat. klagt
über grössere Schwäche. Öfters Unvermögen sich auf bestimmte
Woche zu besinnen; motorische Aphasie.
^'^j^. Temp. 38.7". Decubitus am Kreuzbein; Pat. lässt
sehr oft Urin und Stuhlgang unter sich. Schlechterer Appetit.
^'/4. Temp. 39.3". In Folge grosser Unreinlichkeit der
Pat. hat sich der Decubitus vergrössert; grosse Schwäche.
^^/4. Am Nachmittag Koma; beschleunigte Respiration.
Exitus letalis ^/i 6 Uhr.
Anhang. Etwa 6 Wochen vor ihrem Tode wurde das
Gesichtsfeld im Ciroben durch Hin- und Herbewegen weisser und
farbiger Papiere untersucht und gefunden, dass dasselbe im Allge-
meinen normal war, jedoch ein absoluter Ausfall aller Qualitäten
des Gesielitsinncs im linken unteren Quadranten auf jedem Auge
fortbestand.
Farbige Objekte von grosser Dimension schnitten scharf
mit den Defektgrenzen für weiss ab. Am Perimeter nicht mehr
zu untersuchen wegen zu leichter Ermüdbarkeit.
Sektion ^»/i 1893.
Fettpolster reichlich. Herz ohne Besonderheiten. Lungen-
Atelektase des rechten Unterlappens. Oberflächliche Narbe der
^I///2kapsel.
Trübung der Nieren; bohnengrosse Cyste in der linken Niere.
Fraktur des linken Oberschenkels, frischer Bluterguss. Aus-
gedehnter, aber ziemlich oberflächlicher Decubitus am Kreuzbein.
Gehirn. Dura sehr derb, aber leicht abziehbar.
Pia der rechten Konvexität ganz zart; massig stark gefüllt,
namentlich am Parietal- und Occipitallappen. Die Pia der
linken Konvexität bis über den Scheitel und Hinterhauptslappen
getrübt und ödematös, die Pia an der Basis zart und durch-
scheinend.
Die Venen stark gefüllt. Starkes Atherom der Basisgefässe.
Das gehärtete Gehirn wurde mir vom Herrn Doktor H.
Wilbrand gefällig.st überlassen. Es war damals schon durch einige
horizontale Schnitte nach Flechsig zerteilt, und zwar die linke
Hälfte durch zwei, die rechte durch drei, alle in der Höhe der
Centraiganglien. Die Abbildungen zeigen die Schnittflächen.
(Taf XX.)
Die Pia Hess sich von der Oberfläche überall leicht ablösen.
Die Gefässc waren sehr dick und atheromatös, besonders
die Carotiden und die Arteria basilaris.
An den Horizontalschnitten fällt die bedeutende Vergrös-
serung der Ventrikel besonders in der rechten Hemisphäre auf.
Die Rinde ist überall normal ohne Anzeichen einer Malacie.
Besonders wurde das Sprachgebiet links untersucht.
Die linke Hemisphäre.
Horizo u ft 7 Iseh nitte .
An einem .Sehnitte in der Höhe der dorsalen Flache des
Thalamus wurde selbst mit der Loupe nichts Pathologisches
beobachtet.
Schnitt I cm. mehr ventralwärts (Taf. XX, Fig. i). Hier
findet man in der Frontalstrahlung eine quergehende und ver-
schiedene kleine längsverlaufende Malacien, alle 2 — 3 m.m. breit
und bis i m.m. lang. Diese liegen in der Höhe der oberen
Grenze der Broca'schen Windung, etwa 2 c.m. von ihr entfernt.
Ihre nähere Lage und Form s. die Fig.
Thalamus. Sowohl der Horizontaldurchschnitt wie die
Oberfläche sonst normal. Die mediale Wand war etwas einge-
buchtet und der 3. Ventrikel vergrössert.
Pulvinar ganz normal, es erstreckt sich weiter nach hin-
ten als das rechte; es ist auch von sehr viel festerer Konsistenz.
Nucleus caudatus von den Malacien nicht berührt. Corpora
4-gemina anteriora et posteriora ohne makroskopische Ver-
änderung.
Die rechte Hemisphäre.
Sie war schon in 3 Horizontalschnitte zerschnitten.
Der dorsale Schnitt (Taf. XX, Fig 2) etwas dorsal von den
Centraiganglien.
Hier findet man eine kleine Narbe (die Wand einer Cyste),
entsprechend dem Sulcus zwischen dem T' und dem C, welche
den hier verlaufenden dorsalsten Abschnitt der Gratiolet'schen
Strahlung durchsetzt. Die Zerstörung greift nicht auf die Rinde
dieser Gyri über. Sie misst an Länge 15 c.m. und an Breite
etwa 4 m.m. Sonst ist der Schnitt makroskopisch normal.
Das Hinterhorn ist erweitert.
Der mittlere Schnitt (Taf. XX, Fig. 3) in der Höhe der
Oberfläche des Thalamus. Die oben erwähnte Cyste und das
sie umgebende narbige Gewebe haben eine grössere Ausdehnung
als am vorigen Schnitte. Die dreieckige Cyste misst i c.m.
und liegt im hintersten Abschnitte der Capsula externa, ist von
narbigem Gewebe an allen Seiten umgeben (s. Fig.) Ein streifen-
förmiger Schlitz setzt sich in das subkortikale Mark der ersten
Temporalwindung fort, berührt aber nicht die Rinde.
Der ventrale Schnitt (Taf XX. Fig. 4) durch den Thalamus
opticus. Die oben erwähnte dreieckige Cyste misst nur 4 — 6
m.m. und hat dieselbe Lage im hinteren Winkel zwischen der
Insula und der i:sten Temporalwindung. Das umgebende Narben-
gewebe misst etwa 1 — 2 m.m. Eine Verlängerung der Cyste
erstreckt sich schlitzförmig in T' hinein und liegt hier un-
ÜBER DIE BEZIEHUNG DER SEHF^ASERN ZU DEN CENTRALGANGLIEN
153
mittelbar unter der Rinde. Im Uebrigen s. die mikroskopische
Untersuchung der Centralganglien.
Die Se/istrahii//!g s. unten: Mikrosko]iisches.
Das Kleinhirn ist nicht makroskopisch verändert.
Mikroskopisches.
Die mittlere Scheibe (Taf. XX, Fig. 3) der rechnte Hemi-
sphäre wurde in mikroskopische horizontale Schnitte zerlegt, um
die Ausdehnung der Veränderung nach vorn zu studiren, die
ventrale dagegen in frontale Schnitte, um das Verhältniss der
Cyste hauptsächlich zum äusseren Kniehöcker zu untersuchen.
A. Die mittlere Scheibe.
An den dorsalen Schnitten sieht man, dass die Zerstörung
ungefähr dieselbe mikroskopische Ausdehnung nach aussen hat,
wie es makroskopisch ersichtlich ist. Nach aussen wird das nar-
bige Gewebe durch einen schmalen 0,5 m.m. dicken schwarzen
Streifen ( = subkortikales Mark, Weigerfsches Präp.) von der Rinde
getrennt. Die Nervenfasern dieses Streifens sind indessen zum
grössten Teil körnig zerfallen. Die Rinde ist bei schwächerer
Vergrösserung intakt. Die Rinde der Insula ist ausser Verbin-
dung mit den Centralganglien gesetzt worden, und zwar in einer
Ausdehnung nach oben bis zur Insertion der Cp (d. h. bis zum
Winkel zwischen Operculum superius und der Insula-Rinde).
Nach vorn erstreckt sich das narbige Gewebe etwa 10 — 12
m.m. frontalwärts von der vorderen Begrenzung der Cyste, nach
hinten bis in die erste Temporalwindung (Vgl. Fig. 3). Auch
hier trennt ein i m.m. dicker schwarzer Streifen das veränderte
Gewebe von der Rinde.
Medial nimmt die Narbe den occipito-dorsalen Abschnitt
der Corona radiata ein (s. Fig. 3), also hauptsächlich die zum
Parietallappen laufenden Fasern.
An mehr ventralen Schnitten dehnt sich die Cyste noch
weiter nach vorn aus (etwa 15 m.m. vor der Hauptcyste). Je
mehr nach unten, um so mehr dehnen sich die Cyste und das
sekundäre Degenerationsgebiet aus. Die Cyste drängt in die
erste Temporalwindung hinein, hat das Mark dieser Windung
zum grössten Teil verödet (Fig. 3). Der hintere Abschnitt des
Thalamus (Grenzgebiet zwischen dem Thalamus und dem Pul-
vinar) sowie der Corona radiata ist völlig verödet. Das Narben-
gewebe ist an Weigerfschen Präp. ganz gelb ohne Spur von
Nervenfasern. Die Cyste wird von dem Ventrikelraum nur durch
das Ependym getrennt.
In dem frontalen Abschnitt des malacischen Gewebes sen-
det die Cyste einen schmalen Ausläufer, welcher von feinen
spinnenähnlichen Fäden durchwebt ist (Vgl. auch die Fig. 5
Taf. XXI).
Die Rinde der Insula ist zwar makroskopisch intakt, aber
sie leidet an einer durchgreifenden Ernährungsstörung. Alle
Ganglienzellen sind sehr pigmentirt und mehr oder weniger de-
generirt. Die Nervenfasern sind spärlich, das Gewebe porös.
Das subkortikale Mark enthält spärliche schmale Nerven-
fasern.
In der Umgebung der Cyste finden sich zahlreiche Blut-
körperchen und Blutpigmentkrystalle.
Die Cyste ist also eine hämorrhagische.
Durch die Cyste und das sie umgebende Narbengewebe
sind die Rinde der Insula und die frontale Rinde der ersten
Temporalwindung ausser Verbindung mit der übrigen Hirnrinde
und den Centraiwindungen gesetzt.
B. Der ventrale Abschnitt der Centralganglien (Taf. XX, Fig.
4) wurde dagegen in eine Serie von etwa 700 frontalen Schnit-
ten zerschnitten, um zu untersuchen, wie tief nach unten die
Zerstörung sich ausdehnte (Vgl. Taf. XXI, Fig. 5 — 12).
Um einen Begriff der Ausdehnung der Zerstörung in den
Centralganglien und ihrer Bedeutung zu bekommen, ist es noth-
wendig zu erinnern, was auch aus der obigen Darstellung her-
vorgeht, dass eine grössere Cyste und mehrere kleine Cysten
von oben nach unten längs des lateralen Umfangs der Capsula
interna zwischen ihr und der Rinde der Insula gelegen sind,
und dass ein Gebiet von sekundärer Verödung des Nervenge-
webes rings um dieselben sich ausbreitet, welches hie und da
kleine Höhlen zeigt. Dieses Gebiet, wo man Uberhaupt nur
pathologisches Bindegewebe findet, sendet nach unten (ventral-
wärts) zwei Ausläufer, von denen der eine mehr medial gegen
den dorsalen Umfang des äusseren und inneren Kniehöckers vor-
dringt, der andere mehr lateral von der Cauda corporis caudati
und der Sehstrahlung einerseits und der Rinde andererseits sich
hineinschiebt. Diese Ausläufer treten auch an den Figuren her-
vor. In wie weit sie den hier liegenden optischen Kern berührt
haben, geht aus der folgenden genaueren Beschreibung hervor.
Aus den Figuren 5 — 12 sieht man, dass zwischen diesen
beiden Ausläufern ein verhältnissmässig normales Gebiet erhalten
geblieben ist, und dieses umfasst hauptsächlich den äusseren Knie-
höcker, resp. den Tractus, die von ihr nach hinten ausstrahlen-
den Fasern das Wernicke'sche Feld und die Cauda corporis cau-
dati sowie die Sehstrahlung (Taf. XXI, Fig. 9 — 12). Die Aus-
dehnung der Narbe nach unten ist indessen unregelmässig, und
weiter nach vorn erstreckt sie sich selbst noch tiefer und um-
lagert den Tractus (Fig. 5). Es wurde deshalb nothwendig alle
Präparate besonders daraufhin zu u ntersuchen, wo und loie die
Zerstörung die optischen Wege betroffen haben konnte.
Tractus opticus. Frontaler Abschnitt. An den frontalsten
Schnitten (in der Frontalebene der Columna fornicis) und, wo
der Tractus frei von der Unterfläche hervorragt, giebt es in sei-
ner Nähe überhaupt keine pathologische Veränderung. Der vor-
dere Ausläufer der Zerstörung liegt hier etwa 15 — 20 m.m.
entfernt (Präp. 652).
Je weiter nach hinten, um so mehr nähert sich der laterale
Rand des Tractus dem cystösen Gewebe und liegt am Schnitt
605 nur etwa 10 m.m. davon entfernt, a^^i Präp. 518 nur 4 m.m.,
und am Präp. 459 nur 2 ni. m. davon entfernt. An den fol-
genden Präp. dringt die Zerstörung fast bis zum lateralen
Rande des Tractus vor, und gleichzeitig sowohl dorsal von ihm
(nur etwa i m.m. entfernt) und lateral nach unten, bis zur obe-
ren Wand des Unterhorns (Fig. 5). Der Tractus liegt hier von
dem pathologischen Gewebe fast vollständig umhüllt. Zwischen
der Zerstörung, bezeichnet durch Häufchen von Blutpigment, und
dem Tractus liegt nur sekundär verändertes Nervengewebe, denn
hier sind verhältnissmässig normale Nervenfasern anzutreffen.
Dessen ungeachtet ist der Rand des Tractus völlig scharf, seine
Fasern intensiv gefärbt, nicht degenerirt und recht dicht an ein-
ander liegend ; nur findet sich ein 7c>enig vermehrtes Bindegewebe
an dem latero-dorsalen Rand.
154
S. E. HENSCHEN. PATHOLOGIE DES GEHIRNS
Weiter nach hinten (Schnitt 402-360) entfernt sich die
Cyste vom Tractus, wenn auch das ihn uingeliende Gewebe
noch verändert ist. Selbst i m.m. dorsal vom Tractus finden
sich hier Häufchen von Blutpigment. Der unmittelbar an diesem
Gewebe liegende Abschnitt des Tractus ist etwas bleicher und
hat vermehrtes Bindegewebe, enthält jedoch zahlreiche, nicht
degenerirte Nervenfasern. Die dorsale Kontur des Tractus ist
ziemlich scharf und nirgends finden sich Anzeichen einer pri-
mären Destruktion des Tractus ojjticus. aber, wo sich der Tractus
unter das erhalten gebliebene TUrck'sche Bündel hinunter schiebt,
da sind die Fasern des Tractus auch zahlreicher, und das Binde-
gewebe ist von normaler Menge.
An den folgenden Präparaten, z. B. 335, berührt die Zer-
störung sowohl den lateralen wie den medialen Rand des Tractus,
lässt aber den mittleren Abschnitt unberührt. Hier sind auch
jene Randpartien bleicher, reicher an Bindegewebe unrl ärmer an
Nervenfasern, das Mittelstück ist aber normal.
Schlüsse. Die genaue Untersuchung des rechten Tractus
zeigt i) dass derselbe an keinem Punkte primär ergriffen und
kein Anzeichen einer Blutung oder einer Erweichung in ihm
selbst vorhanden ist. Auch besteht keine umschriebene Atrophie
der Fasern. Ihre Kontur ist auch überall gegen das dorsal
vom Tractus liegende veränderte Gewebe scharf.
2) In der unmittelbaren Nähe des Tractus ist das (Jewei)e
verändert, und zwar in verschiedener Art. Entfernung und Aus-
dehnung.
aj Art. Man muss hier zwei oder vielleicht drei Arten von
Veränderung unterscheiden, die primäre (Blutung resp. Malacie,
Cystenbildung), die sekundäre durch Druck der Blutheerde in
Folge der deletären Wirkung der Zerfallsprodukte und endlich
spät-sekundäre, im Folge der vorausgehenden Bindegewebs-
bildung.
b) die Entfernung der krankhaften (iewebes vom Tractus
ist verschieden; an einigen Schnitten liegt es demselben unmit-
telbar an, an anderen dagegen ist es wieder mehr von ihm ent-
fernt.
Die primären Blutungen liegen nie im Tractus selbst, son-
dern mindestens 1- 2 m.m. von ihm entfernt, wenn man auch
an Präp. 367 einige Blutkrystalle unmittelbar an dem dorsalen
Rand des Tractus findet.
Dagegen findet sich in der unmittelbaren Nähe zum Binde-
gewebe verändertes Gehirngewebe. Solches findet sich sowohl
dorsal wie latero-ventral vom 'IVactus (Fig. 5 Prä];. 447). In
diesem Gewebe sind gewöhnlich wenigstens Sjjuren von Nerven-
fasern vorhanden.
Wo nun dieses Bindegewebe dem Tractus anliegt, zeigen
sich im letzteren eine deutliche Vermehrung desselben und ein
Ausfall der Nervenfasern, welcher an denjenigen Schnitten am
deutlichsten hervortritt, an welchen die ])rimäre Veränderung
am Tractus am ausgeprägtesten ist (Fig. 7 Präp. 367). Hier
liegt dorsal vom Tractus ein sehr verändertes Feld unmittelbar
ventral von der Haubenstrahlung. Hier ist die Capsula interna
zerstört. Die dorsale Kontur des Tractus ist jedoch scharf,
aber wegen des Ausfalls von Nervenfasern bleich; doch findet
man eine grosse Anzahl von wohl erhaltenen Tractusfasern.
welche am ventralen Rande zahlreicher werden. Der laterale
Abschnitt des Tractus, welcher durch ein erhalten gebliebenes
Bündel vor der Einwirkung der Zerstörung geschützt blieb, ist
ebenfalls gut erhalten (schwarz gefärbt).
Hier hat sich also ein Druck oder eine chemische Einwir-
kung des Blutherds auf den Tractus entwickelt, ohne aber eine
vollständige Verödung der JVcrvenfascr/i desselben an irgend wel-
clieni Funkte zuwegezubringen.
Heiter nach vorn, wo die Cyste und überhaupt die Zerstö-
rung den Tractus nicht erreicht, findet man jedoch den rechten
Tractus verändert. Hier ist die Atrojjhie als eine sekundäre
Degeneration zu betrachten. Die Lage und Ausdehnung dieser
Degeneration geht am besten aus den Figuren i — 4 Taf. XXI
hervor.
a) Etwas nach hinten (occipital) vom Chiasma (Fig. 4) schiebt
sich ein kleiner wei.sser Streifen in den Tractus von der Mittel-
linie ungefähr bis zur halben Breite des Tractus. Die Begren-
zung der Atrophie ist keine scharfe, und die Nervenfasern fehlen
auch nicht ganz, sie sind aber sehr spärlich.
b) Chiasma. Fig. 3. Im Chiasma trifft man nicht mehr
so scharfe Atrophien. An der Fig. 3 (Präp. 72) sieht man in
der linken Hälfte medial oben ein bleicheres Feld (das ge-
kreuzte Fascikel) und dann auch in der rechten Hälfte eine
undeutliche Atro])hie (das ungekreutze Feld, unkr.). Diese Fel-
der treten an mehr frontalen Präparaten deutlicher hervor (Fig. 2).
Hier liegt das linke oben medial, das rechte unten lateral,
oJine jedoch den ventralen Rand zu erreiclieti.
Nervi optici Fig. i. Nur in occipitalen Abschnitten der
Optici kann man überhaupt eine, wenn auch nicht sehr scharf
begrenzte, Atrophie entdecken. Die Lage dieser atrophischen
Felder s. die Figur i. Im linken Opticus liegt die Atrophie
dorsomedial, im rechten dagegen lateral, nicht aber den oberen
oder unteren Rand erreichend.
Weiter nach vorn sind beide ()pti< i atrophisch, ohne dass
eine begrenzte Atrophie nachzuweisen ist.
Corpus geniculatum exteruum dextrum. Taf. XXI Fig. 8 — 12.
Von diesem Cianglion wurde eine zusammenhängende Schnitt-
reihe verfertigt, umfassend die Präp. 136—320 oder etwa 185
Schnitte.
Da die Veränderung innerhalb des Kniekörpers nicht eine
gleichförmige war, mu.ss eine detaillirte Beschreibung der ver-
schiedenen Abschnitte hier gegeben \\'erden. IMe Beschreibung
nimmt die Richtung von vorn nach hinten und die frontalsten
Schnitte sind mit den höchsten Ziffern (320) bezeichnet, die
occijiitalsten mit den niedrigeren (136).
I. Das Grenzgebiet zwischen dem Kniehocker und dem Tractus.
Am Präp. 335 hat der Tractus seine charakteristische Form,
ungefähr wie an der Fig. 367, nur ist der laterale Rand etwas
nach aussen ausgezogen und da, wo er an das zerstörte Gebiet
grenzt, etwas bleicher und von vermehrtem Bindegewebe, i — 2
m.m. dorsal vom dorsalen Rande des Tractus findet man kleine
Häufchen von Blutpigment.
Am Präp. 321 findet man. dass die dorsale Kapsel des
Kniehöckers überhau])t sehr schwach ist oder, besonders in der
medialen Hälfte, fehlt. Jedoch findet sich hier eine Anzahl von
normal erhalten gebliebenen Nervenfasern, welche im latero
ÜBER DIE BEZIEHUNG DER SEHFASERN ZU DEN CENTRALGANGLIEN
155
dorsalen Abschnitte an Zahl ziemlich normal sind. Wie die Fig.
zeigt, ist der medio-ventrale Rand des Kniekörpers bleich und
ziemlich arm an Fasern, wogegen die Hauptmasse derselben
und besonders die ventrale Kapsel faserreich ist. An dem jetzt
mehr intensiv gefärbten lateralen Rand des Tractus findet man
eine Ausstrahlung nach aussen in das Wernicke'sche Feld. V2 —
I m.m. dorsal von dieser Ausstrahlung liegen mikroskopische
Häufchen von Blutpigment, ohne dass die occipitale Strahlung
des Kniekörpers davon wesentlich berührt worden ist.
II. Der frontale Abschnitt des Knickörpers. Präp. 307 — c:a 250.
Fig. 8 — IG.
Als ein Typus dieses Abschnittes können die Präp. 281
und 269 (Fig. 9. 10) gelten. Wir sehen hier, dass die dorso-
mediale Hälfte zerstört ist, dagegen die ventro-laterale erhalten
blieb. Diese Zerstörung ist an den frontalsten und occipitalsten
weniger intensiv und ausgebreitet als an den mittleren Schnitten
der Serie, welche etwa die Schnitte 300 -270 umfassen. Eine
detaillirte Beschreibung dieses wichtigen Abschnittes scheint dem-
nach nothwendig zu sein.
A) die Kapsel.
a) die dorsale Kapsel. Die dorso-laterale Grenze misst im
Ganzen etwa 6 — 7 m.m. Hier fehlt die Kapsel vollständig in der
medialen Hälfte, findet sich aber, wenn auch sehr schwach, in
der dorso-lateralen Hälfte. An einigen Präp., wie das Präp. 281
(Fig. 9), fehlt sie in einer Ausdehnung von etwa 4 m.m.; sie ist
vorhanden auf einer Strecke von etwa 3 m.m., an anderen (269)
(Fig. 10) fehlt sie an 3 m.m., aber findet sich in einer Ausdehnung
von 3 m.m.
b) die laterale Kapsel ist in anscheinend normaler Stärke
überall erhalten geblieben. Ihre Nervenfasern sind normal.
c) die ventrale Kapsel ist Uberall in dem lateralen Teile
etwa 4 m.m. normal (kräftig, dick und mit zahlreichen Fasern).
In den medialen Teilen etwa 3 m.m. findet im Allgemeinen ein
Faserausfall statt; und zwar ist derselbe in den vordersten Präpa-
raten (306), nur ein leichter, und hat eine Ausdehnung von etwa
I m.m., an einer Anzahl von etwa 10 — 15 Präparaten wird der
Ausfall dann deutlicher, jedoch muss er im Ganzen als ein ge-
ringer bezeichnet werden und beträgt gewiss nicht ^/a der Fasern;
an den Präp. 270 — 250 (Fig. 11) ist er kaum mehr bemerkbar-
Bj Das Ganglion selbst.
Entsprechend dem atrophischen Gebiete der dorsalen Kap-
sel zeigt das Ganglion eine selbst für das unbewaffnete Auge
deutliche Veränderung, Atrophie und Zerstörung. Die Ausdeh-
nung dieses Gebietes geht vielleicht am besten aus den Figuren
hervor.
In den frontalsten Abschnitten (um N:o 306) ist nur ein
dorso-mediales, kaum i m.m. breites Gebiet leicht atrophisch. An
den folgenden Präp. wächst dieses Gebiet und erreicht an den Präp.
286 — 280 seine grösste Ausdehnung, wie die Fig. 9 zeigt, näm-
lich etwa ^/'s des Frontaldurchsclinittes des Ganglions, um sich
weiter occipitalwärts allmählich zu vermindern. An dem Präp.
260 nimmt die Atrophie hauptsächlich die dorsale Kapsel ein.
Die Veränderung des atrophischen Gebietes wechselt zwar
an Intensität, ist aber an den Schnitten 286 — 280, wo die Ver-
änderung am stärksten ist, folgende (Fig. 9):
a) Die Markleisten sind vollständig verschwunden.
S. E. Henschen. Pathologie des Gehirns.
b) . Das Kasernnetz fehlt stellemveise vollständig, im Ganzen
finden sich jedoch Fasern, wenn auch nur in Bruchstücken und
in geringer Zahl; viele Fasern sind nur bleich gefärbt.
c) Zellen, n.) die grossen ventralen Zellen sind auf einer
Strecke von i m.m. spärlich, und ein deutlicher Ausfall ist hier
vorJianden. Die übriggebliebenen sind atrophisch, rundlich ge-
sc/tru/npft.
ß) die kleinen Zellen sind auch zum grössten Teil verschwun-
den. Die übriggebliebenen sind sehr atrophisch, rundlich, körnig
oder in Zerfall befindlich.
d) Die Neuroglia ist in körniger Umwandlung begriffen.
Der übrige Teil des Ganglions ist anscheinend normal.
a) Die Markleisten sind dick und haben kräftig gefärbte
Fasern.
b) Das Fasernnetz ist reichlich.
c) Zellen, sowohl die grossen ventralen, wie die kleinen sind
reichlich vorhanden und haben normale Form und Textur.
d) Neuroglia normal.
Der occipitale Abschnitt (Präp. 250 — c:a 196. S. Fig. 11
u. 12.) umfasst hauptsächlich die occipitale S-förmige Spitze.
Auch an diesem Abschnitt zeigt die dorsale Kapsel, beson-
ders in ihren medialen ^/s, eine sehr deutliche Atrophie, und nur
im lateralen finden sich zahlreiche gut gefärbte Fasern. Die
ventrale und laterale Kapsel ist normal.
Das Ganglion selbst ist überhaupt normal.
i) Die Markleisten kräftig. 2) Das Fasernnetz reichlich.
3) Die Zellen von normaler Anzahl, Form und Textur. 4) Die
Neuroglia ohne Veränderung.
Nur in dem unmittelbar an der dorsalen Kapsel liegenden Ge-
biete scheinen die Zellen und das Gewebe einer seh/- leichten Atro-
phie unterworfen zu sein.
Das ll'ernicke'sche Feld, lateral vom äusseren Kniekörper,
ist überhaupt normal und an den Weigert'schen Präp. intensiv
gefärbt. Ob einige von den dorsalsten Fasern, welche vom Knie-
körper entspringen, hier affizirt sind, lässt sich kaum entscheiden
(Vgl. die Fig. 8 — 12). Jedenfalls ist die Hauptmasse der vom
Gangliou ausgehenden Käsern erhalten geblieben.
Dorsal von diesem Feld dehnt sich die oben beschriebene
grosse Zerstörung aus. Dass also die dorsal vom Wernicke'schen
Felde verlaufenden bogenförmigen Fasern, welche dem hinteren
Thalamusstiel und der Temporalstrahlung angehören, durch die
der Hämorrhagie nachfolgende sekundäre Bindegewebsbildung
verödet sind, ist klar.
Die Verbindung der optischen Bahn und besonders des äus-
seren Kniehöckers mit der dorsal von Kniekörper liegenden Cap-
sula interna ist auch aufgehoben, wenn auch an den frontalsten
Schnitten (Fig. 8) vereinzelte Fasern nach unten innen vom Knie-
körper zu dem Pes hin verlaufen.
Das Corpus geniculatum internum dextriim (Fig. 12) ist in
festes Bindegewebe umwandelt und zu einem rundlichen Knötchen
zu sa mmengeschrumpft, in dem weder Zellen, noch normale Fasern
sondern nur einige kleine Körnchenhäufchen als Reste der Zellen
noch zu sehen sind.
Das Bracht um aiiterius ist sehr schwacJi, mit spärlichen
Fasern.
Commissura posterior kräftig.
21
156 S. E. RENSCHEN. PATHOLOGIE DES GEHIRNS
Das Corpus 4-goiiinitvi aiitcrius ist recht gut erhalten ge-
blieben (Fig. 13).
Das Stratum superficiale ist erhalten, aber schwach.
Die Cappa cinerea auch erhalten, mit si)ärlichen Fasern,
misst etwa 0.75 m.m.
Das Stratum opticuui enthält ein recht dichtes Netz, sowohl
in oberflächlichen, wie in tieferen Schichten.
Stratum Letiniisci. Sowohl cirkuläre, wie radiäre Fasern
finden sich in etwa normaler Anzahl.
Corpus 4-gem. poster. dextrum gut entwickelt.
Stratum zonale mit reichlichen Fasern.
Nucleus mit reichlichem Fasernnetz.
Thalamus opticus.
Pulviuar. Die Hauptmasse des Pulvinar ist /// festes Binde-
ge7ciebe verwandelt, die Nervenfasern sind verschwunden und die
Ganglien-Zellen fehlen gänzlich.
Thalamus. Schon aus den makroskopischen Abbildungen
(Taf. XX Fig. 2 — 4) geht hervor, dass die makroskopische Zer-
störung oder Veränderung von der Capsula externa medialwärts
auf den Thalamus übergreift. Es sind jedoch nur die kaudalen
und ventralen Teile des Thalamus, welche beschädigt sind, die
dorso-medialen sind dagegen von der Zerstörung nicht berührt.
Was die einzelnen Fasersysteme betrifft, ist Folgendes zu
bemerken.
Die HaubenstraJiluiig ist in den occipitalen und mittleren
Abschnitten des Thalamus oberhalb des Kniehöckers mehr oder
weniger vollständig durchschnitten (Fig. 7 — 9. Taf. XXI). Ihre
medialen mit dem rothen Kern zusammenhängenden Bündel
finden sich noch zahlreich vorhanden (s. Fig.). Diese ziehen
auch nach vorn in die (iitterschicht vor der Ebene des Nucleus
ruber hinein.
Die Gitterschicht sowie der Nucleus externus ist in occipi-
talen Teilen, d. h. occipital von der vorderen Fläche des Nu-
cleus ruber, zerstört (Fig. 9. 10); dagegen vorn vor dieser Fläche
erhalten (Fig. 5).
Der Nucleus externus vor der erwähnten Ebene ist unver-
sehrt und enthält reichliche Balken und Bündel.
Nucleus internus. Der ganze frontale Abschnitt ist intakt;
in wie weit der dem Pulvinar angrenzende Abschnitt verändert
ist, ist nicht ganz klar in Folge der von dem Obducenten ge-
machten für die mikroskopische Untersuchung ungünstigen Schnitt-
führung. Der occipitalste Abschnitt dürfte jedoch sich zum Teil
in Bindegewebe verwandelt haben.
Das Trigonum (Ganglion) Habenulse ist nicht verändert.
Das Corpus mammillare und seine Schenkel sind alle an-
scheinend unverändert, und zwar sowohl der aufsteigende, der
Vicq d'Azyr'sche, sowie auch die Columna Thalami.
Der Luys'sche Körper ist im (ranzen auch von der Zer-
störung unberührt geblieben; die dorso-mediale wie ventro-late-
rale Kapsel sind kräftig. In Inneren des Ganglions sind die
Fasern reichlich vertreten.
Der Nucleus ruber ist intakt und sowohl die Kapsel, wie
das Trabekelwerk im Inneren sehr schön und reichlich vertreten.
Nucleus caudatus. Das Caput ist, wie die Fig. 3 u. 4, Taf.
XX, zeigen, unversehrt, indem es frontal und medial von dem
Zerstörungsgebiete liegt.
Das Corpus tiuclei caudati ist auch unbeschädigt, wie die
Fig. 7 — 12 zeigen.
Die Capsula externa ist in ihrer ganzen Länge zerstört; das
Zerstörungsgebiet dehnt sich bis zu dem vorderen Winkel zwischen
der Insula und dem üperculum anterius aus.
Corona radiata und Capsula interna. Ein Blick auf die
Fig. 2 — 4, Taf. XX, überzeugt uns. dass der occipitale Abschnitt
der Corona in der Höhe des Daches des Seitenventrikels abge-
brochen ist. Alle höher gelegenen Abschnitte der Corona sind
nicht affizirt, dagegen wohl die mehr ventralen, indem sich die
Zerstörung bis zur ventralen Fläche der Centralganglien fortsetzt.
Ihre Form und Ausdehnung in diesen ventralen Teilen geht am
besten aus den mikroskopischen Abbildungen hervor. Hier sen-
det der Herd nämlich Ausläufer i) in das Mark des T', 2) in
die Sehstrahlung, 3) nach innen in den ventralen Teil des Pul-
vinars und bis gegen das Brachium anterius Corp. 4-gemini anter.
Wie weit die Corona radiata nach vorn abgebrochen ist,
ersieht man auch an den Fig. 2 — 4, Taf. XX. Daraus erhellt
also, dass die Corona radiata, unbeschädigt von der Zerstörung
in das Frontalhirn, den dorsalen ^/a der Centraiwindungen und
den oberen Parietallappen einstrahlen konnte. Aber, wie au(h
aus den Abbildungen hervorgeht, dringt die primäre Zerstörung
oder die durch sie hervorgerufene sekundäre Veränderung —
die Bindegewebswucherung — nach unten innen bis zum Pedun-
culus ecrcbri im ventralen Abschnitt des Thalamus vor und hat
dadurch hier den grössten Teil der inneren Kapsel abgeschnitten.
Die Fig. 5. Taf. XXI zeigt jedoch, dass ein beträchtlicher
Teil, der Frontalteil, der Kapsel unbeschädigt ist, indem er von
der Zerstörung nicht erreicht wird. Dies ist aber in den mehr
occipitalen Abschnitten der Fall, wie die Fig. 7 und 9 zeigen.
Hier sind nur einzelne Bündel der Capsula interna noch erhalten.
Es unterliegt also keinem Zweifel, dass sowohl die mittleren,
wie die occipitalen Partien der Kapsel mehr oder weniger voll-
ständig vernichtet sind, was auch mit den Ergebnissen der kli-
nischen Beobachtung stimmt.
Die BiindeL welche nach der ersten und zum Teil auch
nach der zweiten T-windung zum unteren Parietallappen und zur
Insula verlaufen, sind ebenfalls zerstört.
Nucleus lentiformis. Die Destruktion hat besonders dieses
Cianglion getroffen, wie aus den Fig. hervorgeht.
Das Putamen. Nur der Kopf ist etwa bis vor der Ebene
der Commissura anterior erhalten geblieben. Von dieser Ebene
al) nach hinten wird das Putamen zuerst in grosser Ausdehnung
durchlöchert, dann etwa 30 — 40 Schnitte vor der frontalen Ebene
des Corpus mammillare in grösserer Ausdehnung zerstört und zum
grössten Teile durch eine grosse unregehnässige Höhle ersetzt.
Bis zu jener Ebene ist auch das mittlere (2.) Glied des
Linsenkörpers vorhanden, und zwar anscheinend intakt. Die äus-
sere Lamina ist schwach und die Bündel im Inneren des Gliedes
sind auch schwach gefärbt, aber nicht zerstört. — Von der vorderen
Fläche des Mamillarkörpers nach hinten hin greift die Zerstörung
auch auf dieses Glied über und durchsetzt das Glied quer bis in
die innere Kapsel.
Das mediale Glied ist im frontalen Teil Ganzen intakt
und seine Faserbündel sind recht kräftig, aber von der Ebene des
Mammillarkörpers ab ist es wesentlich von dem grossen Zerstö-
rungsherd ergriffen und seine Textur im Ganzen wesentlich ver-
ÜBER DIE BEZIEHUNG DER SEHFASERN ZU DEN CENTRALGANGLIEN
157
ändert. Die Balken und die Lamina medullaris sind wesentlich
zerstört.
Occipital vom Mammillarkörper ist das Innerglied total ver-
ödet, indem die Zerstörung hier dorsal vom Tractus auftritt.
Die A//sa lenticularis ist im vorderen Abschnitte vor dem
Mammillarkörper wesentlich erhalten, wenn auch schwach.
Die Sehstrahlung, von hinten nach vorn beschrieben
(Taf. XX. Fig. 5-9).
An etwa 50 der occipitalsten Schnitte meiner Serie, wo
noch keine deutliche Sehstrahlung gebildet ist, sieht man auch
keine umschriebene Atrophie. Das Mark unter der Fissura cal-
carina ist kräftig gefärbt.
Weiter nach vorn (etwa i cm. vor der Occipitalspitze) ist
das Mark, entsprechend dem Boden der Fissura calcarina, ein
wenig heller — Spur von Atrophie, ohne dass diese deutlich ist.
Etwa 200 Schnitte vor der Spitze (Präp. 4. 322) tritt erst
ein dreieckiges wenig atrophisches Feld, entsprechend dem Boden
der Fissura calcarina. hervor und erstreckt sich von da dorsalwärts
mit einem Ausläufer.
Etwa 500 — 600 Schnittt vor der Spitze (Präp. 3. 231),
(Fig. 5) also etwa j cm. vor der Spitze, findet sich in der Seh-
strahlung, etwa 2 m.m. unter der Rinde und in der halben Höhe
der Sehstrahlung, ein rundlicher i m.m. grosser malacischer Herd.
In seiner Umgebung sind die Markfasern atrophisch, aber das
subkortikale Mark ist von ihm nicht berührt, sondern tiefschwarz.
Weiter nach vorn, etwa 4 cm. (Fig. 6), verbreitet sich zwar
die AtropJiie über die ganze Höhe der Sehstrahlung und ist in dem
dorsalen Abschnitte sehr ausgesprochen; im unteren Abschnitte da-
gegen ist die Hauptmasse der mittleren Schicht als ein breites
Band von schwarz gefärbten Fasern erhalten geblieben. Sowohl
der dorsale wie der ventrale Abschnitt sendet einen atrophischen
Ausläufer medialwärts vom hinteren Horn hin. Unter den Lip-
pen der Fissura calcarina finden sich keine deutlichen Atrophien.
Entsprechend der Ausdehnung des Gyrus Hippocampi, ver-
ändert sich die Atrophie nach und nach. Ihre Lage und Inten-
sität findet den besten Ausdruck auf den Tafeln. Diese mussten
leider ein wenig schematisch gezeichnet werden, da es gewissen
Schwierigkeiten unterlag, das in horizontale Scheiben schon zer-
schnittene Gehirn so zusammenzusetzen, dass die entsprechenden
Abschnitte genau an einander passten. Indessen war die Ver-
schiebung der Teile eine unwesentliche und beträgt wohl höch-
stens 2 — 5 m.m.
An den Frontalabschnitten, etwa 5 cm. vor der Occipital-
spitze (Fig. 7), zeigt sich die Sehstrahlung etwa bis zu ihrer halben
Höhe, von oben gerechnet, fast vollständig atrophisch (Fig. 7).
Schon 4 m.m. ventral vom Dache des Ventrikels werden zahl-
reiche normale Nervenfasern eingewebt, und zwar in einer Aus-
dehnung von etwa 4 m.m. Die untersten 4 m.m. enthalten nor-
male Fasern in noch grösserer Anzahl und der ventrale AVinkel
der Sehstrahlung kann als beinahe normal bezeichnet werden.
Weiter nach vorn (etwa 6 cm. vor der Occipital-Spitze)
(Fig. 8) umfasst die Atrophie etwa nur die dorsalsten 5 m.m.;
mehr ventralwärts auf einer Strecke von 4 m.m. wird die Atro-
phie sehr viel geringer; die untersten 8 m.m. der Sehstrahlung
sind zienilich normal. Die Atrophie kann bis in das Splenium
verfolgt werden.
Etwa 7 cm. vor der Occipitalspitze (Fig. 9) bestehen die-
selben Verhältnisse, die obersten 5 m.m. der Sehstrahlung sind
vollständig atrophisch, die untersten 75 m.m. 7venig verändert,
ausgenommen, dass ein schmaler gelber atrophischer Streifen
sich nach unten zwischen der Sehstrahlung und dem Tapetum
einsenkt, welcher wahrscheinlich dem Tapetum angehört. Klei-
nere gelbe atrophische Flecke liegen in dem unteren Abschnitte
der Sehstrahlung eingestreut.
In dem dorsalsten Abschnitte der Sehstrahlung liegen kleine
hämorrhagische Herde mit Blutpigment. Diese erstrecken sich
bis in die Wand des Ventrikels und zerstören auch das Tapetum.
Weiter vorn /// der Frontalebene des äusseren Kniehöckers
verhält sich die Sehstrahlung folgendermassen.
Wie die Figuren 8 — 12. Taf. XXI zeigen, setzen sich die
vom äusseren Kniekörper lateralwärts verlaufenden dicken Bündel
ununterbrochen in die dicke und stark gefärbte Sehstrahlung fort.
Wie schon erwähnt, grenzt inzwischen das grosse Zerstörungsfeld
unmittelbar an die dorsale Fläche dieser Bündel, lässt aber wenig-
stens die Hauptmasse unversehrt. Aber an einem Punkte dringt
ein hämorrhagisches Feld in die Sehstrahlung ein, und zwar von
aussen oben und in einer Ausdehnung von den Präp. 230 — 200,
oder etwa i, höchstens 1.5 cm., in .sagittaler Richtung. Dieser
Herd liegt 1.5 — 2 m.m. latero-dorsal von der Cauda corporis
caudati in der Höhe der dorsalen Ebene des äusseren Kniehöc-
kers und in der Frontalebene mit seinem occipitalsten Abschnitte,
des inneren Kniehöckers und der Commissura posterior (s. Fig.
12). Zwischen dem hämorrhagischen durch reichliches Häma-
toidin charakterisirten Herde und der Cauda nuclei caudati liegt
ein dickes Bündel von gut gefärbten Fasern. An mehr occipi-
talen Schnitten liegt in derselben Höhe in der Sehstrahlung ein
rundliches 2 m.m. grosses atrophisches Feld, welches fast die ganze
Dicke der Sehstrahlung einnimmt. Dieses Feld, obschon ver-
mindert, kann ich bis zu meinen am meisten occipitalen Schnit-
ten (Präp. 82) verfolgen. Es misst hier i m.m. in der Höhe,
2 m.m. in der Breite.
Auch nach vorn kann man ein entsprechendes Feld eine
längere Strecke (c:a 2 m.m.) verfolgen.
Die übrigen Bestandteile des Gratiolet'schen Bündels ver-
halten sich in folgender Weise.
Die Fasciculi longitudinalis superior et inferior sind überall
fast vollständig atrophisch. Der Primärherd hat vorn in der
Nähe der Insula sie durchtrennt.
Das Tapetum ist vorn in seinen dorsalsten 4 — 5 m.m. auf
einer Stre* ke vollständig zerstört, und sendet von da nach unten
einen schmalen atrophischen Streifen, welcher jedoch der Ven-
trikelwand nicht unmittelbar anliegt. — Im Gebiete des Occi-
pitallappens ist das Tapetum weder erkrankt, noch atrophisch.
Die Rinde der Fissura calcarina ist makroskopisch völlig
normal. Unter der Loupe wird kein Unterschied der Dicke oder
der Textur der oberen und unteren Lippen bemerkt, und auch
nicht mit Sicherheit bei stärkerer Vergrösserung.
Eine geringe Atrophie sc:heint, in Anbetracht der Grösse
der perivaskulären Räume zu bestehen.
Der Baillarger'sche Streifen ist in beiden Lippen gut aus-
geprägt, die Tangentialschicht ist auch in beiden deutlich vor-
handen, wie die vertikalen Markstrahlen.
158
S. E. HENSCHEN. PATHOLOGIE DES GEHIRNS
Ob dagegen eine Differenz der Zellen vorhanden ist, muss
ich unentschieden lassen.
Pons und Medulla oblongata.
Für die Untersuchung wurde eine fast vollständige Schnitt-
reihe dieser Teile verfertigt und wurden etwa 200 — 300 Schnitte
gefärbt und untersucht.
Die Pyramidenbahii war rechts vollständig degenerirt und
geschrumpft. Nur einzelne Fasern waren noch übrig, und
diese in Bruchstücken.
Die ScJileife. Schon im dorsalsten Abschnitt des Pons tritt
eine, wenn auch unbedeutende, Atrophie in der rechten Schleife
hervor. Diese trifft hauptsächlich den medialen Abschnitt, wo
die Fasern rechts spärlicher sind als links.
Weiter unten in der Höhe der Oliven, tritt auch hervori
dass die linke Schleife besonders im ventralen Abschnitte rechts
etwas schmäler ist als links.
Die Fibrcc arcuatce internce sind auch links entschieden spär-
licher als rechts, und zwar in der ganzen Länge der Kreuzung.
In Übereinstimmung damit ist das Fasernetz im Nitcleus
funiculi gracilis, und besonders im N. f. cuneati rechts dichter
und reichlicher als links. Ein bestimmter Unterschied in der
Grösse der beiden Kerne links und rechts ist nicht nachzuweisen.
Bindearinc. Beide Bindearme sind kräftig. Es scheint
jedoch, als ob der linke etwas schmäler als der rechte sei. Je-
denfalls ist der Unterschied ein geringer, und eine Bindegewebs-
wucherung findet sich nicht vor.
Epikrise.
Kurzer Krankenbericht. Im März Q) i88g wurde
Pat. von einem Schlaganfalle getrofifen, sie wurde linksseitig
gelähmt und anästhetisch. Im Juni dess. J. bestand aus-
ser linksseitiger Parese mit Anästhesie noch linksseitige ho-
monyme Hemianopsie mit liinschränkung der rechtsseitigen
Gesichtsfeldhälften (s. Perimeterkarte). Im Juli war die früher
vollständige Hemianopsia sinistra zu einer linksseitigen Qua-
drant-Hernianopsie mit Ausfall des unteren Qandranten ver-
ändert. Dieser Zustand wurde von nun ab stationär und
gleich befunden, und zwar bei den erneuerten Prüfungen ^/s
1890, ^'/9 1890, Febr. 1891, ^^/s 1791, Nov. 1892 und März
1893. Bei den letzten Prüfungen konnten genaue Perimeter-
karten jedoch nicht mehr aufgenommen werden. Pat. starb
am 1893.
Bei der Sektion fanden sich in der rechten Hemisphäre
einige kleine malacische Herde in der vorderen Ausstrahlung
der inneren Kapsel im Mark der dritten Frontahvindung, in
der linken Hemisphäre dagegen eine hämorrhagische Cyste im
hinteren Abschnitte der inneren Kapsel, gleich am Winkel
zwischen der ersten Temporalwindung und den hintersten In-
sularwindungen. Das umgebende Gewebe war in ansehn-
licher Ausdehnung verändert, teils malacirt, teils in festes
Bindegewebe umgewandelt. Diese Veränderung erstreckte
sich nach vorn längs der äusseren Kapsel bis zum vorderen
Insularwinkel, dann in das Mark der ersten Temporalwindung
und nach innen und unten bis zum äusseren Kniehöcker und
über den grössten Teil des Pulvinars, endlich nach unten
und hinten in die Sehstrahlung.
Sekundäre Veränderungen finden sich in dem rechten
Tractus nervi optici, in der Sehstrahlung und in der Pyrami-
denbahn.
Diagnose. Art und Lokali saiion der Läsion. Der
Symptomenkomplex bei dem Schlaganfalle, das 8-stündige
Verschwinden des Bewusstseins spricht eher für, als gegen
eine Hämorrhagie. Hämorrhagien von nicht zu ausgedehn-
tem Umfange in der Nähe des hinteren Abschnittes der Cap-
sula interna sind gewöhnlich nur von Schwindelanfall und
relativ kurzdauernder Bewusstlosigkeit (1 — einige Stunden) be-
gleitet. Dagegen treten die dauernden Lähmungen und aus-
geprägten Sensibilitätsstörungen in den Vordergrund. Auch
ausgeprägte Gehörstörungen am entgegengesetzten Ohre pfle-
gen vorhanden sein. Endlich bestätigt der Fall, dass noch
eine interessante Störung dadurch hervorgerufen werden kann,
nämlich Hemianopsie, und, wie dieser Fall in prägnanter
Weise zeigt, zuerst in vollständiger Form, mit beschränktem
Gesichtsfelde auch in der entgegengesetzten Hälfte, später
in Form von Quadrant- Liemianopsie nach unten.
Ein solcher Symptomenkomplex — scheinbar leichter
Schlaganfall mit dauernder motorischer und sensibler Hemi-
plegie, verbunden mit Störung des Gehörs und zuerst voll-
ständiger, dann partieller (Quadrant-)Hemianopsie nach unten —
dürfte in hohem Grade für einen Insult in dem hinteren Ab-
schnitte der Capsula interna charakteristisch — ja pathogno-
monisch sein.
Die später anzuführenden Krankheitsfälle bestätigen
diese Annahme.
Die Sektion wies nun nach, dass eine Hämorrhagie der
Cystenbildung voranging. Bemerkenswerth ist, dass der
Schlaganfall nicht von Zuckungen begleitet war.
Analyse der Symptome.
Die Psyche bot nichts Bemerkenswerthes dar.
Aphasie. Gleich bei dem Anfalle wurde eine vorüber-
gehende Sprachstörung bemerkt, wahrscheinlich motorischer
Art (»das Sprechen wurde ihr anfänglich schwer»). Aber
auch gegen das Ende des Lebens am 1893 wurde moto-
rische Aphasie bemerkt. Bei der Sektion fanden sich meh-
rere kleine Malacien in der motorischen Sprachbahn, in
der vorderen gegen das Mark der Broca'schen Region (Taf.
XX. Fig. I mal) verlaufenden Ausstrahlung der inneren Kajo-
sel. Diese waren älteren Datums und standen wahrscheinlich
in Zusammenhang mit der beobachteten motorischen Aphasie.
Da keine kortikalen Veränderungen vorhanden waren, so liegt
also ein Fall von subkortikaler motorischer Aphasie vor. Die
Sprachbahn war jedoch keineswegs vollständig durchtrennt,
sondern nur hie und da durch die kleinen Malacien beein-
trächtigt. Darin liegt vielleicht die Ursache, warum im kli-
nischen Protokolle die Sprachstörung nur im Anfang und am
Ende der Krankheit bemerkt wurde. An diesen Zeitpunkten
musste die Sprachstörung am deutlichsten erscheinen.
Kranialnerven.
II. Über die wichtigen Gesichtsstörungen in diesem
Falle wird unten besonders verhandelt werden.
ÜBER DIE BEZIEHUNG DER SEHFASERN ZU DEN CENTRALGANGLIEN
159
III. IV. VI. Die im Juli 1889 und Vi 1893 bemerkte
und ungeachtet der recht gut erhaltenen Sehschärfe (""/so —
^°/2o) fast vollständige Pupillenstarre findet im Sektionsbefund
keine genügende Erklärung. In der linken Hemisphäre fanden
sich überhaupt keine auf die Reaktion der Pupillen einwirken-
den Veränderungen; in der rechten war durch die vorhan-
dene Zerstörung wahrscheinlich die Verbindung /.wischen
dem Opticus und dem Pupillenkern aufgehoben. Unter sol-
chen Umständen bestand vielleicht eine iiemiopische Pupillen-
reaktion, auf die leider während des Lebens nicht gefahndet
worden war, aber eine vollständige Reaktionslosigkeit hätte
nicht vorhanden sein sollen. Auch waren die Nervi optici
keineswegs atrophisch.
Der ophthalmoskopische Befund ergab etwas verschiedene
Resultate, nämlich im Nov. 1892 einen im Allgemeinen nor-
malen Befund und grosse physiologische Exkavation, später,.
Anfang (^/i) 1893, waren die lateralen Hälften der Pupillen
entfärbt.
VII. Schon bei dem Schlaganfalle wurde das Gesicht
nach links verzogen (linksseitiger Krampf?), später, Juni 1889,
rcsultirte eine leichte linksseitige P'acialislähmung mit nach
rechts verzogener Uvula; diese Lähmung wurde auch im Juli
bemerkt. Sie findet in der ausgedehnten Zerstörung der Cap-
sula interna ihre genügende Erklärung.
IX. Die bei dem Anfalle beobachtete Schwierigkeit
beim Schlucken dürfte in einer Lähmung der Zungen-Larynx-
Muskulatur ihre Erklärung finden.
XII. Die linksseitige Zungenlähmung erklärt sich aus
der Zerstörung der Capsula inteitia.
Sensibilität.
Schon gleich bei dem Schlaganfalle wurde die ganze
linke Körperhälfte völlig gefühllos. Wenn auch später das
Gefühl als gebessert angeführt wird, so bestand doch eine
ausgeprägte Herabsetzung der Sensibilität fort. Im Juni 1889
wurden leichte Berührungen mit der Fingerkuppe und ober-
flächliche Nadelstiche nicht empfunden. Schon im Juli wird
jedoch bemerkt, dass diese Anästhesie nicht mehr so voll-
ständig war wie früher. Die »Schmerzempfindung war links
erhalten, aber vermindert» und die Lokalisation ungenügend.
Dagegen soll die Muskelempfindung links völlig aufgehoben
gewesen sein.
Im Ganzen kann also die Sensibilität als im höchsten
Grade vermindert bis crloschoi bezeichnet werden.
Da nun bei der Sektion die HanbenstraJdiing fast völlig
durchtrennt erschien, und der ganze occipitale Abschnitt der
inneren Kapsel verödet war, so stehen die klinischen und
anatomischen Befunde in genügendem Einklang.
Alle Sensibilitätsqiialitäten waren also ungefähr in glei-
chem Grade 'ergriffen, was in Übereinstimmung mit der all-
gemeinen Erfahrung steht. In Anbetracht der grossen Aus-
dehnung der Zerstörung der inneren Kapsel können hinsicht-
lich der Lage der verschiedenen Bahnen der verschiedenen
Qualitäten bestimmte Schlüsse nicht gezogen werden.
Motilität.
Besondere und werthvollere Schlüsse über die Wege der
Motilität können aus dem Falle nicht hergeleitet werden. Die
vollständige linksseitige Parese findet in der ausgebreiteten
Destruktion der rechten Kapsel ihre Erklärung.
Bemerkenswerth ist jedoch, dass das linke Bein bald
nach dem Schlaganfalle bewegt werden konnte, und dieser
Befund wurde bei .späterer Untersuchung (im Juni und Juli
1889) bestätigt; später wird der Befund als Status idem mit
dem im Juli 1889 erklärt.
Die Untersuchung der motoriscJien Bahn in der Medulla
oblongata zeigte, dass die ganze Bahn völlig atrophisch zvar.
Dessen ungeachtet kann Pat. das linke Bein etwas bewegen.
Diese Thatsache kann nun durch die Annahme einer Supple-
1/ientärbahn, wie ich im Falle Malm näher angegeben habe,
erklärt werden. Der Impuls zum linken Bein kann entweder
von der intakten linken Centraiwindung ausgehen und in der
linken Hemisphäre verlaufen, oder von der rechten Centrai-
windung durch das Corpus callosum in die linke Capsula
interna fortgepflanzt worden sein.
Die Innervation des Arms folgt deutlich nicht derselben
Regel ; er ist nicht in demselben Masse bilateral innervirt.
Reflexe,
Der Patellarreflex war in Übereinstimmung mit der ab-
steigenden Degeneration links erhöht.
Gesichtsstörungen. (Taf. XXI.)
Das Interesse des gegenwärtigen Falles dreht sich um
die Gesichtsstörungen. In dieser Hinsicht zog der l^"aU schon
vom Anfang an die Aufmerksamkeit des Herrn Doktor
Wilbrand auf sich, und im Interesse der allseitigen auch mi-
kroskopischen Bearbeitung des Gehirns hatte mein verehrter
Freund und Kollege die Güte den Fall mir zu überlassen.
Leider kann ich nicht sagen, dass die viele Mühe und der
Aufwand von Zeit und Arbeit, welcher dem Falle reichlich
zu Teil geworden ist, ihn in erwünschtem Masse aufgeklärt
und die Resultate unumstösslich gemacht haben. W^as aber
aus dem Falle herauskommen konnte, ist auch herausgekom-
men. Es ist die Beschaftenheit des Falles — die unregel-
mässige Ausdehnung der Zerstörung längs der Sehbahn —
welche hier die Schwierigkeit gemacht hat.
Wie aus der weitläufigen Beschreibung der Sehbahn und
der Destruktion hervorgeht, grenzt diese an verschiedenen
Punkten jener an. Die Destruktion dringt an verschiedenen
Punkten bis an die Sehbahn herab. Der Kertipunkt ist: wo
ist die Sehbahn primär ergriffen, wo liegt diejenige Läsion,
welche die Sehfasern des dorsalen Retina-Quadranten durch-
trennt und dadurch die ventrale Quadrant-Hemianopsie her-
vorgerufen hat?
Die Destruktion oder die von ihr sekundär verursachte
Bindegewebswucherung berührt an drei verschiedenen Punk-
ten die Sehbahn, nämlich an dem Tractus opticus, auf den
Fig. 5 — 7' '^ri dem äusseren Kniehöcker und an dem fron-
talen Abschnitte der Sehstrahlung in der Ebene der Knie-
160
S. E. RENSCHEN. PATHOLOGIE DES GEHIRNS
höcker oder ein wenig mehr occipital (Fig. 8 — 12). Die
eventuelle Einwirkung der Zerstörung an diesen Punkten muss
genauer auseinander gesetzt werden.
Zuerst hebe ich nun hervor, dass an allen diesen Piink-
teti der Zerstörungsherd dorsal von der Seilbahn liegt. An
keinem Punkte tritt im ventralen Schnitte der Schbahn eine
Läsion auf. — Noch eine Möglichkeit liegt indessen vor.
1. Die Sehbahn ist nämlich, wie ich erst jüngst bei
Durchmusterung der Serienschnitte des Occipito-Temporal-
lappens bemerkte, auch an einem Punkte, etwa 3 cm. vor
der Occipitalspitze, von einer kleinen etwa i m.m. grossen
Malacie getroffen. Diese Malacie erstreckt sich nur durch
eine kleine Anzahl von 10 Schnitten, hat also eine unge-
fähre Ausdehnung in der Sagittalrichtung von etwa 0,3 m.m.
Ihre Wirkung auf die Sehbahn muss schon aus diesem Grunde
als mehr lokal betrachtet werden, obschon sie etwa dem
Grunde der Fissura calcarina entsprechend liegt. Kann die
Quadrant-Hemianopsie durch diesen Herd verursacht sein.? Ich
glaube darauf bestimmt mit Nein antworten zu dürfen. Dieser
Herd scheint nämlich neueren Datums zu sein. Ein älterer
Herd von jener kleinen Ausdehnung wäre ohne Zweifel fast
vollständig zusammengeschrumpft gewesen und hätte nur
einen weissen Bindegewebsfleck hinterlassen. Nun aber
findet man hier einen ganz jungen, nicht organisirten, mit
Rundzellen reichlich gefüllten, Herd. Das Vorhandensein
solcher kleiner Herde zeigt, wie ausserordentlich wichtig die
Verfertigung und genaue Durchmusterung von mikroskopi-
schen Schnittserien für die Beurteilung der Sektionsbefunde ist.
2. Fragen wir dann, ist die Quadrant-Hemianopsie
durch Einwirkung auf den Tracius opticus hervorgerufen (Vgl.
F"ig. 5 — 7)- Die angeführten Abbildungen zeichnen die am
meisten bedrohten Punkte ab. Wir können dann Folgendes
bestätigen: i) an keinem Punkte ist der Tractus direkt er-
griffen; nirgends sieht man in dem Tractus selbst einen
hämorrhagischen Herd oder eine Erweichung, noch eine
Spur von Blutpigment; 2) die dorsale Kontur des Tractus
ist überall unberührt und unversehrt. Die dorsal vom Trac-
tus liegende Zerstörung war nicht im Stande, durch den
Druck an irgend einem Punkte eine vollstä)idige Rand-
atrophie hervorzurufen; 3) dass anderereits die kleinen Hä-
morrhagien, welche etwa 1 — 2 m.m. dorsal vom Tractus lie-
gend, auf denselben gewissermassen lokal ungünstig einge-
wirkt haben, leidet wohl keinen Zweifel. PLin Blick auf die
Fig. 7 dürfte davon überzeugen. Der Abschnitt des Tractus,
welcher von einem gesunden dicken Bündel überlagert ist
und dadurch vor dem Zerstörungsherd geschützt ist, ist auch
normal, während die mediale, den Hämorrhagien unmittelbar
anliegende Spitze des Tractus, auffallend bleicher, d. h.
atrophisch ist. An einem anderen nicht abgebildeten Schnitte
war auch die latero-dorsale Spitze durch die unmittelbare Nähe
des Zerstörungsherdes in gleicher Weise ergriffen.
Sonst liegt es ganz nahe, zu denken, dass die Atrophie
hier sekundär nach der Destruktion des dorsalen Abschnittes
des äusseren Kniehöckers sein kann, und eine solche Auf-
fassung findet darin eine gewisse Stütze, dass die dorsale
Kontur des Tractus unversehrt ist und die Atrophie etwas
mehr nach innen und unten liegt und ungefähr der Ausdeh-
nung der Destruktion im Kniehöcker der Lage nach entspricht.
Nicht unwahrscheinlich ist, dass jene beiden Momente,
die Nähe der kleinen Blutungen und die sekundäre Atrophie,
zufälligerweise auf dasselbe Gebiet des Tractus eingewirkt
haben. Jedenfalls ist diese Atrophie nicht gross genug, um
eine vollständige Quadrant-Hemianopsie nach unten hervor-
zurufen. Und dann findet sich innerhalb dieses Gebietes
überall eine nicht 7tnbeträchtlicJie Anzahl von übriggebliebeneii
optischen Faserti. Nun zvar aber das untere Gesichtsfeld
absolut dunkel. Die vollständige Blindheit steht in grellem
W^iderspruch mit dem Vorhandensein so vieler optischer
Fasern, und zwar in einem sehr beschränkten Gebiete des
Tractus.
Hieraus ergiebt sich die Unwahrscheinlichkeit, dass die
bestehende Hemianopsie durch die Veränderung im Tractus
verursacht war. Vielmehr sprechen einige Momente dafür,
dass diese Atrophie wenigstens zum Teil sekundär der De-
struktion des Kniehöckers sei.
3. Wir gehen auf die Deutung der Veränderung im
äusseren Kniehocker über. Hier liegt nun im dorsalen und
dorso medialen Abschnitte eine ausgedehnte und recht inten-
sive Veränderung vor. Die Fig. 9. 10. geben davon ein Bild;
besonders ausgeprägt ist die Veränderung um den Schnitt 281
(Fig. 9), aber sie findet sich in einer Ausdehnung von etwa
50 — 60 Schnitten. Auch hier findet sich keine primäre Hiimor-
rhagie oder Malacie, dagegen eine weit fortgeschrittene Atrophie
und Zerstörung, sowohl der Zellen wie der Fasern, und die dor-
sale Kapsel ist in der angegebenen Strecke völlig verschwunden.
Die Ursache der Veränderung sind ohne Zweifel die unmittelbar
dor-sal vom Kniekörper liegenden kleinen Hämorrhagien und
die dadurch bedingte mechanische und chemische Einwirkung
auf den Kniekörper. Dass eine solche fast vollständige Atro-
phie und Zerstörung des Kniekörpers von entsprechender
Funktionsstörung begleitet werden muss, ist von selbst ein-
leuchtend; und Alles spricht dafür, dass der P'unktionsausfall
den dorsalen Quadranten der Retina treffen "^nuss.
Schon im 2. Teil dieses Werkes habe ich die Lage
der verschiedenen Bündel im Nervus und im Tractus opticus
in der Art bestimmt, dass die Bündel der dorsalen Hälften
der Retina dorsal liegen und die der ventralen verhältniss-
mässig ventral. Zu diesen Schlüssen wurde ich durch die
Aneinanderreihung und Zusammenstellung verschiedener kli-
nischer und anatomischer Befunde gedrängt. Diese Schlüsse
sind einerseits durch spätere Untersuchungen von Prof. A.
Pick in Prag für das Kaninchen bestätigt und andererseits
sind einige widerstreitende neue Befunde meines Wissens nicht
prästirt.
W'eiter habe ich auch gezeigt, dass die gekreuzten und
ungekreuzten Bündel im Tractus opticus als getrennte Bündel
bis zum äusseren Kniehöcker verlaufen (Teil I, S. 16), dass
ihre Fasern sich aber innerhalb des Kniehöckers mit einander
mischen. Alles spricht also dafür, dass wir im' dorsalen Ab-
schnitt des Kniehöckers die Fasern der dorsalen Retinahälfte
antreffen müssen und im ventralen die der ventralen Retina-
hälfte.
Die vorhergehenden Untersuchungen stimmen nun sehr
ÜBER DIE BEZIEHUNG DER SEHFASERN ZU DEN CENTRALGANGLIEN
161
schön mit dem Schluss in diesem Falle, dass die Destruktion
des dorsalen Gebietes des Corpus geniculatum eine Quadrant-
Hemianopsie nach unten hervorgerufen hat. Die intensive
Veränderung dürfte auch die totale Blindheit in diesem Felde
erklären können. Was die Ausdehnung in vertikaler Richtung
betrifift, so umfasst die Veränderung kaum die Hälfte des
Ganglions, aber es muss als ungewiss betrachtet werden, in
wie weit auch die nächsten mehr nach unten liegenden Fasern
und Zellen in ihren Funktionen beeinträchtigt werden können.
Die Veränderung nimmt auch nicht die ganze Länge
des Ganglions in sagittaler Richtung ein. Dabei ist zu be-
merken, dass man z. Z. keine Kenntniss hat, wie weit eine
Zerstörung in dieser Richtung sich ausdehnen muss, um eine
komplete Blindheit hervorzurufen. Wir kennen z. Z. zu
wenig von der anatomischen Anordnung der eintretenden
Tractusfasern. Nur ein selten günstiger Zufall könnie unsere
gegenwärtige Kenntniss in dieser Hinsicht befördern. Das nicht
seltene Auftreten von auf den Kniekörper begrenzten Ver-
änderungen verspricht jedoch gute Resultate von mit ge-
wissenhafter Genauigkeit ausgeführten kombinirten klinischen
und anatomischen Untersuchungen.
Endlich bemerke ich, dass die Atrophie auch etwas auf
den .medio-ventralen Abschnitt des Kniekörpers übergegriffen
hat. Dieses Übergreifen kann späteren Datums, spät-sekundär
sein, und man kann sich vorstellen, dass dies der anscheinend
späteren Ausdehnung des Gesichtsdefektes nach oben ent-
spricht.
Die vorliegenden klinischen Daten werden also meiner
Meinung nach durch die Atrophie des dorsalen ümfanges des
äusseren Kniekörpers in genügender Weise erklärt und ohne
den Thatsachen Zwang anzuthun.
4. Endlich ziehen wir in Erwägung, ob die occipitale
Bahn an irgend einem Punkt durch den Destruktionsherd
getroffen ist. Zuerst ist dabei zu bemerken, dass der Herd
in grösserer Ausdehnung an die Sehbahn grenzt oder die-
selbe umschliesst. Die Fig. 11 und 12 zeigen, dass der
Herd in mehr occipitalen Schnitten etwas weiter von der
Sehbahn entfernt liegt, und zwar sowohl vom Kniehöcker
selbst, wie vom Wernicke'schen Feld und der eigentlichen
Sehstrahlung, dagegen in den Schnitten aus dem mittleren
Gebiete des Kniehöckers (Fig. 9 und 10), wo dieses Ganglion
auch in grösserer Ausdehnung affizirt ist, dieser enger sich
anschliesst. Wie der Destruktionsherd die Sehbahn an den
einzelnen Punkten bedroht, geht am besten aus den Abbil-
dungen hervor.
Die Frage ist nun: ist es wahrscheinlich, dass die Fasern
der Sehbahn hier an irgend einem Punkte dauernd so ge-
schädigt sind, dass dadurch eine Quadrant-Hemianopsie mit
vollständiger Blindheit innerhalb des Defekts hatte entstehen
können? Diese Frage ist ohne Zweifel nicht ganz leicht zu
beantworten. Die Fig. 9, wo die Sehbahn am meisten ge-
schädigt ist, zeigt ein recht grosses Feld mit kräftig gefärbten
Fasern und Bündeln. Es macht den Eindruck, dass hier
wenigstens die Hauptmasse der aus dem Kniekörper kommen-
den Fasern einen genügenden Platz finden könnte. Dagegen
lässt sich die Möglichkeit, dass verschiedene aus der dorsalen
Kapsel stammende Fasern bei ihrem Verlaufe vom Kniehöcker
in die Sehstrahlung beeinträchtigt oder durchtrennt gewesen
sein könnten, nicht ohne Weiteres abweisen. Dass in solchem
Falle nur eine verhältnissmässig kleinere Anzahl von Fasern
getroffen sein kann, scheint mir jedoch, in Anbetracht der
grossen Anzahl erhaltener Fasern, höchst wahrscheinlich.
Eine vollständige Quadrant-Hemianopsie mit kompleter Blind-
heit im unteren Quadranten und Beschränkung des oberen
Quadranten dürfte kaum hier ihre Ursache finden.
Gehen wir an der Hand der Abbildungen noch einen
Schritt weiter, so sehen wir nach rechts das durch die hämor-
rhagischen Herde durchlöcherte Gewebe, welches dorso-late-
ral von der Sehbahn liegt. Es senkt sich mit einem spitzen
Au.släufer nach unten und liegt hier zwischen der Sehstrahlung
und dem subkortikalen Mark der ersten und zweiten Tempo-
ralwindung. Von der Lage und Ausdehnung der Destruk-
tion bekommt man am besten einen Überblick beim Betrach-
ten der makroskopischen Abbildungen (Taf. XX, Fig. 2,3,4).
Die mikroskopischen P'iguren sind nach Frontalschnitten des
ventralen Stückes (also der Fig. 4) gezeichnet, und die Aus-
breitung des destruirten Gebietes tritt klarer an den mikro-
skopischen Abbildungen hervor. Wir sehen nun, dass die
Destruktion an dem dorsalsten Schnitte (Fig. 2) bis zur Wand
des Ventrikels vordringt, und die Wand selbst destruirt hat,
wenn auch nur in einer beschränkten Ausdehnung und zwar
gegenüber dem Winkel zwischen und C. Die Stelle liegt
aber mehr dorsal als das Dorsum Thalami. Weiter nach unten
(F'ig. 3) dringt die Cyste mehr nach vorn, aber das Gewebe
sowohl nach vorn wie nach hinten ist geschädigt. Am ven-
tralsten Stück liegt die Cyste ansehnlich mehr frontalwärts,
das Destruktionsgebiet erstreckt sich aber nach allen Richtungen
hin. Hier geben uns die mikroskopischen Abbildungen ge-
nauere Auskunft über die Lage der Destruktion. Die De-
struktion dringt nicht mehr bis zur Wand des Hinterhorns,
sondern lässt die SeJistrahhmg fast vollstätidig frei und dringt
lateral von ihr in die Tiefe. Es sind also fast nur die hier
liegenden Bündel ergriffen und destruirt. In diesen Bündeln
verlaufen meines Wissens keine Sehfasern.
Indessen ist die Sehstrahlung nicht absolut frei. Es fin-
det sich nämlich ein kleiner, i m.m. grosser Herd mit Blut-
pigment an einem Punkte, in der Fig. 12. mit häm. bezeichnet.
Dieser Herd liegt in gleicher Ebene mit der dorsalen Fläche des
Kniehöckers. Ihre kleine Ausdehnung, das reichliche Vor-
handensein normaler kräftig gefärbter Fasern in ihrer unmit-
telbaren Nähe macht es ganz unwahrscheinlich, dass sie einen
solchen grossen Defekt im Gesichtbfelde verursacht haben
könnte. Die mehr dorsal gelegenen Destruktionen können
nicht die Quadrint-Hemianopsie hervorgerufen haben, weil
sie weit über der dorsalen Ebene des Kniehöckers liegen, und
die Sehfasern vom Kniehöcker ohne Zweifel schräg ventral-
wärts verlaufen. Nur Herde, welche in der Ebene des Gang-
lions oder mehr ventral als dasselbe liegen, können die Seh-
fasern treffen.
An den Frontalschnitien durch den Teinporo-Occipital-
lappen zeigt es sich auch, dass der ventrale Abschnitt der
Sehstrahlnng im Ganzen ivenig ergriffen ist (Fig. 5 — 9, Taf.
XX), während der dorsale dagegen mehr oder weniger de-
generirt ist. An den frontalsten Schnitten (Taf. XX. F'ig. 8
\{V2 S. E. HENSCHEN. PATHOLOGIE DES GEHIRNS
und 9) kann man die dorsale Hälfte als degcncrirt bezeichnen;
die ventrale enthält wenigstens noch so viele normale Easern,
dass man annehmen darf, dass sie fungiren kann, also die
Lichteindri^icke genügend leiten. Je weiter nach unten, um
so zahlreicher sind die normalen Easern. Dieser normale
Abschnitt beginnt etwa in der Höhe des ersten Temporal-
sulcus. In dem erhalten gebliebenen /Abschnitt der Seh-
strahlung liegen jedoch nicht wenige kleine atrophische Flecke
(an den Fig. schwarz gezeichnet).
Weiter nach hinten (Fig. 5 und 6), etwa 4 und 3 cm.
vor der Occipitalspitze, senkt sich die Atrophie ventralwärts
und der grösste Teil der Sehstrahlung zeigt eine, wenn auch
nicht sehr ausgeprägte Atrophie, aber jedenfalls ist diese
mehr ausgesprochen in der dorsalen Hälfte.
Wenn auch dieser Befund vieldeutig ist und es über-
haupt schwierig ist, die Grenze und die genaue Lage des
dorsalen Bündels und des ventralen zu bestimmen, so können
wir doch behaupten, dass die Lage und Ausdehnung der
Atrophie nicht mit der oben als wahrscheinlich angenommenen
Ansicht in Streit steht, sondern vielmehr geeignet ist, diese
Ansicht zu stützen, dass hier die der dorsalen Retinahälfte
entsprechenden Fasern am meisten ergriften sind, und dass diese
in der occipitalen Sehbahn dorsal liegen. Je mehr nach hin-
ten um so mehr senken sich diese nach unten. Deshalb senkt
sich auch die Atrophie in den occipitalen Schnitten nach un-
ten und wird mehr ventral als vorn.
Die Ausbreitung der Atrophie spricht auch dafür, dass
die dorsale Lippe der Fissura calcarina der dorsalen Retina-
hälfte, die ventrale der ventralen entspricht. Beweisend in
dieser Hinsicht ist der Fall jedoch nicht!
Die Analyse der vorhande/ien klinischen ThatsacJien hat
also den äusseren Kniehöcker als Piinctiiin Icesionis an der Seh-
bahn nachgexviesen. In der That ist dieses Ganglion die ein-
zige Stelle im Verlauf der Sehbahn, wo eine ausgedehntere
und intensive Läsion vorhanden ist. Die vollständige De-
struktion so"\ohl der dorsalen Kapsel, als der Markleisten und
der Zellen erklärt auch genügend den durch die klinische
Untersuchung mehrmals während der verschiedenen Zeitab-
schnitte bestätigten Defekt im Gesichtsfelde. Zwar nimmt
hier die Läsion nur eine beschränkte Strecke in frontaler
Richtung ein; aber bei der Auffassung, dass die Opticusfa-
sern hier hauptsächtlich in horizontaler sagittaler Riclitung
verlaufen, genügt ja eine selbst kleine Läsion, um einen De-
fekt im Gesichtsfelde hervorzurufen. Am hVontalschnitte
nimmt die Läsion ^/s oder kaum ^ '2 des Durchschnittes des
Kniehöckers ein.
Die dorsale oder dorsoiiiediale Hälfte des Kniehöckers
dürfte also die dorsale Hälfte der Retina vertreten. Das ist
der richtige Schluss aus diesem Falle.
Zweitens ist man berechtigt, aus dem Falle zu schliessen,
dass dieses Gebiet des Kniehöckers die beiden Rctinahälftoi
vertritt, denn die Quadrant-Hemianopsie war bilateral uiid
überhaupt in beiden Gesichtsfeldern von ungefähr gleicher
Grösse und F'orm. Am ""/g 18S9, wo eine genaue Perime-
terkarte aufgenommen werden konnte, stimmte der Defekt
der beiden Augen fast vollständig.
Dasselbe Gebiet des Kniehöckers enthält also Fasern für
homonyme Gebiete der beiden Retinae, ein um so interessanterer
Befund als ich schon 1890 durch rein anatomische Untersu-
chung in einem Pralle mit partieller Atrophie der Opticus-
bahn zu demselben Resultate gekommen war (Vgl. Pathol.
d. Geh., Teil I, P'all Forss). Es findet sich also im äusseren
Kniehöcker diejenige Vermischung der Ea.sern des ungekreuz-
ten und gekreuzten Bündel, also der Bündel der beiden Au-
gen, welche auch die Theorie fordert. Bis dahin verlaufen
diese Bündel, wie ich schon nachgewiesen habe, von einan-
der völlig getrennt (Pathol. d. Geh., Teil I, Taf. IV, Fig.
10. II).
Nicht weniger wichtig ist ein dritter Schluss. Wie die
Perimeterkarten zeigen, existirte nicht vom Anfang der Krank-
heit an eine Quadrant-Hemianopsie. Die Karte N:r I vom
^/g 1889 zeigt dagegen eine homonyme bilaterale Hemianop-
sie mit koncentrischer Einschränkung des übrigen Gesichts-
feldes. Lassen wir nun diese koncentrische Beschränkung
ausser Rechnung, so finden Avir, dass schon nach etwa
2 Monaten ("^"/s 1889) nur eine Quadrant-Hemianopsie zurück-
geblieben ist. In Anbetracht der in der unmittelbaren Nähe
des Kniekörpers stattgefundenen Blutung ist die einzige Er-
klärung, dass der Blutherd zuerst die Leitung in der Sehbahn
völlig aufgehoben hat, und zwar wesentlich durch den Druck.
Da dieser sich verringerte, blieb die ventrale Hälfte des
Kniekörpers und der Sehbahn funktionsfähig, dagegen blieb
eine Quadrant-Hemianopsie bestehen.
Gleichzeitig ist eine dauernde Veränderung im Kniekör-
per eingetreten. Die Elemente sind atrophirt und die Qua-
drant-Hemianopsie wird in Folge dessen dauernd und im
Ganzen unveränderlich. Wenigstens verschwindet sie nicht
und wird nicht geringer.
Bei dem Perimetriren am 8. März und 27. Sept. 1890
und im F>br. 1891 findet sich der gleiche konstante Defekt
in den Gesichtsfeldern, wenn auch Schwierigkeit, in Folge
des Allgemeinzustandes der Pat. vorhanden war, genaue Kar-
ten aufzunehmen. Ja noch im Nov. 1892 und 6 Wochen
vor dem Tode im März 1893 bestand noch hauptsächlich
eine Quadrant-Hemianopsie nach unten.
Die Karte vom 0 1891 deutet jedoch auf eine ge-
wisse Vergrösserung des Defektes auch nach oben, ob als
Ausdruck der mit der Schwäche der Pat. zunehmenden
Verminderung der Sehschiirfe oder aus anderen Gründen,
muss wohl unentschieden bleiben. Vielleicht wirkte dazu auch
eine allmähliche schleichende progressive Bindegewebswu-
cherung, welche von dem Destruktionsherd aus auf das um-
gebende Gewebe übergriff.
Jedenfalls besteht als eine unumstössliche "Thatsache,
dass die Quadrant-Hemianopsie 7vährend mehrerer Jahre —
vom ""/s 1889 bis 1893 — Ganrjen um>crä)idert war.
Eine Verminderung trat nicht ein, eher eine kleine Ausdeh-
nung nach oben.
Diese Thatsache verdient besondere Aufmerksamkeit,
und der Schluss, dass die dorsalen und ventralen Hälften des
Kniehöckers eiiuinder nicht vertreten könne?!, ist völlig berech-
tigt. Es giebt also eine konstante Lokalisation im Kniehöc-
ker, und die verschiedetien Partien dieses Ganglio7is kön?ien
ÜBER DIE BEZIEHUNG DEH SEHFASERN ZU DEN CENTRALGANGLIEN
163
beim Ausfall eines Abschnittes einander nicht vertreten oder
siippliren.
Dieses steht mit dem klinischen Befund, dass es solche
Quadrant-Hemianopsien von unveränderlicher Ausdehnung
während längerer Zeit (Vgl. unten, Fall 14. 15. p. 164. 168)
giebt, im Einklang.
Der Fall zeigt auch, dass eine Blutung im Linsenkörper
und in der inneren Kapsel eine vollständige Hemianopsie
hervorrufen kann. Der schnelle Zurückgang des Defektes im
Gesichtsfeld zeigt deutlich, dass eine solche Hemianopsie
indirekter Natur ist und nur durch Druck veranlasst wird.
Daraus folgt, dass die Capsula interna keine Sehfasern im
eige7itlichen Sinne enthält ■ — sonst wäre die Hemianopsie
dauernd geblieben — eine Ansicht, die ich schon früher
mehrmals ausgesprochen habe.
Im vorliegenden Falle erscheint das ganze Pulvinar in
Bindegewebe umgewandelt, und wenn man einige kleine
Faserbündel aus der ventralen Fläche ausnimmt, scheint jede
Verbindung zwischen dem Opticus und dem Colliculus ante-
rior aufgehoben. Da dessen ungeachtet nur eine Ouadrant-
Hemianopsie bestand, so spricht der Fall dafür, dass die vom
Opticus rjum Collicidus anterior verlaiif enden Fasern nicht
optische, sondern Reflex-Fasern sind.
Wie aus den Abbildungen hervorgeht, war das ganze
Pidvinar in Bindegewebe nmgezuandelt. Der Destrulctions-
herd dringt bis an die optische Leitung heran, nämlich un-
mittelbar an den Nervus opticus, den Kniehöcker, das Wer-
nicke'sche Feld und die Sehstrahlung, ohne dass Blindheit
dadurch entsteht. Dies bekräftigt die von mir schon früher
ausgesprochene Ansicht, dass nur der Nervus opticus, der
äussere Kniehöcker und die von ihm in die Sehstrahlung ver-
lajife^iden Fasern als optische Fasern zu betrachten sind in
dem Sinne, dass durch ihre Verletzung Gesichtsfelddefekte
entstehen.
Alle anderen vom Opticus oder Kniehöcker in verschie-
denen Richtungen verlaufenden Fasern, die zum Sehapparat
gehören, sind als Verbindungs-Fasern oder Reflex-Fasern in
weiterem Sinne zu betrachten. Diese Resultate stimmen voll-
ständig mit den Ergebnissen in einigen früher von mir mit-
geteilten Fällen, wie besonders Fall 8 (Taf XIII, Fathol. III, i)
überein.
Die oben gemachten für die ganze Auffassung der Seh-
bahn und besonders der Funktion des äusseren Kniekörpers
grundlegenden Schlüsse gehen alle von der Voraussetzung
aus, dass die Hauptläsion in dem Kniekörper stattgefunden
hat, und dass hier die optische Leitung durchtrennt ist. Wenn
auch die obige eingehende Analyse der vorliegenden Befunde
meiner Meinung nach zu einer solchen Auffassung führen
muss, dürfte es doch angemessen sein, auch die Möglichkeit
in's Auge zu fassen, dass der Destruktionsherd auf einen an-
deren Punkt der Sehbahn beeinträchtigend oder die Leitung
aufhebend eingewirkt haben möchte. Dabei kann jedoch
eine eventuelle Störung der Leitung im Tractus opticus .selbst
als höchst unwahrscheinlich betrachtet und diese Möglichkeit
ausser Acht gelassen werden. Dagegen lässt sich wohl den-
ken, dass die dorsalen Fasern des Wernicke'schen Feldes,
welche vom dorsalen Abschnitt des Kniehöckers, ja selbst
der Sehstrahlung ausgehen, zerstört oder in ihrer Funktion
wesentlich gehemmt waren.
Wenn dies der Fall wäre, welche Schlüsse dürfte man
dann aus dem Falle ziehen? Meiner Meinung nach folgende.
Zuerst ist zu erinnern, dass jedenfalls nur die dorsalen Fasern
ausser Funktion gebracht sind. Also ist der Schluss berech-
tigt, dass die Fasern der dorsalen Retinahälfte selbst occi-
pital vom Kniehöcker in der Leitung dorsal liegen — eine
Ansicht, welche ich aus anderen klinischen Gründen schon
früher au,sgesprochen habe (Pathol. d. Geh., Teil II, S. 357).
Zweitens folgt, dass die Anordnung der Zellen und der
Dendriten im Kniehöcker eine solche sein muss, dass bei
Zerstörung oder Funktionsunfähigkeit der dorsalen in der oc-
cipitalen Bahn liegenden Sehfasern die Gesichtseindrücke,
welche dem Kniekörper aus der dorsalen Retinahälfte zuge-
führt werden, nicht auf ventral liegende und die ventrale Re-
tinahälfte vertretende Fasern der occipitalen Bahn übergehen
können. Denn in solchem Pralle wäre die untere Quaurant-
Hemianopsie keine während mehrerer Jahre dauernde und
konstante Erscheinung, sondern der Gesichtsfeldsdefekt wäre
verschwunden.
Hieraus geht das bemerkenswerthe und interessante Re-
sultat hervor, dass man aus dem Falle berechtigt ist, diesel-
ben wichtigen Schlüsse hinsichtlich des Baues und der Funk-
tion des äusseren Kniehöckers iu ziehen, die Läsion mag
den Kniehöcker selbst oder die von ihm nach hinten verlau-
fenden Fasern getroffen haben.
A potiori können also die obigen Schlüsse als berech-
tigt und wohl begründet betrachtet werden.
Es besteht also eine konstante und tinveränderliche Lo-
kalisation im äusseren Kniehöcker ; der dorsale Abschnitt des
Ganglions vertritt die dorsale RetinaJiälfte , und die beiden
Hälfte7i des Gaiiglions können einander niclit vertreten oder
suppliren.
Auch in der occipitalen Sehstre hlung liegen die Fasern
der dorsalen. Retinahälfte dorsal im Verhältniss zu denjenigen
der ventralen Ret inahälfte .
S. E, Menschen. Pathologie des Gehirns.
22
164
S. E. RENSCHEN. PATHOLOGIE DES GEHIRNS
Fall 14. J. E. Andersson.
58 Jahre. Gärtner,
Klinische Diagnose: Hemiplegia sin. cum Hemianopsia quadpant.
Zusammenfassung. Der 58-jähr. Fat. hatte d. "/i
1896 einen Schlaganfall mit Lähmung in der linken Seite und
Anästhesie, sowie linksseitiger Hemianopsie, welche bald durch
eine Quadrant-Hemianopsie nach unten links ersetzt wurde.
Diese verminderte sich nach und nach. Die Läsion muss
hier dorsal vom Kniehöcker liegen, und wahrscheinlich seine
dorsale Hälfte drücken. Der Fall zeigt, dass eine Läsion der
dorsalen Hälfte des Kniehöckers eine Quadrant-Hemianopgie
nach unten verursacht, d. h. dass im Kniehöcker eine Lokalisa-
tion besteht, der dorsale Teil entspricht der dorsalem Hälfte
der Retina.
Krankengeschichte.
Wurde am 15. Jan. 1896 in's Krankenhaus aufgenommen
und am 25. April gebessert entlassen.
Anamnese. Die Eltern des Pat. sind seit längerer Zeit
todt. Der Vater soll Alkohol gemissbraucht haben. Nervöse
Belastung soll in der Familie nicht vorgekommen sein, auch
nicht Tuberkulose oder Lues. Pat. hat 6 Geschwister, alle gesund,
ist seit 26 Jahren verheirathet und hat 6 Kinder, alle gesund;
eins starb als kleines Kind an Masern.
Pat. war selbst immer gesund und kräftig, ausgenommen,
dass er als Kind Masern und im Alter von 22 Jahren Lungen-
entzündung durchgemacht hat. Er leugnet Alkohol- und Tabak-
Missbrauch sowie Lues. Er lebte immer unter guten hygiei-
nischen Verhältnissen, aber arbeitete immer streng, und zwar
schon vom 8. Jahre an. Als Gärtner begann er seine sehr an-
strengende Arbeit 5 — 6 Uhr morgens und hielt bis Abend an, er
lag dann oft den grössten Teil des Tages vornübergebeugt oder
trug Wasser. Als er älter wurde vertrug er diese Arbeit nicht
gut und war oft müde oder litt an Schmerzen im Rücken.
Seit 2 Jahren war ihm die Arbeit zu schwer, besonders
seitdem »die Gicht» sich eingefunden. Besonders war das linke
Bein davon angefochten. Allmählich scJnvaiiden seine Kräfte,
und seit dem Herbst 1895 leidet er oft an schwerem Kopfschtnerz.
Das Sehvermögen war immer sehr gut, dagegen das Gehör auf
dem linken Ohr seit mehreren Jahren herabgesetzt. Er litt nie
an Schwindel.
Am Morgen des 11. Januar erwachte Pat. mit schwerem
in der Stirn lokalisirtem Kopfschmerz und fröstelte etwas. Während
des Ankleidens wurde es ihm dunkel vor den Augen, und er war
nahe daran, in Ohnmacht zu fallen. Er erbrach einigemale.
Dessen ungeachtet suchte er zu seiner Arbeit zu gehen, konnte
aber nur bis zum Mittag aushalten und musste nun das Bett
einnehmen.
Er weiss keine Ursache seiner Krankheit anzugeben; an
den vorgehenden Tagen hatte er Schnee geschaufelt.
Er hütete das Bett an den folgenden 2 Tagen, war müde,
hatte kein Fieber aber beständigen Kopfschmerz und Rücken-
schmerzen.
Am 14. Jan. versuchte er aufzustehen, bekam aber Übel-
keit, fühlte sich matt und konnte nur mit Schwierigkeit auf den
Beinen stehen. Während des Ankleidens bekam er plötzlich
einen Sehwindelanfall und wurde ins Bett gebracht. Nachdem
er so eine Weile mit geschlossenen Augen gelegen hatte, kamen
die Kräfte zurück, und er fing an mit seiner Frau zu sprechen.
Die Sprache war lispelnd und blieb so den ganzen Tag. Es
schmerzte ihn in allen Gelenken und der Körper war wie einge-
schlafen, als er den linken Ar7n ausstrecken wollte, bemerkte er,
dass er gelähmt war. Auch das linke Bein schien ihm geschwächt ;
er konnte sich darauf nicht stützen. Übrigens war er bei dem
Anfalle nicht bcwusstlos ; er konnte klar denken, und das Gedächt-
niss war gut. Das Gefühl im linken Arm und Bein war unmittel-
bar bei dem Anfalle bedeutend herabgesetzt, später nicht. Er hatte
keine Zuckungen im Arm oder Bein. Keine Wärme- oder Kälte-
empfindung wurde bemerkt. Vom Gesicht oder Gehör bemerkte
er nichts Abweichendes.
Am 15. Jan. wurde er ins Krankenhaus aufgenommen.
Status praesens (an den zunächst folgenden Tagen).
Pat. ist bettlägrig, liegt auf dem Rücken, ist von kräftiger
Konstitution. Das Fettpolster und die Muskulatur gut. Appetit
und Schlaf sind gut. Darmentleerung und Harnen normal. Der
Harn, klar, von sauerer Reaktion, enthält keine pathologischen
Bestandteile: sp. Gew. 1.018. Der Puls ist klein und weich;
seine Frequenz 72. Die Wandung der Radialarterie ist nicht
sklerotisch. T. afebril.
Subjektive Symptome.
Pat. klagt nicht über Schmerzen; nur dass die »Gicht»
seinen linken Arm und sein linkes Bein anfechte. Der Kopfschmerz
und die Müdigkeit, woran er früher litt, sind verschwunden.
Obj ektive Untersuchung.
Psyche. Das Sensorium ist völlig klar. - Pat. scheint
ein wenig abgespannt und gleichgültig zu sein. Er fasst Alles
richtig und leicht auf. Das Urteilsvermögen und das Gedächt-
niss sind gut. Das Gemüth etwas herabgesetzt. Keine Seelen-
taubheit oder Seelenblindheit.
Aphasie ist nicht vorhanden, weder in Form von Wort-
blindheit noch von motorischer Aphasie. Worttaubheit und Agra-
phie auch nicht. Pat. ist rechtshändig.
Kranialnerven.
I. Der Geruch ist nicht herabgesetzt. Er unterscheidet
gut Kampher, Eau de Cologne u. a. Stoffe.
ÜBER DIE BEZIEHUNG DER SEHFASERN ZU DEN CENTRALGANGLIEN
165
II. Refraktion R. A. 0.5, Myop, S = o.6; L. A. Emme-
tiop S. = 0.7. Kein Astigmatismus.
Gesichtsfeld (s. Perimeterkarte I). Beiderseits ist ^^/'i eine
fast vollständige linksseitige Hemianopsie vorhanden; später vom
^^/i ab nur eine Qitadrant- Hemianopsie nach links unten vor-
handen. Wenn Pat. ermüdet ist oder die Beleuchtung unge-
nügend, geht der Defekt bis zum Mittelpunkt, während die Gren-
zen der übrigen Quadranten unverändert sind. Bei der ophthal-
moskopischen Untersuchung des Augenhintergrunds konnte beider-
seits nichts Krankhaftes entdeckt werden.
III. IV. VI. Die Augenbewegungen normal. Kein Strabis-
mus. Die Pupillen waren bei der Aufnahme des Pat. ungleich,
indem die linke bedeutend erweitert war; noch besteht ein ge-
linder Unterschied. Die rechte ist excentrisch und etwas eckig.
Sie reagiren deutlich auf Licht. Keine hemianopische Pupillen-
reaktion, wenn das Licht auf den blinden Quadranten einge-
worfen wird.
V. Die Sensibilität scheint völlig normal zu sein. Beim
Berühren mit einem Papierstreifen giebt Pat. gleich und deut-
lich die Stelle an. Der Schinerzsinn ist nicht herabgesetzt; auch
giebt er beiderseits Temperaturdifferenzen gleich und richtig an.
VII. Sowohl die oberen wie die unteren Äste des Facialis
sind etwas paretisch, indem die Muskeln sich nicht so kräftig
links wie rechts zusammenziehen. Das Sprechen ist auch jetzt
mehr anstrengend als früher.
VIII. Das Gehör ist auf dem linken Ohr seit vielen Jahren
bedeutend herabgesetzt, und Pat. hört die Taschenuhr nur, wenn
sie unmittelbar an das Ohr gehalten wird. Rechts hört er sie
im Abstände von 7^ Meter. Keine Hallucinationen.
IX. Der Geschmack ist nicht herabgesetzt. Salziges,
Zucker, Essig und Chinin unterscheidet er gut. Keine Hallu-
cinationen. Das Schlucken ist auch normal.
X. Das Athmen normal.
XI. Die Stimme wie früher; das linke Stimmband ist bei
der Abduktion paretisch.
Die Musculi cucuUares und sternocleidomastoidei beiderseits
gleich kräftig.
XII. Die Bewegungen der Zunge gut, sie weicht etwas
nach links ab.
Spinalnerven.
Sensibilität.
Die Sensibilität ist rechts völlig normal, links etwas herab-
gesetzt.
Der Tast- und Drucksi?in ist litiks herabgesetzt. Bestim-
mung mit Scheiben von Hollundermark (Gewicht 2 — 40 m.g.).
Arm und Bein. Drucksinn.
Rechts. Links.
Arme: Flexorenseite. Extensorcnseite. Borsum. Vola.
Oberarm 5 m.g. 5 m.g. 40 m.g. 35 m.g.
Unterarm 3 » 3 * 4° » 4° »
Handgelenk — » 3 » — » 30 »
Hand 3 * 20 » 10 » 40 »
Fingerspitze 10 m.g. mehr als 40 m.g.
Beine :
Oberschenkel 5 m.g. 5 m.g. 30 m.g. 40 m.g.
Unterschenkel 5 » 5 » 20 » 40 »
Fuss IG » 10 » 40 » mehr als 30 »
Der Schmerzsinn ist am linken Arm und Bein etwas herab-
gesetzt.
Der Ortsinn verhält sich ebenso.
Temperatursinn. Pat. unterscheidet eine Temperaturdifferenz
von 3 — 4" C. beiderseits, aber leichter rechts als links.
Der Muskelsinn dagegen scheint völlig normal zu sein.
Pat. erkennt gleich die Lage seiner Glieder.
Rumpf. Am Brustkorbe ist keine deutliche Differenz der
Sensibilität der beiden Seiten nachzuweisen.
Motilität.
Rechts ist die Motilität normal.
Linker Arm. Anfangs war der linke Arm ganz gelähmt,
dann konnte Pat. die Finger nur unbedeutend bewegen; jetzt
kann er mit der Hand Gegenstände fassen und den Arm etwas
heben. Flexion, Extension, Pronation und Supination kann er
noch nicht ausführen.
Linkes Bein. Anfangs konnte sich Pat. auf das linke Bein
gar 7iicht stützen. Jetzt kann er, wenn er unterstützt ist, etwas
gehen, wenn auch mit grosser Schwierigkeit. Beim Gehen schmerzt
das Bein.
Der Tonus ist an den linksseiLigen Gliedern vermindert.
Kontrakturen finden sich nicht.
Reflexe.
Der Cornealreflex ist links bedeutend herabgesetzt, auch etwas
rechts.
Sehnen- und Muskelreflexe sind am linken Arme verstärkt.
Patellar reflex. Links ist er bedeutend verstärkt; am linken
Bein findet sich auch Dorsalclonus, welcher an den letzten Tagen
jedoch bedeutend abgenommen hat.
Keine Cremasterreflexe sind vorhanden.
Vasomotorische Störungen. Der linke Fuss erscheint etwas
kälter als der rechte.
Trophische Störungen finden sich nicht.
Lnnere Organe.
Die Lungen zeigen nichts Abnormes.
ILerz. Keine Vorwölbung. Der Herzspitzenstoss wird
weder gefühlt, noch gesehen. Die Herztöne sind rein, aber
schwach und entfernt. Die Grenzen des Herzens sind nach
rechts bedeutend erweitert.
Bauchorgane und der Urogenitalapparat zeigen nichts Ab-
normes,
16G
S. E. HENSCHEN. PATHOLOGIE DES GEHIRNS
Anders sc
I O Cni
J-S.Änitrise
_l Dem
Quadrant-Hemianopsie (Karte II),
^/a. Quadrant-Hemianopsie (Karte III).
^^/2. Der Allgemeinzustand in den letzten Tagen verschlim-
mert. Pat. ist sehr müde, und die Glieder der linken Seite
schmerzen. Das linke Bein und der linke Arm sind angeschwol-
len. In Folge dessen ist die Motilität nicht gebessert, eher ver-
mindert. Die Sensibilität unverändert. Die Parese des linken
Facialis wie früher. Die Reflexe auch.
rausche. Diffuse Bronchitis. Fieber 38 — 39.5. — Quadrant-
Hemianopsie (Karte IV).
^/s. Schmerzen im linken Arm, welcher unbeweglicher
und angeschwollen ist.
12/
30/
Die Schmerzen seit d. ^/s vermindert.
Quadrant-Hemianopsie (Karte V).
Besserung der Ödeme in den Beinen.
Noch mehr gebessert.
Oedem im Gebiete der linken Venae glutese.
Gesichtsfelder s. Perimeterkarte.
den,
^''/4. Die Quadrant-Hemianopsie fast vollständig verschimn-
und tritt nur bei trübem Wetter hervor.
Gehör: am linken Ohr hört Pat. die Taschenuhr in einem
Abstand von 6 bis 10 cm., am rechten auf 60 cm.
21
wie den
4. Die Perimeteruntersuchung ergab dasselbe Resultat
25
4. Gebessert, entlassen.
Temperatur. Längere Zeit febril.
^^/a. Thrombose des linken Beines.
^^/2. Thrombose auch des rechten Beines. Allgemeinzu-
stand veschlechtert. Herzthätigkeit unregelmässig; keine Ge-
Epikrise.
Kurzer Krankenbericht. Der 58-jährige Gärtner
lebte zwar unter im Ganzen guten hygieinischen Verhältnissen,
hatte nie Alkohol gemissbraucht, noch Lues gehabt; seine
Arbeit war immer anstrengend und während der letzten Jahr
im Verhältniss zu seinem Alter überanstrengend; seit Herbst
1895 oft Kopfschmerz. Am ^^/i 1896 Unwohlbefinden, Dun-
kelwerden vor den Augen, Erbrechen, keine Lähmung; am
Schivindclmifall, die Sprache verändert, Lähmung \m\m.-
ken Arm, Schwäche im linken Bein mit Herabsetzung des
Gefühls. Keine Zuckungen oder Verlust des Bewusstseins.
Status praesens nach dem 1 1896. Bettlägrig, Sen-
sorium klar, keine Aphasie. Kranialnerven: I. nichts; II.
zuerst linksseitige Hemianopsie, dann nur Quadratit- Hemia-
nopsie 7iach unteJi links; III. Pupillen excentrisch nach innen;
V. normal; VII. links Parese; VIII. Gehör links seit längerer
Zeit vermindert; IX. normal; XI, XII. Parese der linken Seite.
Sensibilität: links herabgesetzt, Muskelsinn normal. Motilität:
links: Arm }Daralytisch. Bein paretisch. Reflexe: Corneal-
reflex links sehr, rechts wenig herabgesetzt. Patellarreflex
rechts verstärkt. Herz: dilatirt nach links; ^^/2, ^^/a Throm-
bose in beiden Beinen.
^''/4. Cornealreflexe beiderseits herabgesetzt; die Qua-
drant-Hemianopsie nur bei Ermüdung des Pat. bemerkbar.
ÜBER DIE BEZIEHUNG DER SEHFASERN ZU DEN CENTRALGANGLIEN
167
Diagnose. Art der Läsion. Ob Thrombose oder Hä-
morrhagie hier vorliegt, ist ungewiss. Die Herzdilatation, das
Alter des Fat., das Erhaltensein des Bewusstseins beim In-
sulte, das Fehlen aller Zuckungen, die Thrombose der Beine
sprechen doch für Thrombose.
Lokalisation: Viel spricht für eine Lokalisation in den
Centralganglien der linken Seite; ich verweise in dieser Hin-
sicht auf die Epikrise in den Fällen Jönson (unten N:r i8),
Eriksdotter (N:r 17) u. A. wo ein ähnlicher Symptomenkom-
plex vorliegt. Die auftallende und ziemlich schnelle Besserung
der Sensibilität spricht gegen eine vollständige Zerstörung der
inneren Kapsel. Da anderseits ein Gesichtsfeldsdefekt zuerst
in Form vollständiger Hemianopsie vorhanden war, welcher
nach und nach verschwand, so muss die Zerstörung die Seh-
bahn affizirt haben. Wahrscheinlich liegt also eine Läsion im
Thalamus vor mit Läsion der Capsula interna.
Analyse der Symptome.
Da weder die Art der Läsion, noch die genaue Lokali-
sation des pathologischen Prozesses, da Fat. noch am Leben
ist, mit völliger Sicherheit bekannt sind, werden die Symp-
tome nur kürz analysirt.
Psyche nichts Bemerkenswerthes.
Die Sprache war wahrscheinlich in Folge der Parese der
Zunge etwas lispelnd. Keine Aphasie.
Kranialnerven: I. nichts.
II. Gesichtsst'örungen, s. unten.
III. Die excentrischc Lage der Pupillen habe ich mehr-
mals bei der Hemianopsie beobachtet.
V. Das Fehlen einer Anästhesie deutet darauf, dass die
innere Kapsel nur wenig affizirt ist.
VII. Wie gewöhnlich bei der Hemiplegie sind sowohl
die oberen wie die unteren Äste paretisch.
VIII. Die bedeutende Verminderung des Gehörs auf
dem linken Ohre würde hier mit der angenommenen Lokali-
sation der Läsion im ventralen Abschnitte des Thalamus sehr
gut stimmen, besteht aber hier seit Jahren und hängt also
nicht von dem Insulte ab.
XI. Interessant ist die Parese des li?ikeji Stimmbandes
bei der Abduktion. Solche Paresen habe ich schon oft, wie
mehrmals bemerkt ist, wahrgenommen.
XII. Die linksseitige Parese der Zunge bedarf keiner
Explikation.
Die Sensibilität war wimittelbar bei dem Insulte bedeu-
tend herabgesetzt und kehrte ziemlich bald zurück. Schon
wenige Tage später (Status praesens) konnte der Tastsinn mit
Hollundermarkstückchen genau gemessen werden, und Anfang
April war die Sensibilität selbst der Hand sehr gut ; Fat. be-
merkte dann selbst eine leise Berührung. Dies alles deutet
mehr auf eine indirekte als eine direkte Affektion der inneren
Kapsel. Eine Blutung, welche bald vermindert wird, erklärt
die Symptome fast leichter als eine Thrombose.
Motilität. Fat. zeigte auch eine verhältnissmässig ge-
liride Hemiplegie, Diese wäre ohne Zweifel, wenn nicht der
Allgemeinzustand des Pat. sich so verschlechtert hätte, bald
zurückgegangen. Anfang April konnte Pat. die Hand recht
gut bewegen, und schon früher hatte das Bein seine Beweg-
lichkeit wiedergewonnen.
Die übrigen Symptome bedürfen keiner besonderen Y.x-
klärung.
Gesichtssförnngen.
Der vorliegende P^all hat sein eigentliches Interesse in
dem Erscheinen der Gesichtsstörungen, in dem Verhalten
dieser Störungen und ihrem gradweisen Verschwinden. Kurz-
weg entstand bei dem Insulte eine linksseitige Hemianopsie.
Diese wurde zwar schon am 16. Januar von mir wahrgenom-
men, aber in Anbetracht des schwachen Zustandes des Fat.
wurde eine genaue Perimeterkarte erst am 23. Juni aufgenom-
men (die Karte I). Schon einige Tage später bemerkte ich,
dass Pat. im oberen Quadranten sehen konnte, und am ^^/i
zeigt die Perimeterkarte des linken Auges, dass sich die He-
mianopsie sowohl im unteren wie besonders im oberen Qua-
dranten vermindert hatte. Von nun ab wurde fast alle 2 — -4
Tage perimetrirt, da der Pat. es, ohne sich ermüdet zu fühlen,
vertrug, und er dabei sehr bestimmte Angaben mitteilte.
Bald wurde aber bemerkt, dass die Grenzen, besonders bei
wechselnder Beleuchtung, verschieden angegeben wurden, und
es ging bald aus den Untersuchungen hervor, dass sich oft
Ermüdungsphänomene einstellten. Die Karten an den ver-
schiedenen Tagen zeigen auch gewisse Variationen in der
Ausdehnung der Grenzen ; und zwar besonders dem hemiano-
pischen Quadrantdefekte entsprechend. In diesem Gebiete
zeigte Fat., wenn er ermüdet wurde, einen Defekt, welcher
mit der Ermüdung in der Richtung gegen den Mittelpunkt
zunahm ; und noch Anfangs April (s. Perimeterkarte VI)
zeigte "at. bei Ermüdung einen deutlichen Qtiadrantdefekt,
während er sonst fast bis zur normalen Peripherie sah.
In Ganzen zeigt die Reihe der hier mitgeteilten Peri-
meterkarten, wie der Defekt im Gesichtsfelde zurückging,
wenn auch dazwischen etwas differente Karten vorliegen. In
einer Zeit von 2 Monaten wurde also der Defekt allmählich
bedeutend vermindert.
Die Erklärung dieser Gesichtsstörungen scheint ebenso
leicht wie interressant. Für die Erklärung passt es besser,
eine Blutung im Thalamus, als eine Erweichung anzuneh-
men; bei jener denkt man sich eine Störung der Sehbahn in
Folge eines Druckes, bei dieser in Folge einer Cirkulations-
störung. Aber auch bei der Blutung wirkt wohl der Druck
hauptsächlich durch Störung der Cirkulation in Folge des
Druckes auf die Gefässe. Die Ursache mag nun dieser oder
jener Natur sein, so fragt sich, von welchem Funkte wirkt
die Läsion?
Wenn man sich dabei die anatomische Lage der Seh-
bahn vergegenwärtigt, ist es klar, dass eine JiLalacie oder
BlntiDig überhaupt nur von oben auf die Sehbahn in der Nähe
des äusseren Kniehöckers wirken kann. Die Sehbahn ragt,
wie der Kniehöcker, überhaupt frei an der Basis des Pulvi-
nars hervor. Fast nur eine Geschwulst oder ein begrenzter
Abscess kann sie von unten affiziren; eine Thrombose dage-
gen kaum, wenn sie nicht innerhalb des Ganglions liegt. Eine
Blutung kann von unten auf die Bahn und den Kniehöcker
168
S. E. RENSCHEN.
PATHOLOGIE DES GEHIRNS
nur unter der Bedingung drücken, dass eine freie Blutung im
Unterhorn oder an der Basis cranii existirt. In diesem Falle
kann eine solche Blutung nicht vorliegen, denn sie würde ent-
weder den Tod hervorrufen oder wenigstens von gefahrdro-
henden Symptomen und tiefem Koma begleitet worden sein.
Daraus ergiebt sich also der erste Schluss: die Läsion,
sie mag eine Thrombose oder Blutung sein, liegt dorsal von
der Sehbahn oder dem Kniehöcker und muss von oben die
dorsalen Bündel der Sehfasern affiziren. Die allmähliche Ver-
minderung des Defektes im Gesichtsfelde scheint mir dafür
zu sprechen, dass der mehr voluminöse Kniehöcker eher das
Punctum laesionis sei als der schmale Tractus opticus. Es
dürfte deshalb berechtigt sein zu schliessen, dass eine Läsion
des dorsalen Abschnitts des äiisseren Kniehöckers eine Qna-
drant-Henna)iopsie nach unten hervorrufe.
Dieser Schluss steht in voller Ubereinstimmung mit dem
Befunde im Ealle Esche, wo die Sektion die anatomische Lä-
sion klarlegte.
Die Perimeterkarte I scheint anzudeuten, dass zuerst
nicht der ganze Kniekörper in seiner ganzen Höhe ausser
Funktion gesetzt war, vielmehr, dass der ventralste Abschnitt
noch etwas leitungsfähig war. Allmählich glich sich die Cir-
kulations-, rcsp. Ernährungsstörung aus, und der Gesichts-
defekt verminderte sich. Das mit der Ermüdung des Pat.
wechselnde Resultat beim Perimetriren wird leicht erklärt und
kann als von einer wechselnden Funktionsfähigkeit der Seh-
fasern, resp. Zellen im Kniehöcker aufgefasst werden.
Wir sehen weiter, dass in dem Maasse, der Defekt
sich vermindert, die Spitze des Defektes sich vom Fixations-
punkt entfernt und gleichzeitig neue Sektoren »sehen».
Die Farbenfelder scheinen dem Defekt für Weiss über-
haupt kongruent zu sein.
Das Resultat aus dem Falle ist also: eine Nutritions-
stdrung des dorsalen Abschnittes des äxisseren Kniehöckers
ruft eine Quadrani-Heniiatiopsie nach unten hervor.
Fall 15. Hilda Berg.
35 Jahre. Unverheiratet.
Kilnisehe Diagnose; Lues eepebpi, Hemiplegia sinistpa eum
Hemianopsia partiali.
Zusammenfassung. Wahrscheinlich luetisch inficirt.
Nach vorhergehendem Kopfschmerz, den 26. April 1892
apoplectischer Insult mit linksseitiger Lähmung, Quadrant-
Hemianopsie nach links unten und Ptosis. 1895 bestand noch
die Quadrant-Hemianopsie. Nach Schmierkur verschwand
der Defekt fast vollständig, gleichzeitig mit Besserung der
Lähmung und des Allgemeinbefindens.
Das Gumma lag wahrscheinlich dorsal von dein äusseren
Kniehöcker und hatte den dorsalen Teil des Kniehöckers er-
griffen, und gleichzeitig die Gehörbahn sowie die innere Kapsel.
Wenn dies der Fall war, so beweist der Fall, dass die dorsale
Hälfte des äusseren Kniehöckers die dorsale Hälfte der Retina
innervirt.
Krankengeschichte.
Hilda Berg wurde zweimal im Krankenhause geflegt, i)
vom 29. April 1892 — 15. Juni desselben J.; 2) vom 17. April
1895 — 13. Sept. dess. J., als sie gebessert entlassen wurde.
Anamnese. Keine nervöse Belastung. Vater Alkoholiker,
Mutter lebt gesund, 2 Geschwister leben gesund, i im Alter von
2^/2 Jahren gestorben. Pat. selbst war immer kräftig und gesund;
Gesicht und Gehör waren immer normal. Verneint Alkohol-
missbrauch sowie Lues. Hatte vor 2 Jahren ein Kind, das bald
nach der Geburt starb. Nach Influenza zu Weihnachten 1891
wurde das Gehör auf dem linken Ohr herabgesetzt.
Sie war bis 20. April i8g2 völlig gesund, wo sie sich
müde fühlte und Kopfschmerz bekam. Am 26. April war Pat.
aus und spazierte mit einer Kamerädin, als diese plötzlich be-
merkte, dass Pat. beim Gehen zu schwanken anfing, der Mund
wurde verzogen, und in demselben Augenblick fiel Pat. in die
Arme der Kamerädin. Sie wollte sprechen, aber die Sprache
war so undeutlich, dass sie nicht verstanden wurde. Pat. verlor
nicht das Beunisstsein, sondern erinnert sich deutlich, wie sie
von einigen Vorbeigehenden in ein Kafeehaus und dann nach
Hause geführt wurde. Doch erinnert sie sich nicht, dass die
Kamerädin anfangs ins Lachen gerieth. Abnorme Bewegungen
der Augen sollen nicht vorgekommen sein, sowie auch keine
Zuckungen, auch kein Verdunkeln vor den Augen oder sonstige
unangenehme Symptome; sie wurde nur müde und kraftlos.
In der Heimat verhielt sich nach ihrer Angabe die Krank-
keit ganz wie später; sie hatte nur Kopfschmerz. Wurde am
29. April 1892 aufgenommen.
Bei der Aufnahme wurde Folgendes bemerkt.
Subjektiv. Starke Schmerzen in der rechten Hälfte
der Stirn und im Nacken.
Psyche. Gesichtsausdruck abwesend, Pat. liegt mit ge-
schlossenen Augen und für die Umgebung gleichgültig. Hat
volles Bewusstsein.
Sprache. Die Sprache langsam und nur mit Schwierigkeit.
Keine Aphasie.
K r a n i al n e r v e n. II. Fartielle linksseitige Hemianopsie.
(Karte I). Die Sehschärfe herabgesetzt. Stauungspapille am rechten
Auge.
III. IV. VI. Die Augen nach rechts abgelenkt; sie konver-
giren, wenn auch unbedeutend. Das linke Augenlid herabgefallen,
kann nur wenig gehoben werden. Keine hemianopische Pupillen-
reaktion.
ÜBER DIE BEZIEHUNG DER SEHFASERN ZU DEN CENTRALGANGLIEN
169
V. Die Sensibilität links herabgesetzt. Pat. empfindet erst
ein hartes Andrücken mit einem Papierstreifen.
VII. Paretisch.
VIII. Gehör links bedeutend herabgesetzt.
XII. Die Zunge weicht beim Hervorstrecken nach links ab.
Sensibilität. Tast- und Sclimerzsinn sind am linken
Arm und Bein herabgesetzt. Selbst am Rücken, Bauch und an
der Brust wird nur ein starker Druck empfunden.
Motilität. Bedeutende Parese des linken Arms; Pat.
kann ihn nur unbedeutend bewegen. Das linke. Bein völlig be-
weglich, obschon schwächer als das rechte.
Status praesens Anfang Maj iSq2 (im Auszug).
Bettlägrig, liegt auf der linken Seite. Kein Ödem, Keine
Anzeichen von Lues. Harn normal. Puls gleichmässig.
Subjective Symptome.
Intensive Schmerzen an ei.iem wohlbegrenzten Gebiete,
welches von einer vor der Ohrmuschel gelegten vertikalen Linie,
von der Linea temporalis und dem Arcus superciliaris begrenzt
wird.
Auch über dem Anheftepunkt des M. cucullaris hat Pat.
Schmerzen. Das Sprechen schmerzt sie.
Objective Untersuchung.
Psyche. Ihre Gleichgültigkeit ausgenommen zeigt Pat.
weder psychische, noch Sprachstörungen. Keine Alexie, Seelen-
blindheit oder Seelentaubheit. Keine Hallucinationen. Das
Gemüt ruhig. Das Gedächtniss geschwächt, sie verlegt oft
Gegenstände.
Kranialnerven. I. Geruch normal (geprüft mit Terpen-
tin, Kampher, Alkohol, Essig).
II. Pat. ist Emmetrop auf beiden Augen. S. L. = 0.4.
S. R. = 0.5. Gesichtsfeld etwas 77iehr vermindert links als die
Perimeterkarte I vom ^/s.
Farbensinn normal. Ophthalmoskopie: linkes Auge: Hinter-
grund normal. Rechtes Auge: eine, jedoch nicht sehr ausge-
prägte Stauungspapille.
III. IV. VI. Pupillen gleich gross. Keine hetnianopischc
Pnpillenreaktion; reagiren normal bei Licht und Accommodation.
Die Augeii konvergiren, wenn auch nicht hochgradig. Die Be-
wegungen nach links können vollständig, aber mit Schwierigkeit
ausgeführt werden.
Das linke Augenlid hängt herab.
V. Herabgesetzte Sensibilität. Empfindet nur starkes Drüc-
ken mit einem Papierstreifen. Ortsinn: rechts feiner als links.
An der Stirn kann Pat. Kaltes und Warmes unterscheiden. An
den Wangen schwache Kälte- und Wärmeempfindung.
VII. Parese sowohl der oberen wie der unteren Äste.
Uvula weicht nicht ab.
VIII. Gehör links herabgesetzt; hört die Uhr in einem
Abstand von 40 cm., rechts von 1^/2 Meter.
IX. Normal.
XI. Linkes Stimmband paretisch. Die Stimme heiser — jetzt
besser als bei der Aufnahme.
XII. Zungenabweichung nach links.
Sensibilität.
Tastsinn. Am linken Arm und Bein empfindet sie bei
stärkerem Druck den Unterschied zwischen dem Knopf und der
Spitze einer Stecknadel.
An der Brust, am Bauche und am Rücken ist der Tastsinn
feiner.
Ortsinn. Am linken Arm und Bein kein Resultat mit dem
Aesthesiometer, empfindet nur eine Spitze.
Schmerzsinn. Pat. ist empfindlicher links als rechts, und
Pat. empfindet hier das Drücken sehr unangenehm.
Temperatursinn am linken Arm und Bein: kann nicht
Kaltes oder Warmes unterscheiden, empfindet beide als Schmerz,
selbst eine T. von -f 20° C., die sie rechts als angenehme Kühle
empfindet. Erst Wasser von 60" C. schmerzt. Ebenso an dem
Rumpf.
Muskelsinn links und rechts recht gut.
Elektrische Reaktionen (ausgeschlossen); beiderseits ziemlich
gleiche Reizbarkeit.
Motilität.
Unvollständige Parese des linlen Armes. Die Bewegungen
mit jedem Tage gebessert.
Im linken Bein eine gewisse Schwäche, aber keine aus-
gesprochene Parese. Keine Zuckungen.
Reflexe. Patellarreflexe links verstärkt; kein Dorsalklonus.
Cubitalreflexe schwach. Plantarreflexe leicht hervorzurufen.
Blase und Rectum — normal.
Vasomotorische und trophische Störungen: die Muskeln des
linken Armes schlaff.
Innere Organe.
Von Seiten des Herzen, der Leber, der Lungen nichts Ab-
normes.
Pehandlung : Schmierkur.
Tagesnotizen: ^jü. Allgemeinzustand besser, ^/j. Spricht
ohne Schmerzen.
■*/:-). Arm mehr beweglich. Augenbe7t'egungen- normal.
'^/s. Kopfschmerz heute gelinder. Die Stärke des Armes
erhöht. Quadrant-Hemianopsie (Karte II).
*/5. Das Sprechen schmerzt. Das rechte Augenlid oedematös.
Die Sensibilität ati der linken Gesichtshälfte fast wie rechts,
am linken Arm gebessert. Empfindlichkeit für Massage vermindert.
Die Anästhesie auf der linken Seite besteht noch, ist aber schwach.
170
S. E. RENSCHEN. PATHOLOGIE DES GEHIRNS
'^/.'). Kein Kopfschmerz. Der linke Arm kann fast alle
Bewegungen ausführen.
^•'/.'.. Geht nur schwierig; fühlt nicht, wie sie das Bein
setzt, ^"'jä. Geht etwas.
"'/•T- Frei von Kopfschmerz, ^^/s. Gesichtsfeld s. Perimeter-
karte III.
^^/s. Besserung.
^"je. Wesentlich gebessert, entlassen. Pat. ist 30-mal ge-
schmiert. Ausserdem Jodkalimn.
Seit dieser Zeit ist ihr Zustand aUinäJilicJi gebessert. Sie
fühlte sich gesund und arbeitsfähig, die Augenlider hoben sich,
und die Schiefheit des Gesichts verschwand ; nur waren das Gefühl
und die Motilität in der linken Seite etwas herabgesetzt. Aber
auch diese Symptome scheinen sich bedeutend gebessert zu haben.
Inzwischen war das Gedächtniss etwas schlaff, und in der
Zwischenzeit erschienen kleine Anfälle von Zuckungen und Kälte-
geJuJil in der linken Körperhälfte. Diese Anfälle kamen des
Tages ohne bekannte Ursache; Pat. fiel dabei nie um.
Sie wurde am 17. April 1895 von Neuem in's Kranken-
haus aufgenommen.
Tagesnotizen, ^^ji. Subjektiv, Zuckungen im linken Arm
und Bein; objektiv nicht warzunehmen.
^°/4. Kältegefühl in der linken Seite.
^^ji. Ohne äussere Ursache traten kleine Zuckungen im
linken Arm und Bein ein, und zwar gleichzeitig. "Während der
Untersuchung der Sensibilität wiederholte und stärkere Zuckungen
ohne sonstiges Unwohlsein.
-'/t. Schmerzen in der linken Seite beim Athmen.
Status praesens 23.-27. April 1895 (im Auszug).
Kräftiger Körperbau; geht umher. Allgemeinzustand gut.
Subjective Symptome.
Subjektives Befinden gut, ausgenommen dass sie fühlt, dass
es in ihr »arbeitet». Im linken Arm und Bein Kältegefühl und
Vertaubungsgefuhl. Keine Hallucinationen.
Objective Untersuchung.
Psyche: im Ganzen gut. Gedächtniss etwas schwach;
etwas abwesender Ausdruck. Keine Aphasie.
K r a n i a 1 ne r V en. I. Geruch beiderseits gut.
II. S — 0.9 beiderseits. Gesichtsfelder s. die Karte IV
vom ^^/4. In dem Quadrant-Defekt scheint nicht die Lichtperception
vollständig aufgehoben zu sein. Augenhintergrund: links normal,
rechts etwas abweichende Papille.
III. IV. VI. Pupillen normal, reagiren. Keine hemi-
anopische Pupillenreaktion. Bewegungen der Augen normal.
V. Links ein wenig herabgesetzte Sensibilität für Be-
rührung.
Schmerzsinn: links ein wenig Hyperalgesie.
VII. Normal.
VIII. Gehör links nur ein wenig geschwächt.
IX. Normal.
XI. Kontraktur im linken Stimmband! Die Stimme etwas
heiser. Sternocleidomastoidei und CucuUares normal.
XII. Zunge weicht etwas nach links ab.
Spin al nerven.
Sensibilität.
Tastsinn und Ortsinii sind links vermindert an den Gliedern;
am Rücken kaum.
ScJunerzsinn : links Hyperalgesie.
Muskelsinn : normal.
Elektrische Reizbarkeit: gesteigerte R. links.
Motilität.
Ann: linker Arm geringere Parese.
Bein: schleppend aber recht kräftig. Keine Ataxie. —
Geringe Kontraktur.
Reflexe. Patellarreflexe beiderseits verstärkt. Kein Clonus.
Abdominalreflexe: nicht wahrgenommen.
Vasomotorische Störungen : Die linken Gliedmaassen kälter
als die rechten.
TropJiische Störungen: die linke Hand auffallend kleiner als
die rechte.
Innere Organe: Herz, Lungen, Bauch ohne Befund.
Ordination: Schmierkur 5 g.m. und Jodkalium bis 8 gm.
täglich.
Im Mai trat Besserung der Symptome ein.
Im Sommer wurde der Allgemeinzustand der Pat. allmählich
gebessert, und im Sept. wurde bei der Untersuchung folgendes
bemerkt.
ÜBER DIE BEZIEHUNG DER SEHFASERN ZU DEN CENTRALGANGLIEN
171
Status praesens "/o 1895 (im Auszug).
Der Allgemeinzustand Uberhaupt gut wie auch innere Or-
gane.
Subjektiv fühlt sich Pat. bedeutend besser als im Frühling.
Kein Schwindel, Erbrechen oder Kopfschmerz.
Objektiv. Psyche: Aussehen lebhafter, Auffassung nach
eigner Angabe schärfer und Gedächtniss besser. Die im Frühling
vorhandene psychische Schlaffheit verschwand nach Angabe der
Pat. schon im Juni. Früher fühlte sie immer einen unange-
nehmen Druck im Kopf. Sie wurde dabei gezwungen, den Kopf
unbeweglich zu halten; sonst bewegten sich die Gegenstände
vor ihren Augen. Nach dem Verschwinden der Schlaffheit hatte
sie starken Kopfschmerz.
Sie empfindet nicht mehr, dass es im Körper »arbeitet»;
hat auch keine Zuckungen mehr.
Sprache normal, geschieht nunmehr ohne Schwierigkeit.
Kranialnerven. I. Geruch beiderseits gleich und scharf;
kann jedoch die verschiedenen riechenden Stoffe nicht benennen.
II. S. L. = 0.8. S. R. 0.8. Gesichtsfeld s. die Karte V.
LA. Si'-—. I Ocm. ■'
Augengrund: rechts: die Gefässe der rechten Papille mit etwas
weniger scharfen Grenzen. Links: normal.
III. IV. VI. Pupillen gleich, reagiren auf Licht und bei
der Accommodation. Sie sind nicht so gross wie früher. Augen-
stellung und Bewegungen normal.
V. Gesicht etwas schief.
Sensibilität. Pat. empfindet die linke Seite in anderer
Weise als die rechte, wie — kann sie nicht sagen. Das linke Bein
wird beim Hängen des Beins taub. Keine Parästhesien.
Motilität. Der Jinke Arm gewöhnlich in leichter Kon-
traktur-Stellung. Pat. kann ihn jedoch ausstrecken. Die linke
Hand macht stets kleine Bewegungen, besonders wenn Pat. sich
bemerkt glaubt.
Der Gang ist etwas eigenthümlich und das linke Bein
schleppt und wird unbeholfen bewegt. Pat. fühlt den Unter-
schenkel und das Fussgelenk steif.
Vasomotorische Störungen. Die linke Hand und der linke
Fuss kalt, feucht.
Trophische Störungen. Der linke Arm etwas atrophisch.
^^/o. Pat. ist wesentlich gebessert, wird entlassen.
1896. Pat. befindet sich gut. Ist hemiparetisch.
Epikrise.
Kurzer Krankenbericht. Die 32-jähr. Pat. hatte
vor 2 Jahren geboren. Das Kind starb bald nach der Geburt.
5. E. Hen sehen. Pathologie des Gehirns.
Verneint Lues. Weihnachten 1891 wurde das Gehör links
herabgesetzt. Am 20. April 1892 rechtsseitiger Kopfschmerz,
d. 26. dess. M. plötzlich Insult mit Lähmung der linken Seite,
ohne Verlust des Bewusstseins. St. praes. Anfang Mai. Etwas
schlaft", schwerer Kopfschmerz. Kranialnerven. II. Linkssei-
tige Quadrant-Hemianopsie nach unten. Stauungspapille rechts.
III, IV, VI. Augen nach rechts abgelenkt, konvergiren, spä-
ter keine Deviation. Augenlid finks herabhängend. VII. Links
Parese. VIII. Gehör links vermindert. XI. Linkes Stimm-
band paretisch. XII. Links Parese. I. u. IX. Normal. Sen-
sibilität: links vermindert. Motilität: linksseitige Hemiparese.
^/s. Rechtes Augenlid herabhängend. — Unter Schmierkur
Besserung. ^^ 'U. Gebessert entlassen. Seitdem allmähliche
Besserung, aber gelinde Anfälle von Zuckungen traten auf;
die Parese verschwand nie, und Pat. wurde in s Krankenhaus
am ^''/4 1895 aufgenommen.
St. praes. Ende April. Allgemeinzustand gut, aber ab
und zu Zuckungen im linken Arm und Bein. Psyche: etwas
abwe-send, aber besser als im J. 1892. Kranialnerven. II.
Ouadrant-Hemianop.sie nach links unten. III, IV, VI. Keine
Deviation. V. wenig verminderte Sensibilität links. VII. Nor-
mal. VIII. Gehör links kaum vermindert. XI, XII. Links
Parese. Sensibilität sonst links etwas herabgesetzt. Motilität
links : etwas Parese mit Kontraktur. — Schmierkur. Besserung.
Im Sept. war die Quadrant-Hemianopsie wesentlich ver-
schwunden und sowohl die Psyche wie auch die übrigen
Symptome gebessert, ^''/g 1895. Entlassen.
Diagnose. Art der Läsion. Das Alter und einige
hinsichtlich der Pat. bekannte Umstände machten es schon
li'aJirscJieijilicJt. dass Lucs vorlag; dazu kam, dass ihr Kind
ohne bekannte LTrsache bald nach der Geburt gestorben war.
Da ferner Herzfehler nicht vorhanden war, eine Blutung un-
wahrscheinlich schien, und Thrombose auch in Anbetracht
des Alters und der kräftigen Konstitution ausgeschlossen
wurde, so war nur an Lues zu denken. Die Entwickelung
des Insultes, der vorhergehende intensive, wohl lokalisirte
Kopfschmerz und das Fehlen der Bewusstlosigkeit machten
dieses auch wahrscheinlich. Endlich bestätigte die Lhiter-
suchung diese Ansicht. Das Ergriftensein des Oculomotorius
(die Ptosis, der Strabismus), die Gehörstörung und endlich
die psychische Depression und die Stauungspapille im rech-
ten Auge machten die Diagnose ganz- sicher. Die auftallende
Besserung unter specifischer Behandlung bestätigte weiter die
Richtigkeit der Diagnose.
Lokalisation der Krankheit. Bei der Analj'se der
Symptome wurde es bald klar, dass alle diese Symptome bei
der Annahme nur eines kranken Herdes nicht genügend er-
klärt werden. Die Symptome bilden zwei Gruppen. Zuerst
deuten einige Symptome auf eine Lokalisatioii in der NäJie
der Basis cranii oder des Ursprimgs des Oculomotorius.
Diese Symptome sind die während längerer Zeit bestehende
Gesichtsstörung in Form von quadrantischem Defekt, weiter die
Ptosis und die Ablenkung der Augen. Also waren sowohl
die Sehbahn, wie verschiedene Aste des Oculomotorius inter-
essirt. Die Frage ergiebt sich dann: können auch dadurch
23
172 S. E. RENSCHEN. PATHOLOGIE DES GEHIRNS
die deutlichen psychischen Symptome, der begrenzte schwere
Kopfschmerz und die linksseitige Hemiparese erklärt werden?
Dass es sich so verhalten kann, ist nicht zu leugnen. Die
psychische Depression könnte ja durch den Kopfschmerz und
durch den von der gummösen Gesch\\ ulst ausgeübten Druck,
welcher sich u. A. durch die Stauungspapille kund giebt, her-
vorgerufen werden. Andererseits könnte die Hemiplegie und
Hemianästhäsie dadurch erklärt werden, dass das gummöse
Exsudat den rechten Pes cerebri umgab und dort eindrang.
Aber dabei muss daran erinnert werden, dass der Kopfschmerz
an ein ganz bestimmt lokalisirtes Gebiet an der rechten Kopf-
hälfte verlegt wurde, und dass die psychische Verstimmung
die Gedanken auf eine kortikale Lokalisation führt. Die wich-
tig.ste Stütze für diese kortikale Lokalisation trat indessen
später hervor, als die '/Aickiingen in Ann und Bein erschie-
nen. Es unterliegt keinem Zweifel, dass diese unfreiwilligen
Zuckungen auf einen Reiz der Rinde beruhten ■ — und als
eine Form von Jackson'scher E^pilepsie aufgefasst werden
können.
Wir müssen also eine multiple Läsion annehmen, teils
an der Basis oder in den rechten Centralganglien, teils in der
Rinde. Dieses multiple PLrscheinen stimmt auch gut, wie
bekannt, mit der Natur der cerebralen luetischen Prozesse.
Analyse der Symptome.
Psyche. Die psj^chischen Symptome waren nicht von
Hallucinationen oder Parästhesien begleitet, ausgenommen dass
Pat. beobachtete, dass es in ihr »arbeitete». Dieses »Ar-
beiten» dürfte wohl durch innere nicht näher lokalisirbare
Parästhesien bedingt .sein.
Sprache: ging anfangs nur .schwierig vom Statten, spä-
ter nach der Behandlung leichter.
Kranialnerven. I. Bemerkenswerth war, da.ss ^«<?.yw?V,
ungeachtet der basalen Lokalisation, nicht beobachtet wurde.
II — IV. Die Gesichtsstörungen werden unten abgehan-
delt im Zusammenhang mit den Störungen vom Oculomoto-
rius und Acusticus.
VII. Die linksseitige Facialisparesc braucht keine be-
sondere Analyse.
XL Ungewöhnlicher ist die Parese des linken Stimni-
bands, besonders wenn man eine kortikale Lokalisation an-
nimmt. Später wurde eine Art von Kontraktur beobachtet.
Indessen habe ich mehrmals in diesem Werke die Aufmerk-
samkeit darauf gerichtet, dass die Seltenheit der Beobachtun-
gen hinsichtlich der centralen Stimmbandparcsen eigentlich
nur von mangelnder Genauigkeit bei der klinischen Untersu-
chung abhängt. Die Stimmbandparesen sind bei Hemiplegien
sehr häufig — ja fast die Regel. Die Parese wird haupt-
sächlich bei der Abduktion bemerkt, und zwar mehr als eine
Schwäche als eigentliche Paralyse. Eine spätere Kontraktur
wird sehr selten beobachtet.
XII. Die Abweichung der Zunge erklärt sich in gewöhn-
licher Weise.
Sensibilität und Motilität boten nichts Abweichendes
dar, ausgenommen dass Anfälle von Zuckungen eintraten,
welche auf eine kortikale Lokalisation deuteten.
GesicJitsstörungen .
Die Form der Sehstörung, resp. des Gesichtsfeldsdefek-
tes, war eine ungewöhnliche, nämlich die einer Quadrant-
Heniianopsie nach unten. Die 5 in den Text eingedruckten
Karten illustriren die Entwickelung und den Zurückgang die-
ses Defektes. Aus diesen ergiebt sich, da.ss der Gesichts-
feldsdefekt zuerst (am •''/n, Karte I, also etwa 7 Tage nach
dem Insult) teils fast den ganzen unteren Quadranten, teils
einen nicht unbedeutenden Abschnitt, nämlich den peripheri-
schen, auch des oberen Quadranten umfasste, und zwar ziemlich
gleich auf beiden Augen. Bei der nächsten Prüfung i^jh,
Karte II) war der Defekt etwas kleiner, was aber darauf be-
ruhen kann, dass die Karte I bei trübem Wetter aufgenom-
men wurde, während die Luft bei der Aufnahme von Karte
II klar war. Ende Mai 1892 war der Defekt fast unverän-
dert (Karte III). Als Pat. am 17. April 1895 nach dem Kran-
kenhause zurückkam, war der Defekt (^■*/4, Karte IV) wenig
verändert auf dem rechten Auge, doch nicht so ausgesprochen,
und auf dem linken umfasste er hauptsächlich den unteren
Quadranten. Nach der Inunctionskur dehnte sich das Gesichts-
feld so aus, dass es im September (^"/g, Karte V) fast nor-
mal war; nur eine unbedeutende konccntrische Einschränkung
bestand noch.
Hauptsächlich bestand also vom Anfang an eine Qua-
drant-Hemianopsie nach unten. Solche Defekte sind über-
haupt recht selten.' Solche Fälle sind von mir (Teil II und
oben), von Morris, LLuti, MarcJiand (Teil II, S. 269, 339, 245)
u. A. mitgeteilt. Die Analyse im Teil II zeigt, dass sie also
an jedem Punkt der Sehbahn entstehen können und über-
haupt nicht für einen gewissen Abschnitt pathognomonisch
sind. In diesem Falle zeigen die begleitende Ptosis und die
Hemiplegie, dass die Lä.sion in den vorderen oder mittleren
Abschnitt der Sehbahn verlegt werden muss. Hier dürfte
also irgendwo ein gummöses Exsudat oder eine Geschwulst
vorhanden sein. Schoeler hat auch einen ähnlichen P'all von
Lues mit quadrantischem Defekt mitgeteilt. Wo aber liegt
hier die Läsion? Das bilaterale F>scheinen des Defekts und
das Fehlen einer bitemporalen LIemianopsie sprechen kräftig
für die Lage der Läsion occipital vom Chiasma. Die genau-
ere Lage kann mit i'ollständiger Sicherheit 7iicht bestimmt
luerden, aber das Fehlen einer hemianopischen Pupillenreak-
tion spricht für das Verlegen in einen mehr occipitalen Punkt
als den Tractus opticus. Auch das Erscheinen eines nur
partiellen Defektes macht es in gewissem Grade wahrschein-
lich, dass der schmale Tractus nicht der Sitz der Läsion sei.
Hier scheint es nämlich, als ob das Exsudat den schmalen
Streifen am liebsten ganz umfas,sen und ausser Inmktion set-
zen sollte; und wenn eine Geschwulst von dem Basalbeine auf
den Tractus übergreift, so werden wahrscheinlich zuerst die ven-
tralen Tractusfasern betroffen und es wird also eine Quadrant-
Hemianopsie nach oben eintreten. Es ist mir nun aufgefallen,
dass Pat. eine Zeit früher, zu Weihnachten, auf dem linken
Ohr taub wurde; zwar sagt Pat., dass dies nach Influenza
eintrat, aber es passt so ausserordentlich gut, anzunehmen,
dass diese Taubheit in der That das erste Zeichen der wach-
senden Gummageschwulst war, dass ich zu einer solchen
ÜBER DIE BEZIEHUNG DER SEHFASERN ZU DEN CENTRALGANGLIEN
173
Deutung geneigt bin, ohne etwas in dieser Hinsicht für sicher
zu halten.
Wenn diese Deutung richtig ist, dann müsste ein Gum-
ma in den Centraiganglien angefangen haben, und zwar in
der Gehörbahn, also in der Gegend etwas dorsal von dem
inneren Kniehöcker und von dort die Sehbahn und auch den
Oculomotorius angegriffen haben. Die Ablenkung der Augen
und der Strabismus scheint eher die unmittelbare F"olge des
Insultes als nothwendigerweise ein Zeichen einer Infiltration
des Oculomotorius zu sein, denn sie waren vorübergehend.
Dagegen muss die länger dauernde Ptosis erst des linken,
einige Tage später, ^/s, des rechten Augenlids wohl von einer
Läsion des Oculomotorius (central oder peripherisch ?) abhängen.
Es scheint mir also am wahrscheinlichsten, dass der
Prozess in den Centraiganglien dorsal von den Kniehöckern
angefangen, und sich dann nach unten ausgedehnt habe. Da-
durch lä,sst sich die vorhandene Quadrant-Hemianopsie nach
unten leicht in vollständigen PZinklang mit den übrigen hier
von mir mitgeteilten Fällen bringen. Dafür spricht auch,
dass bei der Besserung der Fat. nach der ersten Inunctions-
kur doch noch diese ventrale Hemianopsie (^^/i 95, Karte IV)
bestand. Dies deutet auf einen Anfangspunkt dorsal von
der Sehbahn.
Der Angriffspunkt auf die Sehbahn dürfte also Jiaupt-
sächlich der äussere Kniehöcker sein und zwar dürfte beson-
ders der dorsale Teil des Ganglion ergriffen sein, ganz wie
in den Fällen Esche und J. E. Anderson. Wenn diese Lo-
kalisation vorhanden war, so spricht der Fall für die im Falle
13 Esche bewiesene Ansicht, dass der dorsale Abschnitt des
Kniehöckers die dorsale Hälfte der 'Retina innervirt. Jeden-
falls muss diese Analyse nur als hypothetisch berechtigt auf-
gefasst werden, da die Sektion nicht vorliegt.
Fall 16. Hinrichsen.
57 Jahre. Arbeiterin.
Tafel XVII. Fig. 5—7. Tafel XIX. Fig. 13.
Klinische D.iagnose: Hemlplegla, Hemlanaesthesia et Hemianopsia
dextpa, Pneumonia dextpa.
Maria Hinrichsen aus Hamburg.
Zusammenfassung. Die 57-jährige Arbeiterin wurde
am ^''/ö 1892 von einem Schlaganfalle mit rechtsseitiger
Lähmung und Anästhesie betroffen, "''/s wurde eine Hemi-
anopsia homonyma dextra bilateralis mit koncentrischer Ein-
schränkung der erhalten gebliebenen Gesichtsfeldhälften be-
merkt. 28/5. Tod.
Die Sektion wies im dorsolateralen Abschnitt des Pulvi-
nars und des Thalamus im hinteren Teile der Capsula interna
eine Hämorrhagie nach, welche einen Druck auf den äusseren
Kniehöcker ausgeübt hatte.
Die Hemiplegie und Hemianästhesie werden durch die
Zerstörung der Capsula interna erklärt, die Hemianopsie da-
gegen durch den Druck auf den äusseren Kniehöcker.
Die Krankengeschichte und das Gehirn sind mir vom
Herrn Doktor H. Wilbrand in Hamburg gefälligst überlassen
worden.
Anamnese. Will früher stets gesund gewesen sein; vor
4 Tagen (^^/s 1892) apoplektischer Insult, angeblich keine Sprach-
störungen, Lähmung der rechten Körperhälfte.
Status praesens den 21. Mai 1892.
Robuste, sehr herabgekommen aussehende Person, in massi-
gem Ernährungs-Zustand; von Ungeziefer herrührendes Eczem
auf Brust und Rücken,
Zunge stark belegt; kein Appetit. Abdomen nicht schmerz-
haft.
Herz ohne Befund: leise, aber reine Töne,
Pathol. anatom. Diagnose: HaBmoprhagla thalaml sinlstpl.
Lungengrenzen erweitert; keine Dämpfung; diffuse feuchte
Rasselgeräusche; kein Husten oder Auswurf. Kein Fieber. Puls
leidlich voll, nicht beschleunigt, nicht übermässig rigid. Respira-
tion oberflächlich, beschleunigt. Temporalarterie stark geschängelt.
Urin fr°i von Albumin.
Psyche: Sensorium frei, geringe Kopfschmerzen.
Sprache deutlich.
Kranialnerven. III. Pupillen gleich weit, reagiren.
Augenlidränder geröthet, die Conjunctiva stärker injicirt.
VII. Stirnrunzeln möglich, die Augenlider können fest
geschlossen werden. Rechte Nasolabialfalte verstrichen.
XII. Zunge weicht beim Herausstrecken nach rechts ab,
Sensibilität. Völlige Anästhesie sämmtl. gelähmter Teile,
Beim Durchstechen ganzer Hautfalten zuckt Pat. mit dem Mund,
behauptet jedoch nichts zu fühlen.
Motilität. Rechter Arm völlig schlaff, kann durchaus
nicht bewegt weiden, fällt nach dem Emporheben sofort wieder
hin. Keine Kontraktur.
Rechtes Bein ebenso.
Reflexe. Patellarreflexe fehlen beiderseits. Plantarreflex
rechts sehr lebhaft. Tricepsreflexe beiderseits schwach.
Keine Blasen- oder Mastdarmstörungen.
■ ^'^/.-i. Seit gestern Abend lässt Pat. Alles unter sich. Sen-
sorium frei. Sehr geringe Nahrungsaufnahme.
Abends Temp. 38°. Pat. klagt über Schmerzen in der
linken Schulter.
174 S. E. RENSCHEN. PATHOLOGIE DES GEHIRNS
Linke Lunge: hinten oben bis zur Spina scapulre und auch
noch unter derselben SchallverkUrzung gegen rechts.
Hier, namentlich nach Hustenstössen, dichte feuchte Rassel-
geräusche; sehr scharfes (vesikuläres) Atemgeräusch. Klagt Uber
heftige Kopfschmerzen.
^^/u. L Geruch: rechts o., links gut.
II. Hcniianopsia dcxtra lioiiionyma Inlateralis (s. Perimeter-
karte. Pat war sehr angegriffen; das rechte Auge wurde zuerst
untersucht) rechtsseitig komplete Hemianopsie mit koncentrischer
Einschränkung der erhalten gebliebenen Gesichtsfeldhälften; Far-
ben erkannt. Ophthalmoskopischer Befund normal.
III. IV. VI. Linke Pupille etwas weiter als die rechte;
Reaktion prompt. Corncalreflexe rechts sehr herabgesetzt gegen
links.
VII. Facialis rechts schwächer als links.
VIII. Gehör links: Taschenuhr auf 5 Fuss. Rechts wird
Taschenuhr nicht gehört. Kopf knochenleitung links (?) desgleichen.
IX. Geschmack auf der rechten Zungenseite herabgesetzt.
Sensibilität: Totale Hemianästhesie, inklusive Schleimhäute.
Verlust des Lagegefühls.
Motilität: Schlaffe rechtsseitige Lähmung.
"Vä. Temp. 39.2°. Keine ausgesprochene Schallverkürzung.
Einzelne Rhonchi in diffuser Ausbreitung. Pat. ist völlig bei Be-
wusstsein; Sprachvermögen wie zu Anfang; Puls beschleunigt,
klein.
^''/s. Leichtes Coma. ^^/s. Exitus letalis.
Sektion.
Schlaffe Infiltration im unteren Teil des linken Lungen-
Oberlappens. Allgemeine Arteriosklerose.
D as Gehirn.
Die Pia lässt sich überall von der Rinde leicht ablösen,
vmd zeigt keine bemerkenswerthen Veränderungen.
Die Oberfläche zeigt kurzweg keine Veränderungen. Die
Rinde ist überall fest, nicht verfärbt.
Die linke Hemisphäre
wurde in Frontalscheiben geschnitten. Die Schnittflächen zeigten
nur in den Centralganglien Veränderungen.
Centraiganglien.
Ln linken Thalamus und Piilvinar findet sich ein grosser
hämorrhagischer Herd, welcher den dorsolateralen Abschnitt des
Ganglions einnimmt.
Ptilvinar. An den hintersten Schnitten, etwa 8 cm. vor
der Occlpitalspitze (Taf. XVII, Fig. 7) liegt der Herd im dorso-
lateralen Umfange, dringt nach oben bis zum Ependym, welches
etwas abgehoben ist, nach aussen bis zur Kapsel des Pulvinars.
Die Grösse, Form und Lage ersieht man an der Abbildung.
Der vertikale Durchmesser ist 15 — 19 m.m., der frontale 12 — 14.
Lateral vom Herd ist das Mark mit zahlreichen kleineren Hämor-
rhagien durchsprenkelt, nach innen ist die Grenze ziemlich scharf
Der Herd ist etwa 3 — 4 m.m. von der ventralen Fläche des
Pulvinars entfernt.
g cm. vor der Occlpitalspitze (Taf XVII, Fig. 6) ist der
Herd grösser, etwa 2 — 2.5 <'-™- vertikaler Richtung und fast
3 cm. breit; er hat den Thalamus, die Capsula interna und das
Putamen vollständig zerstört, so dass man die verschiedenen
Teile nicht mehr von einander unterscheiden kann. Die untere
Grenze fällt beinahe mit der des Putamens zusammen.
Nucleus ruber nicht direkt berührt.
Auch die Ansa lenticularis ist nicht zerstört, und vom
Tractus ist die untere Grenze des Herds 7 — 8 m.m. entfernt.
Der Tractus ist vielleicht etwas abgeplattet.
Die innere Kapsel ist durch den Herd zerstört.
Die mediale Wand des Thalamus buchtet kaum in den 3.
Ventrikel ein.
10 cm. vor der Spitze (Taf. XVII, Fig. 5) ist der Herd
kleiner 18+18 m.m. — 2 cm. und nimmt die innere Kapsel und
den dorsalsten Abschnitt des Linsenkörpers ein. Die eingestreuten
hämorrhagischen Herde erstrecken sich bis in die äussere Kapsel
hinein.
11 ctn. Hier beobachtet man nur an der Grenze zwischen
Nucleus caudatus und Thalamus einige m.m. -grosse Hämor-
rhagien, welche 5 m.m. in das Thalamusgewebe eindringen. Sonst
ist die Oberfläche der Centralganglien vollständig normal.
Das hi/itcre Horn hat sicher etwas, obschon wenig Blut
enthalten, man ersieht das aus der losen Beschaffenheit der
Wandung.
Das Verhältnlss des Blutherdes zum äusseren Kniehöcker
wird an den mikroskopischen Schnitten am besten studirt (s.
unten).
Der äussere und innere Kniehöcker waren an der Ober-
fläche normal.
Die Corpora 4-gemina waren normal.
Die rechte Hemisphäre.
Ist sowohl an der Oberfläche wie im Inneren normal.
Pons und Medulla waren, soweit zugänglich, normal.
Das Kleinhirn nicht mitgeschickt.
Mikroskopisches.
Um das Verhältnlss des hämorrhagischen Herdes in den
Centralganglien und seine Lage im Verhältnlss zur Sehbahn zu un-
tersuchen, wurde eine zusammenhängende Schnittserie des basalen
Gebietes der linksseitigen Centralganglien in einer Anzahl von c:a
550 Schnitten verfertigt und davon etwa 80 Schnitte herausgenom-
men und gefärbt, und zwar besonders von dem occipitalen Ab-
schnitte, wo der hämorrhagische Herd in nächster Nähe vom
Tractus und vom äusseren Kniehöcker lag.
Die nun zu " beginnende Beschreibung folgt der Richtung
ÜBER DIE BEZIEHUNG DER SEHFASERN ZU DEN CENTRALGANGLIEN
175
von hinten nach vorn, zunächst werden die occipitalsten Schnitte
beschrieben.
A. Schnitte occipital vom äusseren Kniehöcker, aber in der
Frontalcbcne des inneren Kniehöckers. Der Blutherd Hegt hier
mit seinem ventromedialen Rand 4 m.m. von der ventralen
Oberfläche des Pulvinars und 10 m.m. vom inneren Kniehöcker
entfernt.
Der BlutJierd selbst bildet eine kompakte Masse, in welcher
die Blutkörperchen dicht an einander liegen, ohne dass Gewebs-
reste darin eingebettet sind. Der ventrale Rand ist, wie es bei
der Fig. 7, Taf. XVII hervortritt, scharf begrenzt und abgerundet.
Dass er auf das ventral von ihm liegende Hirngewebe einge-
wirkt hat, geht daraus hervor, dass das Gewebe bei der Wei-
gert'schen Färbung sich hier nicht gut gefärbt hat. Besonders
gilt dies für die von der Gegend der Kniehöcker occipitaltväfts
in die temporale imd occipitale (resp. Gehör- und Gesichts-) Strahl-
ung hineinlaufenden Bündel. Zwar sind hier verschiedene Bündel
recht gut gefärbt, aber eine Masse von Bündeln und besonders
die dem Blutherd zunächst gelegenen sind sehr bleich, und ihre
Fasern, (besonders diejenigen, welche dem Blutherd am nächsten
anliegen) sind in beginnender Degeneration begriffen, während
die mehr ventralen und von dem Blutherd entfernteren Bündel
alle stärker gefärbt und von normaler Textur sind. Bei einer
grösseren Reihe von Präp. (135 — 200) sind selbst die ventralen
zwischen dem Blutherd und der Cauda Nuclei caudati liegenden
Bündel mehr oder weniger verfärbt; aber sonst erhalten und
nicht deutlich degenerirt. Ein solches verfärbtes Band latero-
occipital vom Kniehöcker misst in frontaler Richtung 3 — 4 m.m.
B. Schnitte entsprechend der Ebene des occipitalen Ab-
schnittes des äusseren tmd des inneren Kniehöckers.
Hier bestehen im Ganzen dieselben Verhältnisse (Vgl. Fig.
13, Taf. XIX), aber der Hauptblutherd entfernt sich vom ven-
tralen Rand des Pulvinars etwas (6 m.m.), sendet aber mehr
medial einen Ausläufer nach unten gegen den dorsalen Rand
des inneren Kniehöckers und den dorso-medialen Rand des
äusseren Kniehöckers. Dieser Herd liegt u ntnittelb ar dem inneren
Kniehöcker an und nähert sich dem äusseren auf i m.m. Hier-
durch wird das mächtige Feld von Fasern, welches dorsal von
diesen Ganglien liegt >nehr oder weniger vollständig entfärbt oder
verfärbt (Präp. 186).
Das Pulvinar ventral vom Blutherd enthält zwar noch eine
Anzahl schwach gefärbter Fasern, aber die Zellen sind sehr pig-
mentreich und abgerundet und ihre pericellulären Räume gross,
was auf Atrophie deutet.
Der innere Kniehöcker a/i mehr occipitalen Schnitten (116).
Die ventrale Kapsel recht mächtig, die dorsale dagegen schwach,
die inneren Bündel kräftig und das Fasernetz deutlich, die
Zellen anscheinend normal.
An mehr frontalen Schnitten ist das Ganglion sehr bleich
und die Zellen sind mehr rundlich. Das Ganglion scheint also
hier einer Nutritions Störung unterworfen.
Der äussere Kniehöcker (Vgl. Fig. 13, Taf. XIX). Die
Kapsel: die laterale, ventrale und ventro-mediale Kapsel enthält
reichhche gut gefärbte Fasern und sie sind von normaler Stärke ;
dagegen ist die dorsale und dorso-mediale sehr schwach oder
beinahe fehlend am dorso-medialen Winkel des Ganglions (a),
welcher der Spitze des hier auslaufenden Blutherds (hsemor.)
entspricht. Die zurückgebliebenen Fasern sind jedoch gut ge-
färbt und nicht degenerirt, während die Hauptmasse der Bündel
sich äusserst schwach oder gar nicht gefärbt hat.
Die Markleisten im Inneren des Ganglions sind noch vor-
handen und ebenso die Fasernetze, ihre Fasern sind Uberhaupt
sehr blass gefärbt, aber nicht in Degeneration begriffen.
Die Ganglienzellen — die grossen wie die kleineren —
sind in normaler Anzahl vorhanden, aber anscheinend sehr pig-
mentreich, und zeichnen sich deshalb mehr als gewöhnlich gegen
das blasse Fasernetz ab. Die Zellen zeigen sonst eine recht
scharfe Kontur und deutliche Kerne.
Tiefere Veränderungen sind demnach nicht vorhanden, da-
gegen deutet die vorhandene Verfärbung oder das Nicht-Gefärbt-
sein der Fasern und die Schwäche der dorsalen Kapsel darauf
hin, dass das Ganglion, besonders im dorsalen Abschnitte, durch
den Druck des Blutherdes wesentlich in seiner Funktion gestört ist.
Das Wernicke'' sehe Feld. Das dorsal vom äusseren Knie-
körper, zwischen ihm und dem Blutherd, liegende mächtige Faser-
feld, ist in grosser Ausdehnung bleich und verfärbt. Jedoch sind
manche recht gut gefärbte Faserbündel noch erhalten, wie man
dies mikroskopisch erkennen kann.
Das laterale Feld dagegen ist intensiv gefärbt.
C. Schnitte, entsprechend dem mittleren Abschnitte (in sagit-
taler Richtung) des äusseren Kniehöckers (Präp. 230 — 290).
Es bestehen dieselben Verhältnise wie an der Schnittreihe
B. Der äussere Kniehöcker ist, mit Ausnahme der dorsalen
Kapsel, wenig verändert; zwischen dem Blutherd und dem Gang-
lion liegt ein i — 2 ni.m. hohes entfärbtes Feld; und das Bild
(Taf. XIX, Fig. 13) kann auch als Typus dieses Abschnittes
dienen: nur zieht sich die mediale Spitze des Blutherdes zurück.
D. Schnitte aus dem frontalsten Abschnitte des äusseren
Kniehöckers (Präp. 290 — 370).
Der Blutherd entfernt sich etwa 4 m.m. vom oberen Rand
des Kniehöckers, aber unmittelbar lorsal vom Kniekörper Hegt
ein grösseres Gefäss, in dessen Scheide eine wohl begrenzte
Blutung liegt. Rings um diese kleine Blutung, welche nur etwa
I — 2 m.m. misst, ist das Gewebe in einer Ausdehnung von i — 2
m.m. entfärbt. Sonst ist das dorsale nicht gefärbte Feld, ventral
vom- Blutherd, nunmehr sehr vermindert. Die dorsale Kapsel
des Kniehöckers hat wenig vom Druck gelitten, die laterale
Kapsel ist dick und kräftig gefärbt. Das Innere des Ganglions
ist anscheinend normal.
Auch die lateralsten Bündel des Pes cerebri — also das
Türck'sche Bündel — sind fast voHständig ungefärbt und stechen
durch ihre bleiche Farbe von den übrigen Bündeln ab.
E. Schnitte mehr frontalwärts, aus dem occipitalsten Ab-
schnitt des Tractus opticus.
Hier liegt der Blutherd in einer längeren Ausdehnung vom
Tractus 4 — 5 m.m. entfernt. Das zwischenliegende Gewebe ist
im Ganzen anscheinend normal und hat gut gefärbte, kräftige
FaserbUndel, welche kaum etwas durch den Druck gelitten haben.
Der Tractus opticus ist nonnal. Der Pes ist nunmehr normal.
F. Die mehr frontalwärts liegenden Abschnitte liegen vom
Blutherd bedeutend weiter entfernt, weshalb eine mikroskopische
Untersuchung dieser Teile nicht nothwendig erschien.
Als Resultat der Untersuchung ergiebt sich also. Der
grosse, das Pulvinar und den occipitalen Abschnitt des Thalamus
176 S. E. HENSCHEN. PATHOLOGIE DES GEHIRNS
durchsetzende, Blutherd ist fast in der ganzen Ausdehnung des
äusseren Kniehöckers, beinahe bis zu seiner dorsalen Kapsel
vorgedrungen und hat hier auf diese sowie auch auf die von
(resp. zu) dem Ganglion ausgehenden Sehfasern einen ansehn-
lichen, durch die Verfärbung der Fasern deutlich erkennbaren
Druck ausgeübt. Im Ganglion selbst sind tiefere Nutritions-
störungen nicht nachweisbar, dagegen sind an einer grösseren
Reihe von Präparaten aus dem mittleren Abschnitt (s. oben B.
und C.) Anzeichen einer leichten Nutritions-Störung der Fasern
vorhanden.
Im Tractus selbst sind Nutritionsstorungen nicht nachzu-
weisen.
Eprikrise.
Kurzer Krankenbericht. In Bezug darauf weise
ich auf die Seite 173 hin. Pat. lebte nach dem Schlaganfalle
nur 1 1 Tage.
Art und Lokaltsation der Läsion. Ob eine Thrombose
oder eine Hämorrhagie vorlag, war aus den mitgeteilten An-
gaben nicht zu entscheiden. Bemerkensuerth ist, dass das
Sensorium wenig gestört war. Am vierten Tage war es völ-
lig frei und nur geringe Kopfschmerzen waren vorhanden, und
zwar ungeachtet der nicht unbedeutenden Hämorrhagie. In
der Hinsicht, dass eine Blutung in den Centraiganglien das
Sensorium nicht längere Zeit, viele Tage, stört, stimmt der
Fall mit anderen von mir oben mitgeteilten überein.
Die vollständige, sowohl motorische wie sensible, rechts-
seitige Lähmung, welche mit Gehörs.störung" auf dem rechten
Ohre und rechtsseitiger homonymer Hemianopsie verbunden
war, stimmt wie es mir scheint, sehr gut mit der Lokalisation
des Blutherdes im hinteren Abschnitt der inneren Kapsel.
Kaum dürfte eine kleine Hämorrhagie von irgend einem
anderen Punkte aus diesen Symptomenkomple.x hervorzurufen
im Stande sein.
Die Blutung hat nämlich hier die betreffenden Bahnen
für die Motilität, die Sensibilität, für das Gehör und Gesicht
aftlzirt.
Analyse der Symptome.
PsycItiscJic Syiiiptonic oder Sprachstörungen werden in
diesem Falle vermisst. Das Fehlen psychischer Sjmiptome
bedarf keiner weiteren Darlegung; wohl aber hätte man
erwarten dürfen, hier Sprachstörungen zu finden, weil die
Blutung zwischen der ersten Temporal- und dritten Frontal-
windung, also in der Nähe des Fasciculus uncinatus, liegt.
Die Erklärung dürfte jedoch durch die vcrhältnissmässig
hohe Lage des Herds begründet sein. Die Kontur der In-
sula-Rinde deutet auf einen nach aussen oder unten nur wenig
gesteigerten Druck (Vgl. Fig. 5—7. Taf. XVII).
Kranialnerven. I. Rechtsseitige Gcruchstöriing bei
Läsion dieser Gegend ist, meiner Erfahrung nach, eine grosse
Seltenheit und muss vielleicht aus der Anästhesie der Na-
senschleimhaut erklärt werden, weil die Blutung nicht die Ge-
ruchsbahn oder ihr Centrum berührt hat. Ausserdem müsste
(lie Geruchstörung links und nicht rechts auftreten, wenn
sie von einer Läsion der linken Geruchsbahn abhängig wäre.
Wäre aber die Anästhesie die Ursache der Geruchstörung,
dann müsste sie, wie bemerkt, rechts auftreten.
II. Die vorhandene Hemianopsia dextra bildet die »picce
de resistance» in diesem Falle. Sie war mit koncentrischer
Einschränkung des Gesichtsfeldes verbunden. Plinsichtlich
dieser bemerken wir hier nur, dass teils eine vollständige
Anaesthesia de.xtra bestand, und besonders das? der Corneal-
reflex am rechten Auge bedeutend herabgesetzt war, was für
die Erklärung dieses viel umgestrittenen Symptomes nicht
ausser Acht gelassen werden darf.
Die Hemianopsie ist hier durch eine Blutung in der
Capsula interna hervorgerufen. Es scheint der Fall also die
von der französichen Schule ausgesprochene Ansicht, dass
die Zerstörung der Capsula interna Hemianopsie verursache,
zu stützen, und dass folglich die innere Kapsel Schfasern
enthalte. Diese Lehre habe ich schon früher bekämpft und
die von mir bei verschiedenen Gelegenheiten vorgetragenen
Thatsachen, wie z. B. in dem Falle 8, Teil III, sowie
jüngst in den Fällen Esche und Heyden, beweisen zur Ge-
nüge, dass die ganze Capsula interna zerstört sein kann, ohne
dass dadurch eine Hemianopsie bewirkt werde. Nur wenn
die vom Tractus opticus, dem äusseren Kniehöcker und der
occipitalen Sehstrahlung gebildete Sehbahn affizirt ist, ent-
steht ein Gesichtsfelds-Defekt. Ist die Läsion dieser Teile
dauernd, dann wird auch der Defekt konstant, wenn aber
transitorisch, nur vorübergehend.
In diesem Italic wurde die Perimeterkarte am 6. Tage
nach dem Insulte aufgenommen; die Pat. .starb am 11.
Tage nach demselben. Die Sektion wies eine grös,sere Blu-
tung nach. Die mikroskopische Untersuchung hat bewiesen,
dass diese Blutung eine bestimmte ICrnährungsstörung in der
Sehbahn verursarcht hat. Die Fig. 13, Taf. XIX und die Un-
tersuchung zeigen, dass zwischen dem Herd und dem Knie-
körper der ganzen Länge des Letzteren entlang ein nicht ge-
färbtes P^eld von l — 2, höchstens 4 m.m. Höhe liegt, wo
die meisten Fasern verfärbt sind. Diese Fasern, welche zum
Teil der dorsalen Kapsel des Kniekörpers angehören, und
ein- oder austretende Fasern darstellen, sind gewiss Seh-
fasern im strengsten Sinne des Wortes. Obschon also der
Blutherd die Sehbahn nicht direkt zerstört hat, ist doch ein
grosser Teil derselben einem solchen Drucke ausgesetzt ge-
wesen, dass ungeachtet Pat. schon 1 1 Tage nach dem In-
sult starb, schon deutliche Ernährungsstörungen nachgewiesen
werden konnten — eine besonders interessante Thatsache,
welche auf die Bedeutung der mikro.skopischen Untersuchung
in jedem solchen Falle hinweist. Die Hemianopsie wird also
hier in genügender Weise als eine indirekte dnrch Druck her-
vorgerufene Störung atifgefasst iverden müssen. Hiermit ist
also eine genügende Erklärung der von anderen Forschern
beobachteten Hemianopsie infolge Läsion im hinteren Ab-
.schnitte der inneren Kapsel gegeben.
Wäre die Pat. am Leben geblieben, so wäre wahrschein-
lich dieser Druck oder diese Einwirkung zum Teil weggefallen,
und dann hätten wir aller Wahrscheinlichkeit nach nur einen
kleineren Gesichtsfelds-Defekt beobachtet. Da hier ungefähr
dieselbe Störung wie im Falle Esche vorhanden zu sein scheirit,
ÜBER DIE BEZIEHUNG DER SEHFASERN ZU DEN CENTRALGANGLIEN
177
nämlich ein Defekt der dorsalen Kapsel, aber keine nachweis-
liche Störung des ventralen Abschnittes des Kniehöckers, so
wäre dann wohl ein quadrantischer Defekt nach unten wie im
Falle Esche entstanden.
Dafür dass der Gesichtsfelds-Defekt nicht durch Druck
auf den Tractus verursacht wurde, spricht, dass der Tractus
kaum abgeplattet, dass keine nachweisbare Atrophie oder
Entfärbung seiner Fasern vorhanden war, dass die Blutung
mehr entfernt von ihm lag, und dass das zwischenliegende
Gewebe starke Bündel mit normalen Fasern enthielt.
Dass nun die Ausdehnung des linken Gesichtsfeldes.
ganz gegen Erwarten, kleiner als die des rechten ausgefallen
war, findet eine genügende Erklärung in der vom Herrn Dok-
tor Wilbrand unter der Perimeterkarte angefügten Bemerkung,
dass »Pat. sehr angegriffen war» und das rechte Auge zuerst
perimetrirt wurde. Wir haben also hier ein Ernüidnngsphä-
nomen vor uns.
III. Die linksseitige Pupillenvergrösserung ist bemerkens-
werth, aber kaum von bestimmter diagnostischer Bedeutung.
VII. Die rechtsseitige Facialisparese findet in der Zer-
störung der inneren Kapsel ihre Erklärung.
VIII. Interessanter ist, dass das Gehör links auf 5 Fuss Ent-
fernung gemessen werden konnte, rechts aber verloren schien.
Gehörstörungen bei Läsionen in diesem Gebiete sind meiner
Erfahrung nach recht allgemein vorhanden, wenn auch nicht
so oft beobachtet. Sie sind ebenso leicht zu erklären, da
Läsionen im hinteren Abschnitte der inneren Kapsel oft die
Gehörbahn berühren. Aber gewöhnlich verschwinden sie
völlig oder zum grössten Teil nach einiger Zeit, indem ent-
weder die Bahn funktionsfähig wird, oder die bilaterale In-
nervation sich geltend macht. Hier zeigte das Mikroskop,
dass die Blutung bis zur Oberfläche des inneren Kniehöckers
vorgedrungen war, welcher ja ein Gehörganglion ist, und
ausserdem schien nachweislich die dorsal vom äusseren Knie-
höcker zwischen dem Blutungsherd und diesem Ganglion
verlaufende Gehörbahn wesentlich in ihrer Ernährung gestört
oder vernichtet. Die hier verlaufenden Fasern und Bündel
waren entfärbt oder zerrissen.
Hierin findet die Gehörstörung eine ganz genügende und
interessante Erklärung.
IX. Die beobachtete Gesclanacksföning auf der rechten
Zungenhälfte ist eine solche ausserordentliche Seltenheit, dass
man wohl sich fragen darf, ob wirklich eine Geschmackstö-
rung vorgefunden ist, oder eine Ana;sthcsia lingua; vorhan-
den war. Ich enthalte mich deshalb jeder Erklärung, da ich
bei Hunderten von Beobachtungen kaum eine Geschmackstö-
rung unter gleichen Bedingungen gefunden habe.
XII. Die Zungenabweichung nach rechts ist leicht er-
klärlich.
Sensibilität. Die totale Anästhesie mit Verlust des
Lagegefühls steht in vollem Einklang mit der Zerstörung des
hinteren Abschnittes der Capsula interna. Der Fall kann,
da eine indirekte Einwirkung auf entfernte Teile nicht aus-
geschlossen werden kann und der Herd gross war, keinen
genaueren Nachweis für die Lage der sensiblen Bahn ab-
geben.
Motilität. Die rechtsseitige schlaffe Lähmung erklärt
sich in gewöhnlicher Weise durch das Ergriffensein der mo-
torischen Bahn in der inneren Kapsel.
Anhang.
Fall Jan Andersson (Fall 15 in Pathologie des Gehirns,
Teil I, S. 103 u. ff: Taf. XXII. 3. 4. Teil III. Taf. XIX. Fig. 14).
In Anschluss an den vorigen Fall dürfte es angemessen
sein, hier eine mikroskopische Untersiicluing über die linken
Centralgafiglieii in diesem Falle mitzuteilen, und zwar um
so mehr, als dieser Fall mit dem eben beschriebenen in man-
cher Hinsicht übereinstimmt und ihn vervollständigt.
Hier braucht nur daran erinnert zu werden, dass Jan
Andersson am 16. März 1887 von einem Schlaganfalle, wel-
cher von Hemiplegie und Hemianästhesie der rechten Seite
sowie auch rechtsseitiger Hemianopsie im linken Auge (auf dem
rechten war Pat. schon früher blind) begleitet war, betroffen
wurde, und dass Pat. am 25. März verschied.
Bei der Sektion wurde im linken Thalamus und Pulvinar
eine grössere frische Hämorrhagie angetroften, welche nach
hinten bis zum occipitalen Rand des Pulvinars und nach un-
ten aussen bis 5 m.m. vom äusseren Kniehöcker vordrang,
ohne dieses Ganglion direkt zu berühren.
Wegen der ausführlicheren Beschreibung des klinischen
Verlaufes und des Sektionsbefundes weise ich auf den I. Teil
dieses Werkes und auf die Tafel XXII, Fig. 3 u. 4 hin.
Mikroskopisches
über die linksseitigen Centralganglien.
Der Zweck der Untersuchung war hauptsächlich, nachzu-
forschen, in wie weit die Hämorrhagie die Sehbahn affizirte, und
ob hierdurch eine Erklärung der beobachteten Hemianopsie ge-
geben werden könnte. Deshalb wurde der ventrale Abschnitt
der Centralganglien in eine zusammenhängende Schnittserie zer-
gliedert. Die Beschreibung geht von hinten nach vorn von
statten.
a) An den hintersten Schnitten des Pulvinars ist von dem
Blutungsherd nichts zu sehen. Dieser ist also nicht bis zum ventro-
occipitalen Umfang des Pulvinars hervorgedrungen. Das Stra-
tum zonale pulvinaris sowie die Bündel im Inneren des Pulvi-
nars haben sehr varicöse Fasern. Die Zellen sind pigmentreich,
aber sonst erhalten. Die Fasern scheinen also in ihrer Ernäh-
rung gestört, wenn auch nicht vollständig degenerirt.
b) An den zunächst nach vorn hegenden Schnitten dringt
die Blutung in Form eines unregelmässig rundlichen Herds nach
innen unten fast bis zum Stratum zonale der ventralen Fläche
des Pulvinars hervor, das Gewebe destruirend. Die Bündel in
weiterer Ausdehnung in der Umgebung der Blutung enthalten
degcnerirtc Fasern; die Zellen sind rundlich und pigmentreich,
aber scharf konturirt.
c) Noch mehr nach vorn wächst der Blutherd und nimmt
an den occipitalsten Schnitten, welche den inneren Kniehöcker
durchschneiden, die ganze mediale Hälfte des Pulvinars ein und
erstreckt sich zur medialen Kapsel des inneren Kriehöckers und
bis auf 2 m.m. von der dorsalen Kapsel dieses Ganglions. Auch
ist dieses Ganglion deutlich von dem Blutherd zusammengedrückt.
178 S. E. HENSCHEN. PATHOLO GIE DES GE HIRNS
d) Wo die occipitalste Spitze des äusseren Kniehöckers auf-
tritt, da liegt der Blutherd in einer Entfernung von ihr von 4
m.m. und 1 — 2 m.m. dorsal vom inneren Kniehöcker.
e) Entsprechend dem mittleren Abschnitt (in sagittaler Rich-
tung) des äusseren Kniehückers (Vgl. Taf XIX. Fig. 14), liegt
der Blutherd in einem Abstände von etwa 5 — 7 m.m. vom äus-
seren und I — 2 m.m. vom inneren Kniehöcker.
f) Weiter nach vorn, entsprechend dem vordersten Ab-
schnitte des äusseren Kniehöckers, rückt der Blutherd weiter von
dem Ganglion ab und liegt hier etwa 9 m.m. entfernt.
g) Und entsprechend dem occipitalen Abschnitte des Trac-
tus, liegt der Blutherd 15 m.m. von ihm entfernt, um noch weiter
nach vorn noch entfernter zu liegen.
Was nun die Einwirkung des Blutherde auf die Kniehöcker
anbelangt, so kann Folgendes mikroskopisch nachgewiesen werden.
Der innere Kniehöcker ist deutlich seiner ganzen
Länge nach durch den Druck von oben zusammendrückt und
seine rundliche Form ist in eine längliche umgewandelt.
Die ventrale Kapsel: die äussere SchieJit ist erhalten und
ihre Fasern sind, wenn auch varicös, doch sonst nicht wesentlich
verändert. Die innere Schicht ist dagegen spärlich, anscheinend
atropliiscli.
Die dorsale und laterale Kapsel enthält auch varicöse, aber
gut gefärbte Fasern, wie auch die Bündel im Inneren des Gan-
glions. Die Zellen haben zwar durch den Druck eine längliche
Form angenommen; sind aber sonst wenig verändert.
Also: das Ganglion hat durch den Druck gelitten.
Der äuserste Kniehöcker hat nur dc?t occipitalen und
mittleren Abschnitten durch den Druck vom Blutherd aus gelitten.
Dies zeigt sich dadurch, dass die dorsal-mediale Kapsel, also in
der Richtung gegen den Blutherd, wie es auch an der Fig. her-
vortritt, sehr bleich ist, und zwar dadurch, dass die Fasern nach
dem Blutherd hin sich nicht gut gefärbt haben. Es liegt also
nach dieser Seite ein bleiches Feld (a) dorso-medial vom Gang-
lion, ganz wie im Falle Hinrichsen (Taf. XIX. Fig. 13 a).
Die laterale Kapsel ist dagegen reich an gut gefärbten Fa-
sern, und die ventrale Kapsel ist normal.
Die Markleisten sind anscheinend normal, vielleicht etwas
schwach, d. h. die Fasern schwach färbbar; die Fasernetze sind
deutlich.
Die Zellen sind anscheinend normal.
Im frontalen Abschnitte dagegen ist die Kapsel an allen
Seiten sehr schön und stark, die Markleisten kräftig wie die Fa-
sernetze und die Zellen anscheinend nicht verändert; alle diese
Schnitte färben sich überhaupt viel besser.
Der Tractus opticus ist in allen Hinsichten 7!ormal. Keine
Spur von Abplattung oder Atrophie ist nachweisbar, und seine
Fasern färben sich in normaler Weise.
Pulvinar. Schon oben ist die Hauptsache bemerkt, dass
das Pulvinar zum grössten Teil, ausgenommen seine ventro-occi-
pitalsten und lateralsten Abschnitte, vom Blutherd zerstört ist.
Der übrig gebliebene Teil zeigt deutliche Zeichen einer Kom-
pression, und die Fasern sind hier zum Teil degenerirt; in der
unmittelbaren Nähe des Blutherdes und sonst sind sie ungewöhn-
lich varicös.
Der Thalamus ist auch vom Blutherd durchsetzt in der
Ausdehnung, die Fig. 3 und 4, Taf. XXII, Teil I, und die Be-
schreibung des Sektionsbefundes näher angeben.
Die Capsula interna ist im occipitalsten Abschnitt nicht
vom Blutherd berührt, wohl aber im Uebrigen wie die Beschrei-
bung näher angiebt. Mikroskopisch kann eine Degeneration der
Fasern nicht nachgewiesen werden. Die Fasern färben sich gut
und sind kräftig.
Der Linsenkörper ist überhaupt nicht vom Blutherd berührt.
Der Luys'sche Körper und der rothe Körper sind intakt, aber
der Blutherd liegt so nahe dorsal von ihnen, dass wahrscheinlich
ein Druck auf sie ausgeübt worden ist, und die HaubenstraJilung
scheint zum Teil vom Blutherd abgeschnitten.
Epikritische Bemerkungen.
Der vorliegende Fall bildet ein Supplement und ein Pen-
dant zum Falle 16. In beiden liegen Blutungen im Pul-
vinar und Thalamus, beide Patienten starben innerhalb i —
1V2 Woche nach dem Insulte, ehe noch eine Resorption
des Blutes eingetreten war, und . in beiden trat eine Hemia-
nopsie auf, ohne dass die Sehbahn an irgend einem Punkte
abgeschnitten oder zerstört worden war. Im F'alle Hinrichsen
liegt der Herd nur etwa 2 m.m. dorso-medial vom Kniehöc-
ker entfernt, hier etwas mehr, nämlich 4 — 7 m.m. Bei Hin-
richsen machte sich ein Druck auf die dorsale Kapsel des
äusseren Kniehöckers dadurch bemerkbar, dass die Fasern
dieses Abschnitts der Kapsel keine Farbe (Fig. 14 a) an-
nahmen, während die laterale Kapsel kräftig gefärbt und stark
war. Hier liegt dasselbe Verhältnis vor. Unter solchen Um-
ständen wird die Erklärung der Hemianopsie naturgemäss die-
selbe, wenn auch die Einwirkung des Blutherds auf den äus-
seren Kniehöcker bei Hinrichsen deutlich kräftiger war und
die Entfärbung der Fasern der dorsalen Kapsel mikroskopisch
mehr auffallend war. Auch liegt bei Andersson der Blutherd
entfernter. Dass aber ein ansehnlicher, auf die dorsale Ge-
gend des äusseren Kniehöckers ausgeübter Druck stattgefun-
den hat, das geht auch aus der Anordnung der dorsal von
den beiden Kniehöckern im Pulvinar verlaufenden Fasern her-
vor, welche hier überall mehr an einander gedrückt parallel
verlaufen und den gewöhnlichen schönen bogenförmigen Ver-
lauf eingebüsst haben. Ja selbst die hier liegenden Zellen
und pericellulären Räume haben vom Druck gelitten und sind
von oben nach unten platt gedrückt.
Die Formveränderung giebt sich besonders auch an dem
näher am Blutherd liegenden inneren Kniekörper kund (Vergl.
Taf. XIX. Fig. 14. C. g. i).
Das Vorhanden.sein einer Hemianopsie wird deshalb durch
den Sektionsbefund genügend erklärt. Doch scheint mir der
vorliegende P^all aus dem Grunde nicht so werthvoll und be-
weiskräftig, wie der Fall Hinrichsen, weil hier in Folge des Zu-
standes des Patienten eine Perimeterkarte nicht aufgenommen
werden konnte und ausserdem Pat. auf dem rechten Auge blind
war. Wie die Hemianopsie sich in Hinsicht ihrer Ausdeh-
nung verhielt, ob sie partiell oder total war, Hess sich nicht
bestimmen. Wäre Pat. am Leben geblieben, hätte sich wahr-
scheinlich der Gesichtsdefekt ausgeghchen.
ÜBER DIE BEZIEHUNG DER SEHFASPZRN ZU DEN CENTRALGANGLIEN
179
In Hinsicht auf die Gekörstörung, welche auf dem rech-
ten Ohr hervortrat, ist die Erklärung die analoge. Dass die
durch den inneren Kniekörper vermittelte Gehörleitung- durch
den Druck gelitten, ist ganz gewiss. Die mikroskopische Un-
tersuchung zeigte es zur Genüge. Die auf Seite 107, Teil I,
schon ohne mikrcskopische Untersuchung gegebene Erklärung
ist also durch diese Untersuchung völlig bestätigt.
Die Störungen des Geschmacks und Geruchs sind aber
auch nach der mikroskopischen Untersuchung unaufgeklärt
(Vgl. T. I, S. 107).
Hinsichtlich der Soisibilitätsstörung bemerke ich nur,
dass gewiss die Bahn in der Haubenstrahlung einem Druck,
vielleicht selbst einer Zerstörung, ausgesetzt worden ist. Der
Druck kann vielleicht den beim Insulte hervortretenden spon-
taiicn Sclnncrz erklären. Übrigens weise ich auf T. I, S. 107. hin.
Fall 17. Brita Eriksdotter.
83 Jahre. Wittvve,
Taf. XXV. Fig. 7 — 10.
Klin. Diagnose: Hemiplegia sinlstpa (Thpombosis), Degenepatio
eopdls e. dilatatlone, Pneumonia acuta + Deeubitus.
Zusammenfassung. Die 83-jährige VVittwe wurde
nach einer Genuitsbewegung von einem Schlaganfalle getroffen,
mit Hemiplegie der linken Seite, aber ohne Hemianopsie. Der
rechte Thalamus und das rechte Pulvinar war zum grossen
Teil destruirt, aber die Sehbahn nicht berührt. Der Fall be-
weist, dass in dem zerstörten Abschnitte der Centralganglien
Sehfasern nicht vorhanden sind. — Die Gehör-, Gefühl- und
Motilitäts-Bahnen waren berührt.
Krankengeschichte
(in verkürzter Form). Fat. wurde am '"'','1 1890 in's Akademische
Krankenhau.s aufgenommen; starb daselbst "'/^ dess. J.
Anamnese.
Der Vater war Alkoholiker und starb wahrscheinlich an
Schlagfluss. Auch die Mutter starb im Alter von 40 — 50 Jahren
plötzlich durch einen Schlagaiifall, wie auch ein Bruder und
eine Schwester des Vaters. Übrigens keine nervöse Belastung.
Verheirathet mit 22 Jahren, hat 5 Kinder gehabt, von denen
2 gestorben sind. Hygieinische Verhältnisse recht gut, die Arbeit
war im höheren Alter nicht Uberanstrengend. Ihr Gemüth war
stets heftig. Luetische Infektion verneint Pat.. hat Alkohol nicht
gemissbraucht.
Pat. hatte immer eine gute Gesundheit, hat als Kind Masern
und Wechselfieber durchgemacht. Sie litt oft an Kopfschmerz,
dagegen nie an Herzklopfen, Athemnoth, Gleichgewichtsstörun-
gen oder Erbrechen.
In den lezten Jahren hatte sie einige Sclmindelanfälle, ohne
dass je eine Schwäche nachfolgte. In der Zeit vor dem Insulte
war Pat. ganz frisch und gesund, ausgenommen dass sie an
Obstruktion litt.
Kurz vor dem Insulte am 2. Januar i8go hatte sie eine
heftige Gemütsbewegung und wurde sehr entrüstet. Als sie
eine Weile darnach ein Kochgeschirr heben wollte, fiel dies ihr
sehr schwer und als sie gleich darnach essen wollte, geriethen
die Hände in so starkes Zittern, dass sie kaum die Speisen zum
Mund führen konnte. Wenn sie umherging, fühlte sie sich im
Kopf eingenommen. Die Beine fingen an zu zittern, sie empfand
Sausen in den Ohren und war nicht weit gegangen, als sie nach
5. E. Menschen. Pathologie des Gehirns.
Anatom. Diagnose; Malaeia Thalami dextPl + Pulvinaris.
der linken Seite hin umfiel. Sonst weder Schwindel, noch Kopf-
schmerz. Sie lag nun 2 Stunden lang, ehe es ihr gelang, durch
Schreien die Aufmerksamkeit der Nachbarn auf sich zu ziehen.
Pat. war nie heunisstlos.
Übrigens wurde Folgendes festgestellt.
Sprache: Keine Sprachstörung.
Kranialncrvcn. II. Pat. sah Alles klar auf beiden Seiten.
III. IV. VI. Keine linksseitige Störung. V. Schwierigkeit
zu kauen links. VII. Linksseitige Parese. VIII. Hörte Alles gut,
aber schlechter auf dem linken Ohre. IX. Keine Geschmack-
störung. XI. XII. Die Stimme rauh und klanglos. Schwierigkeit
zu artikuliren.
Sensibilität. Sie soll im linken Arm bedeutend, im linken
Bein weniger vermindert gewesen sein. Schmerzen im linken Arm
und Bein und Empfindlichkeit im ganzen Körper. Keine Parä-
sthesien.
Motilität. Der linke Arm war vollständig und schlaff ge-
lähmt, ebenso das linke Bein, wenn auch in geringerem Grade.
Keine Zuckungen.
Vasomotorische Störungen. Die ganze linke Seite bedeutend
kälter als die rechte.
Incontinentia urinae in der nächsten Zeit nach dem Insulte.
Am Tage nach dem Insult war Pat. müde und schlaff, lag
im tiefem Schlummer und konnte nu; mit Schwierigkeit erweckt
werden. Litt dann an schwerem Kopfschmerz.
In der nächsten Zeit trat Besserung ein: nach Kurzem
konnte sie das Bein etwas bewegen, und die Sensibilität kehrte
zurück. Am 5. oder 6. Tage wurde die Sprache deutlicher und
die Stimme gebessert, am 9. konnte sie die Finger bewegen, und
bald schwand die Anästhesie. Keine trophischen Störungen.
Wurde am 25. Jan. in's Krankenhaus aufgenommen.
Status praesens Ende Januar 1890.
Kräftig gebaut, bettlägrig, kann nicht im Bette ihre Lage
ändern. Die Haut runzelig, schlaff, pergamentenartig. Tremor
24
180
S. E. HENSCHEN. PATHOLOGIE DES GEHIRNS
in der rec/ifc/i Hand. Ödematös an der Brust. Appetit gut.
T. afebril. Puls 64. etwas unregelmässig, etwas tardus. Die
Radiales gleich gefüllt.
Oft Harndrang mit Schwierigkeit zu uriniren. Harn 1.027
sp. Gew.; eiweissfrei.
Subjektive Symptome.
Pat. fühlt sich müde und kraftlos. Pjisweilen ScJidici-zcii
und Empfindlichkeit /// der linken Seite. A\'eder Parästhesien.
noch Schwindel oder Hallucinationen.
Objektive Untersuchung.
Psyche. Schlaffes Aussehen. Die Intelligenz frei, die
Auffassung und das Urtheil gut; das Gemüth etwas gedrückt,
aber jähzornig.
Das Gedächtniss noch recht gut. Geruch-, Cieschmack-,
Gesicht- und Gehörgedächtniss gut. Keine Seelen-Blindheit oder
— Taubheit.
Sprache. Keine Form von Sprachstörung, weder motorischer,
noch sensorischer Art. Kann nur wenig schreiben.
Kranialnerven.
I. Geruch etwas herabgesetzt. Kann Kaffee und Tabak
unterscheiden, verwechselt bisweilen Kamiiher. Kreosot u. s. w.
Keine Hallucinationen.
II. R. A. seit mehr als i Jahre nur <|uantitative Licht-
perception. Die Linse ist grau verfärbt; auch am L. A. Trüb-
ungen. S. L. = ^\\-2. Keine Hemianopsie (s. Karte). Keine (ie-
sichtshallucinationen. Farbensinn normal. Ophtalmoskopisch :
Gefässe schmal, die Papille scharf begränzt, bleich.
III. IV. VI. Die rechte Pupille etwas kleiner als die linke.
Die rechte etwas excentrisch, nicht völlig rund, die linke rund,
auch excentrisch nach innen. Beide reagiren auf Licht, die
linke weniger. Die Reaktion für Accommodation ist links ver-
mindert.
Augenbewegungen normal. Kein Strabismus.
V. Normal !
VII. Oberer Facialis links etwas schwach beim Schliessen
und Öffnen.
Unterer Facialis links etwas paretisch.
Der linke Gaumenbogen schwächer.
VIII. Gehör beiderseits vermindert. R. = wird die Uhr
auf I — 2 c.m. Entfernung gehört. L. = erst beim Anlegen an
das Ohr. Weder Sausen noch Hallucinationen.
IX. Geschmack nicht gestört, beiderseits gleich.
X. Herzschlag unregelmässig, 64.
XI. Stimme schwach, klanglos. Hämorrhagien an der
Ejjiglottis. Das linke Stinunhand etwas sclnoach bei der Ab- und
Adduktion.
Die linke Achsel paretisch.
XII. Zunge weicht nach links ab. Sprache dick.
Spinale Nerven.
Sensibilität.
Die Störungen sind überhaupt unbedeutend.
Tastsinn. Pat. empfindet Berührung eben so gut links als
rechts: sie kann Knopf und Spitze einer Nadel unterscheiden.
An den Dorsalseite der linken Hand und am Unterarm scheint
der Tastsinn etwas vermindert zu sein.
Ortsinn: Pat. giebt die Stelle der Berührung genau an.
Für den Aesthesiometer sind die Werte links etwas grösser als
rechts.
Rechts. Links. Rechts. Links.
Stirn 21 m.m. 24 m.m. Hand, dorsale Seite 32 m.m. 50 m.m.
\\'angen
Oberschenkel
Unterschenkel
75
79
85
90
' 37
Kinn 28 35
Oberarm 60 80
Unterarm 69 85
Sclunerzsinn links ein wenig vermindert. Keine Hyper-
ästhesie.
Temperatursinn : Pat. unterscheidet Kaltes und Warmes.
Ist für Kälte sehr empfindlich, und empfindet Wasser von + 30° C.
schon als kalt. Ein kalter Gegenstand wird rechts als kälter
empfunden als links. Auch Warmes wird deutlicher rechts auf-
gefasst.
Bei einer Temp. von 30 — 35° C. der zur Prüfung ange-
wendeten Gegenstände empfindet Pat. einen Unterschied am
Arm rechts von 2", links 3"; am
Bein » » 3", » 4".
Muskelsinn nicht gestört.
Motihtät.
Arm. Der rechte Arm hat normale Motilität; der linke
liegt schlaff, etwas kontrahirt an der Seite. Der Oberarm kann
etwa bis 30" nach vorn bewegt werden, der Unterarm kann
etwas flektirt, aber nicht extendirt werden. Die Pronation geht
gut von statten, die Supination ist etwas eingeschränkt. Aktive
Bewegungen im Handgelenk sind unbedeutend. Der Daumen
kann den anderen Fingern nicht entgegengeführt werden.
Bein. Das rechte Bein zeigt normale Motilität, das linke
kann Pat. ruckweise anziehen, aber nicht über das rechte legen.
Die Abduktion unbedeutend, die Flexion und Extension im Knie-
gelenk unbehindert.
Runpf. Pat. kann nicht ohne Hülfe sich im Bette aufrichten,
oder sich im Bette umwenden. Die linke Schulter hängt schlaff.
Bauch- und Brust-Muskeln links etwas schwach.
Kontraktur : Eine geringe Kontraktur ist im Biceps brachii
vorhanden.
Zuckungen : fibrilläre Zuckungen im linken Schenkel.
Reizbarkeit der Muskeln: Die Muskeln der linken Seite
reagiren weniger auf den faradischen und den galvanischen
Strom.
ÜBER DIE BEZIEHUNG DER SEHFASERN ZU DEN CENTRALGANGLIEN
181
Reflexe. Hmitreflexe an der Planta pedis fehlen.
Sehnenreflexe: die Patellarreflexe fehlen beiderseits.
Vasomotorische Störungen unbedeutend.
Trophische Störungen: die Glieder der linken Seite etwas
atrophisch.
Die Defäkation: träge. Harnentleerung : oft Harndrang;
der Harn geht nur schwierig ab.
Innere Organe.
Herz. Unregelmässige Thätigkeit. Bedeutende Dilatation
des linken Ventrikels. An der Spitze deutliches Geräusch beim
I. Tone sowie auch an der Aorta. 2. Pulmonalis-Ton nicht
accentuirt, wohl aber der 2. Aorta-Ton. Die Radialarterien
sklerotisch.
Lungen. Bronchitis diffusa.
Tagesnotizen.
Zuckungen im linken Arm und in der Zunge.
^/2. Geruchhallucinatiouen, schreit oft nach den Verwandten:
glaubt, zu Hause zu sein.
''/2. Faeces gehen in's Bett.
'"/2. Besser.
Sensibilitätsstörungen sind jetzt nicht nieltr nachzu-
weisen. Die Motilität des linken Arms und Beins gebessert. Die
Zunge weicht nicht mehr deutlich ab.
^"/a. Zustand unverändert. Die Schmerzen in der linken
Seite sind durch Massage und Elektricität gebessert. .T. 38.4.
Phlegmone der Parotisgegend.
— ^'/* sehr schwach, Fieber, Erysipelas des Gesichts.
^*/4. Decubitus, Delirien. ^^/4. Gesichtshallucination : Sah
einen Greis aus der Thiire reitend.
•''/ö. Gehörhallucinationen: hört Jemanden »ein Flaus
bauen».
■'/.5 — '"^'/o. Erhöhtes Fieber, Delirien, Sopor.
^ '/•''• Tod. — Wenige Tage vor dem Tode wurde auf
Hemianopsie mit negativem Resultate geprüft.
Sektion.
Weder an der Oberfläche, noch im Inneren der Hemisphären
wurden Veränderungen beobachtet, ausgenommen in den Ceutral-
ganglien der rechten Hemisphäre.
Thalamus. Der rechte Thalamus ist mässig geschrumpft,
besonders in seinem occipitalen Abschnitt. Wie aus der Fig. 7.
Taf. XXV hervorgeht, macht sich diese Schrumpfung sowohl in
sagittaler wie in frontaler und vertikaler Richtung geltend. Der
vordere Abschnitt ist kaum afficirt.
Der Nucleus anterior hat die gewöhnliche Form und Grösse.
Er ist von der Cyste nicht berührt.
Die Oberfläche des occipitalen Teils ist etwas eingesunken, und
zwar sowohl die dorsale wie die mediale Fläche (Fig. 7. Taf XXV).
Auch das Pulvinar ist im Volumen vermindert und etwas
eingeschrumpft. Die Oberfläche ist jedoch nicht narbig gefurcht
und überhaupt makroskopisch wenig verändert. Diese .Schrumpfung
ist durch eine im Inneren des Thalamus liegende malacische
Cyste verursacht. Die Cyste öffnet sich nach oben aussen (Fig.
7. Cy) durch eine in der Grenzlinie zwischen dem Thalamus
und Corpus caudatum liegende schlitzförmige üff'nung, welche
etwa 2 m.m. breit und etwa 8 m.m. lang ist. Die Öffnung setzt
sich in eine narbenähnliche Schrumpfung (s. Fig. 7. Cy) fort,
so dass die ganze Öffnung etwa 2 cm. zu messen scheint. Die
Ausbreitung der Cyste in die Tiefe wird übrigens am besten an
Horizontalschnitten studirt. Deshalb wurden die Centralganglien
in drei horizontale Schnitte zerteilt. Der obere Schnitt wurde
in der Ebene des Ganglion habenulje gelegt, der untere teilte
den Colliculus superior in zwei gleich grosse Teile.
An dem oberen Schnitte (Fig. 10) liegt nun die Cyste 7
m.m. vor dem occipitalen Rande des Thalamus (resp. Pulvinars)
5 m.m. lateral vom medialen Rande des Ganglion habenulfe,
hat eine trianguläre Form und misst in frontaler Richtung 9
m.m., in sagittaler 4 m.m. Ein unregelmässiger kleinerer Herd
liegt zwischen der Capsula interna und dem vorderen lateralen
Rande der Cyste. Der Herd ist gelblichroth. Der grössere
Herd berührt die Capsula interna nicht, der kleinere liegt un-
mittelbar an ihr. ohne auf sie überzugreiffen (s. weiter die mikro-
skopische Untersuchung).
Am nächsten Schnitt 4 m.m.. mehr ventral ist die Schnitt-
fläche völlig normal.
Ganglion habenute und Stria terminalis sind intakt.
Nucleus caudatus. Das Ganglion ist in seinem mittleren
Abschnitt durch die Cyste quer durchschnitten. Sonst ist es
makroskopisch völlig normal. Die Zerstörung misst etwa 6 m.m.
Die Corpora geniculata internum und externum sind makro-
skopisch normal, wie auch der rechte Tractus.
Colliculus anterior und inferior ohne Anmerkimg.
Mikroskopische Untersuchung.
Taf XXV. Fig. 8 — 10.
Für die mikroskopische Untersuchung der Centralganglien
der rechten Seite wurden sie in horizontale Schnitte zerlegt, um
die Ausdehnung der Läsion in der Capsula klar zu legen. Von
den etwa 500 Präp. wurden etwa 80 gefärbt und mikroskopisch
untersucht.
An der makroskopischen Fiq;ur 7. Tafel XXV., sieht man
am lateralen Rande des Thalamus im Sulcus optico-striatus in
der Form eines einige m.m. breiten Streifens die dorsale Aus-
breitung der Läsion. Wenn man in dieser Ebene einen Hori-
zontalschnitt macht, so bemerkt man, dass die Läsion sich auch
nach aussen ausdehnt und hier auf die Capsula interna, resp.
Corona radiata, übergreift. Die Läsion misst hier in sagittaler
Richtimg 25 m.m. und in frontaler etwa 5 m.m.. beginnt 5 m.m.
occipital von dem Caput nuclei caudati und hat den hier liegen-
den mittleren Abschnitt der Corona radiata abgeschnitten. Die
frontale Strahlung ist unversehrt geblieben. Lateral von der
Läsion, in einer Ausdehnung von 5 — 10 m.m. oder fast bis zur
Rinde der Insula, zeigt die Corona radiata eine durchlöcherte
Beschaff'enheit. Die Fasern sind zwar hier gefärbt, aber zum
Teil degenerirt.
Schon etwa 10 Schnitte mehr ventralwärts (Taf. XXV,
Fig. 8.) zieht sich die Läsion (Präp. 10 — 27) in der Länge
zusammen, aber dehnt sich in der Quere aus und bildet eine
dreieckige Cyste von i -f 2 cm. Grösse, welche etwa 5 m.m.
occipital vom Nucleus anterior liegt, und hat, ausgenommen die
vorderste Spitze des- Thalamus (in einer Ausdehnung von i cm.)
auch den ganzen mittleren Abschnitt des Thalanuis zerstört, und
18-2 S. E. MENSCHEN. PATHOLOGIE DES GEHIRNS
auf den hintersten (= den dorsalen Teil des Pulvinars) so einge-
wirkt, dass hier sowohl alle Fasern wie die Zellen völlig degenerirt
und körnig zerfallen sind.
Auch im frontalen Abschnitt des Putamens liegt eine kleine
Malarie. sowie im medialen Rande des Caput Nuclei caiidati.
An den folgenden mehr ventralen Schnitten (Präp. 30 — 70)
liegt die Cyste scheinbar mehr lateral, aber noch im medialen
Rande der Capsula interna. Nur der fronto-mediale Abschnitt
des Thalamus ist anscheinend erhalten (Fig. 9. Taf. XXV.). Die
Cyste misst 8 + 8 m.m., hat aber auf die Umgebung nach allen
Richtungen degenerirend eingewirkt, so dass der medial von der
Cyste liegende Abschnitt des Thalamus statt Zellen fast nur
Pigmenthäufchen enthält, und das Grundgewebe im höchsten
Grade in der Ernährung gestört ist. Die Fasern sind zum Teil
besser erhalten.
An den folgenden Schnitten (Taf. XXV. Fig. lo.) zic//t
sii/i die Cyste iiaeli und iiaeJi iiielir zusammen, und in der Höhe
des Ganglion habenulse misst sie nur etwa 5 m.m. im Durch-
schnitt. Ein grosser Teil des Thalamus, sowohl nach vorn wie
nach innen, bleibt von ihr unberührt, und in den vorderen
Abschnitt ziehen zahlreiche Bündel von dem frontalen Abschnitt
der inneren Kapsel. Auch im occipitalen Abschnitte finden
sich mit der occipitalen Strahlung zusammenhängende Bündel.
Die Cyste berührt nunmehr die Kapsel nur in ihrem mittelsten
Teil, und bald bildet sie an der Grenze zwischen dem Thalamus
und dem Pulvinar nur einen 1 — 2 m.m. breiten, gleich lateral
von dem Ganglion habenul?e in schräg frontaler Richtung gehen-
den, Schlitz, dessen Umgebung nur in einer Ausdehnung von
einigen m.m. verändert ist, und welcher nunmehr die innere
Kapsel gar nicht berührt.
Das Pulvinar ist nunmehr zwar der Form nach erhalten,
aber sein Gewebe ist doch wesentlicli verändert; das Grundgewebe
wie fein porös, die Zellen in Pigmentumwandelung, die Fasernetze
zum Teil \erschwunden, aber die grösseren Bündel erhalten,
wenn auch entfärbt.
In der Höhe der Conunissura posterior hat das Pulvinar
normale Form, die Bündel von dem occipitalen Abschnitt der
inneren Kapsel sind gut gefärbt, aber das Gewebe hat noch
äusserst ])igmentreiche Zellen, sehr grosse pericelluläre Räume,
und es scheint noeh eine Ernährungsstörung vorzit!iege/i.
Der ventrale Abschnitt des Pulvinars scheint dagegen in
der Höhe des inneren Kniehöckers normale Textur zu haben.
Aus dieser detaillirten Beschreibung geht also Folgendes
hervor:
Thalamus: im dorsalen Teil ist nur der Nucleus anterior
erhalten; weiter nach unten dehnt sich das unversehrte Gebiet
des (ranglions aus, und das vordere Drittel kann als erhalten
bezeichnet werden und schliesslich fast der ganze vor dem
Ganglion habenulce liegende Abschnitt.
Pulvinar: der dorsale Abschnitt ist völlig zerstört, der mittlere
der Form nach erhalten, aber gewiss nicht funktionsfähig, der
ventralste an der Höhe des inneren Kniehöckers ist erhalten.
Capsula interna: im dorsalen .\bschnitt ist die Corona
radiata, ausgenommen die frontale Strahlung, /// grosser Aus-
dehnung abgeschnitten, mehr ventral ist nur der mittlere Abschnitt
zerstört; und noch mehr ventral berührt die Cyste gar nicht die
Kapsel.
Der Nucleus lentiformis ist Uberhaupt nicht berührt, aus-
genommen dass im dorsalsten und frontalsten Abschnitt eine
kleine i m.m. grosse Malacie liegt.
Der N'ucleus caudatus ist in der Höhe des Sulcus optico-
striatus von der Läsion berührt, und auch das Caput ist im
medialen Rand etwas zerstört; sonst ist das Ganglion intakt.
Nucleus ruber. Corpus Luysii sind unversehrt.
Corpus geniculatum internum, Corpus geniculatum externum,
Tractus opticus und Colliculus anterior berührt die Malacie gar
nicht, und alle diese Teile sind normal.
Epikrise.
Kurzer Krankenbericht. Der Vater war Alko-
holiker, starb an Schlagfluss, wie auch ein Bruder und eine
Vaterschwester, l'at. hat weder Alkohol gemissbraucht, noch
Lues gehabt. Ausgenommen, dass sie oft an Kopfschmerz
litt, war sie bis in's hohe Alter gesund und kräftig. Litt in
den letzten Jahren an Schwindelanfällen.
Kurz vor dem Schlaganfalle am ^/i 1890 hatte sie eine
heftige Gemütsbewegung; der linke Arm wurde schwach und
zitterte, es wurde ihr eigenthümlich im Kopf; die Beine fingen
an zu zittern, sie fiel um auf die linke Seite, ohne das Be-
wusstsein zu verlieren. Sonst scheint keine Hemianopsie vor-
handen gewesen ; sie war paretisch links im Gesicht und in
der Zunge, und das Gehör war links vermindert. Der linke
Arm war vollständig gelähmt, das Bein auch gelähmt, wenn
auch in gerigerem Grade. Die Sensibilität bedeutend ver-
mindert im linken Arm, weniger im linken Bein. Incontinentia
urina,'.
Der Zustand verbesserte sich bald; das Bein wurde be-
weglicher, und die Anästhesie verminderte sich bald.
■ Status Ende Januar 1890. Bettlägrig, afebril, kraftlos.
Psyche: freies Sensorium und recht gute Intelligenz; keine
Aphasie. I. Geruch etwas herabgesetzt. II. Keine Hemian-
opsie; Augenhintergrund normal, rechtes Auge fast blind.
III. IV. VI. Pupillen ungleich, excentrisch, sonst normal.
V. Normal. VII. Links etwas paretisch sowohl im oberen
wie unteren Facialis. VIII. Gehör links etwas herabgesetzt.
IX. Normal. XI. Stimme rauh, klanglos. XII. Links paretisch.
Sensibilität: links herabgesetzt; Miiskelsinn normal.
Motilität; Arm paralytisch, Bein paretisch, wie auch in
geringerem Maasse der Rumpf.
Vasomotorisches: linke Hand angeschwollen; links etwas
atrophische Glieder.
Herz: dilatirt mit systolischem Geräusch; Arter radiales
sklerotisch, Gesichtshallucinationen, wie auch später so-
wohl Gesichts- wie Gehörhallucinationen. ^"/2. Keine Anäs-
thesie nachweisbar; Motilität gebessert. Vom ^°/a an Fieber,
Verschlechterung, dann Somnolenz und Delirien, diffiise Bron-
chitis, ^^/s. Tod.
Hemianopsie zvurde in der letzten Zeit nie beobachtet.
Diagnose. Art der Läsion. Schon im Leben wurde
die Diagnose auf Thrombose gestellt, und zwar aus folgenden
Gründen. Der Insult scheint sich langsam entwickelt zu ha-
ben. Nach der Gemütsbewegung wurde der linke Arm
leicht paretisch, dann trat Tremor ein, etwas später wurde
auch das Bein paretisch, und zuletzt paralytisch. Der Insult
ÜBER DIE BEZIEHUNG DER SEHFASERN ZU DEN CENTRALGANGLIEN
183
war weiter nicht von Bewusstlosigkeit gefolgt — im Gegen-
theil schrie die hülflos am Boden liegende Pat. nach Hülfe,
bis die Nachbarn kamen. Auch die Dilatation des Herzens
und die Sklerose der Gefässe sprach dafür. Die Diagnose
bestätigte sich bei der Sektion. Kein Blutpigment deutet
darauf, dass die Cyste hämorrhagischen Ursprungs war.
Lokalisation der Läsion. Die Hemiplegie gab im Gan-
zen wenige Haltpunkte für eine Lokaldiagnose. Die zuerst
nur im Arm auftretende Parese, welche nachher auch das Bein
traf, konnte für eine Rindenläsion sprechen, andererseits kam
die Beinparese unmittelbar nach der des Arms.
Gegen eine vollständige Zerstörung der Capsula interna
sprach die bald eintretende Besserung und das vollständige
Verschwinden der Anästhesie. Für eine solche Lokalisation
aber sprach das ungestörte Allgemeinbefinden, ungeachtet der
vollständigen Hemiplegie.
Analyse der Symptome.
Das Unversehrtsein der Psyche und der Sprache steht
in gutem Einklang mit dem Fehlen jeder Läsion der Rinde.
Kranialnerven. I. Die allgemeine Herabsetzung des
Geruches war wohl eine Störung der Nasenschleimhaut.
II. Am interessantesten in diesem Falle 7uar das Aus-
bleiben einer Hemianopsie, ungeachtet der recht durchgreifen-
den Läsion des rechten Thalamus. Diese Läsion ähnelt im
Ganzen der im Falle n:o 8 (Teil III. S. 88.), nur war die
Läsion dort noch umfassender und zählte bei der LIntersuchung
schon viele Jahre. Hier wurden nie Zeichen einer Hemian-
opsie wahrgenommen. Pat. selbst konnte dies hinsichtlich
der Zeit unmittelbar nach dem Insulte selbst angeben, und
in demselben Monate wurde im Krankenhaus darauf geprüft
und nachher kurz vor dem Tode bestätigt. Bei der Sektion
finden wir eine hauptsächlich die mittlere Partie des Thalamus
zerstörende Läsion. Im dorsalen Teile ist nur der Nucleus
anterior unversehrt, weiter unten wohl ^/s — ^'a des Thalamus
(Vgl. die Fig. 8 — lO. Taf XXV). Vom Pulvinar ist nur der
ventralste Abschnitt erhalten und funktionsfähig, imd zwar in
ungefähr demselben Umfange wie im Falle 8, ja ich könnte
selbst auf diese Figuren hinweisen. Der klinische Befund ist
auch derselbe — keine Hemianopsie. Elin Unterschied bestand
jedoch. Im Falle 8 waren die Cyste und die Läsion der
Umgebung durch eine Hämorrhagie bedingt, hier durch eine
Thrombose, resp. Malacie. In diesem Falle blieb die Gesichts-
störung vom Anfang an aus, in jenem kann sie wohl anfangs
vorgefunden worden sein, war aber zur Zeit der klinischen
Beobachtung verschwunden. Die beiden Fälle beweisen also
Folgendes :
Die ganze mittlere Partie des Thalamus opticus soiuie
die ganze dorsale und mittlere Partie des Pidvinars enthalten
keine solchen optischen Fasern, dass durch ihre Zerstörung
ein Gesichtsfeldsdefekt entsteht — das ist der wichtige Schluss,
den wir aus diesem Falle ziehen können. Und dieses Resultat
steht mit allen übrigen von mir beobachteten Thatsachen
in gutem Einklang.
Den später erwähnten Gesichtshalluci)iationen lagen keine
makroskopisch merkbaren Veränderungen zu Grunde.
III. IV. VI. Die unbedeutende Pupillenveränderung imd
die excentrische Lage lässt sich wohl nicht aus dem Sektions-
befunde mit Sicherheit erklären, wenn auch die optisch-pupil-
laren Fasern' an der rechten Seite etwas in ihrer Funktion
eventuell gestört waren.
V. VII. Die anfangs wahrgenommene Schwierigkeit zu
kauen auf der linken Seite kann möglicherweise eine Folge
von Störung des Quintus sein, ist aber wahrscheinlich ein
Symptom vom Facialis.
Der Facialis war, wie ich schon in analogen Fällen
mehrmals bemerkt habe, sowohl in den oberen wie unteren
Asten gestört.
VIII. Die Gehörstörung ist, wie ich auch schon mehr-
mals bemerkt habe, (P'älle i6 und Jan Anderson) eine recht
allgemeine. Hier ist die Störung in Folge der Herabsetzung
des Gehörs auch auf dem rechten Ohre wenig ausgeprägt.
Die Läsion scheint auch kaum die Gehörleitung direkt abge-
schnitten, sondern nur in der Nähe der Bahn gelegen zu ha-
ben, und der innere Kniehöcker war intakt.
Die Gehörhallucinationen waren nicht durch makrosko-
pische Veränderungen bedingt.
IX. Der Geschmack war normal; das Schlingen bisweilen
gestört, vielleicht durch die Störung des Larynx.
XI. Die Rauheit und Klanglosigkeit der Stimme deutet
auf eine Parese der Stimmbänder, und eine solche is;., wie
ich nachgewiesen habe, sehr gewöhnlich bei allerlei Hemi-
plegien. Leider wurde die Laryngoskopie nicht vorgenommen.
XII. Die Zunge wich wie gewöhnlich ab.
Sensibilität.
Die Anästhesie findet die gewöhnliche P'rklärung; das
Verschwinden dieses Symptoms erklärt sich wohl aus der
Beschränkung der Zerstörung der inneren Kapsel und beson-
ders des hintersten Abschnittes, welcher überhauiat kaum
ergriffen w'Hy.
Dass alle Gefühlsqualitäten gestört waren, ist, wie schon
mehrmals bemerkt, die Regel. Wenn der Muskelsinn verschont
war, so steht dies mit der überhaupt nicht tiefen Anästhesie
in Übereinstimmung. Fast nur in denjenigen Fällen, wo die
Anästhesie sehr intensiv und dauernd ist, ist auch der Muskel-
sinn gestört.
Motilität.
Die Störung verhält sich ganz regelmässig, ist am aus-
gesprochensten im Arm, weniger im Bein und nur unbedeut-
end am Rumpf Die baldige Besserung steht mit der unvoll-
ständigen Zerstörung der inneren Kapsel im Einklang.
Reflexe und vasomotorische Störungen boten nichts Be-
sonderes dar.
184
S. E. RENSCHEN. PATHOLOGIE DES GEHIRNS
Fall 18. Kristina Jönsson.
71 Jahre. Köchin.
Tafel XXII. XXV. 5. 6.
Klin. Diagnose: Hemiplegia sin. c, hemianopsia Irans, e thpomb- Anatom. Diagnose: Hsemopphagia cepebpl.
bosl (?) eepebpi,
Zusammenfassung. Das 71-jährige Frauenzimmer
wurde ^*^/2 94 von Apoplexie betroffen und wurde an der
linken Seite paralytisch. Gleichzeitig Hemianopsie nach links.
Nach einem Monate war diese verschwunden. Kurz vor dem
Tode ein Anfall mit Einschränkung der rechtseitigen Gesichts-
feldhälften. Litt mehrmals an rechtsseitigen Gesichtshallucina-
tionen, welche durch ältere und jüngere Blutungen im linken
Occipitallappen erklärt werden. Die Hemianopsie wird durch
den Druck eines hämorrhagischen Herds in der Capsula ex-
terna erklärt. Der Fall beweist, dass Zerstörung der inneren
Kapsel, des Linsenkörpers, des grössten Teils des Pulvinars
und gewisser Teile des Thalamus nicht Hemianopsie her-
vorruft.
Anamnese. Heredität. Hereditäre Belastung für Nerven-
krankheiten kann nicht nachgewiesen werden. Der Vater war
nicht Alkoholiker und starb im Alter von 85 Jahren: die Mutter
war bei ihrem Tode 49 Jahre alt. Die (Geschwister sind gesund.
Die hygiciuisclicii Verhältnisse waren immer gut.
Lcbcusvcrlitiltuisse. Fat. hat immer ein regelmässiges und
ruhiges Leben geführt. Ihr Gemüt war früher immer heiter,
ausgenommen in den letzten Jahren, wo sie ohne Ursache sich
oft gedrückt fühlte. Ihre Intelligenz war immer auffallend gut.
Sie war dem Trunk nie ergeben und trank auch Kaffee nur
massig. Luetische Infektion wird geläugnet.
Die Regeln fingen im 19. Jahre an und hörten ohne Störung
mit dem 50 auf Nicht verheiratet.
Frühere Krankheiten. Ausgenommen Masern und kaltes
Fieber, welche sie als Kind, und zwar ohne Complikationen,
durchmachte, war sie sonst immer gesund und bis in die letzten
Jahre kräftig.
Im Alter von 60 Jahren wurde ihr bei einem Falle das
rechte Bein im Knie luxirt. Seit dieser Zeit war sie nicht so
beweglich wie früher; und von dieser Zeit an begann sie nieder-
gedrückt zu werden.
Im Mai letzten Jahres wurde eine Bauchgeschwulst bei ihr
bemerkt. Diese nahm nachher in beunruhigender Weise zu,
obschon sie sonst nicht besonders davon litt.
Gegenwärtige Krankheit. Prodrome. Vor einigen Jahren
fingen Hirnsyniptovie an, sich zu zeigen; sie waren anfangs nicht
beunruhigend, nahmen aber allmählich zu. Sie litt längere
Zeit an Kopfweh, ab und zu traten Schwindelanfälle auf, und
zwar gelinde, so dass sie das Bewusstsein nicht verlor; aber sie
zwangen sie, das Bett zu hüten. Sie hatte Ekel, es wurde ihr
dunkel vor den Augen und sie fühlte sich schwindelig im Kopf
Vor vier Jahren — im Alter von 68 Jahren — fühlte sie
sich eines Abends nach stärkerer Anstrengung eingenommen und
scliwindclig im Koj)f Nach einer Weile versank sie in »Betäu-
bung» und sah eine Reihe von schwarzen Gestalten mit deutlichen
Gesichtern, welche von der rechten Seite kamen und an der Decke
herumgingen. Sie stand dann auf und legte kalte Tücher auf
die Stirn, wonach die Gestalten verschwanden. Die »Betäubung»
ging vorüber und es stellte sich Schlaf ein. Nachher hat sie
solche Erscheinungen nicht mehr gesehen.
Die Sehschärfe hat während der letzten Jahre bedeutend
abgenommen und wurde durch Gläser nicht genügend verbessert.
Am 10. Februar 1894 um 6 Uhr, als Fat. im Hofe ging,
wurde sie plötzlich von einem Schwindelanfalle ergriffen, der
schwerer als je war. Sie fiel auf die linke Seite um, fühlte sich
unwohl und schwindelig im Kopf Sie verlor nicht das Be^vusst-
scin, war jedoch ausser Stande sich zu bewegen. Wurde von
Anderen in"s Bett gebracht. Nach dem Anfalle war ihr Zustand
folgendermassen.
Cerebrale Störuti^gen.
1. Das Kopfweh wurde nach dem Anfalle vermehrt, aber
es war jetzt nur auf der rechten Seite vorhanden.
2. Benommenheit und Schwindel waren nicht vorhanden.
3. Gleichgewichtsstörungen. Fat. konnte nicht ohne Stütze
im Bette aufrecht sitzen; auch unterstützt hatte sie Neigung, nach
links zu fallen.
4. Erbrechen : nicht vorhanden.
5. Psychische Störungen. Kein Stumpfsinn ist dem Anfalle
nachgefolgt. Ihr Gemüt wurde auch nicht verändert. Ihr Ge-
dächtniss war fortdauernd gut. Keine Seelenblindheit oder Wort-
taubheit war vorhanden. Ob Wortblindheit oder Agraphie vor-
handen waren, ist ungewiss. Weder amnestische Aphasie, noch
Faraphasie wurde bemerkt.
6. Kranialnerven. I. Keine Störung bemerkt. Sie
nahm den (ieruch von Aseptin gleich nach dem Anfalle wahr.
II. Die Sehschärfe wurde nach Angabe nicht vermindert.
Hemianopsie wurde nicht bemerkt. Hallucinationen: Am Tage
nach dem Anfalle will Fat. an der Decke eine Kindergestalt an
einem Sterne gesehen haben. Sie verlegt das Bild bei Anfrage
immer nach rechts. Die Erscheinung verschwand bald.
Beim Darreichen eines Glases Wasser griff sie oft fehl
(Hemianopsie?)
III. IV. VI. Keine Ablenkung der Augen wurde bemerkt.
V. Keine Veränderung der Sensibilität im Gesicht wurde
bemerkt. Das Kauen gut.
VII. Der Mund war verzogen.
VIII. IX. Nichts Besonderes.
ÜBER DIE BEZIEHUNG DER SEHFASERN ZU DEN CENTRALGANGLIEN
185
XI. XII. Die Stimme der Pat. wurde nach dem Schlag-
anfalle verändert, und zwar scliwächer und raii/ier. Die Sprache
wurde undeutlich.
7. PcripJwriscJie Nerven.
Sensibilität. Pat. bekam am folgenden Tage nachdem
Anfalle leichte Sehmerzeii in der linken Seite. Sie bemerkte auch,
dass die Empfindung abgestumpft wurde; fühlte jedoch, dass
das wollene Tuch, womit ihr Arm umbunden wurde, warm war
(es war vor dem Feuer gewärmtj.
Motilität. Unmittelbar nach dem Anfalle konnte Pat.
weder den linken Arm, noch das linke Bein bewegen. Sie fühlte
sich steif in der ganzen linken Seite und konnte sich nicht im
Bette wenden.
Keine Zuckungen oder Kontrakturen wurden bemerkt.
Vasomotorische Störungen. Sie empfand die linke Seite als
kälter
Trophische Störungen: nicht vorhanden.
Die Defäkation, früher träge, hörte nach dem Anfalle voll-
ständig auf, wenn nicht nachgeholfen wurde.
Die Harnentleerung normal.
Pat. wurde am 12. Febr. im Krankenhaus aufgenommen.
Status praesens den 15. — 26. Febr. 1894.
Pat. bettlägrig, nimmt gewöhnlich Rückenlage ein, und zwar
mit dem Kopfe nach links gewendet. Der Schlaf ist unruhig,
der Appetit schlecht, die Temperatur afebril. Sie erbric/it dann
und wann, ohne Zusammenhang mit dem Essen.
Subjektive Symptome.
1. Kopfschmerz. Pat. klagt über schweren Kopfschmerz,
welcher in der rechten Seite des Kopfes lokalisirt ist. Oft
streicht sie unter Wehklagen mit der Hand über diese Hälfte.
An den letzten Tagen befand sie sich besser.
2. Benommenheil nicht mehr vorhanden.
Objektive Untersuchung.
Psyche. Intelligenz: Pat. ist nicht schlaff oder abgesjjannt.
interessirt sich viel für ihre Umgebung. Sie hat übrigens eine
auffallend gute Intelligenz.
Gemüt. Ihr Gemüt ist von Tag zu Tag mehr deprimirt ge-
worden und sie spricht oft von ihrem bald bevorstehenden Tode.
Gedächtniss überhaupt gut, wie au( h ihre Urteilskraft und
ihr Denkvermögen.
Aphasie: Wortblindheit. Worttaubheit, motorische oder
amnestische Aphasie, Paraphasie sind nicht vorhanden. Zahlen
kann sie sowohl lesen wie schreiben, kann auch addiren, subtra-
hiren, multipliciren und dividiren. Keine Form von Agraphie
ist vorhanden.
Seelenblindheit oder Seelentaubheit besteht nicht. Ihr Ge-
dächtniss für Farben, Geräusche, Geruch und Geschmack-Stoffe
ist gut.
Kranialnerven.
I. Der Geruch für verschiedene Stoffe wie Terpentin,
Pfefferminzöl, Essigsäure. Aether, Eau de Cologne ist wesentlich
gut. Vielleicht eine leichte Verminderung an dem linken Nasen-
ioc he.
II. Sehschärfe beiderseits in gleichem Grade vermindert,
S = 0.1. Nahpunkt und Fernpunkt resp. 0.75 und 1.25 m.
Gesichtsfeld. Linksseitige Hetnianopsie mit beiderseits kon-
cen Irischer Gcsichtsfeldeinschränkung (s. Perimeterkarte \).
Farbensinn überhaupt gut, für Grün etwas schwach.
Hallucinationen. Einen Tag, als ich mich mit der Pat.
unterhielt, stiess sie plötzlich einen Ruf aus und fragte, was das
für eine schwarzgekleidete lange Dame sei, die in der Thüre
stehe (aber Niemand stand da). Die Augen waren starr und
abwesend, nach rechts abgelenkt (nach welcher Seite die Thür
lag). Nach etwa 2 Minuten war die Erscheinung verschwunden.
Ophthalmoskopisches: Keine Stauungspapille.
III. IV. VI. Die Pupillen rund, etwas kontrahirt; die linke
grösser, beide reagiren auf Licht und bei Accomodation. Keine
hemiopische Pupillenreaktion.
Die Augen sind gewöhnlich nacli rechts abgelenkt, kein
Strabismus, Nystagmus, keine Diplopie. Pat. kann nicht lange
einen Gegenstand fixiren.
V. Die Sensibilität an der linken Gesichtshälfte vermindert.
Pat. empfindet nicht dem LTnterschied zwischen der Spitze und
dem Knopf einer Stecknadel. Lokalisirt auch schlecht eine nicht
zu leichte Berührung mit der Nadel.
Ameisenkrieehen in der linken Gesichtshälfte; Pat. kratzt
oft hier, nicht aber rechts.
VIL Der Augenfacialis nicht betroffen. Das Schliessen
der Augen, das Runzeln der Augenlider und der Stirn ist beider-
seits gleich.
Der untere Facialis. Die linke Nasolabialfalte ist undeut-
licher als die rechte. Der rechte Mundwinkel nach oben auf-
gezogen, was am bestem beim Öffnen des Mundes hervortritt.
Kann nicht pfeifen. Das rechte Nasenloch erweitert, das linke
verengert.
Gaumen: der linke Gaumenbogen steht niedriger und ist
breiter als der rechte. Die Uvula weicht nach rechts ab.
Speichelsekretion : Pat. fühlt sich trocken im Munde, beson-
ders links, und ist immer durstig.
VIII. Gehör: nach dem Anfalle nach Angabe nicht ver-
schlechtert. Hört eine Taschenuhr in einer Entfernung von i
Meter.
^^/i. Mit dem rechten Ohr hört sie eine Taschenuhr in
einem Abstand von 4 cm., mit dem linken erst von i.s cm.
Keine Hallucinationen; kein Sausen.
V. IX. Den Geschmack von Salzigem, Saurem, Süssem
und Bitterem giebt sie richtig an. wenn die Stoffe an der Spitze
186
S. E. RENSCHEN. PATHOLOGIE DES GEHIRNS
oder an der Wurzel der Zunge applizirt werden. Der Geschmack
ist rechts deutlich besser als links, denn sie brau( ht im letzteren
Falle immer längere Zeit, um zu entscheiden.
Die Sensibilität der Zunge: links herabgesetzt, sie emj)findet
hier nicht den Unterschied zwischen Spitze und Kopf der
Stecknadel.
Das Schlucken ist nicht gestört.
X. Das Herz schlägt etwas unregelmässig, 84; später
regelmässig.
XL Die Stimme ist schwach und grob, ohne Klang.
XII. Die Zunge 7veicht nach links ab und kann nicht so
weit herausgestreckt werden wie gewöhnlich.
Die Sprache dick, keine fibrillären Zuckungen.
Spinale Nerven.
Sensibilität.
Hechts nicht herabgesetzt.
Links ist die Sensibilität in allen ihren Qualitäten am Arm
und Bein völlig versclmnmden.
Am Rumpfe ist die Sensibilität laterahiHirts aufgehoben; je
mehr nach der Mittellinie, um so deutlicher empfindet Pat. eine
nicht zu leichte Berührung.
Muskelsinn : Man kann ihren linken Arm und ihr linkes
Bein legen wie man will, ohne dass sie weiss, wie sie liegen.
Motilität.
Die Motilität ist an der rechten Seite nicht eingeschränkt,
ausgenommen im Beine in Folge der Luxation im Knie.
Linke Seite: Linker Arm: Pat. kann nur ausführen mini-
male Flexionen in den Interphalangealgelenken. minimale Flexionen
und Extensionen im Cubitalgelenke. Passiv kann der Arm in
jede l-age gebracht werden.
Linkes Bein: Eine unbedeutende Flexion im Kniegelenke
ist die einzige mögliche- Bewegung. Das Oedem verhindert jetzt
die Bewegung noch mehr als früher.
Der Rumpf: Die Motilität ist in der linken Seite in hohem
Grade herabgesetzt. Pat. kann sich nicht aufrichten, nicht ohne
Stütze sitzen, sich nicht wenden, wenn man sie aufrichtet. Kann
nicht den Kopf aufrecht halten. Er fällt nach vorn oder nach links.
Zuckungen oder Kontrakturen waren nicht vorhanden.
Reflexe : Die Patellar- und Kubitalreflexe sind links gesteigert,
rechts ziemlich normal. Kein Dorsalklonus.
Die Defäkation sehr träge, nur künstlich. Das Harnen
etwas schwierig.
Vasomotorische Störungen.
Der reclite Radialispuls ist kleiner als der linke.
Oedem. Das ganze linke Bein ist kolossal angeschwollen.
Lrophische Verhältnisse. Die Muskeln sind schlaff. Die
Haut beiderseits gleichartig.
Arteriosklerose : Die Arter iic radiales, wie auch die A. tem-
porales, sind liart anzufühlen, pcrlenschnuiförmig geschwollen,
wenn auch nicht stark.
Aorta: Über dem oberen Ende des Brustbeins treten Pulsa-
tionen hervor, und am rechten Sternoclavicular-Gelenke findet
sich eine kleinere wallnussgrosse pulsirende Geschwulst von der
Grösse von 2 cm.
Innere Organe.
Lungen. Rechts: Bronchitis.
Herz: nach oben verschoben. Seine Grenzen undeutlich.
Pulsationen im 2. -3. - 4. Zwischenripjjenraum. Töne ohne
Besonderes.
Bauch: Kolossal aufgetrieben. Ascites; Grosse Ovarial-
geschwulst. Leber: nach oben verschoben.
Rechtes Bein: deformirt.
Lfarn: sauer, sp. Gew. 1.030; weder Ei weiss, noch Zucker.
Status in März:
Allgemeinzustand verhältnissraässig gut. wie in Febr.
Subjektive Symptome: wie in Febr.
Objektive Untersuchung : Psyche und Sprachvermögen wie
in Febr.
Kranialnerven: I. Kein Unterschied links und rechts;
sonst wie in Febr.
II. ^'*/2 Keine linksseitige Hemianopsie mehr (s. Perimeter-
karte II). Farbensinn gut. in Bezug auf (irün wie früher schwach.
Keine Hallucinationen in der Zwischenzeit. Die linke Cornea
weniger empfindlich als die rechte.
III. IV. VI. Die linke Pupille fortdauernd etwas grösser.
Sonst wie früher.
V. Sensibilität links herabgesetzt, Pat. kann jetzt richtig
lokalisiren.
VII. Wie früher.
VIII. Rechts hört Pat. die Uhr auf 3 cm., links auf
0.5 cm.
IX. Geschmack ungefähr wie in Febr.
X. Puls regelmässig. 72.
XL XII. Wie früher. Die linke Schulter etwas niedriger.
Sensibilität. Rechts gut; Links bedeutend herabgesetzt,
fast verschwunden ; am Arm und Bein in höherem Grade als am
Rumi)f. wo sie, je näher nach der Mittellinie um so besser ist.
Motilität. Rechts gut. Links: Arjn. Pat. kann in den
Hand- und Fingergelenken kleine Bewegungen ausführen, und
im Ellenbogengelenk eine fast vollständige Flexion und Extension.
Keine Kontraktur.
Bein: Pat. kann das linke Bein recJit gut \t\ z\\t\\ Gelenken
bewegen.
Rumpf. Auch hier ist die Motilität gebessert. Pat. kann
sich bisweilen im Bette selbst aufrichten. Kann ohne Stütze sitzen.
ÜBER DIE BEZIEHUNG DER SEHFASERN ZU DEN CENTRALGANGLIEN
187
Vasomotorische Stöntngeu. Der Puls ist jetzt rechts bedeu-
tend grösser als links. ])as linke Bein ist kolossal angeschwollen.
Trophische Störungen.
Die Körperfülle und Muskulatur bedeutend reducirt. Die
Muskeln schlaff.
Defäkation wie früher; das Harnen etwas erschwert. Der
Harn sauer. Spec. Gew. 1.025, eiweiss- und zuckerfrei.
Innere Organe wie in Februar.
Zustand in April und Mai unverändert.
^*/5. Linkes Auge: M + 4 D; Sehschärfe 0.4.
Rechtes Auge: M + 3 D; Sehschärfe 0.3.
Ophthalmoskopisches: Pigmentansammlungen und Chorioi-
dealatrophie rings um beide Papillen. Beiderseits: beginnende
Katarakte. Gesichtsfeld: beiderseits fast normal. S. Perimeter-
karte III. 2,G.
Die Sensibilität: an der rechten Cornea mehr ausgeprägt
als an der linken.
Juni — September. Der Zustand war im Ganzen derselbe,
ausgenommen dass Pat. zweimal »gefärbte Flecke» ungefähr wie
am IG. Nov., gesehen haben soll.
Status 10. — 20. September 18^4.
Allgemeinzustand: wie früher. Nur selten leidet sie an
Koi)fschmerz, aber nun wird er nach dem hinteren Teil des Kopfes
und nach rechts verlegt. Pat. klagt immer über Schmerzen im
linken Fussgelenke, die ohne bekannte Veranlassung auftraten.
Psyclie. Intelligenz und Ciedächtniss erhalten.
Kranialnerven. I. Geruch normal.
II. Sehschärfe links 0.4, re(~hts 0.3. Farbensinn normal.
Gesichtsfelder s. Perimeterkarte IV vom *',n.
III. IV. VI. Keine hemiopische Reaktion; sonst nichts
Abnormes.
V. Nur geringe Herabsetzung der Sensibilität links. Sie
unterscheidet deutlich die Spitze und den Knopf der Nadel.
S. E. Hellsehen. Pathologie des Gehirns.
Schmerz-, Ort-, Tast- und Temperatursinn äusserst wenig herab-
gesetzt links. Das Kauen ohne Störung.
VII. Oberer Facialis normal.
Unterer Facialis : deutliche Parese links. Gaumensegel
beiderseits gleich.
VIII. Pat. hört das Ticken der Uhr rechts auf 7 cm.,
links erst auf 4 cm.
IX. Normaler Geschmack beiderseits.
XI. Puls: 80, regelmässig.
XII. Die Zunge weicht nicht mehr ab. Die Sprache voll-
ständig deutlich.
Spinalnerven.
Sensibilität: Rechts gut. Links: last- und Ortsinn: herab-
gesetzt.
Schmerzsinn : Kneifen und Stechen irgendwo an den Gliedern
(oder am Bauche) empfindet Pat. als Stechen in dem ganzen
entsprechenden Cxliede. Kitzeln unter dem linken Fusse emp-
findet sie auch als Stechen.
Temperatursinn: Links empfindet Pat. weder Kälte, noch
Wärme (Proberöhren mit Eiswasser und heissem ^^'asser).
Muskelsinu : Links bedeutend vermindert. Pat. kann nicht
angeben, ob die Finger gestreckt oder gebeugt sind.
Patellarrcflex : Jetzt links schwächer. Plantarreflex rechts
normal, fehlt links.
Vasomotrisches : l^er Puls links viel schwächer als rechts.
Die Arme gleich wann, aber das linke Bein viel kälter als das
rechte.
Trophische Störungen : \Vie früher. Harnen und Delakation
wie früher.
Lnnere Organe: wie früher.
IG. November. Der Allgemeinzustand schlechter als früher.
Pat. hat oft Kopfschmerz rechts. Kann nicht mehr aufrecht
sitzen. Schmerzen in den Schultern und im Hals, aber besonders
im linken Fussgelenke; Besserung durch Massage.
Röthe am linken Tuber ischii.
Vorgestern sah Pat. während einer kurzen Zeit eine Masse
von -»gefärbten, 7'iereckigcn Flecken», (xleichzeitig hatte sie Kopf-
schmcrze/i in der Stirn. Keine Benommenheit, kein Schwindel-
gefühl. Bei der heute vorgenommenen Untersuchung mit deni
Perimeter (weiss) ist das Gesichtsfeld des linken Auges ungefähr
wie früher, das des rechte// Auges in seiner lateralen LLälfte da-
gegen bedeutend eingeschränkt. Keine hemiopische Reaktion.
21. Nov. Neues Perimetriren (Karte V. x.) Für »Weiss»
sind die Gesichtsfelder links kleiner wie am '"/ii, rechts auch
etwas kleiner. Für Roth und Blau sind sie kiemer als am 6. Sept.
25
188
S. E. RENSCHEN. PATHOLOGIE DES GEHIRNS
29. Nov. Heute Nebel vor den Augen. Fühlt sich un-
ruhig. Puls Abends 120. T. 38.1" C.
30. Nov. Pat. sah lieute Nachmittag »einige kleine. -lUeiss
gekleidete Kinder ^> an der rechten Seite des Bettes. Afebril, P. 100.
1. Dec. Heute besser. Mit der Brille liest sie gut. Liebt
nicht mehr so viel /u lesen wie früher, weil sie durch Sitzen
müde wird.
2. Dec. Die (iesichtsfelder wie am 21. Nov. (für Weiss).
17. Dec. In der letzten Zeit überhaupt besser. Keine
Hallucinationen mehr. Afebril. T. normal.
Pat. wurde heute Morgens unruhig: klagte über Schmerzen
im Bauche. Morphin. Sie sprach wie gewöhnlich und war ganz
klar bis sie um 8 Uhr 15 Min. Vorm. ])lützlich verschied.
Behandlung : Symjitomatisch.
Sektion am 18. Dec 1894.
Auszug aus deui Protokolle.
Oedeni im linken Beine.
Herz: von gewöhnlicher Grösse und Konsistenz. Die grossen
Gefässe ungewöhnlich weit. Klappen normal; die Ventrikel normal.
Lungen: nichts Besonderes.
Leber und Milz normal. Nieren etwas atrophisch.
Bauch: ein grosses Ovarialkystom.
Aorta: stark sklerosirt mit Kalkschollen.
Sonst nichts Besonderes.
Kopf: Das Schädeldach symmetrisch, auch sonst normal.
Die Dura inater etwas dünn, wenig mehr gespannt als
gewöhnlich. Die ArachnoidealflUssigkeit klar, vermehrt.
Die Pia lässt sich überall leicht ablösen: auch sonst normal.
Die Gefässe bedeutend atheroniatös und ausgedehnt, flecken-
weise verengert.
Die linke Hemisphäre.
Die laterale Fläche. Gyri gut entwickelt, die Sulci tief und
von gewöhnlicher Konfiguration. Die Oberfläche ganz normal,
ohne Erweichungen.
Die mediale und die untere Fläche auch ganz normal.
Die Hemisphäre wurde in i cm. dicke Scheiben zer-
schnitten.
Der Occipitallappen.
Die Spitze völlig normal, ebenso der Schnitt / c.ni. vor
der Spitze.
Schnitt 2 cm. vor der Spitze. Völlig normal, ausgenommen,
dass eine unter der Loupe merkbare Lfyperäniie im subkortikalen
Marke unter dem Boden der Fissui a calcarina sich vorfindet,
ohne die Rinde zu berühren.
Schnitt 2.; c.ni. ganz normal.
Schnitt j cm. (Taf. XXII. Fig. 6). Hier tritt entsi)rechend
dem dorsalen Abschnitt des Bodens der Fissura calcarina im
subkortikalen Mark unmittelbar am Hinterhorne eine nach oben
breitere (4 m.m. breite) nach unten spitz auslaufende (13 m.m.
lange) Verfärbung auf sowie in ihrer Mitte eine kleine frische
Blutung (von 3 — 4 m.m.) Diese Veränderung liegt unmittelbar
unter (d. h. lateral) der Rinde des Bodens (Vgl. die F'ig.).
Die Rinde völlig normal.
Die Sehstrahlung ist in ihrer Hauptmasse von der Blutung
gar nicht berührt und übrigens makroskopisch normal. Der ven-
trale Ausläufer der Sehstrahlung zur Rinde der Fissura calcarina
ist auch nicht davon berührt: ob dagegen der obere von ihr
gestört ist. kann nicht makroskopisch entschieden werden.
Die Rinde der lateralen und ventralen Oberflächen ist
völlig normal, .sowie auch übrigens das Mark.
Schnitt 4 cm. vor der Spitze (Taf. XXII. Fig. yj. Der
Schnitt ist völlig normal mit der Ausnahme, dass eine ganz
frische sic helförmige, nach oben dickere (5 m.m. breite), nach
unten spitze Blutung, welche 1 1 m.m. an Höhe misst, sit h un-
mittelbar unter dem Boden der Fissura calcarina im subkortikalen
Mark befindet. Diese Blutung scheint in einem älteren Erweich-
ungs-. rcsp. Blutungsherde entstanden zu sein. Die Rinde der
Fissura calcarina ist übrigens normal.
Die .Sehstrahlung ist völlig normal, sowie auch der untere
und der obere zur Rinde der F. calcarina gehende Ausläufer.
In wie weit der obere von dem Blutungsherde berührt wird,
kann nur mikroskopisch entschieden werden.
.Schnitt 4.J cm. (Taf. XXII. Fig. 8.) Schnitt völlig normal,
ausgenommen ein i — 2 m.m. dicker sichelförmiger, missfarbiger,
gelber von oben nach unten 6 m.m. messender .Streifen, welcher
u nmittelhar unter der Calcarina-Rinde entsprechend dem oberen
Abschnitt des Bodens der Fissura liegt.
Übrigens ist die Hemisphäre überall normal.'
Die rechte Hemisphäre.
Der ()ccl]jitallai)pen ist vielleicht im Oanzen ein wenig
atrophisch und schärfer als sonst vom übrigen Oehirn abgesetzt.
Sonst finden sich an der Oberfläche oder im Mark keine
makroskoi)is( hen Veränderungen.
Sie wurde auch in i-c.m. dicke frontale Scheiben ge-
schnitten.
Schnitte i — 7 cni. vor der Occipitalspitze sind völlig nor-
mal, sowohl an der Oberfläche, wie im Mark.
Die Sehsfrahlu/ig erscheint ein wenig schmal, ohne dass
ein bestimmter Abschnitt derselben vorzugsweise getroffen ist.
So z. B. misst sie im unteren Abschnitte, dem Boden der Fissura
calcarina gegenüber, kaum 2 m.m. und die mittlere Schicht kaum
I m.m.
Am .Schnitt S.; cm. (Taf. XXII. Fig. 5.) in der bVontal-
ebene des Puhinars tritt erst eine Veränderung in Form einer
I m.m. breiten und 9 m.m. hohen gelbrothcn Narbe hervor:
diese liegt fast unmittelbar unter dem Ependym des lateralen
Ventrikels und mit dem unteren Ende entsi)rechend der nach
hinten verlängerten Fissura Sylvii.
.Schnitt p cm. (Taf. XXII. Fig 4.) Die Narbe ist hier in
vertikaler Richtung bedeutend verlängert, misst an Breite i — 2
m.m.. an Höhe 17 m.m. und bildet einen sichelförmigen Streifen
im subkortikalen Marke der Rinde des hintersten Abschnittes
der Fissura Sylvii.
Die Rinde ist makroskopisch nicht berührt; das die Narbe
umgebende Mark ist kaum verfärl)t. ausgenommen in der un-
mittelbaren Nähe der Narbe.
Die .Sehstrahlung. Die Narbe liegt am oberen äusseren
Umfange der Sehstrahlung und erstreckt sich nicht unter das
Pulvinar bis in sie hinein.
Die Narbe tangirt die Aussenseite der Capsula interna.
Schnitt 10 cm. (Taf XXII. Fig. 3.) durch die Centralganglien.
ÜBER DIE BEZIEHUNG DER SEHFASERN ZU DEN CENTRALGANGLIEN
189
Die gelbrothe Narbe ist bedeutend höher, liegt im subkortikalen
Mark der Insula unmittelbar subkortikal und umfasst bogenförmig
die Rinde der Insula, sowohl dorsal wie medial. Breite i - 2
m.m., Höhe r:a 30 m.m. Die Narbe liegt etwa 5 m.m. lateral
vom Tractus opticus.
In der Gittcrscliiclif des Thalamus liegt auch ein gelblicher
malacischcr Herd und sendet 2 kleine 2—4 m.m. lange Aus-
läufer in den Thalamus hinein. Grösse und Form s. die Fig.
Sonst sind die Rinde, das Mark und die Centraiganglien
makroskopisch normal.
Sehiütt II e.in. (Taf. XXII. Fig. 2.) durch das Corp. ma-
millare. Die sich nach unten in der Höhe des Tractus opticus
ausdehnende Narbe liegt fortwährend im subkortikalen Mark
der Insula, der Capsula externa entlang, miss* an Höhe etwa
30 m.m., an Breite i m.m., dem Tractus gegenüber 3 m.m.
Der Abstand vom Tractus 6 m.m.
Sehnitt 12 cm. (Taf. XXII. . Fig. i.) Die Narbe hat sich
bedeutend vermindert, liegt im subkortikalen Mark am oberen
Winkel zwischen der Insula und dem Operculum superius. Höhe
12 — 14 m.m.. Breite 1-2 m.m.
Die Capsula interna ist nicht berührt.
An mehr frontalen Schnitten findet man keine Veränderung.
Fons und Mediilla obloiigata ohne Befund.
Mikroskopisches.
Behufs genauerer Erforschung der Einwirkung der Hjemor-
hagie auf das umgebende Gewebe wurden die Centralgauglien
der rec hten Hemisphäre in eine zusammenhängende Reihe mikro-
skopischer Schnitte zerteilt.
Die hämorrhagische Cyste natte auch mikroskopisch dieselbe
Ausdehnung, wie makroskopisch, und diese erhellt aus den
Fig. I — 5. Taf XXII. Dagegen hatte die Blutung durch den
Druck nicht nur auf das zunächst liegende, sondern auch auf
entfernteres (iewebe so nachteilig eingewirkt, dass dieses Ge-
webe seine Textur verloren hatte.
An den occipitalsten Schnitten (a. i.) trennt nur eine
dünne, anscheinend nekrotische Wand die Cyste von dem Unter-
horn (Fig. 5. hsem). Das umgebende Gewebe ist in einer Aus-
dehnung von nur i — 2 m.m. degenerirt. Weiter nach vorn (a.
145 — c:a 300), wo das Pulvinar mit dem lateralen Gewebe zu-
sammenfiiesst, hatte die Blutung viel weiter auf das Gewebe
eingewirkt, nämlich auf die ganze dorsale Hälfte des Pulvinars
und die von dem lateralen Umfange einstrahlenden Fasern. Noch
weiter vorn (a. 300 — c:a 450) war die innere Kapsel entsprechend
der Mitte der Blutung zerstört.
An den zunächst folgenden etwa 200 Schnitten war die
innere Ka]jsel erhalten geblieben und bildet nach innen eine
Barriere gegen die Zerstörung. An den mehr frontalen Schnitten
liegt die Cyste an der Aussenseite des Linsenkörpers und hat
das Putamen in weiter Ausdehnung degenerirt. Dagegen war
der vorderste Abschnitt des Putamens vor der vorderen Com-
missur erhalten geblieben. (Fig. i. Taf. XXII.)
In Folge der Einwirkung der Hämorrhagie verhalten sich
die hauptsächlichen Ganglien folgendermaassen.
Nueleus eaudatus: übschon dieses Ganglion von der Hse-
morrhagie weder direkt, noch indirekt etwas gelitten hat, so ist
es do< h im vorderen Abschnitt, etwa dem Nueleus anterior thalami
entsprechend, imd noch etwas weiter nach vorn durch mehrere
kleine 1-2 m.m. grosse Malaeien durchsetzt. In mehr occi-
pitalen Abschnitten scheint der Körper des Nueleus eaudatus
unversehrt zu sein.
Thalanuis optiens. Der frontale Abschnitt des Thalamus
ist von der Blutung überhaupt unberührt.
a) Der Ntieleiis anterior sowie seine Kapsel und die Columna
sind normal.
b) Der Nueleus internus ist auch nicht verändert, weder
in mehr frontalen, noch occipitalen Abschnitten.
c) Der Nueleus extcrnus ist vorn, im Gebiete des Nueleus
anterior, normal und zeigt zahlreiche in das Ganglion ein-
strahlende Bündel und Fasern. Dagegen treten in mittleren
Teilen entsprechend den hintersten Abschnitten des Tractus,
in einer Ausdehnung von etwa 200 Schnitten, also 5 — 6 m.m.,
im ventro-lateralen Umfange Zeichen einer Veränderung auf,
welche nach hinten in Folge der I)ru<kwirkung der Hasmor-
rhagie deutlicher hervortritt. Vorn in dieser Partie ist nur ein
Ausfall einer grösseren Anzahl von Fasern in einer Zone, ent-
sprechend der Gitterseltie/it, vorhanden, wodurch das Gewebe
unter der Loupe etwas porös erseheint. Die Porosität ist am
meisten ausgesprochen, wo die Haubenstrahlung die innere Kapsel
erreicht. Nach hinten entspricht diese veränderte Stelle dem
Punkt an der inneren Kapsel, wo diese zerstört oder durchbrochen
ist. Dieser Partie entsprechend treten /;// lateralen Umfange des
Thalamus, siehe Fig. 3. Taf. XXII.. zwei kleine i nregel-
mässige 2 — 3+1 m.m. grosse Malaeien auf Diese hängen
weiter occipitalwärts fast mit der erwähnten grossen hämor-
rhagischen Cyste durch Ausläufer zusammen.
Im ganzen occipitalen Abschnitte des Thalamus ist des-
halb die Gittersehicht auf einer langen Strecke fast vollständig
zerstört, sowie die in den Thalamus vom lateralen Umfange
einstrahlenden Bündel. Das Ge^vebe ist einer durchgreifenden
Nutritionsstörung unterworfen und kann nicht als funktionsfähig
betrachtet werden.
Die Hauhensfralilung ist in ihrem lateralen .\bschnitte
medial von der inneren Kapsel auf einer weiten Strecke dureh-
trennt und ihre Verbindung mit den mehr centralen Teilen also
aufgehoben.
Der Nueleus ruher ist nicht direkt berührt, wohl aber,
wie es scheint, eine ventral von der Haulienstrahlung liegende,
Partie.
Der Luys'sehe Körper ist frei, sowie der Meynert'sche
Schenkel.
Pulvinar. Schon an den occipitalsten Schnitten ersieht
man. dass das Pulvinar, und besonders seine dorsale Hälfte,
einer wichtigen Ernährungsstörung unterliegt, indem die Fasern
daselbst fast verschwunden und die Zellen meistens in Pigment-
körner verwandelt sind. Das Stratum zonale ist jedoch übrig-
geblieben. Weiter nach vorn trifft diese Veränderung haupt-
sächlich die obere Hälfte bis die obern 2 Drittel, während im
unteren lateralen Umfange zahlreiche Bündel einstrahlen. Nur
das dem äusseren und inneren Kniehöcker am nächsten liegende
Gewebe hat seine Textur bewahrt. (^Taf. XXV. Fig. 6.)
100 S. E. RENSCHEN. PATHOLOGIE DES GEHIRNS
Das optische System.
Der Trditiis opticus ist deutlich iiulii vun der IJUilung
l>cnihit. Der Durchschnitt färbt sich intensiv und zeigt keinen
Ausfall, ausgenommen auf einem ganz kleinen (Jebiete am untern
medialen Umfange und an der medialen S])itze. Das erste (lebiet
umfasst i + m.m., das Andere c:a Hier scheinen
einige Fasern geschwunden zu sein, aber zahlreiche finden si( h
auch hier erhalten. An andern Durchschnitten kann man von
einen solchen Schwund kaum etwas sehen. Dagegen ist der
l'ractus in einer Strecke in der \Veise gedrückt, dass der untere
Rand nicht gerade, sondern eingelnichtet ist.
Das Gc-d'chc dorsal vom Iractiis zeigt dagegen einen deut-
lichen Faserschwund.
Der äussere Kiiieliöcker hat überhau])t seine Form vollständig
bewahrt. Seine Kapsel ist dick, die Markleisten deutlich und die
Zellen, sowohl die grossen wie die kleinen. :.ahlreieh. Das
Ganglion dürfte desshalb als ziemlieh iioriiial zu betrachten sein.
Das ll'cniieke'sc/ic Feld enthält zahlreiche Bündel.
Die Se/istra/iliiuf^. Eine auffallende Atrophie in der äus-
sersten Schicht — der Fasciculus longitudinalis • liesteht
hier an den Präparaten, welche den Figuren 5. u. 6. Taf. XXV
entsprechen. Zahlreiche Fasern sind jedoch übrig geblieben.
Besonders in der mittleren S( hi< ht der Sehstrahlung und in der
Höhe des Kniehöckers liegen zahlreiche dicke, gut gefärbte Bündel.
Der innere Kniehöeker scheint im (Janzen normal sowohl
hinsichtlich der Form wie der Kajjsel und tieferer Bündel.
Corpora qnadrigemi/ia anteriora. Reichliche Faserbündel-
netze in allen verschiedenen Schichten. Die radiären Fasern
zahlreich. Das Brachium anterius zeigt einen geringfügigen
Faserschwund.
Corpora qnadrigemina posteriora ohne Besonderes.
Linsenkörper: Dieses Ganglion ist durch die Hämorrhagie
am nächsten lietroffen und am meisten zerstört. In Folge des-
sen ist
das Putamen in seiner ganzen Länge von hinten, bis zur
frontalen Ebene des Nucleus anterior, zerstört. Dann folgt nach
\orn eine Strecke, in der das (ianglion zwar \'orhanden ist,
aber gewiss in seiner Structur verändert. Weiter nach vorn ist
das Putamen anscheinend ziemlii h normal und Bündel treten in
ihm auf.
Der Globus pallidus ist auch /// oecipitalen Ahsehnitten i'ollig
destruirf. Seine Textur tritt erst an mehr frontalen Schnitten
hervor, etwa entsprechend der Ebene des Mamillarkörijers. Hier
i.st jedoch das äussere Glied wesentlich verändert und nur im
inneren Gliede treten die dicken Bündel und die Kapsel deutlich
hervor.
Etwas weiter nach vorn hin ist das äussere (Jlied besser
erhalten und ist die Ansa lentieularis sehr deutlieh.
Capsula interna. l_)er frontale Abschnitt ist normal. Im
Ganzen ist dies auch der Fall im mittleren Bereiche, wenn auch
hier an der Aussenseite die Hämorrhagie eine Anzahl Fasern
zum Schwund gebracht hat. Der hintere Abschnitt ist dagegen
auf einer Strecke von wenigstens 150 Präparaten, also etwa 5
m.m. (•ollständig zerstört, in einer vertikalen Ausdehnung von
etwa 5—8 m.m. entweder mehr nach oben oder in der Höhe
der Hallbenstrahlung.
Epikrise.
Kurzer Krankenbericht. Keine Heredität. Weder
Alkohol-Missbrauch, noch luetische Infektion. Seit etwa zehn
Jahren gedrückte Stimmung in Folge von Beinbruch. Seit Mai
1893 hat sich eine grosse Ovarialgeschwulst entwickelt. Seit
einigen Jahren Kopfschmerz und Schwindelanfälle, vor vier Jah-
ren Schwindelanfall mit rechtsseitigen Gesichtshallucinationcn.
Die gegenwärtige Krankheit fing am 10. Februar 1894 an. Fat.
hatte einen Schwindelanfall, fiel um, verlor das Bewusstsein
nicht, wurde gelähmt in der linken Seite und wahrscheinlich he-
mianopisch. Der Mund war verzogen, die Stimme geschwächt,
die Plmpfindung abgestumpft, Schmerzen entstanden in der
linken Seite; linker Arm und linkes Bein wurden gelähmt.
Sie hatte am folgenden Tage eine rechtsseitige Gesichtshallu-
cination. — Stat. pncs. Mitte P'ebruar. Gute Intelligenz, keine
Aphasie, Kopfweh. Geruch links vermindert, linksseitige He-
mianopsie mit koncentrischer Gesichtsfeldcseinengung. Ge-
sichtshallucination nach rechts. Keine hemianopische Pupil-
lenreaktion. Augenablcnkung nach rechts. Sensibilität im Ge-
sichte links vermindert. Unterer Facialis geschwächt. Gehör
links vermindert, Geschmack ebenso. Zunge weicht nach
links ab. Sensibilität links in allen Qualitäten verschwunden.
Linker Arm paretisch wie das linke Bein. Nachher allmäh-
lich Besserung. Die Hemianopsie verschwand. Die Sensi-
bilität fortdauernd bedeutend herabgesetzt. Die Motilität et-
was gebessert. Im September Status idem. Im November
Verschlechterung, Hallucinationen nach rechts und partielle
Hemianopsie nach rechts. Im November Gesichtshallucina-
tioncn auch nach rechts. 17. December 1894 plötzlicher Tod.
Diagnose. Art der iJrsion. Die Arteriosklerose, die
Schwäche des Herzens in P'olge von Kompression, die wie-
derholten Schwindelanfälle, das Fehlen von Bewusstlosigkeit
bei dem Insulte und von Konvulsionen sprachen für Throm-
bose und gegen Hämorrhagie. Der Umstand, dass die He-
mianopsie später verschwand, sprach dagegen mehr für Hä-
morrhagie. Bei der Sektion wurde eine hämorrhagische Cyste
angetroffen, und zwar eine grössere in der Capsula externa
der rechten Hemisphäre und eine kleine Blutung im Marke
der Fissura calcarina, (Taf. XXII. Fig. 6 — 8.) aber ausserdem
einige kleinere Malacien im rechten Thalamus, (P"ig. 3. Taf. XXII).
Die mikroskopische Untersuchung, (Fig.6. Taf. XXV) zeigte,
dass durch die Hämorrhagie ein bedeutender Druck ausgeübt
worden war, weshalb auch die zunächstliegenden Teile, das
Putamen und die innere Kapsel, zum Zerfall gebracht waren.
Dessen ungeachtet fehlten bei dem Insulte alle Konvulsionen,
wie es nicht selten bei Hämorrhagie in den Centraiganglien
der Fall ist, und zwar wahrscheinlich deshalb, weil die dünne von
der Insularinde gebildete Wand dem Drucke nachgiebt.
Sitz der Läsion. Bei dem P'ehlen aller Reizsymptome
und in Anbetracht der ausgeprägten Anästhesie wurde eine
kleine Blutung in der Nähe der innere Kapsel angenommen,
und zwar so gelegen, dass sie die Sehbahn irgendwo interes-
siren konnte. Diese Lokalisation wurde später bestätigt, da
die Hemianopsie verschwand. Die kurz vor dem Tode und
auch früher eingetretenen Gesichtshallucinationcn wurden in
dem hnken Occipitallappen lokalisirt.
ÜBER DIE BEZIEHUNG DER SEHFASERN ZU DEN CENTRALGANGLIEN
191
Die Lokaldiagnose wurde bei der Sektion in befriedi-
gender Weise bestätigt. An beiden Stellen wurden Hänior-
rhagien nachgewiesen.
Analyse der Symptome.
Psyche. Mit Ausnahme der Gesichtshallucinationen,
welche Pat selbst bei voller Intelligenz beobachtete, waren
keine psychischen Störungen vorhanden. Im Gegenteil war
die klare Intelligenz und das gute Gedächtniss auftallend.
Apliasie war nicht vorhanden.
Kranialnerven. I. Die leichte Verminderung des Ge-
ruches links findet in dem Sektionsbefund keine Erklärung.
II. Besonderes Interesse beansprucht die linksseitige
HeuiiiDiopsie. Die beigefügten fünf Perimeter-Kai ten zeigen
am besten den Wechsel in der Grösse der Gcbichtsfelder.
Den ^','2, also eine Woche nach dem Insulte, bestand eine
linksseitige Hemianopsie mit ausgedehnter koncentrischer Ein-
schränkung beider Gesichtsfelder, aber besonders des linken
(Karte I). Den ^^'/s war die Hemianopsie verschwunden, aber
die koncentrische Einengung bestand fort, grösser links als
rechts. Im rechten Auge war das Gesichtsfeld nach unten
links besonders eingeschränkt ohne dass jedoch der Defekt
als quadrantischer bezeichnet werden kann (Karte II). Den ^/ü
sind beide Gesichtsfelder bedeutend grös.ser ohne die normale
Ausdehnung erreicht zu haben (Karte III). Etwas kleiner
erschienen sie den "^/g (Karte IV) und endlich nach der er-
neuerten Gesichtshallucination nach rechts trat eine deutliche
Einengung der rechtsseitigen Gesichtsfelder ein und gleich-
zeitig vermehrte sich die koncentrische Einengung (Karte V).
Dass die bei dem Insulte eingetretene linksseitige Hemia-
nopsie durch den Druck verursacht wurde, ist ja klar. Die
Figur 2 u. 3 zeigen wie nahe an dem hintersten Abschnitt
des Tractus der Blutherd liegt ; und dadurch erklärt sich die
Hemianopsie genügend als ein Drucksymptom. An welchen
Punkt dieses Drucksymptom sich am meisten geltend machte,
ist schwierig zu sagen. Das Fehlen der hemianopischen Pu-
pillenreaktion verlegt diesen Punkt mehr occipital als der Trac-
.tus, also etwa in die Gegend des Kniehöckers. Jedenfalls be-
weist der Fall, dass eine Zersförinig der inneren Kapsel dor-
sal vom Knieliöcker, also entsprechend dem Gebiete, wo die
sensible Bahn heraufsteigt, niclii an und für sich Hemianopsie
verursacht. Die Hemianopsie war nämlich vorübergehend,
aber die Zerstörung der inneren Kapsel dauernd.
Aus der mikroskopischen Untersuchung geht auch her-
vor, dass die ganze dorsale Hälfte des Pulvinars der einstrah-
lenden schönen Bündel entbehrte. Diese waren nämlich an
dem Einstrahlungspunkt am lateralen Rande des Ganglions
abgeschnitten oder zum Schwund gebracht. Die erwähnte
Hälfte des Ptdvinars war auch in der Textur so ivesenüicli
verändert, dass sie gewiss nicht funktionieren konnte. Diese
Texturveränderung dehnte sich auch, wie die P'ig. 6. Taf XXV
zeigt, nach unten bedeutend aus, so dass nur ein kleines ven-
trales Gebiet des Pulvinars als normal zu betrachten war.
Der Fall bestätigt also die schon früher von mir ausge-
prochene Ansicht, dass die Hatiptmasse des Pulvinars, wie
die innere Kapsel, keine solchen Se/ifaserfi enthält, durch deren
Zerstörung ein Defekt im Gesichtsfelde entsteht.
Die kurz vor dem Tode entstandene Einschränkung des
Gesichtsfeldes nach rechts wurde gewiss durch die Blutung
im linken Occipitallappen verursacht. Vielleicht hätte man
eine vollständige Hemianopsie erwartet, aber die Blutung
scheint eher einen Druck auf die Rinde ausgeübt, als die zur
P^issura calcarina verlaufenden P'asern durchtrennt zu haben.
Aus der Perimeter-Karte kann man nicht ersehen, dass
die Blutung mehr dorsal als ventral gelegen ist; d. h. keine
Quadrant Hemianopsie nach unten bestand.
Koncentrische Gesichtsfeldseinschränkiuig. Diese war be-
sonders kurz nach dem Insulte (Karte I) ausgeprägt, um sich
später wesentlich zu vermindern, ja beinahe zu verschwinden.
Nach dem Insulte den ^'^/n nahm sie zu. Vor dem
war sie gewöhnlich grösser im linken Gesichtsfelde, ausge-
nommen am "/c. Das gewöhnliche Verhältniss bei einer Am-
blyopie croissee war also vorhanden; und die Erklärung wird
die oben mehrmals erwähnte. Die linke Cornea hatte auch
eine herabgesetzte Empfi}idlic]ikeit.
Gesichtshallucinationeti. Schon vier Jahre vor dem er-
sten Insulte hatte Pat. einen von rechtsseitigen Gesichtshallu-
cinationen begleiteten Schwindelanfall. Am Tage nach dem
Insulte sah sie von Neuem dergleichen Erscheinungen. Beide
traten an der Decke hervor. Einmal in P^ebr. sah sie eine
Dame nach rechts, ländlich am ist eine solche Halluci-
nation auch bemerkt worden und ebenso am '^"^/n, als sie
kleine Kinder an der rechten Seite des Bettes sah. Es ist
dann der Befund im linken Occipitallappen von grossem In-
teresse. Hier fand sich wie schon erwähnt unter der Fissura
calcarina ein kleiner Blutherd frischen Datums, welcher in
einem älteren kleinen Herd eingebettet war. Da keine anderen
V eränderungen im linken Occipitallappen angetroffen wurden,
so unterliegt es keinen Zweifel, dass die erwähnten Gesichts-
hallucinationen in Verbindung mit diesen Blutherden zu setzen
sind. Dabei ist ein aufiallender Unterschied zwischen der Lage
der in diesem P'alle vorhandenen Läsion und derjenigen vor-
handen, welche in früheren Fällen zum Beispiel Fall Sunde-
lin, S. 127 und" Eklund S. 137 erwähnt sind. In diesen Fäl-
len war der Reiz in der lateralen Fläche des Occipitallappens
lokalisirt, hier aber in der Gegend der P'issura calcarina. In
den vorigen P'ällen lag die Läsion ausserhalb des eigentlichen
Sinnescentrums, in diesem innerhalb. Ich verweise in Bezug
darauf auf P'all Sundelin, S. 127 — Auch hier waren die Au-
gen in Zusammenhange mit der Hallucination nach rechts ab-
gelenkt. (Stat. 15. — 26. Februar).
III, IV, VI. Diese Nerven boten sonst nichts Bemer-
kenswerthes dar.
V. Die Sensibilität des Gesichts zeigte sowohl ein Reiz-
symptom, Ameisenkriechen, wie Anästhesie, und zwar in P'olge
von Zerstörung des hinteren Abschnittes der inneren Kapsel.
VII. Die Parese hat nur den unteren Ast und den Gau-
men getroffen.
VIII. Die Gehörstörung im linken Ohre erklärt sich
leicht. Die P^iguren 3 u. 4 zeigen, dass die Läsion der Ge-
hörbahn anliegt.
IX- Die Geschmackstörung links ist, wie bekannt, bej
192
S. E. RENSCHEN. PATHOLOGIE DES GEHIRNS
Hemiplegien ungewöhnlich und findet auch im Sektionsbefund
keine genügende Erklärung. In September war .sie nicht mehr
nachzuweisen.
.XI, XII. Die gewöhnlichen Störungen waren vorhanden.
Sensibilität. Dieser Eall unterschiedet sich von der
Mehrzahl darin, dass die Anästhesie so ausgeprägt \\ar, ob-
schon die motorische Paralyse selbst im linken Arme nicht
absolut war. Diese Anästhesie dauerte auch bis zum Tode
fort. Sie w ar nach dem Insulte auch am Rumpfe vollständig
und selbst der Muskelsiun ti'ar erloschen. Eine geringe Besse-
rung war zwar im März zu beobachten, aber später im Sep-
tember empfand Pat. weder Kälte, noch Wärme und der Mu-
skelsinn war bedeutend herabgesetzt. Tast-, Ort- und Schmerz-
sinn waren dagegen etwas gebessert.
Alle diese Störungen finden ihre luklarung in der voll-
ständigen Durchtrennung der inneren Kapsel. Die Läsion
hatte die Kapsel gegenüber der Ilaubcnstrahlung oder höher
hinauf getroffen, und entsprach also der hintern Hälfte der
Kapsel, in sagittaler Richtung gerechnet. Pat. litt viel an
Schmerzen in der linken Seite, in der Schulter, im Hals und
im Fus.sgelenk. Ob diese central oder peripherisch waren,
ist ungewiss.
Motilität. Die Paralyse war zwar sehr ausgesprochen,
aber nicht so vollständig wie die Anästhesie. Sowohl im Arm
wie im Heine konnten einzelne kleine Bewegungen ausgeführt
werden. Im März war eine Besserung im Bein und selbst
im Arm eingetreten.
Diese Verhältnisse stimmen damit, dass der motorische
Abschnitt der inneren Kapsel relativ verschont war.
Die vasomotorischen Störungen im linken Bein waren
recht ausgesprochen.
In pathologisch-anatomischer Hinsicht ist es interessant,
dass in der Gratiolet'schen Strahlung fast nur die äusserstc
Schicht — der Fasciculus longitudinalis — von iXtrophie betrof-
fen ist. Die mittlere Schicht ist fast normal. (Taf XXV. P^ig. 5,)
Zusammenfassung der Resultate.
Im zweiten Teil dieses Werkes sind alle diejenigen im
Jahre 1892 bekannten Fälle von Hemianopsie zusammenge-
stellt, aus welchen Schlüsse über den Verlauf der Sehfa.sern
zu ziehen waren. Diese positiven Fälle von 1 lemianopsie
waren indessen nicht geeignet, die Bedeutung der sogenannten
subkortikalen Ganglien, des äusseren Kniehöckers, des Pul-
vinars und des Colliculus anterior nachzuwei.sen ; und zwar
aus dem Grunde, dass in allen bis daiiin mitgeteilten Fällen
zw^ei oder alle drei dieser Ganglien gleichzeitig von den Lä-
sionen entweder direkt betroffen waren, oder, wo eine isolirte
Läsion, wie in den Fällen 10 und 11 (S. 271), nur des Pul-
vinars vorhanden war, lag eine Blutung vor, welche indirekt
auch auf den Kniehöcker einwirken konnte, oder die Beschrei-
bung war, wie im p-alle 26 (S. 276), so unvollständig, dass
eine Läsion des Kniekörpers nicht ausgeschlossen war.
In Folge des.sen sprach ich die Ansicht aus: : Die Lösung
der bedeutungsvollen Frage wird also nicht durch die posi-
tiven Hemianopsiefälle entschieden; sie muss auf anderem Wege
gesucht werden; und wenn überhaupt eine Lösung dieser
Frage auf dem klinischen Wege erreicht werden soll, so kann
dieses nur durch eine Zusammenstellung der negativen Fälle
geschehen.»
In der Zwischenzeit habe ich in dem verhältnissmässig
kleinen mir zur Gebote stehenden klinischen Materiale solche
Fälle gesucht. Was ich gefunden, ist hier oben mitgeteilt.
Ausserdem hat mein verehrter Preund, der bekannte Specia-
list Dr H. Wilbrand in Hamburg, mir einige überaus werth-
volle Fälle zur Bearbeitung gefälligst überlassen, welche diese
Frage in interessanter W'eise beleuchten und unsere Kentnisse
über die Organisation der subkortikalcn Ganglien wesentlich
erweitern.
Was beweisen nun diese Fälle?
Zuerst ist dann daran zu erinnern, dass durch Charcot
und seine Schüler (Vgl. F"erc, Troubl. funct. de la vision, Paris
1882, u. A.) der Satz aufgestellt wurde, dass eine Läsion des
hinteren Drittels der Capsula interna Hemianopsie hervorrufe
und dass die Sehfasern folglich die innere Kapsel durchpa.ssi-
ren. Diese Lehre, welche mit der Lehre vom »Carrefour
sensitif» in naher Beziehung stand, wurde dann als ein Axiom
von der gelehrten Welt acceptirt und spielt noch im Zusam-
menhang mit der Lehre von dem bilateralen höheren Gesichts-
felde in der Rinde der Angularwindung eine gewisse Rolle.
Als Stütze für die Ansicht von dem Durchgang der Sehfa-
sern durch die Capsula interna, wurden einige P'älle von Lä-
sion der Kapsel mit Hemianopsie angeführt. Aber keiner der
mitgeteilten Fälle, in denen übrigens jede mikroskopische Un-
tersuchung fehlt, ist beweisend, wie aus der kritischen Prüfung
aller diesbezüglichen Fälle (s. Teil II) hervorgeht.
Dagegen liegen mehrere Fälle vor, wo eine Läsion bezw.
eine Blutung in der inneren Kapsel indirekt durch Druck eine
Hemianopsie hervorgerufen hat. In dieser Beziehung sind
mehrere der obigen I'älle lehrreich.
Im Falle 16 Hinrichsen fand sich eine frische Blutung
sowie Hemianopsie; die Lage des Blutherds erhellt aus den
Piguren 5 — 7. Tafel XVII. Die mikroskopische Untersuchung
zeigte aber, dass der auf die innere Kapsel, auf Thalamus und
Pulvinar begrenzte Herd auf den Kniehöcker drückte und selbst
eine bei der Weigert'schen P'ärbung nachweisbare chemische
Veränderung der Sehfasern verursacht hatte, welche die He-
mianopsie genügend erklärt. (Taf. XIX. Plg. 13.)
In derselben Weise verhält sich die Sache im Falle Jan
Andersson (Teil J. Fall 15, und Teil III. S. 177), vvo sich die
Blutung auf dieselben Teile beschränkte. (Taf. XIX. Plg. 14.)
Beide diese Fälle erklären in ungezwungener Weise,
wie eine Läsion der erwähnten Teile Hemianopsie hervorrufen
kann, ohne anzunehmen, dass diese Teile Sehfasern enthalten.
Dass in der That eine ausgedehnte Läsion in diesen Teilen
auch ohne Hemianopsie stattfinden kann, beweisen die P^älle
17 und 18. In jenen war ein nicht unbeträchtlicher Abschnitt
des Thalamus und des Pulvinars zerstört, ohne dass je eine
hemianopische Gesichtsfeldseinschränkung beobachtet worden
war. Hier lag nicht eine Blutung, sondern eine Malacie vor,
welche, wie bekannt, nur geringe Fernwirkung ausübt. Dass
in der That das Pulvinar, der Thalamus und die innere Kap-
sel nicht Sehfasern enthalten, das beweist übrigens der P'all 8
(Teil III. S. 88.), wo eine noch grössere ältere Läsion vorhanden
ÜBER DIE BEZIEHUNG DER SEHFASERN ZU DEN CENTRALGANGLIEN
193
war, und wo fast das ganze Pulvinar und das hintere Drittel
der Kapsel zerstört waren (Taf. XIII), und auch die Fälle 12
und 13 sind in dieser Hinsicht belehrend. Im Falle 12 fand
sich eine grössere Cyste im rechten Pulvinar, ohne dass hier
eine linksseitige Flemianopsie erschien, und im Falle 13 war
das ganze Pulvinar geschrumpft, aber nur eine Quadrant-He-
mianopsie nach unten vorhanden, welche durch die Läsion des
dorsalen Abschnittes des Kniekörpers ohne Zwang erklärt wird.
Noch einen wichtigen Beweis liefert der Fall 18. Hier
entstand die Hämorrhagie in dem Putanien und der äusseren
Kapsel und übte von hier aus einen ansehnlichen Druck auf
die innere Kapsel und auf das Pulvinar aus, welches auch zum
grossen Teil degenerirt war. Anfangs trat eine vollstän-
dige Hemianopsie auf, gewiss in Folge von dem Druck auf
die Sehbahn und besonders auf den naheliegenden äusseren
Kniehöcker; bald nachher, als der Druck durch die Resorption
des Blutes erleichtert wurde, verschwand die Hemianopsie voll-
ständig ungeachtet der permanenten Veränderung der inneren
Kapsel und des Pulvinars. Stellt man alle diese exakten Be-
obachtungen zusammen, in welchen sowohl im Leben Peri-
meterkarten aufgenommen wurden, als auch post mortem
genaue mikroskopische Untersuchungen vorgenommen sind, so
ist der Schluss völlig berechtigt, dass im Pulvinar und in der
inneren Kapsel keine solchen Sehfasern enthalten sind, durch
deren Zerstörung Skotome im Gesichtsfelde entstehen.
Dieser Schluss wird ausserdem durch den von Zacher
mitgeteilten Fall (Teil II. S. 278) bestätigt, wo »das ganze
Pulvinar mit Ausnahme der peripheren Schicht degenerirt»
war. »Es fehlen hier fast alle Nervenfasern, desgleichen fin-
det sich kaum noch eine normal aussehende Ganglienzelle
mehr vor; das ganze Gewebe schien in Zerfall begriffen. In
den mehr caudalen Partien begegnet man noch normal aus-
sehenden Ganglienzellen». Der äussere Kniehöcker war »voll-
ständig intakt» und das Sehfeld nicht beschränkt.
Was dann die Bedeutung des Colliculus anterior Corp.
4-gemini für der Sehakt betrifft und besonders die Frage, ob er
Sehfasern in der oben erwähnten Meinung enthält, so liefern die
obigen Fälle zur Lösung dieses Problems nur einen Beitrag.
Im Fall 13 war das ganze Pulvinar geschrumpft und gewiss
alle Verbindung zwischen dem Tractus und dem Colliculus
anterior aufgehoben (S. 163). Dessen ungeachtet war nur
eine Ouadrant-Hemianopsie vorhanden, welche durch die De-
struktion des dorsalen Abschnittes des äusseren Knickörpers
genügend erklärt wird.
Übrigens weise ich betreffs des Colliculus anterior auf
den Teil II. S. 278 hin.
Hieraus folgt, dass den vielen in das Pulvinar und
gegen den Colliculus anterior verlaufenden Tractusfasern an-
dere Funktionen zuerkannt werden müssen; und es leidet wohl
keinen Zweifel, dass diese als reflexvermittelnde Fasern be-
trachtet werden müssen. Hinsichtlich der Fasern zum Colli-
culus anterior weise ich auf die S. 109 u. ff. gegebene Dar-
stellung hin.
Das hauptsächliche subkortikale Sehganglion, welches
also alle Sehfasern aufnimmt, ist also der äussere Kniehöcker.
Dieses Ganglion enthält nicht nur die Makularfasern (Vgl.
Flechsig, Gehirn und Seele, S. 71), sondern auch die peri-
pherischen. Auch scheint v. Leonowa nachgewiesen zu ha-
ben, dass sowohl grobe wie feine Tractusfasern sich in dem
Ganglion verzweigen. Und da dieses zwei Arten von Zellen,
grosse und kleine Zellen enthält, so liegt es nahe zur Hand,
anzunehmen, dass diese beiden Arten in gewissem Zusammen-
hang mit dem makularen und peripherischen Sehen stehen,
wenn auch zur Zeit kein Beweis für diese Hypothese vorliegt.
Ausserdem ist es sehr wahrscheinlich, dass das Ganglion durch
zahlreiche in verschiedener Richtung verlaufende Fasern in
Verbindung mit nahe- und fernliegenden Teilen steht. In den
obigen P'ällen und in anderen, wo gewisse mit dem Kniehöcker
in Zusammenhang stehende Bündel ausgefallen waren, hatte
ich Gelegenheit zu beobachten, dass dicke Bündel den Knie-
höcker in Verbindung mit der inneren Kapsel setzen. Diese
Bündel verlaufen nach oben aussen. Andere verliefen nach
aussen in den Temporallappen (?).
Noch andere Bündel verlaufen anscheinend nach unten
und legen sich dem Pes an. Eine Verbindung mit dem Pul-
vinar scheint auch wahrscheinlich. Der Kniehöcker ist also
sicher ein wichtiger Knotenpunkt, welcher Reflexe vermittelt.
Hinsichtlich der Organisation des Knie/iöckers erlauben
die obigen Beobachtungen auch einige wichtige Schlüsse.
Schon im Teile II. S. 256, 355 u. ff., habe ich nachgewiesen,
dass alle vorhandenen Thatsachen dafür sprechen, dass in
der ganzen Sehbahn vom Auge an bis zur Rinde des Occi-
pitallappens die Bündel der Retinalwlften so zu einander
gelagert sind, dass die Fasern der dorsalen Retinahälften in
den Nervi optici, im Chiasnia und in den Tractus, wie auch
in der occipitalen Sehstrahlung dorsal im Verhältniss zu de-
nen der ventralen Retinahälften liegen. Die Beweise für
diesen Satz sind betreffs der Nervi optici und des Chiasma
entscheidend, betreffs der Tractus noch nur vereinzelt und
sind vielleicht anfechtbar; so ist es auch der Fall hinsichtlich
der occipitalen Sehstrahlung; dagegen scheint der Hun'sche
Fall (Teil II. S. 339) betreffs der Lage der Quadranten in
der Rinde der P'issura calcarina überzeugend zu sein, und ein
neuer Fall von Lavista (Verhandl. d. Kongress. in Rom 1894)
bestätigt diese Ansicht. Aber wenn jede der erwähnten l'hat-
sachen an und für sich auch etwas schwach ist, so liegt doch
in der vollkommenen Übereinstimmung aller bekannten That-
sachen, sowie im Fehlen jeder wiedersprechenden Beobachtung
ein überzeugender Beweis für die Richtigkeit der eben aus-
gesprochenen Ansicht. Diese Ansicht wird nun durch die
obigen Fälle kräftig bestätigt. Der F'all 12 Heyden zeigt,
dass die Fasern der dorsalen Retinahälften im Tractus dorsal
liegen, und das System wird durch die Ergebnisse des Falles
13 Esche vervollständigt, indem er beweist, dass der dorsale
Abschnitt des äusseren Kniqjiöckers die dorsale Hälfte der
beiden Retinns innervirt. Die bis dahin im Tractus getrenn-
ten Bündel für die beiden Augen mischen hier ihre Fasern
mit einander, wie ich schon früher durch anatomische Unter-
suchung nachzuweisen suchte. Die Fälle 14 und 15 bestäti-
gen die.se Auffassung.
Weiterhin zeigt dieser Fall die wichtige Thatsache, dass
im Kniehöcker eine konstante Lokalisation stattfindet und
dass der dorsale und der ventrale Abschnitt einander nicht
vertreten können.
Zur Exstirpatio]
Übersicht der Fälle:
A) Gelungene Extirpation.
Fa/I ig. U'cf. Taf. XXIII. XXIV. XXV. Piasarkom in den
Centrahvindungen. Reridiv. Tod nach 3 Jahren.
Fall 20. Gustaf Jansson. Tat". XXVI. XXVII. Cystogliom in
den Centraiwindungen. Recidiv. Tod nach 8 Monaten.
V.
der Hirntumoren.
B) Die Geschwulst nicht gefunden.
Fall 21. Fr/ka J^ekrsoii. Gummata in der ersten Frontalwin-
dung und am Chiasma; Tod 2 Tage nach der Operation.
Fall 22. Vllvcn. Tumor im ICleinhirnC:') Palliative Operation.
Tod 5 Monate nach der Operation.
Fall 19. Christina Wef.
46 Jalirc. Dienstmagd.
Tnfel XXMI. XXIV. XXV. Fig. 1- 4.
Klinische Diagnose: Tumop cepebpi, in heinisphsp. dextp. (Gypo
eenlp. post.).
Zusammenfassung. Nach 2 Schwindelanfällen mit
Kewusstseinsvcrlust, im Alter von 13 und 25 Jahren, trat
im 38. Jahre ein Schwindelanfall mit Jackson 'scher Elpilep-
sie in dem linken Bein auf. Spater wiederholte Anfälle, von
Parästhesien im linken Rein oder seltener im Arm eingeleitet,
zuletzt in der rechten Seite. Rechtseitige Gesichtshallucina-
tionen, sowie Geruch- und Gchörhallucinationen, scharf lokali-
sirte Schmerzen und andere Formen von Parästhesien waren
auch Prodrome der Anfälle. Später Lähmung und Anästhesie
der linken Seite. Exstirpation 1893. Nach der Opera-
tion Besserung; dann Recidiv. Tod d. 1896 durch
Knickung der Medulla oblongata.
Eine grosse feste Geschwulstmasse hat die rechten Cen-
traiwindungen an der Mittellinie und den Parictallappen zer-
stört und das hintere Ende der linken hinteren Centraiwindung
komprimirt. — Au.sserdem eine alte kleine Cyste im linken
Occipitallappen und eine Narbe in der Pia. Pat. lebte fast 3
Jahre nach der relativ gi.in.stigen Operation.
Krankengeschichte.
Fat. wurde dreimal im Krankenhause ge])flegt, nämlich 1891
1892 ''!2-"'l,. 1893 '/:-'— 1896 '«/i. Tod '«/i 1896.
Anamnese. Die Eltern sind todt. der Vater starb
an Lungenschwindsucht im 6. Jahre der Pat.. die Mutter im
Anatom. Diagnose: Dieselbe (SpindeleellsapkonO von dep Pia
iiiatep aus.
Wochenbett. Keine nervöse Belastung, so viel bekannt, in der
Familie, ausgenommen dass eine Tante nervös und ängstlich
war. Nachdem Pat. im Alter von 9 Jahren Masern und Wechsel-
fieber durchgemacht hatte, wurde sie von ihrer Tante aufge-
nommen, aber von ihr sehr schlecht behandelt. Oft war das
Essen unzulänglich und auch die Behandlung sonst eine harte.
Entkräftet durch Hunger, hatte sie im ij. Jahre einen ScJmnii-
delaiifall mit J 'er Ii/ st des Beici/ssiseins, aber ohne Krampf. Keine
Schwäche in den Gliedern folgte darnach. — Sie wurde dann
\'on wohlwollenden Leuten aufgenommen und war gesund und
kräftig l)is zum 24. Jahre. — Die Regel wäre normal.
Schon frühzeitig kam sie in Dienst bei Bauern imd wurde
durch gröbere Arbeiten überanstrengt. Sie fühlte sich vom 24.
Jahre an ?iii/de und litt oft an Kopfschmerz. Im nächsten Jahre
hatte sie einen neuen Sehwiiidelanf all, auch ;;/// J^erli/st des Be-
-lOiisstseius, aber ohne Krämpfe. Nach einigen Tagen war sie
wieder arbeitsfähig. Naw dieser Zeit bis zum 38. Jahre war sie
ziemlich kräftig imd gesund. Nur litt sie hisioeileii an Kopf-
schmerz und Obstruktion.
1888. Mit dem Jahre iSSS begann sie sich von Neuem »latt
und schlecht zu befinden. Die Stimmung wurde auch unruhig. Bei
einer traurigen Begebenheit — eine Person erkrankte plötzlich
und erhob Jammergeschrei — wurde sie i)lötzlich von Se/noi/idel
befallen. Sie sank kraftlos auf einen Stuhl nieder, ohne das
Bewusstsein zu verlieren, aber krampfhafte Zuckungen traten im
ZUR EXSTIRPATION DER HIRNTUMOREN
195
linken Bein auf, und das rechte wurde schwach. Sie konnte nicht
gehen, sondern musste 7X\ dem Bett kriechen. Jetzt musste sie
8 Tage das Bett hüten und war nachher immer schwach, beson-
ders linken Bein.
Einige Monate später begann sie doppelt zu sehen sowohl
in kürzerem wie in längerem Abstände. Ihr Allgemeinzustand
verschlechterte sich nach dieser Zeit allmählich. Um Johanni
1891 stellte sich Kopfschmerz nach und nach öfters ein. war doppel-
seitig, am stärksten /;/ der rechten Scheitelgegend und im Nacken^
und zwar besonders beim Heben von Lasten fühlte sie Stechen
und Reissen in der rechten Kopfhälfte. Sie hörte auch Sausen
und Pfeifen im linken Ohr. Auch hatte sie .Schmerzen im Ge-
sicht, besonders /// der rechten Gesichtshälfte unter dem Auge,
und hier soll auch Schwellung bestanden haben. Sie hatte gleich-
zeitig im linken Bein und auch etwas in dem rechten das Gefühl
des Geschwollenseins.
1891. Im Jahre 1891 hat sie folgende Veränderungen be-
merkt.
Psyche. Mit zunehmendem Kranksein wurde ihre Stim-
mung unruhiger, sie hatte oft .Schwi/idel und wagte nicht ohne
Begleitung ausgehen.
Die Sprache war nicht gestört.
Kranialnerven. I. Der Geruch wurde im Sommer
schlechter und war zeitweilig verschwunden.
II. Die Augen wurden hervorstehend. Sie erinnert sich
jedoch, dass es schon vor längerer Zeit bemerkt wurde, dass
das eine etwas hervortrat, welches, erinnert sie sich nicht.
Die früher auftretenden Doppelbilder hat sie in den letzten
Jahren weniger gesehen.
Lichterscheinunge/i in Form von Zickzacklinien oder Blitzen
und Flammen. Diese erschienen nach rechts und zwar sowohl
bei offenen, wie geschlossenen Augen.
III. IV. VI. S. oben
V. Keine Anästhesie in dem Gesicht; keine Schwierig-
keit beim Kauen.
VIII. Gehör unvermindert.
IX. Der Geschmack war etwas herabgesetzt, aber nie ver-
schwunden.
Spinalnerven.
Sensibilität.
In dem linken Bein hat sie wie zersprengende Schmerzen
empfunden, und diese waren von kranpf artigen Zuckungen be-
gleitet. Sie fingen beide dem Fuss an und gingen nach oben.
Solche Anfälle sind zeitweise 2- bis 3-mal an einem Tage ge-
kommen, aber in der Zwischenzeit war sie davon frei.
Im linken Arm fühlte sie nur selten Schmerzen.
Motilität.
In den Beinen, besonders //; dem linken, war sie immer
schwach. Auch im linken Arm war sie schwächer als im rechten.
Im Magen hatte sie oft Übelkeit empfunden, nie aber
Erbrechen, und im Epigastrium hatte sie oft nach dem Rücken
ausstrahlende Schmerzen.
Lues wird verneint und Alkohol hat sie nicht gebraucht.
Aerzte haben Bromkalium vorgeschrieben.
Wurde am ^^/f) 1891 ins Krankenhaus aufgenommen.
5. E. Heu sc heu. Pathologie des Gehirns.
Status praesens vom Anfang Okt. bis 18. desselben
Monats 1891.
Der Allgemeinzustand ist recht gut. Guter Körperbau, mit-
telgross. Der Appetit ist ziemlich gut. Temp. afebril. Puls s.
unten. Respiration ohne Besonderes. Harn 1.016, sauer, ohne
Eiweiss oder Zucker.
Die Arterien sind nicht sklerotisirt.
Subjektive Symptome.
Fat. klagt über oft wiederholtes Kopfivch. welches nicht
immer den in der Anamnese angegebenen Charakter hat, son-
dern sich oft in den Schläfen und in der Stirn lokalisirt. Kon-
stant empfindet sie Sausen in dem linken Ohr. Die früheren
Magenschmerzen sind verschwunden. Uber die Schmerzen und
Parästhesien im Körper s. unten (Sensibilität).
Objektive Untersuchung.
Kopf. Beim Betrachten des Kopfes von oben, erscheint es, als
ob das linke Tuber parietale mehr hervorragend wäre, was sich
auch bei der Hutprobe bestätigte.
Bei der Palpation hat sie gewöhnlich keine Empfindlich-
keit gezeigt. Ausnahmsweise hatte sie grössere Empfindlichkeit
über dem rechten Tuber parietale.
Augen. Beide Augen sind hervorstehend, die Augenlider
können jedoch geschlossen werden, und die oberen folgen den
Bewegungen der Augen.
Die Glandula thyreoidea ist etwas vergrössert, c hne zu
pulsiren.
Der Puls ist beschleunigt und klein, mehr links als rechts.
Die Frequenz wechselt von etwa 70 — 85 — 90. beim Gehen über
100. Respiration 15.
Psyche. Der Gesichtsausdruck ist leidend, der Blick un-
ruhig. Die Intelligenz gut. Das Gedächtniss ebenso.
Sprache. Keine Form von Aphasie ist vorhanden.
Kranialnerven. I. Kann Kampheröl und Alkohol un-
terscheiden, und zwar in beiden Nasenlöchern.
II. S. R. — 0.9; S. L. 0.8. Emmetropie auf beiden Augen.
Farbensinn, geprüft nach der Holmgren'schen Metode, ist beide-
seits normal. Die Gesichtsfelder für Weiss und für Farben sind
beiderseits ziemlich gleichförmig koncentrisch eingeschränkt.
Ophthalmoskopisches : L. A. Die Grenzen der Papille sind
diffus, die Papille geschwollen: ausgebildete Stauungspapille.
R. A. Die Venen sind gross, etwas angeschwollen, die Grenzen
noch nicht verwischt.
III. IV. VI. Pat. sieht oft Doppelbilder. Pupillarreflexe
träge; die linke Pupille etwas grösser.
V. Keine Form von Anästhesie (Tast-. Schmerz-, Tempe-
ratur-, Ortsinn). Der Quintus ist beim Druck auf die Austritts-
stellen, besonders auf die des Infraorbitalis. empfindlich. Der
motorische Ast normal.
VII. Geringe Störung. Leichte Parese des linken unteren
Facialis. Uvula etwas nach rechts hinüber gezogen.
VIII. Gehör gleich auf beiden Ohren. Das Trommelfell
rechts normal, links etwas injicirt.
26
196 S. E. HENSCHEN. PATHOLOGIE DES GEHIRNS
IX. Gesmack beiderseits gleich, sowohl an der Spitze wie
an der Basis der Zunge. Prüfung mit Kochsalz und China.
X. Herzfrequenz und Respiration s. oben.
XI. Larynx normal.
XII. Zunge, weicht nicht ab.
Sensibilität.
Aiüisilicsic: Tasisii/ii und Drucksiini : normal, ausgenommen
an de)ii linken Beine, wo Pat., besonders am Unterschenkel, erst
grössere Druckdifferenzen (von etwa 200 gr.) als an anderen
Stellen unterscheidet.
ScJunerzsinn : fehlt nirgends.
Ortsiiin: normal, ausgenommen an den Unterseite nkeln. be-
sonders links.
Dorsum pedis
links 4
cm.
rechts
3
Planta »
^' 3
»
»
3
Unterschenkel
7
»
»
6
Oberschenkel
5
»
»
4
Finger
I
»
»
I
Unterarm
3
»
»
3
Oberarm
3-5
»
»
3-5
Temperatu}-sinn : unterscheidet leicht überall eine Differenz
von einigen Graden.
Muskelsinn normal.
Elektrisehe Reizbarkeit : Keine Entartungsreaktion.
Motilität.
Pat. ist etwas schwächer auf der linken Seite als auf der
rechten, besonders gilt dies von den Beinen, doch nach Angabe
der Pat. nicht mehr als früher.
Der linke Arm nur wenig sclnväclier als der rechte.
Das linke Bein ist bedeutend schwiicJier als das rechte.
Beim Gelten will das linke Bein den Körper nicht gut tragen.
R e i z s y m p t o m e.
Tremor nicht deutlich nachzuweisen.
Pat. ist bald bettlägerig, bald sitzt sie auf. Im Bette liegt
sie immer auf der rechten Seite, indem sie bemerkt haben will,
dass die Schmerzen und Krampfanfälle im linken Bein dann
ausbleiben oder gelinder werden.
Reflexe. Hautreflexe : Der linke Plantarreflex schwächer
als der rechte. J\itellarreflexe stark.
Harn und Faeees gehen nie unwillkürlich ab.
Vasoniotorisehe Störungen. Das linke Bein wird von der
Pat. immer als kälter als das rechte aufgefasst. Kein objektiver
Unterschied der Temperatur bei Messung (35.8).
Am linken Bein ein deutliches Oedeni.
Tropliisclie Störungen nicht vorhanden.
Innere Organe.
Lungen: normal.
Herz: Die Herzspitze liegt etwas tief, an der 6. Rippe,
sonst nicht vergrössert. Töne normal.
Magen: Keine Salzsäure.
Lel>er und Milz: nichts Besonderes.
Behandlung: Jodkalium. Arsenik. Elektricität etc.
Tagesnotizen: ^^/lo. Pat. hatte einen sogenannten Krampf-
anfall im linken Beine. Der Arzt konnte inzwischen nichts
Abnormes nachweisen, weder Tremor oder Zuckungen, noch
Herzklopfen.
^■''/lo. 2 Anfälle an derselben Stelle. Der Arzt konnte
nichts l)emerken. Die Empfindung ging von unten nach ol)en.
^''/lo. Die Art. radiales beiderseits gleich,
^"/lo. Der linke Puls grosser als der rechte,
'/n. Krampfanfall. Dabei war Folgendes zu l)emerken.
Das linke Bein kann Pat. nieltt bewegen. Die Sensibilität noch
vorhanden. Keine Krämpfe oder Tremor nachzuweisen. Puls 104.
Pat. selbst giebt Folgendes an: Zuerst wurde sie warm und
unruhig, dann fühlte sie Kraftlosigkeit und ScJiwirren im linken
Bein von den Zehen bis in den Bauch hinauf und wie Stechen
in der linken Hälfte des Bauches, sowie auch (Jefühl von Zuckun-
gen in der Bauchhaut. Nach dem Anfalle fror Pat. eine Weile,
so dass sie zitterte, was immer nach den Anfällen eintreten soll,
"/u. 2 Anfälle und Kopfschmerz in den Schläfen,
^/ii. Seit einigen Tagen Gefühl von S<:hwäche im linken
Arm sowie Sehwitzen in der linken Vola manus.
^"/u. Anfall im linken Bein mit denselben subjektiven
Symjjtomen wie früher. Kontraktion der A/iiskulatur des linken
Beines wurde objektiv beobachtet. Diese begann peripherisch und
ging nach oben; dann folgte eine tonische Kontraktion, welche
sich in derselben Folge, wie sie auftrat, löste. Nach dem Anfall
schien die Temperatur auffallend erhöht zu sein. Puls 88.
Herzimpuls kräftiger als gewöhnlich. Pat. war darnach müde.
^'/ii. Krampfanfall links. Pat. beobachtete selbst Kontrak-
tion ini Kusse.
-'Vusgeschrieben gegen den Rath des Arztes. All-
gemeinzustand wie früher.
Während des Aufenthalts im Krankenhause hat sich am
rechten Auge eine vollständige Stauungspapille mit diffusen (Fren-
zen ausgebildet. Am linken Auge: die Stauungspapille wie frü-
her, die (Frenzen vielleicht noch etwas diffuser. An beiden
Papillen sind die Arterien schmal, die Venen gross und ange-
schwollen, hie und da wie abgebrochen. S. R. = 0.5. S. L. 0.4.
Die Gesichtsfelder eher grösser als früher.
Kopfschmerz in der letzten Zeit täglich, nicht so viel im
Scheitel als vielmehr in der Stirn und in den Schläfen. Puls
80 — 90.
1892. Zustand vom 11. Dec. i8gi bis 2ß. Febr. i8q2.
Nachdem Pat. das Krankenhaus verlassen, war ihr Zustand
ungefähr derselbe wie im Krankenhause. Die Anfalle haben
die Kräfte herabgesetzt.. Sie sind von Zeit zu Zeit eingetreten,
und zwar an folgenden Tagen:
im December am 14,, 15., 16,, 20., 23. (2 Anfälle), 25., 27.:
im Januar am i., 4.. 11., 16., 22., 27., 28., 29. (2 Anfälle), 30.:
im Februar am 3.. 4., 7., 8., 11,. 15., 20.
Die Anfälle sind gewöhnlich in den Nächten eingetreten,
und gewöhnlich ist nur ein Anfall vorgekommen. Diese Anfälle
waren zweierlei Art: teils Lähmungen ohne sonstige subjektive
Empfindungen, teils Krämpfe, bei denen Pat, neben der Lähmung
eine heraufsteigende kriechende Empfindttng hatte. Sie waren
an Intensität wechselnd und in der Nacht gewöhnlich stärker.
Vor dem Anfalle kommt ein (iefühl von Unruhe und Nieder-
geschlagenheit. Dann fängt ein kriechendes und stechendes Ge-
ZUR EXSTIRPATION DER HIRNTUMOREN
107
fühl in den Zehen des linken Fusses an, welches allmählich
nach oben wie in Wellen durch den Unterschenkel und dann
im Oberschenkel an der Innenseite aufsteigt. Dabei ist Pat.
unvermögend das Bein zu bewegen.
Die Sensibilität des Beines ist dabei //erabgesetzt, aber nicht
verschwunden.
Zuckungen fanden sich nur einmal ein, und zwar am 17.
Februar in den beiden Oberschenkeln.
Lichtphänomene in Form einer Zickzacklinie nach rechts
sah sie am i. Jan. in der Nacht. Auch in einer anderen Nacht
hatte sie eine Lichterscheinung ohne sonstigen Anfall.
Beim Tage sind die Anfälle gewöhnlich auf das Bein be-
schränkt, in der Nacht steigen das Schwirren und Ameisenkrie-
chen höher, bis in den Bauch und in die Brust hinauf.
Den 27. Januar empfand Pat. dieselben Parästhesien in dem
linken Arm, wie sonst im Beine, und diese umfassten den ganzen
Arm, die linke Hälfte des Halses und die linke Gesichtshälfte,
und waren mit Kältegefühl verbunden. Sonst keine Zuckungen.
Einige Tage später hatte sie einen auf den Arm beschränk-
ten Anfall.
In den Menstruationsperioden sind die Anfälle schwerer,
sonst treten sie beim Liegen auf dem Rücken oder bei gestreck-
ten Beinen leichter ein. Sie liegt deshalb am liebsten auf der
rechten Seite und mit gebeugten Beinen.
Der Kopfschmerz war in der Heimath immer vorhanden,
wenn auch nicht so schwer wie im Sommer 1891. Wegen Schwir-
ren im Kopf konnte sie erst um 9 — 10 Uhr Morgens aufstehen.
Geräusche wie Sausen und Läuten nach rechts hat sie oft
des Morgens empfunden. Sie waren oft so deutlich, dass sie
sich nach der genannten Richtung hinwendete.
Der Allgemeinzustand ist nicht verändert, und Pat. konnte
am 24. Februar längere Strecken promeniren und ging selbst
nach dem Krankenhause.
Pat. wurde den 25. Febr. 1892 zum zweiten Mal aufgenommen.
^/a. Zwei Anfälle; ^/s. Anfall mit Herzklopfen.
Status praesens den 5. März 1892 (Vergl. S. 195).
Allgcmeinzustand. Kann sich unbehindert im Krankensaale
bewegen; ist gewöhnlich mit Handarbeit beschäftigt.
Subjektive Symptome.
Der Kopfschmerz ist jetzt mehr beständig, aber nicht stark;
kann nicht lokalisirt werden. Beim Beugen nac h vorn wird er
schwerer und wird reissend. Dabei entsteht Schwierigkeit beim
Kauen. Bei den Anfällen empfindet Pat. Schwirren im Kopf
etwa wie im Beine. Bisweilen hat sie Stechen rings um den
Leib vom Rücken nach vorn hin, als ob ein Giirtel rings um
sie gespannt würde.
Objektive Untersuchung.
Psyche nicht wesentlich verändert. Sie ist geduldig und
giebt bei den wiederholten Untersuchungen immer korrekte und
präcise Antworten.
Sprache: etwas träge, sonst normal.
Kranialnerven: I. Der (Geruch ist beiderseits herabge-
setzt. Pat. unterscheidet Kampher und Alkohol, kann aber die
Riechstoffe nicht benennen.
II. S. R. = 0.6. S. L. 0.4. Gesichtsfelder wenig einge-
schränkt, wie auch die F'arlienfelder. — Exophthalmus.
Die Papillen mit diffusen Grenzen und angeschwollenen
Venen.
III. IV. VI. Strabismus wie früher. Beide Pupillen rea-
giren auf Licht und bei Accomodatiun. Die linke etwas mehr
als die rechte.
V. Wie ^^'/lo 1891.
VII. Wie 'Vio 1891.
VIII. Normal.
IX. Normal für Süsses, Saures, Bitteres und Salziges.
X. Das Athmen verlangsamt, 15. Puls 72.
XII. Die Zunge weicht nicht ab.
Sensibilität.
Tastsinn: an beiden Unterschenkeln und Füssen, besonders
links, herabgesetzt. Empfindet links erst das wiederholte Berüh-
ren oder Streichen mit einem Papierstreifen. An der Fusssohle
fühlt sie überhaupt nicht. An anderen Stellen normal.
Drucksinn: etwa wie ^*/io 1891.
Ortsinn: Dorsum pedis rechts 3 cm., links 7 < .m.
L^nterschenkel » 6 » »12 »
Der Schmerzsinn ist am linken Fuss und Bein ein wenig
vermindert.
Temperatursinn : am linken Bein und Fuss vermindert.
Schnee fühlt sie nur wenig kalt. Erst Differenzen von 6" C.
fühlt sie links, rechts schon 2°, an den Armen i'^, im Gesicht 0.5''.
Muskelsinn : gut.
Motilität.
Gang etwas wackelnd. Der linke Fuss schleppt etwas.
Beim Treppensteigen setzt sie zuerst den rechten Fuss auf die
Stufe. Beim Emporstrecken der Arme steht der linke etwas
niedriger und fällt zuerst herab.
Hinsichtlich des Rumpfes kein Unterschied.
Tremor . Bei anstrengenden Bewegungen beginnen die
Hände zu zittern. Auch fühlt sie bisweilen Zittern in den Brust-
und Bauch-Bedeckungen.
Reflexe. Hautreflexe. Der Plantarreflex ist links auf-
gehoben.
Die Patellarreflexe sind verstärkt. Dorsalklonus fehlt.
Blase und Rectum ohne Störung.
Vasomotorische und trophische Störungen. Die untersten '^/a
der Unterschenkel und Füsse sind sehr kalt, besonders links.
Kein Oedem.
Innere Organe: wie 1891.
Tagesnotizen.
^*/3. Reissende Schmerzen im Kopfe, linken Arm und Bein.
Das Bein ist ihr schwer.
'^/s. Die letzten zwei Tage hat Pat. Schmerzen im linken
Arm und Bein gehabt. Auch ein kriechendes und stechendes
Gefühl im rechten Fuss und Unterschenkel; der Fuss will ein-
schlafen, weshalb Pat. oft die Stellung wechselt.
/s. Anfall mit Schwirren vom linken Fuss aus.
"/i. Anfälle. Linkes Bein schwerer.
198
S. E. MENSCHEN. PATHOLOGIE DES GEHIRNS
"/•i- Krampf in Verein mit Zuckungen im Nacken und
in den Bauchbedeckungen.
'•'/i. ''"'/i- Anfälle mit Kopfschmerz.
'^^/4. Anfall im linken Arm, fängt in der Hand an und
erstreckt sich bis in die linke Hälfte des Kopfes, welche steif
und kalt empfunden wurde.
^ .5. Anfall im linken Bein und von da aus bis in den
Rumpf und längs des linken Armes hinauf. Der linke Arm
schüttelte stark. Sc/nuici-igkcit Harn zu /assc/i.
'"''/.'). Anfall. '■'/•'>• Anfall. Bein und Arm schwerer.
'^^'Ib. Seit Mitte Mai kein Anfall.
Sensibilitäts- und Motilitätsstörungen unverändert.
Papillen nunmehr atrophisch und angeschwollen.
(Gesichtsfelder ohne ausgeprägtere Einschränkung.
Sehschärfe R. — 0.6; S. L. = 0.5.
1892. ^^5- Heute entlassen. Allgemeinbefinden gebessert.
Im Sommer 1892 hatte sie folgende Anfälle, jedesmal, wo
nicht Anderes bemerkt ist, nur i Anfall.
Im Juni am 10., 11. (2 Anfälle). 17.. 27.. 29., 30.:
im Juli am i.. 3., 6.. 7.. 8.. 14.. 16., 19.. 21.:
im August am 2., 10., 11.. 16., 18. (3), 19. (8j, 20., 22., 25.,
27- 31-;
im September am 8.. 9.. 10.. 12., 14., 15., 17.;
im Oktober am 6., 7.. 28.. 29.. 30.. 31.;
im November am 4.. 11., 16., 20.. 24., 27.;
im December am 2.. 3., 13.. 25., 29., 30.
1893. Im Januar am 3.. 5., 7., 8., 9., 17.. 21.. 25.;
im Februar am i.. 2., 3.
Die Symptome der Krankheit waren in der Zwischenzeit
dieselben wie früher. Der Verlauf der Anfälle auch wie früher.
Sie fangen in den Zehen des linken Fusses an, steigen bisweilen
bis zur Herzgegend hinauf, und hier bleiben mehrere Tage Sehnier-
zeii zurück. Während des Anfalles kann Pat. das Bein nicht
aufheben, sie hat KältegefiiliL welches sich bis in die linke
Hälfte des Gesichtes erstreckt.
Zuckungen in der letzten Zeit nur in der Magengegend.
Der Kopfschmerz ist schwerer als früher und von Reissen
im Kopf begleitet, wie auch Geschrei und Sausen im linken Ohr,
sowie beständiges Läuten.
Bei den schwereren Anfällen wird es ihr duukel vor den
Augen, und sie wird halb hcwusstlos und hat Schwierigkeit,
Worte zu finden und zu sprechen. Auch Se/nuäe/ie im rechten Arm.
Die Doppelbilder hat sie fortwährend, und sie sieht bis-
weilen schwarze und gelbe, bewegliche, funkelnde Sterne, und
beim Lesen sieht sie rothe Streifen im Buche, immer nuch rechts.
Übelkeit und selbst Erbrechen treten bisweilen auf
Pat. wurde d. ^,'2 1893 zum 3. Mal im Krankenhaus auf-
genommen.
Status praesens um den ^"/a 1893.
Allgoneinzustand : im Ganzen wie früher, nicht abgemagert;
die Kräfte herabgesetzt. Sonst nichts verändert.
Subjektive Symptome.
Bei Perkussion grössere Empfindlichkeit auf dem rechten
Tuber parietale. Sonst wie früher.
Objektive Untersuchung.
Psyche: Aussehen etwas schlaff und gleichgültig; sonst wie
früher. Keine Aphasie.
Kranialnerven: I. wie früher.
II. S. R. — 0.7. S. L. - 0.6. Keine Hemianopsie. Ge-
sichtsfelder wie früher. Die Papille blei( h. Stauungspapille, wie
früher beschrieben.
III. IV. VI. Crekreuzte Doppelbilder in einer Entfernung
von 0—25 c.m., dann von 25- etwa 85 c.m. einfaihe Bilder,
dann in grösserer Entfernung ungekreuzte Bilder.
Die Pupillen wie früher, die linke grösser.
V. Sensibilität beiderseits gleich, und zwar betreffs aller
Qualitäten.
VII. ()l)erer Ast: kein Unterschied. Untere Aste: links-
seitige leichte Parese. Gaumen: links Parese.
VIII. (jehör ohne Störung.
IX. Geschmack ohne Störung.
XI. Das linke Stimmband weniger beweglich.
XII. Keine Störung.
Sensibilität.
Tastsinn wie früher.
Schmerzsinn : links ein wenig herabgesetzt.
Temperatursiuu überall normal, ausgenommen an der Innen-
seite des linken Fusses, wo Pat. bisweilen nicht unterscheiden
kann, ob das AVasser im Probirrörchen kalt oder warm ist.
Dies gilt auch in geringerem Grade von dem Peroneusgubiete.
Sonst normal.
Ortsinn am linken Fusse und Bein ein wenig herabgesetzt.
Muskelsinn ohne Störung.
Motilität.
Die Kraft ist bedeutend herabgesetzt im linken Arm und
Bein. Das Bein kann sie ohne Hülfe mit den Händen kaum
bewegen. Die Bewegungen im Fussgelenk kann sie zwar noch
ausführen, aber sowohl Rotation, wie Beugung und Streckung
geschehen sehr langsam. Ebenso sind die Beugung im Knie-
gelenk, wie auch die Bewegungen des linken Armes im Hand-
und Ellenbogen-Gelenk sehr schwach.
Rumpf. Die Bewegungen der linken Seite sind auch ge-
schwächt.
Der Gang ist langsam und unsicher und hemiplegisch.
\\'eicht gern nach links ab.
Kcjntraktur: geringe Kontraktur im linken Bein.
Reflexe wie früher.
Vasomotorische Störungen auch wie früher.
Innere Organe wie früher.
^'/i2. Starke Kopfschmerzen, Erbrechen.
'2/2. 2 Anfälle. T. 38.6** C.
^^/a. ^^/2. Schwere Schmerzen im Rücken und Kopf.
Übelkeit.
^**/2. Anfall mit Sausen und Reissen; hatte eine Empfin-
dung von Schaukeln.
'•'/a. Anfall. Keine Zuckungen oder Gesichtshallucinationen.
ZUR EXSTIRPATION DER HIRNTUMOREN
199
Der Teinperatursiiiii an den Beinen wurde geprüft.
Am rechten Fuss unterscheidet Pat. immer 2 — 3° C. Am
linken Fuss fühlt sie keinen Unterschied zwischen Wasser von
37 und 25" C. wohl aber zwischen 25 und 13°. Zwischen den
Graden 21 und 26 C. unterscheidet sie eine Differenz von 5*^.
Auch am Unterschenkel ist der Temperatursinn herabgesetzt.
Die Temperaturen im Meatas auditorius externus waren:
am 17. März links 37.1*^ C. rechts 37" C.
» 18. » » 36.2" C. » 36.6" C.
^^/s. Kopfschmerzen. »Rothe Blumen» vor dem rechten
Auge.
Operationsber i ch t.
^^/3 1893 wurde die Trepanation vom Verfasser im Verein
mit Prof. Dr. K. G. Lennander ausgeführt. Die Pat. wurde in
der nächsten Zeit in der chirurgischen Klinik des Prof. Lennan-
ders gepflegt.
12 U. Morphininjektion; 12 h. 28' Nachm. Naikose. P. 90.
12 h. 38' Puls 116. 12 h. 45' Operation. P. 114 — 130.
12 h. 55' P. 116.
Ein mehr als halbzirkelförmiger Lappen wird über der
rechten Fissura Rolandi so angelegt, dass er mit dem konvexen
Rande etwa 3 cm. über die Mittellinie hinaus reicht. Der Durch-
messer des Lappens misst von der Basis bis zur Spitze c:a 8.5
cm., an Breite 5 cm. Starke Blutung aus der Kopfschwarte
und aus dem blossgelegten Schädel. Pat. wurde sehr bleich
und der Puls schwach und ungleichmässig. Der Kopf wurde
niedriger gelegt. Die Narkose abgebrochen.
Die Trepankrone maass 30 m.m. im Durchmesser. Ihr me-
dialer Rand lag 1.5 — 2 cm. nach rechts von der Mittellinie.
Der Knochen war sehr dick. Die Dura sehr gespännt und 'aus-
gebuchtet. Beim Durchschnitt ragte die Gehirnoberfläche in die
Öffnung stark hervor. Das Gehirn hatte normales Aussehen.
Aus der Form der Windungen konnten wir nicht sehen, welche
Windung, wir vor uns» hatten. Mit einem stumpfen Instrumente
wurde die Gehirnsubstanz geteilt und 2 m.m. unter der Ober-
fläche erschien in der medialen Hälfte der Trepanöffnung eine
graurothe deutlich krankhafte Masse. Das Mikroskop erwies,
dass pathologisches Gewebe vorlag. Die Tumormasse konnte
mit dem Skalpellheft von der Gehirnsubstanz getrennt werden.
Sie schien von einer dünnen Membran umgeben. Da ihre Masse
deutlich sehr ausgedehnt war, wurde i Uhr 40 M. eine neue
Trepankrone nach hinten und etwas nach innen gesetzt, wonach
die dazwischenliegenden Knochenspitzen weggenommen wurden
(2 Uhr Nachm.). Puls 96.
Mit einem scharfen Löffel wurden ansehnliche Massen einer
grauröthlichen, etwas grobkörnigen Geschwulst ausgeräumt. In
der Zwischenzeit ab und zu reichliche Blutung. Tamponiren
mit Jodoformgaze. Dabei erwachte Pat. und verlangte Wasser
(2 Uhr 8 M. P. 88).
Der Löffel drang etwa 5 cm. nach vorn und nach hinten.
Von der Höhle aus fühlte der Finger die Falx cerebri. Nach
aussen fühlte man gesundes Gewebe. Am Boden wurde auch
Hirngewebe ausgelöffelt; dagegen konnte man nach hinten und
medial die Grenzen der Geschwulst nicht erreichen. Starke
Blutung nöthigte, die Operation zu beenden 2 U. 15 M. Die
Höhle wurde mit Jodoformgaze gefüllt und Suturen wurden an-
gelegt.
Während der Operation wurden keine Zuckungen beobach-
tet. Nach der Operation: vermehrte Sehiefheit im Gesicht, in
welchem jedoch die Bewegungen nicht aufgehoben waren. Die
Augenbewegungen frei. Die Geschwulst maass deutlich mehr
als 6 cm. in sagittaler Richtung und etwa 5 cm. in vertikaler,
die Breite 3 — 4 cm.
^'/s. Abends: Pat. ist vollständigt klar, interessirt sich für
das, was geschehen ist, und stellt wiederholte Fragen. Die Kopf-
schmerzen sind äussert gering, aber ein Abortivanfall ist einge-
treten, hat sich jedoch auf Zittern in den Zehen des linken
Fusses beschränkt. Weder Übelkeit, noch Erbrechen. Der linke
Arm wurde als auffallend schwer empfunden. Keine Gesichts-
hallucinationen.
Der Puls war am Ende der Operation 98, schwach und
unregelmässig. T. 37.7" C.
^^/s Vorm. kräftiger. Sie hat schwarze Flecke und Säulen
im Dache gesehen. P. 128. T. 37.6" C.
7 U. Abends. Um 3 U. eine Kochsalzinfusion von 600
ccm. T. afebril. Gelinder Kopfschmerz.
^^li. AVechseln des Verbandes. Geringe Blutung. Schwere
Kopfschmerzen den ganzen Tag.
^"/s. Oedem um das linke Auge. Sonst Alles gut.
Verbandwechsel. Geringe Blutung. Pat. befindet
sich nach eigner Aussage besser als vor der Operation. Kein
Kopfschmerz.
Der linke Arm erscheint sehiverer als vor der Operation,
und Pat. kann ihn kaum von der Seite auf die Brust heben.
Das linke Beim erscheint dagegen aoeniger affizirt und ver-
hält sich etwa wie vor der Operation. Das Oedem am das
linke Auge verschwunden.
'"/a. Der Verband ist heute durchgefeuchtet. Durch die
Trepanöffnung dringt Hirn- und Geschwulstmasse hervor.
^V-i- Exstirpation der herniösen Masse. Alles gut.
Status praesens d. 25. April 1893.
Allgemeinzustand wie vor der Operation.
Subjektive Symptome.
Bisweilen leichter Kopfschmerz in der rechten Seite des
Kopfes. Sonst klagt sie nicht.
Objektive Untersuchung.
Fsvehe: Intelligenz unvermindert. Stimmung und Gedächt-
niss gut.
Kranialnerven. Keine Veränderung in Vergleich mit
dem Status vor der Operation.
Motilität. Pat. kann den linken Arm nicht aufheben oder
die Hand des LTntersuchers drücken. Pronations- und Supina-
tionsbewegungen können nicht ausgeführt werden; auch nicht
Beugung im Kubitalgelenk.
Das linke Bein: Die Bewegungen sind beschränkt.
Der Rumpf scheint links schwächer als rechts zu sein. Kann
nicht aufrecht stehen.
Reflexe. Plantarreflexe stärker links. Patellarreflexe ver-
stärkt. Kein Dorsalklonus.
200
S. E. RENSCHEN. PATHOLOGIE DES GEHIRNS
Vasomotorische Stöningeu: Die Hände oft kalt schwitzend,
besonders links.
Trophische Störungen nicht vorhanden.
Sonst nichts Bemerkenswerthes in den inneren Organen.
^^li. Verbandwechsel. Am vorderen Rande des Lappens
dringt Geschwulstmasse hervor. Fat., die seit einigen Tagen
mit Elektricität behandelt worden ist. kann heute die Finger der
linken Hand recht gut bewegen.
*/.'). Verbandwechsel. Verband trocken. Motilität der
Finger und des Arms vermehrt.
'^/ä. Motilität vermehrt. Allgemeinzustand gut.
Status praesens d. 28. Mai 1893.
Fat. ist ausser Bett, sitzt oft. Fettpolster etwas reduzirt.
Kräfte nicht gross. Sonst ist der Allgenicinziisiand gut.
Die Augen hervorstehend wie früher.
Subjektives Befinden: im Cianzen gut. Nur gelinder Kopf-
schmerz, die früheren Kopfschmerzen verschwunden.
Objektive Untersuchung.
Psyche: Das Wesen der Fat. fröhlicher und heiterer als vor
der Operation. Übrigens Alles gut.
Kranialnerven. I. Geruch rechts fast normal, links
bedeutend herabgesetzt (Frohen mit .Luther, Chloroform. Kreosot).
III. IV. VI. Sieht Doppelbilder wie früher. Die linke
Fupille etwas weiter. Die Fupillen reagiren.
V. 'Fast-, Temperatur- und Schmerzsinn normal. Keine
Druckempfindlichkeit oder Schmerzen beim Kauen.
VII. Sc-hwache Parese links im unteren Facialis und im
Gaumenaste, nicht im oberen Facialis.
VIII. Normal.
Sensibilität. Tastsinn: Herabsetzung im linken Arm
und Bein. Berühren mit einem Fajjiersstreifen wird em])funden
bei stärkerem Drücken.
Schmerz-, Ort- und Temperatursinn : herabgesetzt links am
Arm und Beiü.
Musliclsinn normal.
Motilität. Linker Arm und linkes Bein noch sehr kraft-
los, aber die Motilität bedeutend vermehrt und ungefähr wie am
8. Februar. Kann stehen und gehen, obschon mit einer gewissen
Schwierigkeit.
Reflexe und vasonudorische Störungen wie ^^/i.
^'/s. Hernia 2 c.m. hoch. Vorn mit Granulationsgewebe.
*|ü. 8 Vorm. Anfall während des Essens mit Verlust
des Bewusstseins. Der Anfall begauQ mit Drehung des ganzen
Körpers nach links. Dann Zuckungen sowohl im Rumpf wie
in den Gliedmaassen. Der rechte Arm steif. Das (Besicht war
bleich, die Augen stierend. Keine Schiefheit des Gesichtes.
Nach 5 Minuten horten die Zuckungen auf, nach noch 3 — 5
Min. kam das Bewusstsein zurück.
4 Uhr Nachm. Eigenthümliche Empfindung /// der linken
Hand, (bleich darauf fingen Zuckungen in den Fingern an und
dann im Handgelenk, weiter im linken Fuss und im Knie, und
endlich stieg die ängstliche Empfindung bis zur Herzgegend auf,
gleich wie vor der Operation.
^"/e. Ab und zu Schmerzen im linken Unterarm und in
den Handgelenken, sowie im linken Unterschenkel und im Fuss-
gelenk. In der Nacht auch Schmerzen unter der linken Mamma.
Sensibilität. Herabgesetzt links am Halse, im Arm und
Bein. Betasten ruft eine kitzelnde oder reizende Emjjfindung
über ein grösseres Gebiet ausgebreitet hervor. Kann die Be-
rührung ni<:ht genau lokalisiren.
Schmerzsinn : herabgesetzt.
^'/(i. Anfall während '/^ St. Begann mit Vertaubung wom
linken Fusse bis zum Knie herauf Keine Zuckungen im Beine,
aber klonische Zuckungen der Finger.
Fat. giebt an, dass sie bei Bewegungen des linken Arms
Schmerzen im Kopf auf der rechten Seite bekommen hat. So
auch beim Gehen.
^^'/e. Der Prolaps fluktuirend.
^/t. Stauungspapille im rechten Auge; die Cxrenzen diffus
am meisten nach oben und innen.
Im Juli und August 1893 hatte Fat. nur einzelne Anfälle;
bisweilen nur die prodromalen Farästhesien ohne Zuckungen.
I mal um i Uhr Zuckungen in den Fingern links : um 3 Uhr
Zuckungen im linken Fuss und Bein. Sonst allgemeine Besserung.
^/i). Fat. kann mit der linken Hand Handarbeit ausführen.
Im Oktober und November; nur i leichter Anfall.
^/ii. Hörte Stimmen (Gehörshallucinationen). Anfall mit
Verlust des Bewusstseins. Fiel um. Krampfhafte Zuckungen in
der rechten Seite (CJesicht. Arm and Bein), Augenablenkung nach
rechts, dann Kram[)f links im (lesicht. Lachte; war steif im
Körper. Nach dem Anfalle schwere Kopfschmerzen, Frieren.
Erbrechen.
■ ^/ii. Keine hemiopische Pupillenreaktion.
.■*/!]. Schmerzen im Rücken und im rechten Arm.
^/ii. Schwere Schmerzen im rechten Arm und u/iter den
Ohren, wie auch im linken Arm; diese Schmerzen sind nach
Angabe anderer Natur als die im rechten Arm.
^'/ii — ''/i^' Schmerzen in dem Rücken, beiden Armen
und in den Beinen besonders rechts, abwechselnd mit schmerzfreien
Intervallen.
'^/u. Parästhesie im linken Fuss aufwärts mit Zuckung in
der linken Hand.
^"/n. II. Stauungspapille besteht noch. III. Keine Doppel-
bilder. Kann längere Zeit lesen als früher.
V. Sensibilität. Im Ciesicht ein wenig besser rechts als
links. Rechte Wange wärmer als die linke.
VIII. Gehör links. Hört die Taschenuhr links auf i m.,
rechts auf 1.20 m.
XII. Leichte Abweichung nach links.
Sensibilität links (Tast- und Temperatursinn) etwas herab-
gesetzt. Muskelsinn normal.
Motilität. Fat. drückt mit der linken Hand recht kräftig.
(iang recht sicher, aber etwas hemiplegisch.
'^'^In. Morgens. Hörte Läuten vor den Ohren ; gleichzeitig
Anfall von Schweiss.
^'"^/n. Beim Erwachen unruhig und übel. Nach 2 Stunden
trat ein gelinder Anfall ein: es wurde ihr still vor den Ohren,
Neigung, sich nach den Seiten hin zu drehen, die Augen drehten
sich; Schwindelgefühl, starkes Schwizten und Hitzegefühl am
Kopf; keine Zuckungen.
ZUR EXSTIRPATION DER HIRNTUMOREN
201
Eine Stunde später auch unangenehme Empfindungen.
Später Stechen im linken Fuss und Bein.
^/i2. Schmerzen im linken Fuss und Bein sowie Kopf-
schmerzen.
^^/i2. Morgens. Parästhesien. Später Anfall. Die Beine
wollten sie nicht tragen, sie fiel auf ein Bett hinüber. Es wurde
ihr dunkel vor den Augen und still vor den Ohren. Dann
Schuttelgefühl im Bauche, in der Brust, im Rücken, Hals und
Nacken; nicht in den Gliedern.
^^/i2. Im Ganzen fühlte sich Fat. sonst, in der letzten
Zeit gut und besser als vor der Operation und ihre Besserung
ist seitdem stetig fortgeschritten.
1894. "/i. Seit dem '^/i2 ist das Befinden gut.
^'/i. Kopfschmerz, Anfall von Schwäche im linken Arm.
Fat. wollte nach links fallen; dann Anfall von Herzklopfen
während einiger Stunden.
^^/i. Vorboten vom Anfall: Dunkelwerden und Stille, aber
der Anfall blieb aus.
^^/i. Augenhintergrund atrophisch. Die Venen verschmälert.
^'/i. S. R. = 0.5. S. L. - 0.6. Koncentrische Einschrän-
kung der Gesichtsfelder an beiden Augen.
^"/i. Der Gang ist besser als vor i Jahre. Vertaubung
in der linken Hand.
*/2. Zuckungen in der linken Seite nach Anstrengung:
sie begannen im linken Fuss und schritten bis in die Finger
fort, keine Zuckungen im Gesicht. Bei vollem Bewusstsein.
Keine Störung der Sensibilität. Fat. konnte nach dem Anfalle
das Bein nicht aufheben; es schleppte beim Gehen nach. Den
Zuckungen folgte schweres Herzklopfen nach. Kopfschmerz.
Abend um 7 Uhr neuer Anfall gleicher Art.
^^/2. Linke Pupille reagirt nicht so kräftig wie die rechte.
^^/2. Kopfschmerzen über den Augen.
^''/2. I. Geruch links herabgesetzt.
III. Kein Strabismus. Doppelbilder.
V. Sensibilität herabgesetzt links im Gesicht.
Die Sensibilität vermindert im Arm und Bein,
^/s. Anfall von Unruhe mit Parästhesien im linken Bein.
Kopfschmerzen.
'*/3. — ^'^/i. Bisweilen Kopfschmerzen. Kein Anfall.
^^ji. Das linke Bein unsicher, schwächer als früher,
^/ö. Ophthalmoskopisch: beiderseits Atrophie mit Stauung.
^'/s. Parästhesien in der linken Seite.
^^/d. Allgemeinzustand im Ganzen gebessert.
Die Sensibilität der linken Cornea herabgesetzt (wie im
Gesicht). S. R. 0.6. S. L. 0.4 — 0.5.
Sommer 18Q4.
'^/c. Epileptischer Anfall mit Schrei, Zuckungen und Be-
wusstseinsverlust.
'''^/g. Abortiv-Anfall. ^/s. Gelinder Anfall mit linksseitigen
Zuckungen, gelbe Ringe vor dem linken Auge.
Sonst der Zustand im Sommer gut, Fat. war auf und
hielt sich im Freien, auf.
'^/g. Morgens. Anfall mit Schwäche im linken Bein und
gefärbten Ringen vor den Augen. Nachm. Linksseitige Zuckungen.
^■^/o. ^/lo. ^^/lo. ^^/ii. Gelinde Anfälle verschiedener Art
ohne Verlust des Bewusstseins.
Ausgebildeter epileptischer Anfall mit Zuckungen
im ganzen Körper.
Status in der letzten Hälfte des November iSp4.
Fat. hat viele Träume.
Aligemeinzustand und die subjektiven Sym]jtome wie früher.
Kranialnerven. I. Wie früher.
II. Wie früher. Fat. sieht oft gefärbte Ringe gewöhnlich
von violetter Farbe; sie erscheinen von der rechten Seite.
III. IV. V. VI. Wie früher.
VII. Augenfacialis links kaum paretisch, wie die übrigen
Äste.
VIII. Links etwas vermindertes Gehör.
IX— XI. Ohne Störung.
XII. Zunge weicht nach ree/its ab.
Sensibilität und Motilität wie früher. Fat. ist auf.
Im November und December nichts Besonderes, ausgenom-
men einige Anfälle zu Weihnachten.
1895. Januar. Liegt oft auf dem Bette. ^''\\. ^-'ji. ^''ju
^"li. Gelinde Anfälle.
Februar. Oft Kopfschmerzen. Bei einer gründlichen L^nter-
suchung am ^^/2. wurde nichts Neues wahrgenommen, mit Aus-
nahme davon, dass die Motilität vermindert war; Fat. geht nur
mit Schwierigkeit.
März. Oft Kopfschmerzen, ■^"/a. 3 heftige Anfälle mit
Zuckungen in der linken Seite, ohne Verlust des Bewusstseins.
'^'/a. Schwere Kopfschmerzen, ^^/s. 2 Anfälle: auch Zue-
kungen im rechten Bein.
April. Anfall, ^'/■i- Anfall in der rechten Seite,
von Lichterscheinungen begleitet, ^^/i. Schwindelanfall. Sonst
oft Kopfschmerzen und selbst Erbrechen.
Mai. Nach Aufenthalt im Bette während 3 Monaten
stellt Fat. heute auf.
Status. Anfang Mai iS^ß.
Fat. ist auf und hält sich meistens im Freien auf.
Intelligenz gut. I. Geruch beiderseits herabgesetzt.
IL Sehschärfe L. = 0.8. R. = 0.7. Koncentrische Ein-
schränkung der (lesichtsfelder.
Augenhintergrund: Papillen atrophisch, nicht geschwollen.
Weisse Flecke in der Umgebung der Papillen.
III. IV. VI. Nichts Besonderes.
V. Keine deutliche Anästhesie links.
VII. Keine deutliche Parese.
VIII. Oft Sausen vor dem linken Ohre. Gehör links etwas
herabgesetzt.
IX— XII. Nicht Besonderes.
Sensibilität: links verminderte Sensibilität im Arm und Bein.
Muskelsinn normal.
Motilität: ausgeprägte Parese im linken Arm und Bein.
Vasomotorische Veränderungen: starkes Schwitzen an der
linken Seite.
Der linke Radialpuls schwächer als der rechte.
"/ö. Gelinde Anfälle.
Die während des Frühlings eingetretene Besserung hielt bis
zur Johanniszeit an. Dann musste Fat. von Neuem das Bett
hüten, da sie sich matt fühlte.
Der Kopfschmerz fehlte nie ganz, aber gewöhnlich war er
202
S. E. HENSCHEN. PATHOLOGIE DES GEHIRNS
einige Tage gelinde, um dann einige Tage sehr belästigend zu
werden. Er fängt gewöhnlich im Nacken an und ist von Uebel-
keit und Erbrechen begleitet: hat jedoch den Schlaf nicht gestört.
Anfälle von Zuckitiigcu sind mit einer /.wischenzeit von
1 — 2 Wochen eingetroffen. Sie fangen mit Parästlicsicn im
linken Fuss an. wonach kleine Zuckungen beginnen, welche sie h
nach oben in das Bein, in die linke Rumjjfhälfte und bisweilen
in den linken Arm ausbreiten. Immer waren diese Zuckungen
von ]'c)-taiibinig und Schlaffheit im linken Arm begleitet. Drei-
mal sind auch Zi/ckti/igc/i im rcciücii Bein vorgekommen. Die
hier auftretenden Parästhesien, welche den Zuckungen vorher-
gegangen sind, waren stärker und dauerten länger als in der
linken Seite. Sie fingen immer in den Zchcii an und Pat. hatte
die Emi)findung. als ob man sie gcdriickt und gezerrt hätte,
(ileich nachher hatte sie ein (ieftihl von Kälte, welches sich
nach oben ausbreitete, jedoch wenig in die Arme. Die Zuckungen
waren rechts auf Fuss und Unterschenkel begrenzt. Die Anfälle
waren von kurzer Dauer, einige Minuten, und hörten in demsel-
l)en Augenblick auf. in dem sie ihr Maximum von Stärke er-
rei( ht hatten. Bi.sweilen wiederholten sich die Anfälle. Sie
traten auch an den Tagen, an denen kein Kopfschmerz vor-
handen war. auf. aber Kopfschmerz folgte ihnen nach.
Pat. war bei den Anfällen immer, einmal im August aus-
genommen, bei vollem Bewusstsein. Abnorme LicIiterseJu'iniiugcii
erschienen einige Male in den Anfällen. Diese wurden durch
Gemiithsaffekte in Folge von Freude oder A'erdruss hervorgerufen.
Ueber die Anfälle ist Folgendes aufgezeichnet.
*/c. Abends 2 starke Anfälle, ^"/c. Abends 2 Anfälle.
Vorm. Anfall. Nachts Anfall in der rechten Seite,
wie ol)en beschrieben, Photosphciie. Pulskurven ähnlich, erst als
gelbe gerade, dann gekreuzte Linien; (dauerten eine Weile).
20/6. Abortivanfall links. Anfälle ^''/c. ^7. ^/t. (mehrere)
^V'- rechts mit rechtsständigen Lichterscheiniingcn. Nachher Ver-
taubung des rechten Beines.
^V'- Anfall links; am meisten im y\rme. auch im Augenlid
während 2 Stunden.
^"/s. Anfall. 25/8. Anfall links und rechts, ^^'/s. Anfall.
^^/s. Kopfschmerz und Erbrechen, ^'/o. Anfall links, '^'/o.
Pat. war auf, Schwindel mit Erbrechen.
Status praesens 20. — 25. Sept. 1895.
Die Körperfülle wie im Frühling. Die Kräfte herabgesetzt;
wird leicht müde und schwindelig. Sonst Allgemeinzustand
recht gut.
Die GescJrd'ulst am Kopfe hat nicht wesentlich zugenommen:
misst in ihrer halben Flöhe etwa 9 cm. in der Sagittalrichtung,
6,5 cm. in der Breite: 1.5 — 2 cm. in der Höhe. Die Konsistenz
ist weich und fluktuirend, ziemlich gleichförmig, etwas fester
nach hinten als vorn.
Psyche wie früher ganz klar; Ausdruck intelligent, aber
etwas gedrückt. Keine Form von Apliasie.
Kranialnerven. I. Genuh wie früher herabgesetzt.
Empfindet nicht Terpentin oder Nelkenöl, dagegen, obschon
schwach, Eau de Cologne und Kami^hersiuritus; kann diese nicht
unterscheiden.
II. S. ist vermindert, links 0.6. rechts 0.4 (in Mai 0.8 —
0.7). Gesichtsfeld : ungefähr wie im Frühling. Die Farbenfelder:
vermindert.
Aiigenhintcrgnnid : Die Papillen von blauweisser, glänzender
Farbe, nicht angeschwollen: ihre Grenzen, besonders nasalwärts,
diffus. Die Arterien schmal, die Venen erweitert, geschlängelt
und wie herabgesenkt. In der Nähe der Papillen kleine weisse
glänzende Herde.
Gesielitshallucinationeu erscheinen bisweilen, und zwar nach
rechts. Pat; sieht bisweilen nur »halbe Mensehen» , und, wie sie
glaubt, sieht sie die rechten Hälften der Menschen, ist jedoch
nicht sicher, da die Erscheinungen etwas dunkel sind.
III. IV. VI. Augen- und Pupillenbewegungen normal.
Keine hemiopische Pupillenreaktion. Die Pupillen reagiren auf
Licht imd bei der Accommodation.
V. VII. Normal.
VIII. Vermehrte Gehörschärfe. Hört eine Taschenuhr
links auf 140 cm. und rechts auf iio cm. Hört Sausen und
Pfeifen.
IX. (ieschmack. Empfindet deutlich Süsses, Saures, Salziges
und Bitteres. Kein Unterschied an den Ijeiden Hälften, weder
an der Basis noch an der Spitze.
IX. X. XI. Das Schlucken, das Athmen und die Stimme
normal,
XII. Die Zunge weicht etwas nach rechts ab.
Spinalnerven.
Sensibilität.
Rechts normal.
Links bedeutend herabgesetzt.
Drueksinn : empfindet links die Berührung mit einem Papier-
streifen, aber die Empfindung ist diffus und unbestimmt. Kann
die Cregenstände nicht erkennen.
Ortsinn: kann einen Eindruck weder am Arm. noch am
Bein lokalisiren.
Aluskelsinn : kann die Lage der Glieder nur unsicher be-
stimmen.
ZUR EXSTIR-PATION DER HIRNTUMOREN 203
Motilität.
Rechts normal.
Links bedeutend vermindert. Die Bewegungen des linken
Arms und Beins sind sehr unsicher und langsam. Fat. kann
den linken Arm ausstrecken, aber schwach. Kann nicht einen
Gegenstand fassen und greift fehl. Die gröberen Bewegungen
finden sich noch vor.
Bein: Die Bewegungen etwa wie die des Armes beschränkt,
und zwar besonders die des Fusses. Beim Versuch, die Zehen
zu bewegen, entstehen Mitbewegungen in den linken Fingern,
ohne dass Fat. es verhindern kann.
T a g e s n o t i z e n.
^"/g. Nach vorhergegangenen Parästhesien ein Anfall von
Zuckungen im rechten Fuss, welche sich bald bis zum Hals
verbreiteten. Gefühl von Ersticken und, als ob sie aus dem Bette
fallen wollte. Da die Zuckungen an Stärke zunahmen und sehr
schmerzhaft waren, wurden Chloroforminhalationen angewendet,
doch nicht bis zum Verlust des Bewusstseins, wodurch die
Schmerzen vermindert wurden. Die linke Fupille wurde etwas
grösser als die rechte. Keine hemiopische Reaktion. Die Ge-
sichtsfelder waren nicht mehr eingeschränkt als sonst. Die Sensi-
bilität de)' rechten Seite äusserst herabgesetzt, am meisten am Fuss,
wo Fat. nicht empfand, wenn man sie mit der Hand fasste oder
Bewegungen ausführte. Das Bewusstsein die ganze Zeit völlig
klar. Am Mittag erneuerter Anfall.
Vio und ^/lo. Rechtsseitige Anfälle. Harninkontinenz und
Decubitus. Aus der Hernie werden 45 c.c.m. klarer seröser Flüssig-
keit ausgeleert.
Vio. Fat. hat sich erholt.
Sensibilitätspriifiingen. Gesicht: Fat. empfindet beiderseits
die Berührung einer Scheibe Hollundermark von i m.g. an
der Stirn und am Halse von 6 m.g.
Rechts. Arm: Oberarm 6 m.g., Unterarm und Hand-Dorsal-
seite I m.g., Volarseite 6 m.g.
Rumpf 6 — 8 m.g.
Bein am Schenkel 6 m.g.; Fuss 10 m.g.
Links: Erst 70—100 m.g. werden empfunden (am besten
am Arm, am schlechtesten am Fusse).
Die faradocutane Sensibilität verhält sich ebenfalls: rechts
normal, links vermindert.
Prüfung mit Dynamometer: rechte Hand 8.5 k.g., linke 9
k.g. Die rechte war vor dem ^°/ü bedeutend stärker.
Die rechtsseitigen Glieder sind 1—3 cm. dicker als die
linksseitigen.
"/lo. Allgemeinzustand wesentlich verbessert und wie vor
dem 30/9.
''/lo. Nach der Funktion der Hernie ist der Kopfschmerz
gebessert. An demselben Tage linksseitiger Anfall.
-/ii. Anfall von Schwindel. Fühlte sich ganz taub. Ge-
fühl von Fallen durch das Bett, und nachher das Gefühl, als ob
sie »aufrecht, zwischen Bretter eingschlossen, stände».
"/n. Kopfschmerz. '^',\\. Kopfschmerz mit rechtsseitigem
Anfalle vom Fusse aus. '"/n. Rechts Anfall.
'^/ii. Gewaltsame Zuckungen im rechten Beine. Gefühl
von Fall, schrie nach Hilfe. Erneuerter Anfall rechts. Chloro-
S. E. Henschen. Pathologie des Gehirus.
forminhalationen. Dann Punktion der Geschwulst. 7 c.c.m. aus-
geleert. Besserung und der Kopfschmerz gelinder.
^^/ii. Fühlte sich schwindelig und plötzlich taul> mit Kopf-
schmerz. Der rechte Ann hat geschmerzt und tvar unruhig.
Starker Anfall während Stunde mit Verlust des
Bewusstseins. Die Zuckungen waren am stärksten rechts, aber
auch links vorhanden.
^o/u. Kurzer Anfall im rechten Bein; gleich darauf schwerer
Kopfschmerz mit dem Gefühl von Druck unter dem rechten Fusse.
^/i2. Schwerer Kopfschmerz mit Uebelkeit.
^/i2. Schmerzen im rechten Fussgelenk. Sie erzählt, dass
sie beim Erwachen vor einigen Tagen von Geruchshallucinationen
belästigt war: »gleichzeitig von 2 ekeligen, sehr peinlichen Ge-
rüchen». In Folge dessen wurde der Geruch geprüft, und es
wurde gefunden, dass Fat. Terpentinöl, Nelkenöl, Kampherspiritus,
Eau de Cologne und Ammoniak nicht unterscheiden konnte,
dass aber die 2 letzten »ihr in die Nase stachen».
Die Sensibilität wurde genau geprüft und. wie früher, be-
deutend herabgesetzt gefunden.
Motilität: gelinde Parese der linken Gesichtshälfte.
^/lä — ''/12. Kann die linksseitigen Finger nicht bewegen.
Linke Pupille etwas grösser als die rechte. Abends ''/12 wurde
Fat. von intensiven, in der dorsalen Fläche der rechten grossen
Zehe lokalisirten Schmerzen geplagt.
'/12. Hatte im Bade einen Schwindelanfall und die Emp-
findung als ob sie »nach unten fallen» und »aus der Wanne
kippen» sollte. Der Anfall wurde von gleichen Geruchshallu-
cinationen, wie in der vorigen Woche, eingeleitet. Das Bewusst-
sein war nicht ganz klar. Keine Zuckungen, aber L.iruhe im
rechten Bein. Kopfschmerz und Uebelkeit. Puls 84. Linke
Fupille vergrössert.
^/i2. Fat. hatte eine sehr deutliche Gesichtsliallucination
im rechten Gesichtsfelde ; Fat. sah einen grossen weissen Hund
nacn rechts vom Bette hervorhüpfen. Einige Stunden später
schwache Zuckungen im rechten Beine, welchen Schmerzen im
rechten Fusse vorhergingen. Die Pupillen gleich gross, reagiren
normal.
^/i2. I Anfall von Schwindel, i von Zuckungen. Bei
dem ersten hatte sie eine gleiche Geruchshallucination wie früher,
Kopfschmerz und Übelkeit, schrie nach Hülfe und verlor das
Bewusstsein. Keine Zuckungen. Einige Stunden später: Anfall
von Zuckungen. Fat. verlor gleich das Bewusstsein, schrie, hatte
Zuckungen im ganzen Körper, am meisten im rechten Arm und
rechten Bein. Starke Kaubewegungen, die Augen nach oben
gerichtet. Den ganzen Tag war Fat. müde und hatte Geruchs-
hallucinationen. Pupillen normal.
27
204 S. E. RENSCHEN. PATHOLOGIE DES GEHIRNS
. *"/i2. Gesichtsfeld: die linken Hälften eingeengt (s. Karte
1) und schwierig zu bestimmen.
^■^12. Am Morgen leichte Zuckungen im linken Beine, von
GenichshaUiiciuationcii eingeleitet. Später Schwitzen imd Frieren.
Ein zweiter Abortivanfall. Den ganzen Tag Gentclisliallucina-
tioncn. Das linke Bein unruhig. Am Nachmittag: ein lang-
wieriger Anfall in der rechten Seite von Gefühl von Druck
unter den Zeiten des reeJifeu Fusses, wonach die Zuckungen sich
liach oben bis zu den Halsmuskeln verbreiteten, (lesicht ver-
schont, aber die linke Seite nahm daran auch Teil. Fat. fühlte
während des Anfalles schwere Se/inierzc/i nach innen /// die Brust
und den Baucli emstrahlend, sowie auch Schmerzen im K()i)f
(rechte Hälfte). Der Anfall dauerte i Stunde, aber Fat. blieb
bei Bewusstsein.
Der Unke Ann ist in den letzten Wochen verschlimmert.
Motilität jetzt fast vollständig weg; nur die Beugung ist
noch vorhanden, imd diese »verursacht Schmerzen in der (Ge-
schwulst».
Die Sensibilität auch verloren gegangen. 10er Muskelsinn
auch vollständig verloren. Jedoch ist die Empfindlichkeit für
den elektrischen Strom erhöht, und Fat. kann ihn links nicht
so gut wie rechts ertragen. Die Muskeln reagiren auch auf den
Strom. Der linke Radialispuls schwächer als der rechte.
^''/i2. Unruhe und Schmerzen, besonders in der rechten
grossen Zehe (an. der Dorsalseite).
''/i2. Die Sensibilität im rechten Arm und rechten Bein
gut, links schwach, im Arm verschwunden.
"'*/i2. ScJimerzen im rechten Quintusgeluete . wie im Auge
und in der Augengegend, im Gehörgange.
Linkes Facialisgebiet paretisch.
^Vi-'. 2 leichte Anfälle rechts; der er.ste begann mit
Druckgefi/hl unter den Zehen, und ihnen folgten Vertaubung und
Kälte im rechten Beine. Das rechte Bein und der rechte Fuss
sind auch kalt.
Der 2. Anfall bestand in Augenablenkung, Zuckungen in
den Nacken-, Gesichts- und Kaumuskeln.
Am Morgen 2 neue Anfälle mit Kopfschmerz, GcrucJisliallu-
cinationen, Augenablenkung nach oben, Erröthen und Erbleichen
des Gesichts. Der Puls ungleichntässig. Scliwitzen.
^Vi2. Besserung.
Sensibilität. Am linken Beine: Tast-, Ort- und Tempera-
tursinn verloren, Schmerzsinn erhalten.
Die Motilität auch fast verloren. Beim Versuche, den Fuss
zu bewegen, wurde das rechte Fussgelenk' bewegt.
Fatellarreflex sehr verstärkt, auch Dorsalklonus.
^**/i2. Kurzer, von Druckem-jjfindung unter den Zehen ein-
geleiteter Anfall.
1896 ^/i. Schwerer Kopfschmerz und Gcruchsh aliud na tionen
wie früher. Schlaff.
'■/i. Kurzer, von Druckempfindung unter den Zehen und
nach oben zu eingeleiteter Anfall von Zuckungen im rechten
Beine: auch das linke Bein an den Anfall mit geteiligt.
Die Farese der linken Gesichtshälfte Ende December
verschwunden.
Der Mund heute schief.
Kr a7iial nerven. L Geruch ist weg.
II. Linksseitige Hemianopsie S. L. wie 1895. S. R. 0.2.
III. IV. VI. Normal.
V. Sensibilität (Tast- und Ortsinn) bedeutend herabgesetzt
links. Temperatur- und Schmerzsinn unversehrt.
VII. Links Farese. auch im (iaumen.
VIII. Gehör gut.
IX. Cieschmack vielleicht schlechter als ^°|':). Saures, Sal-
ziges werden nicht unterschieden, vielleicht jedoch besser links
als rechts.
XII. Deviation nach links. Linke Zungenhälfte schlaffer,
■'/i. Ortsinn im (Besicht beiderseits normal und gleich.
'"/i. Die Perimeterkarten (II), welche 7 Stunden vor und
7 Stunden nach dem Anfalle aufgenommen wurden, hatten dieselbe
Form und Ausdehnung. Druckempfindungen unter den Zehen des
rechten Busses, später Zuckungen vom Fusse bis zum Hals aus-
gebreitet. Auch nach innen /// die Brust einstrahlende Schmerzen,
welche Athemnoth hervorriefen. Die Arme zuckten fast nicht.
Volles Bewusstsein.
Abends. Kurzer Anfall von Zuckungen im rechten Fuss
und Bein nach vorhergegangenem Gefühl von Druck. Die
Zuckungen waren Flexions- und Extensionsbewegungen, wobei
die Flexionen üljerwogen; dann erst begannen Flexionsbewe-
gungen.
'^/i. L. Pupille erweitert. Resp. 16. Puls 120. ■"'/i.
Müde. Patellarreflexe verschwunden.
Matt, spricht deutlich und klar. Resp. 13. F. 70.
Fat. starb diese Nacht so stille, dass Niemand es bemerkte.
Sektion '-'/i iSgö, von Dr. A. IVestberg.
Die Beschreibung des Ciehirns vom Verf.
Kojfi.
In der rechten Scheitelgegend gleich an der Mittelinie ragt
eine Geschwulst, von der Grösse einer halben Orange aus dem
Gehirn durch den Schädel hervor. Nach dem Ablösen der die
Geschwulst bedeckenden VVeichteile vom Rande der Schädel-
öffnung kann die Tumormasse durch diese passiren. Die Kalotte
wird übrigens von der Dura ohne Schwierigkeit gelöst.
Die Trcpanöffnung liegt im rechten Scheitelbeine, hat ovale
Form von vorn nach hinten, misst 6 + 3 c.m. Ihr vorderer
Rand liegt 3 c.m. hinter der Sutura coronalis, der hintere 4.5
über und nach vorn von dem Hinterhauptsbein. Die Ränder
sind ziemlich glatt und abgerundet. Die Kalotte ist übrigens
von normaler Form und an der Innenseite etwas rauh. Medial
und etwas (2.5 c.m.) nach hinten von der Tre})anöffnung findet
sich in der Mittellinie ß« der Linenseite des Schädels eine Ge-
ZUR EXSTIRPATION DER HIRNTUMOREN
205
schzviihtmasse, welche mit breiter Basis an dem Sulcus longi-
-tudinalis verwachsen ist und eine Höhe von 2.5 cm. hat. Die
Konsistenz ist ziemUch fest und die Farbe grauweiss; die Ober-
fläche fetzig, gewölbt, und deutlich durch Bersten von der Hirn-
geschwulst abgerissen. Die Tabula interna in der Umgebung
der Geschwulst ist bis zur Trepanationsöffnung kleinhöckerig.
Die Dura mater ist über die Geschwulst ausgespannt und
hier narbig; sonst dünner als gewöhnlich. Die Innenseite dilnn
und trocken. Der Sinus longitudinalis ist in seinem vorderen
Abschnitt leer, der hintere mündet in eine von der Geschwulst-
masse zum Teil ausgefüllte Kavität.
Die Dura ist an der Basis in der Fossa media und am
Orbitaldache mit zahlreichen kleinen festen Knötchen (Ge-
schwülsten) besetzt, welche auch auf der ventralen Fläche des
Gehirns (Temporallappen und Frontallappen) mehrere Impres-
sionen hervorgerufen haben und die Dura mit dem Gehirn zusam-
mengelöthet haben.
Auch an den Ganglien Gasseri finden sich viele solche
Knötchen, welche mit der verdickten Dura die Ganglien umgeben.
In Folge des Drucks des vergrösserten Gehirns finden
sich an der Basis des Kraniums folgenden Veränderungen. Die
Sclla turcica ist vergrössert und zur Grösse einer Wallnuss aus-
gedehnt. Processus clinoidei ant. et. post. verwischt. Die Lamina
interna orbitae ist papierdünn und leicht einzudrücken. An den
Seiten der Hypophysisgrube liegen die Artt. carotides blossgelegt;
6 m.m. nach hinten von dem Dorsum sellae turcicae schiesst
eine Knochenkante einige m.m. hoch empor.
In der Fovea media cranii finden sich tiefe Impressiones
digitatae und erbsengrosse oder kleinere Gruben, welche kleinen
runden Geschwülsten an der Aussenseite der Dura mater ent-
sprechen und die Keilbeinflügel zum Teil perforiren.
Das Foramen ovale ist rechts trichterfönnig vergrössert. in
Folge der Vergrösserung des Ganglion Gasseri. Der Inhalt der
Orbita quillt bei der Eröffnung des Orbitaldaches stark hervor.
An der basalen Fläche sind die Bulbi olfactorii etwas ab-
geplattet und dünn.
Die Hypophysis ist schalenförmig, von oben exkavirt und
abgeplattet; misst in Durchmesser 2 1.5 cm. (Fig. S. 205.)
Die Pia ist bleich und wird im Allgemeinen leicht abge-
löst, ausgenommen teils über der Geschwulst, teils an der Aussen-
seite des linken Occipitalla]jpens etwa 1.5 cm. vor der Spitze
an einer umschriebenen Stelle (s. unten). Sonst ohne Besonderes.
Die Gefässe ohne Veränderungen.
Die Konvexität der beiden Hemisphären wird von einer
grossen Geschwulst eingenommen. Diese misst in sagittaler
Richtung 7.5 cm., in frontaler höchstens 8 cm., hat eine ovale
Form und nimmt hauptsächlich die rechte Hirnhälfte ein (6
cm. in der Breite) und dehnt sich auf die linke, höchstens 2
cm. aus (Taf. XXIII. Fig. i).
Ihre Oberfläche ist sehr uneben, grobgelappt und fetzig;
sie ist von fester, etwas fribröser Konsistenz, und das Gewebe
kann zwischen den Fingern nicht zerdrückt werden. Die Schnitt-
fläche ist faserig, etwas porös.
Die Geschwulst scheint zwar die Hirnsubstanz zu infiltriren,
aber eine genauere Untersuchung zeigt, dass sie von der Mittel-
linie aus zwischen den Gyri in die Sulci eindringt und die
Windungen auseinancler drängt. Dies tritt besonders deutlich
an den occipitalen Schnitten hervor (Taf. XXIII. Fig. 2). Hier
wie überhaupt ist die Rinde zusammengedrückt und sehr schmal.
An mehr frontalen Schnitten (Taf XXIV. Fig. 3) ist die Grenze
gegen das Hirngewebe undeutlicher. Nur stellenweise ist eine
Kapsel vorhanden.
An die Rinde der linken Hemis])häre ist die Masse nur
fest angelöthet, ohne das Gehirn zu infiltriren.
Ausdehnung der Geschwulst.
In der rechten Hemisphäre hat die Geschwulst folgende Teile
teils zerstört (vgl. den Operationsbericht), teils verdrängt, i) das
hintere Ende der vorderen Centraiwindung bis 2 — 3 cm. von
der Mittellinie ab, und in sagittaler Richtung bis zu ihrer halben
Breite ;
2) das ganze hintere {mediale) Ende der liinteren Ccntral-
windung in einer Ausdehnung nach unten vorn von etwa 6— 7
cm.; also auch den ganzen Paracentrallappen :
3) den oberen Parietallappen bis etwa 6 cm. von der
Mittellinie ab; die Rinde und das Mark dieses Lappens liegt
unter der Geschwulst teils zusammengedrückt, teils zerstört;
4) den ganzen Prcecuneiis fast bis zur Fissura occipito-
parietalis interna;
5) den dorsalen Rand des Gyrus corporis callosi.
Dagegen sind erhalten geblieben: der untere Parietallappen
und der Gyrus angularis. Der Sulcus intraparietalis bildet unge-
fähr die laterale Grenz der Geschwulstmasse.
In der linken Hemisphäre sind folgende Windungen nicht
zerstört, aber zusammengedriickt und ausser Lage gebracht; i) die
hinterste Spitze der vorderen Centraiwindung in nur geringer
Ausdehnung; überhaupt ist nur die Rinde hier afficii t (s. Taf
XXV. Fig. l);
2) die mediale Spitze der Jiinteren Centraiwindung; der
Paracentrallappen ist zur Seite gedrängt und gedrückt und nimmt
die Geschwulst wie in einer Schale auf;
206 S. E. HENSCHEiN. PATHOLOGIE DES GEHIRNS
3) die vorderen ^/a des Prcecuneus.
Dagegen ist die konvexe Fläche des Parietallappens nur
in kleiner Ausdehnung direkt von der Geschwulst bedeckt; ihre
Windungen sind zur Seite gedrückt.
Beiderseits sind sowohl die Frontallaijjten wie die Tempo-
ral- und Occipitallappen frei von Geschwulstmasse.
Die basale Fläche.
Hier fällt gleich in die Augen (Die Fig. an der S. 205), dass
eine Anzahl von kleineren Grübchen und Zapfen von kaum i
m.m. Durchmesser vorhanden sind, und zwar besonders an der
Unterfläche des rechten Temporallappeus, aber auch zerstreut an
den Orbitalflächen und am linken Tempcallappen. An den
entsprechenden Stellen der Dura liegen linsengrosse Geschwülste,
welche die Unterfläche des Gehirns mit der Dura zusammen-
löthen, weshalb das herausgenommene Gehirn an der Ober-
fläche etwas zerrissen ist. Dies ist besonders an der Spitze des
Temporallappens (an T', T^ und T^) der Fall.
Die Centraiganglien sind, besonders rechts, etwas platt-
gedrückt. Die Oberfläche des Thalamus ist also nicht konvex
(s. Fig. 3. Taf. XXIV.), sondern platt; so auch das Pitlvinar
und besonders der rechte Colliculus anterior sind ganz platt-
gedrückt, dagegen der Colliculus posterior nur etwas herab-
gedrückt.
Auch der Niicleus caiidatiis ist plattgedrückt wie der Balken.
Übrigens scheinen die centralen Teile wenig vom Druck
gelitten zu haben.
Zeichen von leichter Stauung finden sich jedoch hier,
obschon nicht sehr starke. Sonst zeigen die Centralganglien an
den Schnittflächen nichts Abnormes.
Die Nervi optici sind vielleicht etwas schmal, der rechte
schmäler als der linke. Die Tractus optici beide, besonders
der rechte ^ sehr plattgedrückt. Dagegen waren die Kniehöcker
kaum einem stärkeren Druck ausgesetzt.
Das Gehirn wurde in i cm. dicke Scheiben zerteilt.
I,inke Hemisjjhäre.
Occipitallappen.
In den ersten Occipitahvindung (Taf. XXV. Fig. 3.), etwa
I cm. frontal vor der Spitze und 5 m.m. lateral von der Margo
findet sich eine unregelmässige narbige Schrtimpfnng in der Rinde
(a); an dieser Partie ist die Pia stärker angelöthet als sonst. Die
Schrumpfung setzt sich über der Margo falcata bis auf die
mediale Fläche einige m.m. fort. Sonst ist an der Oberfläche
nichts Besonderes zu sehen.
Durchschnitte.
Schnitt I cm. vor dem Occipitalpole. Entsprechend der
oben erwähnten Narbe erstreckt sich von der medialen Fläche
nach aussen in das Mark ein streifenförmiger Schlitz i cm.
hinein. Das Gewebe ist hier verändert. Die Sehstrahlung oder
die Rinde der Fissura calcarina ist nicht berührt.
Schnitt I.; cm. (Taf. XXV. Fig. 4). Im dorsalen Ab-
schnitte findet sich eine unregelmässige Cyste, welche weder die
Sehstrahlung (s. s.), noch, die Rinde der Fissura calcarina zerstört
hat, aber etwa i m.m. lateral von der dorsalen Spitze der Seh-
strahlung liegt. Ihre Form und Lage illustrirt die Figur. Die
entsprechende Rinde der Gegend der Margo falcata scheint
etwas schmal 7\\ sein.
Schnitt 2 cm. Hier findet sich ein kleiner Defekt von
etwa I + 2 m.m. Grösse, und die vordere Spitze der Cyste liegt
unmittelbar nach aussen von der dorsalen Spitze der Sehstrahlung.
Die Schnitte zeigen sonst kein Anzeichen einer stärkeren
Kompression, ausgenommen dass die Gyri abgeplattet sind.
Schnitt j cm. vor der Spitze (Taf. XXIII. Fig. 2). Oben
an der Margo falcata im Prsecuneus in einer Ausdehnung von
1.5 cm. liegt Geschwulstmasse an der Rinde locker angelöthet.
Die entsprechende Rinde ist etwas schmal, zusammengedrückt.
Der Schnitt ist im Ganzen auch von oben nach unten zusammen-
gedrückt.
Schnitt 4 cm. (Taf. XXIV. Fig. i). Geschwulstmasse von
kaum 2 cm. liegt an der Margo falcata dicht an, ohne auf das
Mark überzugreifen. Die Rinde hier atrophisch. Sonst ist der
St hnilt normal.
Schnitt 5 cm. Wie Schnitt 4 cm., nur ist die Geschwulst-
masse etwas grösser. Die Rinde der Margo falcata nicht ver-
schwunden, aber zusammengedrückt. Zeichen einer Stauung im
Mark.
Schnitt 6 cm. (Taf. XXIV. Fig. 2). Wie Schnitt 5 cm.
Schnitt 7 und S cm. (Taf. XXIV. Fig. 3). An der Margo
falcata findet sich dicht an die Rinde angelöthet eine wallnuss-
grosse Geschwulstmasse, welche die Rinde zusammengedrückt
hat, ohne auf sie überzugreifen.
Schnitt g cm. (Taf. XXV. Fig. i). Keine Geschwulst.
Die Rinde zeigt Grübchen in Folge des Drucks der gegen-
überliegenden Geschwulstmasse.
Rechte Hemisphäre.
Schnitt I — 2 cm. vor dem Occipitalpole zeigen nichts Ab-
normes, ausgenommen dass sie deutlich eine veränderte Form
haben, indem sie von oben nach unten zusammengedrückt sind.
Die laterale Fläche ist mehr horizontal und ebenso die untere,
wodurch der Schnitt etwas quadratisch ist, wie aus der Figur
(Taf. XXIII. Fig. 2.) näher erhellt.
Die Cxeschwulstmasse dringt bis etwa 4 cm. vor der Occi-
pitalspitze nach hinten, aber greift nicht auf den Cuneus über,
sondern ist nach hinten durch die Fissura occipito-parietalis
begrenzt.
Schnitt j cm. (Taf XXIII. Fig. 2). Hier dringen die
occipitalsten Ausläufer der Geschwulstmasse in und zwischen die
Windungen des Prtecuneus ein. Ihre Form und Lage s. die
Abbildungen. Durch die Kompression der Gehirnmasse sind
die Konturen wesentlich verändert. Die Rinde ist auch überall
im oberen Umfange plattgedrückt. Die Sehstrahlung ist sehr
breit, aber in vertikaler Richtung kurz.
Schnitt 4 cm. (Taf. XXIV. Fig. i). Hier dringt die Ge-
schwulstmasse zwischen den zusammengedrückten Windungen
keilförmig ein und drückt diese so zusammen, dass sie sich an-
scheinend weit in die Gehirnmasse auszudehnen scheint. Zugleich
drückt von oben das Neoplasma, wie die Figur zeigt. Dadurch
ist der Schnitt wesentlich deformirt.
Schnitt 5 cm. Die Cie.schwulstmasse hat noch grössere
Ausdehnung und hat das zunächst liegende Hirngewebe in einer
Ausdehnung von etwa 1—3 m.m. degenerirt. Nach oben geht
ZUR EXSTIRPATION DER HIRNTUMOREN
207
das Gehirn ohne Grenzen in das Neoplasma über. Das Gehirn
ist überall von fester Textur.
Sdinitt 6 cm. (Taf. XXIV. Fig. 2). Wie die Geschwulst
auf das Gehirn übergreift, geht am besten aus der Figur hervor.
Nach aussen ist die Grenze zwischen Geschwulst und Gehirn
makroskojjisch nicht zu bestimmen.
Schnitt 7 und 8 cjn. (Taf. XXIV. Fig. 3). Dieser Schnitt
entspricht dem Ausgangspunkt der Geschwulst und dem hinteren
Ende der Cp. Die Geschwulst hat hier ihre grösste Ausdehnung.
Sie erstreckt sich von der Mittellinie nach unten fast bis zum
Balken und zum Seitenventrikel, nach aussen 4.5 cm. und misst
von oben nach unten etwa 4 cm., die über der Fläche des
Gehirns liegende Masse nicht gerechnet.
Der Balken ist nach unten verschoben und zusammengedrückt
wie der Gyrus corporis callosi.
Schnitt p cm. (Taf. XXV. Fig. i). Die Geschwulst hat
sich hier wesentlich verschmälert und schiebt sich in den Para-
centrallapi^en ein, besonders entsprechend dem oberen Ende der
vorderen Centraiwindung. Aber auch das Mark hat gelitten und
hat eine weissgelbe Farbe (Degeneration).
Schnitt 10 cm. ist normal.
Kleinhirn und Medulla oblongata (Taf. XXV. Fig. 2).
Das Kleinhirn zeigt weder an der Oberfläche, noch im
Inneren etwas Pathologisches. Seine Form ist normal, aber es
ist von oben nach unten bedeutend zusammengedrückt.
Die Brücke ist überhaupt normal, ausgenommen dass auf
dem Durschschnitte verschiedene blutgefüllte Venen mehr als ge-
wöhnlich hervortreten und eine venöse Stauung andeuten.
Das verlängerte Mark ist gegen die Brücke eingeknickt,
(s. Fig. 2) und bildet nicht die gerade Fortsetzung der Brücke.
In Folge dessen ist der Boden des 4. Ventrikels konvex und das
Mark zeigt auf dem Durchschnitte Zeichen einer Stauung in den
kleineren Gefässen.
Körper sonst etwas abgemagert mit Atrophie des linken
Armes.
Lungen: etwas Schleim in den Bronchien und Oedem in
den hinteren Teilen.
Herz: die rechte Hälfte enthält 100 c.c.m. Blut. Die
Muskulatur etwas fettig degenerirt. Sonst Alles fast normal.
Milz, Nieren, Leber sind normal. Magen und Darm ebenso.
In der rechten Hälfte des kleinen Beckens ist eine mehr
als hühneiergrosse, harte und gelappte Geschwulst vorhanden,
welche an der Hinterseite des Ligamentum latum, dem Peri-
toneum und dem Rectum adhaerirt und durch einen Stiel mit
dem Uterus zusammenhängt. An der Schnittfläche ist sie ge-
streift und zeigt verkalkte Partien.
In den Ovarien finden sich Cysten.
Übrigens nichts Bemerkenswerthes.
Mikroskopische Untersuchung der Hirn - G e sch w 11 1 st.
Die Geschwulst besteht aus Häufchen kleiner teils ab-
gerundeter aber meist spindel- oder sternförmiger Zellen, welche
dicht an einander liegen oder durch zartes Bindegewebe oder
gröbere Bindegewebsbalken von einander getrennt sind. Also
liegt ein Spindelzellen-Sarkom vor. Der Ausgangspunkt ist gewiss
die Pia,
Epikrise.
Kurzer Krankenbericht. Die 46-jähr. Pat. hatte im
Alter von 13 und 25 Jahren .Schwindelanfälle mit Bewusst-
seinsverlust. Im Jahre 1881 verschlechterte sich ihr Allgc-
nieinzustantl und ein von krampfhaften Zuckungen im linken
Beine und Schwäche des rechten begleiteter Anfall trat ein.
Nachher Schwäche im linken Bein. Später Doppeltsehen,
Kopfschmerz, am stärksten in der rechten Scheitelgegend,
Sausen im linken Ohr, Schmerzen in der rechten Gesichts-
hälfte.
St. pra2s. 1891. Augen hervorstehend. Glandula thyre-
oidea angeschwollen. Psyche normal. I. Geruch schlecht,
II. Lichterscheinungen nach rechts, Doppelbilder. Linke Pa-
pille: Stauung. VII. Geringe Parese nach links. V, VTII, IX,
X, XI, XII im Ganzen normal. Geringe Anästhesie im lin-
ken Bein, Parese des linken Beins und weniger des linken
Arms.
Nachher traten Anfälle von Zuckungen im linken Bein
ein, welche anfangs nur • subjektiv, später auch objektiv be-
merkt werden konnten. — Mit der Zeit trat Stauung auch in
der rechten Papille ein. Die Anfälle wurden zahlreicher, oft
von Lichterscheinungen, Gehörphänomenen begleitet und ge-
wöhnlich von Parästhesien in der linken Seite eingeleitet. Der
Kopfschmerz nahm zu und Anfangs 1893 wurde Pat. hemi-
plegisch. Sie wurde dann 1893 operirt. Die Geschwulst
wurde zum grössten Teil au.sgelöffelt. Nachher allmählich
Besserung des lästigen Kopfschmerzes, die Motilität wurde
gebessert. Aber bald stellten sich Anfälle ein, und zwar an-
fangs links, später auch rechts. Nach und nach i.ahm die
Lähmung links zu, und rechtsseitige Anfälle fanden sich ein,
mit rechtsseitigen Gesichtshallucinationen und zuletzt Geruchs-
hallucinationen. Zufällig nach einem Anfalle linksseitige Lle-
mianopsie. Tod 1896 durch Knickung der Medulla oblon-
gata in Folge des von der ansehnlichen Geschwulstmasse aus-
geübten Druckes.
Diagnose. Art der Läsion. Als Pat. zum ersten Mal
ins Krankenhaus aufgenommen wurde, war Anfangs die Art
der Krankheit nicht ganz klar. Iis war aufiallend, dass Pat.
schon im Alter von 13 Jahren einen eigenthümlichen Schwin-
delanfall gehabt hatte und dann in ihrem 24. Jahre einen neuen.
Der dritte trat im Alter von 38 Jahren auf; und von dieser
Zeit datirt sich eigentlich die Krankheit. Es fragt sich dann,
ob diese Schwindelanfälle, welche alle in Zusammenhang mit
Gemüthsbewegungen zu stehen schienen, einerlei Art waren
oder nicht. Der letzte Anfall war auch nach Angabe von
Zuckungen im linken Bein mit nachfolgender Schwäche be-
gleitet. Da Pat. nun Anfangs im Krankenhause über Anfälle
von Zuckungen klagte, ohne dass wir uns davon objektiv
überzeugen konnten, schien anfangs eine funktionelle Störung
vorzuliegen.
Ausserdem fanden sich ein deutlicher E.x'ophthalmus an
beiden Augen, Struma und Anfälle von Herzklopfen, weshalb
der Verdacht auf einen Morbus Basedowii vorlag.
Inzwischen wurde die Art der Krankheit bald festge-
stellt. Die Zuckimgcn des linken Beins wurden d. 20. No-
vember zum ersten Mal objektiv bestätigt, wenn sie auch An-
208 S. E. MENSCHEN. PATHOLOGIE DES GEHIRNS
fangs nur gelinde waren, und eine Stauungspapille wurde ge-
sehen. Wenn auch erst die Frage aufgeworfen wurde, ob
diese in Zusammenhang mit dem Morbus Basedowii gestellt
werden könne, so wurde doch bald klar, dass eine Hirngc-
scJnuulst vorlag. Die typischen Symptome — Kopfschmerzen,
Jackson'sche Epilepsie mit allen Attributen — traten mit jedem
Tage deutlicher hervor und stellten die Diagnose ausser allem
Zweifel.
Lokalisatiou der Geschzvulst. Nachdem die Art der Lä-
sion klargelegt worden war, unterlag es keiner Schwierigkeit,
die Lokalisation zu bestimmen. Charakteristisch für den Fall
waren die auf das linke Bein beschränkten Symptome. Schon
beim ersten Anfalle traten Zuckungen im linken Bein auf,
und später wurde dieses Bein vorzugsweise schivach. Die
später unaufhörlich fast bis zum Tode wiederholten Anfälle
waren gewöhnlich von eigenthümlichen Parästhesien eingeleitet.
Diese bestanden bald in eigenthümlichen Empfindungen von
Wellen, von Ameisenkriechen, von Schütteln oder Reizen, von
Zittern u. s. w., welche beständig von dem linken Bein aus-
gingen. Ja am öftesten gingen sie' speciell von den Zehen
des linken Fusses aus. Es unterlag also keinem Zweifel, dass
der primäre Herd in dem Centrum des linken Fusses lag oder
in seiner unmittelbaren Nähe. Die nachfolgende Schwäche
fing auch im linken Bein an und war gegen die Gewohnheit bei
Hemiplegien in Folge von Geschwülsten im Bein viel ausge-
prägter als im Arm. Erst später trat die Schwäche im Arm auf.
Es A\urde also die Lokalisatiou in der hintersten ober-
sten Spitze der rechtsseitigen Centrahvindungen und besonders
in der hinteren Centrakvindung in der Nähe der Margo fal-
cata bestimmt.
Mit einer solchen Lage stimmten auch einige wichtige
Symptome, nämlich auf die rechte Hälfte begrenzte Kopf-
schmerzen, welche oft besonders an den Scheitel verlegt wur-
den, und eine bisweilen ausgesprochene Empfindlichkeit in
dieser Gegend beim Klopfen.
Operation. Praktische Bemerkungen.
Gesichtspunkte. Sobald die Lokalisation festgestellt war,
schlug ich der Pat. eine Operation vor. Bestimmend für mich
waren dabei folgende Gesichtspunkte.
Art der Geschzvulst. Ob die schon in früheren Jahren
aufgetretenen Schwindclanfälle in Zusammenhang mit der spä-
teren Krankheit standen, musste ich als unentschieden hin-
stellen. Jedenfalls war der Anfall im Jahre 1888 als ein Aus-
druck der Krankheit anzusehen. Der sich allmählich und
sehr langsam unter gelinden Symptomen entwickelnde Verlauf
sprach unzweideutig gegen eine maligne Natur der Geschwulst,
und also für eine circumscripte, vielleicht eingekapselte Ge-
schwuLstmasse.
Die Frage nach dem Ausgangspunkt der Geschwulst
wurde in diesem Zusammenhang diskutirt. Die gelinden An-
fälle sprachen eher gegen als für eine ursprünglich kortikale
Geschwulst. Es war also wahrscheinlich, dass die Geschwulst
entweder subkortikal war oder von der Dura, resp. Pia aus-
ging. In jenem Falle sprachen die Jackson'schen Anfälle da-
für, dass die Rinde mitbeteiligt war.
Für Duralgeschwulst sprach die Empfindlichkeit beim
Klopfen. Diese können oft verlaufen, ohne die Rinde be-
trächtlich zu reizen. Dafür sprechen sowohl die von Ande-
ren gemachten Beobachtungen, wie eigne Erfahrung.
Es wurde eine Duralgeschwulst als wahrscheinlich ange-
nommen.
In Anbetracht der wahrscheinlich gutartigen Natur der
Geschwulst und ihrer für eine Operation günstigen Lage,
wurde deshalb schon in November 1891 eine Operation der
Pat. angerathen und die Gefahr, damit zu zögern, ihr vorge-
halten. Da inzwischen zu dieser Zeit die Symptome der Pat.
so unbedeutend und wenig lästig erschienen, so zog Pat. vor,
das Krankenhaus zu verlassen.
Im Februar 1892, als Pat. zurückkam, war der Fort-
schritt der Geschwulst auffallend, aber Pat. verweigerte auch
jetzt, sich einer Operation zu unterwerfen, um so mehr als
sich die Symptome durch den Aufenthalt im Krankenhause
besserten.
Als Pat. zum dritten Mal im Februar 1893 in's Kran-
kenhaus aufgenommen wurde, war sie hemiplegisch, und die
Kopfschmerzen waren sehr schwer, weshalb sie um eine Ope-
ration bat. Zu dieser Zeit war ich für den Eingriff wenig
geneigt, und zwar in Anbetracht der vermutheten Grösse der
Geschwulst, welche sich durch die schweren Kopfschmerzen,
die ausgeprägte Hemiplegie und Schwere der Anfälle kundgab.
Der Operationserfolg. Betreffs der Operation bemerke
ich nur, dass sie recht gründlich war. Wie der Operations-
bericht näher mitteilt, wurde das Gewebe in einer Ausdeh-
nung von etwa 5 cm. ausgelöffelt, an einer Seite war nur
gesundes Gewebe anzutreffen; aber die Blutung und der dro-
hende Kollaps hinderten die vollständige Ausräumung. Das
Recidiv blieb auch nicht aus, aber die Geschwulst nahm nur
langsam zu. Die ausserhalb des Schädels befindliche Hernie
enthielt nur GcscJiwulstniasse, gleich wie im folgenden Falle,
Jansson.
Da Pat. fast 3 Jahre nach der Operation am Leben blieb,
so unterliegt es kaum einem Zweifel, dass die Operation das
Leben verlängerte. Es scheint mir auch wahrscheinlich, dass
sie das Leben erträglicher machte. Der Patientin wurde das
Sehvermögen gerettet. Ohne Operation hätte sie ohne Zwei-
fel eine längere Zeit blind zugebracht. Nun konnte sie sich
bis zur letzten Zeit mit Lesen unterhalten, und überhaupt in
relativem Wohlbefinden ihre Tage zubringen, wenn auch
der allmählich gesteigerte Kopfschmerz sie belästigte.
Der Tod kam plötzlich in der Nacht und war schmerzlos.
Die Operation %var also zvohltätig.
Analyse der Symptome.
Die Enizvickelung der Krankheit. In dieser Hinsicht ist
CS von besonderem Interesse, dass Pat. schon vor dem mani-
festen Anfang der Krankheit zwei Schwindelanfälle gehabt
hatte, den einen im Alter von 13, den anderen im Alter
von 25 Jahren. Wenn auch die Möglichkeit eines Zusam-
menhangs mit der vielleicht schon zu dieser Zeit vorhande-
nen Geschwulst nicht ausgeschlossen werden kann, so schien
dies doch nicht wahrscheinlich. Ich war deshalb beim Durch-
schneiden des linken Occipitallappens erstaunt, zu finden, dass
sich hier im dorsalen Abschnitt eine sehr alte kleine Cyste
ZUR EXSTIRPATION DER HIRNTUMOREN 209
vorfand. Die ebenen Wände deuten ein grosses Alter der
Cyste an. Durch Vorhandensein dieser Cyste wird der eine
der früheren Anfälle genügend erklärt. Da man von dem
Verlaufe des Anfalles nichts Genaueres weiss, so ist aus der
sonst interessanten Lage innerhalb der Sehsphäre nichts Lehr-
reiches abzuleiten.
Remerkenswerth ist, dass alle 3 Schwindelanfalle durch
Gemüthsattektionen hervorgerufen wurden — was die Bedeu-
tung von Kongestionen bei organischen Krankheiten klarlegt.
Psyche. Bis zum letzten Abend ihres Lebens behielt
Fat. die volle Iniclligenrj, und zwar ungeachtet der wieder-
holten Anfälle. Da die Geschwulst eine bedeutende Kom-
pression des ganzen Gehirns hervorgerufen hatte und ausser-
dem noch einen grösseren Teil der rechten Hälfte ausser Funk-
tion gesetzt hatte, so finde ich hierin einen Beweis für die
geringe Bedeutung der rechten Hemisphäre für die Intelligenz.
Der Fall Malm (S. 14.) spricht auch für diese Auffassung.
Sprache. Die Sprache war nicht gestört, und unmittel-
bar nach den Anfällen konnte Fat. sowohl Worte auffassen
wie spontan sprechen.
Kranialnerven. I. Geruch: Schon im Sommer 1891
wurde der Geruch nach Angabe der Fat. schlechter und war
zeitweilig verschwunden. Eine grössere Herabzetzung des
Geruches war jedoch im Oktober dess. J. nicht bei der Frobe
nachzuweisen, wohl aber im März 1892 und im Februar 1893.
Nach der Operation wurde wahrgenommen, dass der Geruch
rechts fast normal war, links bedeutend Jierabgesctzt. So
war es auch später im Febr. und Nov. 1894. Dagegen wurde
im Mai und Sept. 1895 eine doppelseitige Herabsetzung nach-
gewiesen, und d. 8. Januar 1896, 10 Tage vor dem Tode,
war der Geruch versclnvunden.
Ausserdem litt sie während des letzten Jahres wieder-
holt — Vi2, ^^2, Vi'2, ^*/i2, 1895, ^'l 1896 - an Ge-
rucJishallucinaiionen. Den */i2 1895 erzählte Fat., dass sie
beim Erwachen vor einigen Tagen »gleichzeitig von zwei ekel-
haften sehr peinlichen Gerüchen» befallen wurde, und bei der
Probe wurde es nachgewiesen, dass sie mehrere Riechstoffe
nicht erkannte, obgleich sie in die Nase stachen.
Bei Zu.sammenstellung dieser klinischen Thatsachen muss
die Geruchstörung als central und von progressiver Art be-
trachtet werden. Die Sektion wies die Ursache nach. (Fig.
S. 205.)
Auf der basalen Fläche der Temporallappen, besonders
gleich an der Spitze, sowie an der Orbitalfläche in der Nähe
der Bulbi olfactorii, fanden sich kleine feste Knötchen, welche
die Dura und die Hirnoberfläche mit einander zusammenlö-
theten. Beim Trennen des Gehirns von der Dura entstanden
kleine Zerreissungen der Hirnrinde (s. Fig.). Es leidet wohl
keinen Zweifel, dass diese kleinen Knötchen, welche sarko-
matöse Bildungen waren, die Geruchshallucinationen hervor-
riefen. Und da weder die Bulbi olfactorii, noch die Strich un-
mittelbar (?) durch die Sarkome gereizt wurden, und das Ge-
ruchscentrum (Uncus und Gyrus Hippocampi) auch keine sol-
chen Neoplasmen enthielt, so ist die Frage berechtigt, ob
wir hier in der Nähe des Geruchscentrum auf der ventralen
Fläche des Temporallappens oder auf der Orbitalfläche ein
besonderes Gebiet für Geruchshallucinationen haben oder ob
sich das Geruchscentrum selbst bis auf die erwähnten Flä-
chen ausdehnt. Die Hallucinationen waren unangenehmer Art.
II. Gesicht. Die Störungen von Seiten der Augen wa-
ren mannigfach und traten frühzeitig auf.
ExophtJialmus . Fat. hatte schon 1891 seit einigen Jah-
ren bemerkt, dass das eine Auge hervorragte, und im Som-
mer 1891 mit der Entwickelung der Geschwulst trat diese
Veränderung an beiden Augen ein und bestand seitdem bis
zum Tode. Die Operation führte keine deutliche Besserung
herbei. Die Ursache dieses Exophthalmus ist nicht klar. Bei
der Sektion wurde zwar eine Knickung der Medulla oblon-
gata nachgewiesen; dass aber diese schon bei der Entstehung
des Exophthalmus bestand, ist ebenso unwahrscheinlich, als
es als unsicher betrachtet werden kann, dass in der That
durch dieselbe der Exophthalmus erklärt werden kann. Der
gesteigerte intrakraniale Druck dürfte kaum als Ursache ge-
nügen, indem Exophthalmus bei Hirngeschwülsten nicht ein
gewöhnliches Symptom ist. Dagegen wird der Exophthal-
mus vielleicht durch den auf die Hypophysis ausgeübten Druck
erklärt werden. Diese Drüse zvar in hohem Grade gedrückt
und dadurch exkavirt. Auch muss nicht ausser Acht gelas-
sen werden, dass die Geschwulst schon frühzeitig auf die
Cirkulation im Sinus longitudinalis eingewirkt haben kann,
und vielleicht stand damit in Zusammenhang, dass die rechte
Gesichtshälfte unter dem Auge mitunter angeschwollen war.
Gesichtsfelder. Während des mehrjährigen Aufenthalts
der Kranken im Hospitale wurden von Zeit zu Zeit neue Feri-
meterkarten, im Ganzen 24 verschiedene Doppelkarten, auf-
genommen. Bei der Durchsicht aller dieser fallen zwei Ab-
weichungen in die Augen.
Hemianopsie. Ungeachtet der sehr verschiedenen Um-
stände, unter welchen jene Karten aufgenommen wurden,
konnte eine Andeutung von hemianopischen Defekten nie in
den Jahren 1891 — December 1895 bemerkt werden, aber den
12. December dess. J. zeigte die nach vorhergehenden epilep-
tischen Anfällen aufgenommene Karte I (S. 203) eine deut-
liche Einschränkung nach links, welche deutlich als ein he-
mianopischer Defekt in dem peripherischen Sehen bezeichnet
werden muss, während die rechtsseitigen Gesichtsfelder zwar
eine nicht unbedeutende Einschränkung zeigten, welche je-
doch nicht als hemianopisch aufzufassen sein dürften, sondern
als Ausdruck einer koncentrischcn Einschränkung. Die später,
am 10. Januar 1896, zehn Tage vor dem Tode, gemachten
Messungen (Karte II, S. 204) bestätigten die Berechtigung die-
ser Auflassung. Hier sehen wir oine fast vollständige links-
seitige Hemianopsie. Auch diese Karten müssen als Folge
eines Kongestionszustandes, welcher von epileptischen An-
fällen begleitet war, betrachtet werden; und die 7 Stunden
vor und 7 Stunden nach einem Anfalle aufgenommenen Kar-
ten zeigten dieselbe Form und Ausdehnung.
Bei Betrachtung der Durchschnitte der Hemisphären
finden wir eine bedeutende Kompression der beiden He-
misphären, aber besonders der rechten. Diese macht sich
zwar auch an den Tractus geltend, welche deutlich plattge-
drückt sind, aber sonst besonders an dem rechten Occipital-
lappen. Seine quadratische von oben nach unten plattge-
210 S. E. HENSCHEN. PATHOLOGIE DES GEHIRNS
drückte Form deutet auf einen bedeutenden Druck von
oben, und wenn man betraclitet, wie die Lippen der Fissura
calcarina an einander gedrückt sind, wird man erstaunen, dass
nicht eine konstante Hemianopsie durch den Drucl-: auf die
occipitale Sehbahn oder das Seliccntrum hervorgerufen war.
Dass hier die Hemianopsie durch den Druclc auf die occipi-
tale Sehbahn oder das Sehcentrum hervorgerufen war, dar-
darauf deutet das Felden der IicmiopiscJieti Pn/idleiirenktioii.
Wir l<önnen also daraus lernen, dass eine schon grosse Ge-
schwulst in den Centraiwindungen kaum LIemianopsie hervor-
ruft, wenn sie nicht auf die Sehstrahlung übergreift oder in
Zusammenhang mit Kongestionszuständcn steht. Die Fälle
II, Sundelin, und 12, Eklund, stehen damit in Ubereinstim-
mung.
Besondere Beachtung verdient die Thatsache, dass die
Geschwulst sich weiter nach hinten in der rechten Hemi-
sphäre als in def linken erstreckte, und zwar in der rechten
bis zur Fissura occipito-parietalis interna. Da nun die Ge-
schwulstmasse sehr langsam wuchs, so dürfte danach der
Pracimciis, welcher hier infiltrirt war, lücJit zur SchspJiäre
gekoren. — eine Ansicht, welche ich schon früher ausgespro-
chen habe (Teil II).
Sonst i.st auch für das Studium der Begrenzung der Seh-
sphiire von Interesse, dass keine Andeutung einer quadran-
tischen Beschränkung der Gesichtsfelder nach unten rechts
vorhanden war. Wie die Sektion zeigt, fand sich bei dem
Durchschnitt des linken Occipitallappens eine kleine Cyste an
der dorsalen Spitze der Sehstrahlung, welche wohl eine be-
trächtliche Anzahl der zu den occipitalsten etwa 10 m.m. der
Margo falcata verlaufenden I^^asern durchtrenntc. Die genau-
ere Untersuchung der Beziehung dieser Cyste zeigt, dass sie
nicht auf die Sehsiraldung oder auf die zur dorsalen Lippe
der Fissura calcarina verlaufenden Fasern übergriff. Der Be-
fuilri bestätigt also den von mir früher au.sgesprochenen Satz,
dass die Margo falcata nicht zum Sehcentrum oder zur kor-
tikalen Retina gehöre.
Koncentrisclic Einscliränkung. Alle Karten geben eine
solche an, aber ihre Ausdehnung war zu verschiedenen Zeit-
punkten recht verschieden. 1891 war sie nicht unbedeutend,
1893 recht unansehnlich, nur ein schmaler dunkler Ring um-
giebt das sehende Feld. Später im I'^ebruar 1893, kurz vor
der Operation, \\ar die Einschränkung etwas grösser und un-
gefähr wie Anfang 1894. Im I*"rühling 1894 vermehrte sich
der Kopfschmerz bedeutend, und jetzt wurden die Gesichts-
felder bisweilen bedeutend vermindert, bisweilen wie früher.
Ende 1894 hatten sie dieselbe Grösse wie die grösseren
im Frühling dess. J. Noch im September 1895 waren die
Gesichtsfelder nicht bedeutend vermindert, und erst am lüidc
des Jahres traten die erwähnten hemianopischen Einschränkun-
gen ein. Dabei war die lünschränkung des linken Gesichts-
feldes oft grösser als die des rechten. Dies war besonders
an den 1891 aufgenommenen Karten auffallend, aber an spä-
teren war oft kein Unterschied bemerkbar, oder bisweilen selbst
das rechte h'eld gr()sser. Im Ganzen war jedoch das li)dxC
Feld eiivns kleiner.
Wie in anderen Fällen stimmt damit, dass der Herd in
der rechten Hemisphäre sass und die linke Seite gelähmt war.
Auch war die litike Cornea etzvas zveniger empfindlich als die
rechte. Dass diese Anästhesie wohl in Zusammenhang mit
der Einschränkung des linken Gesichtsfeldes stand, habe ich
oben mehrmals hervorgehoben. Hier bemerke ich nur, dass
hier nicht eine ausgesprochene Hemiplegie vorhanden war.
Auch die Stauungspapille muss für die Erklärung der kon-
centrischen Einschränkung in Rechnung genommen werden.
Gcsichtshalhicinationen. Lichterscheinungen in Form von
Zick-Zack-Linien, Blitzen u. s. w., und zwar nach rechts, tra-
ten schon im Sommer 1891 auf In den Jahren 1892 — 1893
erschienen sie im Ganzen nicht oft, aber im Jahre 1894 und
besonders 1895 traten sie sehr oft auf und gewöhnlich in Zu-
sammenhang mit den Anfällen. Fast immer waren sie nacJi
rechts projicirt. Sie hatten auch jetzt die Form von leuch-
tenden Zick-Zack-Linien, Blitzen, Flammen, und besonders von
Ringen. Ausnahmsweise nahmen die Erscheinungen die Form
von Menschen u. s. w. an. Diese erschienen (d. '''"/g 1895)
nach rechts, und Fat. erzählte einmal, dass sie nur halbe
MenscJien sah. aber diese waren sehr dunkel. Sie glaubt,
dass sie nur die rechten Hälften der Menschen sah. Nur
einmal sah sie die Erscheinungen nach links.
Was waren diese Erscheinungen Retinalphotopsien oder
Hallucinationen? Und wo wurden sie gebildet.?
Es war nicht leicht zu bestimmen, ob sie nur mit dem
rechten Auge oder mit beiden gesehen wurden. Der Um-
stand, dass am meisten nur formlose Bilder auftraten, sprach
für die Annahme von Phoiopsieti, welche in der Retina durch
die Kongestion gebildet wurden. Vielleicht litt besonders das
rechte Auge durch die Kongestion der rechten Hirnhälfte.
Dagegen spricht aber der bekannte Umstand, dass das Pa-
pillaroedem am meisten in dem, dem Herd gegenüberliegen-
den Auge auftritt.
Anderseits ist zu beachten, dass bisweilen sichere Ge-
sichtshallucinationen in Form von Menschen u. s. w. (St. prjes.
^'','9 1895), Hunden ^/i2 nacli rechts erschienen, und dass in
der letzten Zeit diese in Begleitung mit epileptischen Anfällen
in der rechten Seite auftraten. So viel ist also sicher, dass
die während der letzteren Zeit auftretenden Lichterscheinun-
gen wirkliche PJalluciuationen waren. Auffallend ist ihr Er-
scheinen nach rechts, obschon der rechte Occipitallappen bei
den Kongestionsanfällen am meisten dem Druck ausgesetzt
war. Auch die Geschwulst drang am weitesten nach hinten
in der rechten Hemisphäre. Hierin finden wir keine P2rklä-
rung der Thatsache, dass die Hallucinationen nach rechts er-
schienen, und zwar auch bei den früheren Anfällen \^on Zuc-
kungen, welche immer in der linken Seite auftraten.
Es muss dann nicht ausser Acht gelassen werden, dass
wir im linken Occipitallappen teils eine Cyste im Mark, teils
in der Rinde eine Narbe fanden, wo die Pia allerdings auf
einem beschränkten Gebiete an die Rinde angelcithet i.st.
Zwar wage ich nicht bestimmt zu behaupten, dass durch
diese die linke Occipitalrindc gereizt worden ist. Aber ich
finde keine andere plausible k2rkl;irung für diese wiederholten
Hallucinationen nach rechts. Und der Umstand, dass die
Lichterscheinungen schon im Jahre 1891 auftraten, also zu
einer Zeit, als die Geschwulst gewiss keine grossen Dimen-
sionen hatte und überhaupt nicht in der nächsten Umgebung
ZUR EXSTIRPATION DER HIRNTUMOREN 211
des Occipitallappens vegetirte, spricht für die Richtigkeit die-
ser Meinung.
Die Erklärung ist also: die kleine Narbe konnte nicht
an und für sich Anfälle von Kongestionen hervorrufen, aber
als durch die Geschwulst das Gehirn anfallsweisc kongestio-
nirt wurde, dann wurden durch die Narbe Hallucinationen
ausgelöst.
Die anerkannte' Thatsache, dass vollständige epileptische
Anfälle, und zwar mit eigenthümlicher Aura durch Pialnarben
hervorgerufen werden, steht damit nicht im Wiederspruch,
bestätigt vielmehr eine solche Auffassung.
Der Fall bestätigt und kotnpletirt also die in den Fällen
10 und II gemachten interessatiten Beobachtungen über ein-
sitige Gesichtshallucinationen ohne gleichzeitige Hemianopsie.
Stauungspapille. Gleich nach der Aufnahme im Okto-
ber 1891 war eine ausgebildete Stauungspapille nur im linken
Auge vorhanden. Im rechten Auge dagegen w^ar die Stauung
nicht ausgeprägt; die Venen waren gross, etwas angeschwollen,
aber die Grenzen der Papille nicht verwischt. Aber bald bil-
dete sich auch im rechten Auge eine ausgeprägte Stauungs-
papille aus, und im März 1892 war die Papille angeschwollen.
Mit der Zeit trat eine sekundäre Atrophie ein, und im Fe-
bruar .1893 waren die Papillen bleich. Später traten in der
Umgebung der Papille kleine weisse Flecke auf Ungeachtet
der grossen Geschwulstmassen wurde diese Atrophie nie so
vollständig, dass Blindheit eintrat. Im Gegentheil konnte
Pat. bis zur letzten Zeit selbst feineren Druck, wie Zeitungen,
etwas lesen, wenn ihr Kopfschmerz sie nicht hinderte.
Die ersten Cirkulationsstörungen traten in dem der Ge-
schwulst entgegensetzten Auge auf. Solche Beobachtungen
sind schon früher von mehreren Forschern gemacht, aber die
Ursache ist kaum genügend erklärt worden.
Meiner Meinung nach ist dieser Befund einer leichteren
Erklärung zugänglich. Es tragen zur Ausbildung verschie-
dene Momente bei — entweder Stasis in Folge von Druck
oder eine Irritation durch phlogogene Stofte oder beides zu-
zammen. Auf diese Streitfrage will ich hier nicht ein-
gehen. Die Stauung, scheint es, sollte eher auf die Venen
des gleichseitigen Auges als auf die des entgegensetzten ein-
wirken, aber doch entsteht die Stauungspapille auf dem der
Hirngeschwulst gegenüberliegenden Auge. Es muss also noch
ein Faktor im Frage kommen. Dieser ist (jie vasomotorische
Störung. Jede Lähmung cerebraler Natur ist mit einer vaso-
motorischen Störung vergesellschaftet. Dieses ist ein Gesetz
in der cerebralen Pathologie. Die oben angeführten Kran-
kengeschichten zeigen es auch. Diese Störung kann auch
mit dem Sphygmographen und mit dem Sphygmomanometer
nach V. Bäsch nachgewiesen werden. Der Druck ist erniedrigt,
der Ausschlag der Arterie kleiner und der Puls hat ver-
änderte Form, ist mehr abgerundet. In Folge der Vermin-
derung des Blutdrucks entstehen auch, wie bekannt, leichter
Oedeme und ebenso Ernährungsstörungen in dem gelähmten
Glied. Dies gilt ganz gewiss auch von dem Augengrund,
selbst wenn der Trigeminus und die Augenmuskeln bei der
Hemiplegie nur wenig afficirt sind. Deshalb entsteht auch
im Augengrund der gelähmten Seite eher Stauung und Papilli-
tis als in dem gleichseitigen.
5. E. Hen sehen. Pathologie des Gehirns.
Hierin haben wir auch gewiss die ErJdärung der kon-
centrischen Einschränkung der Gesichtsfelder, und davon, dass
diese in dem dem Herde gegenüberliegenden Auge am aus-
geprägsten ist. In nahem Zusammenhang damit steht die An-
ästhesie der Cornea, welche auch nach der Regel auf diesem
Auge am stärksten vorhanden ist. Wahrscheinlich besteht
dabei auch eine Anaesthesia retinae, wie eine Anaesthesia Cornea:
sicher nachgewiesen ist, wie in diesem Falle.
Ich behalte mir vor, in einem späteren Teil reichlicheres
Material hierüber vorzulegen. Die oben gegebene Erklärung
ist .schon früher von mir gegeben und in der Klinik seit vie-
len Jahren angewendet worden. Dass auch andere Momente,
wie Papillitis, Stauungspapille, Herabsetzung der Sehschärfe,
psychische Reizung u. s. w. beitragen können, ist einleuchtend.
Sehschärfe. Diese war im Oktober 1891 rechts = 0.9,
links 0.8, im März 1892 R. = 0.6, L. = 0.4, im Februar 1893
R. — 0.7, L. = 0.6 (also etwas gebessert), im Mai 1895 R. =
0.7, L. = 0.8, aber sank dann und war im Sept. dess J. R. =
0.6, L. = 0.4 und im Januar 1896 L. = 0.4, R. = 0.2.
Im Allgemeinen war also die Sehschärfe rechts besser
als links, und dies steht w'ohl mit der oben erwähnten vaso-
motorischen Störung in Zusammenhang. Gegen das Ende
veränderte sich das Verhältniss vielleicht in Folge der in der
letzten Zeit oft auftretenden epileptischen Anfälle in der rech-
ten Seite, welche wohl von Cirkulationsstörungen rechts be-
gleitet waren.
Herabsetzung der Sehschärfe und die Einschränkung der
Gesichtsfelder standen zwar oft in Einklang, aber nicht im-
mer. Im Okt. 1892 waren die Gesichtsfelder recht gross,
aber die Sehschärfe grösser als sjDäter 1893, als die Gesichts-
felder kleiner waren.
III. IV. VI. Augenbezvcgungoi . Schon frühzeitig traten
Doppelbilder auf, und wenn diese auch zeitweilig die Pat. nur
wenig störten, so bestanden sie doch auch nach der Oj^era-
tion. Eine ausgesprochene Parese eines bestimmten Muskels
war nicht vorhanden und die Störung kann als funktionell
bezeichnet werden. Für die Lokalisationslehre ist die Störung
nicht zu verwerthen.
Pupillen. Die linke Pupille war im Allgemeinen, beson-
ders vor den Anfällen, bis zum Tode ein wenig grösser. Die
Ursache ist unbekannt. Die Pupillenreaktion war normal.
HemiopiscJie Pupillerireaktion tvar nicht vorhandeti, un-
geachtet des bedeuteiiden Druckes, welcher durch die Geschwulst-
masse auf den recJiten Colliculus anterior ausgeübt wurde.
Die Figur zeigt, wie sich der Druck rechts bedeutend mehr
als links geltend macht, und dieser Colliculus ist besonders
in seinem hinteren Teil auffallend abgeplattet, was gewiss ge-
gen die Ansicht spricht, dass im hinteren Abschnitt dieses
Ganglions die Vermittelung der Pupillenreflexe vor sich geht.
Dagegen sind der vordere Abschnitt des Colliculus und die
weiter nach vorn liegenden Teile niclit merkbar gedrückt.
V. Verschiedene Störungen fanden sich von Seiten des
Trigeminus.
Schmerzöl im Gesicht, besonders in der rechten Hälfte,
und Empfindlichkeit des austretenden Nervus infraorbitalis
traten schon im Jahre 1891 auf Auch trat in dieser Hälfte
Oedem auf Diese Symptome waren inzwischen inkonstant,
28
r
212 S. E. MENSCHEN. PATHOLOGIE DES GEHIRNS
und Fat. klagte im Verlauf der Krankheit überhaupt wenig
darüber. Gegen das ICnde klagte Fat. bisweilen über schwere
Schmerzen im Gesichte. Bei der Sektion wurde nachgewiesen,
dass rings um die Ganglia Gasseri, besonders das rechte, sich
zahlreiche kleine Knötchen von Neoplasma fanden. Die
Ganglien waren wie eingebettet in die verdickte Dura, auf
welcher diese kleinen Geschwülste sassen. Dass indessen
ein sehr starker Druck auf die Basis überhaupt ausgeübt
wurde, davon trug der in hohem Grade verdünnte und usu-
rirte Knochen zu deutliche Spuren. Die natürlichen Gruben
wie Sella turcica u. s. w., aber besonders die Exkavationen für
die Ganglia Gasseri, waren bedeutend vergrössert und tiefer
als normal.
Dass unter solchen Umständen die Fat. nicht an uner-
träglichen Gesichtschmerzen gelitten hat, findet nur darin eine
Erklärung, dass die kleinen die Ganglia umgebenden Ge-
schwülste nur wenig reizend, d. h. verhältnissmässig gutartig
waren, was in Ubereinstimmung mit ihrer histologischen
Struktur steht.
Anästhesie war Anfangs (1891) nicht vorhanden und
fehlte überhaupt auch später. Erst im December 1895, etwa
I Monat vor dem Tode, war die Sensibilität deutlich herab-
gesetzt.
VII. Facialis. Geringe Parese war schon anfangs (189 1)
vorhanden. Eine deutliche Paralyse entwickelte sich nie, und
in der letzten Zeit war auch die erwähnte Parese nur zeit-
weilig bemerkbar. Der Augenfacialis war nur bisweilen auch
von Schwäche befallen, der Gaumenfacialis aber nicht .selten.
VIII. Reizsympionie. Sausen und Pfeifen im linken
Ohr traten schon frühzeitig (1888) auf, also zu einer Zeit, als
der Druck sich auf den linken Acusticus gar nicht geltend
machen konnte. Später (1891) wurde das Sausen links kon-
stant; dabei ist aber bemerkt worden, dass das linke Trommel-
fell injicirt war, ob in Zusammenhange mit dem wachsenden
intrakranialen Druck oder nicht, ist unsicher.
Aber auch deutliche Gehör/ialliicinationen kamen aus-
nahmsweise vor.
Die Gehörsckärfe war überhaupt normal, zeitweilig links
herabgesetzt, P'ebr., Nov. 1894, Mai 1895, vielleicht als
P'olge der Injektion des Trommelfells; später » 1895 ist
eine Verschärfung des Gehörs bemerkt worden — vielleicht
als Ausdruck einer Reizung des Gehörcentrums.
IX. Von Seiten des Geschmackssinnes wurde aus-
riiihmsweise eine Störung wahrgenommen, was um so mehr
auffallend ist, da die untere P'läche des Temporallappens vorn,
wie die Fig. an der S. 205 zeigt, von dicht an einander liegenden
kleinen Duraltumören durchsetzt ist. Diese sind besonders an
der Spitze zahlreich. Bei der Pulsation des Gehirns, scheint
es, müssten dadurch eine Reizung der Rinde und folglich
Hallucinationen in der Nähe des vermutlichhen Geschmack-
centrums entstanden sein.
Diese Veränderungen waren bilateral, aber die Grübchen
ausgeprägter fechts als links.
Das Schlucken war normal.
V. Die Respiration war schon frühzeitig gestört. Schon
1891 war die Respiration bis auf 15 verlangsamt. Gegen das
Ende des Lebens sank die Respiration bis auf 13 in der
Minute und war ungleichmässig. Das bei Geschwülsten oft
beobachtete Cheyne-Stokes'sche Phänomen wurde nie beob-
achtet. Bei der Sektion Avurde eine Knickinis: der Mediilla
oblongata entdeckt und sowohl dorsal wie ventral von der
Knickungsstelle deutliche Stauung in den Gefässen. Die Störung
der Respiration und der plötzliche Tod finden in der Knick-
ung ihre natürliche Erklärung.
Puls und Herzthätigkeit. Fat. litt bisweilen bei den
Krampfanfällen an cigenthümlichen Anfällen von Schmerzen
in der Herzgegend. Die Anfälle stiegen bis zum Herz hinauf,
und hier empfand Fat. bisweilen mehrere Tage Schmerzen
(s. 1893, S. 198). Stellt man diese wiederholten Beobacht-
ungen damit in Zusammenhang, dass krampfhafte Zuckungen
in den Brustmuskeln u. s. w. auftraten, so erleidet es kaum
einen Zweifel, dass diese Schmerzen rvirklich centraler Natur
waren und dass der Vagus sie vermittelte. Von welchem
Centraipunkt sie ausgelöst wurden, ist wohl unsicher, aber
der Verdacht auf eine in Zusammenhang mit der Kongestion
des Gehirns vermehrte Knickung der MeduUa oblongata liegt
nahe.
Erbrecheji hat seltener als gewöhnlich bei Hirngeschwül-
sten die Anfalle begleitet, oft dagegen war Uebelkeit vor-
handen.
XI. Störung im Larynx wurde bei der laryngosko-
pischen Untersuchung den ^"/a 1893 bemerkt: eine Parese des
linken Stimnibands war vorhanden. Sonst war die Stimme
nicht heiser.
XII. Zungenparese wurde von 1891 — 1894 nicht be-
merkt. P^rst später, im Sept. 1895, trat eine leichte Ab-
weichung nach rechts ein. Später, im Jan. 1896, wurde Ab-
weichung nach links bemerkt. Sie war also durch Ferndruck
verursacht.
Sensibilität.
Reizsyniptovic. Die Reizsymptome von den sensiblen
Nerv'en waren eben so wechselnd in ihrer Art wie oft wieder-
holt.
Betreffs der Zeit ihres Erscheinens ist zu bemerken, dass
sie gewöhnlich die Anfiille einleiteten. Oft unmittelbar nach
dem lirschcinen dieser Parästhesien traten die Anfiille ein.
Aber bisweilen klagte Fat., da.ss die Anfälle Schmerzen, welche
in den Kopf verlegt wurden, hervorriefen. Wenn dies der
Fall war, so dürfte ein intimer Rapport zwischen der Peri-
pherie und dem Centrum bestehen, und zwar nicht nur so, dass
centrale Itmpfindungen nach der Peripherie ausstrahlen können,
was schon von früher her bekannt ist, sondern auch in dem
Sinne, dass eine peripherische Reizung centrale Schmerzen her-
vorrufen kann. So wird z. B. berichtet von der Fat. — und
sie war eine sehr glaubwürdige Person — dass »Bewegungen
des linken Arms Schmerzen im Kopf an der rechten Seite
hervorriefen, so auch beim Gehen (^''/e 1893, S. 200), und
da.ss Bewegung des linken Arms Schmerzen in der Geschwulst
verursacht» 1895, S. 204). Nach Allem zu urteilen
meinte die Fat. nicht Zerrung der Kopfschwarte, sondern
centrale Schmerzen. — In der That liegt hierin nichts Be-
fremdendes, denn eine peripherische Reizung wird ja eigent-
lich central empfunden. ,
ZUR EXSTIRPATION DER HIRNTUMOREN
213
Die erwähnten Parästlwsien traten schon 1891 ein und
wiederholten sich nachher sehr oft bis zum Tode.
Was ihre Art betrift't, so wechselten sie in hohem Grade.
Oft waren sie von einer ungewissen, schwer zu beschreibenden
Art. Pat. empfand etwas, wie Wellen, welche vom Fuss hinauf
stiegen, oder AineisenkriecJien, oder noch stärker als Schivirren.
Die beiden letzten" Arten waren vielleicht ein Ausdruck für
wirkliche Kontraktionen, Zittern u. s. w., welche sich jedoch
nicht objektiv bemerkbar machten. Dagegen berichtete Pat.
nie von Gefühl von Berühren oder Betasten, wohl aber Ver-
taubung. Dagegen fühlte sie oft Stechen, und dieses Stechen,
steigerte sich oft zu Schmerzen. Es sind diese Sciunerzcii
unziveifclkaft echt centraler Natur. Es erleidet also keinen
Zweifel, dass es centrale Schmerzen giebt, und ich weise in
dieser Hinsicht auf S. 17 hin, wo diese Sachen abgehandelt
sind.
Hand in Hand mit diesen Sensationen ging oft ein
Temperatnrgefülil — gewöhnlich Kältegefühl, ausnahmsweise
von Wärme. Ob dieses Gefühl, auch central entstanden war,
erscheint mir ungewiss. Die Anfälle wurden nämlich in der
Regel von vasomotorischen Störungen begleitet. In Folge
dessen konnte oft beobachtet werden, dass die entsprechen-
den Teile kalt wurden, nicht selten aber schwitzten oder
warm wurden. Es kann also dieses Kaltwerden, resp. Schwit-
zen oder Warmwerden der Peripherie sein, was die Pat. emp-
funden hat. Also lässt es sich denken — und das ist selbst
ganz plausibel — dass eine vasomotorische Störung den An-
fall einleitete.
Auch das eben erwähnte Gefühl von Kriechen oder
Vertanbung kann eine Folge dieser vasomotorischen Störung
und also ein peripherisches Gefühl gewesen sein, welches dann
im Centrum aufgefa.sst wuide.
Dagegen ist es schwierig, sich zu denken, dass die vaso-
motorische Störung heftige peripherische Schmerzen hervor-
rufen kann. Diese Schmerzen dürften also centraler Natur sein.
Auch die Lokalisation dieser Empfindungen ist interessant.
Im Anfang der Krankheit fingen sie immer in der linken Seite
an, und gleichzeitig traten die motorischen Reizsymptome —
die Zuckungen — immer nur in der linken Seite auf Den
13. März wurde zum ersten Male ein Kriechen im rechten
Bein empfunden. Aber erst später, 1893 und im Jahre
1894, wurden von Neuem die Empfindungen in der rechten
Seite lokalisirt, aber auch jetzt nur als Ausnahme.
Anästhesien. Wie schon erwähnt, konnte schon bei den
Anfällen eine Vertaubung entstehen. Davon ist zu unter-
scheiden die nach und nach eintretende Anästhesie der ange-
griftenen Glieder.
Schon Anfangs (1891) war im linken Beine eine Herab-
setzung des Drucksinns und Ortsinns vorhanden. Aber hin-
sichtlich der Temperatur-, Schmerz- und Muskelsinne konnte
eine Störung nicht wahrgenommen werden. 1892 (•'', 3 S. 197)
wurde auch eine Herabsetzung des Schmerzsinns beobachtet,
wie auch des Temperatursinns. Diese Störungen nahmen
dann allmählich zu, aber der Muskelsinn war unverändert er-
halten. Mit dem Eintritt einer vollständigen Lähmung des
hnken Beines verschwand auch der Muskelsinn in diesem
Gliede (^Vi2 1895 S. 204.).
Der linke Arm war immer von der Störung weniger
ergriften und kam in zweiter Linie, er war überhaupt nur
ivenig mitbeteiligt.
Im Gesicht trat nur ausnahmsweise eine geringe Anä-
sthesie auf
Die rechte Seite zeigte nur ausnahmsweise bei einem
Anfalle Vertaubung. Von den verschiedenen Sensibilitäts-
qualitäten war also der Tastsinn am meisten, der Muskelsinn
am wenigsten betroffen.
Alle diese jetzt erwähnten Störungen stehen in voll-
ständiger Übereinstimmung mit dem Befund post mortem.
Zuerst reizt die Geschwulst die rechte Centraiwindung im
Beincentrum, • und Parästhesien in der rechten Seite entstehen,
dann wird dieses zerstört, und Anästhesie entsteht; dann
greift die Neubildung auf die linke Hälfte über, und Pa-
rästhesien in den rechten Zehen treten ein. Nun muss es
befremden, dass die Anästhesie des linken Beins nicht stärker
war, und dass die Sensibilität noch vorhanden war, ungeachtet
der vollständigen Zerstörung des Beincentrums rechts und
der starken Kompression der Rinde im oberen Ende der
linken Centraiwindung. Dies deutet auf ein grosses Kompensa-
tionsvermögen der anderen Teile.
Sobald aber die Zuckungen von der rechten Seite aus-
gingen, fingen auch die Parästhesien an dieser Seite an. Es
waren also die Parästhesien und die Zuckutigen bezüglich der
Lokalisation innig mit einander verk)nipft.
Die Lokalisation dieser Parästhesien war im vorliegenden
Falle ganz ungewöhnlich scharf lokalisirt, wenn auch nicht
immer. Ausser den mehr allgemeinen Empfind ingen von
» Wellen-a u. s. w. hatte Pat. Schmerzen, zuerst im linken
Fuss, welche selbst ganz bestimmt nach Aussage der Pat. in
den Zehen anfingen, und später konnte Pat. selbst angeben,
dass sie auf der Dorsalseite der grossen Zehe anfingen. Diese
Angabe wurde ebenso bestimmt wie wiederholt gemacht und
gab die Veranlassung zum Lokalisiren der Geschwulst.
Die Parästhesien stiegen dann hinauf in den Arm, oder
ziemlich oft in den Bauch und in die Brust, und man findet,
dass besonders die Schmerzen sich in der Mammar- oder
Herzgegend lokalisirten und dort selbst Tage zurückblieben.
Interessant ist dann, dass unter Umständen Herzklopfen (Herz-
spitzenstoss kräftiger) oder Angstgefühl entstand.
Man dürfte nicht irren, wenn man annimmt, dass hier
der Vagus gereizt, resp. gelähmt war. Bisweilen waren
Gürtelschmersen vorhanden oder j\Lagenschmcrzen.
Nur ausnahmsweise stiegen die Parästhesien bis in das
Gesicht hinauf
Motilität.
Hand in Hand mit den Sensibilitätsstörungen gingen die
Störungen der Motilität, welche teils als Reizsymptome, teils
als Lähmungssymptome sich manifestirten.
ReizsymptoDie. Die verschiedenen Formen von Schwirren,
Zittern oder von Zuckungen waren anfangs mehr subjektiv
als objektiv bemerkbar, später traten sie oft in stärkster Form
hervor. Im Allgemeinen waren sie nicht von Verlust des
Bewusstseins begleitet.
Ihr Auftreten hat so viele Vergleichspunkte mit den
214
S. E. RENSCHEN. PATHOLOGIE DES GEHIRNS
Sensibilitätsstörungen, dass eine ausführlichere Auseinander-
setzung unnöthig erscheint. Sie traten zuerst in der linken
Seite, erst nach der Operation in der rechten Seite auf, wo
sie zuerst ^/g 1893, 2 Monate nach der Operation, erschienen.
Während der letzten Zeit, als das rechte Beincentrum zerstört
war und das linke durch Druck gereizt, traten die Zuckungen
fast nur in der rechten Seite auf.
Die Zuckungen gingen gewöhnlich von dem Fuss, resp.
den Zehen, aus und stiegen aufwärts; bisweilen war der Arm
der Ausgangspunkt.
LäJiiniDig. Die motorischen Lähmungssymptome waren
analog mit den sensiblen. Schon 1891 trat Schwäche in den
Beinen, besonders im linken, auf Erst sehr .spät, gegen Ende
des Lebens, im Jahre 1895, wurde die Lähmung vollständig.
Der Arm war immer kräftiger als das Bein, und die linke
Gesichtshälfte war nur wenig paretisch (s. oben VII). Beim
Versuch das linke Bein zu bewegen entstanden ^^/g 1895
Mitbewegungen in den Fingern, welche Fat. nicht verhindern
konnte.
Die rechte Seite war im Ganzen normal und recht
kräftig.
Die Motilitätsstörungen standen im Ganzen in Einklang
mit dem anatomischen Befund. Es weckt jedoch Erstaunen,
dass zu einer Zeit, zu der das rechte Beincentrum schon ge-
wiss zerstört war, doch die Bewegung recht beträchtlich war.
Durch die Operation wurden die medialen Abschnitte der Cen-
tralwindungen und ihre Verbindungen mit dem Rückenmark in
grosser Ausdehnung »ausgelöffelt», und dennoch konnte Fat.
lange Zeit nachher gut umhergehen.
Die Figuren zeigen auch, dass das linke Beincentrum
von der Geschwulstmasse bedeutend gedrückt war. Eine
Kompensation der rechten Centraiwindung durch die kompri-
mirte Rinde lässt sich kaum denken. Es fragt sich deshalb,
ob die vcrhältnissmässig unversehrte linke vordere Centrai-
windung die zerstörten Abschnitte der rechtseitigen Central-
windungen kompensircn kann.
Die Reflexe boten wenig Lehrreiches dar. Dorsalklonus
war ausnahmsweise vorhanden.
Vasomotorische Störungen.
Im Jahre 1891 war schon das linke Bein angeschwollen.
Die Schwellung ging dann zurück, um später von Neuem
aufzutreten. Auch wurden bei den Anfällen die betr. Glieder
kalt oder warm, oder Schwitzen trat plötzlich ein. Die links-
seitigen Glieder schwitzten oft mehr als die rechten.
Diese Zustände sind Ausdrücke eines vasomotorischen
Reizes und einer Lähmung, resp. Kontraktion und Erschlaff-
ung der Gefässe.
Fall 20. Gustaf Jansson.
45 Jahre. Arbeiter.
Tafel XXVI. XXVII.
Klin. Diagnose: Tumop eepebpi (Glioma?). Gypi eentpal. sin.
Zusammenfassung: Der 45-jährige, früher immer
gesunde und kräftige Arbeiter bemerkte Anfang August eine
Schwäche und Ameisenkriechen im rechten Bein, empfand
Schmerzen in der rechten Hüfte, und zwar ohne bekannte
Ursache; war nicht Alkoholiker, hatte nicht Syphilis gehabt
aber als Kind eine Koj^fverletzung erlitten, ^"/s traten Schwir-
ren und Zuckungen in der rechten Körperhälfte auf in Form
von Jackson'scher Epilepsie mit Bewusstseinsverlust. Danach
fast täglich wiederholte Anfälle von gleicher Art. Ein Gliom
im obersten Drittel der Centraiwindungen wurde exstirpirt,
aber nur partiell. Vorübergehende Besserung. Bald neue An-
fälle, Fortschreiten des Leidens, wiederholte Punktionen der
herniösen Geschwulst. Tod acht Monate nach der Operation
an Pneumonie.
Gesichtspunkte bei der Operation. — Elektrische
Reizversuche der Hirnrinde.
Krankengeschichte.
Pat. wurde den 24. Aug. 1894 in die medicinische Klinik
des Krankenhauses aufgenommen und dann in den medicinischen
und chirurgischen Kliniken bis zum Tod am ^''/r, 1895 behandelt.
Anamnese: Der Vater hatte Rheumatismus und starb im
Alter von 39 Jahren an unbekannter Krankheit; die Mutter er-
Anatom. Diagnose: Cysloglioma, ibidem.
reichte das Alter von 72 Jahren und starb an Gesichtsrose.
Keine nervöse Belastung in der Familie. Pat. hat 6 Kinder,
alle kräftig und gesund.
Selbst hatte Pat. bis Anfang seiner jetztigen Krankheit im-
mer eine gute Gesundheit genossen. Nur die Masern und ^Vind-
pocken hat er durchgemacht.
Er hat nie Alkohol gemissbraucht, nie Syphilis gehabt
aber hatte als Kind ein Trauma im Gesicht erlitten (S. 216).
Er hat sich mit Arbeit als Ackersmann beschäftigt und hatte
sich dabei nicht überanstrengt.
In der letzten Zeit vor dem Ausbruch der Krankheit
war Pat. ganz gesund; er litt nicht an Kopfschmerz, Schwindel,
Ohrensausen oder Erbrechen.
Den Anfang der Krankheit verlegt Pat. in die Zeit um
den g. August 18Q4. Er begann damals zu fühlen, dass er das
rechte Beiti niclit bcJierrschen konnte. Es schmerzte nicht, aber
bei gewissen Bewegungen bekam er geringfügige Sehnierzen in
der Hüfte. Auch war das Bein etwas taub, und Ameisenkriechen
trat im Fuss auf. Zuckungen oder Zittern bei Bewegungen
traten nicht auf. Die Motilität der übrigen Gliedmaassen war
völlig normal.
Dieses Unvermögen das Bein zu beherrschen nahm all-
mählich zu, aber keine anderen krankhaften Symptome belästig-
ten den Pat. und er hatte weder Kopfschmerz, noch Schwindel.
ZUR EXSTIRPATION DER HIRNTUMOREN
215
Am i6. August, ohne dass er sich angestrengt hatte, oder
sonst etwas Ungewöhnliches eingetreten war, trat plötzlich im
rechten Knie eine schwirrende, klopfende Empfindung auf, welche
dann durch die rechte Seite bis in den Kopf \\\'n■^i\\{^i,i\<ig. Zuckun-
gen entstanden in der ganzen rechten Körperhälfte, und Fat.
verlor das Bewusstscin.
Ein beim Beginnen des Anfalls erhobenes Geschrei rief die
Umgebung hinzu und diese hinderte ihn zu fallen. Nach ihrer
Angabe traten die Zuckungen nur in der rechten Körperhälfte
auf, aber sowohl im Gesicht wie in den übrigen Teilen. Fat.
weiss ganz bestimmt, dass ein Stadium von Kontraktion die Zuckun-
gen nicht einleitete, deren Beginnen er beobachten konnte, ehe
das Bewusstsein verschwand. Die Daumen wurden nicht in die
Hand eingezogen; auch biss er sich nicht in die Zunge. — Die
Zuckungen und die Bewusstlosigkeit dauerten nur einige Minuten,
aber nach dem Anfalle blieb eine bedeutende Mattigkeit zurück.
Schon an demselben Tage hatte er 2 neue Anfälle und in der
Nacht noch 2. Bei diesen 4 Anfällen war sowohl der rechte
Arm wie die rechte Kopfhälfte mitbeteiligt, aber Fat. verlor
nicht das Bewusstsein.
Schon an demselben Tage wurde er zu einem Arzt geschickt,
welcher eine Salbe auf das Bein ordinirte.
In der nächstfolgenden Zeit lag Fat. bisweilen zu Bett,
bisweilen war er auf; wurde durch die täglich mehrmals wieder-
holten Anfälle beunruhigt; er war aber dabei tticht bewusstlos.
Im Allgemeinen waren die Anfälle in der ersten Woche
schwerer als später; aber nur, wenn die schwirrende Empfindung
und die Zuckungen sich bis zum Kopf ausdehnten, entstand
Schwindelgefühl, und dies war ziemlich oft der Fall in der
Woche vom ^^"^'^/s; aber nach der Aufnahme in das Kranken-
haus, den ^■'/s, ist dies nur einmal, den ^"/s, eingetreten; Fat. wäre
dann vom Stuhle gefallen, wenn man ihn nicht gehalten hätte.
In der letzten Woche des August und den ersten Tagen
des September waren die A? fälle recht zahlreich, bis 4 — 5 jeden
Tag, aber sie wurden allmählich gelinder, verliefen oft ohne Be-
nommenheit und zogen oft weder Arm noch Kopf in Mitleiden-
schaft.
Den ^/g hatte Fat. im Bade einen Anfall folgender Art.
Die Baderin sah »Das Fleisch an der rechten Hüfte-f (aber sonst
an keinem Funkte des Körpers) »deutlich zucken». Bewegungen
des Beines wurden nicht beobachtet. Fat. hatte diesmal Em-
pfindungen von Zuckungen sowohl in der Hüfte, wie auch in der
rechten Seite des Kumpfes, aber nicht im rechten Beine, im Arm
oder Gesicht.
Von dem 2. — 5. Sept. hatte Fat. sonst keinen Anfall, aber
den ''/'u des Morgens hatte er einen sehr gelinden.
Betreffs der Anfälle ist weiter zu bemerken, dass Fat. bis-
weilen die Entwickelung der Anfälle hindern kann, wenn er
gleich beim Beginnen des Schwirrens im Knie den Oberschenkel
kräftig umgreift. Andere Vorboten als die schwirrende Empfin-
dung empfindet Fat. nicht, weder von Seiten des Gesichts, Ge-
hörs, Geruchs, noch des Geschmacks. Nur bei dem ersten Anfalle
hatte er ein Geschrei erhoben. Die Anfälle kommen gewöhn-
lich am Tage, nur selten in der Nacht. Nach dem Anfalle ist
Fat. müde, und das Bein ist tauber und schwächer als sonst.
Die Unfähigkeit die Bewegungen des Beines zu beherrschen
hat allmählich zugenommen, aber Zittern bei der Bewegung
ist nicht beobachtet worden. Auch hat Fat. keine Schmer-
zen in dem Beine, aber es ist immer taub, und unter dem Fusse
hat Fat. ein -»stechendes Gefühl-», und das Bein ist etwas kälter
als das linke. An den übrigen Gliedmaassen ist nichts Krank-
haftes wahrgenommen worden, weder hinsichtlich der Bewegungen,
noch des Gefühls. Aber bisweilen, wenn Fat. in der Nacht er-
wacht, ivird der ganze Körper krampfhaft gestreckt, und die
Streckung wird besonders im rechten Beine bemerkt, welches
alsdann als »bretthart gespannt» anzufühlen ist. Bisweilen ist
Fat. von gelindem Kopfschmerz belästigt, besonders im Hinter-
kopf. Sonst ist sein Zustand normal.
JVeder Schwindel, noch Erbrechen oder Störungen von Seiten
der Sinnesorgane beschweren den Fat. Sein Kräftezustand ist
nicht verschlechtert, und sein Interesse für die Umgebung nicht
vermindert.
Die Temperatur war im Krankenhause normal. Frost-
oder Hitzegefühl hat Fat. nicht gehabt. — Er wurde in der
Heimath nur mit einer Salbe an den Beinen behandelt und im
Krankenhause mit FClektricität, Massage und Jodkalium.
Tagesaufzeichnungen.
Vs Vorm. ein gelinder Anfall, wobei die Zuckungen im
rechten Bein und in der rechten Seite des Rumpfes erschienen.
In der Nacht hatte Fat. einen Anfall. Das schwir-
rende Gefühl begann in der rechten Hüfte; Zuckungen, welche
selbst das Athmen hinderten, traten in der rechten Seite des
Rumpfes auf, aber sonst nicht. Am Morgen Gefühl von Schwir-
ren, aber keine Zuckungen.
"/o. 2 gelinde Anfälle des Vormittags; Fat. ist niederge-
drückt und fühlt »Unruhe» im Beine.
^°/y. Schwirren und »Unruhe» im Beine, besonders wenn
er nicht gerade sitzt und dann aufsteht.
''/f- Ein schwirrendes Gefühl beginnt in der rechten Hüfte
mit Zuckungen in der rechten Hälfte des Rumpfes, des Halses
und im rechten Arme. Gefühl von Schwindel, aber das Bewusst-
sein verlor er nicht.
'^/'j. Anfall um 6.30 Vorm. Die Farästhesien fangen im
rechten Knie an; die ganze rechte Körperhälfte, den Arm aus-
genommen, schwirrte. Bei dem Umgange wurde ein Anfall beo-
bachtet. Die Farästhesien fingen in der rechten Hüfte an und
verbreiteten sich sowohl nach oben, wie nach unten. Obwohl
keine Zuckungen gesehen wurden, konnte man sich mit der auf-
gelegten Hand vom ihrem Vorhandensein überzeugen. Die rechts-
seitigen Bauchmuskeln, besonders die breiten, waren dabei ge-
spannt, und bald traten Zuckungen in ihnen auf. Das rechte
Bein war anfangs gespannt und still; nur einige fibrilläre Zuckun-
gen traten auf; die Zehen waren dorsal flektirt. Alsdann began-
nen Zuckungen im ganzen rechten Beine. Die Fupillen waren
während des Anfalles erweitert, aber zogen sich gleich nachher
zusammen. Kopf und Augen wurden etwas nach rechts gedreht.
Die linke Seite var nicht betroffen. Fat. konnte während des
Anfalles sprechen, wenn auch nur mit Schwierigkeit. Keine
Aphasie.
Die Untersuchung unmittelbar nach dem Anfalle zeigte,
dass die rechte Hand zwar etwas taub war, aber dass die Sen-
sibilität, Motihtät und die Reflexe sonst normal waren.
'^/;). Kein Anfall. Fat. giebt an, dass auch der rechte
216 S. E. MENSCHEN. PATHOLOGIE DES GEHIRNS
Arm beginnt, etwas schwächer und ungeschickt zu werden. Schon
vor einer Woche bemerkte er einige Schwierigkeit zu schreiben,
und präciserc Bewegungen, wie die Nase zu berühren u. s. w.,
geschehen mit der rechten Hand unsicher und wackelnd, gut da-
gegen mit der Unken Hand.
Er kann nicht mehr das rechte Bein im Bett bewegen.
'■'/y, Ko])fschmerz. T. abends 38.1. P. 84, gleichmässig.
Status praesens den 13.— 19. Sept. 1894.
Fat. ist bettlägrig, ohne Zwangslage. Er ist in der letzten
Zeit nicht auffallend al>ge//iagcrt. Die Gesichtsfarbe gesund. Die
Haut auch sonst normal. An der linken Wange eine Narbe
nach einem Trauma; ein Schlag von einem Pferde hatte im
Alter von 4 Jahren den Pat. getroffen; er fiel um und war eine
Weile bewusstlos. Die genaueren Einzelheiten sind nicht bekannt.
Appetit gut, Stuhlgang etwas träge. Der Schlaf war in der letz-
ten Zeit nicht völlig befriedigend, indem Pat. jede Nacht mehr-
mals erwacht. Er ist nicht nervös.
Am 15. und 18. Sept. war die Tcmp. resj). 38.5 u. 38.2
sonst war die T. normal; Puls c:a 72.
Subjektive Symptome.
Pat. empfindet überhaupt keine Sciuncrzen, ausgenommen
in der rechten Achsel, welche bisweilen ohne Zusammenhang
mit den Anfallen schmerzt. Die Paräsllicsieti vor den Anfällen
s. oben unter den Tagesaufzeichnungen. Zwischen den Anfällen
empfindet Pat. auch weniger Schwirren im rechten Bein als frü-
her, und »es ist, als ob das Bein nicht mehr da wäre». Kein
Stechen mehr unter dem Fusse. Die rechte Hälfte des Kopfes
ist nunmehr stets wie taub, aber ohne Schmerzen. Auch der
linke Arm und das linke Bein werden taub, wenn Fat. auf ihnen
liegt.
Kein Erbrechen, keine Halhicinationen, kein Schwindel.
Kopfschmerz tritt sehr selten auf, und dann im unteren Teil des
Hinterkopfes, und zwar nicht auf einer bestimmten Seile, oder
tief im Inneren; überhaupt ist er nicht bedeutend.
Keine Linpfindliclikeit bei Perkussion am Kopfe.
Objektive Untersuchung.
Psyche. Das Aussehen ist intelHgent, lebhaft. Auffassung,
Urteilsvermögen und Gedächtniss sind sehr gut. \A'ille und Stim-
mung verhältnissmässig auch gut.
Aphasie. Motorische Aphasie ist nicht vorhanden. Er
spricht geläufig Alles und kann selbst die schwierigsten Worte
nachsprechen. Er erinnert sich aller Namen der vorgezeigten
Gegenstände. Nur von Personen hat er Schwierigkeit sich der
Namen zu erinnern, er hat die Namen mehrerer von seinen Be-
kannten vergessen und giebt nur träge und nach einer Weile
die Namen seiner 6 Kinder an. Also besteht eine Form von
amnestischer Aphasie.
Keine Agraphie, insofern die Parese ihm nicht hinderlich ist.
Kranialnerven.
I. Geruch. Sowohl auf dem rechten wie dem linken
Nasenloch erkennt er den Geruch verschiedener Stoffe, wie Eau
de Cologne, Essigsäure, Kampher. Keine Halhicinationen.
II. Beide Augen emmetropisch. S. R. = '/s, S. L. = ^7^-
Die Gesichtsfelder sind normal, das rechte ein wenig ein-
geschränkt. Keine Scotome. Keine Halhicinationen.
Ophthalmoskopische U/itersuchung. Rechtes Auge.- Der obere
Papillarrand ist nicht scharf und die Retina in einer Ausdehnung
von ^2 Papillardiameter nach oben von grauweisser, trüber Farbe.
Die Papillargrenzen sind sonst scharf. Die Arterien und Venen
sind stark gefüllt, aber die Venen nicht grosser als normal.
Zinkes Auge.- Nach oben innen, wie nach unten innen finden
sich grössere Flecke von weisser Farbe, welche die Gefässe decken
= doppeltkonturirte Nervenfasern. Die Papillargrenzen sonst
scharf. Die Gefässe auch hier stark gefüllt. Ein Pigmentfleck
gleich innerhalb der temporalen Papillargrenze.
III. IV. VI. Die Stellung der Augen und ihre Bewegungen
nach allen Seiten hin und bei Konvergenz ohne Störung. Kein
Nystagmus. Die Pupillen gleich gross, von normaler Grosse
reagiren auf Licht (auch konsensuell), die linke vielleicht etwas
träger als die rechte, wie auch bei Accomodation.
V. Sensibitität im Gesicht. Der Tastsinn ist beiderseits
normal und gleich.
Minim. perceplibile. Minim. distingibile.
Stirn, rechts 2 mg. 2 < 40 mg.
links 2 » 2 <C 40 »
Wange, rechts i » i < 20 »
links 1 » 2 ■< 20 »
Augenlid, rechts 5 » 5 <^ 3° »
links 5 » 5 <; 40 »
Es bestand also kei/i deutlicher Unterschied zwischen den
beiden Seiten.
Der Schnierzsinn scheint rechts ein wenig herabgesetzt zu
sein, links normal.
Ortsinn. Stirn, rechts 3, links 2.
Wränge, t, 8, » 3.
Also eine geringe Verniinderung rechts.
Kähe- und Wärme-Sinn: rechts nicht deutlich herabgesetzt.
Das Kauen geht beiderseits gleich gut vor sich.
VII. Der obere Facialis-Ast ist beiderseits gleich kräftig,
sowohl, was die Stirn, als die Augenlider betrifft.
Der untere P\icialis funktionirt auch beiderseits mit gleicher
Kraft, und zwar in allen Zweigen.
Gaumen. Bei Bewegungen keine Differenz.
VIII. Das Gehör ist normal und beiderseits gleich scharf.
Pat. hört die Taschenuhr links auf 90, rechts auf 82 cm. Keine
Halhicinationen.
IX. Geschmack. Er erkennt auf den beiden Seiten der
Zunge sowohl an der Spitze Süsses, Salziges, Saures, wie an der
Wurzel Bitteres. Keine Schwierigkeit beim Schlucken.
X. Athmen normal, 20. Puls 72, gleichmässig.
XI. Die Stimme ohne Störung. M. sternocleido-mastoi-
deus bei Kontraktion etwas sclnvächer rechts als links. Die
rechte Achsel steht etwas niedriger als die linke.
XII. Zunge: schwache Abweichung nach links; die Moti-
lität gut; keine trophischen Veränderungen.
Spinalnerven.
Sensibilität.
Tastsinn. Pat. enpfindet überall auch objektiv auf den bei-
den Seiten gleich stark selbst die leichteste Berührung und kann
überall die Spitze von dem Kopf einer Stecknadel unterscheiden.
ZUR EXSTIRPATION DER HIRNTUMOREN
217
Am rechten Beine ist die Empfindung subjektiv %ueniger
scharf als am linken. Gelinde Nadelstiche werden hier emp-
funden, als ob es an vielen Stellen steche. Ein Betasten der
Haut des rechten Beines wird bisweilen als Stechen empfunden,
was an den übrigen Körperteilen nicht der Fall ist.
Bei direkter Messung zeigte sich das rechte Bein, wie auch
die rechte Bauchhälfte zveniger empfindlich als die linksseitigen
Teile.
l^er Schmerzsinn scheint beiderseits gleich zu sein.
Kälte- nnd Wärmesinn : rechts etwas herabgesetzt.
Ortsinn: sowohl an dem rechten Beine, wie an dem rechten
Arm und an der rechten Bauchhälfte weniger empfindlich als an
den entsprechenden Teilen links, und zwar besonders ist der Ort-
sinn an dem rechten Beine herabgesetzt. Pat. kann jedoch einen
Tasteindruck gut lokalisiren.
Der Muskelsinn Ait normal.
Motilität.
Aktive Motilität. Hals: S. oben unter N. accessorius. Beu-
gu ng nacJi rechts scliwäclicr als nach links.
Rumpf: Pat. ist /;/ der rechten Seite etwas schwächer als
in der linken. Er sitzt auch etwas nach rechts übergebeugt.
Die breiten Bauchmuskeln rechts etwas schwächer. Die Musculi
recti abdominis und Extensores dorsi sind beiderseits gleich
kräftig.
Arme: der linke Ann hat normale Beweglichkeit, aber die
Kraft ist deutlich herabgesetzt.
Der rechte Arm. Schultergelenk. Der Arm kann nach
oben nur etwa 45" von der Horizontalebene erhoben werden. Die
Rotation im Schultergelenk geschieht nicht so vollständig wie
links. Ellenbogengelenk: die Flexion und Extension geben nor-
malen Ausschlag; die Pronation und Supination einen kleineren
als links.
Alle Bewegungen der rechten Arms sind schwächer als die
des linken, so verhalten sich auch die Hände. Der Hand-druck
ist rechts bedeutend schwächer als links. Der rechte Arm liegt
schlaff an der Seite.
Bein. Das linke Bein hat normale Beweglichkeit, aber seine
Kraft ist deutlich vermindert ; so z. B. kann Pat. auf diesem
Beine gar nicht hüpfen; und Pat. fühlt selbst, dass es schwächer
als früher ist.
Das rechte Bein: aktive Motilität fehlt vollständig in allen
Gelenken (inklusive denen der Zehen). Nur den Oberschenkel
kann Pat. etwas beugen, jedoch nicht bis zu 45°. Diese voll-
ständige Lähmung besteht erst seit der letzten Woche. Früher
konnte Pat. das Bein in allen Gelenken bewegen.
Gang. Pat. kann nicht ohne Stütze gehen, kann jedoch
das rechte Bein dabei brauchen und sich darauf stützen. Dabei
ist der M. gastrocnemius etwas gespannt, aber der M. quadri-
ceps cruris nicht. Vor 14 Tagen fanden sich im rechten Bein
spastische Phänomene vor.
Keine Ataxie beim Schliessen der Augen.
Die elektrische Beizbarkeit der Muskeln ist beiderseits gleich.
(Prüfung der Mm. deltoidei, Supinator longus, extensor. quadric.
cruris und peronei.)
Zuckungen und Kontraktur. Ausgenommen bei den An-
fällen finden sich keine Zuckungen oder Krämpfe; kein Tremor.
Dagegen beim Versuch das rechte Bein zu bewegen, treten im
rechten Arm Mitbewegungen auf
Reflexe. Hantreflexe. Bauch- und Cremasterreflexe deut-
lich, lebhafter auf der linken Seite. Plantarreflexe stärker rechts,
lebhaft.
Sehnenreflexe. Kieferreflexe beiderseits undeutlich. Die
Tricepsreflexe beiderseits verstärkt.
Patcllarrcflcxc beiderseits verstärkt, etwas lebhafter links,
früher lebhafter rechts. Dorsalklonus fehlt.
Blase und Rectum fungiren normal.
Vasomotorische und trophische Störungen fehlen, nur das
rechte Bein ist etwas kälter als das linke. Kein Oedem.
Umfang der Extremitäten.
Oberarm, rechts 27 cm., links 27.5 cm.
Unterarm, » 25 » »25 »
Oberschenkel, » 46.3 » » 47.7 »
Unterschenkel, » 30 » » 30.5 »
Der Umfang ist also links etwas grösser, was vielleicht
durch die Schlaffheit der rechtsseitigen Glieder erklärt werden
kann. Auch soll das rechte Bein schon früher etwas dünner
gewesen sein.
Innere Organe. Herz und Lungen ohne Befund.
Harn klar, sauer, sp. (}ew. 1.026, frei von Albumin und
Zucker.
Tagesaufzeichnungen,
'■'/n. 10.30 Vorm. Anfall. Aus der starken Vertaubung
im rechten Bein und in den Weichen, welche sich nachher in
der rechten Seite nach oben verbreitete, konnte Pat. ersehen,
dass der Anfall sehr stark werden würde. Zuckungen fingen in
der rechten Hälfte des Bauches und im rechten Bein ungefähr
gleichzeitig an. Die klonischen Zuckungen traten sowohl im
rechten Bein und Arm, wie in der rechten Hälfte des Bauchs
und des Gesichts auf und waren am stärksten in den Bauch-
muskeln. Kopf und Augen waren nach rechts gedreht, die Pu-
pillen etwas dilatirt. Während des Anfalles nahmen die Zuckun-
gen im Arm und in den Halsmuskeln zu. Am Schlüsse des
Anfalles traten klonische Zuckungen in der Aussenseite des linken
Oberschenkels auf Der AnfiU dauerte einige Minuten und das
Bewusstsein war erhalten, so dass man mit dem Pat. sprechen
konnte.
Er gab an, dass er eine Berührung am linken Arm deut-
lich fühlte, war dagegen ungewiss, ob er am rechten etwas
fühlte. Pat. hatte geringen Schmerz während des Anfalles in
Folge der Zuckungen. — Eine halbe Stunde nachher klagte Pat.,
dass der Anfall die Kraft des rechten Arms mitgenommen habe.
Objektiv konnte er jedoch den Arm gut bewegen und hatte un-
gefähr dieselbe Kraft wie früher.
^'/o. Der Pat. wurde klinisch untersucht, und die Diagnose
auf Sarkom oder Gliom gestellt, welclies in der linken vorderen
Centraiwindung lokalisirt wurde, und zwar etwa dem Pes der
ersten Frontalwindung entsprechend.
'^*/o. Die Operation wurde von Verf und Prof K. G.
Lennander ausgeführt.
Die Operation begann 9 U. Vorm. Chloroform-^Ether-Nar-
218
S. E. RENSCHEN. PATHOLOGIE DES GEHIRNS
kose. Vor dem Anlegen des Hautschnittes wurde ein Gummi-
schlauch um das Kopf angelegt. Der über den Centralwindun-
gen angelegte Lappen überschritt die Mittellinie. Das Trepan
wurde nach Berechnung über dem Pes der ersten Frontalwin-
dung und über dem obersten Drittel der vorderen Centralwin-
dung aufgesetzt, wobei der hintere Rand des Sulcus Rolandi
uberschritten wurde. Die Trepanation nahm Stunde in An-
spruch. Die Trepanscheibe wurde ohne Verletzung der Dura
herausgenommen.
Vor dem Eröffnen der Dura wurden zur Orientirung einige
elektrische Reizversuche auf der Aussenseite der Dura gemacht,
und zwar mit folgenden Resultaten.
Loch A. An i Zuckungen in der Achsel (und Fuss?).
» 2 » » M. quadriceps cruris.
» 3 » » der Achsel (M. cucullaris).
» 4 » » M. rectus abdominis.
» 5 Keine Zuckungen.
» 6 Plantarflexion der Zehen.
» 7 M. rectus abdominis und M. cucullaris zuckten.
» 8 Respirationsbewegung und Beugung des Kopfes
nach hinten (wiederholte Versuche).
»93 cm. vor der Fissura Rolandi und i — 2 cm.
lateral von der Margo falcata. Respirations-
bewegung.
Die Dura buchtete sich nicht bedeutend hervor.
Darnach wurde die Dura durchgeschnitten, und die bloss-
gelegte Hirnoberfläche von Neuem durch den faradischen Strom
gereizt. Die Resultate waren:
Loch A. 10. Zuckungen im M. cucullaris.
II. » im M. rectus abdominis und M. pec-
toralis.
5. Keine Zuckungen, selbst bei starkem Strom.
Der Dura-Spatel wurde eingeführt, ohne in irgend einer
Richtung Widerstand zu begegnen, ausgenommen gegen den
Sinus Inngitudinalis, welcher i cm entfernt war. Ein neues Tre-
panloch (B) wurde nach hinten medial angelegt, um den hinter-
sten Abschnitt der hinteren Centraiwindung blosszulegen. Die
Trepanation nahm etwa 20 Min. in Anspruch. Anfangs konnte
an der Oberfläche des Gehirns nichts Pathologisches wahrgenom-
men werden, weshalb Versuche mit dem faradischen Strom aus-
geführt wurden, um das vermuthete Centrum für Knie und Hüfte
zu finden. Das Resultat war:
Loch B. I. Zuckungen in M. rectus et obliquus abdominis
und M. cremaster.
2. » im M. cremaster.
3. Keine Zuckungen.
5. Keine Zuckungen, trotz des starken Stroms.
Ungeachtet der anscheinend unveränderten Textur der
Hirnrinde, wurde infolge des negativen Resultats der elektrischen
Reizung das Vorhandensein einer Geschwulst in 5 vermuthet,
da von allen rings um diese Stelle gelegenen Punkten Bewegun-
gen ausgelöst werden konnten, während von dem Punkt 5 keine
Zuckungen auszulösen waren.
Nach einigen Minuten nahm diese Stelle in der Ausdehnung
von etwa i cm. einen violetten Farbenton an, wurde etwas in-
jicirt und erhob sich ein wenig Uber die Ebene der umgebenden
Rinde. Diese Stelle liegt im Gyrus centralis posterior 1.5 cm.
lateral vom Sinus longitudinalis. Ein Stück wurde ausgeschnitten
und gleich mikroskopisch untersucht, und zeigte eine Sammlung
von kleinen abgerundeten Zellen; also lag ein kleinzelliges Sarkom
oder Gliom vor.
Die Geschwulstmasse wurde umschnitten und weggenom
men in einer Ausdehnung von etwa 3 cm.; dabei drang das
Messer in eine subkortikale Cyste ein, und eine ansehnliche Menge
Flüssigkeit wurde entleert.
Die ausgeschnittene Geschwulstmasse hatte die Grösse einer
Wallnuss. — Da es bei der Operation unsicher war, ob die
Flüssigkeit von einer Cyste herkam oder Ventrikelflüssigkeit war,
so wurde die Operation abgeschlossen. Die Dura wurde zu-
genäht und Hautsuturen wurden angelegt. Die TrepanÖfi"nung
wurde nicht geschlossen.
Die Operation war um 12 Uhr 15 Min. abgeschlossen.
An dems. T. 2 Uhr 15 Min. Nachm. Vollständige Parese im
rechten Arm und Bein. Pat. kann kaum eine Berührung des
rechten Arms und Beins angeben, wohl aber die an den rechts-
seitigen Gliedmaassen. 7 U. 15 Min. Abends Sensoriiun klar,
Pat. ist schwach, befindet sich schlecht. Puls schnell. 3 Wein-
lavements (Wassereinlauf mit 50 ccm. Cognac). Subkutane Infu-
sion von 700 ccm. Kochsalzlösung.
^■'/'J- In der Nacht 4 Weinlavements.
Status: Sensorium klar, keine Aphasie. Gelinder Kopf-
schmerz im Hinterkopf Puls 100, schwach, aber gleichmässig.
II. Keine Hemianopsie. IH. IV. VI. Augenstellung und Be-
wegungen normal. Die Pupillen gleich, reagiren auf Licht.
V.o. VII.o. VIII.o. X.o. XII. Zunge weicht vielleicht
nach rechts ab.
Sensibilität: auf der Brust beiderseits gleich.
Am rechten Arm und Bein fühlt Pat. nur stärkeres Kneifen
und stärkeren Druck.
l\it. empfindet einen Tropfen kaltes Wasser als kalt-
Motililät. Mit der rechten Hand kann Pat. einen schwä-
cheren Druck ausüben.
Das rechte Bein kann gegen den Bauch aufgezogen werden.
^'V9. In den Ellenbogen und Kniegelenken wollen Kon-
trakturen auftreten.
^Vs- Das Einschlafen wird dadurch verhindert, dass es Pat.
ZUR EXSTIRPATION DER HIRNTUMOREN
219
scheint, als ob das Athmen aufhörte. Das Uriniren ist normal.
— Pat bewegt Zehen und Finger rechts. Kein Kopfschmerz.
^*/o. Pat. kann heute nicht die Zehen bewegen. Schwerer
Kopfschmerz im Scheitel.
*/io. Ein sehr gelinder Anfall ohne schwirrende Empfin-
dung, nur gelinde Vertaubung und einige schwache Zuckungen
in den rechtsseitigen Bauchmuskeln.
^/lo. Die Empfindung für Berührung ist nunmehr gut an
Arm und Bein rechts. Mit der Hand kann Pat. einen nicht unbe-
deutenden Druck ausüben. Das Bein wird im Hüftgelenk ziem-
lich gut gebeugt. Bisweilen Kopfschmerz im Hinterkopf.
*/io. Beginnende Hernie im Trepanationsloch. Die Sii-
turen wurden weggenommen. Die Wunde ohne jede Reaktion.
^/lo. Motilität. Rechter Arm: rechte Schulter steht etwas
niedriger als die linke und kann nicht gehoben werden, der Un-
terarm dagegen völlig; Pronation und Supination genügend, wie
auch Bewegungen der Handgelenke und Finger.
Rumpf. Pat. kann sich im Bette nicht ohne Hülfe auf-
richten und ist deutlich in der rechten Seite schwach. Die rechts-
seitigen Bauchmuskeln sind weniger gespannt als die linksseitigen.
R. Bein. Im Hüftgelenk gehen die Flexion, Adduktion und
Abduktion bis 45". Im Kniegelenk unbedeutende Beweglichkeit.
Fussgelenk kaum spontan beweglich. Die Zehen können nur
unbedeutend bewegt werden. Der Gang ist ganz wie im Status
d. ^^/g beschrieben ist.
^"/lo. Um 9 Uhr Nachm. wurde das rechte Bein kalt emp-
funden; fast gleichzeitig entstand in der rechten Hüfte eine
schwirrende Empfindung, fast gleich stark wie vor der Operation.
Von der Hüfte aus verbreitete sie sich nach unten im Beine
und Fuss, und Pat. glaubte, im Beine Zuckungen zu empfinden.
Nachdem das Bein still geworden, traten schwirrende Gefühle
im rechten Arm auf und verbreiteten sich nach oben in die
rechte Hälfte des Halses und des Gesichts. Die Zuckungen zeig-
ten sich 71 ur im Arm und besonders in der Hand. Der Anfall
endete nach 15 Min. mit gelinden Zuckungen in dem Arm.
Nach dem Anfall gelinde Benommenheit. Die Nacht war gut.
^Vio. Heute stärkeres Klopfen in der Wunde.
3 Uhr Nachm. Gelindes Schwirren in der rechten Hüfte
und nach unten im Oberschenkel.
7 Uhr 30 Abends. Gelinde Zuckungen im rechten AI. cre-
7naster und M. sartorius. Keine Parästhesien.
'^/lo. Kein Anfall, nur einmal eine kurze, gelinde Vertau-
bung in der rechten Hüfte und in den Weichen rechts.
In der rechten Achsel lebhafte Schmerzen beim Versuch
f □ em.
S. E, Henschen. Pathologie des Gehirns.
der Bewegung, wie auch dazwischen bisweilen Schmerzen. Emp-
findlichkeit über dem Ursprung des M. deltoideus.
Status: Psyche gut, kein Kopfschmerz, keine Hallucinationen
oder andere Parästhesien, wie oben bemerkt worden ist. Keine
Aphasie mehr (vgl. die Anamnese), die Gesichtsfelder ein wenig
eingeschränkt.
III. IV. VI. Sowohl die Bewegungen der Augen wie die
der Pupillen sind völlig normal.
V. Das Kauen normal.
VII. Oberer Facialis beiderseits normal. Unterer Facialis
an der rechten Seite etwas schwächer. Bewegungen der Gau-
menbogen gleich.
IX. Das Schlucken normal.
XI. M. cucullaris rechts etwas schwächer.
XII. Zunge weicht etwas nach links ab.
Sensibilität.
Tastsinn. Die leichteste Berührung wird beiderseits sowohl
objektiv wie subjektiv empfunden, selbst an den Beinen. Strei-
cJien mit einem weichen Gegenstand an dem rechten Beine fasst
Pat. bisweilen als Stechen auf.
Beim Versuch mit Hollundermarkscheiben fühlt Pat. fol-
gende Gewichte:
A\'ange, rechts i m.g., links i m.g.
Augenlid, » 5 * » *
Hand, » 10 » » 10 »
Vola antibrachii » 4 » » 6 »
Brust, » nicht 50 » » nicht 50 »
Bauch, » 30 » » 20 »
Fuss, » » 50 » » kaum 50 »
Oberschenkel, » » 50 » » 50 »
Die rechte Hälfte des Bauches und das rechte Bein sind also
etwas weniger empfindlich als die linken.
Ortsinn. Pat. kann genauer einen Tasteindruck lokalisiren,
ausgenommen auf der rechten Hälfte der Brust und auf dem
rechten Oberschenkel. Sonst giebt das Ästhesiometer folgende
Werthe (in der Quere);
Wange, rechts 3 cm., links 1.5 cm.
Stirn, » 3 » i-5 »
Vola antibracliii, » OO » 4 »
Brust, » 13.5 » » 5.5 »
Bauch, » 7 » »5
Fussrücken, » OO » 4 »
Oberschenkel » 12 » »4 »
Also: deutliche Verminderung rechts überall.
Der Schmerzsinn ist in der rechten Hälfte des Körpers
weniger lebhaft als in der linken. Der Unterschied ist betreffs
der Arme gering.
Kälte- und Wärmesinn beiderseits ziemlich gleich.
Muskelsinn normal.
Motilität. Aktive.
Arm: links normal; rechts: Schultergelenk: Bewegungen bis
45". Rotation: fast keine. Ellenbogengelenk: Beugung kaum
bis zum rechien Winkel. Extension fast vollständig. Pronation
und Supination: nur zur Hälfte des sonst Normalen. Die Finger
beweglich wie normal.
29
220
S. E. RENSCHEN. PATHOLOGIE DES GEHIRNS
Stärke für Dynamometer: links J2, rechts 22.
Rumpf: Fat. kann sich nicht selbst aufrichten.
Bein: Rechts Hüftgelenk : Flexion bis 90" gegen den Körper.
Kniegelenk: Extension vollständig; Flexion kaum 90".
Fussgelenk: wenig beweglich mit kleinen Excursionen.
Zehen: hcii'ei:^Ii(]i, aber bedeutend weniger als links.
Gehen: Fat. geht besser als vor der Operation, aber nur
mit Hülfe von Gegenständen. Sonst keine Ataxie.
Reflexe: Tricepsreflexe verstärkt. Fatellarreflexe verstärkt,
besonders rechts.
Bauch- und Cremasterreflexe: links stärker als rechts.
Blase und Rectum normal.
Kein Decubitus.
'''/lo. Schmerzen in der rechten Achsel. Dynamometer:
rechts 28, links 38.
^*/io. Alle Tage Anfälle von Vertaubung in der rechten Hüfte.
^*'/io. Kurze Vertaubung in der rechten Hüfte und kurz-
dauernde Zuckungen in den rechtsseitigen Bauchmuskeln. Er-
wachen in den Nächten infolge von Streckungen im Körper,
besonders im rechten Bein.
^^'to. Ausser Bett. Vertaubung stark in der rechten Hüfte.
Kopfschmerz.
"■'/lo. Beim Versuch aufzustehen ein kurzer Anfall. Zuck-
ungen rechts im Hals, im Arm, in der Hüfte und im Ober-
schenkel. Oft Kopfschmerz.
^'/lo. Anfall von Vertaubung wie den ""/'Oi '"'t Schwindel.
'/ii- Ist oft auf. ^/u. Schwere in der rechten Seite.
^/ii. Gelinder Anfall in der rechten Hälfte des Bauchs
und des Halses.
Vn. Dynamometer, rechts 30, links 48.
^/ii. Vertaubung rechts und schwache Zuckungen, "/n.
Ebenso.
'^•i- Anfall mit Vertaubung vom Kopf nach unten und
'^/ii.« mit Zuckungen im Hals. Empfindlichkeit über den rechts-
seitigen Mm. rhomboidei.
"^/'ii. Der Kopfschmerz nimmt mit jedem Tage zu, am mei-
sten am Scheitel und von da nach unten in der rechten Hälfte
des Halses. Gang schwieriger; der Fuss haftet mehr an dem Boden.
""/u. In der letzten Zeit hat Fat. Vertaubungoi we/iiger emp-
funden, keine Zuckungen mehr. Dagegen oft augenblickliche,
starke, reissende Schmerzen in der linken Gesichtshälfte vom Tre-
panloch aus.
^^/ii. Gelinder Anfall rechts mit nachfolgender Müdigkeit.
^Vn- Ohne Vorboten begann in der letzten Nacht eine
starke Vertaubung in der rechten Seite des Rumpfes und im
rechten Arme. Fast gleichzeitig traten Zuckungen im rechten
Arm auf, welche so stark waren, dass Fat. wegen der Schmerzen
mit dem linken sie zu verhindern suchte. Nach dem Anfall be-
stand noch Vertaubung.
Heute Vorm. Anfall rechts. Nach dem Anfalle bestanden
athetotische Bewegungen in den Fingern der rechten Hand. Kopf-
schmerz schwer. Der rechte Arm ist heute sehr schwach. Übel-
keit. F. 76. — Eis auf den Kopf.
^■"'/ii. Rechter Arm stärker. Die Ausbuchtung am Kopfe
grösser als früher. Schwerer Kopfschmerz. Beim Aufsitzen im
Bette Vertaubung in der rechten Kopfhälfte und auch in der
linken Gesichtshälfte. Bei tiefem Athmen empfindet Fat. Schmer-
zen in der rechten Seite, und die rechten Interkostalnerven sind
empfindlich.
',12. Ophthalmoskopische Untersuchung. Linkes Auge: die
Fapille bleicher als gewöhnlich, ihr Rand scharf. Venen dicker
als normal. Arterien normal. Rechtes Auge: ebenso.
Vi2- Fat. klagt, dass die Parese schnell zunimmt, besonders
/// der rechten Hand; ihre Finger befinden sich nunmehr in fast
beständigem, tonischem Adduktionskrampf und sind unter einander
in Extensionsstellung eingebeugt. Dynamometer rechts 7, links 32.
^=*/'i2. Status praesens.
Allgemeinzustand: Nicht abgemagert. Schlaf ziemlich gut.
Subjektives Befinden.
Kopfschmerz geht von der Trepanationsöffnung aus. Hier
nimmt die Geschwulst jede Woche zu. Eine recht bedeutende
Empfindlichkeit der Finger der rechten Hand, aber nichts Be-
sonderes in Bezug auf ihre Nerven. Keine Hallucinationen.
Objektive Untersuchung.
Psyche: nicht so frei wie früher. Bei den Anfällen von
Kopfschmerz werden die Gedanken umnebelt, und Fat. kann
nicht klar denken.
Aphasie. Fat. kann gut lesen, und Aphasie ist gar nicht
vorhanden; doch besteht jetzt wie vor der Operation eine ge-
wisse Schwierigkeit sich der Namen seiner Bekannten zu erinnern.
Kranialnerven. II. Keine Hemianopsie.
III. IV. VI. Ohne Störung.
VII. Rechts Farese. XII. O.
Sensibilität, Tast-, Schmerz-, Ort- und Temperatursinn : rechts
geringe Venninderung. Muskelsinn : rechts etwas herabgesetzt.
Motilität.
Passive. R. Ann: gut. R. Bein: beim Erheben des Beins folgt der
Unterschenkel extendirt mit. Geringe Beweglichkeit im Fussgelenk.
Aktive. R. Arm : Fat. kann nur mit Schwierigkeit geringe
und schwache Bewegungen ausführen, kann das Handgelenk
nicht bewegen. Kann auch nicht mit Hülfe gehen.
R. Bein: Kann in den Knie-, Fuss- und Zehgelenken keine
Bewegungen ausführen.
Also: Paralyse vollständig rechts im Bein, fast vollständig
im Arm.
Dorsalklonus : rechts vorhanden.
^"/i2. Sekundär- Operation.
Der Lappen wurde i cm. nach unten und vorn von der
ZUR EXSTIRPATION DER HIRNTUMOREN
221
vorigen Wunde gelegt. Eine pflaumengrosse Geschwulstmasse
wurde angetroffen. Daneben drang der Finger in eine Cyste
nach unten und vorn ein, welche etwa 7 cm. gross war. C:a
25 gm. Geschwulstmasse wurden fiusgelöffelt. Tamponirung
mit Jodoformgaze. T. Abends 38°. P. 124, später afebril.
^^/i2. Suturen wurden angelegt.
1895 Wunde z. T. geheilt.
'/i. Pat. konnte nach der Operation den rechten Arm und
das rechte Bein etwas bewegen, aber dies ging bald wieder zurück.
Status: Psyche lebhafter als ^^/i2 1894. Sausen und
lyäuten vor beiden Ohren. Ein grauer Schleier vor den Augen
erschwert das Lesen. Kann jedoch gut lesen. Rechter Arm
völlig gelähmt; nur eine geringe Beweglichkeit besteht im Daumen
und Zeigefinger.
Rechtes Bein ist spastisch gelähmt; nur im Knie- und
Hüftgelenke eine geringe spontane Beweglichkeit. Fussgelenk
völlig gelähmt.
^^/i. Augeni/ntersiichung. Rechtes Auge: Papille grau,
strahlig mit diffuser Grenze. Linkes Auge: ebenso, aber in
geringerem Grade.
^'/i. Die aktive Motilität hat durch Massage und Elektrici-
tät bedeutend zugenommen:
Rechter Arm, Schultergelenk: Motilität bis 45°.
Ellenbogengelenk: Flexion und Extension fast vollständig.
Handgelenk: ebenso.
Finger: Pat. kann alle Bewegungen, wenn auch schwach
und unsicher, ausführen.
Rechtes Bein: Hüftgelenk : Pat. kann das Bein bis 45 ° erheben.
Kniegelenk: wird bis zum rechten Winkel gebeugt.
Fussgelenk: geringe Flexion und Extension. Die Zehen
können etwas bewegt werden.
Das rechte Bein ist spastisch wie früher. Dorsalklonus.
Pat. schrieb mit der linken Hand einen Brief; mit
der rechten kann er nur sehr mangelhafte Buchstaben schreiben.
^^/i. Kann mit kräftiger Hülfe umhergehen, aber sich nicht
auf das rechte Bein stützen.
^"/2. Augenuntersuchung : die linke Papille scheint etwas
angeschwollen, aber nicht ausgeprägt roth. Die Venen vergrössert,
die Arterien schmäler als normal. Rechtes Auge: Papille ebenso.
Die Motilität verschlechtert.
"^{■i. Die Motilität ist jetzt zurückgegangen und ungefähr
wie '/i 1895. Die Geschwulst am Kopfe misst 7 — 8 cm. in
der Länge, 5 — 6 in der Breite und 2 — 3 in der Höhe; giebt
Fluktuationsgefühl. Oft in den Nächten empfindet Pat. im rechten
Kniegelenk eine krampfhafte gewaltsame Flexion, welche dann
plötzlich in Extension übergeht. Beide sind schmerzhaft. Gleich-
artige, wenn auch nicht gewaltsame, Bewegungen treten im Arm
auf, besonders als Mitbewegung beim Gähnen. Kleine Zuckungen
treten dann im Cubitalgelenk auf, beim Aufhören des Gähnens wie
fällt der Arm gelähmt herab. Der Arm wie das Bein sind spastisch.
^^/s. Die erwähnten Bewegungen haben zugenommen.
''/s. Incision von 2 m.m. in die Geschwulstmasse. Unge-
fähr 100 c.c.m. einer zähen, rothgelben Flüssigkeit mit etwa 6 *'/o
Albumin ausgeleert. Keine Zellelemente. Dabei Schwindelgefühl.
Abends. Pat. befindet sich besser, ist aber schwindelig. Die
Motilität im Arm und Bein unverändert.
^^/2. Die Motilität gebessert. Der Arm ist zwar noch
steif, kann aber im Cubitalgelenk gebeugt und gestreckt werden,
und die Finger können sich beugen.
Das Bein weniger steif als vor der Abzapfung, kann auch
flektirt und extendirt werden.
'■72. Die Besserung der Motilität war kurzdauernd ; heute
sehr schlecht. Pat. hat Kopfschmerz, fühlt sich verworren; spricht
jedoch korrekt. Übelkeit. Rechter Arm und rechtes Bein ohne
jede spontane Motilität.
^*'/2. IOC c.c.m. wurden aus der Geschwulst entleert. Sub-
jektive Erleichterung.
^^/2. Verschlechterung. Gewaltsamer Kopfschmerz, Ver-
worrenheit, Puls nicht verlangsamt; Übelkeit. In der Nacht ge-
waltsame Spasmen im rechten Arm und Bein. 50 c.c.m. Flüssig-
keit entleert. Schwindel, subjektive Besserung, aber die Motilität
wie vor der Entleerung.
^/s. Puls 104. Intensiver Kopfschmerz, Sausen vor den
Ohren, Dunkelwerden vor den Augen, Erbrechen. Abzapfung
der Geschwulst. Nachher Besserung. Die Motilität nicht ge-
bessert. Nach einigen Tagen schlechter.
Eine Nacht Gesichtshallucinationen bis zum Morgen. Pat. sah
Leute hin und her im Zimmer gehen, wie rings um das Bett
herum. Alle trugen angezündete Lampen. 'Gleichzeitig schwerer
Kopfschmerz.
Va. Es ist ihm dunkel vor den Augen. Er liest eine
Weile gut. dann fliessen die Buchstaben zusammen. Es »funkelt»
vor den Augen. Krampf im rechten Arm und Bein. Abzapfung
von 100 c.c.m. Schwindel, Sausen, Kopfschmerz verschwanden
danach. Sehen klarer, Motilität unverändert.
^^/o. Abzapfung 100 c.c.m. Vorübergehende Besserung.
Die linke Gesichtshälfte etwas starr; hat geringe
Abzapfung.
^^/s. Parese- der linken Gesichtshälfte deutlicher,
^"/s. Pat. bemerkt, dass auch die rechte Gesichtshälfte
weniger beweglich ist. Kann das rechte Auge nicht schliessen.
Die Lippen werden nicht von einander getrennt; deswegen
Schwierigkeit beim Sprechen. Dabei Ausfluss von Flüssigkeit aus
dem Munde.
Abends: Die Parese des Gesichts rechts nur gering. Augen-
bewegungen normal. Kauen leicht. Zunge normal. Sensibilität:
rechts im Gesicht, wie am Thorax vermindert.
'^^\-A. Etwas unklar; konnte nur wenige Worte hervor-
bringen. Verstand eine Frage. Übelkeit. Das linke Auge
offen, das rechte geschlossen.
Parese rechts im Gesicht. Die Zähne an einander ge-
drückt.
2 Uhr Nachm. Heftiges Erbrechen. Abzapfung von 120
c.c.m. Augenblicklich besser und klar. P. 96 (vor und nach
der Abzapfung). Pupillen gleich gross. Keine Hemianopsie.
Sensibilität: rechts im Gesicht etwas vermindert. Parese daselbst.
Zunge weicht vielleicht etwas nach rechts ab. Bauch : rechts
etwas paretisch und anästhetisch; jedoch empfindet Pat. leichtes
Berühren mit einem Papierstreifen.
Arm: Sensibilität vermindert, bemerkt am Unterarm und
an der Hand Berühren mit Papier; am Oberarm nicht.
Bein. Oberschenkel: bemerkt nicht leichtes Berühren mit
Papier,
Motilität.
222
S. E. RENSCHEN. PATHOLOGIE DES GEHIRNS
^^/s. Abzapfung.
'"^'/a. Koncentrische Einschränkung der Gesichtsfelder, ^^/s.
Abzapfung.
^^j^. Schwierigkeit zu sprechen, kann sich auf Worte nicht
gleich besinnen. Liest unbehindert. Abzapfung wiederholt. Keine
aphatischen Symptome.
-A- ^/4. ^li. '"/i. ''/-t. 'Vi- '^'/i- '"/i- Abzapfung, ge-
wöhnlich von etwa loo c.c.m.
^^/i — wurde 2 mal abgezapft. Allgemeinzustand ziem-
lich gut. Geringer Kopfschmerz, kein Erbrechen. Klares Be-
wusstsein.
^/.5. Schlecht. Kann nur mit Schwierigkeit einige Worte
sprechen. Abzapfung von 75 c.c.m. Besserung.
■■'/.■>. Litmbalpuuktion: keine Flüssigkeit wurde angetroffen.
Abzapfung von der Geschwulst. Besserung.
'^\h. '/ä. '7.=:. Abzapfung.
Status praesens 1895.
Abgemagert, bettlägerig, Kräfte herabgesetzt. Harn: spec.
gew. i.oii, ohne Eiweiss oder Zucker.
Subjektive Symptome. Hat stetig Kopfschmerz, bisweilen
Übelkeit und Erbrechen. Keine Parästhesien.
Psyche. Gesichtsausdruck leidend, nicht schlaff. Ge-
dächtniss gut, wie Urteilsvermögen und Auffassung.
Ap/iasie. Keine Wortblindheit, kann lesen und schreiben,
insoweit die Lähmung nicht hindert. Spontanes Sprechen korrekt.
Bisweilen ist amnestische Aphasie vorhanden, und Pat. besinnt
sich nicht auf Namen der Gegenstände, besonders wenn der
intrakraniale Druck vor dem Abzapfen gesteigert ist.
Kranialnerven. L Beiderseits normal.
IL Sehschärfe normal. Gesichtsfelder beiderseits etwas
koncentrisch verengt. Keine Hemianopsie.
Ophthalmoskopische Untersuchung von Prof. Gullstrand.
Rechtes Auge: die Papille bedeutend angeschwollen; die Venen
dilatirt, geschlängelt; die Grenzen undeutlich mit radiärer Zeich-
nung; Farbe grauroth. Keine H^emorrhagien.
Linkes Auge: ebenso. Also auf beiden Augen ausgeprägte
Stauungspapille.
III. IV. VI. Kein Strabismus. Pupillen gleich, reagiren
normal.
V. Rechts: vcrmi/iJerte Sensibilität.. Pat. empfindet hier
nicht starkes Berühren. Ortsinn hier auch herabgesetzt.
VII. Oberer Ast: geringe Parese. Unterer Ast: in hö-
herem Grade.
VIII. IX. X. Normal.
XII. Ohne Störung.
Sensibilität. Tastsinn: rechts nur wenig herabgesetzt, und
Pat. empfindet eine leichte Berührung.
Schmerzsinn: ziemlich normal.
Ortsinn: rechts etwas herabgesetzt.
Motilität. Rechts: Arm vollständig gelähmt. Bein: kann
das Bein ein wenig beugen. Kann nicht gehen.
Rumpf: keine Paralyse.
Reizungssymptome. Hat oft in den Nächten krampfhafte
Zusammenziehungen im Arm und Bein.
Kontraktur : gelinde im rechten Ellenbogengelenk.
Reflexe: Patellarreflex rechts verstärkt.
Innere Organe: Normal.
Abzapfung einer geringen Menge Flüssigkeit.
'•'7'>. Punktion.
^"/.T. Schlecht. Kopfdruck. Parese des rechten Facialis
mehr ausgeprägt. Punktion. Besserung,
''/ö. Erbrechen. Punktion,
'»/e. Bewusstlos. T. 38.1-38.2.
^^/.->. T. 40.2 — Bewusstlos. Verschied 4 Uhr 15 Min.
Nachm.
Sektion.
Schädel.
Dura mater. Sie zeigt überhaupt keine anderen Verände-
rungen als diejenigen, welche in der Umgebung der Geschwulst-
masse vorkommen. Sonst ist die Dura von gewöhnlicher Dicke,
glatt und ohne Auflagerungen.
Pia mater. Sie ist von gewöhnlicher Dicke und lässt sich
überall leicht ablösen; die Oberfläche ist glatt ohne Auflagerungen
oder Zeichen einer Entzündung.
Die Gefässc zeigen nichts Besonderes. Die Oberfläche ist
überhaupt blass.
Hemisphären. Beide Hemisphären zeigen eine mehr als
gewöhnlich ebene Oberfläche, indem die Windungen abgeplattet
und die Sulci mehr verwischt sind als normal.
Die rechte Hemisphäre
zeigt überhaupt nichts Besonderes, ausgenommen die in Zusam-
menhang mit der Kompression stehenden Veränderungen, welche
jedoch an dieser Hälfte nicht sehr ausgesprochen sind.
Bei dem Durchschneiden der Hemisphäre in i cm. grosse
Scheiben wurde überhaupt nichts Pathologisches nachgewiesen.
Die linke Hemisphäre (Taf. XXVI. XXVII).
Die Windungen sind mehr als normal zusammengedrängt
und abgeplattet und sind gegen die Sulci scharf abgesetzt. Im
Ganzen schwillt die Hemisphäre nach dem Herausnehmen aus
dem Schädel an und misst dann 19 cm. von vorn nach hinten.
Aus den Centraiwindungen und der dem oberen Parietallappen
entsprechender Partie erhebt sich eine ansehnliche von der Dura
überzogene rundliche Geschwulstmasse, welche im Ganzen eine
Halbkugel bildet und an der Basis 7 cm. misst, in der Höhe
5.5 cm. Die Dura ist über der Geschwulst mit der Kopf-
schwarte dicht zusammengewachsen (s. Fig. i). Auch ist die
Dura mit der Geschwulstmasse innig verlöthet, so dass diese sich
nicht ohne Zerreissen von der Geschwulst trennen lässt. Wie
aus den Durchschnitten auch erhellt, ist die Geschwulstmasse ent-
sprechend dem Trepanloch im Schädel rings herum zusammen-
gepresst und schwillt an der Aussenseite des Schädels einige
Centimeter an.
Die Geschwulstmasse ist von ziemlich fester Konsistenz und
hat auf dem Durchschnitt eine grauröthliche, blutig-gesprenkelte
Farbe, ist aber im Inneren weicher. Sie ist überhaupt sehr ge-
fässreich. Ihre mikroskopische Textur wird unten besprochen.
Die entsprechende Gehirnoberfläche ist nicht herabgedrückt
und zeigt in der Umgebung der Geschwulst keine reaktive Ver-
ZUR EXSTIRPATION DER HIRNTUMOREN
223
änderung; sondern bis zur Basis der Geschwulst lässt sich die
unveränderte Pia leicht ablösen (vgl. Fig. i).
Durchschnitte. Die linke Hemisphäre wurde auch in i-
c.m. dicke frontale Scheiben zerlegt.
Schnitte 1—3 c.in. vor dem Occipitalpole zeigen auf der
Schnittfläche nichts Pathologisches, ausgenommen dass die Form
in Folge der Kompression etwas verändert ist, und zwar mehr
quadrangulär als normal. Die Rinde überall normal. Die Seh-
strahlung ist breiter als gewöhnlich in Folge der Kompression
von oben.
Schnitt 4 cm. auch normal, ausgenommen dass an der
Rinde des oberen Parietallappens die oben erwähnte von der
Dura eingekapselte Geschwulstmasse locker angelöthet ist. Diese
ist hier kugelförmig und hat einen Diameter von 5.5 cm. Weiter
ist das Mark des Parietallappens hier von der Geschwulstmasse
diffus in einer Ausdehnung von 1.5 — 2 cm. infiltrirt; diese Masse
berührt und infiltrirt auch die dorsale Rinde, aber nicht die
mediale Rinde des Prtecuneus. Sie dringt auch in die nächste
nach hinten liegende Scheibe (Schnitt 3 cm.) etwas ein, aber
berührt nicht die Sehstrahlung.
Schnitt 5 cm. (Taf XXVII. Fig. 4). Der ventrale Ab-
schnitt zeigt nur eine veränderte Form in Folge der Kom-
pression. — Im dorsalen Abschnitt ist das Mark des oberen
Parietallappens in grosser Ausdehnung von der Geschwulstmasse
infiltrirt, und zwar bis zu einer Tiefe von 4 — 5 cm. Die untere
Grenze ist makroskopisch nicht scharf zu bestimmen. Mark und
Geschwulstmasse fliessen in einander unmerklich über. Auch
die Rinde des oberen Parietallappens ist in grosser Ausdehnung
zerstört, die des Prsecuneus nur an der Margo falcata.
Die dorsale Spitze der Sehstrahlung bis zur Höhe der
Fissura occipito-parietalis ist von der Geschwulst infiltrirt oder
erweicht. Dagegen ist der ventrale der Fissura calcarina ent-
sprechende Abschnitt nicht verändert. — Dadurch wird auch
das der Angularwindung angehörige Mark zum Teil geschädigt
(s. Fig. 4).
Schnitt 6 cm. (Taf XXVII. Fig. 3). Die Geschwulst-
masse infiltrirt:
a) das Mark des hintersten Abschnittes der hinteren Centrai-
windung, des Parietallappens, und zum Teil des unteren Parietal-
lappens;
b) die Rinde der hintersten Spitze der hinteren Centrai-
windung und zum Teil des Paracentrallappens (s.«Fig. 3).
Die oberste Spitze der Sehstrahlung ist infiltrirt. Der Ab-
schnitt ventral vom Balken ist nicht verändert.
Schnitt 7 cm. (Taf XXVII. Fig. 2). Hier sind infiltrirt:
a) das Mark der hinteren und vorderen Centraiwindung,
sowie auch der ersten Frontalwindung; dagegen ist das Mark
der unteren Parietalwindung überhaupt verschont;
b) die Rinde derselben Windungen und des Gyrus forni-
catus; dagegen ist die Rinde der unteren Parietalwindung voll-
ständig unversehrt. Die Geschwulst dringt bis zur Höhe des
Balkens und zum Dach des Unterhorns hervor.
Schnitt 8 cm. (Taf XXVII. Fig. i). Die Geschwulst
ragt nur wenig über die Oberfläche des Gehirns hervor und
infiltrirt :
a) das Mark der vorderen Centraiwindung, der ersten
Frontalwindung und der Balkenwindung, lässt aber das Mark
der hinteren Centraiwindung zum grossen Teil frei, sie infiltrirt
auch zum Teil den lateralen Teil der Balkenstrahlung;
b) die Rinde der vorderen Centraiwindung und der ersten
Frontalwindung, lässt aber die der hinteren Centraiwindung und
der Balkenwindung unversehrt.
Nucleus caudatus bleibt frei.
Der Thalamus hat in Folge vom Druck veränderte Form
(s. Fig. I.), ist sonst normal.
Schnitt g cm. (Taf XXVI. Fig. 3). Die Geschwulstmasse
ist bedeutend weniger ausgedehnt und nimmt ein:
a) das Mark der vorderen Centraiwindung, welche bedeutend
vergrössert ist, der ersten Frontalwindung und der Balkenwindung
und erstreckt sich bis zur Balkenstrahlung. Die hintere Centrai-
windung ist nicht berührt;
b) die Rinde der C^, ohne jedoch die äusseren Konturen
zu zerstören.
Die dorsale Fläche des Thalamus ist abgeplattet, der
Nucleus caudatus zusammengedrückt.
Schnitt 10 cm. (Taf XXVI. Fig. 2). Die Geschwulst-
masse misst nur 4+2 cm., infiltrirt das Mark der C, F^ und
der Balkenwindung sowie die Balkenstrahlung.
Die Centraiganglien (Thalamus, Lens, Nucleus caudatus)
sind von oben zusammengedrückt.
Schnitt II cm. ist normal.
Die Centraiganglien der beiden Hemisphären zeigen sonst
keine pathologischen Veränderungen, ausgenommen was oben
beschrieben worden ist, nämlich dass sie links etwas von oben
gedrückt sind.
Medulla oblongata, Rons und Kleinhirn.
Weder an der Oberfläche, noch im Inneren kann etwas
Pathologisches wahrgenommen werden, ausgenommen dass eine
deutliche venöse Hyperätnie sowohl im Nucleus dentatus wie in
dem Haubenabschnitt der Medulla vorhanden ist.
Lungen: doppelseitige Pneumonie.
Epikrise.
Kurzer Krankenbericht. Der 45jährige Arbeiter
genoss bis zum Ausbruch seiner Krankheit immer einer sehr
guten Gesundheit. Er hatte nie Alkohol gemissbraucht und
nie Syphilis gehabt; im Alter von 4 Jahren wurde er von
einem Trauma betroffen. Ohne bekannte Ursache brach An-
fang August die Krankheit aus. Um den 9. August 1894
bemerkte er, dass er das rechte Bein nicht beherrschen konnte
und dass Bewegungen geringe Schmerzen in der Hüfte ver-
ursachten. Auch wurde das Bein taub und Ameisenkriechen
trat im Fuss ein. Den 16. August trat im rechten Knie ein
schwirrendes Gefühl auf, welches von da aus in der rechten
Seite bis in den Kopf hinaufstieg. Zuckungen in der ganzen
rechten Seite stellten sich ein und er verlor das Bewusstsein.
Schon an demselben Tag hatte er 4 solche Anfälle, von
dieser Zeit an \\iederholte derartige Anfalle, in der nächsten
Zeit mehrmals täglich, aber ohne Verlust des Bewusstseins.
Später wurden sie gelinder und traten oft nur im rechten
Bein auf. 9 entstanden Zuckungen in der rechten Hüfte
und das Bein blieb frei, dagegen war die rechte Seite des
224 S. E. RENSCHEN. PATHOLOGIE DES GEHIRNS
Rumpfes ergriffen. Nach den Anfällen war Pat. müde und
das rechte Bein schwach und taub. Bisweilen hatte er
daselbst ein stechendes Gefühl. Das rechte l^ein war kälter
als das linke. Mitunter beschränkte sich der Anfall auf eine
tonische Kontraction des ganzen Köri^ers, wobei besonders
das rechte Bein steif und gespannt \\urde, oder Pat. hatte
ein Gefühl wie Schwirren oder Unruhe im Beine.
Sonst befand sich Pat. überhaupt gut und war nicht
von Schwindel oder Erbrechen belästigt. Nur hatte er ge-
linden Kopfschmerz. — Mitte September entwickelte sich
Schwäche der rechten Hand und die des Beines nahm zu.
Sta/iis pnes. ^^/g 1894. Etwas abgemagert, vielfache
subjektive Empfindungen, wie Schmerzen, Stechen, Ameisen-
kriechen u. s. w., leiteten die Anfälle ein. Psyche klar. Spur
von amnestischer Aphasie. Geruch, Gesicht, Gehör, Geschmack
normal. Keine Stauungspapille, Augenbewegungen und Pu-
pillen normal. Geringe Herabsetzung der Sensibilität im
rechten Quintusgebiete. Facialis nicht paretisch, Zunge weicht
nach links ab. Geringe Herabsetzung des Tastsinns und des
Ortsinns, rechts im Beine und am Bauche. Gelinde Parese
in der ganzen rechten Seite, besonders im Beine, auch im
Arme. Aber selbst das linke Bein und der linke Arm sind
geschwächt. Patellarreflexe verstärkt. Das rechte Bein etwas
magerer als das linke.
'^ ','9. Die Trepanation wurde au.sgeführt (Seite 217) und ein
kleines Gliom im obersten Drittel der linken hintern Centrai-
windung angetroffen, sowie eine subkortikale Cyste unter den
Central Windungen.
Die PIxstirpation war leider nur partiell, indem die Wand
der subkortikalen Cyste nur partiell exstirpirt werden konnte.
Der Verlauf nach der Operation war im Ganzen günstig und
die Motilität wurde gebessert wie auch die Sensibilität. 10.
Hernie im Trepanationsloch. Schon \''io ein Abortivanfall,
d. -^"/lo mit Zuckungen im rechten Arm. In der folgenden
Zeit wiederholte Anfälle von Jackson'scher Epilepsie. Paralyse
bildete sich vollständig im rechten Beine aus und war fast
vollständig ini rechten Arm. ^°/i2. Sekundäre Operation auch
mit relativ günstigem Erfolg. Die Paralyse bestand fort. Nach
vorübergehender Besserung trat im P^ebruar Verschlechterung
ein mit gewaltsamem Kopfschmerz, weshalb wiederholte Punk-
tionen vorgenommen wurden; auch Lumbalpunktion wurde
im Mai versucht, ohne Erfolg. '^'^ U- Pat. erlag einer doppel-
seitigen akuten Pneumonie.
Diagnose. Art der Läsioti. Pat. wurde ins Kranken-
haus unter der Diagnose Ischias gebracht, wozu die Anfang
August 1894 im rechten Bein auftretenden Schmerzen mit
nachfolgender Schwäche ohne Zweifel Veranlassung gegeben
hatten. Sobald aber die genaue Anamnese aufgenommen war
und der erste epileptische Anfall mit auf die rechte Seite
beschränkten Zuckungen auftrat, wurde eine Jackson'sche
Epilepsie diagnosticirt und der Gedanke auf Hirngeschwulst
gelenkt. Zwar konnte dagegen angeführt werden, dass keine
Stauungspapille vorhanden -war, aber die Erfahrung, dass
selbst grössere Geschwülste in den Centraiganglien ohne
Stauungspapille verlaufen können, wurde als genügender Er-
klärungsgrund angenommen.
Was die Art der Geschwulst betrifft, lag kein Verdacht
auf Syphilis vor, auch kein Grund eine Pachymeningitis haemor-
rhagica anzunehmen. Die Anamne.se gab auch keinen An-
haltspunkt für die Annahme von Tuberkulose. Die schnelle
Entwickelung der Krankheitsymptome, sowie die schnell auf
einander folgenden Anfälle .sprachen ohne Zweifel für eine
schnell sich entwickelnde Geschwulst und also für Sarkom
oder Gliom.
Lokalisatioii der Läsion. Vür die Lokaldiagnose haben,
wie bekannt, die Proiospasmcii und die Proioparästlwsien die
allergrösste Bedeutung und besonders i.st es wichtig, die Form
des ersten Anfalles zu erforschen, welche gewöhnlich den
Ausgangspunkt der zu dieser Zeit noch kleinen Geschwulst
angiebt. In diesem Falle konnte Pat. schon über den ersten
Anfall einen zuverlässigen Bericht abgeben und im Kranken-
haus war noch bei der Aufnahme keine vollständige Hemi-
plegie vorhanden; die Zuckungen traten gewöhnlich nur in
umschriebenen Gebieten auf Beim Beginne der Krankheit
um den 9. August 1894 hatte Pat. nur geringfügige Schmer-
zen in der rechten Hüfte bei gewissen Bewegungen. P>
konnte das rechte Bein nicht beherrschen und das Bein war
taub. Bei dem ersten vollständigen Anfall den 16. August
trat plötzlich im rechten Knie eine schwirrende Empfindung
auf, welche dann durch die rechte Seite bis in den Kopf
hinaufstieg. Bei den folgenden Anfällen waren die Proto-
spasmen und Protoparästhesien bald im rechten Knie, bald
in der rechten Hüfte oder in ihrer Nähe lokalisirt. Nur aus-
nahmsweise und besonders später fingen die Zuckungen im
rechten Arm an. P3s war also klar, dass der Ausgangspunkt
dem Oberschenkel oder dem untern Gebiete des Rumpfes
entsprach. Zwar kennt man das Centrum für den Rumpf
beim Menschen nicht so genau, dagegen ist es ja festgestellt,
dass das Centrum des Oberschenkels im obern Drittel der
Centraiwindungen gelegen ist. Und da nun das Centrum des
Rumpfes wahrscheinlich ein wenig mehr nach unten und vorn
liegt, so wurde hauptsächlich die vordere Centraiwindung,
etwa entsprechend dem P'uss der ersten Stirnwindung, als
Ausgangspunkt der Geschwulst angenommen und daselbst
wurde auch trepanirt.
Einige Gesichtspunkte in Bezug auf die Operation.
Eine Operation schien aus dem Gesichtspunkte günstige
Aussichten zu bieten, da die Krankheitssymptome bei der
Aufnahme in das Krankenhaus kaum drei Wochen alt waren.
Auch der Umstand, dass die. Zuckungen so begrentzt waren,
dass eine genaue Lokalisation als wahrscheinlich erschien,
sprach in hohem Grade dafür, dass die Geschwulst noch
keine grösseren Dimensionen angenommen hatte.
Was die Frage betrifft, ob die Geschwulst von den
Meningen, von der Rinde oder vom Mark ausging, so machte
das schnelle Wachsen es überhaupt unwahrscheinlich, dass
die Dura der Ausgangspunkt wäre. Die ersten Symptome
waren Symptome von Paralyse in Verein mit Schmerzen.
Später traten die Reizsymptome in den Vordergrund. Eine
Lokalisation in der obersten Schicht des Markes oder in der
Rinde war also die annehmbarste, wenn auch der Schädel beim
Beklopfen nicht empfindlich w ar. Die Reizsymptome schlössen
eine tiefere Lage der Geschwulst aus. Alle diesq vor der
ZUR EXSTIRPATION DER HIRNTUMOREN 225
Operation ausgesprochenen Vermutungen wurden durch die
Operation in befriedigender Weise bestätigt.
Einige praktische Beiuerkn)igc7i über die Operation und
ihren Erfolg.
Zuerst will ich in dieser Hinsicht hervorheben, welche
grosse Bedeutung die elektrische Reizung für die Orientirung
und die Feststellung der getroffenen Stelle hat. Manchmal ist
es sehr schwierig, zu sagen, welche Partie der Rinde im
Trepanloch erscheint. Wenn diese eine motorische ist, so
lokalisirt man leicht mit Hülfe der elektrischen Reizung, und
wenn man im motorischen Gebiete den gewünschten Punkt
nicht angetroffen hat, so kann man durch Einführen einer
dem Horsley'schen Duraspatel entsprechend konstruirten Elek-
trode den gewünschten Punkt ausfindig machen.
Eine noch grössere Bedeutung für die Physiologie er-
reichen diese Reizversuche, wenn man systematisch dabei
vorgeht. Die Lage der motorischen Centren ist ja von der
grö.ssten Bedeutung für die Hirnchirurgie, aber sie ist leider
bis jetzt beim Menschen nur wenig erforscht. Nur bei den
Gehirnoperationen lässt sich ihre genauere Lage eruiren und
es sollte desshalb allen Chirurgen angelegen sein, darauf be-
zügliche Beobachtungen zu machen und mitzuteilen.
Wenn die Narkose nicht zu tief ist, so löst schon ein
minimaler elektrischer Reiz der Hirnrinde eine für die Be-
obachtung genügende Zuckung aus. Im vorliegenden Falle
wie auch in einigen nachfolgenden wurden solche elektrische
Versuche angestellt. Das Resultat erhellt aus der S. 218
beigefügten Figur. Respirationsbewegungen, Zuckungen in
den Muse, quadriceps cruris, cucuUaris, rectus abdominis und
pectoralis sowie im M. cremaster und in den Muskeln der
Zehen wurden von den an der Figur mit Ziffern angegebenen
Punkten ausgelöst. Dabei war es auffallend, dass in gewissen
Muskeln wie M. rectus abdominis und cucuUaris Zuckungen
von etwas verschiedenen Punkten aus ausgelöst wurden. Be-
sonders beim Vergleichen mit anderen Versuchen bei Opera-
tionen wegen Epilepsie war ich erstaunt, dass die Gebiete
für diejenigen Muskeln, in welchen die Protospasmen erschienen
waren, mehr ausgedehnt erschienen als man erwartet hätte.
Wenn diese Beobachtung auch in anderen Fällen sich be-
stätigen lässt, so dürfte daraus der Schluss berechtigt sein,
dass die ausserhalb des eigentlichen Centrums jener Muskeln
befindlichen gewiss sehr spärlicli zerstreuten Elemente in
einem Zustande erhöhter Reizbarkeit bei der Operation .sich
befanden und dass in Folge dessen auch eine elektrische
Reizung ausserhalb des eigentlichen Centrums dergleichen
Zuckungen hervorrufen zu können scheint.
Der vorliegende Fall hat, wie es scheint zum ersten
Male, zur Lol«:alisation einiger Centren geführt, welche früher
beim Menschen nicht bekannt waren. Diese sind die Centren
für die Bauch-Muskeln, M. rectus et obliquus, so wie für den
M. cremaster und für die Respirationsbewegungen. Diese
Centren dürften nur durch solche elektrische Untersuchungen
erforscht werden können, da bei einer unilateralen Destruktion
kompensirende Centren teils an entsprechenden Stellen der
andern Hirnhälfte, teils in derselben Hemisphäre eintreten
dürften.
Besondere praktische Bedeutung hat die auch in diesem
Falle bestätigte Erfahrung, dass Zuckungen auch von der
Oberfläche der Dura aus mit genügender Sicherheit ausgelöst
werden, wie das Protokoll über die elektrischen Reizversuche
in diesem Falle zeigt. Noch sicherer dürfte sich das Resultat
herausstellen, wenn man mit spitzen Elektroden die Dura
durchsticht.
In diesem Falle war es weiter von Interesse dass von
Punkt 5 im Loch A aus keine Zuckung ausgelöst wurde, ob-
schon von den zunächst liegenden Punkten dies der Fall war.
Dies erweckte den Verdacht, dass, obschon die Rinde hier
unversehrt war, pathologisches Gewebe in der Nähe läge, und
diese Vermuthung veranlasste die Anlage des zweiten Tre-
panlochs B. In seinem Centrum 5 war auch eine nicht reiz-
bare Rinde vorhanden. Einige Minuten nach dem Durch-
schneiden der Dura erröthete hier eine ein cm. grosse Fläche,
welche eine violette Farbe annahm. Ein Stück wurde hier
herausgeschnitten und sofort unter das Mikroskop gelegt, wo-
durch sich das Vorhandensein eines Neoplasmas herausstellte.
Verschiedene Trepanationen haben mich von der ausser-
ordentlichen Schwierigkeit überzeugt, selbst bei blossgelegter
Hirnoberfläche zu diagnosticiren, ob die Rinde von einer
fremdartigen Geschwulstmasse infiltrirt sei oder nicht. Dies
ist besonders der Fall bei grossen Geschwülsten, indem da-
bei die ganze Hirnmasse durch die chronische Injektion und
manchmal vorhandenes Oedeni in Bezug auf Farbe und Konsi-
stenz so wesentlich verändert ist, dass erst die inikroskopiscJie
Untersuchung entscheiden kann, ob pathologisches Gewebe
vorliegt oder nicht. Ich möchte deshalb dazu rathen, dass
in allen Fällen von Hirnoperation geübte pathologische Assi-
stenten zur Hand seien. Die mikroskopische Untersuchung
bietet selbst dem geübten Pathologen nicht unbedeutende
Schwierigkeiten dar. Aber sowohl in diesem Falle, wie im
vorigen F"alle (Wef) wurde die Bestimmung mit dem Mikro-
skope als richtig bestätigt.
Erfolg der Operation. Leider wurde die Exstirpa-
tion nur partiell gemacht, und zwar aus dem Grunde,
die Wand der subkortikalen Cyste nur partiell excidirt A\urde.
Überhaupt hatte man auf das Vorhandensein einer Cyste kei-
nen Verdacht. Erst bei einem tieferen Einstich in die. Hirn-
masse, in der Absicht die Geschwulst zu exstirpiren, wurde
die Cyste durch das Herausfliessen einer grösseren Menge
klarer Flüssigkeit entdeckt. Aber da ich fürchtete, dass die
eventuell erweiterten Hirnventrikel angestochen wären, ausser-
dem der pathologische Process eine nicht vermuthete Aus-
dehnung hatte und endlich die Geschwulst als eine maligne
betrachtet werden musste, so zog ich es vor, die Operation
lieber abzuschliessen als etwas zu riskiren.
Diese Schwierigkeit, gleich zu beurteilen, wie tief man
in der Gehirnmasse arbeitet und ob man dadurch in der Tiefe
gefährliche Läsionen hervorruft, veranlasste mich, besondere
Messer zu konstruiren, an denen die Klinge einen Halb-
cirkel bildet.''' Man kann also unmittelbar berechnen, wie tief
man arbeitet. Diese Messer haben übrigens vor dem gewöhn-
lichen Löffel den Vorzug, dass die Schneide sehr scharf ist,
' S. Dahlgreiis Chirurg.-teclin. Beitrag z. Beb: ndl. d. Erkrank, d. Ge-
hirns von S. E. Henschen (in Penzoldt-Stintzings Handb. d. Therapie Bd. VI).
226 S. E. HENSCHEN. PATHOLOGIE DES GEHIRNS
wodurch die Schnittfläche in der Tiefe so glatt wird, dass
man leichter entscheiden kann, ob hier im Boden der Wunde
noch Neoplasma vorliegt oder nur normales Hirngewebe. Die
Gefahr, dabei grössere Blutungen zu verursachen als beim
Arbeiten mit stumpfen Löffeln scheint nur von untergeord-
neter Bedeutung zu sein. Beim vorsichtigen Vorgehen dürf-
ten die Hämorrhagien bei überhaupt exstirpabeln Tumoren
eine nicht zu grosse Rolle .sj^ielen, indem sie durch Tam-
ponirung mit Jodoformgaze meistens verhütet werden können.
Endlich möchte ich hervorheben, dass die von von Berg-
mann geäusserte und nach ihn in der Literatur als allgemein-
gültig angenommene Gefahr des Oedems durch Exstirpation
grösserer Tumoren überhaupt sehr übertrieben ist. Eine ge-
naue Durchsicht der Literatur hat mich überzeugt, dass die
Gefahr, ein Oedem zu verursachen, fast gleich Null ist, wenn
man nicht wie von Bergmann den Sinus unterbindet, oder
Infection entsteht.
Der günstige Erfolg der Operation dauerte niclit lauge.
Der Patient fühlte sich nach der Operation allerdings bedeu-
tend besser und seine Stimmung wurde heiterer; sowohl Mo-
tilität wie Sensibilität besserten sich. Den 3. October, also
neun Tage nach der Operation, \\'ar die Empfindung für Be-
rührung an dem rechten Arm und Bein gut. Mit der Hand
konnte er einen nicht unbedeutenden Druck ausüben, das Bein
wurde im Hüftgelenk ziemlich gut gebeugt, aber schon den
10. October trat ein neuer Anfall auf von Zuckungen im rech-
ten Arm und besonders in der Hand. Schon früher, am i.
October, war indessen ein gelinder Anfall eingetreten mit Zuck-
ungen in den Bauchmuskeln. Später erschienen Anfälle am
^' lü. im rechten Cremaster und noch später wiederholte An-
fälle, welche bald von der rechten Hüfte, bald vom Bein,
bald vom Arm ausgingen. Dies ist nun so auffallender, da
ich mich besonders darum bemüht hatte, nicht nur die Ge-
schwulstmasse selbst auszuschneiden, sondern auch ein ge-
wisses Gebiet der anscheinend gesunden Rinde. Nachher
schritt die Krankheit schnell fort. Eine sekundäre Operation
konnte nur eine vorübergehende Besserung hervorrufen. Die
Paralyse der rechten Seite wurde vollständig, Symptome von
gesteigertem intrakranialen Druck wurden dem Patienten sehr
lästig und konnten nur durch fast täglich wiederholte Punk-
tionen gelindert werden. Bei diesen Punktionen, welche alle
reizlos verliefen, wurden gewöhnlich 75 bis 100 c.c.m., ge-
wöhnlich klarer oder blutiger Flüssigkeit entleert und endlich
machte eine doppelseitige acute Pneumonie dem Elend ein
Ende.
Alle solche eingreifenden Hirnoperationen dürften dazu
auffordern, zu erwägen, ob in ihnen wirklich die Operation
das Leben verlängert und den Zustand erleichtert hat. Die
Antwort auf diese beiden Fragen zu geben, scheint mir im
vorliegenden Fall schwierig zu sein.
Der Patient überlebte die Operation etwa acht Monate
und die Operation wurde etwa sechs Wochen nach dem Her-
vortreten manifester Hirnsymptome vorgenommen. Da in-
dessen bei der Operation eine recht grosse Cyste im sub-
kortikalen Mark angetroffen wurde, so hatte ohne Zweifel die
Neubildung eine unbestimmte Zeit cxistirt, ehe die Symptome
manifest wurden. Dies erklärt sich wohl durch die subkorti-
kale Lage der Cyste und den geringen Hirndruck, der selbst
bei der Operation die Windungen nicht zur Abplattung ge-
bracht hatte. Wie lange nun eine solche Geschwulst beste-
hen kann, bis sie den Tod verursacht, ist wohl zur Zeit nicht
festgestellt. Jedenfalls dürfte wohl die Operation das Leben
nicht verkürzt haben. Eher bin ich geneigt, beim Vergleich
mit andern Fällen, wie zum Bei-spiel die Fälle Sundelin S. I20
und Eklund S. 130, anzunehmen, dass das Leben dem Pati-
enten verlängert wurde.
Die Frage ob diese Lebensfrist durch die Operation er-
leichtert wurde, ist ebenso schwer richtig zu beantworten.
Überhaupt war der Zustand des Patienten in den letzten Mo-
naten, als er wiederholten, fast täglichen Punktionen unter-
\\orfen wurde, elend und unerträglich.
Bei der Analj'se der in der Literatur zugänglichen Pralle
finde ich die Bezeichnung: günstiger P>folg oder Gelingen der
Operation viel zu euphämistisch. PIs ist wahr, dass die Ope-
rationen dem Artzte gelangen; aber manchmal nützten sie
dem Patienten nicht. Wenn überhaupt eine Statistik der Ope-
rationen der Hirngeschwülste sich als richtig" herausstellen
soll, so müssen die obigen beiden Fragen, ob das Leben
durch die Operation \erlängert und ob das Leiden dadurch
erleichtert wurde, gewissenhaft von jedem Artzte beantwortet
werden. lune solche Antwort fehlt überhaupt in den meisten
Operationsberichten.
In einer Hinsicht verlief der vorliegende P'all wie der
vorhergehende ausserordentlich günstig. Trotz der eingrei-
fenden Operation und den zahlreichen Punktionen in beiden
P^ällen war die Heilung des operativen Eingriffs fast vollstän
dig reizlos. Bei den Operationen wurde zwar die Kopfschwarte
gründlich desinficirt nach den besten Methoden (: Seifewasch-
ung, Sublimat, Alkohol, Carbol und zuletzt mit physiologischer
steriler Kochsalzlösung), aber nach dem Beginnen der Ope-
ration wurden alle Antiseptica weggelassen und nur physio-
logische Kochsalzlösung in reichlicher Menge angewendet.
Damit wurde auch die Hirnoberfläche abgespült. Die Wunde
wurde mit Jodoformgaze tamponirt und nachher eine reich-
liche Menge von aseptischer Baumwolle und Gazebinden ge-
braucht. Beide Patienten wurden in den kritischen Zeiten
nach den Operationen in der chirurgischen Abteilung des
Professors Lennander gepflegt und legen ein unwiderlegliches
Zeugniss für die in dieser Abteilung von Prof Lennander
geübten vorzüglichen antiseptischen Anordnungen ab. Und
ich statte ihm für jene Pflege meinen besten Dank ab.
Der P^all bietet weiter, wie der Fall Wef, ein Zeugniss
für die kräftige Wirkung der Massage selbst bei centralem
Ursprung einer Krankheit.
Analyse der S y m p t o m e.
Der P'all Janssen ähnelt in so vielen Hinsichten dem
vorigen P'all, Wef dass die Analyse der Symptome kürzer
gcfasst wird. Beide sind I<"älle von Geschwülsten, welche
von dem obersten Abschnitt der Centrahvindungen ausgingen.
In beiden P^ällen waren Reizsymptome mit paralytischen ge-
mischt, und, wenn auch diese Symptome in Folge der ver-
schiedenen Ausdehnung der Neoplasmen etwas verschieden
ZUR EXSTIRPATION DER HIRNTUMOREN 227
waren, so war doch im Ganzen der Verlauf der beiden Fälle
derselbe. Um so mehr verdient der Umstand, dass die Sym-
ptome einander ähnelten, ein gewisses Interesse, da deshalb
die den beiden Fällen gemeinsamen Symptome als gesetz-
mässig mit der Lage der Geschwülste verbunden betrachtet
werden müssen. Aber im Fall Wef drang die Geschwulst
auch in die gegenüberliegende Hirnhälfte ein und dehnte sich
ausserdem nach hinten weit aus, nämlich bis zu dem Occi-
pitallappen, während die Geschwulst im Falle Jansson auf die
ursprüngliche Hälfte beschränkt blieb.
Psyche. Wie die Fat. Wef war auch Jansson über-
haupt während seiner Krankheit bei voller Intelligenz. Aber
bei der Zunahme des intrakranialen Drucks wurde er biswei-
len etwas unklar und benommen, was jedoch gewöhnlich nach
den Punktionen verschwand oder wenigstens gebessert wurde.
Dieses Verhältniss stimmt auch damit, dass die Krankheit
eine sehr lokale war und dass die Pia überhaupt keine Spur
von Entzündung zeigte.
Aphasie war überhaupt nicht vorhanden, ausgenommen,
dass Pat. schon frühzeitig eine gewisse Schwierigkeit hatte, sich
auf die Namen seiner Bekannten zu besinnen. Es trat also
mit der Krankheit eine leichte Form von amnestischer Aphasie
ein. Nach der Operation verschwand auch die erwähnte ge-
ringfügige Amnesie für Personennamen (siehe d. •'^/lo), um
jedoch später, ^^/i2, zurückzukehren. Bei den Anfällen von
gesteigertem Kopfdruck wie z. B. d. ^^/s war es ihm schwie-
rig, selbst zu sprechen oder der Namen von Gegenständen
sich zu erinnern.
Ein Blick auf die Figuren kann davon überzeugen, dass
die Geschwulst das motorische oder sensorische Sprachge-
biet unversehrt lässt. Die amnestische Aphasie war also ein
Fernsymptom in Folge voi. Druck.
Besonders zu beachten ist, dass Pat. nie eine Schwierig-
keit beim Lesen hatte. Die Fig. 4. Taf XXVIII zeigt, dass die
Geschwulstmasse bis in das tiefere Mark des oberen Parie-
tallappens und bis zur Grenze der Angularwindung eindrang.
Der Fall begrenzt also das Lesecentrum nach oben.
AgrapJiie war nicht vorhanden, obschon die rechte Hand
paretisch war.
I. Geruch. Der Geruchsinn war bis zum Ende des Le-
bens vollständig normal und das Geruchgebiet ist auch von
der Krankheit nicht berührt.
II. Sehschärfe. Die Sehschärfe war bis zum Ende des
Lebens auch .sehr gut. Und die Störungen von Seiten des
Gesichtssinnes waren überhaupt geringfügig.
Die Gesichtsfelder waren überhaupt normal und keine
Hemianopsie wurde jemals nachgewiesen; dagegen war eine
koncentrische Verengung der Gesichtsfelder vorhanden. Im
Status Mitte September 1894 betraf diese Beschränkung fast
nur das rechte Gesichtsfeld. Später d. ^^/lo waren beide ein
wenig eingeengt und die Perimeterkarten geben die Ausdeh-
nung der Gesichtsfelder den ^/s 1895, also kurz vor seinem
Tode an.
Hier liegt also ein F'all von koncentrischer Verengung
der beiden Gesichtsfelder vor. Die Verengung ist ausge-
sprochener in dem dem Herd gegenüberliegenden Auge. Die-
ser Herd berührt überhaupt gar nicht diejenige Rinde, welche
S. E. Menschen. Pathologie des Gehirns.
zur Sehsphäre gerechnet werden kann, und der Fall spricht
deswegen, wie so viele andere, gegen die Theorie, dass die
koncentrische Einengung der Gesichtsfelder durch die Läsion
eines bilateralen oder psychischen Sehcentrums hervorgerufen
werde.
Stauungspapille. Bei der Mitte September vorgenomme-
nen ophthalmoskopischen Untersuchung waren keine ausge-
sprochenen Zeichen einer intrakranialen Stauung vorhanden.
Zwar war der obere Papillarrand etwas undeutlich und die
Arterien wie die Venen stark gefüllt, aber die Papillen waren
nicht angeschwollen und bei der Trepanation buchtete sich
die Dura im Trepanloch nicht bedeutend hervor. Der intra-
kraniale Druck war also nur unbedeutend gesteigert. Den
^/i2 waren die Venen dicker als normal und die Papillen
bleicher. Erst den ^"/i 1895 hatten die Papillen eine graue
strahliche Farbe und diffuse Grenzen angenommen, und zwar
mehr im rechten Auge als im linken. Den ^"/s war die Stau-
ungspapille au.sgesprochen, wenn auch nicht hochgradig.
Das Fehlen einer Stauungspapille ist oben unter »Dia-
gnose» genügend erklärt.
Gesichtshallucinationen \varen nur einmal und vorüber-
gehend vorhanden. Den ^/a ist bemerkt dass Pat. in einer
Nacht Leute, welche Lampen trugen, hin und her im Zimmer
gehen sah. Er hatte gleichzeitig schweren Kopfschmerz.
Bisweilen funkelte es ihm auch vor den Augen. Bemerkens-
werth ist, dass diese Hallucinationen nicht nach einer gewis-
sen Richtung hin projicirt waren. Der vorhandene Kopfdruck
erklärt die Hallucinationen.
III. IV. VI. Weder von den Pupillen, noch von den
Augenbewegungen traten bemerkenswerthe Störungen auf.
V. Bei der ersten Prüfung der Sensibilität des Gesich-
tes Mitte September 1894 war nur eine kaum merkbare Her-
absetzung der Sensibilität vorhanden und diese betraf nur
den Schmerzinn und Ortsinn.
Diese geringfügige Störung wurde auch den' ^^ '10 bei
der genaueren Untersuchung lachgewiesen. Später vermehrte
sie sich und im Mai 1895 kurz vor dem Tode empfand Pat.
an der rechten Gesichtshälfte starke Berührung nicht. Auch
der Ortsinn war herabgesetzt. Die Anästhesie steht mit dem
Sektionsbefund in gutem Einklang, indem die Geschwulst wie
die Figuren 2 u. 3 Taf. XXVII zeigen, zuletzt bis zur Nähe der
Leitung zum Gesichtscentrum sich ausdehnte.
VII. Anfangs (Mitte September 1894) war im oberen
und unteren Facialis-Gebiete rechts keine Störung nachzuwei-
sen. Nach der Operation den ^^/lo war dagegen der untere
Facialis etwas paretisch und später bildete sich eine Parese
auch im obern Ast aus und die im untern Facialis-Gebiete
wurde ausgesprochener. Ein Blick auf die Figuren 2. 3. Taf
XXVII giebt eine genügende Erklärung dieser Störung.
VIII. IX. Vom Gehör und Geschmack wurden keine
Störungen nachgewiesen, ausgenommen Sausen und Läuten
vor den Ohren.
X. Normal.
XI. Die Stimme ohne Störung. Dagegen war eine
deutliche Parese in den rechten Mm. sterno-cleidomastoi'deus
und cucullaris vorhanden.
XII. Ohne konstante Störung. Die Zunge wich bis-
30
228 S. E. MENSCHEN. PATHOLOGIE DES GEHIRNS
weilen nach rechts, bisweilen nach links, aber gewöhnlich gar
nicht von der Mittellinie ab.
Sensibilitätsstörungen. Diese traten bald in Form
von RcizsyniptoDien. bald als Anästhesie auf. Und zwar waren
dabei sowohl Tast- als Temperatursinn betroffen. Als Parä-
sthesien vom Tastsinn also empfand Pat. Ameisenkriechen.
Vielleicht sind auch hierher die Empfindungen von Zuckungen
und das stechende Gefühl zu rechnen. Daneben empfand
Pat. oft Schmerzen in denjenigen Teilen, von welchen die
Anfälle ausgingen. Diese waren ausserdem oft der Sitz einer
schwirrenden Empfindung, von Taubsein und Kältegefühl. Wie
schon im Fall Wef auseinandergesetzt ist, werden wohl alle
diese Empfindungen als central entstanden aufgefasst. Aus
den daselbst erwähnten Gründen scheint mir eine solche An-
sicht betreffs des Kältegefühls und des Taubseins noch nicht
genügend festgestellt. Es lässt sich nämlich denken, dass
die schon beim Peginne eines Anfalls in dem peripherischen
Gliede entstandene vasomotorische Störung, welche die un-
mittelbare Folge der Reizung der centralen Rindenelemente ist,
sowohl die Vertaubung und das Ameisenkriechen, wie das
Kältegefühl hervorrufen könne. Dagegen ist es schwierig
zu fassen, wie ein intensiver ScJivierz nur durch vasomotorische
Störung entstehen soll, da, wie bekannt, solche vasomotorische
Störungen in den peripherischen Teilen sehr gewöhnlich ohne
Schmerzen verlaufen. Die die Anfälle einleitenden Schmerzen
dürften deshalb centrale Rindenschmerzen sein.
Was die Lokalisation dieser Parästhesien betrifft, so
gingen sie gewöhnlich vom rechte?i Oberschenkel. Knie oder
von der rechten Hüfte aus. Und schon bei den ersten An-
fällen anfangs August waren sie in derselben Weise lokalisirt.
In den letzten Monaten, als grössere Gebiete der Rinde und
des subkortikalen Marks zerstört waren, nahmen diese Parä-
sthesien ab und schwanden endlich anscheinend vollständig.
Nach der Operation begannen sie öfters im Arm, resp.
in der Hand.
Die Lokalisation zuerst im Schenkel und in der Hüfte
und erst später im Arm steht in vollem Einklang mit der
Lokalisation der Geschwulst; nachdem das Beincentrum zer-
stört war und die Geschwulst sich ausgedehnt hatte wurde
das Armcentrum, ja selbst das Gesichtscentrum gereizt.
Die Anästhesie war viel weniger ausgeprägt. Mitte
September, bei der ersten Untersuchung war der Tastsinn nur
wenig am rechten Beine herabgesetzt. Daselbst war auch
betreffs des Ortsinns und Temperatursinns nur eine gering-
fügige Störung nachzuweisen.
Nach der Operation, durch die gewiss das linke Sensi-
bilitätscentrum zerstört war, war die Anästhesie ausgeprägter,
die Sensibilität jedoch nicht ganz verschwunden. Pat. emp-
fand den "''/g stärkeres Kneifen und stärkeren Druck und
einen Tropfen kalten Wassers als kalt, aber später bei der
Prüfung den -^^/lo war die Sensibilitätsstörung des Tastsinns
kaum mehr nachweisbar und der Unterschied zwischen rechts
und links betreffs des Ortsinns und des Schmerzsinns nur
ein geringer. So verhielt es sich auch bei der Prüfung den
^■''/i». Und kurz vor seinem Tode, den ^/ 5, empfand Pat.
rechts schon eine leichte Berührung. Der Schmerzsinn war
ziemlich normal. Nur hinsichtlich des Ortsinns wurde eine
geringe Herabsetzung festgestellt. Da nun, wie die Figuren
gleich zur Hand geben, die obere Hälfte der Centraiwindungen
entweder an der Oberfläche oder im Mark zerstört war und
doch nur eine geringfügige Herabsetzung der Sensibilität
selbst kurz vor dem Tode vorhanden \\ar, so müssen andere
Teile kompensirend eingetreten sein, und zwar aller Wahr-
scheinlichkeit nach die homologen Teile der rechten Hemi-
sphäre. Andererseits beweisen die beim Beginnen der Anfälle
die Zuckungen einleitenden Parästhesien, dass die Sensibilitäts-
und Motilitätselemente zu einander in innigster Beziehung
stehen. Da eine kleine, nur einige Millimeter oder Centimeter
messende Geschwulst in der Rinde in demselben Punkt lo-
kalisirte Parästhesien und Zuckungen hervorruft, so vüissen
die Sensibilitäts- und Motilitätscentren einander mehr oder
weniger vollständig decken.
Perverse Sensibilität wurde wiederholt beobachtet, indem
eine Berührung mitunter, wie am ^''10 die Empfindung von
Stechen hervorrief
Der Muskelsinn blieb lange normal und wurde erst spät
betroffen, ungeachtet des frühzeitigen Ergriffenseins des Parie-
tallappens.
Motilitätsstörungen. Die vorhandenen Motilitäts-
störungen sind denen der Sensibilität überhaupt sehr analog.
Die Reiz- und Lähmungs-Symptome miscliten sich unter einan-
der. Sie waren fast immer auf die rechte Seite beschränkt.
Nur einmal ist es bemerkt, dass es an der Aussenseite des
linken Schenkels zuckte.
Reizsymptome. Die Reizsymptome begannen gewöhnlich,
wie die Parästhesien, in der rechten Hüfte oder im rechten
Oberschenkel oder Knie, erstreckten sich dann durch die rechte
Seite nach oben hin, um im Arm oder im Gesicht aufzuhören.
Bisweilen entstanden keine ausgeprägten Zuckungen, sondern
nur eine tonische Kontraktion; gewöhnlich aber äusserte sich
der Reizzustand durch starke Zuckungen. In der späteren
Zeit gingen die Zuckungen oft vom Arm aus, aber noch in
der letzten Zeit, den ''/f,, also zehn Tage vor dem Tode, traten
noch kramphafte Zusammenziehungen im rechten Bein auf
Ein Blick auf die Figuren genügt, um zu überzeugen, dass
diese Zusammenziehungen nicht von dem zerstörten linken
Rindencentrum ausgehen konnten, sondern wahrscheinlich
von dem centralen Ende der noch erhalten gebliebenen
motorischen Fasern.
Die paretischen Symptome waren schon anfang August
1894 bei den ersten Anfällen ausgesprochen. Mitte September
war die Paralyse des rechten Beins vollständig. Im rechten
Arm bestand nur eine Parese. Nach der Operation, bei der
das Beincentrum wahrscheinlich weggeschnitten wurde, konnte
Pat. jedoch die verschiedenen Gelenke des rechten Beines be-
wegen und später trat selbst den 10 eine Besserung ein,
aber zulezt war besonders der rechte Arm vollständig ge-
lähmt, während Pat. das Bein ein wenig beugen konnte. Im
Rumpf bestand dann keine deutliche Paralyse. In Anbetracht
der Zerstörung der Centren für Bein und Arm, sowie auch
anscheinend des Rumpfes, können diese Phänomene nur durch
die bilaterale Innervation erklärt werden. Damit steht in
ZUR EXSTIRPATION DER HIRNTUMOREN
229
vollem Einklang, dass Fat. schon frühzeitig bemerkt hatte
dass mich die linkseitigen Gliedmaassen auffallend geschzväcJit
waren. In Anbetracht der unbedeutenden Kompression der
rechten Hemisphäre muss diese Schwäche von dem Ausfall
der tonischen Innervation der linkseitigen Glieder von den
Rindenelementen der linken Hirnhemisphäre aus erklärt
werden.
Fall 21. Eri
6i Jahre.
Klinische Diagnose: Tumop eepebri luetieus cum epilepsia.
Zusammenfassung: Die 6 1 -jährige Wittwe zeigte vor
mehr als vier Jahren syphilitische Geschwüre an der Zunge
und hatte ein syphilitisches Halsleiden. Sie litt dann viel an
Kopfschmerz und Schlaflosigkeit. Wurde von einem Trauma
an dem Kopf betroffen. Seit etwa drei Wochen verminderte
sich das Sehvermögen, besonders auf dem linken Auge, und
das Gehör wurde links schlechter. Den "^/H 1893 brachen
während des Schlafes epileptiforme Konvulsionen aus. Die
Trepanation wurde in extremis ausgeführt, als der Tod schon
drohte. Die in den Centraiwindungen gesuchte Geschwulst
wurde nicht getroffen, die Konvulsionen wurden zwar milder,
aber die Fat. starb am folgenden Tage an Erschöpfung unter
hoher Temperatursteigerung.
Der Fall zeigt, dass begrenzte Zuckungen bei Zusammen-
löthung der Fia und Dura durch eine Geschwulst nicht noth-
wendig eine Lokalisation in den Centraiwindungen beweisen.
Anamnese. Fat. wurde in bewusstlosem Zustand unter
wiederholten epileptiformen Konvulsionen ins Krankenhaus ge-
bracht, weshalb eine genaue Untersuchung, besonders hinsicht-
lich aller subjektiven Symptome nicht vorgenommen werden
konnte. Die anamnestischen Daten wurden zum Teil erst später
nachgeholt. In Folge dessen und, da der Fall ein hauptsächlich
negatives Interesse darbietet, wird die Krankengeschichte nur
in verkurtzer Form hier angeführt.
Der Vater war Alkoholiker und unordentlich in der Lebens-
weise. Eine neuropathische Belastung in der Familie kann sonst
nicht nachgewiesen werden. Sowohl in der Jugend, wie nach
ihrer Verheiratung führte Fat. ein nicht immer untadelhaftes
Leben und war auch etwas dem Trünke ergeben. Wann sie
Lues erworben hatte, ist nicht bekannt. Vor zwanzig Jahren
machte sie ein schweres rheumatisches Fieber durch und von
dieser Zeit datirt sich eine allmählich sich entwickelnde Atrophie
des linken Armes und der linken Hand. Sonst war sie immer
gesund und kräftig.
Vor etwas mehr als 4 Jahren hatte sie grosse Geschwüre
an der Zunge und später ein Halsleiden mit starken Schluck-
beschwerden. Unter geeigneter Behandlung wurde sie allmählich
gesund. In den letzten Jahren hat Fat. oft an Kopfschmerz und
Schlaflosigkeit gelitten. Vor etwa drei Jahren zog Fat. sich ein
Trauma am Scheitel durch ein fallendes Büchergestell zu. Das
Trauma war sehr heftig und rief eine nicht unbedeutende Blutung
Von gewissem Interesse war, dass bisweilen beim Ver-
suche, das paretische rechte Bein zu bewegen, Mitbeiucgiingen
im rechten Arm entstanden wie im Status Mitte September
bemerkt ist.
Die vasomotorischen und trophischen Störungen sowie
das Verhalten der Reflexe bieten wenig Lehrreiches oder
Neues dar.
:a Peterson.
Wittwe.
Anatom. Diagnose: Gumma in den ersten Fpontalwindung und
an dem Chiasma.
hervor. Nach diesem Trauma nahm der Kopfschmerz bedeutend
zu und Fat. war oft gezwungen, deswegen das Bett zu hüten,
selbst längere Zeit. Der Kopfschmerz war /;/ der Stirn oder im
Scheitel lokalisirt und war immer stärker links. Besonders hat
Fat. das letzte Jahr an Kopfschmerz gelitten und glaubte oft,
dass sie in Folge dessen des Verstandes beraubt werden würde.
Vor drei Wochen bekam sie nach einer anstrengenden Ar-
beit und durch Erkältung einen solchen Anfall vom schwerem
Kopfschmerz. Sie musste sich zu Bett legen, ihre Kräfte nahmen
sehr ab, und sie litt viel an Schlaflosigkeit. Der Schmerz hatte
seinen Sitz auf der linken Seite. Sie hatte keine Hallucina-
tionen oder Farästhesien, aber sie war für Geräusche sehr emp-
findlich. Das Sehvermögen verminderte sich in hoh^m Grade,
besonders auf dem linken Auge, so dass Fat. in der letzten Zeit
mit diesem Auge selbst eine Lampe nicht mehr sehen konnte.
Ob Hemianopsie vorhanden gewesen, ist ungewiss.
Gleichzeitig wurde das Gehör auf dem linken Ohr schlechter
und Fat. wurde schhesslich auf dieser Seite ganz taub. Sie litt
auch oft an Sausen in den Ohren. Übrigens sollen weder Sensi-
bilitäts-. noch Motilitätsstörungen vorhanden gewesen sein. Keine
merkbare Schwäche oder Kontraktur war im linken Arm oder
Bein wahrgenommen worden und keine Zuckungen waren je
vorhanden.
Nach post mortem und auf Veranlassung des Sektionbefun-
des gemachten Nachforschungen ergab sich Folgendes:
I. Der Geruch war während der letzten i — 2 Jahre sehr
vermindert Fat. war auch von einem hartnäckigen Schnupfen
belästigt und die Nase war immer verstopft.
II. Das Gesichtsvermögen wurde auch in dem letzten fahre
bedeutend verschlechtert. In dem letzten halben Jahre konnte
Fat. nur mit Schwierigkeit schreioen und zuletzt war sie auf dem
linken Auge völlig blind und die Sehschärfe auf dem rechten sehr
herabgesetzt. Nur nach wiederholten Versuchen konnte sie ein
Licht anzünden und sie erkannte ihre Umgebung nur durch die
Stimmen.
Nach dem Tode des Mannes, vor 4 Jahren, sah sie oft
ihren Mann am Bette sitzen. Diese Hallucinationen verschwan-
den später. In der letzten Zeit sah sie oft. bei den Anfällen
von Kopfschmerz Sterne und Flammen vor den Augen. Ob sie
lokalisirt waren, weiss man nicht. Im Schlaf sprach sie oft
mit sich selbst.
Am 22. November 1893 war sie auf und beschäftigte sich
230 S. E. HEXSCHEX. PATHOLOGIE DES GEHIRNS
mit allerlei im Zimmer. Am 2j. JVozcmbcr Morgens bemerkte
die Tochter, dass die Mutter im beii'usstlosen Zustande mit ge-
ivaltsamen Zuckungen im ganzen Körper im Bette lag. Der
Kopf war nach hinten gebeugt. Die Augenlider offen, die
Augen nach vorn gerichtet mit deutlicher Divergenz. Der Mund
war nach links hinüber gezogen und sie führte Kaubewegungen aus.
Nach einer halben Stunde hörte der Anfall auf. Der rechte
Mundwinkel erschlaffte und Pat. luar im linken Arm und Bein
gelähmt und bewusstlos. Um 6 Uhr 45 Min. Vorm. bekam sie
einen neuen epileptischen Anfall, der Kopf und die Augen wurden
nach links gezogen, die Zuckungen fingen im Gesicht an und
verbreiteten sich auf den linken Arm und das linke Bein.
Am Vormittag kehrte das Bewusstsein zum Teil zurück.
Auf Anreden antwortete sie immer nur: ja. später am Tage er-
kannte Pat. die Umgebung und antwortete richtig, aber nur mit
einem Ja oder Nein.
Am Abend um 9 Uhr trat ein neuer Anfall ein. Um 12
Uhr 30 Min. in der Xacht hatte sie Anfälle alle 3 bis 5 Mi-
nuten bis um 3 Uhr. Jeder Anfall dauerte 3 Minuten. Zuckungen
in den Beinen waren nicht vorhanden.
Am 24. November fingen die Anfälle um 11 Uhr 30 Min.
Vorm. an und wiederholten sich jede Viertelstunde. Vor jener Zeit
war sie klar im Kopf und klagte nur über Stechen in der linken
Ferse. In der Mittagszeit wurde sie in's Krankenhaus gebracht.
Status praesens den
Kräftiger Körper.
Subjektive Symptome.
Pat. leidet an schwerem Kopfschmerz, welchen sie in die linke
Seite und in die Stirn verlegt. Sonst hat sie keine Schmerzen,
kein Erbrechen.
Objektive Untersuchung.
Psyche: Pat. ist abwesend, liegt meist in umnebeltem Zu-
stande, mitunter kehrt das Bewusstsein zwischen den Anfällen
einigermaassen zurück. Sie erkennt dann die Umgebung und
spricht mit Bekannten. Ihr Gedächtniss scheint dann nicht sehr
schlecht zu sein.
Aphasie scheint iiicht vorhanden zu sein, obschon sie nur
ja und nein sagt.
Kranialnerven. I. Geruch nicht zu untersuchen.
II. Nach Angabe blind auf dem linken Auge und die Seh-
schärfe scheint auf dem rechten bedeutend herabgesetzt zu sein.
Hemianopsie nach rechts dürfte auf dem rechten Auge bestehen.
Die ophtalmoskopische Untersuchung ergab kein Resulut. weil
die Cornea in Folge von Epithelablösung bedeutend trübe war.
III. rV. VI. Iris Stork getrübt. Die Augen sind zwischen
den Anfällen nach rechts abgelenkt mit gelinder Konvergenz. Bei
den Anfällen weichen sie nach links ab. Pat. fixirt ein Licht nicht.
Die Pupillen sind sehr klein, gleich gross, reagiren unbe-
deutend auf Licht. Keine deutliche hemiopische Reaction.
V. Die Empfindlichkeit scheint links etwas herabgesetzt zu
sein, denn Pat. reagirt nicht so leicht links bei Berührung oder
Nadelstichen wie rechts.
Zwischen den Anfällen besteht eine linkseitige Faci-
alisparese. Die Augenlider werden beiderseits vollständig ge-
schlossen.
VIII. Gehör fehlt vollständig auf dem linken Ohre.
IX. Geschmack nicht zu untersuchen.
X. Das Athmen ist zwischen den Anfallen normal, wäh-
rend der Anfälle sehr unregelmässig in Folge von Krampf in
den Rumpfmuskeln.
Der Puls ist regelmässig und sehr voll. 120.
XI. Die Stimme nicht verändert.
XII. Ob die Zunge abweicht, ist ungewiss. Die heraus-
gezogene Zunge zeigt am linken Äande ein i cm. grosses Ge-
schii'ür mit grauweissera Belag.
Sensibilität.
Wegen der Bewusstlosigkeit der Pat. kann eine L'ntersuch-
ung nicht vorgenommen werden.
Motihtät.
Pat ist am linken Arm und Bein vollständig gelähmt: die
rechte Seite ist normal.
Reßexe: Die Kubitalrefle.xe sind links vermehrt. Beim
Schlagen auf den linken L'nterarm entstehen idiomuskuläre Kon-
tracktionen. aber nicht rechts.
Patellar refl exe an keiner Seite nachzuweisen.
Blase: Der Harn geht in's Bett.
Vasomotorische Störung. Die linke Körperhälfte ist etwa
Grad wärmer als die rechte.
Innere Organe: Herz ohne Befund.
Lungen ohne Besonderes.
Der Harn enthält weder Eiweis. noch Zucker, spec. Gew. 1.020.
Die Gifässe sind nicht sklerotisch.
Tagesaufzeichnungen.
Den Pat. hat. epileptische Anfälle ungefähr jede
Viertelstunde, die Anfälle dauern eine bis zwei Minuten. Pat.
reagirt nicht auf Anreden. Der Anfall fängt damit an, dass die
Augen nach links, zuerst nach oben und dann nach unten rotirt
werden. Der Kopf ist nach links abgelenkt. Der linke Muse,
stemomastoidens wird stark gespannt, das linke Auge schliesst
sich und der linke Mundwinkel wird nach oben und links ge-
zogen. Dann treten heftige Zuckungen im ganzen Gesicht ein,
bedeutend Storker in der linken Gesichtshälfte. Kaubewegungen.
Die Zuckungen verbreiten sich in der linken Seite über Hals,
Nacken. Rumpf, linken Arm und linkes Bein. Bei gewaltsame-
ren Anfällen werden auch der rechte Arm und das rechte Bein
ergriffen. Zwischen den Anfällen sind die Augen nach rechts
abgelenkt, mitunter ein deutlicher Nystogmus.
Zu Mittag wiurden \üer Schröpfköpfe in den Nacken gesetzt.
Reichliche Blutung.
Den ^^/ii. In der Nacht Anfälle alle 20 Minuten. Die
Anfälle wie oben beschrieben. Am Tage dauerten die Anfälle
fort und nach acht L'hr Vormittags gingen die Anfälle in ein-
ander über. 9 Llir Vorm. Gesicht und Lippen sind stark cy-
anotisch. die Augen injicirt, das Athmen unregelmässig. Der
Puls ist klein, unregelmässig, 140 bis 150. Temperatur im Rec-
tiun 39.4. in der linken Axilla 38.9 und in der rechten AxiUa 38.5.
IG Schröpfgläser dunkelrothen Blutes wurden entleert. 12
Uhr Mittags. Der Status epilepticus dauert fort und der Zustand
ZUR EXSTIRPATION DER HIRNTUMOREN
231
ist sehr schlimm. Man entschloss sich zur Trepanation, um wo
mögUch Pat. zu retten. Die Diagnose wurde auf einen luetischen
Tumor in oder in der Nähe der Mitte der Centralw ndungen
gestellt.
1893 ^^/ii. Operationsbericht.
Narkose wurde nicht angewendet.
12 Uhr 45 Min. Nachm. Die Incision wurde nach Desin-
fection gemacht. Die Galea löste sich gleich.
12 Uhr 52 Min. Die erste Trepanscheibe herausgenommen.
Geringe Blutung. Schädel ziemlich dick, aber von loser Kon-
sistenz. Die blossgelegte Dura war mässig gespannt, selbst wäh-
rend der Anfälle. Bei Reizung mit einem sehr starken Fara-
dischen Strom im linken Teile der Trepanationsöffnung entstand
tonischer Krampf und starke Beugung mit Pronation des linken
Unterarmes. Im vorderen Teile entstanden Zuckungen des Mus-
culus sternocleidomastoideus.
I Uhr 5 Min. Die Dura wurde durchgeschnitten. Die
Hirnoberfläche buchtet sich stark hervor, ist bedeutend injicirt,
zeigt ein geringes Oedem zwischen den Gyri. Die Fläche pul-
sirt stark. Elektrische Reizung mit demselben Resultate. Das
Trepanloch liegt entsprechend der Mitte der hinteren Centrai-
windung.
I Uhr 8 Min. Eine neue Trepanation, gerade nach oben
gegen die Mittellinie hin.
Die Zwischenzeiten zwischen den Anfällen sind jetzt be-
deutend länger als vor der Operation. Die Zuckungen sind jetzt
stärker im linken Bein als im linken Arm.
I Uhr 14 Min. Ein Anfall fing im linken Daumen an
und verbreitete sich auf Arm und Bein.
I Uhr 15 Min. Reizung in dem neuen Trepanloch mit
Dorsalflexion der Hand.
I Uhr 16 Min. Puls 140 (160 vor der Operation). Das
Gehirn ist eingesunken.
I Uhr 17 Min. Ein Anfall, auf das Gesicht beschränkt.
Die Pupillen etwas grösser als früher.
I Uhr 19 Min. Anfall mehr im linken Beine.
I Uhr 20 Min. Anfall im Gesicht, beginnend mit Rotation
der Augen nach rechts und Kontraktion der Pujaillen. Reizung
im untern Teil des oberen Trepanlochs: isolirte Dorsalflexion
des Daumens. Im oberen Teil ebenso nebst Kontraktion des
Biceps. Etwas weiter nach vorn zwischen den beiden Trepan-
löchern: Dorsalflexion der radialen Handseite.
I Uhr 22 Min. Anfall im linken Augenlid. Die Respira-
tion bedeutend gebessert. Der Puls sehr schwach, 130 bis 140.
I Uhr 26 Min. Anfall nur im Gesicht.
I Uhr 27 Min. Reizung am unteren Rande der Öffnung.
Kontraktion des Muse, flexor pollicis.
I Uhr 29 Min. Ein 4 cm. langer Duraspatel konnte ohne
Hinderniss unter der Dura nach allen Richtungen herumgeführt
werden.
I Uhr 35 Min. Anfall nur im Beine, Puls 120.
I Uhr 40 Min. Eine neue Trepanscheibe wurde nach hin-
ten und unten von der ersten herausgenommen.
I Uhr 46 Min. Anfall mit Augenablenkung nach rechts
und dann gerade nach vorn. Zwischen den Anfällen sind die
Augen nach links gerichtet, also ganz im Gegensatz mit früher.
I Uhr 47 Min. Anfall mehr im Beine. Bei Reizung in
dem unteren Trepanloche keine Zuckungen, auch nicht an der
Grenze zwischen den beiden untern.
1 Uhr 52 Min. Die Dura wurde zusammengenäht.
2 Uhr. Die Trepanscheiben, in Kochsalzlösung aufbe-
wahrt, wurden eingelegt und die Haut zugenäht.
Pat. verrieth während der ganzen Operation kein Zeichen
von Bewusstsein, weshalb keine Narkose angewendet wurde.
Sie wurde durch Kampher und Kochsalzlavement von 40" Gels,
stimulirt.
Schon während der Operation wurden die Anfälle geringer
an Freqnenz und Intensität, besonders im linken Ann und Bein.
Die Cyanose verschwand, die Respiration wurde in hohem Grade
gebessert und der Fuls langsanier.
5 Uhr Nachm. AllmähHch hörten die Anfälle im linken
Arm und Bein auf und sie beschränkten sich auf dass Gesicht.
Die Anfälle wurden spärlicher, die Halsmuskeln nahmen nicht
mehr daran Teil. Die Augen sind nach vorn gerichtet und nur
die Zuckungen im linken Mundwinkel und die Kaubewegungen
dauern fort. Der Puls klein, unregelmässig, 140. Ordin. Kam-
pher und Aether.
5 Uhr 45 Min. Temperatur in Rectum 40.4; in der lin-
ken Achselhöhle 39.9, in der rechten Achselhöhle 39.5. Die Re-
spiration regelmässig, 42.
7 Uhr. Die Augen deviiren nach rechts. Kochsalzlavement.
9 Uhr. Nur schwache Zuckungen in den Masseteren. Sonst
keine Zuckungen. Linke Gesichtshälfte wenig paretisch. Bei
wiederholten Kampher-Injectionen wie bei Einträufeln von Bor-
säurelösung in die Augen reagirt Pat.
Den ^®/n. Stimulation. Zustand unverändert.
7 Uhr 30 Min. Vorm. Keine Zuckungen.
IG Uhr. Vollständig bewusstlos. Reagirt beim Einträufeln
von Tropfen. Respiration ruhig und regelmässig. Der Puls 150,
kaum zu fühlen, unregelmässig.
8 Uhr Nachm. Zustand unverändert. Keine Zuckungen,
Puls 160.
1893 ^''/ii. 12 Uhr Mitternacht verschied Pat. ruhig, ohne
dass das Bewusstsein zurückgekehrt war.
Temperatur-Tabelle.
Nov. Uhr Rect. L. axilla R. Axilla Unterschied
39-4" s^-g" 38.5°
25. 9.30 Vm. 39.4« 38.9O 38.5» + 0.4O
11.45 » - 38-6" 38..° +0.5°
Operation.
— 5-45 Nm.
— 8 »
26. 7.30 Vm.
— 1 2 Mitt.
— 7 Nm.
40.4
40.3"
40.5"
40«
40.2°
39-9"
39-7°
40.1°
39-7^
39-9''
39-5"
39.3"
40"
39-6°
39-5°
-1- 0.4"
+ 0.4°
+ o.i«
+ o.i«
- 0.4«.
Sektion den 28. November 1893.
Von Herrn Prof. Dr. Hedenius.
Der Schädel ist symmetrisch und hat im rechten Parietal-
bein drei dicht an einander liegende Trepanlöcher, welche fast
das ganze Parietalbein einnehmen.
Die Trepanscheiben fallen von selbst aus.
Die Dura ist über der Trepanationsstelle mit einer dun-
232
S. E. HENSCHEN. PATHOLOGIE DES GEHIRNS
kelbraunen blutigen halbkoagulirten Masse und Suturen durch-
zogen. Das ist auch der Fall an der Innenseite. Vorn ist die
Dura mit der Rinde der GcJiirns ziiscimnieiige'ivachsen und kann
nicht von ihr gelöst werden, ohne dass die Rinde der ersten
rechten Frontalwindung mitfolgt. Die Rinde ist hier aufgelockert.
Die Pia sonst ohne Veränderung. Ihre Gefässe blutgefullt.
Die Pia an der Basis des Gehirns ohne Veränderungen.
Die rechte Hemisphäre.
der ersten Frontahvindung am Übergange zwischen der
lateralen und orbitalen Fläche liegt in der Margo falcata eine
gelbliche lose, im Centrum zerfliessende, aber in der Peripherie
feste Gescimndst von rundlicher Form und scharf begrenzt. Sie
misst von oben nach unten 2^2 cm., von
vorn nach hinten i cm. und löthet die
Rinde und die Pia mit der Dura zusam-
men. (S. Figur.)
Entsprechend dieser Geschwulst ist das
Orbitaldach in seinem vorderen mittleren
Teil ulcerirt und von einer graurothen
Farbe in einer Ausdehnung von 2 cm. +
I cm. Medial vor dieser Partie hat der
Knochen bis zur Lamina cribrosa und nach
oben bis einige cm. nach hinten vom Sinus
frontalis eine unebene eingesunkene Fläche
und eine stark blaurothe Farbe. Der Si-
nus frontalis enthält eine dünne eiterähn-
liche Flüssigkeit.
Unten und nach vorn vom ' Chiasnia
nervorum opticorum findet sich zwischen den beiden Sehnerven
und ein wenig mehr nach der linken Seite hin eine Geschwulst
von etwa i cm. Durchmesser, die von einer festen Kapsel um-
geben ist und einen gelbgrünen, eiterähnlichen Inhalt hat. Aus-
serdem waren die Stria olfactoricc mit der Basis cranii zusam-
mcngelöthet. Das Chiasma selbst blieb frei, wie auch die Seh-
nerven.
Die Gehirnsubstanz und die Rinde zeigten übrigens keine
Veränderungen. Die AVindungen waren nicht abgeplattet und die
Furchen deutlich.
Kleinhirn und Medulla oblongata ohne Veränderungen.
Übrige Organe.
Herz: Beide Ventrikel sind an der Innenseite gelblich und
das Myokardium schlaff, missfarbig. Alle Klappen sind normal.
Das Herz misst an der Basis 12 cm. und in der Länge 11 cm.
Aorta: An der inneren Fläche finden sich einige kleine
Kalkschollen und Fettusuren.
Lungen: Beide Lungen stehen in Inspirationsstellung. In
den Bronchien vermehrte Flüssigkeit. Die rechte Lunge im un-
tern Teil stark ödematös.
Milz: Atrophisch.
Nieren: Die Nieren im Ganzen recht schlaff, sonst ohne
Veränderung.
Magen und Darmkanal ohne bemerkenswerthe Veränder-
ungen. Leber von gewöhnlicher Grösse.
Rachen. Die hintere Wand des Rachens ist mit einer gel-
ben, eiterähnlichen Flüssigkeit belegt.
Zunge. Am linken Rande der Zunge finden sich einige
cm. nach hinten von der Spitze in der Schleimhaut //«//f Knöt-
chen und zwischen ihnen ein Gesehwi/r mit rothem sinuösen
Rande.
Sonst nichts Bemerkenswerthes.
Epikrise.
Diagnose: Da Pat. bei der Aufnahme in das Kranken-
haus keine Auskunft über ihren Zustand geben konnte und
ihre Familie aus leicht zu erklärenden Ursachen ihre hietische
Infektion nicht zugestehen wollte, so lag nur ein Verdacht
darauf vor, bis die herausgezogene Zunge das auch bei der
Sektion angetroffene luetische Geschwür zeigte. Die später
aufgenommene Anamnese stand mit dieser Annahme in
vollem Einklang. Schon vor mehr als vier Jahren hatte
Pat. an der Zunge grosse Geschwüre und später ein Hals-
leiden derselben Art. Der in der letzten Zeit vorhandene
schwere Kopfschmerz, der Ausbruch der vorhandenen epi-
leptischen Konvulsionen, die angegebene Blindheit auf dem
linken Auge, Alles stimmte mit der Annahme, dass eine Hirn-
geschwulst vorlag. Und für die Annahme, dass diese luetischer
Natur war, sprachen auch die erwähnten Symptome ganz
besonders.
Sitz der Läsion. Schwieriger war es, die Lokalisation
zu bestimmen, besonders da die oben mitgeteilte Anamnese
zum Teil erst später bekannt wurde. Bei der Aufnahme litt
Pat. an linkseitiger Parese. Nach Angabe hatte sie früher
bisweilen an Paräsihesien oder Schmerzen in der lijiken Hand
und im linken Unterschenkel, sowie an Stechen in der linken
Ferse gelitten. Die Angaben hierüber waren jedoch unzu-
verlässig. Bei einem Versuch, die Protospasmen für die Dia-
gnose der Lokalisation zu verwerthen, wurde es nachgewiesen,
dass diese bisweilen im Gesicht, bisweilen im Arm oder
Bein angefangen hatten. Im Ganzen hatten die Konvulsionen
dieselbe Form wie bei der genuinen Epilepsie, Am gewöhn-
lichsten fingen sie doch im Gesicht an und manchmal waren sie
auf diesen Teil beschränkt. Unter solchen Umständen wurde
die Diagnose auf eine luetische Geschwulst in oder in der
Nähe der Mitte der Centraiwindungen gestellt. In Anbetracht
der mangelhaften Anamnese und der Unmöglichkeit, von der
Pat. selbst etwas zu erfahren, wurde zwar die Lokaldiagnose
als unsicher betrachtet und eine Operation v\'urde nur als
ultimum refugium vorgenommen, da weder Blutentziehungen,
noch andere Mittel im Stande waren, den Status epilepticus
abzubrechen.
Operations-Erfolg. Trotzdem, dass drei Trepankronen
angebracht wurden, wurde die Geschwulst nicht getroffen,
und die Operation desshalb abgeschlossen. Während der
Operation schien es, als ob die Zuckungen an Intensität und
Ausbreitung abnähmen. Die Respiration und der Puls besserten
sich, die Temperatursteigerung aber dauerte fort und erreichte
selbst 40.5. Der Puls wurde allmählich schwächer und Pat.
starb deutlich an Erschöpfung der Kräfte und Lähmung des
Gehirns.
Obschon die Operation also von therapentischem Ge-
sichtspunkte aus als misslungen betrachtet werden muss, so
ergab sich daraus doch die lehrreiche Thatsache, dass selbst
ZUR EXSTIRPATION DER HIRNTUMOREN
233
bei begrentsten Konvulsionen der Krankheitsherd nicht immer
in den Centrakvindungen lokalisirt ist. Keine Reizung der
übrigen Sinnesflächen ging in diesem Fall den Konvulsionen
vorher. Die Ursache der fehlerhaften Diagnose liegt ohne
Zweifel darin, dass in diesem Falle die GescJizoulst die Rinden-
fläcJie mit der Dura zusammenl'öthete . Ohne Zweifel hatte
diese Zusammenlöthung längere Zeit fortbestanden, ehe der Sta-
tus epilepticus zum Ausbruch kam. Die in dieser Zeit vor-
handenen schweren Kopfschmerzen waren gewiss ein Aus-
druck nicht nur einer Periosteitis sondern müssen auch als die
direkte Folge der durch die pulsatorischen Hirnbewegungen
stattfindenden Zerrung der Pia betrachtet werden. Diese
Reizung rief ohne Zweifel eine Hyperästhesie der Hirnrinde
hervor und pflanzte sich zu den Centraiwindungen fort. Und
dadurch entstanden die epileptischen Konvulsionen. In einem
ähnlichen Falle habe ich gesehen, wie eine kleine tuberkulöse
Geschwulst, welche die zweite temporale Windung mit der
Dura zusammenlöthete, einen Status epilepticus hervorrief
und den Tod verursachte, ohne dass die Ursache der Konvul-
sionen ante mortem erkannt wurde.
Elektrische Versuche. Die Versuche in der ersten Trepan-
öfifnung von der Aussenfläche der Dura und von der blo.ss-
gelegten Rinde aus ergaben dieselben Resultate. Im zweiten
Loch, welches gerade nach oben gegen die Mittellinie hin
geöffnet wurde, gab die Reizung eine Dorsalflexion der Hand,
während die Reizung im untern Loche Krampf und Beugung
des linken Unterarms gegeben hatte. Im oberen Teil des
zweiten Trepanloches entstanden Kontraktionen des Biceps.
Bei der Zusammenstellung aller Reizversuche von der blos.s-
gelegten Oberfläche aus findet man, dass die Bewegungen auf
die Hand oder den Unterarm beschränkt waren, obschon die
blossgelegte Fläche fast 6 cm. in der Ausdehnung mass.
Von der letzten Öffnung, welche nach unten und hinten ge-
legen war und also ohne Zweifel den untern ParietallapiDen
blosslegte, waren keine Bewegungen auszulösen. Diese P2r-
fahrung spricht dagegen, dass von diesem Lappen Augen-
bewegungen innervirt werden, und besonders die conjugirte
Augenablenkung.
Fall 22. Jenny Ullven.
30 Jahre ait.
Klinische Diagnose: Tumor eerebelli (?)
Zusammenfassung: Die 30-jährige Pat. erkrankte
Aug. 1893, ohne bekannte Veranlassung, an Erbrechen, und
dann wurde das Gehör links herabgesetzt. Jan. 1894 Influ-
enza, in Febr. Kopfschmerz, Schwindel und Ataxie immer
nach links, sowie Ameisenkriechen im linken Oberschenkel.
Die Sehschärfe nahm ab, Stauungspapille und Blindheit ent-
wickelte sich. Keine Sensibilitätsstörung. Parese der Augen-
muskeln. Gehör, Geruch und Geschmack wurden herabgesetzt.
Nach der Palliativtrepanation und Abrasion der Rinde
des oberen rechten Parietallappens trat subjektive Besserung
ein. Nach 3 Monaten Verschlechterung. Kurz vor dem Tode
kam das Sehvermögen zurück. Tod etwa 5 Monate nach
der Trepanation. Die Operation verlängerte wahrscheinlich
das Leben und ermässigte wenigstens zeitweise die belästi-
genden Symptome.
Anamnese: Keine hereditäre Belastung. Der Vater lebt,
70 Jahre alt. Eine Schwester starb an Lungenschwindsucht.
Pat. lebte stets unter guten hygieinischen Verhältnissen. Aus-
genommen, dass sie die Masern durchgemacht hatte, und im
Alter von 16 Jahren an Bleichsucht litt, war sie bis zum Aus-
bruche der gegenwärtigen Krankheit immer kräftig und gesund.
Sie kann eine Ursache der Krankheit nicht angeben. Sie
wurde nie von Trauma am Kopf betroffen, litt nie an heftigen
Gemüthsbewegungen; Lues und Alkoholmissbrauch werden verneint.
In August iSpj fing die Pat. an, an wiederholtem Erbrechen
zu leiden. Es trat besonders des Morgens, gleich nach dem Er-
wachen, ein, aber Pat. fühlte sich sonst gut. Zu dieser Zeit soll
sie nicht Kopfschmerzen gehabt haben, fühlte sich aber bisweilen
kalt und unwohl.
In September 1893 bemerkte sie, dass das Gehör auf dem
linken Ohr herabgesetzt war und Sausen und Klingeln traten im
Ohre auf. Seit dieser Zeit wurde das Gehör allmählich ge-
schwächt. Kein Ausfluss oder andere Krankheit in diesem Ohr.
Im Januar 1894 hatte sie die Influenza. Sie wurde schwach
und müde. Litt mitunter an Kopfschmerzen, welche sie in Stirn
und Schläfe verlegte. Nach einer Woche genas sie. Aber im
Februar kamen Kopfschmerz sowie Übelkeit, Erbrechen, Sclnci/i-
del, Beklommenheit zurück. Ih' Gang begann schioankend zu wer-
den, und zwdiX \mmev nach links. 1)3,5 linke Bein wn^de sc/naächcr
als früher, und Pat. fühlte oft Ameisenkriechen im litiken Ober-
schenkel.
Anfang März nahm die Sehschärfe ab, und zwar erst auf
dem linken Auge und bald nachher auch auf dem rechten. Alles,
was Pat. sah, schien ihr undeutlich und trübe zu sein. Sym-
ptome von Hemianopsie traten jedoch nicht ein. In Folge dessen
wurde sie Ende März in das Seraphimer-Lazaret in Stockholm
aufgenommen und daselbst vom 21. März bis zum 13. Mai be-
handelt.
Status praesens d. '"Ii 1894. (Auszug.)
Pat. ist auf. Schlaf gut. Puls 80, regelmässig.
Subjektiv leidet Pat. an Kopfschmerz, welcher bisweilen ge-
linde ist, oft aber bedeutend zunimmt und überhaupt immer
vorhanden ist. Er ist von dumpfer Art, tiefsitzend und nicht be-
stimmt lokalisirt. Sie klagt auch über Herabsetzung des Sehver-
mögens, über Schwierigkeit zu gehen, und besonders, dass das
linke Bein sie nicht tragen will. Sie hat kein Schwindelgefühl,
noch Erbrechen oder Übelkeit mehr. Parästhesien oder Hallu-
cinationen sind nicht vorhanden.
234 S. E. HENSCHEN. PATHOLOGIE DES GEHIRNS
Objektive Untersuchung.
Sie hat keine Empfindlichkeit bei Druck auf dem Kopf.
Psyche. Ihr Gesichtsausdruck ist eigenthümlich fragend
und ahc'csend. Ihre Auffassung und ihre Urteilskraft sind gut,
wie auch das Gedächtniss, aber ihre Stimmung ist gedrückt.
Aphasie ist nicht vorhanden.
Kranialnerven. I. Geruch, völlig normal.
II. S. R = 0.5. S. L. == o.i. Die Gesichtsfelder sind un-
regelmässig beschränkt (Karte). Die ophthalmoskopische Unter-
suchung ergab, dass beiderseits eine ausgeprägte Stauungspapille
vorhanden war. Die Papille ist angeschwollen, grauroth, un-
durchsichtig, streifig mit diffusen Grenzen. Die Arterien schmal,
die Venen dunkelgefärbt, geschlängelt und erweitert. Die Schwel-
lung der Papillen misst 6 Dioptrien.
III. IV. VI. Die Bewegungen der Augen sind normal;
Pat. hatte nie Doppelbilder. Die /^//////f« sind stark f/ a-'^Vcr/ und
reagiren unbedeutend auf Licht, etwas mehr bei der Accomodation.
Keine Störung wurde bemerkt.
VII. Normal. VIII. Gcliör rechts normal, links liört sie
nicht eine unmittelbar auf das Ohr oder auf den Schädel gelegte
Taschenuhr. Sie leidet nicht mehr an Sausen. Untersuchung
des Trommelfells ohne Befund.
IX. Geschmack ist normal. XI. Die Stimme ohne Störung.
XII. Die Zunge weicht nicht ab.
Sensibilität. Keine Störung war nachzuweisen.
Motilität. Der Gang ist unsicher und schwankend. Sie
geht mit gespreizten Beinen wie ein Betrunkener. Sie steht ohne
Schwierigkeit mit geschlossenen Augen und hat dabei kein Ge-
fühl verlorenen Gleichgewichts.
Der Miiskelsinn ist noi-nial, selbst in den Beinen und bei
Bettlage kann Ataxie nicht nachgewiesen werden.
Konvulsionen, Zuckungen oder Zittern sind nicht vorhanden.
Reflexe. Die Patellarreflexe sind beiderseits gesteigert.
Dorsalclonus fehlt.
Von Seiten der Blase und des Mastdarms ist nichts zu be-
merken.
Trophische und vasomotoi-ische Störungen sind nicht vor-
handen.
Innere Organe ohne Störung. Der Harn ist normal.
^^/ t wurde Parese des rechten Musculus externus oculi be-
obachtet. Gestern hatte sie Schwindel ohne Verlust des Bewusst-
seins.
^°/4. Auch Parese des M. rectus externus des linken Auges.
^^/5. Kopfschmerz belästigt sie nicht sehr. Die erwähn-
ten Paresen der Augen sind nicht ausgeprägt. Sonst Alles un-
verändert.
Übrigens wurde beobachtet, dass der Mund im April nach
links verzogen war und dass im Frühling das Gehör auch auf
dem rechten Ohre schlechter wurde. Der Geruch war herabgesetzt
7üie auch der Geschmack.
Juni. Ende Juni soll an einem Tage nach schwerem Kopf-
schmerz und wiederholtem Erbrechen das Scliverniögen bedeutend
abgejtonimen haben; und in der zweiten Woche des Juli soll das
noch zurückgebliebene Sehvermögen vollständig verschwunden sein.
Status "/-. Patientin besuchte die Brunnenanstalt Sätra, wo
sie mich zum ersten Male konsultirte. Ihr Zustand war damals
folgender:
Subjektiv. Keine Parästhesien. Nicht sehr schwerer Kopf-
schmerz, welchen sie in der linken Seite der Stirn lokalisirte.
Psyche. Gute Intelligenz, keine Aphasie.
Krajiialnerven. I. Normal. II. L. A. nur quantitative
Lichtperception ; etwas besser auf dem R. A. Farbenperception
fehlt. Ein grosses rothes Papier schien ihr blau zu sein. Die
Stauungspapille war ausgeprägt.
III. IV. VI. Die rechte Pupille grösser als die linke. Jene
reagirt auf Licht, diese nicht. Keine hemianopische Reaktion.
Nystagmus, besonders auf dem L. A. Parese des linken N. ab-
ducens.
V. Normal. VII. Geringe Parese im Facialis.
VIII. Gehör. Hört rechts die Taschenuhr auf 25 cm.,
links erst beim Andrücken an das Ohr. Sausen im linken Ohr.
IX. Ohne Befund. XI. Normal. Der Kopf neigt nach
rechts. XII. Normal.
Sensibilität. Schmerz-, Temperatur- und Ortsinn sind bei-
derseits in den Armen und Beinen ein wenig herabgesetzt, aber
an beiden Seiten gleich.
Motilität. Der linke Arm etwas schwächer als der rechte.
Der Gang ataktisch, aber der Muskelsintt normal.
Reflexe. Verstärkt, mehr links als rechts. Sonst nichts zu
bemerken, ausgenommen Empfindlichkeit für Percussion an der
rechten Parietalgegend.
Später nahm die Schwäche in den Armen allmählich zu.
Bald konnte die Patientin wegen Schwäche auch nicht ohne
Stütze gehen. Schwierigkeit beim Schlucken entstand und das
Erbrechen dauerte fort. Die Intelligenz nahm ab.
Den 1 1 . August wurde Pat. in's akademische Krankenhaus
in Upsala aufgenonmien, wobei Folgendes beobachtet wurde.
Status praesens 12.— 25. September 1894.
Wiederholte Schwindelanfälle in Verbindung mit schwerem
Kopfschmerz. Bei den Anfällen hat sie tonischen Krampf so-
wohl in den Kaumuskeln, wie in den Armen und in den Beinen,
aber keine Zuckungen.
Subjektive Symptome,
Der Kopfschmerz stärker rechts als links und in Stirn und
Schläfe lokalisirt, aber nie im Hinterkopf.
Keine Parästhesien oder Hallucinationen. Pat. sitzt Stun-
den lang still, starr geradeaus blickend. Spricht wenig, aber rich-
tig. Gedächtniss gut, keine Aphasie.
ZUR EXSTIRPATION DER HIRNTUMOREN
235
Kranialnerven. I. Geruch beiderseits bedeutend herab-
gesetzt.
II. Blind. Starke Stauungspapille, besonders links.
III. IV. VI. Pupillen und Augenbewegungen etwa wie früher.
V. Sensibilität (Tast- und Ortsinn) links etwas herabgesetzt
Der rechte Masseter kräftiger als der linke.
Das Kauen geht langsam von statten.
VII. Geringe Parese links; die Uvula weicht nach rechts ab.
VIII. Gehör wie ^/t.
Geschmack vielleicht links etwas geschwächt.
Das Schlucken geschieht langsam.
XII. Weicht etwas nach links ab.
Sensibilität. Drucksinn vielleicht rechts ein wenig herab-
gesetzt.
Ortsmn und Teviperatiirsinn beiderseits gleich.
Muskelsinn des linken Armes herabgesetzt, der Beine normal.
Motilität. Der linke Arm bedeutend geschwächt. Auch
die Kraft der Beine, besonders links, vermindert. Ausgeprägte Ataxie
beim Gehen. Fällt leicht tiach vorn und links. Der Muskel-
sinn ist nicht verändert.
Reflexe und innere Organe wie früher.
Im Verlaufe des Septembers hatte Pat. wiederholte Anfälle
von starkem Kopfschmerz und einen Schwindelanfall am ^^/a mit
Starre im oberen Teil des Körpers während einiger Minuten.
Operation d. i. Okt. 1894 von Prof. Dr. K. Lennander.
Nach der Desinfektion der Kopfhaut wurde ein Hautlappen
angelegt mit der etwa 7 cm. breiten Basis ungefähr in der Mit-
tillinie und nach unten offen. In der rechten Parietalgegend
wurden dann nach einander 3 Trepanlöcher, jedes von einem
Durchmesser von 3 cm., gemacht, um den linken oberen Parie-
tallappen in grosser Ausdehnung blosszulegen. Nach dem Durch-
schneiden der Dura trat das Hirngewebe in die Trepanöffnungen
stark hervor. Das Gehirn stand deutlich unter einem grossen
intrakranialen Druck, das Gewebe war dunkelroth gefärbt und
im höchsten Grade injicirt und ödematös; die Sulci waren ver-
wischt und es war unmöglich, zu entscheiden, ob eine gefäss-
reiche Geschwulst oder nur Hirngewebe vorlag. Beim Einschnei-
den blutete das Gewebe stark. In Folge dessen wurde ein Stück
ausgeschnitten und der mikroskopischen Untersuchung unterworfen.
Darin konnte ich indessen nur normales Gewebe entdecken.
Die drei Trepanlöcher erstreckten sich fast von der Mittel-
linie nach links unten und entsprachen hauptsächlich dem oberen
Parietallappen, aber griffen auch auf den hinteren Rand der hin-
teren Centraiwindung über. Mehrere Versuche, sich durch die
elektrische Reizung zu orientiren, hatten keinen Effekt, obschon
recht starke Ströme angewendet wurden. Nur vom unteren
vorderen Rande der unteren Trepanöffnung aus wurden Bewe-
gungen in dem linken Arm ausgelöst. Dieser Punkt lag etwa
in der mittleren Höhe des Cp. Uberhaupt war es sehr schwierig
in Folge des Oedems und der Verfärbung der Gehirnrinde sich
zu orientiren. Da nun keine Geschwulst angetroffen wurde, so
wurde ein grosses Stück — etwa 3-f 3 cm. — der Hirnrinde
aus dem vermuthlichen oberen Parietallappen bis zu einer Tiefe
von etwa 5 — 10 m.m. excidirt. Dabei entstand eine nicht un-
bedeutende Blutung wie auch ein Ausfluss von cerebrospinaler
Flüssigkeit.
5. E. Menschen. Pathologie des Gehirns.
Dann wurde die Wunde zugenäht und ein grosser Watte-
verband angelegt.
Die Pat. war nach der Operation bedeutend heruntergekom-
men und hatte einige Tage gelindes Fieber. Während einiger
Tage war ein bedeutendes Oedem in den Augenlidern sowie eine
Protrusion der Augäpfel vorhanden. Auch eine leichte Parese
der linken Seite entstand nach der Operation.
Die Sekretion von Flüssigkeit aus dem Gehirne war im An-
fang sehr reichlich. Die dicken Watteverbände wurden selbst in
den Nächten mehrmals durchtränkt und 4 — 5 mal gewechselt;
der Abfluss von Flüssigkeit hielt während 6 Wochen an.
Nach einigen Tagen besserte sich schon der Allgemeinzu-
stand. Der vorher äusserst heftige Kopfschmerz verschwand, das
früher häufige Erbrechen und die Schwindelanfälle hörten auf
und das Gehör wurde besser. Die Parese der linken Seite gins
gleich zurück, wenn auch Schwäche in den Beinen wie vor der
Operation bestand.
Die Stauungspapille verminderte sich auch und Pat. gab
nach einigen Tagen an, dass sie eine Empfindung von Licht
bekommen habe, welche aber bald wieder verschwand.
Kurze Zeit nach der Operation wurde eine genauere Un-
tersuchung der Sefisibilität ausgeführt. Das Resultat war, dass
diese bezüglich aller Qualitäten kaum verändert icar, und beson-
ders wurde dabei der Muskelsinn geprüft, ohne dass eine deut-
liche Störung nachgewiesen wurde. Die Ataxie beim Gehen be-
stand fort.
~^\\\ 1894 wurde Pat. gebessert entlassen. Die Wunde war
damals geheilt, Pat. konnte ausser Bett sein und keine Anfälle
von Kongestion oder Schwindel erschienen.
Nach späteren Nachrichten von dem Vater war Pat. in
der Heimat noch schwach und müde, war aber auf und geklei-
det jeden Tag bis Ende December als der Kopfschmerz von
Neuem anfing. Erbrechen trat bisweilen ein.
1895. Im Januar befand sich die Pat. manchmal schlecht,
manchmal besser.
Den 2. Februar hatte si^ einige Tage lang schweren Kopf-
schmerz.
Den 5. Februar >'bekam sie merkwürdiger Weise ihr Seli-
vermögen zum Teil wieder, so dass sie ihre Umgebung sehen
konnte, aber nach 10 Tagen wurde der Zustand schlechter und
Kopfschmerz und Erbrechen fanden sich ein. Ihr Sehvermögen
verschwand wieder und nach acht Tagen endete ihr Leiden in
einem stillen Tod.» So lautet der Bericht des Vaters. Sie starb
also etwa den 23. Februar 1895.
Sektion wurde nicht gemacht.
Epikritische Bemerkungen.
Kurzer Krajikenbericht s. S. 233.
Diagnose. Art der Läsion. Eine ausführlichere Aus-
einandersetzung der Anhaltspunkte für die Diagnose auf Hirn-
geschwulst dürfte nicht von Nöthen sein. Die Entwickelung
der Krankheit, der intensive stets progressive Kopfschmerz,
das Erbrechen, die progressive Stauungspapille mit nachfol-
gender Bhndheit und die Schwindelanfälle, Alles — sowie der
Ausgang — sprach für eine Geschwulst.
31
S. E. HENSCHEN. PATHOLOGIE DES GEHIRNS
Lokalisation der Gesc/nuidst. Schon Anfangs wurde das
Kleinhirn als der Ausgangspunkt betrachtet. Für eine solche
Lokalisation sprach ohne Zweifel die ausgesprochene Ataxie,
der Schwindel, die ausgeprägte von Blindheit begleitete
Stauungspapille, sowie das Fehlen einer ausgesprochenen
Paralyse.
Wenn diese Symptome einerseits für eine Lokalisation
im Kleinhirn kräftig sprachen, so konnten andererseits viele
dieser Symptome, wie der Kopfschmerz, das Erbrechen, die
Schwindelanfälle, die Stauungspapille und selbst die Ataxie,
als Ausdruck eines gesteigerten intrakranialen Drucks betrach-
tet werden.
Es fehlten auch einige für Kleinhirngeschwülste charak-
teristische Symptome. So z. B. wurde nach Angabe der
Kranken der Kopfschmerz nie in den Nacken verlegt, und
andere Symptome wurden leichter durch eine Lokalisation
im Grosshirn erklärt. Unter diesen wurden besonders die in
den linken Oberschenkel verlegten Parästhesien mit nachfol-
gender Schwäche desselben Gliedes bemerkt.
Dass die Geschwulst nicht in den Centraiwindungen sass'
dafür sprach die nur leichte Parese, dagegen war es nicht un-
wahrscheinlich, dass sie von einem Punkte in ihrer Nähe aus
diese Windungen reizte. Für eine Lokalisation im oberen Parie-
tallappen sprach besonders die oft ausgesprochene Empfind-
lichkeit beim Beklopfen über dem Tuber parietale. Vom
Parietallappen konnte die Geschwulst einerseits durch Reizung
der Centraiwindungen die linksseitige Parese und die im Febr.
eintretenden Parästhesien hervorgerufen und andererseits auch
durch Reizung des Temporallappens die Gehörstörungen und
das in dem linken Ohr schon in März hervortretende Läuten
verursacht haben.
Auch der Umstand, dass das Sehvermögen zuerst auf
dem linken Auge verändert wurde und später verschwand,
sprach mehr für eine Lokalisasion in der rechten Grosshirn-
hemisphäre als im Kleinhirn.
Würde aber eine Geschwulst im Kleinhirn angenommen,
dann müsste sie in die linke Hemisphäre verlegt werden.
Die Störungen vom linken Ohr wären dann peripherischer
Natur und man hätte eher eine Sehstörung auf dem rechten
Auge und eine Parese der rechten Seite oder eine Hemiple-
gia cruciata erwarten sollen. Die schon frühzeitig erschiene-
nen Parästhesien fänden aber durch diese Annahme keine
genügende Erklärung.
Unter solchen Umständen wurde die Lokaldiagnose als
dubia dahingestellt.
Da bei der Operation eine Geschwulst im Parietallappen
nicht gefunden wurde, so lag sie wahrscheinlich in der linken
Hemisphäre des Kleinhirns.
Operation.
Da der Kopfschmerz die Pat. sehr belästigte und der
Vater der Pat. sowie sie selbst auf Operation drang, so musste
natürlich die Frage entstehen, wo man operiren sollte. Dabei
wurde in Betracht genommen, i) dass die Lage der Geschwulst
in diesem Falle nicht mit absoluter Gewissheit bestimmt wer-
den konnte, 2) dass die Operationen der Kleinhirnsgeschwülste
oft misslangen, (vgl. Henschen, Behandl. der Erkrankungen
des Gehirns und seiner Häute in Penzoldt und Stintzing, Hand-
buch der .speciellen Therapie Bd VI. S. 957); 3) dass eine
solche Operation innerhalb des Kleinhirns in Anbetracht der
vermutheten bedeutenden Grösse der Geschwulst als sehr ge-
fährlich betrachtet werden musste und 4) dass also nur eine
palliative Operation vorgenommen werden konnte, um das
Leiden der Pat. zu erleichtern.
In Anbetracht dieser Verhältnisse wurde die Trepanation
über dem oberen Parietallappen ausgeführt. Dieser Punkt
war am leichtesten zugänglich; hier konnte die Operation
ohne zu grosse Belästigung der Pat. ausgeführt werden, das
Durchschneiden der Nackenmuskulatur vermieden werden und
es wurden nur für das Leben weniger wichtige Teile berührt.
Der Erfolg der Operation war der beabsichtigte. Eine
grosse Menge von cerebrospinaler Flüssigkeit wurde ent-
leert, die Symptome von gesteigertem intrakranialen Druck
wurden in hohem Grade ermässigt und das Leben wahr-
scheinlich verlängert. Der Tod trat etwa 5 Monate nach der
Trepanation ein.
Besonders auffallend war der partielle Rückgang der
Stauungspapille und die partielle Rückkehr des Sehvermögens
kurz vor dem Tode. Alle übrigen Symptome wie Schwindel,
Erbrechen, Kopfschmerz verschwanden etwa 2 Monate, um
dann mitunter zurückzukehren. Die Ataxie versclnvand nicht
und war also nicht ein Drucksymptom, sondern ein Lokal-
.symptom vom Kleinhirn aus.
Auch das Gehör wurde gebessert.
Durch die Operation wurde auch das Leben sicher ver-
längert.
In physiologischer Hinsicht war bemerkenswerth, dass
nur eine bald vorübergehende Parese der linken Seite nach
der Operation entstand, obschon sicher der hintere Rand der
Rinde der hinteren Centraiwindung excidirt wurde.
Noch interessanter war, dass die Empfindung und be-
sonders der Muskelsiiui nicht durch die Excision des grössten
Teiles der Rinde des oberen Parietallappens gestört ivurden.
Die darauf besonders gerichtete Untersuchung war niclit ge-
eignet die nach Nothnagel als allgemeingültig betrachtete An-
sicht, dass der Muskelsinin im oberen Parietallappen lokalisirt
sei, zu stützen.
Dass der Parietallappen nicht motorisch ist, das zeigten
die elektrischen Reizversuche.
VI.
über die Veränderungen der Sehbahn bei kongenitaler Augen-Atrophie.
Fall 23. Hilda Karolina.
6 Tage alt.
Taf. XI. Fig. 1—5. Taf. XIX. Fig. 16. 18.
Klinische und anatomische Diagnose: Atpophia bulbopum oeulopum ambopum, Micpocephalus, Monstpum, Bponchltis acuta diffusa.
Krankengeschichte
Das Gehirn ist mir vom Herrn Docent Dr. U. Quensel in
Stockholm gefälligst überliefert worden. Die Notizen über das
Kind sind mit gefäUiger Genehmigung des Herrn Prof. Dr. O.
Medin aus dem Krankenjournal des allgem. Waisenhauses in
Stockholm ausgezogen worden.
Das Kind war am i. September 1892 geboren, es wurde
den 6. dess. M. in das Kiankenhaus aufgenommen und starb
daselbst den 12. dess. M.
Den 8. Sept. 1892 wurde Folgendes bemerkt.
Das Kind ist atrophisch, missgebildet, Länge 42 cm.
Brustumfang 26 cm.
Der Schädel ist bedeutend verkleinert und misst in dem
grössten Umfange 25.5 cm.
Die Augäpfel sind atrophisch; links ist der Augapfel noch
von aussen wahrzunehmen rechts kann das obere Augenlid nicht
so weit gehoben werden, dass der Augapfel zum Vorschein kommt.
Die Ohren sind missgebildet, dünn und runzelig.
Der Gaumen fehlt vollständig, doppelseitige Hasenscharte
ist vorhanden; das Os intermaxillare fehlt. Das Septum narium
ist im oberen Teile der Mund-Rachen-Höhle nach links zu
sehen, ist aber atrophisch.
An jeder Ha7id finden sich 6 Finger, der 6. hängt als
ein Anhang an der Aussenseite des kleinen Fingers.
An jedem Fuss 6 Zehen; an dem linken Fuss ist die 6.
Zehe auch als ein Anhang an der Aussenseite der kleinen Zehe.
Am rechten Fuss hängt die Nebenzehe an der Wurzel der Innen-
seite der 5. Zehe. Der rechte Fuss ist ein Klumpfuss, der linke
ein Pes calcaneus.
Innere Organe ohne Störung. Die Darmentleerung recht
gut. Das Kind schreit heiser.
Den IG. September 11 Uhr 30 Min. Vorm. Pat. wurde
cyanotisch über den ganzen Körper mit sehr unregelmässiger
Respiration und krampfartigen Bewegungen der Kiefermuskulatur
und der Respirationsmuskeln beim Athmen. Nach 5 Minuten
wurde die Hautfarbe röther, die Athmungsfrequenz 40 in der
Min., und Pat. begann schwach zu schreien. — Zu Mittag ein
ähnlicher Anfall während einer halben Minute.
Den ^^/g. Anfall wie gestern von schwerer Dyspnöe (5
Min). Resp.-Freq. 70.
Den ^^/g 1892. Diffuse Bronchitis, besonders an der Rücken-
seite der linken Lunge. Die Darmentleerung dunkel, schleimig,
schlecht riechend. Pat. hat mehrere kurze Anfälle von schwerer
Dyspnöe. Starb 5 Uhr 30 Min. Nachmittags.
Sonst wurden keine Beobachtungen gemacht. Pat. konnte
Arme und Beine bewegen.
Sektion den 13. Sept. 1892.
Pathol.-anatom. Diagnose: Bronchopneumonia acuta bi-
lateralis, Bronchitis acuta, Pleuritis fibrinosa.
Der Körper verhältnissmässig klein. Körperfülle gut. Haut-
farbe bleich. Am Rücken Leichenflecke.
Lungen. Linke Lunge: im Unterlappen Bronchopneumonie.
Rechte Lunge: die oberen Lappen luftführend, im Unterlappen
Pneumonie. In den Bronchien beider Lungen reichliche Mengen
grauen Schleims.
In den Brusthöhleji unten eine dünne fibrinöse Membran
Ausgedehnter Catarrhus coli. Leber, Milz und Nieren
ohne Befund.
LLerz: ein erbsengrosser Defekt im oberen Teile des Sep-
tums; das Foramen ovale steht zum grössten Teil offen und ist
nur in der Mitte durch eine dünne, schmale Membran geschlos-
sen. Das Myocardium und die Klappen gesund.
Uterus bipartitus und Vagina duplex.
Gehirn (vom Verf. beschrieben). Tafel XI. Fig. i — 5.
Das Gehirn ist im Ganzen auffallend klein. Die Grösse
und Form geht aus den Abbildungen hervor, jedoch ist dabei
238 S. E. RENSCHEN. PATHOLOGIE DES GEHIRNS
zu bemerken, dass für die Abbildung die verschiedenen Win-
dungen etwas aus einander getrennt wurden, wodurch die Figuren
I und 2 etwas zu gross erscheinen.
Gewicht des in Spiritus gehärteten Präparats 95 Gramm
» » grossen Gehirns 79.5 »
» » Kleinhirns und der Medulla oblongata 15.5 »
Die Fig. 2 zeigt, dass das Kleinhirn vom Grosshirn nur
zum kleinen Teil bedeckt wird. Die beiden Occipitallappen
liegen in der Mittellinie einander nicht an, sondern bilden zwischen
sich einen triangelförmigen Zwischenraum. Dagegen sind die
Grosshirnhemisphären vorn, sowohl oben wie unten, mit einander
zusammengewachsen, und zwar in der auf der Figur angegebenen
Ausdehnung. Die Fig. 5 zeigt, wie hier das Mark des Frontal-
lappens unmittelbar in die Centraiganglien und den Balken
übergeht.
Aber auch die Centralganglien trennen sich nicht in der
Mittellinie, und einen Ventriculus tertius giebt es nicht, wohl
dagegen einen Aqufeductus Sylvii. Vom vorderen Ende der
Wasserleitung geht nach unten ein schmaler Blindsack (s. Fig. 5),
das Rudiment des 3. Ventrikels. Die Wasserleitung mündet nach
oben in die zusammengeschmolzenen Seitenventrikel ein.
Gross hirnober fläche.
Die richtige Deutung der Windungen ist schwierig und
unsicher.
Linke Hemisphäre. Taf; XI. Fig. i. 2. 4. 5.
Von der Konfiguration der Windungen gewinnt man am
besten einen Begriff durch Betrachtung der Figuren.
Die laterale Fläche. Fig. 4.
Hier markiren sich drei mit einander parallele, von hinten
oben nach vorn unten verlaufende Windungen, welche durch
tiefe Furchen von einander getrennt sind. Es ist schwierig die
verschiedenen Windungen mit den normalen zu identificiren. Die
wahrscheinliche Deutung der Windungen geht aus den Figuren
hervor.
Der Frontallappen wird durch einige (3) unregelmässige
kleine Windungen repräsentirt; F' in der Mittellinie ist sehr kurz,
2.5 cm. lang, F' ist sehr zusammengeballt, rundlich, und F*
bildet eine kleine, etwa i cm. lange, krumme Windung.
Dagegen ist der Gyrus centralis anterior, C^, verhältniss-
mässig sehr entwickelt und erstreckt sich vorn unten bis zur
Mittellinie, wo er mit dem rechten zusammengeschmolzen ist.
Von hier erstreckt er sich, reichlich mit Windimgen versehen,
bis zur Margo falcata.
Die vermuthete hintere Centraiwindung (Cp) ist unten sehr
deutlich, aber verliert sich nach oben in die obere Parietal-
Windung, wo man kaum den Typus mehr erkennen kann (s. Fig.
2. 3.). P^ scheint gross zu sein.
Der Temporallappen ist durch zwei laterale Windungen,
eine kräftige T^ und eine kleine T^, vertreten. Diese geht nach
hinten in den Cuneus über.
Eine getrennte ventrale Fläche giebt es nicht, da die late-
ralen Windungen ohne Grenze in die Unterfläche übergehen.
Die mediale Fläche. Die Hemisphären sind vorn zusammen-
gewachsen (Frontallappen). Der Paracentrallappen und der Lobus
quadratus sind nicht markirt. Dagegen zeichnen sich die Fissura
occipito-parietalis interna und Fissura calcarina sehr scharf ab
und dadurch wird also ein deutlicher Cuneus und ein Lobulus
lingualis gebildet.
Der Gyrus Hippocampi ist undeutlich.
Die rechte Hemisphäre. Taf. XI. Fig. i. 2. 3.
Die Konfiguration ist hier noch unregelmässiger und schwerer
zu deuten.
Die laterale Fläche.
Der Frontallappen scheint durch einen einzigen kurzen und
dicken ^V'ulst vertreten zu sein. Er ist von einer grossen, von
der Mittellinie vorn unten bis zur Margo falcata verlaufenden,
dicken Windung (C*) umgeben, welche sich an der medialen
Fläche zu einem grossen Wulst (der Paracentrallappen?) ausbildet.
CP ist auch ausserordentlich lang, erstreckt sich von der
Mittellinie unten bis zur Margo falcata und ist wohl begrenzt.
Er spaltet sich an der lateralen Fläche und sendet einen grossen
Ast nach hinten-oben (Lobus parietalis), welcher nach hinten
in die mediale Fläche des Occipitallappens übergeht.
Mehr ventro-occipital verlaufen drei Temporalwindungen
die obere, T^, ist sehr deutlich, auch die T" ist deutlich, T'*
undeutlich.
Die mediale Fläche.
Von der vorderen Spitze des Temporallappens verläuft
eine dicke Windung, Gyrus Hippocampi, nach hinten oben und
schmilzt hier mit der hinteren Centraiwindung zusammen.
Der Occipitallappeit ist hier sehr undeutlich und die Lage
der Fissura calcarina nicht sicher. Eine vertikale Fissura trennt
den vollständig atrophischen Occipitallappen von den lateralen
Windungen.
Sonst tritt der Vertreter des Paracentrallappens wulstig
hervor.
Der Balken (Fig. 5) hängt vorn mit dem Frontallappen
zusammen und ist vorn wulstig, ohne ein Genu zu bilden, er
bildet übrigens eine vorn 3 m.m., hinten i m.m. dicke Platte,
welche hinten frei endet, ohne ein Splenium zu bilden.
Die Centralganglien.
Die Thalami sind recht kräftig ausgebildet, etwas platt
(Fig. 5). Ein Piilvinar existirt nicht; die beiden Thalami sind
in der Mittellinie nicht getrennt.
Die Corpora geniculata externa und Corpora geniei/lata
interna sind wenig hervorragend.
Die Corpora 4-gemina (Fig. 2) sind dagegen auffallend gut
ausgebildet und gross.
Der CoUiculus anterior misst in frontaler Richtung etwa 9
m.m., in querer Richtung 10 m.m.
Der CoUiculus posterior zeichnet sich auch deutlich ab und
misst etwa 5 m.m.
Tractus optici. Eine Anlage der Tractus existirt zwar,
aber kein deutlicher Sehstreifen.
Linkes Auge.
Der Nervus opticus existirt als fadendünner bindegewebiger
Strang von etwa 0.5—1 m.m. Durchmesser. Eine bindegewebige
Scheide zeichnet sich von dem centralen Strang ab.
ÜBER DIE VERÄNDERUNGEN DER SEHBAHN BEI KONGENITALER AUGEN-ATROPHIE
239
Die Insertionen der Muskeln finden sich noch. Besonders
die Sehne des Musculus rectus externus ist rechterseits dick und
breit (5 m.m.)
Der linke Bulbus ist atrophisch, rund und misst 8 m.m. im
Durchmesser. Cornea weiss, undurchsichtig. Die Augenlider gut
ausgebildet.
Rechtes Auge.
Dieses Auge ist völlig geschrumpft und misst nur etwa 4
m.m. im Durchmesser; jedoch findet man auch die Insertionen
des Opticus und der Muskeln. Die Cornealseite des Auges ist
in dickes Bindegewebe umgewandelt.
Kleinhirn.
Seine Form ist nicht sehr abnorm. Man unterscheidet
ohne Schwierigkeit die Vermis, und die Hemisphären haben im
Ganzen normale Furchung. (Fig. i. 2).
Der Pons ist auffallend schwach ausgebildet, und an dem
caudalen Rande zeichnen sich zwei warzenähnliche Vorsprünge
an den Austrittspunkten der N. abducentes ab.
Medulla oblongata. Die Oliven springen als zwei bohnen-
ähnliche Bildungen an der Unterseite der Medulla kräftig her-
vor (Fig. i). Sie messen jede in der Breite 5 m.m., in der
Länge 9 m.m.
Die Nervi trigemini und acustici-faciales sind als dicke
Bündel vorhanden.
Mikroskopisches.
Zum Vergleichungsobjekt wurde das Gehirn eines 3-tägigen Kindes benutzt. Der Altersunterschied betrug also nur 9 Tage.
Das Vergleichungsgehirn war dagegen besser in Alkohol gehärtet. Die Präparate wurden nach Nissl gefärbt.
A. Das normale Gehirn. B. Die Blinde.
P u 1 V i n ar.
Zellen schön ausgebildet mit scharfen Konturen und schö- Zellen : die meisten schön ausgebildet wie in A. mit deut-
nen Kernen mit Kernkörperchen. Die Fortsätze sehr deutlich liehen Fortsätzen. Daneben kleinere rundliche, anscheinend un-
und kräftig. ausgebildete.
Grundsubstanz zart, porös. Grundsubstanz geschrumpft.
Also besteht der Unterschied darin, dass bei der Blinden auch unausgebildete Zellen vorkamen.
Corpus g e n i c u 1
5 schön angeordnete Reihen mit 4 breiten, hellen Streifen
dazwischen. Zellen sehr zahlreich und schön ausgebildet.
Die grösseren rundlich, flaschenähnlich mit 2 dichotomisch
verästelten Fortsätzen und oft deutlichem Axencylinder. (Taf.
XIX. Fig. 17 a).
Das Chromatin gleichmässig verteilt.
Die kleineren oblong-polygon mit einem kurzen Fortsatz,
zahlreich und scharf konturirt. (Taf. XIX. Fig. 17 b).
atum externum.
Undeutliche Reihen oder unregelmässige Häufchen von
Zellen ohne deutliche helle Markleisten dazwischen. Zellen recht
zahlreich, besonders die grösseren.
Die grösseren ohne die sonst karakteristische Form, etwas
kleiner, in mehreren Spitzen oder stumpfen Ecken hervorragend;
andere Zellen sind birnenförmig. Fortsätze sehr kurz und nicht
verästelt. (Taf XIX. Fig. 18 a).
Das Chromatin in grobe Körner oder Plättchen verteilt.
Die kleineren oblong mit kurzen Fortsätzen, sonst den in
A ähnlich. (Fig. 18 b).
Danehen luenig ausgebildete kleine Zellen mit undeutlichem
Protoplasma rings um den gut entwickelten Kern.
Corpus geniculatum intern um.
Zellen recht zahlreich, rundlich-eckig mit kurzen Fortsätzen
oder ohne Fortsätze.
Zellen zahlreich, mehr unregelmässig, in grösseren Häuf-
chen. Sonst sind die Zellen wie in A, vielleicht sind in B die
kleineren zahlreicher als in A.
II.
Stratum zonale: zahlreiche Zellen vorhanden.
a) zahlreiche sternförmige mit kurzen Ausläufern;
b) polymorphe (Randzellen); c) Kerne.
Cappa cinerea: mässige Menge Zellen. Kaum 0.5 m.m.
breit.
a) grosse horizontale mit horizontalen Ausläufern;
Corpora 4-gemina.
I.
II.
Str. z.: Zellen recht zahlreich vorhanden, alle kleiner
als in A, denn das Protoplasma ist nicht so ausge-
bildet.
a) zahlreiche sternförmige mit weniger ausgebildeten
Körpern und sehr undeutlichen Ausläufern; b) poly-
morphe Zellen; c) Kerne.
C. c: die Schicht weniger distinkt. Zellen weniger als
in A, und kleiner, mit unausgebildeten Körpern,
a) fehlen fast! b) horizontale, einzelne, abortive
240
S. E. RENSCHEN. PATHOLOGIE DES GEHIRNS
A. Das Jiorniale Ge/nni.
b) kleine derselben Form; c) grosse Kerne ; d) kleine
polymorphe Zellen.
Stratum opticum: c:a 1.25 m.m. dick; zahlreiche Zellen,
a) vertikale, spindelförmige; b) trianguläre ; c) hori-
zontale, spindelförmige; d) polygone, mit vielen
Ausläufern.
Stratum circiilare: zahlreiche Zellen, aber nicht so
dicht wie in III, c:a 1.30 m.m.
a) grosse, polygone, mit langen Ausläufern ; b) hori-
zontale; c) kleine, rundliche, mit geringem Proto-
lasma; d) Kerne; e) trianguläre, grosse; f) birnen-
förmige.
B. Die Blinde.
ohne deutliche Fortsätze; c) fehlen fast; d) zahl-
reiche, kleine, polymorphe, mit undeutlichem Zel-
lenprotoplasma.
III. Str. opt.: Zellen spärlich.
a) vertikale finden sich spärlicher; b) trianguläre;
c) nur einzelne; d) u. e) zahlreiche kleine Kerne
mit unausgebildetem polygonen Protoplasma.
IV. Str. circ: zahlreiche Zellen, aber nicht so ausgebildet
wie in A.
a) grosse, nicht so polygone, nicht (?) so lange Aus-
läufer; andere abortive; b) horizontale; c) u. d)
zahlreiche Kerne mit keinem oder geringem Proto-
plasma; e) einzelne trianguläre, grosse; f) birnen-
förmige.
Die Rinde der Fissura calcarina.
(Taf. XIX. Flg. 15).
Bei stärkerer Vergrösserung unterscheidet man folgende
Schichten (Vergl. die Beschreibung v. Leonowa's* und ihre Tafeln):
I. Die Ependymschicht bildet an Methylenpräparaten eine
breite helle Schicht, in welcher nur einzelne Zellenele-
mente mit grossen, abgerundeten Kernen und wenig
Protaplasma eingebettet sind. Einige der Zellen zeigen
einen spärlichen Ring von Protoplasma rings um den
Kern, welches an einigen in eine nach der Oberfläche
gerichtete Spitze ausläuft. Die Kerne sind fein gekörnt.
Ausserdem runde und oblonge Kerne ohne Protoplasma-
körper.
An einigen Zellen erscheint ein kurzer Ausläufer
nach unten.
II. Schicht der oberflächlichen kleinen Pyramidenzellen. Eine
schmale Schicht, welche ohne scharfe Grenze in die
folgende übergeht. Zellen : dichtliegende, kleine Frami-
den, meist mit abgerundeter vom Kern atisgefüllter Basis
und deutlichem Pyramidenfortsatz.
III. Schicht der grössere?! Pyramidenzellen. Eine breite
Schicht, nach unten von Zellen anderer Form umsäumt,
welche nicht so deutliche Pyramidenzellen sind. Zellen
grösser, deutlicher mit 3-eckiger Basis, reichlicherem
Protoplasma, nicht so dicht an einander liegend.
Einzelne grössere Pyramidenzellen sind eingemischt.
IV. Helle Schicht mit zerstreuten polygonen und poly-
morphen mittelgrossen oder grossen Zellen ohne Pyra-
midenfort satz.
* Archiv f. Anatomie und Phsysiologie. Anatomische Abth. Heft, 5 u.
6. S. 309 u. ff. 1893.
(Taf. XIX. Fig. 16).
I. Diese Schicht ist nicht so scharf von der nächsten ab-
gesetzt und ist etwa 4 Mal breiter als am Vergl. -Präp.,
ist auch nicht so arm an Zellen wie normal.
Die anscheinend bedeutende Vergrösserung der Breite
durfte wohl davon abhängen, dass der untere Abschnitt
wohl eigentlich der nächsten Schicht angehört, obwohl
die Pyramidenzellen da fehlen.
II. Die Schicht der kleinen Pyramiden bildet nicht mit der
folgenden eine zusammenhängende regelmässige Schicht;
an Stelle beider Schichten treten unregelmässig säulen-
förmig angeordnete Zellenhäufchen auf, welche teils
grösser, teils kleiner sind und mitunter in einer Schicht
zusammenhängen. Diese Häufchen gehören hauptsäch-
lich der Schicht III an. Über den oberflächlichen
Abschnitt s. I. In dem unteren Abschnitt sind die Zellen
oblong, flaschenförmig, die Kerne oblong und von spär-
lichem Protoplasma bekleidet; die Basis spitz oder ab-
gerundet, Pyramidenfortsatz fehlt vollständig; nur ein-
zelne ausgebildete Pyramidenzellen sind noch vorhan-
den; basale laterale Fortsätze fehlen völlig.
III. Diese Schicht fliesst mit der vorigen zusammen und
vielleicht entsprechen die unter II beschriebenen Zell-
häufchen eher dieser Schicht III, als der Schicht II.
Bisweilen hängt diese Schicht mit Schicht IV zusam-
men; übrigens ist die Begrenzung nach unten unregel-
mässiger als normal.
IV. Die helle Schicht ist sehr unregelmässig, bisweilen breit,
bisweilen schmal oder fehlt. Eine bestimmte Zellenform
ist nicht ausgebildet. Ein undeutlicher Protoplasma-
mantel umgiebt den runden oder oblongen Kern. Es
existirt kein Pyramidenfortsatz.
ÜBER DIE VERÄNDERUNGEN DER SEHBAHN BEI KONGENITALER AUGEN-ATROPHIE 241
A. Die Blinde.
V. Molekuläre Schicht: dichtliegende runde Kerne ohne deut-
• Uches Protoplasma.
V. a. In ihrer ventralen Schicht sind die Zellen
und einzelne grosse solitäre Pyramidenzellcn eingebettet.
VI. Heller Streifen mit polymorphen Zellen, nämlich:
a) einzelnen SoHtärzellen ;
b) mittelgrossen Pyramidenzellen;
c) kleineren rundlichen Zellen.
VII. Dichtliegende grosse Pyramidenzellen mit eingestreuten
noch grösseren, von welchen viele spindelförmig sind.
VIII. Zerstreute, polymorphe, Pyramiden-, kleine rundliche,
flaschenförmige etc. Zellen.
Anatomische
Da das mir zu Gebote stehende Material schon in Spi-
ritus eingelegt war, so konnte es nicht zur Färbung nach der
Weigert'schen Methode angewendet werden. Untersuchungen
auf Nervenfasern mussten deshalb unterbleiben; zum Ersatz
eignete sich das Gehirn gut für Zellenfärbung nach der vor-
züglichen Nissl'schen Methode mit Methylenblau. Und eine
solche Untersuchung hatte um so mehr Interesse, da das
dem Fräulein O. von Leonowa ^ zur Verfügung stehende reich-
liche Material von 7 Fällen von Anophthalmia oder Bulbus-
atrophie nur nach Weigert gefärbt war. Wie bekannt, ist
die genauere Untersuchung der Zellen an dergleichen ge-
färbten Präparaten sehr schwierig und die der feineren Struk-
tur des Protoplasmas und der Fortsätze manchmal selbst un-
möglich. Mein Material, wenngleich verhältnissmässig klein,
kann also hinsichtlich der Zellen die Untersuchungen v. Leo-
nowa's in gewissen Hinsichten kontrolliren und vervollständigen.
Anderseits wäre es verfrüht, aus dem Befunde nur eines
Gehirns zu weit gehende Schlüsse zu machen. Und das Re-
sultat muss mit einer gewissen Reserve aufgenommen werden,
da das Untersuchungsobjekt in der That in einigen Hinsichten
ein Monstrum war. Inzwischen hat die Übereinstimmung mit
den V. Leonowa'schen Befunden mich überzeugt, dass dieses
Verhältniss kaum in die Wagschale fällt, wenn auch das
Gehirn sonst, wie aus dem Sektionsbericht hervorgeht, in
mancher Hinsicht deform und defekt war.
Ich möchte nun erst einen Vergleich mit dem Befunde
bei einem normalen Gehirn von einem 3-tägigen, anscheinend
normalen Kind anstellen. Der Unterschied im Alter zwischen
den beiden Specimina war nur 9 Tage; dann will ich meinen
Befund mit dem v. Leonowa's vergleichen — und endlich die
Veränderungen verwerthen.
1 a. a. O. und Archiv f. Psychiatrie Bd XXVIII. Heft. i.
A. Das normale Gehirn.
V. Molekuläre Schicht fehlt als besondere Schicht; ob
einzelne Zellen bestehen, ist ungewiss, da ähnliche runde
Kerne ohne oder mit undeutlichem Protoplasmamantel
überall in der Rinde anzutreffen sind.
V. a. Solitäre Pyramidenzellen fehlen.
VI. Der helle Streifen fehlt, aber stellenweise ist eine An-
deutung davon vorhanden, indem Lücken mit spärli-
chen Zellen in der folgenden Schicht auftreten.
VII. Eine breitere Schicht als normal folgt, wahrscheinlich
eigentlich aus mehreren gebildet. Die Zellen gross,
plump, mit grossen oblongen Kernen und grossem ob-
longen Körper. Ihre Form nicht ausgebildet; viele mit
Pyramidenfortsatz ; keine basalen lateralen Fortsätze.
Viele nach beiden Enden zugespitzt. Einzelne sehr
grosse.
VIII. Undeutlich begrenzte, recht breite Schicht. Zellen wei-
ter aus einander stehend. Zellen recht gross, polygo-
nal mit grossem, rundlichem Kern und deutlichem,
rundlich-eckigem Mantel.
Bemerkungen.
Der äussere Kniehöcker.
Allgemeine Anordnung. Die vergleichende Untersuchung
zwischen den Gehirnen des 3-tägigen Kindes und des Blinden
hat eine in die Augen fallende Verschiedenheit nachgewiesen.
Diese betrifft nicht nur die allgemeine Anordnung des Knie-
höckers, sondern auch speziell die Zellen. Das ganze Ganglion
ist auffallend atrophisch, zeichnet sich nicht von dem um-
gebenden Gewebe so distinkt ab, wie beim Normalen, ihre
Grenzen sind diffus und die Form weniger charakteristisch.
Wenn diese Verschiedenheiten schon eine mangelhafte Ent-
wickelung ankündigen, so tritt diese noch mehr bei der ge-
naueren Untersuchung hervor Beim Normalen tritt die schöne
Faltung der Zellenreihen so klar hervor; diese Reihen sind
zusammenhängend und durch helle Streifen, die Markleisten,
von gleichmässiger Breite von einander getrennt. Dagegen
beim Blinden sind diese Laminat medulläres sehr undeutlich.
Die grossen Zellen bilden keine zusammenhängenden Reihen,
sondern sind in Häufchen gesammelt, deren Form jedoch
etwas an die normale Anordnung erinnert; die kleineren Zellen
liegen auch zerstreut, nur mit Andeutung einer Reihenbildung.
Diese Anordnung findet in der mangelhaften Ausbildung
des Ganglions ihre Erklärung. Da, wie bekannt ist, die Mark-
leisten zum Teil aus Tractusfasern gebildet werden, welche
bei Atrophie der Tractus ausfallen, so müssen sie auch we-
nigstens zum Teil bei der kongenitalen Opticusatrophie fehlen
oder in ihrer Entwickelung gehemmt werden. Dadurch geht
das charakteristische Aussehen des Ganglions verloren. Da
inzwischen auch die von den Zellen occipitalwärts verlaufenden
Nervenfasern in diesen Markleisten zu verlaufen scheinen, so
versteht sich, dass noch eine Spur der Laminse medulläres
besteht.
In allen diesen eben erwähnten Hinsichten stimmt der
242 S. E. HENSCHEN. PATHOLOGIE DES GEHIRNS
Befund mit dem von v. Leonowa beschriebenen überein. Sie
fand den äusseren Kniehöcker atrophisch, undeutlich begrenzt,
die Zellen lagen in Gruppen oder bildeten Haufen, selten
waren sie regelmässig verteilt (Fall VI); die Laminse medul-
läres fehlten entweder gänzlich oder waren undeutlich in allen
7 Fällen.
Zellen. Betreffs der Zellen war auch ein deutlicher Un-
terschied von dem normalen Gehirn nachzuweisen. Die ZaJil
der grosse7i Zellen war entschieden verinindert: einige Häuf-
chen oder kurze Reihen sollten der langen schönen normalen
Reihe entsprechen. Aber in diesen kleinen Haufen liegen
die Zellen anscheinend eben so dicht wie im normalen Prä-
parate, wenn nicht sogar dichter.
In dieser Hinsicht findet sich auch Ubereinstimmung mit
dem Befund von v. Leonowa. Sie fand die Ganglienzellen in
den Fällen 2. 3. 4. 7 »nahe an einander», »zusammengepresst»
u. s. w.
Betreffs der kleinen Zellen, schien auch eine Verinin-
derung der ausgebildeten Zellen stattzufinden, aber ausser-
dem fanden sich unentwickelte Zellen, welche fast nur aus
Kernen bestanden, ohne oder mit undeutlichem Protoplasma
rings um den Kern. Wenn es auch schwierig ist, die Zahl
auf die Kubikeinheit abzuschätzen, da hierbei die Dicke des
Präparates eine Rolle spielt, so scheint es mir doch, dass
auch die Zahl der kleinen Zellen vermindert war.
Die Form der Zellen war entschieden beim Blinden ver-
ändert. Beim Normalen hatten die grössere7i dieselbe Grund-
form wie beim erwachsenen Menschen, wie diese Zellen beim
Färben mit Methylenblau erscheinen (Taf. XIX. Fig. 17. a).
Diese weicht von derjenigen, welche man bei der Golgi'schen
Färbung sieht, in der Hinsicht ab, dass die Protoj^lasmafort-
sätze nicht so schön sind. Auch waren beim Normalen diese
nicht so lang und verästelt wie beim Erwachsenen, aber der
Grundtyjaus war nachzuweisen — die dichotomische Ver-
ästelung der hirschhornähnlichen Fortsätze.
Dagegen war beim Blinden die Zellform eine verän-
derte (Fig. 18. a). Die von v. Leonowa in Fig. 10. Taf. II. ab-
gebildete konnte ich nicht .sehen. Die Zellen waren nicht
rund, sondern teils mit vielen vorspringenden Ecken mit
kurzen, einfachen Fortsätzen, teils mit abgerundeter Basis,
und einige ähnelten nach unten abgerundeten Flaschen; alle
hatten grosse Kerne und einen starken kurzen Fortsatz. Fast
in allen Zellen war das Chromatin in groben Körnern oder
Plättchen gesammelt, beim Normalen dagegen war das Proto-
plasma gleichförmig verteilt und gefärbt. (Vgl. die Fig.)
Die kleineren Zellen waren zum Theil recht gut ent-
wickelt, wenn auch kleiner als normal; aber daneben fanden
sich kleine unausgebildete mit geringem Protoplasma.
Das Gemeinsame für beide Zellenarten war also Dian-
gelhafte Entivickelnng aller Zellen, und venniiiderte Anzahl
der verhältnissmässig entwickelten Zellen, v. Leonowa be-
zeichnet die Ganglienzellen im Falle I. als »etwas kleiner»
(ungewiss), im II. sind sie nicht näher beschrieben, im IV.
»nicht kleiner als normal», aber Protoplasma »sehr geschAvun-
den und atrophisch», ja »nicht selten schwer zu verfolgen», im
V. »Protoplasmamantel nähert sich mehr dem Vergleichungs-
objekt», im VI. »kleiner» als normal und »Protoplasmaman-
tel schwer zu verfolgen»; nur in 2 Fällen, III. und VII., sind
sie »gross und schön», aber im III. sind sie rund oder ver
längert und im VII. ist die vorherrschende Form rund, aber
man begegnet auch »ovalen und dreieckigen».
Zieht man nun in Betracht, dass wenigstens die nor-
malen grossen Ganglienzellen des äusseren Kniehöckers nicht
als rund, selbst nicht als oval bezeichnet werden können, und
dass von v. Leonowa die Zellen selbst in den Fällen III. und
VII. und ausserdem in den Fällen I. IV. VI. solche runde
Formen als vorkommend oder zahlreich bezeichnet werden,
und dass fast in allen Fällen sonst das Protoplasma reducirt
war, so besteht also eine auffallende Ubereinstimmung zwischen
den Befunden v. Leonowa's und dem meinigen. Die grossen Zel-
len hatten ihre charakteristische Form nicht erreicht, die Fort-
sätze waren noch sehr einfach und kurz, und neben kleineren
verhältnissmässig gut entwickelten Zellen fanden sich zahl-
reiche runde oder ovale, welche gewiss volle Entwickelung
nicht erreicht hatten.
Es bestand also in allen Fällen eine deutliche, bisweilen
mehr, bisweilen weniger starke Atrophie oder mangelJiafte
Entwickelung der Zelleji.
Wenn dessen ungeachtet v. Leonowa in der Zusammen-
fassung S. 20 die Zellen als »im Allgemeinen recht schön
entwickelt und scheinbar nicht reducirt an Zahl» bezeichnet
so kann ich dem nicht beistimmen. Die beigefügten Abbil-
dungen (v. Leonowa's Taf. II. Fig. 10. u. 11.), der Zellen
beim normalen Vergleichungsobjekt und im Falle IV. geben
auch keinen richtigen Begriff von der Form der Zellen des
äusseren Kniehöckers. Die feinere Struktur sowohl, als die
vorspringenden Ecken und die verästelten Fortsätze, wie sie
sich beim Färben mit Methylen herausstellen, fehlen in den
Abbildungen (vgl. Taf XIX. Fig. 17. 18.).
Dies dürfte von der Härtungsmetode und der Färbung
abhängen. Auch ich habe wohl hundertmal die Schwierig-
keit geprüft, die Form und Struktur der Ganglienzellen bei
den in der Müller'schen Flüssigkeit gehärteten und nach
Weigert gefärbten Präparaten richtig zu beurteilen, indem
nur die gröberen Konturen dann hervortreten. Feinere Ver-
änderungen werden leicht unterschätzt oder übersehen, und
die Fortsätze treten k-aum hervor.
Ich wiederhole deshalb : es besteht in den Zellen des
äusseren Kniehöckers eine ausgesprochene Atrophie oder man-
gelhafte Entwickelung. Und dies ist von wesentlicher Be-
deutung. Auch findet sich eine, wenn auch nicht grosse,
Verminderung der Anzahl.
Was die Grundsiib stanz betrifft, so konnte auch ich
einen Unterschied zwischen dem normalen und dem patholo-
gischen Falle sehen. Bei beiden kann sie als feinkörnig be-
zeichnet werden, war aber bei diesem etwas dichter, während
beim Normalen dieses Gewebe zarter und poröser war.
V. Leonowa bezeichnet die Grundsubstanz im Falle I.
als »geschrumpft», aber ihre Structur als normal, im II. als
»etwas atrophisch», im III. »stark reducirt», im IV. »stark
geschwunden und zerfallen» im ventralen, aber nicht im dor-
salen Teile, im V. »atrophisch, zerfallen» (die venstralsten Teile
intakt), im VI. »zerfallen» und im VII. »etwas geschrumpft,
Struktur nicht verändert».
ÜBER DIE VERÄNDERUNGEN DER SEHBAHN BEI KONGENITALER AUGEN-ATROPHIE.
243
Schon seit Jahren legt v. Monakow und jetzt v. Leo-
nowa diesen Veränderungen der Grundsubstanz wesentliche
Bedeutung bei, und betrachtet sie als eine zuesentlicJie Krajik-
lieit der Substantia gelatinosa in Zusammenhang mit dem
Schwund der Endigungen oder Endbäumchen der Nerven-
fasern. Und V. Leonowa will den ursprünglich von Mona-
kow ausgesprochenen Satz, dass »da wo nur die Substantia
gelatinosa erkrankt», es sich nur um »Endigungsstätten» der
Nervenfasern handelt, als »ein allgemein gültiges Gesetz für
die Hirnanatomie aufstellen».
Was nun die Thatsache betrifft, so gestehe ich gern
zu, dass beim Schwund reichlicher Menge von Nervendigun-
gen eine Verdichtung der Neuroglia stattfindet. Die Maschen
des sonst porösen Gewebes nähern sich einander, und dieses
scheint auch etwas körniger, aber dies will ich nicht als
eine wesentliche Krankheit bezeichnen. Es ist die unmittel-
bare Folge des Schwundes der Nervenfasern; die Maschen
fallen zusammen, und ich finde es kaum berechtigt, dies als
eine Atrophie zu bezeichnen.
Der Ausdruck, dass nach Bulbusenukleation zuerst die
Substantia gelatinosa erkrankt, scheint mir auch irreleitend,
denn überall, wo Nervenelemente ausfallen, treten gewisse als
Sklerose zu bezeichnende Veränderungen ein, sowohl an der
Endigung der Endbäumchen, wie überall anderswo im Ver-
laufe der Nerven. Jedenfalls ist die Veränderung der Neu-
roglia nicht das Wesentliche, sondern der Ausfall der Nerven-
fasern. Ob ein Schwund der Neuroglia besteht, scheint mir
zweifelhaft, wohl aber ist eine Schrumpfung oder Verdichtung
vorhanden.
Hier bei der kongenitalen Atrophie des Augapfels geht
damit Hand in Hand die Atrophie der Ganglienzellen des Knie-
Iiöckers, zvelche keineszvegs als unwesentlich oder bedeutiings-
los bezeichnet werde7i darf.
Dieselben Veränderungen wie hier habe ich auch früher
wiederholt bei Tractusatrophien gefunden, auch bei Erwach-
senen. Im Falle I, Teil I, wo mehrjährige Blindheit bestand,
konnte dasselbe nachgewiesen werden. Neben einer allge-
meinen Atrophie des Kniehöckers bestand eine Zusammen-
drängung der Zellen, und diese zeigten einen gewissen Grad
von Atrophie, aber bestanden noch. Die Laminae medulläres
waren als »trockne Strombetten» oder leere Scheiden, helle
Streifen zu sehen.
Was bedeutet aber die vorhandene Atrophie der vielen
Zellen im Kniehöcker? und der Ausfall von Zellen? Ohne
Zweifel sind diese Veränderungen auch secundär in Folge der
fehlenden Entwickelung der Augäpfel und der Tractusfasern.
Pul vi na r. Auch hier fand ich eine, wenn auch gering-
fügige Veränderung der Zellen, indem beim Blinden neben
gut entwickelten Zellen andere mangelhaft entwickelte vor-
kamen, v. Leonowa fand dagegen nur schöne normale Zel-
len, und die Grundsubstanz war in allen Fällen normal. Aber
wenn Tractusfasern auch hier endigen, warum findet sich
keine Atrophie der Grundsubstanz? Es muss dann auch die
Grundsubstanz verändert sein, was aber v. Leonowa nicht mi-
kroskopisch gefunden hat. In meinen Präparaten dagegen
war eine solche deuthch. Die Neuroglia war kondensirt, g€-
5. E. Menschen. Pathologie des Gehirns.
schrumpft. Dagegen fand v. Leonowa, dass das Pulvinar im
Fall I eine doppelseitige makroskopische Atrophie zeigte;
Atrophie fand sich auch in den Fällen 2 und 3 und viel-
leicht im 7., aber nicht in dem 4. und 5. (im 6. nichts be-
sonders erwähnt). Es besteht also zwischen dem makro- und
mikroskopischen Befunde v. Leonowa's ein auffallender Wi-
derspruch.
Der innereKniehöcker. Im Ganzen war das Ganglion
normal und die Zellen waren denen des normalen Präparats sehr
ähnlich, nur dass die Zellen beim Blinden nicht regelmässig ver-
teilt waren und vielleicht die kleinen Zellen zahlreicher waren.
Corpora 4-gemina anteriora.
Allgemeine Anordming. Es fällt gleich in die Augen,
dass im normalen Gehirn die verschiedenen Schichten gut
von einander dififerenzirt waren, obschon nur die Zellen ge-
färbt waren. Die Anzahl der Zellen charakterisirt die ver-
schiedenen Schichten, sowie auch die Zellenformen. Beim
Blinden dagegen war es schwierig zu sagen, wo eine Schicht
anfing oder aufhörte, denn das Stratum opticum hatte nicht
viel zahlreichere Zellen als die Cappa cinerea. Auch fanden
sich Gruppen von Zellen unregelmässig eingestreut, im Ge-
gensatz zum Normalen.
Die oben mitgeteilte mikroskopische Untersuchung zeigte
übrigens, dass beim Blinden im Stratum zonale die Zellen
kleiner als beim Normalen waren, in der Cappa cinerea die
Zellen spärlicher waren, und dass besonders die sonst schönen
horizontalen grossen Zellen unausgebildet waren oder fast
fehlten. Im Stratum opticum fanden sich beiderseits alle Ar-
ten von Zellen, aber die Zellen waren beim Blinden spär-
licher und w^eniger entwickelt; im Stratum circulare waren
die Zellen auch nicht so gut entwickelt wie beim Normalen.
Fasst man dieses zusammen, so findet man also, dass
die Zellen in alle 71 Schichten spärlicher oder nicht so ent-
wickelt waren wie beim Normalen.
V. Leonowa bemerkt über ihre Präparate: im Stratum
zonale keine Veränderungen; in der Cappa cinerea in den
Fällen i — 5 sind die Zellen weniger zahlreich oder kleiner,
und daneben finden sich Neuroblasten, also eine mangelhafte
Entzuickelung. In dem Falle 6 keine Angabe, und im 7.
waren die Zellen normal; im Stratum opticum war die mitt-
lere Schicht überhaupt normal (Fälle i. 2. 4. 5), das ober-
flächliche Mark fehlte (Fälle i. 2. 4. 5. 7), und das mittlere
Mark fehlte in drei Fällen, war gut entwickelt im Fall 5.
Im Falle 6 fehlen überhaupt Angaben. Stratum circulare
war normal (Fälle i — 5. 7) (6 nicht untersucht).
Die Grundsubstanz war normal in den Fällen i — 3. 7;
im 4. und 5. verändert (im 6. fehlt eine Angabe).
In meinem Falle war die Grundsubstanz in der Cappa
cinerea kaum verändert, wahrscheinlich dagegen im Stratum
opticum.
Zieht man alle diese Befunde in Betracht, so ist die
Übereinstimmung betreffs der Zellen in der Cappa cinerea
gut; beide haben wir eine mangelhafte Entwickelung oder
Atrophie und jedenfalls einen Ausfall von Zellen gefunden.
Dessen ungeachtet fand Leonowa in 4 Fällen keine Verän-
32
244 S. E. RENSCHEN. PATHOLOGIE DES GEHIRNS
derung, und nur in 2 eine deutliche Abweichung betreffs der
Grundsubstanz. Wenn man hier, wie Leonowa sonst hin-
sichtlich des Kniekörpers will, aus dem Ausfall der Zellen
einen Schluss macht, so sollen also aus den Zellen der Cappa
cinerea Tractusfasern entspringen, und damit sollte die nor-
male Beschaffenheit der Grundsubstanz übereinstimmen (in
4 Fallen normal, in 2 aber nicht).
Was das Stratum optiaan betrifft, so war die mittlere
Schicht nach v. Leonowa normal, nach meiner Untersuchung
verändert. Nach v. Leonowa sollten also hier keine Opticus-
fasern enden. Hier liegen also strittige Thatsachen vor, und
erneuerte Untersuchung ist nöthig.
Was die Schichten I und III, das heisst das oberfläch-
liche und mittlere Mark, betrifft, so sollen sie nach v. Leonowa
fehlen, nach meiner Untersuchung bestehen sie, aber ein
Zellenausfall ist vorhanden und die übriggebliebenen Zellen
sind weniger als normal entwickelt.
Die Grundsubstanz ist nach v. Leonowa meistens normal
(Fälle 1 und 2 etwas reducirt, aber die Structur nicht ver-
ändert, 3. 7 normal, 4. 5 verändert — 6 nicht beschrieben).
Es ist schwierig, aus diesen Befunden einen sicheren
Schluss zu ziehen. Da die Schichten I und III fehlen, .so
sollten sie beide in direktem Zusammenhang mit dem Tractus
stehen, und Tractusfasern daselbst sowohl beginnen wie enden;
die normale mittlere Schicht sollte dagegen mit dem Tractus
nichts zu thun haben.
Nach meiner Untersuchung dagegen bestehen alle Arten
von Zellen, aber sie sind spärlich und unentwickelt. Also
sollten auch aus diesen Schichten Tractusfasern entspringen;
eine Differenz zwischen den verschiedenen drei Schichten
konnte ich nicht mit Sicherheit nachweisen.
Unter solchen Umständen dürfte es unmöglich sein,
weiter gehende Schlüsse über den Zusammenhang der opti-
schen Fasern mit den verschiedenen Schichten aus dem vor-
liegenden Materiale zu ziehen. Nur betreffs der Cappa cinerea
scheint Einigkeit vorhanden zu sein, und die Befunde stützen
die Ansicht, dass ein Zusammenhang zwischen ihr und dem
Tractus stattfindet.
Auch für einen Zusammenhang mit dem Stratum opticum
scheint meine Untersuchung zu sprechen.
Was die übrigen pathologischen Beweise für und gegen
die eben ausgesprochenen Ansichten betrifft, hoffe ich sie
einmal sjDäter darlegen zu können.
Hinter hau 13 tslappen.
Noch verwickelter sind die Verhältnisse in der Rinde
des Occipitallappens, bezw. der Fissura calcarina.
In meinem Falle war das rechte Auge äusserst ge-
schrumpft und maass in Durchschnitt nur 4.5 m.m., das linke
war aber etwas grösser, 10 m.m.; dagegen war der rechte Occi-
pitallappen so geschrumpft, dass die Windungen kaum mehr
erkennbar waren und die Lage der Fissura calcarina nicht
mit Sicherheit nachzuweisen war, während der linke Occi-
pitallappen wenigstens erkennbar und die Fissura calcarina
deutlich genug war (s. Taf XI. Fig. 5).
Die mikroskopische Untersuchung des linken Occipital-
lappens ergab Folgendes (vgl. oben), und auf der Taf XIX
ist ein Versuch gemacht, die Anordnung und Form der Zellen
zu geben. Die Bilder sind jedoch etwas schematisch, da nur
eine Minderzahl der Zellen abgebildet ist (Fig. 1 5 vom Nor-
malen, Fig. 16 vom Blinden).
Die Rinde der Fissura calcarina des blinden Idioten zeich-
net sich beim Vergleich mit der eines normalen 3-tägigen
Kindes durch folgende Merkmale aus.
Allgemeine Anordmmg.
Zuerst fällt die grosse Unregelmässigkeit der Schichten
beim Blinden auf Die schöne Regelmässigkeit des Normalen
mit den scharfen Grenzen der Schichten, welche parallel ver-
laufen, fehlt. Besonders ist dies der Fall hinsichtlich der
beim Normalen breiten scharfen Schicht der kleinen und
grossen Pyramiden. Diese schöne Schicht ist durch unregel-
mässig gestellte, kürzere und längere Säulen von Zellen mit
dazwischen liegenden Lücken ersetzt.
Zellenformcn. Ein aligemeiner Unterschied ist, dass
die Zellen in allen Schichten bei dem Blinden nicht zur
Form ausgebildet sind. In den Pyramiden-ScJnchten fehlen
überhaupt die Pyramidenfortsätze, und die 3-eckige Basis mit
ihren lateralen Ausläufern ist nicht ausgeprägt. Die Basis
ist abgerundet oder spitz. Überhaupt ist das Protoplasma
sehr spärlich oder ganz undeutlich und nimmt kaum Farbe an.
In der Schicht VII sind dagegen Zellen zwar gross, jedoch
ist die Form unentwickelt urv^ plump; die Base rund oder spitz,
nicht dreieckig. Der Protoplasmamantel ist relativ gross.
Vergleicht man den Befund mit dem von v. Leonowa
beschriebenen, so finde ich eine befriedigende Übereinstimmung
hinsichtlich der normalen Rinde. Ich konnte ohne Schwierig-
keit die von ihr beschriebenen 8 Schichten erkennen. Was
aber den Blinden betrifft, so bestehen folgende Differenzen.
I. Die Zellen in meinem Falle waren kleiner und spär-
licher.
II. Die Zellen fehlen fast in dem oberflächlichen Ab-
schnitte beim Blinden, v. L. rechnet diese Partie der Epen-
dymschicht zu.
III. Alle Zellen waren weniger ausgebildet in meinem
Falle.
IV. Nach V. L. fehlt diese Schicht, aber dem kann ich
nicht beistimmen. Unter der III. Schicht kommt nämlich
eine helle Schicht mit spärlichen Zellen.
V. VI. Dagegen fehlt die molekidäre Schicht, wie auch
die folgende VI. Schicht. Der breite helle Streifen, welcher
nach der Schicht III folgt, ist vielleicht durch Verschmelzung
der Schichten IV. V und VI oder IV und VI gebildet, und
nur die Schicht V ausgefallen. Jedenfalls fehlen die charak-
teristischen »molekulären» Zellen.
VII. Diese Schicht ist auftallend breit, hat aber nur
ovale, unentwickelte Zellen.
Die Befunde stimmen also nur in gewissen Hinsichten
mit denen v. Leonowa's überin, und die von ihr gezogenen
Schlüsse scheinen mir deshalb auch weniger sicher. Die
Hauptdifferenz zwischen uns ist jedenfalls, dass die Schicht
IV, wohin V. Leonowa den Sehakt verlegt, in meinem Falle
nicht fehlte, und dass die Körnerschicht bei v. L. vorhanden
war; bei mir nicht.
ÜBER DIE VERÄNDERUNGEN DER SEHBAHN BEI KONGENITALER AUGEN-ATROPHIE
245
Der Schluss und die ganze Frage, in welche Schicht
der Rinde der Sehakt zu v^erlegen sei, scheint mir nocli ver-
früht zu sein. Wir brauchen dazu noch viele neue Daten,
und gewiss ist der Sehakt ein so komplicirter, dass man sich
nicht denken kann, dass er in nur einer Schicht vollgezogen
wird. Dagegen kann die Frage aufgestellt werden: wo enden
die von den Zellen des Kniekörpers ausgehenden Fasern?
Selbst für die Lösung dieser einfachen Frage liegen zur
Zeit noch nicht sichere Daten vor.
Die obige Untersuchung bestätigt also zwar in gewissen
Hinsichten die Befunde v. Leonowa's, hat aber auch nach-
gewiesen
I. dass im missercii Kniekörper eine wesentliche Atro-
phie oder mangelhafte Entwickelung sowie ein Schwund,
besonders der grossen Zellen, besteht;
2. dass auch im Collicubis anterior eine mangelhafte
Entwickelung aller Arten von Zellen vorhanden ist;
3. dass im Ptihnnar die Zellen ihrer normalen Ent-
wickelung entbehren ;
4. dass in der Rinde der Fissiira calcarina ausgespro-
chene Veränderungen in allen Schichten bestehen, indem die
Zellen in allen Schichten atrophisch oder auf einer unent-
wickelten Stufe verblieben sind und dass besonders die charak-
teristischen Zellen der molekulären Schicht fehlen und die
Schicht VI als besondere Schicht fehlt, wenn sie nicht mit
der IV. zusammengeflossen ist.
In Anbetracht der difiusen Atrophie, welche also über-
all in den subkortikalen Ganglien und in der Rinde der
Plssura calcarina besteht, scheint es mir nicht berechtigt, alle
diese Befunde ausschliesslich im Sinne der v. Monakow'schen
Theorie zu deuten.
TAFEL XV.
TAFEL XV.
Fall II. Eklund. Gliosarcoma lobi parietalis inferioris dextri.
Seite 130.
Fig. I. Die rechte Hemisphäre, laterale Flache,
tum. — Tumor.
Fig. 2 — 4. Frontale Durchschnitte resp. 4. 5. 6 c.m. vor der Occipitalspitze.
A. — Ciyrus angularis.
C — » centralis anterior.
C. c. — Corpus callosum.
C — Gyrus centralis posterior.
H. — » Hippocampi.
O', O", — Gyrus occipitalis primus, secundus, tertius.
P'. P- — Lobus parietalis superior, inferior.
.S. S. — Sehstrahlung.
T', T-, — Gyrus temporalis primus, secundus, tertius.
— Gyrus occipito-temporalis.
TAFEL XVI.
TAFEL X\T
Fall lo. Siindelin. Glioma lobi parietalis dextri et adjacent.
region. Seite 120.
Fig. I. Fiontalschnitt 9 cm. vor dem Orripitalpole.
Fig. 2 — 6. Frontalschnitte resp. 8. 7. 6. 5. 4 cm. vor dem Occipitalpole.
A. — Gyrus angularis.
Qa QP — Gyrus centralis anterior, posterior.
C. c. — Corpus callosum.
C g. e. — Corpus geniculatum externum.
C. i. — Capsula interna.
H. — Gyrus Hippocampi.
hip. — Fissura »
I. — Insula Reilii.
ip. — Fissura intraparietalis.
L', L"^, L"^ Nucleus lentiformis.
N. caud. — » caudatus.
oc — Fissura calcarina.
op. — » occipito-parietalis.
PC. — Lobus paracentralis.
Prjec. — Pra^cuneus.
Pulv. — Pulvinar.
R. — Fissura Rolandi.
S. S. — Sehstrahlung.
Th. — Thalamus.
tum. — Tumor.
II. — Tractus opticus.
Hensclien Pathologie des Gelnrns
Tafel
TAFEL XVII.
TAFEL XVII.
Flg. I. 2. Fall 15. Eklund. Gliosarcoma lobi parietalis inferioris
dextri. Seite 130.
Fig. I. Frontalschnitt 8 cm. vor dem Orcipitalpole.
Fig. 2. Frontalschnitt 9 cm. vor dem Occipitalpole. Bezeichnungen s. Taf. XV.
C. a. — Colliculiis anterior.
C. g. e. — Corpus geniculatum externuni.
C. p. — Colliculus posterior.
C. 4-gem. — Corpus 4-geminum.
Pulv. — Pulvinar.
Th. — Thalamus,
tum. — Tumor.
Fig. 3. 4. Fall 12. Heyden. Haemorrhagia cerebri bilateralis.
Seite 139.
Fig. 3. Frontalschnitt durcli den rechten Stirnlap])en.
C. c — Corpus callosum.
Cy. — Cyste.
F', F^, F'"' — Gyrus frontalis primus, secundus, tertius.
V. H. — Vorderhorn.
Fig. 4. Die mediale Fläche des linken Occipitallappens.
Cun. ■ — Cuneus.
oc — Fissura calcarina.
op. — Fissura occipito-parietalls interna.
Pr£Ec. — Praäcuneus.
Spe. — Splenium.
T" — Lobulus lingualis.
Fig. 5. 6. 7. Fall 16. Hinrichsen. Haemorrhagia cerebri, hemi-
sphoer. sinistr. Seite 173.
Fig. 5. 6. 7. Frontalschnitte durch die Ccntralganglien resp. lo. 9. 8 cm. vor dem
Occipital])ole.
^ br. p. — Brachium posterius.
C. a. — (Jolliculus anterior.
C. c — Corpus callosum.
C. g. e. — Corpus geniculatum externum.
C. g. i. — » » internum.
C. Luys. — Corpus Luysii.
C. p. — Colliculus posterior.
Forn. — Fornix.
haem. — Hsemorrhagien.
N. caud. — Nucleus caudatus.
N. i. — Nucleus internus thalami.
N. r. — Nucleus ruber.
oc — Fissura calcarina.
op. — Fissura occipito-parietalis.
Pulv. — Pulvinar.
pr£Ec — Pr?ecuneus.
S. S. — Sehstrahlung.
Th. — Thalamus opticus.
Tr. opt — Tractüs opticus.
TAFEL XVIII.
TAFEL XVIIL
Fall 12. Heyden. Hoemorrhagia cerebri etc. Seite 139.
Frontalschnitte durch die Hnkseitigen Centralganghen. 2 mal vergrössert.
Fig. I. Durchschnitt durch die Commissura anterior und den Nucleus anterior.
Fig. 2 — 5. Durchschnitte durch den Thalamus.
Fig. 6. Durchsnitt durch das Pulvinar.
V'\g. 7. Durchschnitt etwa 7 cm. vor der Occipitalspitze und den vorderen Vierhügel.
Atr. — Atrophie.
C. a. — Commissura anterior.
C. c. — Corpus callosum.
C. f. — Cohnnna fornicis.
C. g. e. — Corpus geniculatum externum.
C. g. i. — » » internurn.
Coli. ant. — Colliculus anterior.
C. p. — Commissura posterior.
Cy. — Cyste.
D. — Degenerirtes Feld.
Forn. — Fornix.
F. S. — Fossa Sylvii.
H. — Gyrus Hippocampi.
I. — Insula.
L\ L" — Corpus lentiforme (Cilobus pallidus).
Mal. — Malacie.
N. a. — Nucleus anterior.
N. c. — Nucleus caudatus.
N. r. — Nucleus ruber.
Pulv. — Pulvinar.
S. S. — Sehstrahlung.
— Gyrus temporalis primus.
Tap. — Tapetum.
Th. — Thalamus opticus.
Tr. opt. — Tractus opticus.
U. — Uncus.
V^' — Seitenventrikel.
Vi'i — Dritter Ventrikel.
W — Wernicke's Feld.
Hensclien^ Pathologie des Gelurns
Tafel XTIir.
A, Cleve delm
Liih. W Schlächter, StockholTa.
TAFEL XIX.
TAFEL XIX.
Fig. I — 12. Fall 12. Heyden. Haemorrhagia cerebri etc. Seite 139.
Fig. I — 10. — Hemisph?era sinistra. 1. — links.
Fig. II — 12. — Hemisphcera dextra. r. — rechts.
Fig. I. 2. — Nervus opticus. kr. — gekreuztes Bündel.
Fig. 3. 4. — Chiasma. unkr. — ungekreuztes Bündel.
Fig. 5. 6. — Tractus optici. atr. — Atrophie.
Fig. 7 — IG. Frontalschnitte durch die linke Hemisphäre resp. 6. 5. 3 und 1,5 cm. vor
der Occipitalspitze.
Fig. II. 12. Frontalschnitte durch die rechtsseitigen Centralganglien.
C. c. — Corpus callosum. C. g. e. — Corpus geniculatum externum.
Col. f. — Columna fornicis. C. p. — Commissura posterior.
Cun. — Cuneus. Cy. — Cyste.
H. H. — Hinterhorn. I. R. — Insula-Rinde
L"^ — Putamen. mal — Malacie.
N. r. — Nucleus ruber. oc. — Fissura calcarina.
Pulv. — Pulvinar. S. S. — Sehstrahlung.
T. — Lobulus lingualis. Tap. — Tapetum.
Th. — Thalamus.
Fig. 13. Fall. 16. Hinrichsen. Haemorrhagia in Thalamo sini-
stro. Seite 173.
Durchschnitt durch den äusseren Kniehöcker,
a. — entfärbtes Feld.
C. g. e. — • Corpus geniculatum externum.
hjemor. — Haemorrhagia.
Putam. — Putamen + i.
W. — Wernicke's Feld.
Fig. 14. Fall Jan Andersson. Haemorrhagia in Thalamo sini-
stro. Seite 177.
Durchschnitt durch die äusseren und inneren Kniehöcker.
C. g. i. — Corpus geniculatum internum.
Übrige Bezeichnungen wie in Fig. 13.
Fig. 15. 17. 3-tägiges normales Kind. Seite 239.
Fig. 15. Durchschnitt durch die Rinde der Fissura calcarina. loo mal vergrössert.
I — VIII. Die Schichten der Rinde.
Fig. 17. Zellen des Kniehöckers, a. die grossen; b. die kleinen. Hartn. Obj. 7.
Fig. 16. 18. Fall 23. Hilda Carolina. 9-tägiges, blindgeborenes
Kind. Seite 238.
Fig. 16. Vertikalschnitt der Rinde der Fissura calcarina. loo-mal vergrössert. I — VIII.
Die Schichten der Rinde.
Fig. 18. Die Zellen des äusseren Kniehöckers, a. die grossen; b. die kleinen. Hartnack.
Obj. 7.
Obs. Die Figuren i6 und 17 sind zum Teil schematisch, da nicht alle Zellen der Schnitte
abgezeichnet wurden.
Henschen PatMogie des Belums.
TAFEL XX.
TAFEL XX.
F^all 13. Esche. Hoemorrhagia cerebri, hemisphaer, dextr. Seite 150.
Fig. I. Horizontalschnitt durch die linke Hirnhälfte.
Fig. 2 — 4. Horizontalschnitte durch die rechte Hirnhälfte. Fig. 2 der dorsalste, Fig. 4
der ventralste Schnitt.
A. — Gyrus angularis.
C\ C. — Gyrus centralis anterior, posterior
C. c. — Corpus callosum.
C. i. — Capsula interna.
Cy. — Cyste.
Degen. — Degenerirtes Feld.
F^ — Gyrus frontalis tertius.
H. — Gyrus Hippocampi.
Haben. — Ganglion habenulie.
I. — Insula.
mal. — Malacie.
N. caud. — Nucleus caudatus.
Fig- 5 ""9- Frontale Schnitte resp. 7. 6. 5. 4. 3. cm. nach mikroskopischen Weigert'schen
Präparaten. Alle ein wenig schematisch (s, Text),
atr. — sekundäre Atrophie in der Sehstrahiung.
Cun. — Cuneus.
oc. — Fissura calcarina.
S. S. — Sehstrahlung.
Tap. — Tapetum.
— Gyrus occipito-teniporalis.
U. — Uncus.
O', O", O''. — Gyrus occipitalis primus, secundus,
tertius.
oc. — Fissura calcarina.
op. — Fissura occipito-parietalis.
Operc. — Operculum.
Pulv. — Pulvinar.
T'' — Lobulus lingualis.
T', T^, T'^. — Gyrus temporalis primus, secundus,
tertius.
Th. — Thalamus opticus.
V. H. — Vorderhorn.
Hensclien, Patliologie des Gelnrns.
Tafel
A. Cleve Sc J. FredluiicL delm.
Lith. W Schlachter, Stochholm.
TAFEL XXI.
TAFEL XXL
Fall 13. Esche. Haemorrhagia cerebri. Seite 150.
Fig. I. Nervi optici. kr. — gekreutze Bündel.
Fig. 2. 3. Chiasma nervorum opticoriim. unkr. — ungekreuzte Bündel.
Fig. 4. Tractus optici. atr. — Atrophie.
Fig.' I — 4. 6 mal vergrössert. M. K. — Meynert's Commissur.
1. — links.
r. — rechts.
Fig. 5 — 7. Frontaldurchschnitte durch die linksseitigen Centralganglien, im Gebiete des
Tractus opticus.
Fig. 8 — 12. Frontaldurchschnitte durch dieselben Centralganglien, im Gebiete des äusseren
Kniehöckers.
Fig. 13. Colliculus anterior (Corp. 4-gemina).
Fig. 5 — 13. 2 mab vergrössert.
A. S. — Aquteductus Sylvii.
C. a. — Colliculus anterior.
C. g. e. — Corpus geniculatum externum.
C. g. i. — » » internum.
C. i. — Capsula interna.
C. p. — Commissura posterior.
Cy. — Cyste.
D. — Degenerirtes Feld. (Bindgewebe.)
F. 1. ■ — Fasciculus longitudinalis.
H. — Gyrus Hippocampi.
Hiem. — Haemorrhagie.
H. S. — Haubenstrahlung.
N. c. — Nucleus caudatus.
N. r. — • Nucleus ruber.
S. S. — Sehstrahlung.
T. — Rinde des Temporallappens.
t^ — Sulcus temporalis primus.
T" — Gyrus tempor. secundus.
Th. — Thalamus opticus.
tr. — Tractus opticus.
U. — üncus.
V"^ — Ventriculus tertius.
W — Wernicke's Feld.
Hensclien Pathologie des GeMrns
Tafel HI'-
TAFEL XXII.
TAFEL XXIL
Fall i8. Christina Jönsson. Hsemorrhagia cerebri bilateralis.
Seite 184.
Fig. I — 5. Frontalschnitte diirrh die rechte Hirnhälfte resp. 12. 11. 10. 9. 8,5 cm. vor
dem Occipitalpole.
Fig. 6 — 8. Frontalschnitte durch die linke Hirnhälfte resp. 3. 4. 4,5 cm. vor dem Occi-
pitalpole.
C. a. — Commissura anterior.
C. g. i. — Corpus geniculatum internum.
C. i. — Capsula interna.
C. 4-gem. • — Corpora 4-gemina.
h. • — Fissura hippocampi.
hoäm. — HEemorrhagie.
I — Insula.
L\ L'-, L'^ — Nucleus lentiformis.
mal. — Malacie.
Pulv. — Pulvinar.
S. — Fissura Sylvii.
Th. — Thalanum opticus.
II — Tractus opticus.
TAFEL XXIII.
TAFEL XXIII.
Fall 19. Wef. Sarcoma cerebri. Seite 194.
Fig. I. Die Konvexität des Gehirns mit der Geschwulst.
Fig. 2. P'rontalschnitt. 3 cm. vor dem Occipitalpole.
A. — Gyrus angularis.
Cun. — Cuneus.
G^, G'' — Gyrus centralis anterior, posterior.
F\ F^, F^ — Gyrus frontalis superior, medius, inferior.
— Gyrus occipitalis superior.
oc. — Fissura calcarina.
op. — Fissura occipito-parietalis.
prtec. — Prsecuneus.
P\ — Lobus parietalis superior, inferior.
S. S. • — Sehstrahlung.
T"* — Gyrus occipito temporalis.
T'' — Lobulus lingualis.
TAFEL XXIV.
I
TAFEL XXIV.
Fall ig. Wef. Sarcoma cerebri. Seite 194.
Fig. I. 2. 3. Frontaldurchschnitte 4. 6. 7 cm. vor dem Occipitalpole.
Bezeichnungen wie in der Tafel XXIII.
C. c. — Corpus callosum.
H. — Gyrus Hippocampi.
hip. — Fissura Hippocampi.
T', T', — Gyrus temporalis primus, secundus, tertius.
A. Cleve delm.
Lith.W Schlachter. StocHiolm.
TAFEL XXV.
TAFEL XXV.
Fig. 1-.-4. Fall 19. Wef. Tumor cerebri. Seite 194.
Fig. I. Frontalschnitt 9 cm. vor der Occipitalspitze.
C — Gyrus centralis anterior; C — Gyrus centralis posterior; Tum. — Tumor.
Fig. 2. Sagittalschnitt durch den Pons, die Medulla oblongata und das Kleinhirn.
Fig. 3. Die Spitze des linken Occipital-Lappens, von hinten.
Fig. 4. Frontalschnitt c:a 1,5 cm. vor der Occipitalspitze.
a. — Narbe.
Cun. — Cuneus.
Cy. — Cyste.
oc. — Fissura calcarina.
S. S. — Sehstrahlung.
T'"* — Lobulus lingualis.
Fig. 5. 6. Fall 18. Kristina Jönsson. Hscmorrhagia cerebri.
Seite 184.
Fig. 5. Frontalschnitt durch den rechten Occipitallappen, 4 cm. vor der Occipitalspitze.
f. 1. — Fasciculus longitudinalis. (Atrophie),
oc — Fissura calcarina.
op. — Fissura occipito-parietalis interna.
T* — Gyrus occipito-temporalis.
T'' — Lobulus lingualis.
Fig. 6. Frontalschnitt durch das Pulvinar und die Kniehöcker.
C. c. — Corpus callosum.
C. g. e. — Corpus geniculatum externum.
C. g. i. — » » internum.
Cy. — Cyste.
Pulv. — Pulvinar (degenerirt).
Fig. 7 — 10. F'all 17. Brita Eriksdotter, Malacia Thalami dextri.
Seite 179.
Fig. 7. Die Centralganglien, schräg von oben.
Fig. 8. 9. IG. Horizontalschnitte durch den rechten Thalamus. Fig. 8. aus dem dor-
salsten, 9. aus dem mittleren, 10. aus dem ventralen Teile.
A. S. — Aquaeductus Sylvii.
Coli. ant. — Colliculus anterior.
Coli. post. — Colliculus posterior.
C. rad. — Corona radiata.
Cy. — Cyste.
I. R. — Rinde der Insula.
— Linsenkörper, äusseres und mittleres Glied.
N. c. — Nucleus caudatus.
O. S. — Die occipitale Strahlung.
Pulv. — Pulvinar.
Th. — Thalamus.
Hensclien PatMogie des GeMrns
Tafel m:
A Cleve de Im,
Lith. W. Schlächter, StocHiolm.
TAFEL XXVI.
TAFEL XXVI.
Fall 20. Gustaf Jansson. Cystoglioma cerebri. Seite 214.
Fig. I. Die linke Hajmisphäre mit der (leschwulst und der Kopfschwarte.
Fig. 2. 3. Frontaldurcihschnitte, lo und 9 c. m. vor dem Occipitalpole.
A. — Gyrus angularis.
Q:i Qp — Gyrus centralis anterior, posterior.
C. c. — Corpus callosum.
C. i. — Capsula interna.
F\ F^, F'^. — Gyrus frontalis superior, medius, inferior.
I. — Insula.
L. — I,ens.
N. c. — Nucleus caudatus.
0\ O^, O*. — Gyrus occipitalis primus, secundus, tertius.
P', P^. — Lobus parietalis superior, inferior.
T\ T-, T^. — Gyrus temporalis primus, secundus, tertius.
Th. — Thalamus opticus.
II. — Tractus opticus.
Hensclien Pathologie des Gelurns
IXVI.
TAFEL XXVIL
t
TAFEL XXVII.
Fall 20. Gustaf Jansson. Cystoglioma cerebri. Seite 214
Fig. 1 — 4. Frontaldurchschnitte 8. 7. 6. 5 cm. vor dem . Occipitalpole.
Die Bezeichnungen wie auf der Tafel XXVI.
A. — Gyrus angularis.
C. 4-gem. — Corpus 4-geminum.
H. — • Gyrus Hippocampi.
oc. — Fissura calcarina.
op. — Fissura occipito-parietalis.
Praic. — Prsecuneus.
Pulv. — Pulvinar.
T* — Gyrus occipito-temporalis.
— Lobulus lingualis.
Hensclien. Pathologie des Qelurns
Tatei:xzxrir.
A. Cleve delm
4-.
Lüh. W Schlächter, StocHiolm.